Theodor Fontane
Schach von Wuthenow
Theodor Fontane

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Siebentes Kapitel

Ein neuer Gast

All diese Sprünge Bülows hatten die Heiterkeit des Prinzen erregt, der denn auch eben mit einem ihm bequem liegenden Capriccio über beauté céleste und beauté du diable beginnen wollte, als er, vom Korridor her, unter dem halb zurückgeschlagenen Portierenteppich, einen ihm wohlbekannten kleinen Herrn von unverkennbaren Künstlerallüren erscheinen und gleich danach eintreten sah.

»Ah, Dussek, das ist brav«, begrüßte ihn der Prinz. »Mieux vaut tard que jamais. Rücken Sie ein. Hier. Und nun bitt ich, alles, was an Süßigkeiten noch da ist, in den Bereich unsres Künstlerfreundes bringen zu wollen. Sie finden noch tutti quanti, lieber Dussek. Keine Einwendungen. Aber was trinken Sie? Sie haben die Wahl. Asti, Montefiascone, Tokayer.«

»Irgendeinen Ungar.«

»Herben?«

Dussek lächelte.

»Törichte Frage«, korrigierte sich der Prinz und fuhr in gesteigerter guter Laune fort: »Aber nun, Dussek, erzählen Sie. Theaterleute haben, die Tugend selber ausgenommen, allerlei Tugenden, und unter diesen auch die der Mitteilsamkeit. Sie bleiben einem auf die Frage ›was Neues‹ selten eine Antwort schuldig.«

»Und auch heute nicht, Königliche Hoheit«, antwortete Dussek, der, nachdem er genippt hatte, eben sein Bärtchen putzte.

»Nun, so lassen Sie hören. Was schwimmt obenauf?«

»Die ganze Stadt ist in Aufregung. Versteht sich, wenn ich sage ›die ganze Stadt‹, so mein ich das Theater.«

»Das Theater ist die Stadt. Sie sind also gerechtfertigt. Und nun weiter.«

»Königliche Hoheit befehlen. Nun denn, wir sind in unsrem Haupt und Führer empfindlich gekränkt worden und haben denn auch aus eben diesem Grunde nicht viel weniger als eine kleine Theateremeute gehabt. Das also, hieß es, seien die neuen Zeiten, das sei das bürgerliche Regiment, das sei der Respekt vor den preußischen ›belles lettres et beaux arts‹. Eine ›Huldigung der Künste‹ lasse man sich gefallen, aber eine Huldigung gegen die Künste, die sei so fern wie je.«

»Lieber Dussek«, unterbrach der Prinz, »Ihre Reflexionen in Ehren. Aber da Sie gerade von Kunst sprechen, so muß ich Sie bitten, die Kunst der Retardierung nicht übertreiben zu wollen. Wenn es also möglich ist, Tatsachen. Um was handelt es sich?«

»Iffland ist gescheitert. Er wird den Orden, von dem die Rede war, nicht erhalten.«

Alles lachte, Sander am herzlichsten, und Nostitz skandierte: »Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus.«

Aber Dussek war in wirklicher Erregung, und diese wuchs noch unter der Heiterkeit seiner Zuhörer. Am meisten verdroß ihn Sander. »Sie lachen, Sander. Und doch trifft es in diesem Kreise nur Sie und mich. Denn gegen wen anders ist die Spitze gerichtet als gegen das Bürgertum überhaupt.«

Der Prinz reichte dem Sprecher über den Tisch hin die Hand. »Recht, lieber Dussek. Ich liebe solch Eintreten. Erzählen Sie. Wie kam es?«

»Vor allem ganz unerwartet. Wie ein Blitz aus heitrem Himmel. Königliche Hoheit wissen, daß seit lange von einer Dekorierung die Rede war, und wir freuten uns, alles Künstlerneides vergessend, als ob wir den Orden mitempfangen und mittragen sollten. In der Tat, alles ließ sich gut an, und die ›Weihe der Kraft‹, für deren Aufführung der Hof sich interessiert, sollte den Anstoß und zugleich die spezielle Gelegenheit geben. Iffland ist Maçon (auch das ließ uns hoffen), die Loge nahm es energisch in die Hand, und die Königin war gewonnen. Und nun doch gescheitert. Eine kleine Sache, werden Sie sagen: aber nein, meine Herren, es ist eine große Sache. Dergleichen ist immer der Strohhalm, an dem man sieht, woher der Wind weht. Und er weht bei uns nach wie vor von der alten Seite her. Chi va piano, va sano, sagt das Sprichwort. Aber im Lande Preußen heißt es ›pianissimo‹.«

»Gescheitert, sagten Sie, Dussek. Aber gescheitert woran?«

»An dem Einfluß der Hofgeneralität. Ich habe Rüchels Namen nennen hören. Er hat den Gelehrten gespielt und darauf hingewiesen, wie niedrig das Histrionentum immer und ewig in der Welt gestanden habe, mit alleiniger Ausnahme der Neronischen Zeiten. Und die könnten doch kein Vorbild sein. Das half. Denn welcher allerchristlichste König will Nero sein oder auch nur seinen Namen hören. Und so wissen wir denn, daß die Sache vorläufig ad acta verwiesen ist. Die Königin ist chagriniert, und an diesem Allerhöchsten Chagrin müssen wir uns vorläufig genügen lassen. Neue Zeit und alte Vorurteile.«

»Lieber Kapellmeister«, sagte Bülow, »ich sehe zu meinem Bedauern, daß Ihre Reflexionen Ihren Empfindungen weit vorauf sind. Übrigens ist das das Allgemeine. Sie sprechen von Vorurteilen, in denen wir stecken, und stecken selber drin. Sie, samt Ihrem ganzen Bürgertum, das keinen neuen freien Gesellschaftszustand schaffen, sondern sich nur eitel und eifersüchtig in die bevorzugten alten Klassen einreihen will. Aber damit schaffen Sie's nicht. An die Stelle der Eifersüchtelei, die jetzt das Herz unsres dritten Standes verzehrt, muß eine Gleichgiltigkeit gegen alle diese Kindereien treten, die sich einfach überlebt haben. Wer Gespenster wirklich ignoriert, für den gibt es keine mehr, und wer Orden ignoriert, der arbeitet an ihrer Ausrottung. Und dadurch an Ausrottung einer wahren Epidemie...«

»Wie Herr von Bülow umgekehrt an Errichtung eines neuen Königreichs Utopien arbeitet«, unterbrach Sander. »Ich meinerseits nehme vorläufig an, daß die Krankheit, von der er spricht, in der Richtung von Osten nach Westen immer weiter wachsen, aber nicht umgekehrt in der Richtung von Westen nach Osten hin absterben wird. Im Geiste seh ich vielmehr immer neue Multiplikationen und das Erblühen einer Ordensflora mit vierundzwanzig Klassen wie das Linnésche System.«

Alle traten auf die Seite Sanders, am entschiedensten der Prinz. Es müsse durchaus etwas in der menschlichen Natur stecken, das, wie beispielsweise der Hang zu Schmuck und Putz, sich auch zu dieser Form der Quincaillerie hingezogen fühle. »Ja«, so fuhr er fort, »es gibt kaum einen Grad der Klugheit, der davor schützt. Sie werden doch alle Kalckreuth für einen klugen Mann halten, ja mehr, für einen Mann, der, wie wenige, von dem ›Alles ist eitel‹ unsres Tuns und Trachtens durchdrungen sein muß. Und doch, als er den Roten Adler erhielt, während er den Schwarzen erwartet hatte, warf er ihn wütend ins Schubfach und schrie: ›Da liege, bis du schwarz wirst.‹ Eine Farbenänderung, die sich denn auch mittlerweile vollzogen hat.«

»Es ist mit Kalckreuth ein eigen Ding«, erwiderte Bülow, »und offen gestanden, ein andrer unsrer Generäle, der gesagt haben soll: ›Ich gäbe den Schwarzen drum, wenn ich den Roten wieder los wäre‹, gefällt mir noch besser. Übrigens bin ich minder streng, als es den Anschein hat. Es gibt auch Auszeichnungen, die nicht als Auszeichnung ansehn zu wollen einfach Beschränktheit oder niedrige Gesinnung wäre. Admiral Sidney Smith, berühmter Verteidiger von St. Jean d'Acre und Verächter aller Orden, legte doch Wert auf ein Schaustück, das ihm der Bischof von Acre mit den Worten überreicht hatte: ›Wir empfingen dieses Schaustück aus den Händen König Richards Cœur de Lion und geben es, nach sechshundert Jahren, einem seiner Landsleute zurück, der, heldenmütig wie er, unsre Stadt verteidigt hat.‹ Und ein Elender und Narr, setz ich hinzu, der sich einer solchen Auszeichnung nicht zu freuen versteht.«

»Schätze mich glücklich, ein solches Wort aus Ihrem Munde zu hören«, erwiderte der Prinz. »Es bestärkt mich in meinen Gefühlen für Sie, lieber Bülow, und ist mir, Pardon, ein neuer Beweis, daß der Teufel nicht halb so schwarz ist, als er gemalt wird.«

Der Prinz wollte weitersprechen. Als aber in eben diesem Augenblick einer der Diener an ihn herantrat und ihm zuflüsterte, daß der Rauchtisch arrangiert und der Kaffee serviert sei, hob er die Tafel auf und führte seine Gäste, während er Bülows Arm nahm, auf den an den Eßsaal angebauten Balkon. Eine große, blau und weiß gestreifte Markise, deren Ringe lustig im Winde klapperten, war schon vorher herabgelassen worden, und unter ihren weit niederhängenden Frangen hinweg sah man, flußaufwärts, auf die halb im Nebel liegenden Türme der Stadt, flußabwärts aber auf die Charlottenburger Parkbäume, hinter deren eben ergrünendem Gezweige die Sonne niederging. Jeder blickte schweigend in das anmutige Landschaftsbild hinaus, und erst als die Dämmrung angebrochen und eine hohe Sinumbralampe gebracht worden war, nahm man Platz und setzte die holländischen Pfeifen in Brand, unter denen jeder nach Gefallen wählte. Dussek allein, weil er die Musikpassion des Prinzen kannte, war phantasierend an dem im Eßsaale stehenden Flügel zurückgeblieben und sah nur, wenn er den Kopf zur Seite wandte, die jetzt draußen wieder lebhafter plaudernden Tischgenossen und ebenso die Lichtfunken, die von Zeit zu Zeit aus ihren Tonpfeifen aufflogen.

Das Gespräch hatte das Ordensthema nicht wieder aufgenommen, wohl aber sich der ersten Veranlassung desselben, also Iffland und dem in Sicht stehenden neuen Schauspiele, zugewandt, bei welcher Gelegenheit Alvensleben bemerkte, »daß er einige der in den Text eingestreuten Gesangsstücke während dieser letzten Tage kennengelernt habe. Gemeinschaftlich mit Schach. Und zwar im Salon der liebenswürdigen Frau von Carayon und ihrer Tochter Victoire. Diese habe gesungen und Schach begleitet.«

»Die Carayons«, nahm der Prinz das Wort. »Ich höre keinen Namen jetzt öfter als den. Meine teure Freundin Pauline hat mir schon früher von beiden Damen erzählt und neuerdings auch die Rahel. Alles vereinigt sich, mich neugierig zu machen und Anknüpfungen zu suchen, die sich, mein ich, unschwer werden finden lassen. Entsinn ich mich doch des schönen Fräuleins vom Massowschen Kinderballe her, der, nach Art aller Kinderbälle, des Vorzugs genoß, eine ganz besondre Schaustellung erwachsener und voll erblühter Schönheiten zu sein. Und wenn ich sage, ›voll erblühter‹, so sag ich noch wenig. In der Tat, an keinem Ort und zu keiner Zeit hab ich je so schöne Dreißigerinnen auftreten sehen als auf Kinderbällen. Es ist, als ob die Nähe der bewußt oder unbewußt auf Umsturz sinnenden Jugend alles, was heute noch herrscht, doppelt und dreifach anspornte, sein Übergewicht geltend zu machen, ein Übergewicht, das vielleicht morgen schon nicht mehr vorhanden ist. Aber gleichviel, meine Herren, es wird sich ein für allemal sagen lassen, daß Kinderbälle nur für Erwachsene da sind, und dieser interessanten Erscheinung in ihren Ursachen nachzugehen wäre so recht eigentlich ein Thema für unsren Gentz. Ihr philosophischer Freund Buchholtz, lieber Sander, ist mir zu solchem Spiele nicht graziös genug. Übrigens nichts für ungut; er ist Ihr Freund.«

»Aber doch nicht so«, lachte Sander, »daß ich nicht jeden Augenblick bereit wäre, ihn Eurer Königlichen Hoheit zu opfern. Und wie mir bei dieser Gelegenheit gestattet sein mag hinzuzusetzen, nicht bloß aus einem allerspeziellsten, sondern auch noch aus einem ganz allgemeinen Grunde. Denn wenn die Kinderbälle, nach Ansicht und Erfahrung Eurer Königlichen Hoheit, eigentlich am besten ohne Kinder bestehen, so die Freundschaften am besten ohne Freunde. Die Surrogate bedeuten überhaupt alles im Leben und sind recht eigentlich die letzte Weisheitsessenz.«

»Es muß sehr gut mit Ihnen stehn, lieber Sander«, entgegnete der Prinz, »daß Sie sich zu solchen Ungeheuerlichkeiten offen bekennen können. Mais revenons à notre belle Victoire. Sie war unter den jungen Damen, die durch lebende Bilder das Fest damals einleiteten, und stellte, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus eine Schale reichte. Ja, so war es, und indem ich davon spreche, tritt mir das Bild wieder deutlich vor die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von jener Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen scheint. Aber sie zerbrechen nie. ›Comme un ange‹, sagte der alte Graf Neale, der neben mir stand und mich durch eine Begeistrung langweilte, die mir einfach als eine Karikatur der meinigen erschien. Es wäre mir eine Freude, die Bekanntschaft der Damen erneuern zu können.«

»Eure Königliche Hoheit würden das Fräulein Victoire nicht wiedererkennen«, sagte Schach, dem der Ton, in dem der Prinz sprach, wenig angenehm war. »Gleich nach dem Massowschen Balle wurde sie von den Blattern befallen und nur wie durch ein Wunder gerettet. Ein gewisser Reiz der Erscheinung ist ihr freilich geblieben, aber es sind immer nur Momente, wo die seltene Liebenswürdigkeit ihrer Natur einen Schönheitsschleier über sie wirft und den Zauber ihrer früheren Tage wiederherzustellen scheint.«

»Also restitutio in integrum«, sagte Sander.

Alles lachte.

»Wenn Sie so wollen, ja«, antwortete Schach in einem spitzen Tone, während er sich ironisch gegen Sander verbeugte.

Der Prinz bemerkte die Verstimmung und wollte sie kupieren. »Es hilft Ihnen nichts, lieber Schach. Sie sprechen, als ob Sie mich abschrecken wollten. Aber weit gefehlt. Ich bitte Sie, was ist Schönheit? Einer der allervagesten Begriffe. Muß ich Sie an die fünf Kategorien erinnern, die wir in erster Reihe Seiner Majestät dem Kaiser Alexander und in zweiter unsrem Freunde Bülow verdanken? Alles ist schön und nichts. Ich persönlich würde der beauté du diable jederzeit den Vorzug geben, will also sagen, einer Erscheinungsform, die sich mit der des ci-devant schönen Fräuleins von Carayon einigermaßen decken würde.«

»Königliche Hoheit halten zu Gnaden«, entgegnete Nostitz, »aber es bleibt mir doch zweifelhaft, ob Königliche Hoheit die Kennzeichen der beauté du diable an Fräulein Victoire wahrnehmen würden. Das Fräulein hat einen witzig-elegischen Ton, was auf den ersten Blick als ein Widerspruch erscheint und doch keiner ist, unter allen Umständen aber als ihr charakteristischer Zug gelten kann. Meinen Sie nicht auch, Alvensleben?«

Alvensleben bestätigte.

Der Prinz indessen, der ein Sicheinbohren in Fragen über die Maßen liebte, fuhr, indem er sich dieser Neigung auch heute wieder hingab, immer lebhafter werdend, fort »›Elegisch‹, sagen Sie, ›witzig-elegisch‹; ich wüßte nicht, was einer beauté du diable besser anstehn könnte. Sie fassen den Begriff offenbar zu eng, meine Herren. Alles, was Ihnen dabei vorschwebt, ist nur eine Spielart der alleralltäglichsten Schönheitsform, der beauté coquette: das Näschen ein wenig mehr gestupst, der Teint ein wenig dunkler, das Temperament ein wenig rascher, die Manieren ein wenig kühner und rücksichtsloser. Aber damit erschöpfen Sie die höhere Form der beauté du diable keineswegs. Diese hat etwas Weltumfassendes, das über eine bloße Teint- und Rassenfrage weit hinausgeht. Ganz wie die katholische Kirche. Diese wie jene sind auf ein Innerliches gestellt, und das Innerliche, das in unserer Frage den Ausschlag gibt, heißt Energie, Feuer, Leidenschaft.«

Nostitz und Sander lächelten und nickten.

»Ja, meine Herren, ich gehe weiter und wiederhole: ›Was ist Schönheit?‹ Schönheit, bah! Es kann nicht nur auf die gewöhnlichen Schönheitsformen verzichtet werden, ihr Fehlen kann sogar einen allerdirektesten Vorzug bedeuten. In der Tat, lieber Schach, ich habe wunderbare Niederlagen und noch wunderbarere Siege gesehn. Es ist auch in der Liebe wie bei Morgarten und Sempach, die schönen Ritter werden geschlagen, und die häßlichen Bauern triumphieren. Glauben Sie mir, das Herz entscheidet, nur das Herz. Wer liebt, wer die Kraft der Liebe hat, ist auch liebenswürdig, und es wäre grausam, wenn es anders wäre. Gehen Sie die Reihe der eigenen Erfahrungen durch. Was ist alltäglicher, als eine schöne Frau durch eine nicht schöne Geliebte verdrängt zu sehn! Und nicht etwa nach dem Satze toujours perdrix. O nein, es hat dies viel tiefre Zusammenhänge. Das Langweiligste von der Welt ist die lymphatisch-phlegmatische beauté, die beauté par excellence. Sie kränkelt hier, sie kränkelt da, ich will nicht sagen immer und notwendig, aber doch in der Mehrzahl der Fälle, während meine beauté du diable die Trägerin einer allervollkommensten Gesundheit ist, jener Gesundheit, die zuletzt alles bedeutet und gleichwertig ist mit höchstem Reiz. Und nun frag ich Sie, meine Herrn, wer hätte mehr davon als die Natur, die durch die größten und gewaltigsten Läuterungsprozesse wie durch ein Fegefeuer gegangen ist. Ein paar Grübchen in der Wange sind das Reizendste von der Welt, das hat schon bei den Römern und Griechen gegolten, und ich bin nicht ungalant und unlogisch genug, um einer Grübchen-Vielheit einen Respekt und eine Huldigung zu versagen, die der Einheit oder dem Pärchen von alters her gebührt. Das paradoxe ›le laid c'est le beau‹ hat seine vollkommne Berechtigung, und es heißt nichts andres, als daß sich hinter dem anscheinend Häßlichen eine höhere Form der Schönheit verbirgt. Wäre meine teure Pauline hier, wie sie's leider nicht ist, sie würde mir zustimmen, offen und nachdrücklich, ohne durch persönliche Schicksale kaptiviert zu sein.«

Der Prinz schwieg. Es war ersichtlich, daß er auf einen allseitigen Ausdruck des Bedauerns wartete, Frau Pauline, die gelegentlich die Honneurs des Hauses machte, heute nicht anwesend zu sehn. Als aber niemand das Schweigen brach, fuhr er fort: »Es fehlen uns die Frauen und damit dem Wein und unsrem Leben der Schaum. Ich nehme meinen Wunsch wieder auf und wiederhole, daß es mich glücklich machen würde, die Carayonschen Damen in dem Salon meiner Freundin empfangen zu dürfen. Ich zähle darauf, daß diejenigen Herren, die dem Kreise der Frau von Carayon angehören, sich zum Interpreten meiner Wünsche machen. Sie, Schach, oder auch Sie, lieber Alvensleben.«

Beide verneigten sich.

»Alles in allem wird es das Beste sein, meine Freundin Pauline nimmt es persönlich in die Hand. Ich denke, sie wird den Carayonschen Damen einen ersten Besuch machen, und ich sehe Stunden eines angeregtesten geistigen Austausches entgegen.«

Die peinliche Stille, womit auch diese Schlußworte hingenommen wurden, würde noch fühlbarer gewesen sein, wenn nicht Dussek in eben diesem Moment auf den Balkon hinausgetreten wäre. »Wie schön«, rief er und wies mit der Hand auf den westlichen, bis hoch hinauf in einem glühgelben Lichte stehenden Horizont.

Alle waren mit ihm an die Brüstung des Balkons getreten und sahen flußabwärts in den Abendhimmel hinein. Vor dem gelben Lichtstreifen standen schwarz und schweigend die hohen Pappeln, und selbst die Schloßkuppel wirkte nur noch als Schattenriß.

Einen jeden der Gäste berührte diese Schönheit. Am schönsten aber war der Anblick zahlloser Schwäne, die, während man in den Abendhimmel sah, vom Charlottenburger Park her in langer Reihe herankamen. Andre lagen schon in Front. Es war ersichtlich, daß die ganze Flottille durch irgendwas bis in die Nähe der Villa gelockt sein mußte, denn sobald sie die Höhe derselben erreicht hatte, schwenkten sie wie militärisch ein und verlängerten die Front derer, die hier schon still und regungslos und die Schnäbel unter dem Gefieder verborgen wie vor Anker lagen. Nur das Rohr bewegte sich leis in ihrem Rücken. So verging eine geraume Zeit. Endlich aber erschien einer in unmittelbarer Nähe des Balkons und reckte den Hals, als ob er etwas sagen wollte.

»Wem gilt es?« fragte Sander. »Dem Prinzen oder Dussek oder der Sinumbralampe.«

»Natürlich dem Prinzen«, antwortete Dussek.

»Und warum?«

»Weil er nicht bloß Prinz ist, sondern auch Dussek und ›sine umbra‹.«

Alles lachte (der Prinz mit), während Sander allerförmlichst »zum Hofkapellmeister« gratulierte. »Und wenn unser Freund«, so schloß er, »in Zukunft wieder Strohhalme sammelt, um an ihnen zu sehen, ›woher der Wind weht‹, so wird dieser Wind ihm allemal aus dem Lande geheiligter Traditionen und nicht mehr aus dem Lande der Vorurteile zu kommen scheinen.«

Als Sander noch so sprach, setzte sich die Schwanenflottille, die wohl durch die Dusseksche Musik herbeigelockt sein mußte, wieder in Bewegung und segelte flußabwärts, wie sie bis dahin flußaufwärts gekommen war. Nur der Schwan, der den Obmann gemacht, erschien noch einmal, als ob er seinen Dank wiederholen und sich in zeremoniellster Weise verabschieden wolle.

Dann aber nahm auch er die Mitte des Flusses und folgte den übrigen, deren Tête schon unter dem Schatten der Parkbäume verschwunden war.


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