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Wir verlassen nun die untern Räume und steigen vom Atrium aus treppauf, um den obern Zimmern unsern Besuch zu machen. Die Treppe selbst indes, vor allem die Art und Weise, wie Schinkel, der auch hier den Umbau leitete, alle entgegenstehenden Schwierigkeiten glücklich überwunden hat, fesselt uns noch auf Augenblicke. Die Enge des Raums schrieb ihm Verhältnisse vor, die etwas Kleines und Puppenstubenhaftes nicht vermeiden konnten, und doch glückte es ihm, durch Wölbungen hier, durch Mauereinschnitte dort, dem Ganzen den Eindruck einer lichthellen Heiterkeit zu leihen und endlich durch Farbe und Ornamentik diesen Eindruck bis zum Schönen und Gefälligen zu steigern. Die einzelnen Decken und Rundbögen, deren Dimensionen mehr an das Modell eines Hauses als an ein wirkliches Haus erinnern, sind mit Sternchen auf dunkelblauem Grunde geschmückt, und zwei in die Wandfläche des Treppenabsatzes gemalte Kandelaber (es war kein Raum da, um wirkliche aufzustellen) gelten für Meisterstücke guten Geschmacks und korrekter Zeichnung.

Die oberen Räume, ein Empfangszimmer, ein Saal, ein Wohnzimmer und zwei Turmgemächer, bilden ein völliges Museum und sind zu reich ausgestattet mit Kunstschätzen und Sehenswürdigkeiten aller Art, als daß mehr wie eine bloße Aufzählung des Vorhandenen an dieser Stelle gestattet sein könnte. Und selbst diese Aufzählung werde ich auf die Hauptsehenswürdigkeiten, das heißt also auf Originalwerke, zu beschränken haben. Es sind das, soweit die Plastik in Betracht kommt, neben Werken der Antike, Arbeiten von Thorwaldsen, Rauch und Friedrich Tieck. Aus der Reihe der Maler aber begegnen wir: Gottlieb Schick, Karl Philipp Fohr, Karl Steuben und Wilhelm Wach.

 

Antiken. Die Statue der Nymphe Anchyrrhoe mit einem Wassergefäß, gefunden vor Ponte Molle bei der Osteria la Finocchia. Ihren Namen (Anchyrrhoe) hat diese Statue nach einer Bezeichnung, welche Ennio Quirino Visconti auf einem andern, lebensgroßen, jetzt im Louvre befindlichen Exemplar derselben Statue, von übrigens viel geringerer Arbeit, gefunden hat. Diese Statue hingegen zeichnet sich ebensosehr durch das graziöse Motiv wie durch die vortreffliche Arbeit aus.

Die Statuette einer tanzenden Bacchantin mit dem Thyrsus (der Kopf modern). – Das Fragment einer antiken Sarkophagskulptur, welche den Raub der Proserpina darstellt. – Der thronende Jupiter, ein Relief aus dem Palast Rondanini. – Vulkan, ein Relief, ebendaher. – Ein Rund, auf dessen einer Seite sich der Kopf des Jupiter Ammon, auf der andern eine opfernde Bacchantin befindet. – Die antike Statue des Bacchus aus pentelischem Marmor. Der Kopf, nach Angaben von Rauch, ergänzt. – Die drei Parzen, ein antikes Basrelief in Marmor. Dieses Relief ist besonders durch die Art der Auffassung merkwürdig. Die sitzende Klotho spinnt, und die in der Mitte stehende Atropos schneidet den Lebensfaden ab; die Lachesis aber steht an einem Globus und bezeichnet an demselben das menschliche Geschick.

Hieran schließen sich, bevor wir zu den Arbeiten neuer Meister übergehen, jene wertvollen, wenigstens zum Teil der Antike angehörigen Geschenke, die von seiten Pius' VII., als Zeichen des Danks für wichtige, auf dem Wiener Kongreß und später in Paris ihm geleistete Dienste, an Wilhelm von Humboldt überreicht wurden. Diese Geschenke sind folgende: Eine Säule von orientalischem Granit, die eine moderne Kopie, in grünem Porphyr, von dem berühmten Kopfe der Medusa aus dem Hause Rondanini trägt, deren Original sich in der Glyptothek zu München befindet. – Zwei andere Säulen aus rosso antico von großer Schönheit, die zwei zierliche Vasen aus jener Marmorart tragen, die den Namen giallo antico führt. – Alle drei Säulen tragen, aufgehängt an einem Kettchen, das in Erz gegossene und vergoldete Wappen Pius' VII. Es besteht aus drei Feldern, in deren größerem sich das päpstliche Doppelkreuz und die Inschrift »Pax« befindet, während die zwei kleineren Felder drei Sternchen und drei Köpfe zeigen. Über jedem einzelnen Wappen kreuzen sich die Schlüssel Petri. Diese wertvollen Geschenke wurden an Wilhelm von Humboldt mit folgendem Schreiben überreicht:

»An den Herrn Baron von Humboldt der Papst Pius VII.

Der so nachdrückliche Beistand, welchen Sie dem Ritter Canova Der berühmte Bildhauer Canova war im Jahr 1815 Kommissarius für die Zurückforderung der aus den päpstlichen Staaten nach Paris entführten Kunstdenkmäler. zu dem glücklichen Ausgang seines Auftrags haben angedeihen lassen, hat Uns nicht überrascht, denn da Wir Sie zur Genüge kennen, versahen Wir Uns mit Gewißheit, daß Sie sich der Sache Roms und Unserer Person mit Nachdruck annehmen wurden. Nichtsdestoweniger fühlen Wir Uns, nachdem Wir vernommen, wieviel Sie zu der Rückkehr der antiken Denkmale, Handschriften und anderer kostbarer Gegenstände beigetragen haben, verpflichtet, Ihnen in eigener Person Unsern Dank zu erkennen zu geben. Rom hatte sicherlich Ursache, Sie nicht zu vergessen, der Sie sich, während Ihres Aufenthaltes daselbst, so viel Liebe und Achtung erworben, es wird aber fortan noch einen andern gewichtigen Grund haben, Ihrer als des wohlverdienten Freundes des Sitzes der schönen Künste zu gedenken.

Wir werden Ihnen ein dankbares Andenken für dasjenige bewahren, was Sie in dieser bedeutenden Angelegenheit gewirkt haben, wie Wir Ihnen ein Gleiches für alles dasjenige bewahren, welches Sie zu Unserm Frommen in Wien getan, wie der Kardinal Consalvi Uns berichtet hat.

Wir werden mit der größten Freude jede Gelegenheit ergreifen, um Ihnen Unser besonderes Wohlwollen und Unsere Achtung zu bezeugen, und werden den Höchsten bitten, daß es ihm gefallen möge, über Sie seine Gaben und seine himmlische Erleuchtung in Fülle auszugießen und Ihnen die vollkommenste Glückseligkeit zu bescheren.

Gegeben zu Castel Gandolfo, den 26. Oktober 1815, im sechzehnten Jahre Unseres Pontifikats.

Pius P. P. VII.«

 

Ich fahre nun fort in der Aufzählung der in Tegel vorhandenen Originalwerke der Skulptur sowohl wie der Malerei.

Zunächst von Thorwaldsen. Die Statue der »Hoffnung« im Stil der altgriechischen Kunst, mit der Lotosblume in der Rechten. Eine Kopie dieser Statue, von Friedrich Tieck herrührend, krönt die Säule auf dem mehrgenannten Begräbnisplatz der Familie. – Die Marmorbüste der Frau von Humboldt. – Die Marmorbüste Wilhelms von Humboldt. – Zwei Kreidezeichnungen: Maria mit dem Kinde und dem kleinen Johannes, und Maria und das Christuskind, welche sich liebkosen. Die erste Zeichnung trägt die Unterschrift: »Albertus Thorwaldsen in. et del.«; die zweite: »Roma, 23 Febbrajo 1818, A. Thorwaldsen f.«

Von Rauch. Venus, welche dem Mars ihre vom Diomedes verwundete Hand zeigt. Marmorrelief, in einem Rund ausgeführt. Eine der frühesten und reizendsten Arbeiten des Meisters. – Die sitzende Statue eines jungen Mädchens, durch den Schmetterling in ihrer Rechten als Psyche bezeichnet (zu gleicher Zeit Portraitstatue der damals, 1810, zehnjährigen Adelheid von Humboldt). – Die Marmorbüste Alexanders von Humboldt. – Die Büsten der als Kinder verstorbenen Gustav und Luise von Humboldt.

Von Friedrich Tieck. Die Statuen des Odysseus, des Achill, der Omphale und Iphigenie. – Reliefbild Alexanders von Humboldt. – Reliefbild des Grafen Gustav von Schlabrendorf.

Von Gottlieb Schick. Adelheid und Gabriele von Humboldt als Kinder, Ölportraits auf einem Bilde, eines der vorzüglichsten Werke dieses leider so früh verstorbenen Künstlers. Durch das offene, weinumrankte Fenster sieht man auf Berg und See einer still heitern italienischen Landschaft hinaus. Die schlichten, einfachen Kleidchen verhüllen nur eben die jugendlichen Körper der beiden Mädchen, von denen die jüngere träumerisch mit Blumen spielt. – Das Bildnis Karolinas von Humboldt, der älteren Schwester der beiden eben genannten. In Größe, Farbe und Auffassung dem vorigen Bilde sehr ähnlich, aber nicht ganz von demselben Reiz.

Von Karl Philipp Fohr (1818 in Rom ertrunken). Hagen im Gespräch mit den Donaunixen (Federzeichnung).

Von Karl Steuben. Das Bildnis Alexanders von Humboldt, damals (1812) zweiundvierzig Jahre alt, in lebensgroßer Figur. Vorn Basaltsäulen, im Hintergrunde der Chimborasso. Höchst brillant gemacht, aber nicht ohne Anflug von Manier.

Vielleicht verlohnt es sich, und zwar speziell im Hinblick auf die zuletzt genannten Portraits, die ganze reiche Sammlung noch ein zweites Mal kurz an uns vorüberziehen zu lassen, lediglich um uns mit der Tatsache vertraut zu machen, daß neben einem Kultus der Schönheit, der unbestritten hier stattfand, zu gleicher Zeit ein Familiensinn, ein alle Glieder umschlingendes Liebesband hier anzutreffen war, das, wie in manchem andere, so auch namentlich in der reichen Ansammlung von Familienportraits einen sprechenden Ausdruck gefunden hat. Die Zahl dieser Portraits, mit Umgehung geringfügiger Arbeiten, ist siebzehn.

Alexander von Humboldt: Zwei große Ölbilder von Steuben und einem Ungenannten, vielleicht Wach oder Krüger; eine Portraitbüste von Rauch; ein Reliefportrait von Friedrich Tieck.

Wilhelm von Humboldt: Eine Büste von Thorwaldsen; ein Relief von Martin Klauer in Rom; ein Kreideportrait von Franz Krüger.

Frau von Humboldt: Ein Ölportrait von Schick; eine Marmorbüste von Thorwaldsen; ein Kreideportrait von Wilhelm Wach.

Karoline von Humboldt: Ölbild von Schick.

Adelheid von Humboldt: Ölbild von Schick; Marmorstatue (als Psyche) von Rauch.

Gabriele von Humboldt: Ölbild von Schick.

Gustav und Luise von Humboldt: Zwei Büsten von Rauch.

Therese von Bülow: Büste von Rauch.

Außer den fünf Zimmern, die alle diese Kunstschätze von Meisterhand enthalten, befinden sich im obern Stockwerk noch einige andere Räume, die nicht eigentlich zu den Sehenswürdigkeiten des Schlosses gehören, aber, unter dem Einfluß des Kontrastes, bei jedem, der zu ihrem Besuch zugelassen wird, ein lebhaftes Interesse wecken werden. Hier in den Zimmern, die nach außen hin nichts zu bedeuten, nichts zu repräsentieren haben, hängen die ersten Anfänge kurbrandenburgischer Malerkunst wie ebenso viele grob getuschte Bilderbogen an Wand und Pfeiler und zwingen selbst dem preußenstolzesten Herzen ein mitleidiges Lächeln ab. Sinn und Seele noch tief erfüllt vom Anblick idealer Schönheit, die in hundert Gestalten, und doch immer als dieselbe eine, eben erst zu uns sprach, werden wir, angesichts dieser blauroten Soldateska, irre an allem, was uns bis dahin als Aufgabe einer neuen Zeit, als Ziel einer neuen Richtung gegolten hat, und verlegen treten wir seitwärts, um des Anblicks von Dreimaster und Bortenrock nach Möglichkeit überhoben zu sein. Mit Unrecht. Nicht die Richtung ist es, die uns verdrießt, nur das niedrige Kunstmaß innerhalb derselben. Ein Modell der Rauchschen Friedrichs-Statue, eine Menzelsche Hochkirch-Schlacht würden uns auch vielleicht frappiert, aber doch noch im Augenblicke der Überraschung, durch ihren Eindruck auf unser Gemüt, uns ihre Ebenbürtigkeit bewiesen haben.

 

Wir verlassen nun das Haus und seine bildgeschmückten Zimmerreihen, um der vielleicht eigentümlichsten und fesselndsten Stätte dieser an Besonderem und Abweichendem so reichen Besitzung zuzuschreiten – der Begräbnisstätte. Der Geschmack der Humboldtschen Familie, vielleicht auch ein Höheres noch als das, hat es verschmäht, in langen Reihen eichener Särge den Tod gleichsam überdauern und die Asche der Erde vorenthalten zu wollen. Des Fortlebens im Geiste sicher, durfte ihr Wahlspruch sein: »Erde zu Erde.« Kein Mausoleum, keine Kirchenkrypta nimmt hier die irdischen Überreste auf; ein Hain von Edeltannen friedigt die Begräbnisstätte ein, und in märkisch-tegelschem Sande ruhen die Mitglieder einer Familie, die, wie kaum eine zweite, diesen Sand zu Ruhm und Ansehen gebracht.

Zwei Wege führen vom Schloß aus zu diesem inmitten eines Hügelabhangs gelegenen Friedhof hin. Wir wählen die Lindenallee, die geradlinig durch den Park läuft und zuletzt in leiser Biegung zum Tannenwäldchen hinansteigt. Unmerklich haben uns die Bäume des Weges bergan geführt, und ehe uns noch die Frage gekommen, ob und wo wir den Friedhof finden werden, stehen wir bereits inmitten seiner Einfriedigung, von dicht und wandartig sich erhebenden Tannen nach allen vier Seiten hin überragt. Das Ganze berührt uns mit jenem stillen Zauber, den wir empfinden, wenn wir plötzlich aus dem Dunkel des Waldes auf eine Waldwiese treten, über die abwechselnd die Schatten und Lichter des Himmels ziehen. Die Bergwand, die den Platz gegen Norden und Osten hin umlehnt, schützt ihn gegen den Wind und schafft eine selten unterbrochene Stille. Die Form des Ganzen ist ein Oblong, etwa dreißig bis vierzig Schritte lang und halb so breit. Der ganze Raum teilt sich in zwei Hälften, in eine Gartenanlage und in den eigentlichen Friedhof. Dieser besteht aus einem eingegitterten Viereck, an dessen äußerstem Ende sich eine dreißig Fuß hohe Granitsäule auf Quaderstufen erhebt. Von dem ionischen Kapitäl der Säule blickt die Marmorstatue der »Hoffnung« auf die Gräber herab. Blumenbeete schließen das Eisengitter ein.

Die Zahl der Gräber, wenn ich richtig gezählt, beläuft sich auf zwölf, und wenig Raum ist gelassen für neu hinzukommende. Die Grabsteine, die sich der Säule zunächst befinden, darunter die Wilhelms von Humboldt seiner Gemahlin und der ältesten Tochter Karoline, haben keine Inschriften, sondern Name, Geburts- und Todesjahr der Heimgegangenen sind in die Quadern des Postaments eingegraben. Die mehr am andern Ende des Gitters gelegenen Hügel aber weisen kleine Marmortäfelchen auf, die einfach den Namen und die Daten tragen und in ihrer Schlichtheit an die Stäbchen erinnern, die der Gärtner dort in die Erde steckt, wo er um die Herbstzeit ein Samenkorn für den Frühling eingelegt hat. Alle Gräber sind mit Efeu dicht überwachsen; nur eines, der Gittertür und dem Beschauer zunächst, entbehrt noch des frischen, dunkelgrünen Kleides. Fahl gewordene Tannenreiser bedecken die Stätte, aber auf den Reisern liegen Lorbeer- und Eichenkränze und verraten leicht, wer unter ihnen schläft.

Wenn ich den Eindruck bezeichnen soll, mit dem ich von dieser Begräbnisstätte schied, so war es der, einer entschiedenen Vornehmheit begegnet zu sein. Ein Lächeln spricht aus allem und das resignierte Bekenntnis: Wir wissen nicht, was kommen wird, und müssen's – erwarten. Deutungsreich blickt die Gestalt der Hoffnung auf die Gräber hernieder. Im Herzen dessen, der diesen Friedhof schuf, war eine unbestimmte Hoffnung lebendig, aber kein bestimmter siegesgewisser Glaube. Ein Geist der Liebe und Humanität schwebt über dem Ganzen, aber nirgends eine Hindeutung auf das Kreuz, nirgends der Ausdruck eines unerschütterlichen Vertrauens. Das sollen nicht Splitterrichter-Worte sein, am wenigsten Worte der Anklage; sie würden dem nicht ziemen, der selbst lebendiger ist in der Hoffnung als im Glauben. Aber ich durfte den einen Punkt nicht unberührt und ungenannt lassen, der, unter allen märkischen Edelsitzen, dieses Schloß und diesen Friedhof zu einem Unikum macht. Die märkischen Schlösser, wenn nicht ausschließlich feste Burgen altlutherischer Konfession, haben abwechselnd den Glauben und den Unglauben in ihren Mauern gesehen; straffe Kirchlichkeit und laxe Freigeisterei haben sich innerhalb derselben abgelöst. Nur Schloß Tegel hat ein drittes Element in seinen Mauern beherbergt, jenen Geist, der, gleich weit entfernt von Orthodoxie wie von Frivolität, sich inmitten der klassischen Antike langsam, aber sicher auszubilden pflegt und, lächelnd über die Kämpfe und Befehdungen beider Extreme, das Diesseits genießt und auf das rätselvolle Jenseits hofft.


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