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Die Zeit des Prinzen August Wilhelm,
von 1744 bis 1758

Der Tod König Friedrichs I. traf keinen Punkt des Landes härter als Oranienburg; bis dahin ein Lieblingssitz, wurde es jetzt von der Liste der Residenzen so gut wie gestrichen. Dem Soldatenkönige, dessen Sinn auf andere Dinge gerichtet war als auf Springbrunnen und künstliche Grotten, genügte es nicht, die Schöpfung seines Vaters sich selbst zu überlassen, er griff auch festen und praktischen Sinnes ein, um die in seinen Augen halb nutzlose, halb kostspielige Hinterlassenschaft nach Möglichkeit zu verwerten. Bauten wurden abgebrochen und die Materialien verkauft; die Fasanerie, das einzige, woran er als Jäger ein Interesse hatte, kam nach Potsdam; die 1 029 Stück eiserne Röhren aber, die der Wasserkunst im Schlosse das Wasser zugeführt hatten, wurden auf neun Oderkähnen nach Stettin geschafft.

Schloß und Park verwilderten. Wie das Schloß im Märchen, eingesponnen in undurchdringliches Grün, lag Oranienburg da, als einunddreißig Jahre nach dem Tode des ersten Königs sein Name wieder genannt wurde. Im Jahre 1744 war es, wo Friedrich II., in betreff seiner Brüder, allerhand Ernennungen und Entscheidungen traf. Prinz Heinrich erhielt Rheinsberg, Prinz Ferdinand das Palais und den Garten in Neuruppin, der älteste Bruder August Wilhelm aber, unter gleichzeitiger Erhebung zum Prinzen von Preußen, wurde mit Schloß Oranienburg belehnt.

Über die baulichen Veränderungen, die in diese Epoche von 1744 bis 1758 fallen, wissen wir nichts, mutmaßlich waren sie allergeringfügigster Natur, aber einzelne Berichte von Bielefeld und namentlich von Pöllnitz sind auf uns gekommen, die uns zum erstenmal Gelegenheit geben, die bis hierher nur äußerlich beschriebenen Prachträume auch mit Gestalten und Szenen zu beleben. Der Prinz bewohnte nur einen einzigen Flügel, also ungefähr den fünften Teil des Schlosses, aber die entsprechenden Zimmer genügten vollständig, zumal zur Sommerzeit, wo der Park mit seinen Laubgängen aushelfen konnte. Bielefeld entwirft von diesem Park folgende ansprechende Schilderung: »Den großen, nach Le Nôtres Plan angelegten Garten fand ich, durch die Verwilderung, zu der die lange Zeit von 1713 bis 1744 vollauf Gelegenheit gegeben hatte, wunderbarerweise verschönt. Die seit 1713 nicht mehr verschnittenen Buchenhecken haben sich verwachsen und verschlungen und bilden einen Gang, der so dicht jetzt ist, daß weder Sonne noch Wind hindurchdringen kann. In der größten Mittagshitze gewährt er Kühlung und Schatten, und abends speist man darin, ohne daß die Luft die Kerzen auslöscht. Ein geschickter Gärtner, der die Verwilderung benutzte, hat viele geschmackvolle Gartenhäuser aus der Erde wachsen lassen.« Diese Schilderung paßt noch heute; nur die Gartenhäuser sind seitdem wieder verschwunden.

Prinz August Wilhelm lebte nur zeitweilig in Oranienburg; sein Regiment stand zu Spandau in Garnison, und die Pflichten des Dienstes fesselten ihn an den Standort desselben. Aber die Sommermonate führten ihn oft und so lange wie möglich nach dem benachbarten, durch Stille und Schönheit einladenden Oranienburg, und hier war es auch, wo er im April 1745 den Besuch seiner Mutter, der verwitweten Königin Sophie Dorothee, empfing. Über diesen Besuch liegt uns die Schilderung eines Augenzeugen vor – unverkennbar Pöllnitz selber, wenn sein Name auch nicht ausdrücklich genannt ist.

»Am 14. April«, so heißt es darin, »brach die Königinmutter von Berlin auf und traf am Nachmittag desselben Tages in Oranienburg ein. Ihr Hofstaat folgte ihr in einer langen Reihe von Karossen, wohl dreißig an der Zahl. Die Prinzessin Amalie saß im Wagen der Königin. Sobald dem Prinzen August Wilhelm das Herannahen des Zuges gemeldet war, eilte er die große Allee hinauf, dem Zuge entgegen, sprang angesichts des Wagens der Königinmutter vom Pferde und begrüßte sie, indem er entblößtem Hauptes an den Schlag des Wagens trat. Dann schwang er sich rasch wieder in den Sattel und eilte dem Zuge in gestrecktem Galopp vorauf, um vor dem Eingang des Schlosses die Honneurs wiederholen zu können. Ihm zur Seite standen seine Gemahlin, die Prinzessin von Preußen (eine geborne Prinzessin von Braunschweig), die Prinzen Heinrich und Ferdinand, außerdem die Hofdamen von Wollden, von Henckel, von Wartensleben, von Kamecke, von Hacke, von Pannewitz und von Kannenberg. Die Königin umarmte ihre Söhne aufs zärtlichste, begrüßte die Umstehenden und wurde dann die große Treppe hinauf in das für sie bestimmte Schlafgemach geführt, dasselbe, das König Friedrich I. bei seinen Besuchen in Schloß Oranienburg zu bewohnen pflegte. Die Königin fand in diesem Zimmer ein Staatsbett von rotem Damast vor, ebenso einen Fauteuil, einen Ofenschirm und vier Tabourets von demselben Stoff und derselben Farbe. Bald nachdem die hohe Frau sich eingerichtet und an dem Anblick von Park und Landschaft erfreut hatte, erschien der Prinz, um ihr drei schöne Figuren von Dresdner Porzellan zu überreichen, an denen die Königinmutter, wie der Prinz wußte, eine besondere Freude zu haben pflegte. Aber die Königinmutter war es nicht allein, an die sich die Aufmerksamkeiten dieses liebenswürdigen Prinzen richteten, auch Baron von Pöllnitz wurde einer ähnlichen Aufmerksamkeit gewürdigt. Seine Königliche Hoheit kannten sehr wohl die Vorliebe des alten Barons (von Pöllnitz) für alle Antiquitäten und Kuriositäten aus der Zeit König Friedrichs I. her, der ihm immer ein guter und gnädiger Herr gewesen war, und eingedenk dieser Vorliebe überreichten Seine Königliche Hoheit dem alten Baron eine reich mit Gold gestickte Morgenmütze und ein Paar Pantoffeln, deren sich König Friedrich I. bei seinen Besuchen in Oranienburg zu bedienen pflegte und die nun seit über zweiunddreißig Jahren unbeachtet und ungewürdigt in einer halbvergessenen Truhe gesteckt hatten. Nach Sonnenuntergang folgten Promenaden in den Park; dann wurden Spieltische arrangiert, bis gegen zehn die willkommene Nachricht, daß das Souper angerichtet sei, das Spiel unterbrach. Welche Feinheiten und Überraschungen aus dem Bereich der Küche, welche hochqualifizierten Weine, welch Frohsinn, welche Heiterkeit der Gäste! Und doch zuletzt vollzog sich das Unvermeidliche, was schon König Dagobert seinerzeit so bitter beklagt hat, daß auch die beste Gesellschaft ihr Ende habe und sich trennen müsse.

Das war am 14. April. Früh am andern Morgen und früher fast, als uns lieb war, weckten uns ungewohnte Klänge; der Hirt trieb seine Herde, am Schloß vorbei, auf die frischen Felder hinaus. Den Beschluß machte ein Stier von so extraeleganter Schönheit, daß er kein anderer als der wohlbekannte glückliche Liebhaber der Jungfrau Europa sein konnte, ja die Art, wie er sich trug, dazu die Kraft seiner Brusttöne schienen andeuten zu wollen, daß er ein Erscheinen unserer Damen an den verschiedenen Fenstern des Schlosses erwartet habe. Aber er sah sich getäuscht, unsere Damen, die die Geschichte gelesen haben mochten, fürchteten sich und hielten sich zurück, um sich und ihre Reize nicht ähnlichen Gefahren auszusetzen. Wie dem immer sei, der Morgenschlummer war gestört, und an die Stelle des Schlafs, der nicht wieder kommen wollte, traten Promenaden in leichtem, flatterndem Morgenkostüm und, nach eingenommenem Frühstück, die gegenseitigen Besuche. Die Prinzessin Amalie empfing die Huldigungen, die ihrer Schönheit dargebracht wurden; sie trug ein Corset von schwarzem Atlas, das mit weißer Seide gesteppt war, und darunter ein silbergesticktes Kleid, mit natürlichen Blumen aufgenommen. In diesem Kostüm stand sie da und übte sich im Flötenspiel: Euterpe selbst hätte sie beneiden können.

Nach Tisch empfing die Königinmutter alle anwesenden Damen in ihrem Bettzimmer; diejenigen, die eine Handarbeit dem Kartenspiel vorzogen, setzten sich auf Tabourets um die Königin her, während Baron Pöllnitz seinen Platz als Vorleser einnahm und in der Lektüre von ›La Mouche oder Die Abenteuer des Mr. Bigand‹ fortfuhr. Die Königin folgte der Vorlesung und zog Goldfäden aus (se mit à effiler de l'or). Den Beschluß des Tages machte ein Ball in dem hell erleuchteten Tanzsaal, woran sich ein Souper in dem Staatszimmer, am Ausgange der Porzellangalerie, anschloß. Als die Königin eben in das Staatszimmer eintrat, bemerkte sie durch die hohen, gegenübergelegenen Fensterflügel, wie es plötzlich, inmitten des dunklen Parks, wie ein Flammenbaum aus der Erde wuchs. Immer deutlicher gestaltete sich das Bild, bis es endlich wie ein feuriger Laubengang dastand, der an höchster Stelle eine Krone und darunter die Worte ›Vivat Sophia Dorothea‹ trug.«

So lebte man 1745 in Oranienburg. Sechs Wochen später wurde die Schlacht bei Hohenfriedberg geschlagen, an welcher Prinz August Wilhelm, der eben noch Zeit zu Geplauder und Feuerwerk gehabt hatte, einen rühmlichen Anteil nahm.

Die Beziehungen der drei jüngern Prinzen: August Wilhelm, Heinrich und Ferdinand, zu ihrem älteren Bruder, dem Könige, waren damals noch kaum getrübt. Es ist wahr, sie lebten, zumal wenn sie in Potsdam, also in unmittelbarer Nähe Friedrichs waren, unter einem gewissen Drucke, aber man fand diesen Druck gleichsam in der Ordnung; er war der älteste, der begabteste und – der König. Dabei ließ er es seinerseits, um strengen Forderungen ein Gegengewicht zu geben, an Huldigungen nicht fehlen, und besonders war es der Prinz von Preußen, für den er die zartesten Aufmerksamkeiten hatte. Er widmete ihm sein großes Gedicht »Die Kriegskunst«, er widmete ihm ferner »die Geschichte seines Hauses« und sprach es in der meisterhaften Einleitung dieses Werkes vor der ganzen Welt und vor der Zukunft aus, warum er diesen seinen Bruder, der ihn einst beerben solle, als Freund und Fürsten besonders liebe. »Die Milde, die Humanität Ihres Charakters ist es, die ich so hoch schätze; ein Herz, das der Freundschaft offen ist, ist über niedern Ehrgeiz erhaben; Sie kennen kein anderes Gebot als das der Gerechtigkeit und keinen andern Willen als den Wunsch, die Hochschätzung der Weisen zu verdienen.«

So war das Verhältnis zwischen den beiden Brüdern, als die schweren Tage, die dem Unglückstage von Kolin folgten, diesem schönen Einvernehmen plötzlich ein Ziel setzten. Prinz August Wilhelm erhielt bekanntlich den Oberbefehl über diejenigen Truppen, die ihren Rückzug nach der Lausitz nehmen sollten; Winterfeldt wurde ihm beigegeben. Die Sachen gingen schlecht, und bei endlicher Wiederbegegnung der beiden Brüder fand jene furchtbare Szene statt, die Graf Schwerin, der Adjutant Winterfeldts, mit folgenden Worten beschrieben hat: »Ein Parolekreis wurde geschlossen, in dem der Prinz und alle seine Generale standen. Nicht der König trat in den Kreis, sondern Winterfeldt statt seiner. Im Auftrage des Königs mußte er sagen: ›Sie hätten alle verdient, daß über ihr Betragen ein Kriegsrat gehalten würde, wo sie dann dem Spruch nicht entgehen könnten, die Köpfe zu verlieren; indes wolle der König es nicht so weit treiben, weil er im General auch den Bruder nicht vergesse.‹ Der König stand unweit des Kreises«, so fährt Graf Schwerin fort, »und horchte, ob Winterfeldt sich auch strikte der ihm anbefohlenen Ausdrücke bediene. Winterfeldt tat es, aber mit Schaudern, und er konnte den Eindruck seiner Worte sogleich sehen, denn der Prinz trat augenblicklich aus dem Kreise und ritt, ohne den König zu sprechen, nach Bautzen.«

Im Spätherbst desselben Jahres finden wir den Prinzen wieder in Oranienburg, an selbiger Stelle, wo er uns zuerst als liebenswürdiger und aufmerksamer Sohn und geübt in der Kunst sinniger Überraschungen entgegentrat. Aber wir finden ihn jetzt in Einsamkeit und gebrochenen Herzens. Ob er sich in seiner Liebe zum König oder in seiner eignen Ehre schwerer getroffen fühlte, ist schwer zu sagen. Gleichviel, unheilbare Krankheit hatte sich seiner bemächtigt, und er litt an Leib und Seele. Über die letzten Momente seines Lebens ist nichts Bestimmtes aufgezeichnet, doch verdank ich den Mitteilungen einer Dame, die noch den Hof des Prinzen Heinrich und diesen selbst gekannt hat, allerlei Züge und Andeutungen, aus denen genugsam erhellt, daß der Ausgang so erschütternd wie möglich war. Die Gemütskrankheit hatte schließlich die Form eines nervösen Fiebers angenommen, und die Bilder von Personen und Szenen, die seine Seele seit jenem Unglückstage nicht losgeworden war, traten jetzt aus seiner Seele heraus, nahmen Gestalt an und stellten sich wie faßbar und leibhaftig an sein Lager. Den Schatten Winterfeldts rief er an, und als sich die Gestalt nicht bannen ließ, sprang er auf, um vor dem Gehaßten und Gefürchteten zu fliehen. Das waren die letzten Momente Prinz August Wilhelms; er starb im Fieber, am 12. Juni 1758, im Schlosse zu Oranienburg. Der König war bei der Nachricht von seinem Tode tiefgebeugt; im Volke hieß es, er sei vor Gram gestorben. 1790 errichtete ihm sein jüngerer Bruder Heinrich den oft beschriebenen Obelisken, gegenüber dem Rheinsberger Schloß, nachdem die sterblichen Überreste des Prinzen schon früher im Rheinsberger Parke beigesetzt worden waren. Dieser Punkt ist in Dunkel gehüllt, weshalb ich hier – damit Eingeweihtere es lichten mögen – die alte Version und meine eignen Aufzeichnungen aus dem Rheinsberger Park zusammenstelle. Prediger Ballhorn in seiner mehrzitierten »Geschichte« schreibt: »Seine Leiche wurde zuerst in einem Gewölbe der Oranienburger Kirche aufbewahrt, dann aber am 10. Juli von seinem Regimente nach Berlin abgeführt. Prinz Heinrich widmete ihm zu Rheinsberg ein prachtvolles Monument, das zugleich die Urne umschließt, in welcher sein Herz aufbewahrt wird.« Zwei Dinge erscheinen hierin unrichtig: erstlich stand das Regiment des Prinzen von Preußen damals im Felde (Friedrich der Große schreibt eigens: »Der Anblick des prinzlichen Regiments erneuert mir jedesmal den Schmerz um ihn«), und zweitens befindet sich die Urne nicht eingeschlossen im Monument, sondern steht frei und offen an einer ganz andern Stelle des Parks. Diese Stelle, in unmittelbarer Nähe des »bekannten Theaters im Grünen« gelegen, zeigt unter einer Baumgruppe zwei Marmorarbeiten: eine große Urne auf einem Piedestal und zweitens eine Art Herme, die die trefflich ausgeführte Büste des Prinzen August Wilhelm trägt. Beide Arbeiten stehen sich, in Entfernung von etwa sechs Schritt, einander gegenüber. Das Piedestal der Urne trägt die Inschrift: »Hic cineres marmor exhibit«, und darunter: »August Gullielm, Princeps Prussiae, Natus Erat IX Die Mens. Aug. Ann. 1722. Obiit Die XII Mens. Jun. Anno 1758.« Die Inschrift unter der Büste aber lautet: »Hic venustum os viri, veritatis, virtutis, patriae amantissimi.« (Hier das freundliche Antlitz des Lieblings der Wahrheit, der Tugend, des Vaterlands.)

Die erste dieser Inschriften: »Hic cineres marmor exhibit«, also: »Diese Urne umschließt seine Asche«, schafft die eigentliche Streitfrage. Ruht der Prinz August Wilhelm im Dom zu Berlin oder ruht er (laut vorstehender Inschrift) im Rheinsberger Park? Vielleicht müßte die Inschrift lauten: »Diese Urne umschließt die Asche seines Herzens«. Dann hätte Pastor Ballhorn in der Hauptsache recht, nur nicht hinsichtlich der Aufstellung der Urne.

 

An jenem Tage, als der Prinz August Wilhelm aus dem Schloßportal getragen wurde und fünfzig Bürger dem Sarge folgten, um ihm bis Havelhausen das Geleit zu geben, an jenem Tage schloß das Leben in Schloß Oranienburg überhaupt. Auf ein Jahrhundert voll Glanz und lachender Farben folgte ein anderes voll Öde und Verwahrlosung. Andere Zeiten kamen; der Geschmack ging andere Wege – Schloß Oranienburg war vergessen.

1802 wurde der prächtige alte Bau, dessen zahlreiche Deckengemälde allein ein bedeutendes, wenn auch freilich totes Kapital repräsentierten, für 12 000 Taler mit all und jeglichem Zubehör verkauft und der Käufer nur zur Herausgabe der eingangs erwähnten vier Jaspis- und vier Marmorsäulen (im Treppenhause) verpflichtet. Schloß Oranienburg wurde eine Kattunmanufaktur. Wo die Edeldamen auf Tabourets von rotem Damast gesessen und der Vorlesung des alten Pöllnitz gelauscht hatten, während die Königinmutter Goldfäden aus alten Brokaten zog, klapperten jetzt die Webstühle und lärmte der alltägliche Betrieb. Aber noch tristere Tage kamen, Krieg und Feuer, bis endlich in den zwanziger Jahren ein chemisches Laboratorium, eine Schwefelsäurefabrik, hier einzog. Die Schwefeldämpfe ätzten und beizten den letzten Rest alter Herrlichkeit hinweg. Ich entsinne mich der Jahre, wo ich als Kind dieses Weges kam und von Platz und Brücke aus ängstlich nach dem unheimlichen alten Bau herüberblickte, der, grau und verkommen, in Qualm und Rauch dalag wie ein Gefängnis oder Landarmenhaus, aber nicht wie der Lieblingssitz Friedrichs I.

Nun ist das alte Schloß der Kolben und Retorten wieder los und ledig, und frisch und neu, beinahe sonntäglich, blickt es drein. Aber es ist das moderne Allerweltskleid, das es trägt; die Borten und Kanten sind abgetrennt, und der Königsmantel ist ein Bürgerrock geworden. Noch wenige Wochen, und das alte Schloß von ehedem wird neue Gäste empfangen: wie Schloß Köpenick ist es bestimmt, als Schullehrerseminar in sein drittes Jahrhundert einzutreten. Sei es. In den neuen Bewohnern wird wenigstens ein Bewußtsein davon zu wecken sein, welcher Stelle sie angehören, und leise berührt von der Macht und dem Zauber historischer Erinnerungen, werden sie später den Namen und die Geschichte Schloß Oranienburgs in ihre Berufskreise mit hinübernehmen.

Unter den Linden des Gasthofes, während der Sommerwind die Tropfen von den Bäumen schüttelte, hab ich dem Leser die Geschichte des alten Schlosses erzählt, die Bilder aufgerollt seines Glanzes und seines Verfalls. Die Frage bleibt noch übrig: Haben die letzten hundert Jahre alles zerstört? Haben Krieg und Feuer, Retorte und Siedepfanne von dem alten Glanze kein Bestehen übriggelassen? Ist alles hin, bis auf die letzte Spur? Der Pietät des hohen Herrn, der nun vorm Altar seiner Friedenskirche in Frieden ruht, der Pietät Friedrich Wilhelms IV., dem es so oft zum Verbrechen angerechnet wurde, daß er das wahren wollte, was des Wahrens wert war, diesem hohen Liebessinne, der auf das Erhalten gerichtet war, haben wir allein es zu danken, daß wir der aufgeworfenen Frage mit einem »Nein« entgegentreten können – es ist nicht alles hin, es existieren noch Spuren, gerettete Überbleibsel aus alter Zeit her, und ihnen gilt zum Schluß unser Besuch.

Wir verweilen nicht bei zerstreuten Einzelheiten, die da, wo sie zufällig verlorengingen, auch zufällig aufgelesen und in die Wand oder den Fußboden, als wär es ein Relief- oder Mosaikstück, eingelegt wurden – wir gehen an diesen Einzelheiten ohne Aufenthalt vorüber und treten in den nach West und Norden zu gelegenen Hinterflügel ein, wo wir noch einer zusammenhängenden Zimmerreihe aus der Zeit König Friedrichs I. begegnen. Daraus, daß das vorzüglichste dieser Zimmer an den vier Ecken des Plafonds mit ebenso vielen Sternen des Hosenbandordens geschmückt ist auf dessen Besitz König Friedrich I. einen ganz besonders hohen Wert legte, würde sich mit einiger Bestimmtheit ableiten lassen, wann dieser Teil des Schlosses ausgebaut wurde. Es sind sechs Zimmer, von denen zunächst zwei durch ihre Ausschmückung unser Interesse in Anspruch nehmen. Sie bilden die beiden Grenzpunkte der ganzen Reihe, so daß das eine (das kleinere) dem corps de logis, also dem Mittelpunkte des Schlosses zu gelegen ist, während das andere am äußersten Ende des Flügels liegt und den Blick ins Freie auf Fluß und Wiesen hat. Das kleinere Zimmer bildete entweder einen Teil der seinerzeit vielberühmten und von Touristen jener Epoche oft beschriebenen Porzellangalerie oder war ein Empfangs- und Gesellschaftszimmer, wo die fürstlichen Personen unter Herzuziehung ihres Hofstaats den Tee einzunehmen pflegten. Das Deckengemälde, das ich gleich näher beschreiben werde, scheint mit seinen vielen Porzellangerätschaften für die erstere Annahme zu sprechen; ein schärferes Eingehen aber macht es beinahe zweifellos, daß es das Teezimmer war. In der Mitte des Deckenbildes erblicken wir nämlich eine starke, blühend aussehende Frauensperson mit roten Rosen im Haar; in ihrer ganzen Erscheinung einer holländischen Teeschenkerin sehr ähnlich. Mit der linken Hand drückt sie eine blau und weiß gemusterte Teebüchse fest ans Herz, während sie mit der Rechten einen ebenso gemusterten porzellanenen Teetopf einer gleichfalls wohlbeleibten, blonden, hochrot gekleideten Dame entgegenstreckt. Diese, ihrerseits durch die Schlange, die sich um ihren weißen Arm ringelt, als Hygieia charakterisiert, hält der Teeschenkerin einen Spiegel entgegen, als ob sie ihr zurufen wolle: »Erkenne dich selbst und schrick zurück, wenn du dich als Lügnerin, das heißt deinen Tee als schlecht und unecht erkennst.«

Die Malerei ist vortrefflich, man erkennt durchaus die gute holländische Schule, und viele unserer Maler werden von Glück sagen können, wenn ihre Deckengemälde sich nach 150 Jahren und länger in ähnlich guter Weise präsentieren. Auch die diesen Bildern zugrunde liegenden Ideen, denen es an Humor und Selbstpersiflage nicht fehlt, sind leichter zu verspotten als besser zu machen. Es sind doch immerhin Ideen, mit denen total gebrochen zu haben wir häufig zur Unzeit stolz sind.

Das am entgegengesetzten Ende liegende Zimmer ist aller Wahrscheinlichkeit nach das ehemalige Wohn- und Lieblingszimmer Friedrichs I., dasselbe, in das, wie ich Seite 151 beschrieben habe, am 15. April 1745 die Königin Sophie Dorothea eintrat und am Abend durch das prächtige Feuerwerk überrascht wurde, das wie eine Flammenlaube mitten aus dem Dunkel des Parks emporwuchs. Dies Zimmer, das nach drei Seiten hin Balkone hat, von denen aus man nach Gefallen den Park, das offene Feld oder den Hofraum überblickt, ist sehr geräumig, dreißig Fuß im Quadrat, und mit acht marmorierten Säulen derart umstellt, daß sie, an den vier Wänden entlang, einen deutlich markierten Gang oder Rahmen bilden, der nun das kleiner gewordene Viereck des Saales umspannt. Der Zweck dieser Einrichtung ist schwer abzusehen. Vielleicht diente das Zimmer auch als Tanzsaal, und die Tänzer und Tänzerinnen hatten den innern Raum für sich, während die plaudernden oder sich ausruhenden Paare wohlgeborgen unter dem Säulengange standen. Das Wichtigste ist auch hier das Deckengemälde. Ich schicke zunächst die bloße Beschreibung vorauf. In der Mitte des Bildes befindet sich eine weiße, hochbusige Schönheit mit pechschwarzem Haar, welches von Perlenschnüren durchzogen ist; in der Linken hält sie eine Art Zauberlaterne, in der Rechten einen kleinen Ölkrug. Allerhand pausbäckige Genien halten Tafelgerät und Kannen empor, andere entschweben mit leeren Schüsseln, noch andre kommen mit Teegeschirr herbei und gießen den Tee in kleine Schälchen. Diese Szenen füllen zwei Drittel des Bildes. Links in der Ecke hält Apoll mit seinen Sonnenrossen, vor ihm her schwebt bereits Aurora, das Haupt des Sonnengottes selbst aber strahlt nicht, sondern ist noch von einer dunklen Scheibe umhüllt.

Neben diesem Staatszimmer, demselben, das den Stern des Hosenbandordens in seinen vier Ecken zeigt, befindet sich ein sehr kleines Gemach, nicht viel größer als ein altmodisches Himmelbett. Dies ist das Sterbezimmer des Prinzen August Wilhelm. Die Wände sind schmucklos, ebenso die Decke, nur an der Hohlkante zwischen beiden zieht sich eine schmale Borte von schwarzem Holz entlang. Sie ist wie ein Trauerrand, der dieses Zimmer einfaßt, und mahnt deutlich an die letzten, in Dunkel gehüllten Stunden eines liebenswürdigen und unglücklichen Prinzen.

Aus diesem engen Raume, der so trübe Bilder weckt, treten wir, da die übrigen Zimmer unserer Betrachtung nichts mehr bieten, wieder in den Korridor und über den noch immer imposanten Vorflur endlich ins Freie hinaus.

Der Ball der untergehenden Sonne hängt am Horizont, leise Schleier liegen über dem Park, und die Abendkühle weht von Fluß und Wiesen her zu uns herüber. Wir sitzen wieder auf der Treppe des Gasthofs und blicken durch die Umrahmung der Bäume in das Bild abendlichen Friedens hinein. Musikanten ziehen eben am Hause vorüber, auf die Havelbrücke zu und in die Vorstadt hinein; hinter den Musikanten allerlei Volk. Was ist es? »Das Theater fängt an; die Stadtkapelle macht sich auf den Weg, um mit dabeizusein.« Und wir lesen jetzt erst den Theaterzettel, der, in gleicher Höhe mit uns, an einen der Baumstämme geklebt ist. »Das Testament des Großen Kurfürsten, Schauspiel in fünf Aufzügen.« Wir lieben das Stück, aber wir kennen es, und während die Sonne hinter Schloß und Park versinkt, ziehen wir es vor, in Bilder und Träume gewiegt, auf »Schloß Oranienburg« zu blicken, eine jener wirklichen Schaubühnen, auf der die Gestalten jenes Stücks mit ihrem Haß und ihrer Liebe heimisch waren.


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