Theodor Fontane
Ellernklipp
Theodor Fontane

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4 Hilde kommt in die Schule

Baltzer Bocholt hatte die beiden wohl gesehen, aber er sagte nichts, als er eine Stunde später heimkam, und schwieg auch am anderen Tage beim Frühstück. Er sah nur Hilden scharf an, und erst als diese wieder fort war und Grissel die Teller abräumte, von denen man die Morgensuppe gegessen, warf er im Vorübergehen hin: »Ihr waret also doch da?«

»Ja. Die Hilde wollt' es, und als ich es ihr abschlug und ihr sagte, ihr hättet es verboten, da lief sie fort, wie sie ging und stand. Und da mußt' ich ihr alles versprechen. Und ein wahres Glück noch, daß ich sie wieder ins Haus brachte; sie hätte ja den Tod gehabt ohne Mantel und dicke Schuhe. Und im Ostwind und durch den Schnee.«

»So, so«, sagte Baltzer und trommelte an die Scheiben. »Sie kann also auch ungehorsam sein. Sieh, Grissel, das gefällt mir. Der Mensch muß gehorchen, das ist das Erste, sonst taugt er nichts. Aber das Zweite ist, er muß nicht gehorchen, sonst taugt er auch nichts. Wer immer gehorcht, das ist ein fauler Knecht, und ist ohne Lust und Liebe und ohne Kraft und Mut. Aber wer eine rechte Lust und Liebe hat, der hat auch einen Willen. Und wer einen Willen hat, der will auch mal anders, als andere wollen.«

So verging der Tag, ohne daß von dem Feuer gesprochen worden wäre, und erst am Abend, als Grissel und Hilde wieder auf ihrer Giebelstube waren, sagte erstere: »Bist du traurig, Hilde?«

»Nein.«

»Aber du sprichst nicht. Und es war doch euer Haus, und du wolltest hin und es sehen.«

»Ja, ich wollt' es, als ich den roten Himmel sah.«

»Und hast du auch keine Sehnsucht? Ich meine nach deiner Mutter. Oder hattest du sie nicht lieb?«

»O ja, ich hatte sie lieb. Aber ich bin doch nicht traurig.«

»Und warum nicht?«

»Ich weiß es nicht. Aber mir ist, als wäre sie nicht tot. Ich seh' sie noch und höre sie noch. Und dann hab' ich ja euch. Es ist besser hier und nicht so still und so kalt. Und du bist so gut, und Martin...«

»Und der Vater...«

»Ja, der auch.«

 

Ohne weitere Zwischenfälle verlief der Winter, und als Ostern, das in diesem Jahre früh fiel, um eine Woche vorüber war, packte Martin nicht bloß seine Mappe, sondern auch Hildens, und mit erwartungsvoller und beinahe feierlicher Miene gingen beide neben dem Bach hin auf das mitten im Dorf gelegene Schulhaus zu, das schwarze Balken und weißgetünchte Lehmfelder und oben auf dem Dach eine kleine Glocke hatte. Die läutete eben, als sie eintraten.

Hilde kam nach unten, denn sie wußte nichts, und selbst die Kleinen lachten mitunter. Auch schien es nicht, als ob sie die lange Versäumnis im Fluge nachholen werde, denn sie war oft träge und abgespannt und machte Krikelkrakel im Rechnen und Schreiben, und nur im Lesen und Auswendiglernen war sie gut. Und siehe da, das half ihr, und als kurz vor der Erntezeit eine Schulinspektion angemeldet wurde, mußte sie die Fabel von der Grille und der Ameise vorlesen, was ihr neben der Zufriedenheit des Lehrers auch eine besondere Belobigung des alten Sörgel eintrug.

Und was diesen anging, so sollte sich's überhaupt jetzt zeigen, daß er des Kindes und seiner Zusage nicht vergessen habe, denn er schrieb denselben Tag noch ein Zettelchen, worin er dem Heidereiter vorschlug, ihm jeden Dienstag und Freitag die Hilde herüberzuschicken, und natürlich auch den Martin, damit er ihnen etwas aus der Bibel erzählen könne. Das geschah denn auch, und die zwei Stunden beim alten Sörgel waren bald das, worauf sich die Kinder am meisten freuten. Es war alles nach wie vor so still und behaglich drüben, und der kleine Zeisig, der in seinem Bauer zirpte, schien nur dazu da, zu zeigen, wie still es war. Dazu lagen über die ganze Stube hin lange, von Tucheggen geflochtene Streifen, sogenannte Läufer, alle weich genug, einen jeden Schritt zu dämpfen, auch den schwersten, selbst wenn der alte Sörgel nicht kniehohe Sammetstiefel und bei rechter Kälte sogar noch ein Paar Filzschuhe darüber getragen hätte. Das erstemal, als er so kam, waren Martin und Hilde dicht am Lachen gewesen, aber der alte Herr, der wohl wußte, wie Kinder sind, hatte nur mit gelächelt und im selben Augenblicke gefragt: »Nun, Hilde, sage mir, wie hießen die zwölf Söhne Jakobs?... Richtig... Und nun sage mir, wie hieß sein Schwiegervater?... Richtig... Und nun sage mir, wie hieß seine Stiefgroßmutter?«... Auf diese letztere Frage war er nun, wie sich denken läßt, einer Antwort nicht gewärtig gewesen; als aber Hilde mit aller Promptheit und Sicherheit ihm »Hagar« geantwortet und noch hinzugesetzt hatte: »Die meint Ihr, Pastor Sörgel; es ist aber eigentlich nicht richtig«, – da war er schmunzelnd an einen nußbaumenen Eckschrank herangetreten und hatte von dem obersten Brett eine Meißener Suppenterrine herabgenommen, darin er seine Biskuits aufzubewahren liebte. »Da, Hilde, das hast du dir ehrlich verdient... Und das hier, Martin, ist für dich, damit dir das Herz nicht blutet.«

 

So ging es geraume Zeit, es war schon der zweite Winter, und da Sörgel eine Vorliebe für das Alte Testament hatte – eine Vorliebe, die nur noch von seiner Abneigung gegen die Offenbarung Johannis übertroffen wurde -, so konnte es keinen verwundern, die Kinder fest in der alten Biblischen Geschichte zu sehen, und zwar um so fester, als sie nicht bloß zuhören, sondern auch alles frisch Gehörte sofort wieder erzählen mußten.

In ihrem Wissen waren sie gleich, aber in Auffassung und Urteil zeigte sich Hilde mehr und mehr überlegen, so sehr, daß der alte Pastor immer wieder in die vielleicht verwerfliche Neigung verfiel, sie, wie damals mit der Hagarfrage, durch allerlei Doktorfragen in Verlegenheit zu bringen.

»Sage, Hilde«, so hieß es eines Tages, »du kennst so viele Frauen von Eva bis Esther. Nun sage mir, welche gefällt dir am besten und welche am zweit- und drittbesten? Und welche gefällt dir am schlechtesten? Gefällt dir Miriam? Oder gefällt dir Jephthas Tochter? Oder gefällt dir Bathseba? Du schüttelst den Kopf und willst von des Uria Weib nichts wissen. Aber du darfst es ihr nicht anrechnen, daß der König ihren Mann an die gefährliche Stelle schickte. Das tat eben der König. Und sie konnt' es nicht ändern... Oder gefällt dir Judith?«

»Auch die nicht. Judith am wenigsten.«

»Warum?«

»Weil sie den Holofernes mordete, listig und grausam, und seinen Kopf in einen Sack steckte. Nein, ich mag kein Blut sehen, an mir nicht und an anderen nicht.«

»Ich will es gelten lassen. Aber wer soll es dann sein, Hilde? Wer gefällt dir?«

»Ruth.«

»Ruth«, wiederholte Sörgel. »Eine gute Wahl. Aber du weißt doch, sie war eine Witwe.«

So plauderte der Alte mit seinen Konfirmanden, und wenn dann die Stunde vorüber war, schlenderten Martin und Hilde wieder heim, im Winter an dem Stachelginster vorbei, der neben der Kirchhofsmauer hinlief, im Sommer über den Kirchhof selbst, wo sie hinter den Büschen Verstecken spielten. Oft aber wollte Hilde nicht, sondern blieb allein und setzte sich abwärts auf eine Steinbank, wo der Quell aus dem Berge kam und wo Gartengeräte standen und große Gießkannen, um die Gräber damit zu begießen. Und von dieser Bank aus sah sie, wie die Lichter einfielen und vor ihr tanzten und wie die Hummeln von einer hohen Staude zur anderen flogen: von dem Rittersporn auf den roten Fingerhut und von dem roten auf den gelben. Den liebte sie zumeist und freute sich immer und zählte die Schwingungen, wenn er unter dem Anprall der dicken Hummeln ins Schaukeln und Schwanken kam. Und dann erhob sie sich und ging auf ihrer Mutter Grab zu, das nichts als ein paar Blumen und ein blaues Kreuz mit einem Dach und einer gelben Inschrift hatte: »Erdmuthe Rochussen, geb. den 1. Mai 1735, gest. den 30. Sept. 1767.« Und immer, wenn sie den Namen las und den Spruch darunter, stiegen ihrer Kindheit Bilder wieder vor ihr auf, und sie sah sich wieder auf der Hofschwelle sitzen, und an der anderen Seite der Diele, der Vordertür zu, saß ihre Mutter und schwieg und spann. Und dann hörte sie sich rufen: »Hilde!« ach, leise nur, und sie lief auf die Mutter zu, die plötzlich wie verändert war und ihr das Haar strich und fühlte, wie fein es sei.

So waren die Bilder, denen sie nachhing, und während sie so sann und träumte, pflückte sie von den Grashalmen, die das Grab umstanden, flocht einen Kranz, hing ihn an das Dach und ging im Zickzack auf die höher gelegene Kirchhofsstelle zu, wo die Gräflichen ihre Ruhestätte hatten, eingehegt und eingegittert und von einem hohen Marmorkreuz überragt. Das leuchtete weithin, und ein Zeichen war darauf, das sie nicht deuten konnte. Zu Füßen des Kreuzes aber lagen allerhand Steinplatten, einige von Schiefer, andere von Granit, auf deren einer in Goldbuchstaben zu lesen war: »Adalbert Ulrich Graf von Emmerode, geb. am 1. Mai 1733, gefallen vor Prag am 6. Mai 1757.« Und immer, wenn sie dies sah und las, gedachte sie der vielen, vielen Tage, wo sie mit ihrer Mutter an ebendieser Stelle gestanden hatte, manchmal in aller Frühe schon, wenn der Tau noch lag, und öfter noch bei Sonnenuntergang. Und niemals waren sie gestört worden, außer ein einzig Mal, wo die Gräfin unvermutet und plötzlich am Gittereingang erschienen war. Und das war ihr unvergessen geblieben, und mußt' es wohl, denn ihre Mutter hatte sie rasch und ängstlich zurückgerissen und sich und sie hinter eine hohe Brombeerhecke versteckt.

 

»Sie sollen Geschwister sein«, hatte Baltzer Bocholt gesagt; im Dorf aber hieß es nach wie vor, daß des Heidereiters Hilde der Muthe Kind sei, der Muthe Rochussen, und eigentlich auch das nicht mal. Eine Mutter habe die Hilde freilich gehabt, gewiß, eine Mutter habe jeder, und das sei denn auch die Muthe gewesen. Aber ob es die Muthe Rochussen gewesen, damals schon gewesen, das sei doch noch sehr die Frage. Das wüßten die drüben besser, die Lebendigen und die Toten.

Es konnte natürlich nicht ausbleiben, daß der Heidereiter von solchem Gerede hörte, weil er aber störrisch und eigensinnig war, so war es ihm nur ein Grund mehr, die Hilde so recht zu seinem Lieblingskinde zu machen. Es war eigentlich nur eines, was ihn an ihr verdroß: ihre Müdigkeit. Sie war ihm zu lasch, und wenn sie so dasaß, den Kopf auf die Schulter gelehnt, so rief er ihr ärgerlich zu: »Kopf in die Höh', Hilde! Bei Tag ist Arbeitszeit und nicht Schlafenszeit; das lieb' ich nicht. Aber was ich noch weniger lieb' als das Schlafen, das ist die Schläfrigkeit. Immer müde sein ist Teufelswerk. Als ich so alt war wie du, braucht' ich gar nicht zu schlafen.«

Und solche Mahnung half denn auch einen Tag oder zwei, weil's ihr einen Ruck gab. Aber den dritten Tag war es wieder beim alten, und er beschloß, mit Sörgel darüber zu sprechen.

Der indessen schüttelte den Kopf und sagte nur: »Ich kann Euch nicht zustimmen, Heidereiter. Ihr habt ein volles und starkes Blut und wollt alles so voll und stark, als Ihr selber seid. Aber das Blut ist verschieden, und das Temperament ist es auch. Ihr habt den cholerischen Zug und die Hilde hat den melancholischen. Und daran ist nichts zu ändern; das hat die Natur so gewollt, in der auch Gottes Wille lebendig ist, und das müßt Ihr gehen lassen. Seht, ich weiß noch den Tag, als die Muthe Rochussen eben gestorben war und wir mit der Hilde hinaufgingen und dann wieder zurück über Ellernklipp und Diegels Mühle. Da sagt' ich mir: ›Ein feines Kind; aber sie träumt bloß und kennt nicht gut und nicht böse.‹ Und so war es damals auch. Aber sie hat es gelernt seitdem, und weil der gute Keim in ihr war, ist nichts Niederes an ihr und in ihr und kein Lug und kein Trug. Und ich will Euch sagen, woher all das Müde kommt, das Euch verdrießt; sie hat eine Sehnsucht, und Sehnsucht zehrt, sagt das Sprüchwort. Ja, Heidereiter, an wem was zehrt der wird matt und müd. Und seht, das ist es.«

Es schien, daß Baltzer Bocholt antworten wollte, Sörgel aber litt es nicht und fuhr in einer ihm sonst fremden Erregung fort: »Achtet nur, wie sie wechselt, und ist mal rot und mal blaß und mal hell und mal trüb. Und seht, das ist nicht Trägheit des Fleisches, die sich wegzwingen läßt, das ist ein Geheimnis im Blut. Ihr wißt ja, woher das rote Haar stammt und die langen Wimpern, und daher stammt auch das Blut. Und wie das Blut ist, ist auch die Seele.«

Der Heidereiter war nicht überführt, aber er beschloß doch, es gehen zu lassen.

 

Und Hilde war nun vierzehn, und am Palmsonntage sollte sie mit Martin und den anderen Konfirmanden eingesegnet werden.

Es waren noch sechs Wochen bis dahin, und als wieder eine Biblische Geschichts-Stunde war, sagte Sörgel: »Ihr seid nun fest im Alten Testament, und die Hilde weiß es vorwärts und rückwärts. Aber den Alten Bund, den hatten die Juden auch, und ist nun Zeit, Kinder, daß wir uns um Jesum Christum, unseren Herrn und Heiland, kümmern. Sage mir, Hilde, was du von ihm weißt?«

Hilde richtete sich auf und säumte nicht, von Bethlehem und Christi Geburt eine gute Beschreibung zu machen; und als er fragte, wo sie das herhabe, berichtete sie von der ersten Weihnachtsbescherung in ihres Pflegevaters Haus und von der Krippe, die Martin aufgebaut, und zuletzt auch von dem Aufschluß, den ihr Grissel gegeben habe.

»Das ist gut. Und ich sehe wohl, die Grissel ist eine kluge Person und ein rechtes Küsters- und Schulmeisterskind, dem es von Jugend auf alles in succum et sanguinem gegangen ist, das heißt: in Fleisch und Blut. Und darauf kommt es an. Denn seht, Kinder, das Christentum will erfahren sein, das ist die Hauptsache; aber es muß freilich auch gelernt werden, dann hat man's, wenn man's braucht. Etwas Schule brauchen wir alle. Nicht wahr, Hilde?«

Hilde schwieg aus Respekt, und der Alte fuhr fort: »Es muß auch gelernt werden, sag' ich. Und so lernet mir denn die drei Stücke, darin steckt alles. In den drei Stücken und in den zehn Geboten. Die gehören mit dazu, sonst wird uns in unserem Glauben zu wohl, und wir vergessen um des Jenseits willen, was wir dem Diesseits schuldig sind. Also die drei Hauptstücke. Heut ist Dienstag, und nächsten Dienstag frag' ich euch danach. Da habt ihr eine volle Woche Zeit. Und nun geht und gehabt euch wohl, und Gott und ein gutes Gedächtnis seien mit euch.«

Und nun war wieder Dienstag, und beide Katechumenen saßen wieder auf der kleinen Bank in der stillen Stube. Martin sah tapfer und sicher aus, aber Hilde schlug verlegen die Augen nieder.

»Also die drei Hauptstücke«, hob Sörgel an. »Nun laß hören, Hilde. Rasch und fest. Aber nicht zu rasch.«

»Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden.«

»Gut. Also du glaubst an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden. Und nun gib mir auch unseres Dr. Luthers Erklärung und sage mir: Was ist das?«

»Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat...« Hier stockte sie und war wie mit Blut übergossen. Endlich aber sagte sie: »Weiter weiß ich es nicht.«

»Ei, ei, Hilde... Hast du denn nicht gelernt?«

»Ich habe gelernt... Aber ich kann es nicht lernen...«

»Und du wußtest doch das Erste.«

»Ja, das Erste kann ich und das Zweite kann ich beinah. Aber das Dritte kann ich nicht. Und ›Was ist das?‹ das kann ich gar nicht.«

Sörgel, der sonst immer einen Scherz hatte, sagte nichts und ging in seinen Sammetstiefeln auf und ab. Endlich blieb er vor Martin stehen, schlug ihn mit der Hand leise unters Kinn und sagte: »Martin, du kannst es. Nicht wahr?«

»Ja, Herr Prediger.«

»Ich dacht' es mir«, antwortete Sörgel, und ein leiser Spott umspielte seine Züge. Dann aber ging er auf den Tisch zu, wo die Bibel lag, und blätterte darin, alles nur, um seiner Erregung Herr zu werden, und sagte dann, indem er sich wieder an Hilde wandte: »Höre, Hilde, der Tag deiner Einsegnung ist nun vor der Tür, und wenn ich dich in die christliche Gemeinschaft einführen soll, so mußt du christlich sein. Ich will dich aber nicht mit dem Worte quälen, der Geist macht lebendig, und so sage mir denn auf deine Weise, was ist ein Christ?«

»Ein Christ ist, wer an Christum glaubt. Das heißt an Christum als an den eingeborenen Sohn Gottes, der uns durch einen schuldlosen Tod aus unserer Schuld erlöset hat. Und darum heißt er der Erlöser. Und wer an den Erlöser und seinen Erlösertod glaubt, der kommt in den Himmel, und wer nicht an ihn glaubt, der kommt in die Hölle.«

Der Alte lächelte bei dem Schlußworte dieses Bekenntnisses und sagte: »Brav! Und ich will den wilden Schößling an deinem jungen Glaubensbaume nicht wegschneiden. Aber muß es denn eine Hölle geben? Meinst du, Hilde?«

»Ja, Herr Pastor.«

»Und warum?«

»Weil es gut und böse gibt, und schwarz und weiß, und Tag und Nacht.«

»Und von wem hast du das?«

»Von Melcher Harms.«

»Ah, von dem!« antwortete der Alte. »Ja, der tut es nicht anders. Und wir wollen es dabei lassen, wenigstens heute noch. Sind wir erst älter, so findet sich's, und wir reden noch darüber... Und für heute nur noch das: Martin soll den Glauben sprechen, und du sollst ihn nicht sprechen. Aber ich denke, du hast ihn, hast ihn in deinem kleinen Herzen, und ich wollt', es hätt' ihn jeder so.«

Und er streichelte sie liebevoll, als er so sprach, und setzte mit ernster Betonung hinzu: »Du hast die Zehn Gebote, Hilde. Die halte. Denn die haben alles: den ewigen Gott und den Feiertag, und du sollst Vater und Mutter ehren, und haben das Gesetz, das uns hält und ohne das wir schlimmer und ärmer sind als die ärmste Kreatur. Ja, Kinder, wir haben viel hohe Bergesgipfel; aber der, auf dem Moses stand, das ist der höchste. Der reichte bis in den Himmel... Und nun sagt mir zum Schluß, was heißt Sinai?«

»Der Berg des Lichts«, fuhren beide heraus.

»Gut. Und nun geht nach Haus und seid brav und liebet euch.«


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