Gustave Flaubert
Ein einfältig Herz
Gustave Flaubert

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V

Das Gras strömte Sonnenduft aus. Fliegen summten. Die Sonne glitzerte auf dem Fluß und erhitzte die Schieferplatten. Mutter Simon war in die Stube zurückgekommen und schlief sachte ein.

Glockengeläut weckte sie auf; man kam aus der Vesper. Felicitas hatte geringeres Fieber. Sie dachte an die Prozession und sah sie vor sich, als sei sie mit im Zuge.

Alle Schulkinder, die Sänger und die Feuerwehrleute gingen auf dem Bürgersteig. In der Mitte der Straße aber schritten zunächst: der Schweizer mit seiner Hellebarde, der Küster mit einem großen Kreuz, der Lehrer, der die Knaben zu überwachen hatte, die Nonne, die sich um ihre kleinen Mädchen sorgte; drei der kleinsten waren als Engel aufgeputzt und streuten Rosenblätter. Der Diakon gebot mit ausgestreckten Armen der Musik, leiser zu spielen, und zwei Knaben mit Weihrauchfässern wendeten sich bei jedem Schritte dem Allerheiligsten zu, das der Herr Pfarrer in seinem schönen Meßgewand in den Händen trug, während vier Kirchenvorsteher den Himmel aus feuerrotem Sammet über ihm hielten. Ein Strom von Menschen drängte nach, zwischen den weißen Tüchern, womit die Mauern der Häuser behängt waren, und so kam man am Fuße des Hügels an.

Kalter Schweiß perlte auf Felicitas' Schläfen. Mutter Simon trocknete sie mit einem Leinentuch ab, wobei sie sich sagte, daß sie einmal dasselbe werde durchmachen müssen.

Das Gemurmel der Menge wurde lauter einen Augenblick war es sehr stark; dann verhallte es.

Eine Gewehrsalve erschütterte die Scheiben. Das waren die Postkutscher, die die Monstranz grüßten. Felicitas rollte die Augen und sagte so leise wie sie nur konnte:

»Steht er gut?«

Sie war in Sorge um den Papagei.

Ihr Todeskampf begann. Ein Röcheln, das immer schneller ward, hob ihr die Seiten. Schaumblasen traten aus ihren Mundwinkeln hervor, und ihr ganzer Leib zitterte.

Alsbald unterschied man das Dröhnen der Posaunen, die hellen Stimmen der Kinder, die tiefen der Männer. In bestimmten Zwischenräumen war alles still, und das Geräusch der Tritte auf den Blumen, die sie dämpften, klang wie das Getrappel einer Herde im Gras.

Die Geistlichkeit trat in den Hof. Die alte Simon kletterte auf einen Stuhl, um das. runde Guckloch zu erreichen und überblickte so die Station.

Grüne Girlanden hingen über den mit einer Maschinenspitze geschmückten Altar. In der Mitte stand ein kleiner Rahmen, der Reliquien enthielt, an den Ecken zwei Orangenbäume und längshin silberne Leuchter und Porzellanvasen mit hohen Sträußen von Sonnenblumen, Lilien, Pfingstrosen, Fingerhut und Hortensiadolden. Dieser Berg von leuchtenden Farben fiel vom ersten Absatz bis zum Teppich schräg ab und setzte sich auf dem Pflaster fort. Und allerlei seltsame Dinge zogen die Blicke auf sich. Eine vergoldete Zuckerdose war mit Veilchen umkränzt; Ohrgehänge aus Alençon-Kuarz glänzten auf Moos; zwei chinesische Schirme zeigten ihre Landschaften. Lulu war unter Rosen versteckt und ließ nur seine blaue Stirn sehen, die wie ein Stück Lapislazuli schimmerte.

Der Kirchenvorsteher, die Sänger, die Kinder nahmen an den drei Seiten des Hofes Aufstellung. Der Priester schritt langsam die Stufen empor und stellte seine große strahlende Goldsonne auf die Spitzendecke. Alles kniete nieder. Tiefste Stille trat ein. Und die Weihrauchfässer klirrten im vollen Schwunge leise an ihren Ketten.

Blauer Rauch ringelte sich in Felicitas' Kammer. Sie weitete die Nasenflügel und sog ihn in verzückter Wollust ein. Dann schloß sie die Lider. Ihre Lippen lächelten. Ihre Herzschläge wurden mit jedem Male langsamer, weicher, leiser, wie ein verrinnender Quell, wie verklingendes Echo; und als sie ihren letzten Atemzug tat, wähnte sie im eröffneten Himmel sich zu Häupten einen riesigen Papagei schweben zu sehen.


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