Gustave Flaubert
Ein einfältig Herz
Gustave Flaubert

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IV

Er hieß Lulu. Am Leibe war er grün, an den Flügelspitzen rosa, an der Stirn blau und an der Kehle goldig. Leider hatte er lästige Unarten. Er zerbiß seine Stange, rupfte sich Federn aus, warf seinen Unrat umher und verschüttete das Wasser seines Badekästchens. Als Frau Aubain seiner überdrüssig ward, schenkte sie ihn Felicitas für immer.

Sie begann ihn in die Schule zu nehmen. Bald sprach er ihr nach: »Lieber Junge! Ihr Diener, mein Herr! Gruß dir, Maria!« Er hatte seinen Platz an der Tür. Allgemein wunderte man sich, daß er nicht auf den Namen »Jakob« hörte, da doch alle Papageien »Jakob« heißen. Man sagte, er sei eine »dumme Pute!« – ein »stumpfsinniger August!« Das versetzte Felicitas jedesmal einen Dolchstoß! Was für ein sonderbarer Eigensinn auch von Lulu, mit sprechen aufzuhören, sobald man ihn ansah!

Trotzdem sehnte er sich nach Gesellschaft. Denn am Sonntag, wenn die Fräuleins Rochefeuille, Herr von Houppeville und neue Freunde, der Apotheker Onfroy, Herr Varin und der Landwehrhauptmann Malhieu ihr Spielchen machten, schlug er mit den Flügeln an die Scheiben und gebärdete sich so unbändig, daß man sein eigenes Wort nicht verstand.

Bourais kam ihm offenbar sehr spaßig vor. Sobald er seiner ansichtig ward, begann er zu lachen, zu lachen, so laut er nur konnte. Sein Gelärm scholl über den ganzen Hof, und das Echo wiederholte es. Die Nachbarn kamen an die Fenster und lachten ebenfalls. Damit der Vogel ihn nicht bemerke, duckte sich Herr Bourais an der Mauer hin und verdeckte sein Gesicht mit dem Hut. So schlich er bis zum Fluß und trat dann durch die Gartenpforte ein, wobei die Blicke, die er dem Vogel zuwarf, nicht gerade zärtlich waren.

Lulu hatte einmal von dem Fleischergesellen einen Nasenstüber erhalten, weil er sich erlaubt hatte, den Kopf in seinen Korb zu stecken. Seitdem suchte er stets, ihn durch sein Hemd zu zwicken. Fabu drohte, er werde ihm den Hals umdrehen, obwohl er kein grausamer Mensch war, trotz der Tätowierung auf seinem Arm und seinem großen Backenbart. Im Gegenteil, er hatte geradezu eine Vorliebe für den Papagei, und die ging so weit, daß er ihm zum Spaß Flüche beizubringen versuchte. Felicitas, die derlei garstig fand, stellte den Vogelkäfig in die Küche. Dem Vogel ward die Kette abgenommen, und er spazierte frei im Haus umher.

Wenn er die Treppe hinunterwollte, stemmte er seinen krummen Schnabel auf die Stufen, hob erst den rechten Fang, dann den linken. Felicitas war in tausend Ängsten, er könne bei dieser Turnerei Schwindel bekommen. In der Tat wurde er krank, konnte weder fressen noch sprechen. Es hatte sich unter seiner Zunge eine Verdickung gebildet, wie sie die Hühner bisweilen haben. Sie heilte ihn, indem sie die kleine Geschwulst mit den Nägeln herausriß. Eines Tages war Herr Paul so unverständig und blies ihm Zigarrenrauch in die Nasenlöcher. Ein andermal reizte ihn Frau Lormeau mit der Spitze ihres Sonnenschirms; da riß er ihm die Zwinge ab. Schließlich war er verschwunden.

Sie hatte ihn aufs Gras gesetzt, damit er sich erfrische, und sich einen Augenblick entfernt; und wie sie wiederkam, war kein Papagei mehr da! Sie suchte ihn zunächst in den Büschen, am Flußufer und auf den Dächern, ohne auf ihre Herrin zu hören, die ihr nachrief:

»Sei nur vorsichtig! Du bist verrückt!«

Dann suchte sie alle Gärten von Pont-l'Évêque ab, wobei sie die Vorübergehenden anhielt:

»Haben Sie zufällig vielleicht meinen Papagei gesehen?«

Wenn jemand den Papagei nicht kannte, beschrieb sie ihn. Auf einmal glaubte sie unten am Hügel hinter den Mühlen etwas Grünes flattern zu sehen. Aber auf dem ganzen Hügel war nichts! Ein Hausierer versicherte ihr, er habe ihn »gleich vorhin« in Saint-Melaine im Laden der Mutter Simon gesehen. Felicitas lief hin. Man verstand nicht, was sie wollte. Schließlich kehrte sie zurück, ganz erschöpft, die Hausschuhe zerrissen, totunglücklich; und wie sie so auf der Bank neben ihrer Herrin saß und erzählte, wo sie überall hingelaufen war, da fiel ihr eine leichte Last auf die Schultern: Lulu! – Weiß der Teufel, was er gemacht hattet Vielleicht einen Spaziergang in die Umgegend.

Von diesem schrecklichen Erlebnis erholte sie sich nur schwer, oder vielmehr, sie erholte sich niemals wieder.

Sie erkältete sich und bekam eine Halsentzündung; kurze Zeit danach ein Ohrenleiden. Nach drei Jahren war sie taub; sie sprach sehr laut, sogar in der Kirche. Obwohl ihre Sünden, ohne Schande für sie und ohne Anstoß in der Welt, bis in alle Winkel der Gemeinde hätten vernommen werden können, hielt es der Herr Pfarrer doch für angebracht, ihr die Beichte nur noch in der Sakristei abzunehmen.

Eingebildete Geräusche verwirrten sie vollends. Oft sagte ihre Herrin zu ihr:

»Gott, bist du dumm!«

Sie gab zur Antwort:

»Jawohl, gnädige Frau!« und begann um sich herum zu suchen.

Ihr kleiner Gedankenkreis verengte sich noch mehr. Glockengeläut und Rindergebrüll waren für sie nicht mehr vorhanden. Alle Wesen bewegten sich mit der Lautlosigkeit von Gespenstern. Nur ein einziges Geräusch kam ihr noch zu Gehör: die Stimme des Papageis.

Als wolle er sie unterhalten, ahmte er das Krick-Krack des Bratenwenders nach, den gellenden Ruf eines Fischhändlers, die Säge des Tischlers, der gegenüber wohnte; und wenn es an der Haustüre läutete, rief er wie Frau Aubain:

»Felicitas! Es klingelt! Es klingelt!«

Sie führten Zwiegespräche miteinander. Dabei wiederholte er bis zum Überdruß die drei Sätze seines Sprachschatzes, und sie antwortete mit Worten, die auch nicht mehr Zusammenhang hatten, in denen aber ihr Herz überströmte. In ihrer Vereinsamung war ihr Lulu schier ein Sohn, ein Geliebter. Er kletterte auf ihre Finger, knapperte an ihren Lippen, krallte sich an ihr Busentuch, und wenn sie die Stirn senkte und den Kopf wiegte, wie es die Ammen tun, flatterten die großen Flügel der Haube und die Fittiche des Vogels um die Wette.

Wenn die Wolken sich türmten und der Donner grollte, stieß er, vielleicht in Erinnerung an die Regengüsse im heimatlichen Walde, laute Schreie aus. Das Rieseln des Wassers steigerte seine Raserei. Er flatterte außer sich hin und her; schoß zur Decke hinauf; warf alles um und entwich durch das Fenster, um im Garten einherzuwaten, kam aber schnell wieder auf einen der Schemel zurück und zeigte, hüpfend, um seine Federn zu trocknen, bald seinen Schwanz, bald seinen Schnabel.

Eines Morgens in dem furchtbaren Winter von 1837, als sie ihn der Kälte wegen vor den Herd gestellt hatte, fand sie ihn mitten in seinem Käfige tot, den Kopf nach unten, die Krallen in den Stangen. Zweifellos hatte ihn ein Blutschlag getötet. Sie glaubte, er sei durch Petersilie vergiftet worden, und ohne daß sie irgendeinen Beweis dafür hatte, fiel ihr Verdacht auf Fabu.

Sie weinte dermaßen, daß ihre Herrin zu ihr sagte:

»Weißt du? Laß ihn doch ausstopfen?«

Sie fragte den Apotheker, der immer gut zu ihrem Papagei gewesen war, um Rat. Der schrieb nach Le Havre.

Ein gewisser Fellacher übernahm derlei Arbeiten. Da aber auf der Post manchmal Pakete verlorengehen, entschloß sie sich, den toten Vogel persönlich nach Honfleur zu bringen.

Längs der Straße waren die Apfelbäume kahl, einer wie der andere. Die Gräben waren von Eis bedeckt. An den Gehöften bellten Hunde. Die Hände unter ihrem Umhänge, schritt sie in ihren schwarzen Halbschuhen dahin, Ihren Korb am Arm, auf der Mitte der gepflasterten Heeresstraße.

Sie durchquerte den Wald; bald hatte sie Haute-Chêne hinter sich und erreichte Saint-Gatien.

In eine Staubwolke gehüllt, dahinstürmend wie eine Windhose, im scharfen Tempo der Talfahrt, kam rückwärts ein Postwagen angerast. Als der Schaffner die Frau bemerkte, die sich in ihrem Gange nicht stören ließ, reckte er sich hoch, über das Verdeck weg, und auch der Kutscher schrie; aber die vier Pferde, die er nicht zurückzuhalten vermochte, liefen nur noch stärker. Die Vorderpferde streiften sie. Der Kutscher riß sie an den Zügeln zur Seite bis an den Fußsteig. Aber in seiner Wut holte er, in voller Fahrt, mit seiner langen Peitsche aus und versetzte ihr einen solchen Hieb vom Leib bis zum Nacken, daß sie rücklings hinfiel.

Als sie wieder zu sich kam, war es ihr erstes, daß sie ihren Handkorb aufmachte. Lulu war unversehrt. Ein Glück! Die rechte Wange brannte ihr. Sie griff mit den Händen daran. Sie waren rot. Das Blut rann herab.

Sie setzte sich auf einen Meilenstein, tupfte sich das Gesicht mit ihrem Sacktuche ab. Dann aß sie ein Stück Brot, das sie vorsorglich in den Korb getan hatte, und, indem sie den Vogel anschaute, tröstete sie sich ob ihrer Wunde.

Dann, auf der Höhe von Ecquemauville erblickte sie die Lichter von Honfleur, die wie eine Menge Sterne durch die Nacht flimmerten. Weiter weg dehnte sich das umrißlose Meer. Von Schwäche übermannt, mußte sie stehenbleiben. Und das Elend ihrer Kinderzeit, ihre fehlgegangene erste Liebschaft, die Abfahrt ihres Neffen, der Tod Virginias, alles das überflutete sie wie wildes Wasser, stieg ihr bis an die Kehle und nahm ihr den Atem.

Fellacher behielt den Papagei lange. Er versprach ihn von Woche zu Woche. Nach einem halben Jahre meldete er, eine Kiste sei abgegangen. Seitdem war nichts mehr zu hören. Man mußte annehmen, Lulu werde nimmer wiederkommen. »Er ist mir wohl gestohlen worden,« dachte sie.

Endlich kam er doch – und wie schön! Er saß aufrecht auf einem Baumast, der in einem Mahagonigestell stak, hielt einen Fang in die Höhe, den Kopf schräg, und im Schnabel hatte er eine Nuß, die der Ausstopfer aus Hang zum Großartigen vergoldet hatte.

Sie schloß ihn in ihre Kammer ein.

Dies Gemach, in das sie selten jemanden einließ, sah wie eine Kapelle und zugleich wie eine Trödelbude aus; so viele fromme Sachen und wunderliche Dinge waren darin.

Ein großer Schrank versperrte die halbe Tür. Gegenüber dem Fensterchen, von dem man den Garten überblickte, ging eine runde Luke nach dem Hof. Auf einem Tisch, neben dem Gurtenbett, sah man einen Wasserkrug, zwei Haarkämme, ein viereckiges Stück blaue Seife in einem bestoßenen Napf. An den Wänden hingen Rosenkränze, Denkmünzen, mehrere heilige Jungfrauen, ein Weihwasserbecken aus Kokosnuß. Auf der Kommode, die mit einem Tuch wie ein Altar bedeckt war, stand das Muschelkästchen, das ihr Viktor geschenkt hatte, ferner eine Gießkanne, eine bauchige Flasche, Schreibhefte, das Geographiebuch mit den Kupferstichen, ein Paar Kinderschuhe; und am Spiegelhaken, mit den Bändern angebunden, hing der kleine Plüschhut. Felicitas trieb diese sonderbare Pietät so weit, daß sie einen der Röcke des gnädigen Herrn aufbewahrte. Allen alten Plunder, den Frau Aubain bei Seite warf, nahm sie in ihre Stube. So hatte sie Papierblumen an der Kommode stecken und das Bild des Grafen von Artois in der Lukennische.

Vermittelst eines Brettchens wurde Lulu auf das Kaminrohr gesetzt, das ein Stück aus der Wand trat. Jeden Morgen, wenn sie aufwachte, erblickte sie ihn im dämmerigen Frühlicht und erinnerte sich der vergangenen Tage sowie geringfügiger Geschehnisse bis in die kleinsten Einzelheiten, ohne Schmerz, in voller Ruhe.

Da sie mit niemandem Umgang pflog, lebte sie im Stumpfsinn eines Schlafwandlers hin. Nur die Umzüge am Fronleichnam rüttelten sie auf. Da bettelte sie in der Nachbarschaft Wachskerzen und Strohmatten zusammen, um die Altarstation, die auf der Straße errichtet ward, auszuschmücken.

In der Kirche betrachtete sie immerfort das Symbol des Heiligen Geistes, wobei sie fand, es habe etwas von ihrem Papagei. Diese Ähnlichkeit war ihr noch auffälliger auf einem Epinaler Bilderbogen, der die Taufe des Herrn Jesu Christi darstellte. Mit seinen purpurroten Flügeln und seinem smaragdgrünen Leib war er wirklich das Abbild Lulus.

Sie kaufte das Blatt und hing es an den Platz des Grafen von Artois, so daß sie mit ein und demselben Blick den Vogel und auch das Bild sehen konnte. Beide vereinigten sich in ihren Gedanken. Der Papagei wurde durch diesen Zusammenhang mit dem Heiligen Geist geheiligt, und dieser ward ihr nun anschaulicher und begreiflicher. Der liebe Gott, meinte sie, hätte zu seinem Verkünder gar keine Taube wählen sollen, sondern besser einen Vorfahren Lulus. Felicitas betete im Anschauen des Bildes, aber hin und wieder wandte sie sich etwas nach dem Vogel.

Sie hatte Lust, in den Orden der heiligen Jungfrau zu treten. Frau Aubain brachte sie davon ab.

Ein wichtiges Ereignis geschah: Paul heiratete.

Zuerst war er Kanzlist bei einem Notar gewesen, dann Handlungsgehilfe, dann Zollbeamter, dann bei der Steuer, und sogar bei der Forst- und Wasserverwaltung hatte er sich zu betätigen versucht; da entdeckte er mit einem Male durch eine Eingebung des Himmels seinen Beruf: die Registratur. Hierzu offenbarte er so hohe Fähigkeiten, daß ein Registratur ihm seine Gönnerschaft zugleich mit seiner Tochter anbot.

Paul, der ein gesetzter Mann geworden war, führte sie seiner Mutter zu. Die Braut machte sich über das Tun und Treiben zu Pont-l'Évêque lustig, spielte die Prinzessin und kränkte Felicitas. Bei ihrer Wiederabreise atmete Frau Aubain auf.

In der Woche darauf ward der Tod des Herrn Bourais bekannt, der in der Nieder-Bretagne in einem Gasthofe erfolgt war. Das Gerücht, er habe Selbstmord verübt, bestätigte sich, und es erhoben sich Zweifel an seiner Rechtschaffenheit. Frau Aubain prüfte ihre Abrechnungen nach und kam alsbald hinter eine Reihe von Schändlichkeiten: Zinsenunterschlagungen, heimliche Holzverkäufe, gefälschte Quittungen usw. Überdies hatte er ein uneheliches Kind und »ein Verhältnis mit einem Frauenzimmer« in Dozulé.

Diese Gemeinheiten betrübten sie tief. Im März 1853 wurde sie von Brustschmerzen befallen. Ihre Zunge war wie mit Rauch belegt. Blutegel hoben die Beschwerden nicht, und am neunten Abend verschied sie, genau zweiundsiebzig Jahre alt.

Für so betagt hatte man sie nicht gehalten wegen ihres braunen Haares, das gescheitelt ihr blasses pockennarbiges Gesicht umrahmte. Nur wenige Freunde trauerten ihr nach, weil ihr Benehmen so hochmütig gewesen, daß man ihr ferngeblieben war.

Felicitas beweinte sie, wie keine Herrschaft beweint wird. Daß die gnädige Frau das Zeitliche vor ihr gesegnet hatte, wollte ihr gar nicht in den Kopf. Das dünkte sie wider die Ordnung der Dinge, unzulässig, ungeheuerlich.

Zehn Tage darauf – so lange braucht man von Besançon nach Pont-l'Évêque – trafen die Erben ein. Die Schwiegertochter durchstöberte alle Schubkästen, wählte Möbelstücke aus, verkaufte die andern. Dann fuhren sie nach dem Orte der Registratur zurück.

Der Großvaterstuhl der gnädigen Frau, ihr Nähtisch, ihr Fußwärmer, die acht Stühle waren weg! Die Stellen, wo die Stiche gehangen, hoben sich als gelbe Vierecke an den Wänden ab. Die beiden Bettstellen samt den Matratzen waren mitgenommen worden, und im Wandschränke war von allen den Sachen Virginias nichts mehr zu erblicken! Felicitas lief, trunken vor Trübsal, von einem Stock in den andern.

Anderntags klebte an der Haustür ein Anschlag. Der Apotheker schrie ihr ins Ohr, das Haus sei zu verkaufen.

Sie taumelte und mußte sich setzen.

Was sie hauptsächlich trostlos machte, war der Gedanke, daß sie nun wohl ihre Kammer verlassen mußte, in der sich der liebe Lulu so wohl fühlte. Den Blick voller Herzensnot auf ihn geheftet, flehte sie den Heiligen Geist an und gewöhnte sich fortan wie eine Götzendienerin, ihre Gebete kniend vor dem Papagei herzusagen. Manchmal traf die Sonne, die durch die Luke eindrang, sein Glasauge und entlockten ihm einen sprühenden Strahl, der sie in Verzückung versetzte.

Ihre Herrin hatte ihr ein Jahresgeld von einhundertfünfundzwanzig Talern vermacht. Der Garten lieferte ihr Gemüse. An Kleidern hatte sie so viel, daß es wohl bis an ihr Lebensende langte, und Beleuchtung brauchte sie nicht, da sie zu Bett ging, sobald es dunkel ward.

Sie ging ganz selten aus, um nicht am Laden des Trödlere vorbei zu müssen, wo etliche der alten Möbel feilstanden. Seit ihrem Schwindelanfall hinkte sie auf einem Beine. Und als ihre Kräfte abnahmen, kam die alte Simon, die ihr Vermögen bei ihrem Kolonialwarenhandel eingebüßt hatte, jeden Morgen, um ihr Holz zu spalten und Wasser zu plumpen.

Ihre Augen wurden schwach. Die Holzläden blieben geschlossen. Und so ging Jahr auf Jahr dahin. Das Haus fand weder einen Mieter noch einen Käufer.

Aus Furcht; man könne sie hinaussetzen, verlangte Felicitas keine Ausbesserung. Die Latten des Dachstuhles faulten. Einen ganzen Winter hindurch tropfte es alle Tage auf ihr Lager. Nach Ostern bekam sie Blutspucken.

Da holte die alte Simon den Doktor. Felicitas wollte wissen, was ihr fehle. Aber, schwerhörig wie sie war, verstand sie bloß das eine einzige Wort: »Lungenentzündung.« Das war ihr bekannt, und so erwiderte sie leise:

»Aha! Wie die gnädige Frau!«

Sie fand es in der Ordnung, daß sie hierin ihrer Herrschaft Folge leistete.

Die Zeit der Ruhe-Altäre kam heran.

Der erste Altar stand immer am Fuße des Hügels; der zweite vor der Post; der dritte ungefähr in der Mitte der Hauptstraße. Wegen dieses letzteren kam es zu Streiterei, und die Frauen der Gemeinde wählten schließlich den Aubainschen Hof.

Atemnot und Fieber nahmen zu. Felicitas grämte sich, daß sie nicht auch etwas für den Altar tun konnte. Wenn sie nur wenigstens etwas daraufzustellen hätte! Da dachte sie an den Papagei. Das sei nicht angängig, wandten die Nachbarinnen ein. Aber der Herr Pfarrer gab die Erlaubnis. Darüber war sie so glücklich, daß sie ihn bat, wenn sie tot wäre, Lulu, ihren einzigen Schatz, anzunehmen.

Vom Dienstag bis zum Sonnabend, den Tag vor Fronleichnam, hustete sie immer mehr. Am Abend war ihr Gesicht zusammengeschrumpft; die Lippen klebten ihr am Zahnfleisch. Sie erbrach mehrere Male, und am anderen Morgen, ganz in der Frühe, ließ sie einen Geistlichen holen.

Während der letzten Ölung weilten drei Frauen bei ihr. Darauf erklärte sie, sie müsse mit Fabu sprechen.

Er kam im Sonntagsstaate, und in der dumpfen Luft war ihm unbehaglich.

»Vergebt mir!« flüsterte sie und bemühte sich, den Arm auszustrecken. »Ich habe geglaubt, Ihr hättet ihn umgebracht.«

Was sollte dies Geschwätz bedeuten? Daß man ihn im Verdacht eines Mordes gehabt, einen Mann wie ihn! Er war entrüstet und wollte Lärm schlagen.

»Sie ist nicht mehr bei Sinnen! Das seht Ihr doch!«

Von Zeit zu Zeit redete Felicitas mit Erscheinungen. Die alten Weiber entfernten sich. Die Simon frühstückte.

Eine Weile später nahm sie Lulu und hielt ihn Felicitas hin.

»Da! Nehmt Abschied von ihm!«

Obwohl er einbalsamiert war, zerfraßen ihn doch die Würmer. Ein Flügel war gebrochen. Das Werg quoll ihm aus dem Leibe. Blind, wie sie nun war, küßte sie ihn doch auf die Stirn und drückte ihn an ihre Wange. Die alte Simon nahm ihn dann wieder und trug ihn auf den Altar.


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