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Zehnte Vorlesung

Ehrwürdige Versammlung,

Fassen Sie heute nochmals die ganze hier vor Ihren Augen erzeugte Abhandlung jetzt, da wir sie zu beschließen gedenken, in Einem Blicke zusammen.

Das Leben an sich ist Eines, bleibt ohne alle Wandelbarkeit sich selbst gleich und ist, da es die vollendete Ausfüllung der in ihm ruhenden Liebe des Lebens ist, vollendete Seligkeit. Dieses wahre Leben ist im Grunde allenthalben, wo irgendeine Gestalt und ein Grad des Lebens angetroffen wird; nur kann es durch Beimischung von Elementen des Todes und des Nichtseins verdeckt werden, und sodann drängt es, durch Qual und Schmerz und durch Abtötung dieses unvollkommnen Lebens, seiner Entwicklung sich entgegen. Wir haben diese Entwicklung des wahren Lebens aus dem unvollkommnen und Scheinleben, womit es anfangs verdeckt sein kann, mit unsern Augen begleitet, und gedenken heute dieses Leben einzuführen in seinen Mittelpunkt, und es Besitz nehmen zu lassen von aller seiner Glorie. Wir charakterisierten in der letzten Rede das höchste wirkliche Leben, d. h., da die Wirklichkeit durchaus in einer Reflexionsform stehen bleibt, die absolut unaustilgbare Form aber der Reflexion die Unendlichkeit ist, dasjenige Leben, das in der unendlichen Zeit abfließet und das persönliche Dasein des Menschen zu seinem Werkzeuge gebraucht und drum als ein Handeln erscheinet, unter der Benennung der höheren Moralität. Wir mußten freilich gestehen, daß, wegen der durch das Reflexionsgesetz unabänderlich gesetzten Trennung des Einen göttlichen Wesens in mehrere Individuen, jedes besondern Individuums Handeln nicht umhin könne, einen von ihm allein nicht abhängenden Erfolg außer sich in der übrigen Welt der Freiheit anzustreben; daß jedoch auch durch das Außenbleiben dieses Erfolgs die Seligkeit dieses Individuums nicht gestört werde, falls es nur zum wahren Verständnisse dessen, was es eigentlich unbedingt, und zur Unterscheidung dieses ersten von dem, was es nur unter Bedingung anstrebe, als zu der eigentlichen Religiosität, sich erhebe. Besonders der letzte Punkt war es, über welchen ich auf unsere heutige Rede verwies und in dieser eine tiefere Erörterung desselben versprach.

Ich vorbereite diese Erörterung durch Erfassung unsers ganzen Gegenstandes aus seinem tiefsten Standpunkte.

Das Sein – ist da; und das Dasein des Seins ist notwendig Bewußtsein oder Reflexion nach bestimmten, in der Reflexion selber liegenden und aus ihr zu entwickelnden Gesetzen; dieses ist der von allen Seiten nunmehro sattsam auseinandergesetzte Grund unsrer ganzen Lehre. Das Sein allein ist es, das da Ist in dem Dasein, und durch dessen Seien in ihm allein das Dasein ist, und das da ewig bleibet in ihm, wie es in sich selber ist, und ohne dessen Sein in ihm das Dasein in nichts schwände; niemand zweifelt daran, und niemand, der es nur versteht, kann daran zweifeln. In dem Dasein aber als Dasein, oder in der Reflexion, wandelt schlechthin unmittelbar das Sein seine durchaus unerfaßbare, höchstens als reines Leben und Tat zu beschreibende Form in ein Wesen, in eine stehende Bestimmtheit; wie wir uns denn auch über das Sein nie anders ausgesprochen haben, und nie jemand sich anders darüber aussprechen wird, als so, daß wir von seinem innern Wesen redeten. Ob nun gleich an sich unser Sein ewig fort das Sein des Seins ist und bleibt und nie etwas anderes werden kann, so ist doch das, was wir selbst und für uns selbst sind, haben und besitzen – in der Form unsrer selbst, des Ich, der Reflexion, im Bewußtsein – niemals das Sein an sich, sondern das Sein in unsrer Form, als Wesen. Wie hängt denn nun das in die Form schlechthin nicht rein eintretende Sein dennoch mit der Form zusammen? Stößt dieselbe nicht unwiederbringlich aus von sich, und stellt nicht hin ein zweites, durchaus neues Sein, welches neue und zweite Sein eben durchaus unmöglich ist? Antwort: setze nur statt alles Wie ein bloßes Daß. Sie hängt schlechthin zusammen; es gibt schlechthin ein solches Band, welches, höher denn alle Reflexion, aus keiner Reflexion quellend und keiner Reflexion Richterstuhl anerkennend, mit und neben der Reflexion ausbricht. In dieser Begleitung der Reflexion ist dieses Band Empfindung, und da es ein Band ist, Liebe, und da es das Band des reinen Seins ist und der Reflexion, die Liebe Gottes. In dieser Liebe ist das Sein und das Dasein, ist Gott und der Mensch Eins, völlig verschmolzen und verflossen (sie ist der Durchkreuzungspunkt des obengenannten A und B); des Seins Tragen und Halten seiner Selbst in dem Dasein ist seine Liebe zu sich, die wir nur nicht als Empfindung zu denken haben, da wir sie überhaupt nicht zu denken haben. Das Eintreten dieses seines Sich-selbst-Haltens neben der Reflexion, d. h. die Empfindung dieses seines Sich-selbst-Haltens, ist Unsere Liebe zu Ihm; oder, nach der Wahrheit, seine eigne Liebe zu sich selber, in der Form der Empfindung; indem wir ihn nicht zu lieben vermögen, sondern nur er selbst es vermag, sich zu lieben in uns Daß die (intellektuelle) Liebe des Menschen zu Gott nur ein Teil der unendlichen Liebe ist, mit welcher Gott sich selbst umfaßt, d. i. in seinem Dasein beständig bejaht, ist eine Konsequenz der pantheistischen Spekulation, die unter den Neueren zuerst Spinoza mit aller Deutlichkeit gezogen und klassisch ausgesprochen hat: mentis erga Deum amor intellectualis pars est infiniti amoris, quo Deus se ipsum amat (eth. V. 36). – Fichte hat dieses Bekenntnis wiederholt in der ersten Erlanger Vorlesung über das Wesen des Gelehrten 1805 (Reclam S. 71): Jedes Dasein hält und trägt sich selber; und im lebendigen Dasein ist dieses Sich-Selbst-Erhalten und das Bewußtsein davon Liebe seiner selbst. Die ewige göttliche Idee kommt in einzelnen Individuen zum Dasein: dieses Dasein der göttlichen Idee in ihnen umfaßt nun sich selber mit unaussprechlicher Liebe; und dann sagen wir, dem Scheine uns bequemend, dieser Mensch liebt die Idee und lebt in der Idee, da es doch, nach der Wahrheit, die Idee selbst ist, welche an seiner Stelle und in seiner Person lebt und sich liebt..

Diese, nicht die seinige, noch die unsrige, sondern diese erst uns beide zu zweien scheidende, sowie zu Einem bindende Wechselliebe ist nun zuvörderst die Schöpferin unsers oft erwähnten leeren Begriffs eines reinen Seins oder eines Gottes. Was ist es denn, das uns hinausführt über alles erkennbare und bestimmte Dasein und über die ganze Welt der absoluten Reflexion? Unsere durch kein Dasein auszufüllende Liebe ist es. Der Begriff tut dabei nur dasjenige, was er eben allein kann; er deutet und gestaltet diese Liebe, rein ausleerend ihren Gegenstand, der nur durch ihn zu einem Gegenstande wird, von allem, was diese Liebe nicht befriedigt, nichts ihm lassend als die reine Negation aller Begreiflichkeit, nebst der ewigen Geliebtheit. Was ist es denn, das uns Gottes gewiß macht, außer die schlechthin auf sich selbst ruhende und über allen, nur in der Reflexion möglichen Zweifel erhabene Liebe? Und was macht diese Liebe auf sich selber ruhen, außer das, daß sie unmittelbar das Sichtragen und Sichzusammenhalten des Absoluten selber ist? – Nicht die Reflexion, E. V., welche vermöge ihres Wesens sich in sich selber spaltet und so mit sich selbst sich entzweit; nein, die Liebe ist die Quelle aller Gewißheit und aller Wahrheit und aller Realität.

Der eben dadurch zu einem inhaltleeren Begriffe ausfallende Begriff von Gott deutet die Liebe überhaupt, sagte ich. Im lebendigen Leben hingegen – ich bitte dieses zu bemerken – ist diese Liebe nicht gedeutet, sondern sie ist und sie hat und hält das Geliebte, keinesweges etwa im Begriffe, der ihr nie nachkommt, sondern eben unmittelbar in der Liebe, und zwar also, wie es in sich selber ist, weil sie ja nichts anderes ist, als das Sich-selbst-Halten des absoluten Seins. Dieser Gehalt und Stoff der Liebe nun ist es, welchen die Reflexion des Lebens zuvörderst zu einem stehenden und objektiven Wesen macht, sodann dieses also entstandene Wesen in die Unendlichkeit fort wiederum spaltet und anders gestaltet, und so ihre Welt erschafft. Ich frage: was gibt denn für diese Welt, an der die Form des Wesens und die Gestalt offenbar das Produkt der Reflexion sind, den eigentlichen Grundstoff her? Offenbar die absolute Liebe; die absolute, wie Sie nun sagen wollen – Gottes zu seinem Dasein, oder – des Daseins zum reinen Gotte. Und was bleibt der Reflexion? – ihn objektiv hinzustellen und ins Unendliche fortzugestalten. Aber selbst in Absicht des letzteren, was ist es, das die Reflexion nirgends stillstehen läßt, sondern sie unaufhaltsam forttreibt von jedem Reflektierten, bei dem sie angekommen ist, zu einem folgenden, und von diesem zu seinem folgenden? Die unaustilgbare Liebe ist es zu dem der Reflexion notwendig entfliehenden, hinter aller Reflexion sich verbergenden und darum notwendig in alle Unendlichkeit hinter aller Reflexion aufzusuchenden reinen und realen Absoluten; diese ist es, welche sie forttreibt durch die Ewigkeit und sie ausdehnt zu einer lebendigen Ewigkeit. Die Liebe daher ist höher, denn alle Vernunft, und sie ist selbst die Quelle der Vernunft und die Wurzel der Realität und die einzige Schöpferin des Lebens und der Zeit; und ich habe dadurch, E.V., den höchsten realen Gesichtspunkt einer Seins- und Lebens- und Seligkeitslehre, d.i. der wahren Spekulation, zu welchem wir bis jetzt hinaufstiegen, endlich klar ausgesprochen.

(Endlich, die Liebe ist, so wie überhaupt Quelle der Wahrheit und Gewißheit, ebenso auch die Quelle der vollendeten Wahrheit in dem wirklichen Menschen und seinem Leben. Vollendete Wahrheit ist Wissenschaft; das Element aber der Wissenschaft ist die Reflexion. Sowie nun diese letztere sich selbst klar wird als Liebe des Absoluten und dasselbe, wie sie nun notwendig muß, erfasset als schlechthin über alle Reflexion hinausliegend und derselben in jeder möglichen Form unzugänglich, geht sie erst ein in die reine, objektive Wahrheit; so wie sie eben dadurch allein auch fähig wird, die Reflexion, die sich ihr vorher noch immer mit der Realität vermischte, rein auszuscheiden und aufzufassen und alle Produkte derselben an der Realität erschöpfend aufzustellen und so eine Wissenslehre zu begründen. – Kurz, die zu göttlicher Liebe gewordne und drum in Gott sich selbst rein vernichtende Reflexion ist der Standpunkt der Wissenschaft, welchen ich bei dieser schicklichen Gelegenheit im Vorbeigehen mit angeben wollte.)

Um dies in einer leicht zu behaltenden Form Ihnen zu geben und an schon Geläufiges anzuknüpfen! – Schon zweimal haben wir die Johanneischen Worte: Im Anfang war das Wort usw., in unsern im unmittelbaren Gebrauche befindlichen Ausdruck umgesetzt. Zuerst also: im Anfange und schlechthin bei dem Sein war das Dasein. Sodann, nachdem wir die mannigfaltigen innern Bestimmungen des Daseins näher erkannt und dieses Mannigfaltige unter der Benennung Form zusammengefaßt hatten, also: Im Anfange und schlechthin bei Gott oder dem Sein war die Form. Jetzt, nachdem wir das uns vorher für das wahre Dasein gegoltene Bewußtsein mit seiner ganzen mannigfaltigen Form nur als das Dasein aus der zweiten Hand und die bloße Erscheinung desselben, das wahre aber und absolute Dasein in seiner eigentümlichen Form als Liebe erkennen, sprechen wir jene Worte also aus: Im Anfange, höher denn alle Zeit, und absolute Schöpferin der Zeit, ist die Liebe; und die Liebe ist in Gott, denn sie ist sein Sich-selbst-Erhalten im Dasein; und die Liebe ist selbst Gott, in ihr ist er und bleibet er ewig, wie er in sich selbst ist. Durch sie, aus ihr als Grundstoff, sind vermittelst der lebendigen Reflexion alle Dinge gemacht, und ohne sie ist nichts gemacht, was gemacht ist; und sie wird ewig fort in uns und um uns herum Fleisch, und wohnet unter uns, und es hängt bloß von uns selbst ab, ihre Herrlichkeit als eine Herrlichkeit des ewigen und notwendigen Ausflusses der Gottheit immerfort vor Augen zu erblicken.

Das lebendige Leben Ist die Liebe und hat und besitzt als Liebe das Geliebte, umfaßt und durchdrungen, verschmolzen und verflossen mit ihm: ewig die Eine und dieselbe Liebe. Nicht die Liebe ist es, welche dasselbe äußerlich vor sich hinstellt und es zerspaltet, sondern das tut nur die Reflexion. Inwiefern daher der Mensch die Liebe ist – und dies ist er in der Wurzel seines Lebens immer und kann nichts anderes sein, obwohl er die Liebe seiner selbst sein kann – und inwiefern insbesondere er die Liebe Gottes ist, bleibt er immer und ewig das Eine, Wahre, Unvergängliche, so wie Gott selbst, und bleibet Gott selbst; und es ist nicht eine kühne Metapher, sondern es ist buchstäbliche Wahrheit, was derselbe Johannes sagt: wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und Gott in ihm. Seine Reflexion nur ist es, welche dieses sein eignes, keinesweges ein fremdes Sein, ihm erst entfremdet und in der ganzen Unendlichkeit zu ergreifen sucht dasjenige, was er selbst, immer und ewig und allgegenwärtig, ist und bleibt. Es ist daher nicht sein inneres Wesen, sein eigenes, ihm selbst und keinem Fremden angehöriges, das da ewig sich verwandelt; sondern nur die Erscheinung dieses Wesens, welches, im Wesen, der Erscheinung ewig unerschwinglich bleibt, ist es, was sich verwandelt. Das Auge des Menschen verdeckt ihm Gott und spaltet das reine Licht in farbige Strahlen, haben wir zu seiner Zeit gesagt S. 66 f.; jetzt sagen wir: Gott wird durch des Menschen Auge ihm verdeckt, lediglich darum, weil Er selbst sich durch dieses sein Auge verdeckt wird, und weil sein Sehen nie an sein eigenes Sein zu reichen vermag. Was er sieht, ist ewig er selber, wie wir auch schon oben sagten S. 66. – Vgl. Anm. 16.; nur sieht er sich nicht so, wie er selber ist; denn sein Sein ist Eins, sein Sehen aber ist unendlich.

Die Liebe tritt notwendig ein in der die? Reflexion und erscheinet unmittelbar als ein Leben, das eine persönlich sinnliche Existenz zu seinem Werkzeuge macht, also als ein Handeln des Individuum; und zwar als ein Handeln in einer durchaus ihr eignen, über alle Sinnlichkeit hinausliegenden Sphäre, in einer völlig neuen Welt. Wo die göttliche Liebe ist, da ist notwendig diese Erscheinung; denn so erscheint die erstere durch sich, ohne ein dazwischentretendes neues Prinzip; und wiederum, wo diese Erscheinung nicht ist, da ist auch die göttliche Liebe nicht. Es ist durchaus vergeblich, dem, der nicht in der Liebe ist, zu sagen: handle moralisch; denn nur in der Liebe geht die moralische Welt auf, und ohne sie gibt es keine; und ebenso überflüssig ist es, dem, der da liebt, zu sagen, handle; denn seine Liebe lebet schon durch sich selbst, und das Handeln, und das moralische Handeln, ist bloß die stille Erscheinung dieses seines Lebens. Das Handeln ist gar nichts an und für sich selbst, und es hat kein eignes Prinzip, sondern es entfließt still und ruhig der Liebe, so wie das Licht der Sonne zu entfließen scheint, und so wie der innern Liebe Gottes zu sich selbst die Welt wirklich entfließt Die hier noch einmal mit allem Nachdruck betonte Abhängigkeit der vollendeten Moral von der absoluten Religion ist auch in der 17. Vorlesung der »Grundzüge« (W W VII 251) deutlich ausgesprochen. Auf der Stufe der absoluten Religion, so heißt es hier, ist »das richtige Handeln ... selber die Ausübung und Ausströmung der höchsten inneren Seligkeit«.. So jemand nicht handelt, so liebt er auch nicht; und wer da glaubt zu lieben, ohne zu handeln, dessen Phantasie bloß ist durch ein von außen an ihn gebrachtes Bild der Liebe in Bewegung gesetzt, welchem Bilde keine innere, in ihm selbst ruhende Realität entspricht. Wer da sagt, ich liebe Gott, sagt derselbe Johannes, und, nachdem er die Bruderliebe, in einem gewissen sehr richtigen Sinne, selbst als die höhere Moralität aufgestellt hatte, und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner; oder, wie wir, unsrer Zeit angemessener, jedoch gar nicht milder sagen würden, der ist ein Phantast und hat nicht die Liebe Gottes in ihm bleibend – bleibend, realiter, sie ist nicht die Wurzel seines wahren Lebens, sondern er mag sie sich höchstens nur vorbilden.

Die Liebe ist ewig ganz und in sich gedrungen, sagten wir; und sie hat in sich, als Liebe, ewig die Realität ganz; bloß und lediglich die Reflexion ist es, welche teilt und spaltet. Darum ist auch – hierdurch kommen wir zu dem Punkte zurück, bei welchem wir in der vorigen Rede stehen blieben – darum ist auch die Spaltung des Einen göttlichen Lebens in verschiedene Individuen keinesweges in der Liebe, sondern sie ist lediglich in der Reflexion. Das sich unmittelbar als handelnd erscheinende Individuum sonach, und alle außer ihm erscheinenden Original: erscheinende. Individuen sind lediglich die Erscheinung der Einen Liebe, keinesweges aber die Sache selbst. In seinem eigenen Handeln soll die Liebe erscheinen, außerdem wäre sie nicht da: das moralische Handeln anderer aber ist nicht die ihm unmittelbar zugängliche Erscheinung der Liebe; desselben Ermangeln beweiset gar nicht unmittelbar die Abwesenheit der Liebe; drum wird, wie wir schon in der vorigen Rede uns ausdrückten, die Moralität und Religiosität anderer nicht unbedingt gewollt, sondern mit der Bescheidung in die Freiheit anderer; und die Abwesenheit dieser allgemeinen Moralität stört nicht den Frieden der durchaus auf sich selber ruhenden Liebe.

Die Moralität und Religiosität des ganzen übrigen Geisterreichs hängt mit dem Handeln jedes besondern Individuum zunächst zusammen, wie zu Bewirkendes mit seiner Ursache. Der Moralisch-Religiöse will Moralität und Religion allgemein verbreiten. Die Absonderung aber zwischen seiner und der andern Religiosität ist lediglich eine Absonderung in der Reflexion. Seine Affektion durch den Erfolg oder Nichterfolg muß daher nach dem Gesetze der Reflexion erfolgen. Aber, wie wir schon oben bei einer andern Gelegenheit S. 113 u. 118. ersehen haben, der eigentümliche Affekt der Reflexion ist Billigung oder Mißbilligung, welche freilich nicht eben kalt sein muß, sondern die um so leidenschaftlicher wird, je liebender der Mensch überhaupt ist. Einen Affekt aber führt die Reflexion auf die Moralität anderer allerdings bei sich; denn diese Reflexion ist die allerhöchste für den Religiösen, und die eigentliche Wurzel der ganzen, mit Affekt zu umfassenden Welt außer ihm, welche letztere für ihn rein und lediglich eine Geisterwelt ist.

Das soeben Gesagte liefert uns die Prinzipien, um die Gesinnung des Religiosen gegen andere, oder dasjenige, was man seine Menschenliebe nennen würde, tiefer zu charakterisieren, als es in der vorigen Rede geschehen konnte.

Zuvörderst ist von dieser religiösen Menschenliebe nichts entfernter, als jenes gepriesene Gutsein und immer gut sein und alles gut sein lassen. Die letzte Denkart, weit entfernt, die Liebe Gottes zu sein, ist vielmehr die in einer frühern Rede S. 108 f. sattsam geschilderte absolute Flachheit und innere Zerflossenheit eines Geistes, der weder zu lieben vermag, noch zu hassen. – Den religiösen Menschen kümmert nicht, es sei denn sein besonderer Beruf, für eine würdige Subsistenz der Menschen Sorge zu tragen, die sinnliche Glückseligkeit des Menschengeschlechts; und er will kein Glück für dasselbe, außer in den Wegen der göttlichen Ordnung. Durch die Umgebung sie selig machen zu wollen, kann er nicht begehren, ebensowenig als es Gott begehren kann; denn Gottes Wille und Ratschluß, auch über sein verbrüdertes Geschlecht, ist immer der seinige. So wie Gott will, daß keiner Friede und Ruhe finde außer bei ihm, und daß jeder, bis zur Vernichtung seiner selbst und der Einkehrung in Gott, immerfort geplagt und genagt sei, so will es auch der Gott ergebene Mensch. Wiederfindend ihr Sein in Gott, wird er ihr Sein lieben; ihr Sein außer Gott hasset er innig, und dies ist eben seine Liebe zu ihrem eigentlichen Sein, daß er ihr beschränkendes Sein hasset. Ihr wähnet, sagt Jesus, ich sei gekommen, Frieden zu bringen auf Erden – Frieden: eben jenes Gutseinlassen alles dessen, was da ist; nein, da ihr nun einmal seid, wie ihr seid, bringe ich euch das Schwert. Auch ist der religiöse Mensch weit entfernt von dem gleichfalls bekannten und oft empfohlenen Bestreben derselben erwähnten Flachheit, sich über die Zeitumgebungen etwas aufzubinden, damit man eben in jener behaglichen Stimmung bleiben könne; sie umzudeuten und ins Gute, ins Schöne herüber zu erklären. Er will sie sehen, wie sie sind in der Wahrheit, und er sieht sie so, denn die Liebe schärft auch das Auge; er urteilt streng und scharf, aber richtig, und dringt in die Prinzipien der herrschenden Denkart.

Sehend auf das, was die Menschen sein könnten, ist sein herrschender Affekt eine heilige Indignation über ihr unwürdiges und ehrloses Dasein; sehend darauf, daß sie im tiefsten Grunde doch alle ihr Göttliches tragen, nur daß es in ihnen nicht bis zur Erscheinung hindurch dringt; betrachtend, daß sie durch alles, was man ihnen verargt, doch sich selbst den allergrößten Schmerz zufügen, und daß dasjenige, was man geneigt ist, ihre Bosheit zu nennen, doch nur der Ausbruch ihres eigenen tiefen Elendes ist; bedenkend, daß sie nur ihre Hand ausstrecken dürften nach dem immerfort sie umgebenden Guten, um im Augenblicke würdig und selig zu sein, überfällt ihn die innigste Wehmut und der tiefste Jammer. Seinen eigentlichen Haß erregt lediglich der Fanatismus der Verkehrtheit, welcher sich nicht damit begnügt, selbst in seiner eigenen Person nichtswürdig zu sein, sondern, soweit er zu reichen vermag, alles ebenso nichtswürdig zu machen strebt, als er selbst ist, und den jeder Anblick eines Bessern außer ihm innig empört und zum Hasse aufreizt. Denn – indes das Erstbeschriebene nur armes Sünderwerk ist, ist das letzte Werk des Teufels; denn auch der Teufel hasset das Gute nicht schlechthin darum, weil es gut ist, wodurch derselbe völlig undenkbar würde; sondern aus Neid und weil er selbst es nicht an sich zu bringen vermag. So wie, unserer neulichen Schilderung zufolge S. 144., der von Gott Begeisterte will, daß ihm und allen seinen Brüdern, von allen Seiten und in allen Richtungen, ewig fort nur Gott entgegenstrahle, wie er ist in ihm selber, so will umgekehrt der von sich selbst Begeisterte, daß ihm und allen seinen Mitmenschen, von allen Seiten und in allen Richtungen, ewig fort nur das Bild seiner eigenen Nichtswürdigkeit entgegenstrahle. Er überschreitet durch dieses Heraustreten aus seiner Individualität die natürliche und menschliche Grenze des Egoismus und macht sich zum allgemeinen Ideale und Gotte; welches alles eben also der Teufel auch tut.

Endlich, ganz entschieden, unveränderlich und ewig sich gleichbleibend, offenbaret im Religiosen die Liebe zu seinem Geschlechte sich dadurch, daß er schlechthin nie und unter keiner Bedingung es aufgibt, an ihrer Veredlung zu arbeiten und, was daraus folgt, schlechthin nie und unter keiner Bedingung die Hoffnung von ihnen aufgibt. Sein Handeln ist ja die notwendige Erscheinung seiner Liebe; wiederum aber geht sein Handeln notwendig nach außen und setzt ein Außen für ihn und setzt seinen Gedanken, daß in diesem Außen etwas wirklich werden solle. Ohne Vertilgung jener Liebe in ihm kann weder dieses Handeln, noch dieser sein notwendiger Gedanke beim Handeln jemals wegfallen. So oft er auch abgewiesen werde von außen, ohne den gehofften Erfolg, wird er in sich selbst zurückgetrieben, schöpfend aus der in ihm ewig fortfließenden Quelle der Liebe neue Lust und Liebe und neue Mittel; und wird fortgetrieben von ihr zu einem neuen Versuche, und wenn auch dieser mißlänge, abermals zu einem neuen; jedesmal voraussetzend, was bisher nicht gelungen sei, könne diesmal gelingen, oder auch das nächste Mal, oder doch irgend einmal, und, falls auch ihm überhaupt nicht, doch etwa, durch seine Beihilfe und zufolge seiner Vorarbeiten, einem folgenden Arbeiter. So wird ihm die Liebe eine ewig fortrinnende Quelle von Glauben und Hoffnung; nicht an Gott oder auf Gott – denn Gott hat er allgegenwärtig in sich lebend, und er braucht nicht erst an ihn zu glauben, und Gott gibt sich ihm ewig fort, ganz so wie er ist, und er hat darum nichts von ihm zu hoffen – sondern von Glauben an Menschen und Hoffnung auf Menschen. Dieser unerschütterliche Glaube nun und diese nie ermüdende Hoffnung ist es, durch welche er sich über alle die Indignation oder den Jammer, mit denen die Betrachtung der Wirklichkeit ihn erfüllen mag, hinwegsetzen kann, sobald er will, und den sichersten Frieden und die unzerstörbarste Ruhe einladen kann in seine Brust, sobald er ihrer begehrt. Blicke er hinaus über die Gegenwart in die Zukunft! – und er hat ja für diesen Blick die ganze Unendlichkeit vor sich und kann Jahrtausende über Jahrtausende, die ihm nichts kosten, daran setzen, so viele er will.

Endlich – und wo ist denn das Ende? – endlich muß doch alles einlaufen in den sichern Hafen der ewigen Ruhe und Seligkeit; endlich einmal muß doch heraustreten das göttliche Reich, und seine Gewalt und seine Kraft und seine Herrlichkeit.

Und so hätten wir denn die Grundzüge zu dem Gemälde des seligen Lebens, soweit ein solches Gemälde möglich ist, in Einen Punkt vereinigt. Die Seligkeit selbst besteht in der Liebe und in der ewigen Befriedigung der Liebe und ist der Reflexion unzugänglich; der Begriff kann dieselbe nur negativ ausdrücken, so auch unsere Beschreibung, die in Begriffen einhergeht. Wir können nur zeigen, daß der Selige des Schmerzes, der Mühe, der Entbehrung frei ist; worin seine Seligkeit selbst, positiv, bestehe, läßt sich nicht beschreiben, sondern nur unmittelbar fühlen Dieser am Schluß des Ganzen noch einmal feierlich ausgesprochene, zum Glück für den Leser nicht durchgeführte Verzicht auf positive Beschreibung des seligen Lebens führt, im Zusammenhang mit der letzten Vorlesung, die nur noch eine Art von Selbstgespräch ist, zu einer Kadenz, die das so groß begonnene Werk einigermaßen wirkungslos schließt. Wieviel mächtiger ist die Steigerung der Akkorde in den Schlußsätzen des Spinozistischen Glaubensbekenntnisses!.

Unselig macht der Zweifel, der uns hierhin reißet und dorthin, die Ungewißheit, welche eine undurchdringliche Nacht, in der unser Fuß keinen sichern Pfad findet, vor uns her verbreitet. Der Religiöse ist der Möglichkeit des Zweifels und der Ungewißheit auf ewig entnommen. In jedem Augenblicke weiß er bestimmt, was er will und wollen soll; denn ihm strömt die innerste Wurzel seines Lebens, sein Wille, unverkennbar ewig fort unmittelbar aus der Gottheit; ihr Wink ist untrüglich, und für das, was ihr Wink sei, hat er einen untrüglichen Blick. In jedem Augenblicke weiß er bestimmt, daß er in alle Ewigkeit wissen wird, was er wolle und solle, daß in alle Ewigkeit die in ihm aufgebrochne Quelle der göttlichen Liebe nicht versiegen, sondern unfehlbar ihn festhalten und ihn ewig fortleiten werde. Sie ist die Wurzel seiner Existenz; sie ist ihm nun einmal klar aufgegangen, und sein Auge ist mit inniger Liebe auf sie geheftet; wie könnte jene vertrocknen, wie könnte dieses wo anders hin sich wenden! Ihn befremdet nichts, was irgend um ihn herum vorgeht. Ob er es begreife oder nicht; daß es in der Welt Gottes ist, und daß in dieser nichts sein kann, das nicht zum Guten abzwecke, weiß er sicher.

In ihm ist keine Furcht über die Zukunft, denn ihn führt das absolut Selige ewig fort derselben entgegen; keine Reue über das Vergangene, denn inwiefern er nicht in Gott war, war er nichts, und dies ist nun vorbei und erst seit seiner Einkehr in die Gottheit ist er zum Leben geboren; inwiefern er aber in Gott war, ist recht und gut, was er getan hat. Er hat nie etwas sich zu versagen oder sich nach etwas zu sehnen; denn er besitzt immer und ewig die ganze Fülle alles dessen, das er zu fassen vermag. Für ihn ist Arbeit und Anstrengung verschwunden; seine ganze Erscheinung fließt lieblich und leicht aus, aus seinem Innern, und löset sich ab von ihm ohne Mühe. Um es mit den Worten eines unsrer großen Dichter zu sagen:

Ewig klar und spiegelrein und eben,
Fließt das zephyrleichte Leben
Im Olymp den Seligen dahin.
Monde wechseln und Geschlechter fliehen –
Ihrer Götterjugend Rosen blühen
Wandellos im ewigen Ruin Vgl. hierzu das farbenprächtige Gemälde der »wahren Religion« und des wahrhaft Religiösen in der 16. Vorlesung der »Grundzüge« (W W VII 231 ff.). Ich hebe ein paar der wichtigsten Sätze zur Ergänzung unsers Textes heraus. »Die Religion eröffnet dem Menschen die Bedeutung des Einen ewigen Gesetzes, das als Pflichtgebot dem freien und edlen, und als Naturgesetz dem unedleren Werkzeuge gebietet.« (S. 233.) Sodann erhebt sie »ihren Geweihten absolut über die Zeit als solche, und über die Vergänglichkeit, und versetzt ihn unmittelbar in den Besitz der Einen Ewigkeit. In dem Einen göttlichen Grundleben ruht sein Blick und wurzelt seine Liebe; was noch außer diesem Einen Grundleben ihm erscheine, ist nicht außer ihm, sondern in ihm, und bloß eine zeitige Gestalt seiner Entwicklung nach einem absoluten Gesetze, das da gleichfalls in ihm selber ist: er erblickt alles nur in dem Einen und vermittelst desselben; dann erblickt er aber auch zugleich in jedem einzelnen das ganze unendliche All«. (S. 235.) In dieser Anschauung ist er selig; »mit unnennbarem Entzücken taucht sein Auge in den Urquell alles Lebens und fließt, von ihm unabtrennlich, mit ihm fort im ewigen Strome«. (S. 234.) – Die optimistisch-deterministische Stimmung der neuen Religion, die an den unterstrichenen Stellen stark durchblitzt, tritt in der 17. Vorlesung noch unwidersprechlicher hervor. Religion, heißt es hier geradezu (S. 240 f.), besteht » darin, daß man alles Leben als notwendige Entwicklung des Einen, ursprünglichen, vollkommen guten und seligen Lebens betrachte und anerkenne«..

So viel, E. V., habe ich Ihnen in diesen Vorlesungen über das wahre Leben und über die Seligkeit desselben mitteilen wollen. Es ist sehr wahr, daß man über diesen Gegenstand noch lange fortreden könnte, und daß es besonders sehr interessant sein würde, den moralisch religiösen Menschen, nachdem man ihn im Mittelpunkte seines Lebens kennen gelernt hat, von da aus zu begleiten in das gewöhnliche Leben, bis auf die gemeinsten Angelegenheiten und Umgebungen, und da ihn anzuschauen in seiner ganzen, wahrhaft rührenden Liebenswürdigkeit und Heiterkeit. Aber ohne eine gründliche Erkenntnis jener ersten Grundpunkte zerfließt eine solche Beschreibung dem Zuhörer gar leicht, entweder in eine leere Deklamation oder in ein nur ästhetisch gefallendes, aber keinen wahren Grund seines Bestehens in sich tragendes Luftgebilde; und dies ist der Grund, warum wir der Fortsetzung uns lieber enthalten. Für die Prinzipien haben wir genug, vielleicht sogar zu viel gesagt.

Um dem ganzen Werke seinen angemessenen Schluß anzufügen, lade ich Sie nur noch auf Eine Stunde ein.


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