Johann Gottlieb Fichte
Reden an die deutsche Nation
Johann Gottlieb Fichte

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Achte Rede.

Was ein Volk sei, in der höhern Bedeutung des Worts, und was Vaterlandsliebe.

Die vier letzten Reden haben die Frage beantwortet: was ist der Deutsche im Gegensatze mit andern Völkern germanischer Abkunft? Der Beweis, der durch dieses alles für das Ganze unserer Untersuchung geführt werden soll, wird vollendet, wenn wir noch die Untersuchung der Frage hinzufügen: was ist ein Volk? welche letztere Frage gleich ist einer andern und zugleich mitbeantwortet diese andere, oft aufgeworfene und auf sehr verschiedene Weisen beantwortete Frage, diese: was ist Vaterlandsliebe, oder, wie man sich richtiger ausdrücken würde, was ist Liebe des Einzelnen zu seiner Nation?

Sind wir bisher im Gange unserer Untersuchung richtig verfahren, so muß hierbei zugleich erhellen, daß nur der Deutsche – der ursprüngliche und nicht in einer willkürlichen Satzung erstorbene Mensch, wahrhaft ein Volk hat und auf eines zu rechnen befugt ist, und daß nur er der eigentlichen und vernunftgemäßen Liebe zu seiner Nation fähig ist.

Wir bahnen uns den Weg zur Lösung der gestellten Aufgabe durch folgende, fürs erste außer dem Zusammenhange des bisherigen zu liegen scheinende Bemerkung.

Die Religion, wie wir dies schon in unsrer dritten Rede angemerkt haben, vermag durchaus hinweg zu versetzen über alle Zeit und über das ganze gegenwärtige und sinnliche Leben, ohne darum der Rechtlichkeit, Sittlichkeit und Heiligkeit des von diesem Glauben ergriffenen Lebens den mindesten Abbruch zu thun. Man kann, auch bei der sichern Ueberzeugung, daß alles unser Wirken auf dieser Erde nicht die mindeste Spur hinter sich lassen und nicht die mindeste Frucht bringen werde, ja, daß das Göttliche sogar verkehrt und zu einem Werkzeuge des Bösen und noch tieferer sittlicher Verderbniß werde gebraucht werden, dennoch fortfahren in diesem Wirken, lediglich, um das in uns ausgebrochene göttliche Leben aufrecht zu erhalten und in Beziehung auf eine höhere Ordnung der Dinge in einer künftigen Welt, in welcher nichts in Gott Geschehenes zu Grunde geht. So waren z. B. die Apostel und überhaupt die ersten Christen, durch ihren Glauben an den Himmel schon im Leben gänzlich über die Erde hinweggesetzt und die Angelegenheiten derselben, der Staat, irdisches Vaterland und Nation, waren von ihnen so gänzlich aufgegeben, daß sie dieselben auch sogar ihrer Beachtung nicht mehr würdigten. So möglich dieses nun auch ist und so leicht auch dem Glauben und so freudig auch man sich darein ergeben muß, wenn es einmal unabänderlich der Wille Gottes ist, daß wir kein irdisches Vaterland mehr haben und hienieden Ausgestoßene und Unechte seien: so ist dies dennoch nicht der natürliche Zustand und die Regel des Weltganges, sondern es ist eine seltene Ausnahme; auch ist es ein sehr verkehrter Gebrauch der Religion, der unter andern auch sehr häufig vom Christenthume gemacht worden, wenn dieselbe gleich von vornherein und ohne Rücksicht auf die vorhandenen Umstände darauf ausgeht, diese Zurückziehung von den Angelegenheiten des Staats und der Nation als wahre religiöse Gesinnung zu empfehlen. In einer solchen Lage, wenn sie wahr und wirklich ist und nicht etwa blos durch religiöse Schwärmerei herbeigeführt, verliert das zeitliche Leben alle Selbstbeständigkeit, und es wird lediglich zu einem Vorhofe des wahren Lebens und zu einer schweren Prüfung, die man blos aus Gehorsam und Ergebung in den Willen Gottes erträgt und dann ist es wahr, daß, wie es von vielen vorgestellt worden, unsterbliche Geister nur zu ihrer Strafe in irdische Leiber, als in Gefängnisse, eingetaucht sind. In der regelmäßigen Ordnung der Dinge hingegen soll das irdische Leben selber wahrhaftig Leben sein, dessen man sich erfreuen und das man freilich, in Erwartung eines höhern, dankbar genießen könne; und obwol es wahr ist, daß die Religion auch der Trost ist des widerrechtlich gedrückten Sklaven, so ist dennoch vor allen Dingen dies religiöser Sinn, daß man sich gegen die Sklaverei stemme und, so man es verhindern kann, die Religion nicht bis zum blosen Troste der Gefangenen herabsinken lasse. Dem Tyrannen steht es wol an, religiöse Ergebung zu predigen, und die, denen er auf Erden kein Plätzchen verstatten will, an den Himmel zu verweisen; wir andern müssen weniger eilen, diese von ihm empfohlene Ansicht der Religion uns anzueignen und, falls wir können, verhindern, daß man die Erde zur Hölle mache, um eine desto größere Sehnsucht nach dem Himmel zu erregen.

Der natürliche, nur im wahren Falle der Noth aufzugebende Trieb des Menschen ist der, den Himmel schon auf dieser Erde zu finden und ewig Dauerndes zu verflößen in sein irdisches Tagewerk; das Unvergängliche im Zeitlichen selbst zu pflanzen und zu erziehen, – nicht blos auf eine unbegreifliche Weise und allein durch die sterblichen Augen undurchdringbare Kluft mit dem Ewigen zusammenhängend, sondern auf eine dem sterblichen Auge selbst sichtbare Weise.

Daß ich bei diesem gemeinfaßlichen Beispiele anhebe. Welcher Edeldenkende will nicht und wünscht nicht, in seinen Kindern und wiederum in den Kindern dieser, sein eigenes Leben von neuem, auf eine verbesserte Weise, zu wiederholen und in dem Leben derselben veredelt und vervollkommnet auch auf dieser Erde noch fortzuleben, nachdem er längst gestorben ist; den Geist, den Sinn und die Sitte, mit denen er vielleicht in seinen Tagen abschreckend war für die Verkehrtheit und das Verderben, befestigend die Rechtschaffenheit, aufmunternd die Trägheit, erhebend die Niedergeschlagenheit, der Sterblichkeit zu entreißen, und sie, als sein bestes Vermächtniß an die Nachwelt niederzulegen in den Gemüthern seiner Hinterlassenen, damit auch diese sie einst eben also verschönert und vermehrt, wieder niederlegen? Welcher Edeldenkende will nicht durch Thun oder Denken ein Samenkorn streuen zu unendlicher immerfortgehender Vollkommnung seines Geschlechts, etwas Neues und vorher nie Dagewesenes hineinwerfen in die Zeit, das in ihr bleibe und nie versiegende Quelle werde neuer Schöpfungen; seinen Platz auf dieser Erde und die ihm verliehene kurze Spanne Zeit bezahlen mit einem auch hienieden ewig Dauernden, so daß er, als dieser Einzelne, wenn auch nicht genannt durch die Geschichte (denn Durst nach Nachruhm ist eine verächtliche Eitelkeit) dennoch in seinem eigenen Bewußtsein und seinem Glauben offenbare Denkmale hinterlasse, daß auch er dagewesen sei? Welcher Edeldenkende will das nicht? sagte ich; aber nur nach den Bedürfnissen der also Denkenden, als der Regel, wie alle sein sollten, ist die Welt zu betrachten und einzurichten, und um ihrer willen allein ist eine Welt da. Sie sind der Kern derselben und die Andersdenkenden sind, als selbst nur ein Theil der vergänglichen Welt, so lange sie also denken, auch nur um ihrer willen da und müssen sich nach ihnen bequemen, so lange, bis sie geworden sind wie sie.

Was könnte es nun sein, das dieser Aufforderung und diesem Glauben des Edlen an die Ewigkeit und Unvergänglichkeit seines Werkes, die Gewähr zu leisten vermöchte? Offenbar nur eine Ordnung der Dinge, die er für selbst ewig und für fähig, Ewiges in sich aufzunehmen, anzuerkennen vermöchte. Eine solche Ordnung aber ist die, freilich in keinem Begriffe zu erfassende, aber dennoch wahrhaft vorhandene, besondere geistige Natur der menschlichen Umgebung, aus welcher er selbst mit allem seinem Denken und Thun und mit seinem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist, das Volk, von welchem er abstammt und unter welchem er gebildet wurde und zu dem, was er jetzt ist, heraufwuchs. Denn so unbezweifelt es auch wahr ist, daß sein Werk, wenn er mit Recht Anspruch macht auf dessen Ewigkeit, keineswegs der blose Erfolg des geistigen Naturgesetzes seiner Nation ist und mit diesem Erfolge rein aufgeht, sondern, daß es ein hehreres ist denn das, und insofern unmittelbar ausströmt aus dem ursprünglichen und göttlichen Leben; so ist es dennoch eben so wahr, daß jenes Mehrere, sogleich bei seiner ersten Gestaltung zu einer sichtbaren Erscheinung, unter jenes besondere geistige Naturgesetz sich gefügt und nur nach demselben sich einen sinnlichen Ausdruck gebildet hat. Unter dasselbe Naturgesetz nun werden, so lange dieses Volk besteht, auch alle ferneren Offenbarungen des Göttlichen in demselben eintreten und in ihm sich gestalten. Dadurch aber, daß auch er da war und so wirkte, ist selbst dieses Gesetz weiter bestimmt und seine Wirksamkeit ist ein stehender Bestandteil desselben geworden. Auch hiernach wird alles Folgende sich fügen und an dasselbe sich anschließen müssen. Und so ist er denn sicher, daß die durch ihn errungene Ausbildung bleibt in Deinem Volke, so lange dieses selbst bleibt, und fortdauernder Bestimmungsgrund wird aller fernern Entwicklung desselben.

Dies nun ist in höherer, vom Standpunkte der Ansicht einer geistigen Welt überhaupt genommener Bedeutung des Worts ein Volk: das Ganze der in Gesellschaft mit einander fortlebenden und sich aus sich selbst immerfort natürlich und geistig erzeugenden Menschen, das insgesammt unter einem gewissen besondern Gesetze der Entwicklung des Göttlichen aus ihm steht. Die Gemeinsamkeit dieses besondern Gesetzes ist es, was in der ewigen Welt und eben darum auch in der zeitlichen, diese Menge zu einem natürlichen und von sich selbst durchdrungenen Ganzen verbindet. Dieses Gesetz selbst seinem Inhalte nach, kann wol im Ganzen erfaßt werden, so wie wir es an den Deutschen, als einem Urvolke erfaßt haben; es kann sogar durch Erwägung der Erscheinungen eines solchen Volkes noch näher in manchen seiner weiten Bestimmungen begriffen werden; aber es kann niemals von irgend einem, der ja selbst immerfort unter desselben ihm unbewußten Einflusse bleibt, ganz mit dem Begriffe durchdrungen werden; obwol im Allgemeinen klar eingesehen werden kann, daß es ein solches Gesetz gebe. Es ist dieses Gesetz ein Mehr der Bildlichkeit, das mit dem Mehr der unbildlichen Ursprünglichkeit, in der Erscheinung unmittelbar verschmilzt; und so sind denn, in der Erscheinung eben, beide nicht wieder zu trennen. Jenes Gesetz bestimmt durchaus und vollendet das, was man den Nationalcharakter eines Volkes genannt hat; jenes Gesetz der Entwicklung des Ursprünglichen und Göttlichen. Es ist aus dem letztern klar, daß Menschen, welche so wie wir bisher die Ausländerei beschrieben haben, an ein Ursprüngliches und an eine Fortentwicklung desselben gar nicht glauben, sondern blos an einen ewigen Kreislauf des scheinbaren Lebens, und welche durch ihren Glauben werden, wie sie glauben, im höhern Sinne gar kein Volk sind und, da sie in der That eigentlich auch nicht da sind, eben so wenig einen Nationalcharakter zu haben vermögen.

Der Glaube des edlen Menschen an die ewige Fortdauer seiner Wirksamkeit auch auf dieser Erde gründet sich demnach auf die Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volks, aus dem er selber sich entwickelt hat und der Eigenthümlichkeit desselben, nach jenem verborgenen Gesetze; ohne Einmischung und Verderbung durch irgendein Fremdes und in das Ganze dieser Gesetzgebung nicht Gehöriges. Diese Eigenthümlichkeit ist das Ewige, dem er die Ewigkeit seiner selbst und seines Fortwirkens anvertraut, die ewige Ordnung der Dinge, in die er sein Ewiges legt; ihre Fortdauer muß er wollen, denn sie allein ist ihm das entbindende Mittel, wodurch die kurze Spanne seines Lebens hienieden zu fortdauerndem Leben ausgedehnt wird. Sein Glaube und sein Streben, Unvergängliches zu pflanzen, sein Begriff, in welchem er sein eigenes Leben als ein ewiges Leben erfaßt, ist das Band, welches zunächst seine Nation und vermittelst ihrer das ganze Menschengeschlecht, innigst mit ihm selber verknüpf und ihrer aller Bedürfnisse, bis auf Ende der Tage, einführt in sein erweitertes Herz. Dies ist seine Liebe zu seinem Volke, zuvörderst achtend, vertrauend, desselben sich freuend, mit der Abstammung daraus sich ehrend. Es ist Göttliches in ihm erschienen, und das Ursprüngliche hat dasselbe gewürdigt, es zu seiner Hülle und zu seinem unmittelbaren Verflößungsmittel in die Welt zu machen; es wird darum auch ferner Göttliches aus ihm hervorbrechen. Sodann thätig, wirksam, sich aufopfernd für dasselbe. Das Leben, blos als Leben, als Fortsetzung des wechselnden Daseins, hat für ihn ja ohnedies nie Werth gehabt, er hat es nur gewollt als Quelle des dauernden; aber diese Dauer verspricht ihm allein die selbstständige Fortdauer seiner Nation; um diese zu retten, muß er sogar sterben wollen, damit diese lebe, und er in ihr lebe das einzige Leben, das er von je gemocht hat.

So ist es. Die Liebe, die wahrhaftig Liebe sei, und nicht blos eine vorübergehende Begehrlichkeit, haftet nie auf Vergänglichem, sondern sie erwacht und entzündet sich, und ruht allein in dem Ewigen. Nicht einmal sich selbst vermag der Mensch zu lieben, es sei denn, daß er sich als Ewiges erfasse; außerdem vermag er sich sogar nicht zu achten, noch zu billigen. Noch weniger vermag er etwas außer sich zu lieben, außer also, daß er es aufnehme in die Ewigkeit seines Glaubens und seines Gemüths und es anknüpfe an diese. Wer nicht zuvörderst sich als ewig erblickt, der hat überhaupt keine Liebe, und kann auch nicht lieben ein Vaterland, dergleichen es für ihn nicht gibt. Wer zwar vielleicht sein unsichtbares Leben, nicht aber eben also sein sichtbares Leben, als ewig erblickt, der mag wol einen Himmel haben, und in diesem sein Vaterland, aber hienieden hat er kein Vaterland, denn auch dieses wird nur unter dem Bilde der Ewigkeit, und zwar der sichtbaren und versinnlichten Ewigkeit erblickt, und er vermag daher auch nicht sein Vaterland zu lieben. Ist einem solchen keines überliefert worden, so ist er zu beklagen; wem eins überliefert worden ist, und in wessen Gemüthe Himmel und Erde, Unsichtbares und Sichtbares sich durchdringen, und so erst einen wahren und gediegenen Himmel erschaffen, der kämpft bis auf den letzten Blutstropfen, um den theuren Besitz ungeschmälert wiederum zu überliefern an die Folgezeit.

So ist es auch von jeher gewesen, unerachtet es nicht von jeher mit dieser Allgemeinheit und mit dieser Klarheit ausgesprochen worden. Was begeisterte die Edlen unter den Römern, deren Gesinnungen und Denkweise noch in ihren Denkmalen unter uns leben und athmen, zu Mühen und Aufopferungen, zum Dulden und Tragen fürs Vaterland? Sie sprechen es selbst oft und deutlich aus. Ihr fester Glaube war es an die ewige Fortdauer ihrer Roma, und ihre zuversichtliche Aussicht, in dieser Ewigkeit selber ewig mit fortzuleben im Strome der Zeit. Inwiefern dieser Glaube Grund hatte, und sie selbst, wenn sie in sich selber vollkommen klar gewesen wären, denselben gefaßt haben würden, hat er sie auch nicht getäuscht. Bis auf diesen Tag lebet das, was wirklich ewig war in ihrer ewigen Roma, und sie mit demselben in unsrer Mitte fort, und wird in seinen Folgen fortleben bis ans Ende der Tage.

Volk und Vaterland in dieser Bedeutung, als Träger und Unterpfand der irdischen Ewigkeit, und als dasjenige, was hienieden ewig sein kann, liegt weit hinaus über den Staat, im gewöhnlichen Sinne des Worts, – über die gesellschaftliche Ordnung, wie dieselbe im blosen klaren Begriffe erfaßt, und nach Anleitung dieses Begriffs errichtet und erhalten wird. Dieser will gewisses Recht, innerlichen Frieden, und daß jeder durch Fleiß seinen Unterhalt und die Fristung seines sinnlichen Daseins finde, so lange Gott sie ihm gewähren will. Dieses alles ist nur Mittel, Bedingung und Gerüst dessen, was die Vaterlandsliebe eigentlich will, des Aufblühens des Ewigen und Göttlichen in der Welt, immer reiner, vollkommener und getroffener im unendlichen Fortgange. Eben darum muß diese Vaterlandsliebe den Staat selbst regieren, als durchaus oberste, letzte und unabhängige Behörde, zuvörderst, indem sie ihn beschränkt in der Wahl der Mittel für seinen nächsten Zweck, den innerlichen Frieden. Für diesen Zweck muß freilich die natürliche Freiheit des Einzelnen auf mancherlei Weise beschränkt werden, und wenn man gar keine andere Rücksicht und Absicht mit ihnen hätte, denn diese, so würde man wohl thun, dieselbe so eng, als immer möglich, zu beschränken, alle ihre Regungen unter eine einförmige Regel zu bringen, und sie unter immerwährender Aufsicht zu erhalten. Gesetzt diese Strenge wäre nicht nöthig, so könnte sie wenigstens für diesen alleinigen Zweck nicht schaden. Nur die höhere Ansicht des Menschengeschlechts und der Völker erweitert diese beschränkte Berechnung. Freiheit, auch in den Regungen des äußerlichen Gebens, ist der Boden, in welchem die höhere Bildung keimt; eine Gesetzgebung, welche diese letztere im Auge behält, wird der ersteren einen möglichst ausgebreiteten Kreis lassen, selber auf die Gefahr hin, daß ein geringerer Grad der einförmigen Ruhe und Stille erfolge, und daß das Regieren ein wenig schwerer und mühsamer werde.

Um dies an einem Beispiele zu erläutern: Man hat erlebt, daß Nationen ins Angesicht gesagt worden, sie bedürften nicht so vieler Freiheit, als etwa manche andere Nation. Diese Rede kann sogar eine Schonung und Milderung enthalten, indem man eigentlich sagen wollte sie könnte so viele Freiheit gar nicht ertragen, und nur eine hohe Strenge könne verhindern, daß sie sich nicht unter einander selber aufrieben. Wenn aber die Worte also genommen werden, wie sie gesagt sind, so sind sie wahr unter der Voraussetzung, daß eine solche Nation des ursprünglichen Lebens und des Triebes nach solchem, durchaus unfähig sei. Eine solche Nation, falls eine solche, in der auch nicht wenige Edlere eine Ausnahme von der allgemeinen Regel machten, möglich sein sollte, bedürfte in der That gar keiner Freiheit, denn diese ist nur für die höhern, über den Staat hinausliegenden Zwecke; sie bedarf blos der Bezähmung und Abrichtung, damit die Einzelnen friedlich neben einander bestehen, und damit das Ganze zu einem tüchtigen Mittel für willkürlich zu setzende, außer ihr liegende Zwecke zubereitet werde. Wir können unentschieden lassen, ob man von irgend einer Nation dies mit Wahrheit sagen könne; so viel ist klar, daß ein ursprüngliches Volk der Freiheit bedarf, daß dieses das Unterpfand ist seines Beharrens als ursprünglich, und daß es in seiner Fortdauer einen immer höher steigenden Grad derselben ohne alle Gefahr erträgt. Und dies ist das erste Stück, in Rücksicht dessen die Vaterlandsliebe den Staat selbst regieren muß.

Sodann muß sie es sein, die den Staat darin regiert, daß sie ihm selbst einen höhern Zweck setzt, denn den gewöhnlichen der Erhaltung des innern Friedens, des Eigenthums, der persönlichen Freiheit, des Lebens und des Wohlseins aller. Für diesen höhern Zweck allein, und in keiner andern Absicht, bringt der Staat eine bewaffnete Macht zusammen. Wenn von der Anwendung dieser die Rede entsteht, wenn es gilt, alle Zwecke des Staats im blosen Begriffe, Eigenthum, persönliche Freiheit, Leben und Wohlsein, ja die Fortdauer des Staats selbst, auf das Spiel zu setzen; ohne einen klaren Verstandesbegriff von der sichern Erreichung des beabsichtigten, dergleichen in Dingen dieser Art nie möglich ist, ursprünglich und Gott allein verantwortlich, zu entscheiden: dann lebt am Ruder des Staates erst ein wahrhaft ursprüngliches und erstes Leben, und an dieser Stelle erst treten ein die wahren Majestätsrechte der Regierung, gleich Gott um höhern Lebens willen das niedere Leben daran zu wagen. In der Erhaltung der hergebrachten Verfassung, der Gesetze, des bürgerlichen Wohlstandes, ist gar kein rechtes eigentliches Leben und kein ursprünglicher Entschluß. Umstände und Lage, längst vielleicht verstorbene Gesetzgeber, haben diese erschaffen; die folgenden Zeitalter gehen gläubig fort auf der angetretenen Bahn, und leben so in der That nicht ein eigenes öffentliches Leben, sondern sie wiederholen nur ein ehemaliges Leben. Es bedarf in solchen Zeiten keiner eigentlichen Regierung. Wenn aber dieser gleichmäßige Fortgang in Gefahr geräth, und es nun gilt, über neue, nie also dagewesene Fälle zu entscheiden: dann bedarf es eines Lebens, das aus sich selber lebe. Welcher Geist nun ist es, der in solchen Fällen sich an das Ruder stellen dürfe, der mit eigener Sicherheit und Gewißheit, und ohne unruhiges Hin- und Herschwanken zu entscheiden vermöge, der ein unbezweifeltes Recht habe, jedem, den es treffen mag, ob er nun selbst es wolle oder nicht, gebietend anzumuthen, und den Widerstrebende zu zwingen, daß er alles, bis auf sein Leben, in Gefahr setze? Nicht der Geist der ruhigen bürgerlichen Liebe der Verfassung und der Gesetze, sondern die verzehrende Flamme der höheren Vaterlandsliebe, die die Nation als Hülle des Ewigen umfaßt, für welche der Edle mit Freuden sich opfert, und der Unedle, der nur um des ersten willen da ist, sich eben opfern soll. Nicht jene bürgerliche Liebe der Verfassung ist es; diese vermag dies gar nicht, wenn sie bei Verstande bleibt. Wie es auch ergehen möge, da nicht umsonst regiert wird, so wird sich immer ein Regent für sie finden. Lasset den neuen Regenten sogar die Sklaverei wollen (und wo ist Sklaverei, außer in der Nichtachtung und Unterdrückung der Eigenthümlichkeit eines ursprünglichen Volkes, dergleichen für jenen Sinn nicht vorhanden ist?) – Lasset ihn auch die Sklaverei wollen, – da aus dem Leben der Sklaven, ihrer Menge, sogar ihrem Wohlstande sich Nutzung ziehen läßt, so wird, wenn er nur einigermaßen ein Rechner ist, die Sklaverei unter ihm erträglich ausfallen. Leben und Unterhalt wenigstens werden sie immer finden. Wofür sollen sie denn also kämpfen? Nach jenen beiden ist es die Ruhe, die ihnen über alles geht. Diese wird durch die Fortdauer des Kampfes nur gestört. Sie werden darum alles anwenden, daß dieser nur recht bald ein Ende nehme, sie werden sich fügen, sie werden nachgeben, und warum sollten sie nicht? Es ist ihnen ja nie um mehr zu thun gewesen, und sie haben vom Leben nie etwas weiteres gehofft, denn die Fortsetzung der Gewohnheit dazusein unter erleidlichen Bedingungen. Die Verheißung eines Lebens auch hienieden, über die Dauer des Lebens hienieden hinaus, – allein diese ist es, die bis zum Tode fürs Vaterland begeistern kann.

So ist es auch bisher gewesen. Wo da wirklich regiert worden ist, wo bestanden worden sind ernsthafte Kämpfe, wo der Sieg errungen worden ist gegen gewaltigen Widerstand, da ist es jene Verheißung ewigen Lebens gewesen, die da regierte und kämpfte und siegte. Im Glauben an diese Verheißung kämpften die in diesen Reden früher erwähnten deutschen Protestanten. Wußten sie etwa nicht, daß auch mit dem alten Glauben Völker regiert und in rechtlicher Ordnung zusammengehalten werden könnten, und daß man auch bei diesem Glauben seinen guten Lebensunterhalt finden könne? Warum beschlossen denn also ihre Fürsten bewaffneten Widerstand, und warum leisteten ihn mit Begeisterung die Völker? – Der Himmel war es und die ewige Seligkeit, für welche sie willig ihr Blut vergossen. – Aber welche irdische Gewalt hätte denn auch in das innere Heiligthum ihres Gemüths eindringen, und den Glauben, der ihnen ja nun einmal aufgegangen war, und auf welchen allein sie ihrer Seligkeit Hoffnung gründeten, darin austilgen können? Also auch ihre eigene Seligkeit war es nicht, für die sie kämpften; dieser waren sie schon versichert: die Seligkeit ihrer Kinder, ihrer noch ungeborenen Enkel und aller noch ungeborenen Nachkommenschaft war es; auch diese sollten auferzogen werden in derselben Lehre, die ihnen als allein heilbringend erschienen war, auch diese sollten theilhaftig werden des Heiles, das für sie angebrochen war; diese Hoffnung allein war es, die durch den Feind bedroht wurde, für sie, für eine Ordnung der Dinge, die lange nach ihrem Tode über ihren Gräbern blühen sollte, verspritzten sie mit dieser Freudigkeit ihr Blut. Geben wir zu, daß sie sich selbst nicht ganz klar waren, daß sie in der Bezeichnung des edelsten, was in ihnen war, mit Worten sich vergriffen, und mit dem Munde ihrem Gemüthe unrecht thaten; bekennen wir gern, daß ihr Glaubensbekenntniß nicht das einzige und ausschließende Mittel war, des Himmels jenseits des Grabes theilhaftig zu werden: so ist doch dies ewig wahr, daß mehr Himmel diesseits des Grabes, ein muthigeres und fröhlichere Emporblicken von der Erde, und eine freiere Regung des Geistes durch ihre Aufopferung in alles Leben der Folgezeit gekommen ist, und die Nachkommen ihrer Gegner eben so wol, als wir selbst, ihre Nachkommen, die Früchte ihrer Mühen bis auf diesen Tag genießen.

In diesem Glauben setzten unsere ältesten gemeinsamen Vorfahren, das Stammvolk der neuen Bildung, die von den Römern Germanier genannten Deutschen, sich der herandrängenden Weltherrschaft der Römer muthig entgegen. Sahen sie denn nicht vor Augen den höhern Flor der römischen Provinzen neben sich, die feinern Genüsse in denselben, dabei Gesetze, Richterstühle, Ruthenbündel und Beile im Ueberfluß? Waren die Römer nicht bereitwillig genug, sie an allen diesen Segnungen Theil nehmen zu lassen? Erlebten sie nicht an mehreren ihrer eigenen Fürsten, die sich nur bedeuten ließen, daß der Krieg gegen solche Wohlthäter der Menschheit Rebellion sei, Beweise der gepriesenen römischen Clemenz, indem sie die Nachgibigen mit Königstiteln, mit Anführerstellen in ihren Heeren, mit römischen Opferbinden auszierten, ihnen, wenn sie etwa von ihren Landsleuten ausgetrieben wurden, einen Zufluchtsort und Unterhalt in ihren Pflanzstädten gaben? Hatten sie keinen Sinn für die Vorzüge römischer Bildung, z. B. für die bessere Einrichtung ihrer Heere, in denen sogar ein Arminius das Kriegshandwerk zu erlernen nicht verschmähte? Keine von allen diesen Unwissenheiten oder Nichtbeachtungen ist ihnen aufzurücken. Ihre Nachkommen haben sogar, sobald sie es ohne Verlust für ihre Freiheit konnten, die Bildung derselben sich angeeignet, in wie weit es ohne Verlust ihrer Eigenthümlichkeit möglich war. Wofür haben sie denn also mehrere Menschenalter hindurch gekämpft im blutigen, immer mit derselben Kraft sich wieder erneuernden Kriege? Ein römischer Schriftsteller läßt es ihre Anführer also aussprechen: »Ob ihnen denn etwas anderes übrig bleibe, als entweder die Freiheit zu behaupten oder zu sterben, bevor sie Sklaven würden?« Freiheit war ihnen, daß sie eben Deutsche blieben, daß sie fortfuhren ihre Angelegenheiten selbständig und ursprünglich ihrem eigenen Geiste gemäß, zu entscheiden, und diesem gleichfalls gemäß auch in ihrer Fortbildung vorwärts zu rücken, und daß sie diese Selbständigkeit auch auf ihre Nachkommenschaft fortpflanzten; Sklaverei hießen ihnen alle jene Segnungen, die ihnen die Römer antrugen, weil sie dabei etwas anderes, denn Deutsche, weil sie halbe Römer werden müßten. Es versteht sich von selbst, setzten sie voraus, das jeder, ehe er dies werde, lieber sterbe, und daß ein wahrhafter Deutscher nur könne leben wollen, um eben Deutscher zu sein und zu bleiben, und die Seinigen zu eben solchen zu bilden.

Sie sind nicht alle gestorben, sie haben die Sklaverei nicht gesehen, sie haben die Freiheit hinterlassen ihren Kindern. Ihrem beharrlichen Widerstande verdankt es die ganze neue Welt, daß sie da ist, so wie sie da ist. Wäre es den Römern gelungen, auch sie zu unterjochen, und, wie dies der Römer allenthalben that, sie als Nation auszurotten, so hätte die ganze Fortentwicklung der Menschheit eine andere, und man kann nicht glauben, erfreulichere Richtung genommen. Ihnen verdanken wir, die nächsten Erben ihres Bodens, ihrer Sprache und ihrer Gesinnung, daß wir noch Deutsche sind, daß der Strom ursprünglichen und selbstständigen Lebens uns noch trägt; ihnen verdanken wir alles, was wir seitdem als Nation gewesen sind, ihnen, falls es nicht etwa jetzt mit uns zu Ende ist, und der letzte von ihnen abgestammte Blutstropfen in unsern Adern versiegt ist, ihnen werden wir verdanken alles, was wir noch ferner sein werden. Ihnen verdanken selbst die übrigen, uns jetzt zum Ausland gewordenen Stämme, in ihnen unsere Brüder, ihr Dasein; als jene die ewige Roma besiegten, war noch keins aller dieser Völker vorhanden; damals wurde zugleich auch ihnen die Möglichkeit ihrer künftigen Entstehung mit erkämpft.

Diese, und alle andere in der Weltgeschichte, die ihres Sinnes waren, haben gesiegt, weil das Ewige sie begeisterte, und so siegt immer und nothwendig diese Begeisterung über den, der nicht begeistert ist. Nicht die Gewalt der Arme, noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemüths ist es, welche Siege erkämpft. Wer ein begrenztes Ziel sich setzt seiner Aufopferungen, und sich nicht weiter wagen mag, als bis zu einem gewissen Punkte, der gibt den Widerstand auf, sobald die Gefahr ihm an diesen durchaus nicht aufzugebenden, noch zu entbehrenden Punkt kommt. Wer gar kein Ziel sich gesetzt hat, sondern alles, und das Höchste, was man hienieden verlieren kann, das Leben, daran setzt, gibt den Widerstand nie auf und siegt, so der Gegner ein begrenzteres Ziel hat, ohne Zweifel. Ein Volk, das da fähig ist, sei es auch nur in seinen höchsten Stellvertretern und Anführern, das Gesicht aus der Geisterwelt, Selbstständigkeit, fest ins Auge zu fassen, und von der Liebe dafür ergriffen zu werden, wie unsere ältesten Vorfahren, siegt gewiß über ein solches, das nur zum Werkzeuge fremder Herrschsucht und zu Unterjochung selbständiger Völker gebraucht wird, wie die römischen Heere; denn die erstern haben alles zu verlieren, die letztern blos einiges zu gewinnen. Ueber die Denkart aber, die den Krieg als ein Glücksspiel ansieht, um zeitlichen Gewinn oder Verlust, und bei der, schon ehe sie das Spiel anfängt, fest steht, bis zu welcher Summe sie auf die Karten setzen wolle, siegt sogar eine Grille. Denken Sie sich z. B. einen Mahomet, – nicht den wirklichen der Geschichte, über welchen ich kein Urtheil zu haben bekenne, sondern den eines bekannten französischen Dichters, – der sich einmal fest in den Kopf gesetzt habe, er sei eine der ungemeinen Naturen, die da berufen sind, das dunkle, das gemeine Erdenvolk zu leiten, und dem, zufolge dieser ersten Voraussetzung, alle seine Einfälle, so dürftig und so beschränkt sie auch in der That sein mögen, dieweil es die seinigen sind, nothwendig erscheinen müssen als große und erhabene und beseligende Ideen, und alles, was denselben sich widersetzt, als dunkles gemeines Volk, Feinde ihres eigenen Wohls, Uebelgesinnte und Hassenswürdige; der nun, um diesen seinen Eigendünkel vor sich selbst als göttlichen Ruf zu rechtfertigen, und ganz aufgegangen in diesem Gedanken mit all seinem Leben, alles daran setzen muß, und nicht ruhen kann, bis er alles, das nicht eben so groß von ihm denken will, denn er selbst, zertreten hat, und bis aus der ganzen Mitwelt sein eigener Glaube an seine göttliche Sendung ihm zurückstrahle: ich will nicht sagen, wie es ihm ergehen würde, falls wirklich ein geistiges Gesicht, das da wahr ist und klar in sich selbst, gegen ihn in die Kampfbahn träte, aber jenen beschränkten Glücksspielern gewinnt er es sicher ab, denn er setzt alles gegen sie, die nicht alles setzen: sie treibt kein Geist, ihn aber treibt allerdings ein schwärmerischer Geist, – der seines gewaltigen und kräftigen Eigendünkels.

Aus allem geht hervor, daß der Staat, als bloses Regiment des im gewöhnlichen friedlichen Gange fortschreitenden menschlichen Lebens, nichts Erstes und für sich selbst Seiendes, sondern daß er blos das Mittel ist für den höhern Zweck der ewig gleichmäßig fortgehenden Ausbildung des rein Menschlichen in dieser Nation; daß es allein das Gesicht und die Liebe dieser ewigen Fortbildung ist, welche immerfort auch in ruhigen Zeitläuften die höhere Aussicht über die Staatsverwaltung führen soll, und welche, wo die Selbstständigkeit des Volks in Gefahr ist, allein dieselbe zu retten vermag. Bei den Deutschen, unter denen, als einem ursprünglichen Volke, diese Vaterlandsliebe möglich, und, wie wir fest zu wissen glauben, bis jetzt auch wirklich war, konnte dieselbe bis jetzt mit einer hohen Zuversicht auf die Sicherheit ihrer wichtigsten Angelegenheiten rechnen. Wie nur noch bei den Griechen in der alten Zeit, war bei ihnen der Staat und die Nation sogar von einander gesondert und jedes für sich dargestellt, der erste in den besondern deutschen Reichen und Fürstenthümern, die letzte sichtbar im Reichsverbande, unsichtbar, nicht zufolge eines niedergeschriebenen aber eines in aller Gemüther lebenden Rechtes geltend, und in ihren Folgen allenthalben in das Auge springend, in einer Menge von Gewohnheiten und Einrichtungen. So weit die deutsche Zunge reichte, konnte jeder, dem im Bezirke derselben das Licht anbrach, sich doppelt betrachten als Bürger, theils seines Geburtsstaates, dessen Fürsorge er zunächst empfohlen war, theils des ganzen gemeinsamen Vaterlandes deutscher Nation. Jedem war es verstattet, über die ganze Oberfläche dieses Vaterlandes hin sich diejenige Bildung, die am meisten Verwandtschaft zu seinem Geiste hatte, oder den derselben angemessensten Wirkungskreis aufzusuchen, und das Talent wuchs nicht hinein in seine Stelle, wie ein Baum, sondern es war ihm erlaubt, dieselbe zu suchen. Wer durch die Richtung, die seine Bildung nahm, mit seiner nächsten Umgebung entzweit wurde, fand leicht anderwärts willige Aufnahme, fand neue Freunde statt der verlorenen, fand Zeit und Ruhe, um sich näher zu erklären, vielleicht die Erzürnten selbst zu gewinnen und zu versöhnen, und so das Ganze zu einigen. Kein deutschgeborener Fürst hat es je über sich vermocht, seinen Unterthanen das Vaterland innerhalb der Berge oder Flüsse, wo er regierte, abzustecken, und dieselben zu betrachten als gebunden an die Erdscholle. Eine Wahrheit, die an einem Orte nicht laut werden durfte, durfte es an einem andern, an welchem vielleicht im Gegentheile diejenigen verboten waren, die dort erlaubt wurden; und so fand denn, bei manchen Einseitigkeiten und Engherzigkeiten der besondern Staaten, dennoch in Deutschland, dieses als ein Ganzes genommen, die höchste Freiheit der Erforschung und der Mittheilung statt, die jemals ein Volk besessen; und die höhere Bildung war und blieb allenthalben der Erfolg aus der Wechselwirkung der Bürger aller deutschen Staaten, und diese höhere Bildung kam denn in dieser Gestalt auch allmählich herab zum größern Volke, das somit immer fortfuhr sich selber durch sich selbst im Großen und Ganzen zu erziehen. Dieses wesentliche Unterpfand der Fortdauer einer deutschen Nation schmälerte, wie gesagt, kein am Ruder der Regierung sitzendes deutsches Gemüth; und wenn auch in Absicht anderer ursprünglichen Entscheidungen nicht immer geschehen sein sollte, was die höhere deutsche Vaterlandsliebe wünschen mußte, so ist wenigstens der Angelegenheit desselben nicht geradezu entgegengehandelt worden, man hat nicht gesucht, jene Liebe zu untergraben, sie auszurotten und eine entgegengesetzte Liebe an ihre Stelle zu bringen.

Wenn nun aber etwa die ursprüngliche Leitung sowol jener höhern Bildung, als der Nationalmacht, die allein für jene und ihre Fortdauer als Zweck gebraucht werden darf, die Verwendung deutschen Gutes und deutschen Blutes, aus der Botmäßigkeit deutschen Gemüths in eine andere kommen sollte, was würde sodann nothwendig erfolgen müssen?

Hier ist der Ort, wo es der in unserer ersten Rede in Anspruch genommenen Geneigtheit, sich über die eigenen Angelegenheiten nicht täuschen zu wollen, und des Muthes, die Wahrheit sehen zu wollen, und sie sich zu gestehen, vorzüglich bedarf; auch ist es, so viel mir bekannt, noch immer erlaubt, in deutscher Sprache mit einander vom Vaterlande zu reden, wenigstens zu seufzen, und wir würden, glaube ich, nicht wohl thun, wenn wir aus unserer eigenen Mitte heraus ein solches Verbot verfrühten, und dem Muthe, der ohne Zweifel über das Wagniß schon vorher mit sich zu Rathe gegangen sein wird, die Fessel der Zaghaftigkeit Einzelner anlegen wollten.

Malen Sie sich also die vorausgesetzte neue Gewalt so gütig und so wohlwollend vor, als Sie irgend wollen, machen Sie sie gut, wie Gott; werden Sie ihr auch göttlichen Verstand einsetzen können? Mag sie alles Ernstes das höchste Glück und Wohlsein aller wollen, wird das höchste Wohlsein, das sie zu fassen vermag, wol auch deutsches Wohlsein sein? So hoffe ich über den Hauptpunkt, den ich Ihnen heute vorgetragen, von Ihnen recht wohl verstanden worden zu sein, ich hoffe, daß mehrere hierbei gedacht und gefühlt haben: ich drücke nur deutlich aus und spreche aus mit Worten, wie es ihnen von jeher im Gemüthe gelegen; ich hoffe, daß es auch mit den übrigen Deutschen, die einst dieses lesen werden, sich also verhalten werde; auch haben vor mir mehrere Deutsche ungefähr dasselbe gesagt; und dem immerfort bezeugten Widerstreben gegen eine blos mechanische Einrichtung und Berechnung des Staats, hat dunkel jene Gesinnung zum Grunde gelegen. Und nun fordere ich alle, die mit der neuen Literatur des Auslandes bekannt sind, auf: mir nachzuweisen, welcher neuere Weise, Dichter, Gesetzgeber derselben eine diesem ähnliche Ahnung, die das Menschengeschlecht als ein ewig fortschreitendes betrachte, und alles sein Regen in der Zeit nur auf diesen Fortschritt beziehe, jemals verrathen habe; ob irgend einer selbst in dem Zeitpunkte, als sie am kühnsten zu politischer Schöpfung sich emporschwangen, mehr, als nur nicht Ungleichheit, inneren Frieden, äußern Nationalruhm, und, wo es aufs Höchste getrieben wurde, häusliche Glückseligkeit vom Staate gefordert habe? Ist, wie man aus allen diesen Anzeigen schließen muß, dieses ihr Höchstes, so werden sie auch uns keine höheren Bedürfnisse und keine höheren Forderungen an das Leben beimessen, und, immer jene wohltätigen Gesinnungen gegen uns und die Abwesenheit alles Eigennutzes und aller Sucht mehr sein zu wollen denn wir, vorausgesetzt, trefflich für uns gesorgt zu haben glauben, wenn wir alles das finden, was sie allein als begehrungswürdig kennen; dasjenige aber, warum der Edlere unter uns allein leben mag, ist sodann ausgetilgt aus dem öffentlichen Leben, und das Volk, das für die Anregungen des Edleren sich stets empfänglich gezeigt hat, und welches man sogar nach seiner Mehrheit zu jenem Adel emporzuheben hoffen durfte, ist, so wie es behandelt wird, wie jene behandelt sein wollen, herabgesetzt unter seinen Rang, entwürdigt, ausgetilgt aus der Reihe der Dinge, indem es zusammenfließt mit dem von niederer Art.

In wem nun jene höheren Anforderungen an das Leben, nebst dem Gefühle ihres göttlichen Rechts, dennoch lebendig und kräftig bleiben, der fühlt mit tiefem Unwillen sich zurückgedrängt in jene erste Zeiten des Christentums, zu denen gesagt ist: »Ihr sollet nicht widerstreben dem Uebel, sondern, so dir Jemand einen Streich gibt auf den rechten Backen, dem biete den andern auch dar, und so Jemand deinen Rock nehmen will, dem laß auch den Mantel;« mit Recht das letzte, denn so lange er noch einen Mantel an dir sieht, sucht er einen Handel an dich, um dir auch diesen zu nehmen, erst wenn du ganz nackend bist, entgehst du seiner Aufmerksamkeit und hast vor ihm Ruhe. Eben sein höherer Sinn, der ihn ehrt, macht ihm die Erde zur Hölle und zum Ekel, er wünscht, nicht geboren zu sein, er wünscht, daß sein Auge je eher je lieber sich dem Anblicke des Tages verschließe, unversiegbare Trauer bis an das Grab erfaßt seine Tage; dem, was ihm lieb ist, kann er keine bessere Gabe wünschen, denn einen dumpfen und genügsamen Sinn, damit es mit weniger Schmerz einem ewigen Leben jenseits des Grabes entgegenlebe.

Diese Vernichtung jeder etwa ins Künftige unter uns ausbrechenden edlern Regung, und diese Heruntersetzung unsrer ganzen Nation durch das einzige, nachdem die andern vergeblich angewendet worden sind, noch übrig bleibende Mittel zu verhindern, tragen Ihnen diese Reden an. Sie tragen Ihnen an die wahre und allmächtige Vaterlandsliebe in der Erfassung unsers Volks als eines ewigen, und als Bürger unserer eigenen Ewigkeit durch die Erziehung in aller Gemüther recht tief und unauslöschlich zu begründen. Welche Erziehung dies vermöge, und auf welche Weise, werden wir in den folgenden Reden ersehen.


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