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I. Begriff. Wirkungen des Geistes im Allgemeinen

Der Geist ist an den Stoff gebunden,
aber auch der Stoff an den Geist.

Unter dem Ausdrucke »Seelendiätetik« wird man sich eine Lehre von den Mitteln denken, wodurch die Gesundheit der Seele selbst bewahrt wird. Diese Lehre ist die Moral; und wenn gleich zuletzt alle Bestrebungen und Erkenntnisse des Menschen sich in dem großen Ziele vereinigen: seine Sittlichkeit, die eigentliche Blume seines Lebens, die Bestimmung seines Daseins, zu pflegen und zu fördern, – so haben wir doch hier vorzugsweise jene Kraft des Geistes vor Augen, wodurch er die dem Körper drohenden Uebel abzuwehren vermag – eine Kraft, deren Vorhandensein kaum je geläugnet, deren Wunder oft erzählt und bestaunt, deren Gesetze selten untersucht, deren Thätigkeit noch seltener ins praktische Leben gerufen zu werden pflegt. Jede Kraft aber, welche aus der Quelle des geistigen Lebens fließt, vermag der Mensch, indem er sie bildet, zur Kunst zu gestalten; denn die Kunst ist ein gebildetes Können, und wenn er es dahin gebracht hat, daß ihm das Leben selbst zur Kunst ward, warum soll es ihm die Gesundheit nicht werden können, die das Leben des Lebens ist? Das ist nun die Diätetik der Seele (die Seele der Diätetik, – wie einer unserer Recensenten eben so freundlich als treffend commentirte –), von der ich spreche, die ich nicht abhandeln, wol aber Beiträge zu ihr liefern will.

Kant hat in einer wohldurchdachten Schrift »von der Macht des Gemüths« gehandelt, »durch den bloßen Vorsatz krankhafter Gefühle Meister zu werden.« Wir gehen weiter; wir wollen nicht blos Gefühle bemeistern, sondern wo möglich das Erkranken selbst. Man kann so oft der Seele nur durch den Körper, – warum nicht diesem auch einmal durch jene zu Hilfe kommen? Vielleicht haben Aerzte und – wir selbst (denn hier gälte es vor Andern wol sein eigener Arzt zu sein) diesem Gesichtspunkte noch nicht die volle Aufmerksamkeit gewidmet, die er verdient. »Glückliche Zweiheit menschlicher Natur! – ruft eine gemüthliche Schriftstellerin Fried. Bremer. – du allein erhältst die Einheit unsres Wesens! Das Thier trägt den Geist, der Geist das Thier, – und so allein kann der Mensch leben.« Wie er es vor Siechthum bewahren möge, das wäre unsere Aufgabe. Es wäre zu viel von uns verlangt, wenn man eine abgeschlossene Lehre über einen Gegenstand hiermit forderte, der, wie alle geistigen, ja sagen wir lieber alle lebendigen Erscheinungen, so oft entschlüpft, als man sich freut, ihn gefaßt zu haben. Man mag es uns vielmehr danken, daß wir das eitle Behagen, ein System zu bauen, der Wahrscheinlichkeit opfern, man werde unsern Skizzen den Vorwurf des Rhapsodismus machen. Es gibt Gegenstände, in denen man zu wenig erlangt, wenn man zu viel verlangt. Vielleicht gehört die Physiognomik in diesen Bereich; und so wollen denn auch wir, wie Lavater mit physiognomischen Fragmenten, mit Fragmenten zu unserer Diätetik der Seele uns bescheiden. Damit es uns aber nicht ergehe, wie jener Akademie der Wissenschaften, die untersuchte, warum das Wasser sammt dem Fische darin nicht schwerer wiege, als das Wasser ohne den Fisch, aber zu untersuchen vergaß, ob dem auch so war, – so laßt uns beim Daß noch einen Augenblick verweilen, ehe uns das Wie in seine Labyrinthe zieht. Ist doch das Daß in allen Verwandlungen jenes Proteus, den wir Leben nennen, dasjenige, was gerne bei uns verbliebe, während das Wie beständig vor uns auf der Flucht ist; bei Jenem ist es gut sein; es lebt sich heiter und gelinde mit ihm; es ist und macht klar. Dieses hinwieder treibt schlimme Künste, lockt und verlockt, ist mit dem Guten wie mit dem Bösen in uns im Bunde, – und mögen besonders die Forscher der Natur vor diesem dämonischen Wesen auf ihrer Hut sein! –


... »Ueber das Ich des unbefriedigten Geistes düst're Wege zu späh'n ...« kann unsere Absicht nicht sein. Untersuchungen über die Unterscheidung, ja das Dasein von Seele und Leib, wie sie die Philosophen von Alters her liebten und immer lieben werden, haben für den gesund und praktisch Denkenden etwas Komisches. Ich appellire an das unbefangene, ungetrübte Gefühl jedes Menschen. Wer zweifelt, ob er eine Seele habe, lese mich nicht. Wer alle Wirkungen, von denen ich als von Thatsachen der Erfahrung erzähle, dem Körper zuschreibt, der übersetze sich meine Sprache so: »Gewalt desjenigen Theiles des Körpers, dem die sogenannten Seelenverrichtungen zufallen, über die andern Theile.« So verschroben eine solche Ansicht der Sache sei, – die Thatsache bleibt auch dann noch Thatsache, die aus ihr sich ergebende Maxime auch dann noch nützlich, – und um das fruchtbare Wahre allein ist es uns zu thun! Ich weiß für jene Thatsache kein näher liegendes Beispiel als das eines Menschen, der sich aus dem Schlafe ermuntert. Hier ist auch, wie von den Gegnern eingewendet wird, eben das gefesselt, was befreien sollte, und doch hat es Kraft genug, sich emporzuringen, und, diese Kraft kann durch Uebung gesteigert werden. Es gibt einen Grad von Unfreiheit, wo leider keine Gegenwirkung mehr möglich ist, die Nacht des Geistes; aber es gibt einen mildern Grad, – der Dämmerung; für diesen gibt es Impulse, für diesen gelten meine Sätze. Zwischen beiden liegt noch ein Grad, – die eigentliche Seelenkrankheit, wo auch der Impuls des Willens wirkt – denn sonst gäbe es keine Heilung! – aber nicht durchs eigne, sondern durch fremdes Bewußtsein. Diese Zustände in ihren Wurzeln darlegen, hieße tiefer graben, als es räthlich ist. Aber auch ohne Grübelei, ohne Luftschifffahrt in die Nebel der Metaphysik, denken wir vorerst die Aufgabe zu lösen: über die Grundbegriffe unsres Gegenstandes klar zu werden.

Der völlig unbefangene Mensch fühlt sich als Eins, und lebt als solches, unbewußt. Mit dem Bewußtsein geht diese geistige Unschuld verloren, es tritt eine Spaltung ins Leben. Die Thatsachen des Bewußtseins, welche gewahr zu werden eine innere Erziehung erforderlich ist, führen auf ein anderes Princip, als die Thatsachen der Sinnlichkeit. Wir nennen es Geist; vergessen aber nicht, daß wir mit diesem Wort nur eine Abstraction bezeichnen. Denn der Geist erscheint uns auf diesem Planeten nur, in so ferne er sich eben im Menschen, also in körperlichem Wesen, offenbart. In dieser Verbindung mit Körpern nennt ihn der vernünftige Sprachgebrauch Seele, und den mit ihm verbundenen Körper: Leib. Der Beweise, daß die Seele auf den Leib wirke, sollte es also gar nicht bedürfen, da wir Beides nur in der Einheit der Erscheinung fassen, und es schon der höchsten Ausbildung bedarf, um ihre Verschiedenheit ausfindig und sich klar zu machen. Ihren Zusammenhang erklären zu wollen, ist noch vergeblicher; da wir ja eben schon als Einheit denken, und dieses Denken, womit wir begreifen, nicht wieder begreifen, das Unmittelbare nicht vermitteln können, – so wie die rechte Hand wol die linke, aber nie sich selbst ergreifen kann. Unser Denken in der Zeitlichkeit begleitet auch das Räumliche, so viel ist gewiß; und Lachen und Weinen sind das nächstliegende Symbol geistig körperlichen Zusammenwirkens. Daß die Nerventhätigkeit das zunächst anschließende Glied in der Kette dieses Zusammenwirkens ist, bemerkt der Arzt. Jede weitere Frage ist eine müßige Frage. Wir haben den Begriff festgestellt, – und von nun an über diese Probleme keine Sylbe mehr.

Eben so wenig können wir uns hier auf eine genetische Erörterung über die Gründe des Erkrankens und Genesens einlassen. Es bedarf auch einer solchen gar nicht. Uns genügt es zu bedenken, daß alles Erkranken entweder von Innen oder von Außen bedingt werde. Man wird entweder krank, weil sich ein Keim, der mit unserm individuellen Dasein gegeben ist, entwickelt, – freilich nicht ohne einige Anregung von Außen, oder weil unser organisches Einzel-Leben im Kampfe gegen die feindlichen, der Welt, die uns umgibt, fortwährend entquellenden Gewalten erliegt; – freilich nicht ohne Voraussetzung einer mitgebornen Empfänglichkeit, die auf Schwäche beruht. Zu den Krankheiten der erstem Art gehören außer jenen, die unter dem Namen der angeerbten, der constitutionellen, bekannt sind, noch gar manche Zustände, die vielleicht noch nicht überall aus diesem Gesichtspunkte sattsam gewürdigt sind, und von denen man nur zu oft nicht weiß, ob man sie Entwickelungen oder Krankheiten nennen soll. Der denkende Arzt mag diesen Wink benutzen und zusehen, ob er die Ideen, von welchen Malfatti bei seiner Pathogenie aus den Evolutionen des Lebens ausging, praktisch ins Leben zu leiten und fortzuführen vermag.

Sollte zur Beherrschung solcher Zustände der Geist gar nichts vermögen? Es versteht sich, daß hier nicht von jenen prophylaktischen Vorkehrungen die Rede ist, welche die Aerzte zur Verbesserung der Anlagen, zur Abwehr ihnen entsprechender Einflüsse, anbefehlen; diese Verordnungen entspringen wol auch dem Geiste, aber nicht dem des Leidenden. Die Philosophen, zumal die philosophischen Dichter, bemühen sich vielfach, uns anschaulich zu machen, wie eine einseitige ethische Anlage, eine wuchernde Richtung, in sich zurückzudrängen, zu begrenzen, zu determiniren sei; sollte das nicht auch in unserem Bezirke ausführbar sein? Wie äußert sich die Gesammtanlage eines Menschen, in Bezug auf seine Gesundheit, für den Nichtarzt, für ihn selbst am erkennbarsten? Mich dünkt durch das, was man sich als Temperament eines Menschen denkt, wenn dieses Wort im lebendigen Sinne der Volkssprache aufgefaßt wird, nicht mit den Begriffen, welche ihm seit den vier Qualitäten des Aristoteles die Schule unterlegt hat. Der Mensch ist nun einmal ein Eines aus Vielem; und die feinsten Naturforscher gelangen nicht weiter, als: sich die Temperamente als »zu einem individuellen Leben temperirte Elemente« vorzustellen. »Jeder einzelne Mensch – sagt Herder – trägt, so wie in der Gestalt seines Körpers, so auch in den Anlagen seiner Seele, das Ebenmaß, zu welchem er sich selbst ausbilden soll, in sich. Es geht durch alle Arten und Formen menschlicher Existenz, von der kränklichsten Unförmlichkeit, die sich kaum lebend erhalten konnte, bis zur schönsten Gestalt eines griechischen Gottmenschen. Durch Fehler und Verirrungen, durch Erziehung, Noth und Uebung, sucht jeder Sterbliche dies Ebenmaß seiner Kräfte, weil darin der vollste Genuß seines Daseins liegt.« – Und die Bedingung seiner Gesundheit; – setzen wir hinzu. Und sollte der Mensch, das einzige Wesen in der Natur, das sich zum Gegenstande werden kann, nicht zu jenem Selbstbegriffe gelangen dürfen? Er, den Protagoras »das Maß des Weltalls« nannte, sollte nicht auch das Maß seiner selbst sein? Gewiß, wer je aus dem Wirrsal der Außendinge auf sich zurückgeschaut, wird den Einfluß des Geistes von dieser Seite am wenigsten bestreiten; wird zugeben, daß man eine Macht erringen könne über sich selbst, – also auch über das Erkranken, in so fern es in der Tiefe der Eigennatur wurzelt. Und nur um dieses Daß war es zuvörderst zu thun; über das Wie sind fast alle folgenden Kapitel ein Commentar.

Wunderbarer und zweifelhafter mag es Manchem scheinen, daß der Seele auch eine Kraft und Herrschaft über ihr Gebiet hinaus zugestanden werden soll, – als ob die Welt, in der wir leben und weben, nichts als das Gewebe unseres Lebens sei. Und doch! was ist sie für uns anders? Dem Manne erscheint sie männlich, dem Kinde kindisch, dem Frohen heiter, dem umflorten Auge getrübt, und wie sie empfangen wird, so wirkt sie. Immer sind es doch die unserer Seele am stärksten gewordenen Bilder, immer unsere Vorstellungen, die das Glück des Menschen ausmachen, so wie sein Elend. Und sollte es unmöglich sein, ihr Auf- und Niedertauchen in unsere Gewalt zu bekommen? Sollten wir uns kein helles Auge anschaffen können, wie wir leider so oft alle erdenkliche Sorgfalt und allen Scharfsinn anwenden, es zu verdunkeln, zu stumpfen? Der wilde Sturm auf der Haide, der den Gefährten Lears bis an die Haut dringt, berührt den Unglücklichen nicht, in welchem der innere Sturm des Unwillens allen äußern übertäubt. Ja der schlagendste Beweis für die Macht des Geistes ist eben – wunderbar genug! – seine Ohnmacht. Wem ist es nicht bekannt, daß die Unglücklichen, deren Seele in der Nacht des Wahnsinnes irrt, in ihrer Jammerzelle frei von so vielen Körperleiden bleiben, welche einzeln oder gleichzeitig, die um sie herum Lebenden ergreifen, während die in einen Wahn concentrirte Seele, indem sie ihre Aufmerksamkeit vom Körper entfernt hält, ihn für die äußern Einflüsse unempfänglich macht? Und ein gebildeter, auf heilige Ziele der Vernunft gerichteter Wille sollte nicht mehr, nicht eben so viel vermögen, als stürmischer Unwille, als die grauenvolle Gewalt des Irrsinnes? Ein brittischer Correspondent, der über den Einfluß jenes aus Nebel und Steinkohlenqualm gebildeten Klima's auf die Gesundheitszustände seiner Landsleute berichtet (Medical Rapports 1830), fügt seiner Erzählung die Ergebnisse der Beobachtung bei: »Inzwischen bleibt es unermittelt – sagt er – ob von jenen Krankheiten, welche dem Dunstkreise unserer Stadt beigemessen werden, nicht gar manche den Sitten entspringen. Wie der Leib, bei allem Temperaturwechsel von Außen, seine innere Wärme wenig ändert, so gibt es eine innere Kraft des Widerstandes im menschlichen Gemüthe, die, wenn sie zur Thätigkeit geweckt wird, meist hinreicht, der feindlichen Thätigkeit äußerer Kräfte das Gleichgewicht zu halten. Aerzte erzählen von kranken Frauen, welche, zur Zeit da sie sich zu matt empfanden durchs Zimmer zu gehen, ohne ein einziges Gefühl von Beschwerde die halbe Nacht mit einem begünstigten Tänzer durchwalzten. So weckt der Lieblingsreiz die belebte Faser. Darum sind es auch die Müßigen, die Leeren, die Fashionables, die von Londons Atmosphäre am meisten leiden. Jemand, dessen Aufmerksamkeit und Kraft stets in Wirksamkeit verflochten ist, kennt das Barometer nicht. Man weiß zwar, daß der düstere November die Zeit der Melancholie und des Selbstmordes ist; die dunkle Färbung des Himmels aber kann den Aether eines hellen Gemüthes nicht umnachten. Selbst die pathologische Aufregung der Manie schwingt sich über den Einfluß der Atmosphäre hinaus. Es sind die Gedanken, welche der Mensch, immer geneigt sich zu quälen, an die Erscheinungen des entblätternden Herbstes knüpft, die ihn drücken, die ihn besiegen. Und wenn auch die Besorgnisse des Hypochondristen mit dem Wetter fallen und steigen, so ist's am Ende doch nur seine Wirkungskraft, die über seine Stimmung und über deren Erfolg entscheidet. Der Hypochondrist ist stets, sei es auch nur momentan, schwach an Charakter; begreift er dies einmal mit Ernst und entschieden, und arbeitet unverdrossen an seinem Heile, so wird er sich selbst der beste Arzt.« – Welcher Arzt, selbst in einem engen Kreise von Erfahrungen, fühlte sich hier nicht angeregt, eine Anzahl von ähnlichen aus seiner Sphäre mitzutheilen? sind sie nicht beinahe eben so häufig, als irgend sonst medicinische? zumal in größern Städten? scheint hier nicht der Dunstkreis, der sie umschleiert, aus den Leidenschaften, Sorgen und Gedanken der Bewohner zu bestehen? ist nicht der Selbstmord, mag auch Werther immerhin die Theilnahme, die man unglücklichen Kranken schuldig ist, fordern (S. 75 u. f.), die traurige Erbschaft allzuzarter Naturen, weicher Gemüther, die in den Kreisen des Lebens, gegen die Härte und Rauhheit des Realen, sich nicht zu behaupten im Stande sind? (man denke an Heinrich von Kleist); hat es nicht jeder thätige Arzt an sich selbst erfahren, daß nur die aufopfernde Erfüllung seiner Pflichten in verhängnißvollen Tagen die Wolken zu zertheilen fähig war, die sich um sein eigenes sittliches und körperliches Dasein zu legen begannen? Daß eine solche Thätigkeit ihn sogar vor jenen Gefahren schirmte, die mit ihr selber verbunden sind? – wie denn immer in den Wunden, welche die Pflicht schlägt, auch schon der Balsam liegt, der sie heilt. »Ich war – erzählt Goethe, den ich hier anführe, weil eben in diesem Falle der stärkere Impuls des Berufes fehlt, und die reine Macht des Wollens ohne Nöthigung nur um so auffallender erscheint, – ich war bei einem Faulfieber der Ansteckung unvermeidlich ausgesetzt, und wehrte blos durch einen entschiedenen Willen die Krankheit von mir ab. Es ist unglaublich, was in solchen Fällen der moralische Wille vermag! er durchdringt gleichsam den Körper, und versetzt ihn in einen activen Zustand, der alle schädlichen Einflüsse zurückschlägt. Furcht ist ein Zustand träger Schwäche, wo es jedem Feinde leicht wird, von uns Besitz zu nehmen.« – Wenn man über Thatsachen des Seelenlebens Goethe citirt, so hat das einen eignen Werth; bei ihm ist alles erlebt und factisch, was bei so vielen Andern nur schöne Selbsttäuschung ist. Was ist denn das Leben selbst, als die sich behauptende Kraft des Individuums, das Begegnende einem innern Gesetze zu unterwerfen, das Fremde sich anzueignen, und so in steter Bewegung beharrlich, zwar im Zustande nie aber im Wesen sich zu ändern? Sollte eine solche Kraft der leiblichen Natur nicht in der geistigen, deren eigentlichen Charakterzug sie ausmacht, ihren stärksten Träger, ihre festeste Stütze finden? Selbsttätigkeit ist Bedingung der Selbsterhaltung; Entwicklung des Geistigen im Menschen, Bedingung der Selbstthätigkeit; je größer die Macht des Gedankens in einem Menschen, desto größer seine Spontaneität, je größer diese, desto mehr lebt er, ist er. Gewiß tausend Influenzen lauern auf den bedürftigen Sterblichen, ja die ganze Welt ist eine Influenz, aber die stärkste von allen ist der Charakter des Menschen. Er ist eigentlich wir; denn wie alle Wesen der Natur nichts anderes sind als dargestellte Kräfte, so kann auch der Mensch nichts sein Eigen rühmen, als die Energie, mit welcher er sich offenbaret; und wäre es eine aufgedrungene! wenn er die eigene aus sich zu erregen nicht vermag, versetzte er sich durch einen Ruck in einen Zustand, in welchem er wollen muß. Es ist eine alte gegründete Wahrnehmung, daß selten Jemand auf der Reise oder im Bräutigamszustande stirbt.

»Selten, ja kaum jemals in der Jugendzeit – sagt der denkende Bulwer – wird sich Krankheit unheilbar an uns klammern, wenn wir nicht selbst den Glauben an sie hegen und nähren; sieht man doch Menschen von der zartesten Körperbeschaffenheit in steter Berufstätigkeit nicht Zeit haben, krank zu sein. Laß sie müßig gehen, laß sie nachdenken, – sie sterben. Rost frißt den Stahl, der blank bleibt, wenn er benützt wird. Und wenn auch das eitel wäre, wenn Thätigkeit und Indolenz einerlei Uebel erzeugten, so räume ein, daß bei jener demselben leichter zu entrinnen ist, daß sie einen edleren Trost verleiht.« – Ich aber darf mich durch die übereinstimmende Denkweise eines trefflichen Schriftstellers nicht verleiten lassen, mehr zu leisten, als ich soll. Hier galt es die empirische Beglaubigung einer geistigen Wirksamkeit zur Abwehrung von Krankheitseinflüssen, – und ich glaube zu dieser Absicht eher zu viel, als zu wenig gesagt zu haben.



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