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Sieg auf der ganzen Linie

Schon vier Monate vor diesem einstweiligen tragischen Ausgang der Flüge bei Fort Myer war Wilbur Wright nach Europa gekommen, nach Frankreich zunächst, um dort den Plan der Brüder, auf französischem Boden Propaganda- und Schauflüge vorzuführen, in die Tat umzusetzen. Er nahm, kaum in Paris angelangt, sofort die Verbindung mit Hart O'Berg auf, dem europäischen Präsidenten der Firma Charles R. Flint und Co. Diese Firma vertrat auf Grund eines schon vor einiger Zeit abgeschlossenen Vertrages die Wrights mit ihren Patentansprüchen in allen nicht englisch sprechenden Ländern. O'Berg war von der ihm vorgetragenen Idee begeistert. Er war ein viel zu guter Geschäftsmann, um nicht sofort den gewaltigen Nutzen zu erkennen, der den gemeinsamen Interessen der Wrights und seiner Firma aus solchen Schauflügen erwachsen konnte. Aber da gab es eine Frage, die beiden Männern einige Sorge bereitete: wo sollte man diese Flüge veranstalten? Noch gab es in ganz Europa keinen Flughafen, ja, dieser Begriff war noch nicht einmal geboren, geschweige in den Sprachschatz der Völker eingegangen.

Zur rechten Stunde meldete sich da der Automobilindustrielle Leon Bolee, der, halbwegs aus Berufsgründen den Problemen des menschlichen Fluges sehr aufgeschlossen, Wright sein Gut bei Le Mans, 115 Meilen von Paris entfernt, für die geplanten Zwecke zur Verfügung stellte. Gern nahm Wilbur Wright dieses freundliche Angebot an und ordnete sofort die Überführung seines Flugzeuges von Le Havre nach Le Mans an. Aber ehe er noch mit den für eine größere Zahl von Zuschauern bestimmten Flügen richtig beginnen konnte, ereignete sich ein schmerzhaftes Mißgeschick. Infolge Berstens eines Kühlerrohrs verbrühte sich Wilbur Wright den linken Arm so schwer, daß er zunächst nicht daran denken konnte, seine Absicht in die Tat umzusetzen.

Die französische Presse reagierte, noch immer mißtrauisch, sofort sauer. Ein Pariser Blatt brachte es fertig, auch diesen Unfall in Zweifel zu ziehen und darüber einen Artikel zu veröffentlichen, der die Überschrift trug: »Le bluff continue« – Der Bluff dauert an! Wilbur Wright ließ sich durch solche hämischen Angriffe nicht aus der Ruhe bringen. Er wußte, was er konnte und was seine Maschine konnte. Kaum war der linke Arm wieder halbwegs zu gebrauchen, als er auch schon wieder eifrig im Hangar und auf dem improvisierten Flugfeld tätig war. Dabei machte er zwischen sich und seinen Monteuren und Arbeitern keinerlei Unterschiede, legte überall, wo es nottat, selbst mit Hand an, und wenn gegen zwölf Uhr vom Gut her die Sirene klang, dann ging er im einfachen Overall mit all den andern zu dem nicht minder einfachen, wenn auch kräftigen Mittagessen. Dieses Fehlen aller Überheblichkeit wurde ihm hoch angerechnet, und es gab niemanden unter seinen Mitarbeitern, der nicht jederzeit für seinen »Chef« durchs Feuer gegangen wäre.

Am 8. August 1908 startete er endlich zu dem lange ersehnten ersten Flug. Große Menschenmengen, hauptsächlich natürlich Einwohner des nahen Le Mans, aber auch viele Mitglieder des Aero-Clubs und Zeitungsleute, hatten sich eingefunden. Jahre später erzählte Hart O'Berg einmal:

»Wilbur Wrights ruhiges Selbstbewußtsein war wirklich erstaunlich. Es gab bei seinem Auftreten etwas, was die Sache ganz besonders dramatisch machte: daß er nämlich ganz so gekleidet war, als plane er nichts Ungewöhnliches, als handele es sich um die selbstverständlichste Sache der Welt. Er trug weder einen Sturzhelm noch irgendein besonderes Kleidungsstück, sondern seinen üblichen grauen Anzug und, wie immer, wenn er nicht im Overall des Arbeiters oder Monteurs steckte, einen hohen, gestärkten Kragen.«

Bei der Landung nach diesem ersten ausgedehnten Flug hatte Wilbur Wright alle Mühe, sich die stürmischen Gratulanten vom Halse zu halten, die ihn im Überschwang ihrer Begeisterung und mit gallischem Temperament umarmen und küssen wollten.

Die Wirkung dieses Ereignisses auf die bis dahin so zurückhaltende und mißtrauische Presse Frankreichs war ungeheuer. Der »Figaro« schrieb »Es war nicht nur ein Erfolg. Es war ein Triumph. Es war der entscheidende Sieg des Flugzeugs, das die Wissenschaft der ganzen Welt revolutionieren wird.« Und die bekannte Zeitschrift »Le Journal« gestand nicht ohne Beschämung: »Es war die erste Probe aufs Exempel des Wright-Aeroplans, dessen Eigenschaften lange mit Zweifel betrachtet worden waren, und sie gelang vollkommen.« Aber daß, neben anderen Druckschriften, auch gerade »Le Journal« diese Zweifel planmäßig genährt hatte, dies einzugestehen hielt man denn doch, bei aller Begeisterung, nicht für zweckmäßig.

Von diesem Augenblick an wandelte sich beinahe schlagartig die Stimmung in ganz Frankreich. Das Land wurde förmlich überflutet von Erinnerungskarten an diesen ersten gelungenen Motorflug über französischem Boden, von Bildern, die teils Wright allein, teils ihn und sein Flugzeug hoch in der Luft zeigten. Die Welle der Begeisterung machte nicht einmal bei der hohen und meist doch sich gern skeptisch gebenden Diplomatie halt, und Frankreichs Gesandter in Amerika erklärte anläßlich eines Aufenthaltes in New York allen, die es wissen wollten, und auch jenen, die nicht danach fragten, Wilbur Wright werde in Frankreich für den größten Mann des zwanzigsten Jahrhunderts gehalten.

Wilbur Wright selbst ließ sich durch all das nicht aus seiner gelassenen Ruhe bringen. Er war ein Mensch, dessen seelisches Gleichgewicht so fest verankert war, der so ausgeglichen in sich selbst ruhte, daß weder die Zeit der Angriffe, des Neides, des Mißtrauens und des Zweifels an seines und seines Bruders Werk, durch die beide hatten hindurchgehen müssen, noch dieser plötzliche und alles Dagewesene übersteigende Überschwang ihn zu erschüttern vermochten. Nach wie vor schlief er im Hangar in unmittelbarer Nähe neben seinem Apparat, den er liebte und betreute wie sein leibliches Kind, nach wie vor lebte er kameradschaftlich mit seinen Arbeitern und Gehilfen zusammen und gab sich schlicht und einfach, wie er war.

Die durch Wilbur Wrights erfolgreiche Schauflüge hervorgerufene Begeisterung und Aufregung griff verständlicher Weise alsbald auch nach England über. Zahlreiche Mitglieder der Aeronautischen Gesellschaft von Groß-Britannien fuhren nach Le Mans, um sich persönlich und durch Augenschein von der Richtigkeit und Zuverlässigkeit der ihnen über die Presse und von privater Seite zugegangenen Meldungen zu überzeugen.

Am 12. September 1908, also nach etwa acht Wochen hindurch ohne Unterbrechung vorgenommenen Schauflügen, deren jeder zu einem Erfolg wurde, weilte Wilbur Wright als Gast des Aero-Clubs von Sarthe – des Departements, zu dem Le Mans gehörte – in Paris. Es gab viele feiernde und lobpreisende Reden, und schließlich ließ man den Gast immer deutlicher merken, daß man auch von ihm einige angemessene Worte erwartete.

Wilbur Wright, gleich seinem Bruder von fast spartanischer Wortkargheit, konnte sich diesem Wunsch, der so unübersehbar deutlich gemacht wurde, nicht entziehen. Er erhob sich und sagte gelassen:

»Ich kenne nur einen Vogel, der spricht. Das ist der Papagei. Und der kann nicht sehr hoch fliegen!«

Sprach's und setzte sich mit heiterem Lächeln wieder hin.

Wenig später begann Wilbur Wright auch Passagiere bei seinen Schauflügen mitzunehmen. Unter seinen ersten Fahrgästen befand sich der Vertreter des »New York Herald«, Mr. Diekin, sowie Franz Reichel, den der »Figaro« entsandt hatte. Letzterer war so begeistert von diesem einmaligen Erlebnis, daß er nach der Landung Wright umarmte und nicht müde wurde, ihn als den bedeutendsten Mann des Jahrhunderts zu preisen.

Natürlich bestürmten viele Besucher des Flugplatzes bei Le Mans den berühmten amerikanischen Gast, sie als Passagiere mitzunehmen. Aber ein Engländer, der längere Zeit hindurch aufmerksam beobachtete, was hier vorging, stellte sachlich und zugleich überrascht fest: »Niemals ließ sich Wilbur Wright einen Entgelt für einen dieser Flüge geben, obgleich zweifellos Dutzende von Personen jederzeit bereit gewesen wären, Hunderte von Pfunden oder Dollars für ein solches Privileg zu zahlen.«

Inzwischen war über Vermittlung von Hart O'Berg ein Vertrag zwischen den Brüdern Wright und einer neu begründeten französischen Gesellschaft zustande gekommen, der die Lieferung von Wright-Flugzeugen zum Ziele hatte, aber unter anderem den Wrights auch die Verpflichtung auferlegte, drei Piloten auszubilden, die von der französischen Gesellschaft bestellt wurden. Zu ihnen gehörte auch der Graf de Lambert. Wie der Amerikaner Charles W. Furmas am 14. Mai 1908 in Kitty Hawk der erste Flugzeugpassagier der Welt wurde, so erhielt knappe fünf Monate später, am 28. Oktober 1908, Graf de Lambert die erste Pilotenstunde, die je einem zukünftigen Flugzeugführer erteilt worden ist. Auch dieses Datum erhält deshalb in der Geschichte der internationalen Aviatik seine besondere Bedeutung.

Nun sprach die ganze Welt nur noch von der durch die Wrights so herrlich bewiesenen Möglichkeit des Fliegens, durch die ein neuer Abschnitt in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit eingeleitet wurde. Auch der Aero-Club von Frankreich, dessen Haltung während der ersten, von Hauptmann Ferber eingeleiteten Bemühungen noch vielen in Erinnerung war, begann sich zu rühren. Er schrieb einen Preis von 2500.– Francs aus und benannte als Ort ein geeignetes Gelände nahe Auvours. Das stark ausgeprägte Nationalgefühl der Clubmitglieder hätte es natürlich gern gesehen, wenn einem Franzosen dieser Preis zugefallen wäre – die Aussichten dafür waren freilich gleich Null, obwohl inzwischen auch französische Flieger mit von ihnen gebauten motorisierten Flugzeugen Erfolge erzielt hatten. Mindestens sollte doch der in Frankreich lebende Engländer und Sportsmann Henry Farman der glückliche Gewinner sein. Oder Santos-Dumont. Oder schließlich der Vollblutfranzose François Blériot. Denn natürlich hatte die Kunst des freien Fluges, deren Entdeckung und Beherrschung trotz des von den Wrights lange Zeit sorgsam bewahrten Geheimnisses in des Wortes wahrstem Sinne »in der Luft lag«, im Laufe der letzten Monate und Jahre, etwa ab 1906, fast sprunghafte Fortschritte auch auf dem Kontinent gemacht. War nicht Farman schon am 13. Januar 1908 öffentlich der erste Kilometerkreisflug gelungen – eine sehr bescheidene Leistung freilich im Verhältnis zu dem von den Wrights lange vorher Erreichten! – und hatte nicht Blériot gerade in diesen Tagen, am 31. Oktober, eine Rundreise in seinem Flugzeug von Toury über Artenay nach Toury zurück vollbracht? Gewiß hatte Blériot unterwegs wegen eines Zündungsmangels einmal landen müssen, hatte bald danach ohne zwingende Notwendigkeit noch bei einer Wirtschaft in Santilly eine zweite Zwischenlandung ausgeführt, aber schließlich war er doch heiter und wohlgemut nach seinem Schuppen zurückgekehrt.

Die Herren vom Aero-Club von Frankreich überdachten dies und anderes sorgfältig. Es gab zwei Unterschiede zwischen den in Frankreich gebauten Flugzeugen und jenen der Gebrüder Wright. Der eine war grundsätzlicher Natur und kam vom Ideelichen her. Die Wrights hatten ihr Flugzeug planmäßig vom Gleitflieger aus entwickelt und es auf den beim Gleitflug gewonnenen Erfahrungen aufgebaut. Die Erfolge der Franzosen basierten überwiegend auf dem Vorhandensein besonders starker Motoren. So waren die in Frankreich entstandenen Flugzeuge mehr Kinder des Sports als solche der Technik, und kühner Wagemut, frischfröhliches Probieren, nicht zuletzt freilich auch weitgehende Unterstützung von privater Seite hatten bei ihrer Geburt Pate gestanden. Man brauchte ja nur an Santos-Dumont zu denken, der mit seinem »Raubvogel« einfach dank der Kraft des benutzten Motors in Bagatelle mehr als zweihundert Meter über das Flugfeld hinweggefegt war, der damit den ersten öffentlichen Freiflug auf dem Festlande vollbracht und sich den Archdeacon-Preis von fünfzigtausend Francs geholt hatte.

Der andere Unterschied war technischer Natur. Die Wrights bedurften zum Start, da ihr Flugzeug ja bislang keine Räder hatte, einer wohldurchdachten, wenn auch nicht übermäßig komplizierten Abflugvorrichtung. Sie war gut, zweckmäßig und durchaus brauchbar, ihre Herstellung bereitete keine nennenswerten Schwierigkeiten. Aber wenn das Flugzeug erst einmal irgendwo gelandet war, konnte es aus eigener Kraft nicht mehr hoch, man mußte es entweder zur Ablaufvorrichtung zurückbefördern oder man mußte am Landungsplatz eine weitere Vorrichtung dieser Art bauen. Ein Rundflug mit freiwilliger Zwischenlandung, wie Blériot ihn ausgeführt hatte, war für das Wright-Flugzeug nicht möglich.

Darauf fußend machten die Mitglieder des Aero-Clubs von Frankreich unter anderem zur Bedingung, daß die Teilnehmer an dem Preisflug sich für den Abflug keines Katapults oder einer ähnlichen Vorrichtung bedienen dürften. Dem Aero-Club von Sarthe erschien das als unfair, und um seinen gefeierten Gast zu versöhnen, erließ er ein weiteres Ausschreiben über 1000.– Francs, bei dem derartige hemmende Bedingungen nicht gestellt wurden. Auch dieser Preisflug sollte auf dem Flugplatz von Auvours nahe Le Mans ausgetragen werden.

Doch die Herren in Paris hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wilbur Wright setzte kurz entschlossen seine Maschine auf ein provisorisches, leichtes Fahrgestell, das das Gesamtgewicht des Apparats nicht übermäßig erhöhte, und holte sich beide Preise! Dabei stellte er noch am 31. 12. 1908, also am letzten Tage dieses so ereignisreichen und auch erfolgreichen Jahres, einen neuen Rekord auf, indem er sich zwei Stunden, zwanzig Minuten und 23,2 Sekunden in der Luft hielt. Damit waren die französischen Konkurrenten, auch der sehr aussichtsreiche Delagrange, der neben verschiedenen wohlgelungenen Flügen auch einen vor dem König von Italien in Rom ausgeführt hatte, ausgeschaltet.

Die vorgeschrittene Jahreszeit veranlaßte Wilbur Wright, seine weiteren Flüge nunmehr nach Pau, dem herrlichen Luftkurort am Fuße der Pyrenäen, zu verlegen. Hier widmete er sich vor allem der Ausbildung von Piloten für die französische Wright-Gesellschaft. Aus dem Pionier des Flugwesens wurde so der Begründer einer aviatischen Schule, wie neben und nach ihm auch ein Ferber, ein Farman, ein Blériot es werden sollten.

Die großen und nun nicht mehr abzustreitenden Erfolge, die Wilbur Wright erzielt hatte, bewirkten natürlich einen großen Zulauf an Jüngern, die unter seiner sachkundigen Anleitung die Kunst des Fliegens erlernen wollten. Sie kamen aus allen Gesellschaftsschichten und Berufsständen. Sogar ein junger englischer Herzog war einmal darunter. Wright behandelte alle gleichmäßig, vollkommener Demokrat, der er war, und hielt sie zu allen nur irgendwie vorkommenden Arbeiten an. So auch jenen Herzog. Titel konnten ihm nicht imponieren, auch eine lange Ahnenreihe nicht. Für ihn galt nur die Leistung. Der bekannte Lord Northcliffe, der gerade in Pau weilte, als Orville und Katherina Wright Anfang 1909 dorthin gekommen waren, weil Orville sich von seinem langen Krankenlager erholen wollte, sagte einmal zu letzterem mit einem bedeutungsvollen Seitenblick auf den eifrig arbeitenden jungen Herzog: »Ich freue mich so, daß der junge Mann so eifrig hilft. Sicher ist das die erste nützliche Arbeit, die er in seinem Leben getan hat.« Es war derselbe Lord Northcliffe, der sehr viel später einmal, als das Gespräch auf die Wrights kam, erzählte: »Ich habe niemals einfachere, bescheidenere Leute gesehen als die Geschwister Wright. Die beiden Brüder hatten erst kurze Zeit in Europa geweilt, und schon waren sie Welt-Helden (Heroes of the world) geworden. Tausende von Menschen aus allen Teilen Europas strömten herbei, um sie und ihre Leistungen zu sehen und zu bewundern, Könige und geringere Persönlichkeiten, aber all diese Begeisterung blieb ohne jeden Einfluß auf die Wrights.«

Northcliffe hatte mit seinem Hinweis auf die Könige nicht übertrieben. Schon im Oktober 1908 hatte sich die Königinwitwe von Italien, Margherita, bei Le Mans von Wilbur Wright dessen Flugzeug vorführen lassen. Das war gleichsam nur der Auftakt für einen förmlichen »run« der gekrönten Häupter Europas zu den Wrights – in einer Zeit, als Kronen noch hoch im Kurse standen. Während Wilbur Wright seine Piloten ausbildete und Orville und Katharina die Ferien, die Orville sich selbst gegeben hatte, nach Kräften nutzten, machte König Eduard VII. von England anläßlich seines Frankreichbesuches einen Abstecher nach Pau und ließ sich dort den Apparat vorführen, wohnte anschließend auch einem etwa halbstündigen Probeflug bei. »Ein König und zwei Asse!« so betitelten die amerikanischen Zeitungen das Bild, das wenig später in der ganzen angelsächsischen Presse verbreitet wurde und den König zwischen den beiden Brüdern Wright zeigte. Kaum hatte Eduard VII. Pau verlassen, so erschien auch schon, Mitte Februar 1909, König Alfons von Spanien, um seinerseits diese Gelegenheit, die ersten Menschen kennen zu lernen, die wirklich längere Zeit geflogen waren und das Problem des Menschenfluges gelöst hatten, nicht ungenutzt vorübergehen zu lassen. Er kam eigens zu diesem Zweck von San Sebastian herüber und war genau so begeistert, genau so an allen Einzelheiten der Maschine interessiert, wie es vorher der englische König gewesen war.

Der Damm war endgültig gebrochen. Ehren und Anerkennungen häuften sich. Schon am 8. Januar 1909 hatte Wilbur Wright sich mit einem Flug von 112 Kilometern Länge den Preis von Triaca geholt. Zwei Monate später verlieh die Technische Hochschule in München als erste Europas und der Welt den beiden Brüdern Wright den Titel eines Doktor-Ingenieurs ehrenhalber, der Michelin-Preis in Höhe von 20 000 Francs war ihnen schon vorher zugefallen. Dann, als Wilbur Wright sich noch einmal für kurze Zeit in Le Mans aufhielt, wurde ihm dort in Anerkennung seiner Pioniertat ein von dem Bildhauer Louis Carvin für diesen Zweck eigens geschaffenes Kunstwerk in Bronze feierlich überreicht, das die Brüder am Rande einer Schlucht darstellte, wie sie einem Adler im Fluge nachblickten. Über ihnen schwebte eine geflügelte Gestalt, die den Genius der Luftfahrt versinnbildlichen sollte.

Auch Frauen als Passagiere waren nun keine Seltenheit mehr. Hatte schon am 7. Oktober 1908 Frau Hart O'Berg in Le Mans das Flugzeug bestiegen und damit für sich den Ruhm gewinnen dürfen, der erste weibliche Fahrgast der Welt geworden zu sein, so folgte ihr in Pau die Schwester der Erfinder, Katherina Wright. Damit war das Eis gebrochen, und sicherlich war es nun nur noch eine Frage der Zeit, wann eine Frau auch selbständig, als Pilotin also, ein Flugzeug durch den Äther lenken würde.

Anfang April beendete Wilbur Wright seine Ausbildungs- und Schauflüge in Pau und begab sich nach Rom, um dort seinen Apparat der italienischen Regierung sowie dem König von Italien vorzuführen und einen Schüler auszubilden. Auch hier gelang es ihm, ganz Italien von seinem fliegerischen Können und seinen ungewöhnlichen Leistungen zu überzeugen. Als Schüler hatte sich der Genieleutnant Calderara gemeldet, der bereits Ende des Monats selbständig als Pilot einen Flug von fünfunddreißig Minuten Dauer auszuführen vermochte. Wohl ging der Apparat bei der Landung durch einen Sturz aus etwa drei Metern Höhe zu Bruch, aber dies lag weder an der Maschine noch an dem unzulänglichen Können und der etwa überstürzten Ausbildung Calderaras, sondern an einem Motordefekt, der zu vorübergehendem Aussetzen des Motors führte.

Schon im Mai konnte Wilbur Wright seine Aufgabe in Italien als beendet ansehen. Gemeinsam traten nun die drei Geschwister die Heimreise nach Amerika an. Der in Pau benutzte und ziemlich stark mitgenommene Apparat war mittlerweile mit Zustimmung der Brüder von der französischen Regierung nach Paris geschafft und dort zur bleibenden Erinnerung im Konservatorium der Künste und des Handwerks aufgestellt worden. In London wurde den Brüdern Wright in einer feierlichen Sitzung der dortigen Aeronautischen Gesellschaft die eigens für diese Zwecke geprägte goldene Erinnerungsmedaille überreicht, gleichzeitig wurden sie zu lebenslänglichen Ehrenmitgliedern dieser angesehenen Gesellschaft ernannt. Weitere Ehrungen in ihrem Vaterlande schlossen sich an. Bei der Ankunft des von den Wrights benutzten Lloyddampfers in New York drängte sich am Kai eine nach Zehntausenden zählende begeisterte Menschenmenge, die in ohrenbetäubende Jubelschreie ausbrach, kaum daß die Brüder den Boden ihres Vaterlandes betreten hatten. Persönlich überreichte ihnen dann der Präsident der USA, Taft, im Weißen Hause in Washington die vom Aero-Club Amerikas gestiftete Ehrenmedaille.

Der Jubel, mit dem die Brüder Wright in ihrer Heimatstadt Dayton bei einem anschließenden kurzen Besuch empfangen wurden, war vielleicht noch größer. Bei ihrer Ankunft um die Mittagsstunde des 17. Juni läuteten alle Kirchenglocken, Kanonendonner dröhnte über die Stadt hinweg, und wie Triumphatoren hielten sie, von Tausenden von Menschen und einem langen Zug von Wagen geleitet, in einem mit vier Schimmeln bespannten Gefährt ihren Einzug. Bei der feierlichen Begrüßung durch die Stadtväter bildeten 2 500 in blau, weiß und rot gekleidete Schulkinder die amerikanische Flagge mit ihren Streifen und Sternen, und der Kongreß ließ sich durch den General James Allen vertreten. Drei goldene Medaillen wurden den Brüdern überreicht, eine von der Nation, eine vom Staate Ohio und die dritte von der Stadt Dayton selbst. Alle öffentlichen Gebäude waren beflaggt, auch viele Privathäuser; am Abend drängte sich die festlich bewegte Menge durch die illuminierten Straßen, und man beglückwünschte sich gegenseitig zu den großen Söhnen der Stadt. So sehr hatte sich die öffentliche Meinung innerhalb noch nicht eines Jahres zugunsten der beiden Brüder gewandelt! Auch hier bewahrheitete sich wieder einmal das Wort: Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande, und es mußte erst Europa, mußte erst Frankreich die großen Verdienste der Wrights anerkennen und würdigen, ehe man auch in den Vereinigten Staaten sich zu ihnen, nun allerdings mit vorbehaltloser Leidenschaft und Begeisterung, bekannte.

Nur wenige Tage konnten die Wrights in Dayton verbleiben, denn die Fortsetzung und Beendigung der Abnahmeprüfungen bei Fort Myer drängte. Gemeinsam begaben sich die beiden Brüder nach Washington, und schon am 28. und 30. Juni führte Orville Wright, nun von den Nachwirkungen seines schweren Sturzes völlig wiederhergestellt, seine letzten Flüge durch, bei denen er in einer Stunde 43 englische Meilen zurücklegte. Damit waren die geforderten 40 Meilen um drei überschritten worden, und die Wrights erhielten gemäß den Bedingungen der Ausschreibung einen zusätzlichen Betrag von 5 000 Dollars, so daß ihnen von der Regierung für ihr Flugzeug ein Gesamtpreis von 30 000 Dollar gezahlt wurde.

Rund zehn Jahre waren vergangen, seit die Wrights ihre ersten Gleitflüge vom Kill-devil-Hügel bei Kitty Hawk ausgeführt hatten, und ein halbes Dutzend Jahre seit ihrem ersten gelungenen Motorflug. Zehn Jahre hindurch hatten sie gesät, waren sie belächelt oder gar angefeindet worden, hatten sie mit dem Mißtrauen einer Welt kämpfen müssen, die nicht für möglich hielt, was doch längst Wirklichkeit geworden war. Viele Enttäuschungen, viele Nackenschläge hatten sie bei ihrem Kampf um die öffentliche Anerkennung in Kauf nehmen müssen, aber nichts hatte vermocht, sie zu entmutigen oder ihre Kraft, ihren Willen zu lähmen.

Jetzt, endlich, würde die Zeit der Ernte kommen!


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