Max Eyth
Mönch und Landsknecht
Max Eyth

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III.

's war am letzten Weihnachtsfeiertag 1524. Im Ochsen zu Ballenberg war es gedrängt voll. Die heiße, dumpfige Wirtsstube hatte jedoch heute ein ganz andres Aussehen als sonst. Früher, wenn sie sich füllte und die armen Bauern ihr Elend im Wein ersäufen wollten, stellte sich der lustige Wirt, der überall bekannte Metzler, unter den Pfeiler, der sich in der Mitte der Stube erhob, und fing an, seine Geschichtchen zu erzählen, denen immer ein schallendes Gelächter folgte, und wenn manchmal unter den lustigen Schnurren, wie von ungefähr, ein bittres, beißendes Wort über den Jammer und die Not der Zeit seinen Lippen entfloh, murmelte es die vier langen Eichentische hinauf und hinab und mancher spülte einen wilden Fluch mit einem kräftigen Zuge wieder 'nunter.

Heute war es ganz anders. Kein solches Gelächter ertönte heute mehr. Tief über die Tische gelehnt streckten die Bauern ihre Köpfe zusammen; ein einförmiges Tosen erfüllte die Stube. Metzler stand nicht an seinem Posten unter dem Pfeiler; im düstern Hintergrunde saß er an einem kleinen Tischchen, mit zwei andern Bauern in eifrigem Gespräch begriffen. Vor ihm lag eine Schrift, in welche er manchmal hineinsah, und die er bald dem Nächstsitzenden mit einem bedeutsamen Blick überreichte, bald an den andern Tisch hinübergab, wo sich alle Hände, wie nach einem Schatz, danach ausstreckten, um sie aufzufangen. Das häufige: »Ochsenwirt, einen Schoppen!« das ihm sonst immer ein freundliches Lächeln abgewonnen hatte, rief jetzt nur eine unwillige Gebärde bei ihm hervor und er suchte so schnell als möglich wieder an seinen Platz zurückzukommen.

Eben war er wieder von einem klopfenden Gast abgerufen worden, und der eine seiner vertrauteren Freunde, ein ernster Graukopf, stützte nachdenklich seinen kahlen Schädel in die Hand, während der andre in jugendlicher Ungeduld unmutig den Alten beobachtete. Metzler kehrte zurück und setzte sich. »Sei kein Narr, Schäfer,« flüsterte er dringend, »ich bitt' dich, sei kein Narr! denn sieh, was du tust, tun alle Kessacher in deinem Ort. Um dich allein ist's uns nicht, aber das ganze Dorf –, nein, Schäfer, du wirst uns nicht so das Spiel verderben wollen!«

»Ich tu', was recht ist,« sagte der Schäfer trocken; »verraten werd' ich euch nicht, das wißt ihr; aber sonst kann mich niemand zwingen, und die Kessacher tun auch, was sie wollen!«

»Das Ding geht doch seinen gewissen Gang, ob die Kessacher mittun oder nicht«, sagte der jüngste von den dreien; »Schäfer, ich würd' mich nicht so lange wehren.«

»Und« – fuhr Metzler fort; »sag selbst, sind die Artikel nicht recht? Du sagst ja nichts gegen sie, und was wollen wir denn anders? Nein, Jakob, man könnt' keine schönern machen; das sag' ich, und wer's nicht mit sagt, der – –«

»Wenn's bei den Artikeln blieb,« unterbrach ihn der Alte, »dann sagt' ich gleich Ja und Amen, aber man weiß, wie's geht. Zuerst wollen sie immer, was recht ist, aber dann! Die Bauern sind Hunde, wenn die Ritter und Pfaffen der Herr sind, aber wenn sie selber das Heft in die Hand kriegen, dann sind's Wölfe; das weiß ich so gewiß, als ich Schäfer bin seit meinem zehnten Jahr!«

»Nun,« sagte Metzler und biß sich in die Lippen, »so halt's wenigstens mit uns, so lange wir nichts weiter wollen als die Artikel! Willst?«

»Das hab' ich immer gewollt;« entgegnete Jakob; »in Gottes Namen! da hast du meine Hand drauf; so lang halt' ich zu euch, bis ihr selbst die Artikel brecht!« Sie schüttelten sich kräftig die Hände und Metzler fuhr fort: »Du mußt wissen, Jakob, unsre Sach' ist nicht von gestern her und es sind nicht bloß verlumpte Bauern dabei, und der Aufruhr geht bald überall los; man weiß nur noch nicht, wann? Jetzt wir, in unsrer Gegend, müssen zuerst über Kloster Schöntal her und das Pfaffennest ausheben!«

»Das Kloster?« rief der Schäfer.

»Ja, das Kloster!« rief der Wirt bestimmt, »und wohlverstanden: du mußt dabei das meiste helfen; das muß sein!«

»Muß?« fragte Jakob; »muß! Wenn man dem Teufel den kleinen Finger bietet, nimmt er gleich die ganze Hand. 's ist ein altes Sprichwort und ich hätt' früher daran denken können.«

»Willst du schon beim ersten nimmer, was du tun sollst?« sprach Metzler mit verhaltnem Zorn. »Ist das gegen die Artikel?«

»Gegen die Artikel nicht, aber gegen mein Gewissen«, versetzte der Alte. »Die Mönche haben mich zum Klosterschäfer gemacht; sie haben mir mein Brot gegeben, und viele haben mich gern gehabt, weil ich ihnen manchmal ein Wörtlein Wahrheit sag', und haben mich oft ins Kloster gelassen. Ich verrat' euch nicht, aber die Klosterleute auch nicht; das kann niemand verlangen; das hab' ich auch nicht versprochen; zum Spionieren bin ich noch zu ehrlich!«

Metzler schwieg und sah ingrimmig vor sich hin. Da fuhr plötzlich Andres auf, der bis jetzt schweigend dagesessen und rief: »Braucht dich auch kein Mensch, du grauer Tropf, du! Horch, Metzler, jag' den Alten hinaus und ich will dir eine Geschichte erzählen, die uns aus der Klemme hilft, besser als alle Schäfer von Kessach!«

Jakob wollte aufstehn, aber Metzler hielt ihn begütigend zurück. »Bleib«, sagte er; »'s ist ein Brauskopf, er meint's nicht so bös! Nun, wie heißt die Geschichte? Frisch heraus! Ein guter Rat ist drei Batzen wert.«

Andres rückte seinen Stuhl näher an Metzler heran und sagte: »Am heiligen Abend, letzthin, geh' ich in den Storchenwald; du weißt ja, der liegt nicht weit von Rossach und bei Kloster Schöntal; dort will ich mir ein paar Äste holen für einen warmen Ofen zu Weihnachten, – tapp' so im Wald herum und merk' nicht, daß es schon Abend wird, bis ich auf einmal das Gemäuer vom Storchenturm durch die grauen Äste seh'. Blitz, denk' ich, jetzt bist du schon so weit, jetzt mußt du doch auch ein bißchen auf das Kloster hinuntergucken. Geh' also vollends aus dem Wald hinaus und schau' mich um. Da liegt's und hat sich ganz behaglich in den Schnee hineingebettet. Wir wollen's aufwecken! denk' ich und dreh' mich um. Fünfzig Schritt vor mir steht der neue Wartturm und unten an der Türe – da sind zwei Landsknechte und schwatzen miteinander. Zuerst meint' ich, sie hätten Händel; denn der eine besonders ist wie wütig und deutet immer auf das Kloster hinunter, und wie ich näher hinseh', ist der zweite einer mit Namen Jörg, den ich wohl kenne, und er ist eine recht gute Haut; das muß man sagen; den andern kannt' ich nicht. Mit denen kannst du schon ein Wort reden! denk' ich und geh' hin. Wie sie mich kommen sehen, werden sie auf einmal still. Ich sag': Guten Abend! und der Jörg weiß dann allemal gleich was zu schwatzen. Er kennt die Artikel auswendig, alle zwölf, und hält's mit Haut und Haar mit den Bauern; aber ich hab' dem andern nicht getraut und zwink' nur so mit den Augen, daß er wohl merkt, was ich meine. Da sagt er: ›Brauchst keine Angst zu haben, Andres; der ist einer von den Unsern, noch viel mehr als wir beide zusammen, und das Kloster da drunten ist sein Freund auch nicht!‹ Da laß ich meine Zung' laufen und erzähl' den beiden die Geschichte vom Kaspar Reiter in Gommersdorf, daß ihnen die Galle überläuft; Blitz noch einmal!«

»Die Geschichte hab' ich noch nicht gehört«, sagte Metzler; »'s gibt so viele Geschichten, bei denen einem die Galle überläuft; man achtet nimmer drauf. Aber wenn du willst –«

»Recht gern,« erwiderte Andres, »'s ist eben wieder eine, bei der der alte Klosterschäfer den Kopf schütteln wird, das weiß ich schon, und denkt: »'s ist eigentlich doch besser, als es die Bauern machen, wenn sie Wölfe wären; ha, ha! Ja, Wölfe wären! Da möcht' man ein Drach' werden, oder ein Krokodil, sag' ich. Also: – Vergangnen Sommer, da lebt' in Gommersdorf der bravste, ehrlichste Kerl, den's gibt, und der war der Kaspar Reiter. Ich kannt' ihn wohl, denn ich komm' all Sonntag nach Gommersdorf zu meiner Schwester Mann, dem Bierbrauer. Er hat eine kleine Familie gehabt, seinen alten, blinden Vater, den er wie ein kleines Kind gepflegt und für den wär' er durchs Feuer gegangen, und einen netten, lustigen Buben von fünf Jahren, den ihm sein Weib gelassen, wie sie an seinem Geburtstag gestorben ist. Und mit den zween hat er gehaust schon seit langer Zeit. Auch hatt' er ein paar Morgen Land, das prächtigste in der ganzen Gommersdorfer Markung, und man hat ihn oft scheel drum angesehen. Der fette, fruchtbare Boden hat keinen einzigen Fehler, aber seine Lag' ist schlimm und dies hat dem Kaspar viel Herzleid gemacht. Nicht, daß die Sonne nicht hingescheint, das wär' alles gut; aber die Nachbarschaft, ja die Nachbarschaft ist um so böser; denn von drei Seiten stoßt er an Klosterweinberge und an der vierten lauft der Wald hin, der dem von Merchingen gehört. Da war's freilich übel wohnen; denn bei Tag ließen ihm die Pfaffen keine Ruh', die das Stück Acker wollten, um auch einen Weinberg daraus zu machen, und bei Nacht ist das Wild gekommen aus dem Gebüsch und hat die schönste Frucht gefressen, und der Kaspar konnt' nichts machen, als Gott danken, wenn ihm noch ein bißchen übrigblieb zum Selberessen. Und so ging's fort bis zum letzten Sommer. Da steht dem Kaspar seine Frucht wieder wie auf Stelzen und's hat jedermann seine Freude dran und am meisten der Kaspar selber. Wie er nun wieder einmal an einem Abend danach sehen will und die Bergstaffel hinausgeht, sieht er, daß fast die Hälfte seines Roggens nicht mehr so hoch steht als sonst. Zuerst meint er, der Roggen hab' sich gelegt vom Regen; wie er aber näher kommt, sieht er wohl, daß alles rump und stump abgefressen ist und zertreten vom Hochwild. Das war ihm ein Schrecken, ihr könnt's euch denken. und er geht recht traurig wieder den Berg hinunter. Wie er drunten ist, kommt gerad' ein Mönch aus dem Weinberg und stellt ihn. ›Ach!‹ sagt die heimtückische Katz', »'s ist recht schad' um Euern schönen Kernen, Reiter! Ihr dauert mich recht!‹ – Der Kaspar hält's Maul, denn er traut von vornherein nicht.

›Wißt Ihr was?‹ sagt dann der Mönch, ›wenn ich an Eurer Stell' wär und den Weinberg nicht hergeben wollt, ich würd' mich nicht so lang um nichts und aber nichts abschinden und dem unverschämten Vieh einmal ein festes auf die Nase schlagen, daß es nicht so bald wiederkäm'.‹

Und da trennt sich der Weg und der Mönch geht seiner Straß' weiter nach Schöntal, und der Kaspar geht heim nach Gommersdorf und hat viel unterwegs gedacht. Wie er heimkommt, hat er düstre Wolken um seine Stirn', aber sein blinder Vater hat's nicht gemerkt und seinen kleinen Buben hat er zornig weggestoßen, wie der ihm die Hand geben wollt' zum Gruß. Dann sagt er: er müßt' noch einen Gang machen nach Bieringen, nimmt seinen Spieß aus der Ecke – er ist auch einmal Landsknecht gewesen – und geht fort. Und wie er hinaus auf das Feld kommt, ist's schon Nacht, aber 's ist lichter Mondschein und er sieht ein ganzes Rudel Hirsche, die bis an die Brust in der hohen Frucht stehn und fressen. Da schleicht er leis hinauf, stellt sich unter den nächsten Baum und schleudert seinen Spieß, daß er einem der Hirsche tief in den Rücken fährt. Der stürzt mit einem Schrei zusammen und die andern springen in hohen Sätzen nach dem Wald zurück. Kaspar tritt jetzt hinter dem Baum hervor und will den Hirsch in den Wald schleppen; denn er wollt' kein Fleisch stehlen, sondern nur seine Frucht schützen und die andern Hirsche schrecken. Aber kaum ist er ein paar Schritt' gegangen, so knallt's hinter ihm und ein Stich fährt ihm durch die Brust, und er hört nur noch, wie der Widerhall sich das Tal hinauf und hinabwälzt; dann sinkt er mit einem leisen Röcheln neben dem Hirsch zu Boden und sein Blut läuft warm aus der tiefen Wunde.«

»Das hat der von Merchingen getan, der Teufel!« rief Metzler, »dem wollen wir's eintränken!«

»Oder sein Jäger, der Heinrich, der immer im Kloster steckt!« sagte ein andrer.

»Nur Geduld!« fuhr Andres fort. »Wie der arme Kaspar nach langer Zeit wieder die Augen aufschlägt und sich umsieht, ist's noch immer Nacht und er liegt am Waldsaum auf weichem Moos und vor ihm kniet ein Mönch, ein Zisterzienser, und hat den Rosenkranz in der Hand. Kaum sieht er, daß der Reiter wieder aufwacht, so sagt er: ›Reiter, du mußt jetzt sterben. Ich bin da unten vorbeigegangen und hab' einer armen Seel' den letzten Dienst erwiesen, da hört' ich dich röcheln und bin herauf. Nun will ich dir auch den Weg leichter machen, wenn du Buße tust und deinen Frevel wieder gutmachst.‹

›Buße tun‹, sagte der Kaspar, ›das will ich gern; aber gutmachen kann ich nichts, denn gegen Menschen hab' ich nicht gesündigt!‹

›Was?‹ rief der Mönch, ›hast du nicht einen schrecklichen Frevel begangen gegen den Ritter von Merchingen? Willst du es schon wieder vergessen? Willst du diese Schuld mit hinübernehmen vor den ewigen Richterthron? Sieh, der Herr ist gnädig und ich bin sein mildester Diener. Gib diesen Acker, der laut von deiner Sünde zeugt und der dir einmal das Fegefeuer heißer machen könnt', als es für sieben Ketzer nötig ist, – gib ihn dem Kloster, daß er hinfort im frommen Dienst der Geistlichen gesühnt wird und du ruhig kannst hinübergehn.‹ – ›Nein, das tu' ich nicht!‹ rief der Kaspar im Sterben, ›das darf ich nicht tun! Ich hab' einen blinden Vater zu Haus und ein armes Kind; sollen die verhungern?‹ – ›Mit nichten‹, meint der Pfaff in heuchlerischer Freundlichkeit; ›sie werden ihr Brot immerhin finden. Gott läßt niemand zugrunde gehn; aber deine Seele muß dahinfahren, wenn du nicht als ein gehorsamer Sohn der Kirche, unsrer heiligen Kirche, den Geist aufgibst. Folg' mir, ich beschwöre dich; denn nur so kann ich dich aus den Krallen des Teufels erretten; nur so darf ich dich absolvieren von allen deinen Sünden!‹

Dann schwatzte der Pfaff noch lang so fort, aber der Kaspar wollt' eben nicht. Er wehrt sich mit allen Kräften, und der Mönch mocht' ihm die Hölle noch so heiß machen, immer ist seine Antwort: ›Meinen blinden Vater und mein Kind laß ich nicht verhungern. Gott sei meinen Sünden gnädig!«

Da hat der Pfaff wieder einen langen Satz fertig und wartet auf die Antwort, aber diesmal bleibt sie aus. Der Kaspar ist tot. Und der fromme Beichtvater wirft einen grimmigen Blick auf die Leiche und sieht dann auf, aber nicht zum Himmel, das hat er seit langer Zeit nimmer in Gewohnheit gehabt, sondern nur an die nächste Eiche, wo der Jäger trotzig auf der Büchse lehnt und dasteht und heruntersieht, als lieg' ein verreckter Has' zu seinen Füßen.

›Da haben wir's!‹ ruft der Mönch; ›da liegt der alte Sünder und ist maustot und uns hat's einen Bettel geholfen!‹

›Pah!‹ lacht der Heinrich, ›gebt mir ein paar Pfund Heller weiter, dann könnt Ihr sagen, was Ihr wollt; ich bin immer Zeuge!‹

›Du bist ein Teufelskerl!‹ schreit der Pater froh, ›geht's so nicht, bringen wir's anders zu End'! 's ist ja fürs Kloster und nicht für uns; das mag auch die Sünde verantworten. Auf das Geld kannst du dich verlassen, aber schweigen mußt du wie ein Stein, das sag' ich dir, sonst – –‹

›Geschwätz!‹ ruft der Jäger, ›da könnt Ihr ruhig sein; ich red' mich nicht um den Hals und kann noch ganz andre Sachen verschweigen.‹

Die beiden saubern Gesellen nehmen jetzt den toten Waldfrevler und tragen ihn auf den Weg hinunter und haben ihn von dort heimgeschleppt. Was sagst du dazu, Metzler?«

»Der Heinrich ist der Leibhaftige!« entgegnete der Wirt, »das sag' ich und's wär kein Wunder, wenn man da einmal ein Wolf würd', Jakob! Der Teufel würd's!«

»Der Teufel? Ja, Teufel! Da müßt' es viel' Teufel geben unter uns!« lachte Andres bitter und fuhr dann fort: »Die Woch' drauf ist der Roggen auf des Kaspars Acker abgemäht worden und man hat ein großes Feuer davon gemacht, weil die Klosterleute das Korn nicht gewollt von einem Feld, darauf eine solche Sünde sei begangen worden. Und jetzt sind junge Rebstöcke hineingesetzt, und wenn der Wein, den sie daraus machen, nicht Blut wird, pures, rotes Blut, so gibt's keinen Herrgott mehr im Himmel. Aber meine Geschicht' ist noch nicht aus.«

»Vor vier Wochen wollt' der Schöntaler Abt nach Mergentheim fahren und einen andern Abt besuchen. Wie da seine vierspännige Kaross' über Marlach hinausfährt, hört er im Graben an der Straß' ein Gewimmer und Gewinsel. Er macht Halt, und weil Leute in der Näh' sind, steigt er selber aus und will sehen, was es zu helfen geb', – der Pharisäer! Da tappt ein alter Mann im Graben herum, als ob er etwas suche, und nicht weit davon liegt ein kleiner Bub' im Schnee und regt sich nicht. Und wie man näher hinkommt, sieht man wohl, daß der Bub' tot ist; er hatt' auch tiefe Löcher in den kleinen Backen; drum war er eben verhungert. Der Abt fragt den Alten nach allerlei, aber der tut wie rasend und schreit und schlägt um sich, daß der mitleidige Pfaff schnell in seinen Wagen steigt und davonjagt. Das war des Kaspars Bub' gewesen und sein blinder Vater. Der Bub' ist verhungert und der Alte ist wahnsinnig geworden. Er hat's auch nimmer lang getrieben. Drei Tag' vor dem Christtag ist die Mühl' in Bieringen auf einmal stehngeblieben. Der Müller meint, es sei Eis im Rad und geht hinaus und will's aufhacken. Da findet er die Leiche des Alten in den Speichen stecken; man weiß nicht, ist der Alte nur so hineingefallen oder ist er selber ins Wasser gesprungen. Und das kommt alles daher, weil des Kaspars Acker mitten drin liegt in dem großen Klosterweinberg.«

Andres schwieg. Metzler, der schon vorher aufgestanden war, eilte, die Becher der ungeduldigen Bauern wieder zu füllen. Aus den Augen des alten Schäfers glühte ein düstres Feuer und er schüttelte halb ungläubig, halb mißmutig den Kopf.

»Das Kopfschütteln hab' ich einmal recht prophezeit,« sprach Andres lachend, »das übrige wird auch noch eintreffen.«

»Aber sag' mir nur,« fragte Jakob, »woher du denn alles so genau wissen kannst, wie der Kaspar in selbiger Nacht gestorben ist und von dem Mönch betrogen ward. 's ist ja Nacht gewesen und kein Mensch dabei, hast du gesagt!«

»Ganz einfach,« erwiderte der junge Bauer, »an selbigem Abend ist ein altes, armes Weib von Marlach – bei Tag getraut sich ja niemand – ins Holz gegangen, und wie der Schuß fällt, ist sie erschrocken herbeikommen; aber schon seien der Mönch und der Jäger bei dem ohnmächtigen Kaspar gestanden und haben ihn an den Waldsaum geschleppt; da hab' sie sich in der Angst schnell ins Gebüsch verkrochen und von dort aus hat sie alles mit angehört, was die beiden Schurken gesagt und getan. Ja, Schäfer, die Sprichwörter kehren sich eben nicht dran, ob einer arm ist oder reich, vornehm oder lumpig; da hat's eben wieder geheißen: es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen! Freilich uns hilft's vorderhand nichts, ob wir's wissen oder nicht. Der Mönch spaziert doch noch herum und der Jäger auch, und 's tut der eine grob und der andre fromm wie vorher. Aber, – aber – 's wird eine Zeit kommen, – Herrgott, 's muß anders werden! – Dann werden sie zittern und heulen wie im Fegfeuer! Nur Geduld!«

»Und wenn ich dir auch die Geschicht' glaub', Andres,« sagte nun der Schäfer, »alle sind doch nicht so und unter den Bauern gibt's auch Kerl', die nicht viel besser wären. wenn sie die Macht hätten. Nein, alle sind sie nicht so! Nur zum Exempel der Bernhard –«

»Respekt vor dem!« rief Andres, »ja, wenn alle so wären oder wenn er im Kloster allein hausen dürft', dann wär' alles anders und besser. Der hat doch auch Courage, wenn ein Adliger vor ihm steht. Erst letzthin ist er in Merchingen gewesen bei einem Kranken, – er kommt überall herum, – und da hat er's dem frechen Fant von dort, der nichts weiß, als Bauern schinden und Wildschwein pflegen, mitten auf der Gass' gesagt, daß er dasteht wie ein gescholtner Bub' in der Schul' und sich nicht traut die Augen aufzuschlagen. Nochmal: Respekt vor dem! Ich glaub', er hielt' gleich zu uns, wenn er unsre Artikel wüßt'!«

»Das glaub' ich nicht!« sagte Jakob und sah nachdenklich auf den leeren Boden seines Glases.

Metzler hatte indessen sein Geschäft beendigt und trat wieder zu den zweien. »Jetzt aber die Hauptsach', Andres!« rief er, »du hast, glaub' ich, ganz vergessen, was du eigentlich gewollt hast!«

»Und das wär'?« fragte jener sich besinnend. »Ja so! – das kommt aber jetzt! Nur Geduld! Ich hab' also alles den beiden Landsknechten erzählt, und der Jörg der gute Bursch', ist ganz wütig geworden. ›Wenn das mein Herr wüßt'!‹ hat er immer geschrien, – ›aber wenn ich's ihm auch sag', – er glaubt's nicht!‹ Und der andre – der hat gar nichts gesagt, und wie ich fertig bin, dreht er sich um und pfeift in den Wald hinein. Da dacht' ich: ›du hast genug gesagt‹ und wünsch' ihnen Gutnacht. 's ist schon rabenschwarz gewesen. Im Wald drin such' ich meinen Reisachbündel, den ich dort gelassen, nehm' ihn auf die Schulter und geh' meines Wegs. Aber kaum bin ich ein Stück vorwärts, so hör' ich's hinter mir rascheln im dürren Gezweig'. Mir fällt der Kaspar ein und es rieselt mir eiskalt den Rücken hinauf. Mein Holz wollt' ich aber doch nicht wegwerfen und lauf', so schnell ich kann. Ich mocht' aber laufen, wie ich wollt', immer raschelt's hinter mir drein, wie wenn mein Schatten wär' lebendig worden und hielt sich fest an den Zweigen, um sich loszumachen von mir. Endlich wird mir's doch zu toll und ich dreh' mich um, damit ich doch einmal wüßt', wer hinter mir drein kommt. Da steht nun hart vor mir einer mit einer langen, weißen Kutte und hat die Kapuz' tief hereingezogen und aus der Kapuz' funkeln mir zwei Katzenaugen entgegen, daß ich nicht wenig erschreck'. Ihr könnt's euch denken. – ›Halt, Andres!‹ sagte der Kerl, und ich bin froh gewesen, daß er nur wenigstens etwas redet, ›halt, ich muß dir ein paar Wort' sagen, leis und geheim. Behalt' sie bei dir!‹

›Sprecht, Herr!‹ sagt' ich und es schaudert mich durch den ganzen Leib. Da fängt er an: ›Hör', Andres, ich hab' alles gehört, was du dort mit den Landsknechten gesprochen und ich weiß noch viel mehr. Sieh, ich könnt' dich und den Metzler und alle anzeigen, daß ihr über Nacht ins Burgverlies kommt und euer Lebtag das Sonnenlicht nimmer seht. Aber ich tu's nicht, denn ich halt's mit euch. Mit Leib und Seel' gehör' ich zu euch: das sag' ich dir, weil ich dich für einen ehrlichen Kerl halt', der schweigen kann. Und ich weiß auch, daß es zuerst gegen das Kloster gehn soll. Ich will euch helfen, denn ich haß es, wenn ich gleich selber drin bin; ihr könnt euch drauf verlassen!‹

›Aber wer seid Ihr denn?‹ bracht' ich in meiner Angst endlich heraus. Da schlug er seine Kapuz' zurück, und weil eben der Mond durch die grauen Schneewolken schien, konnt' ich sein Gesicht wohl sehen. Ich wollt' ihn jetzt gleich aus Tausenden herausfinden mit seiner scharfen Habichtsnas' und den schwarzen, funkelnden Augen. Er hat sich Bruder Robert genannt und in wenigen Augenblicken drauf ist seine weiße Kutt' in der grauen Winternacht verschwunden. Ich hab' ihm lange Zeit nachgesehen und dann dacht' ich: ich wollt' dir alles treulich berichten; denn der muß aushelfen und der tut's auch. Warum, weiß der Kuckuck; aber was kümmert uns das?«

»Weißt du einen Bruder Robert im Kloster?« fragte Metzler, der gespannt zugehört hatte, den Schäfer.

»Ja! seit einem Jahr ist einer da«, sagte Jakob, sich besinnend; »doch – ich komm' nimmer viel ins Kloster, ich weiß es nicht ganz gewiß.«

»Du wirst uns nicht verraten, Schäfer!« bat darauf Metzler und reichte ihm die Hand über den Tisch. Der Alte schlug kräftig ein und sagte: »Verraten nie und nimmer! Aber sonst laßt mich meiner Wege gehn. Ich alter Kerl helf' euch doch nimmer viel und ihr habt ja jetzt einen zum Spionieren!«

Das Gespräch zwischen Andres und Metzler wurde nun eifriger und immer leiser und geheimnisvoller. Der alte Schäfer lehnte sich nachlässig und schweigend auf seiner Bank zurück. Es wurde immer dunkler in der Stube; ein qualmender Kienspan brannte in der Mitte und von den Gästen verlor sich einer um den andern, während die Zurückgebliebnen immer näher zusammenrückten und immer heftiger stritten. Es war das auserlesenste Häuflein, das sich um den listigen Wirt von Ballenberg gesammelt hatte und ihm mit Leib und Seele verkauft war, – lauter arme, verlumpte Bauern, die nichts mehr zu verlieren hatten als das Leben. In ihren Gesichtern lag ein Zug, den ihnen das Elend aufgedrückt hatte und der sich jetzt in ein boshaft frohlockendes, schadenfrohes Lächeln verwandelt zu haben schien, das um die bleichen, eingepreßten Lippen spielte. Es war ein wüstes Bild in der finstern, qualmigen Stube.

Plötzlich wurde die murmelnde Stille durch das Knarren der Tür unterbrochen. Ein Mann, in den Mantel gehüllt, den breitkrämpigen, zerknitterten Hut tief über das gebräunte Gesicht gedrückt, trat ein und ließ fragend den Blick über die halbleeren Tische laufen. Rasch und leis trat er auf Metzler zu, bückte sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Erstaunt fuhr der Wirt auf: »Was? Florian?« Dann setzte er leiser hinzu: »Und ein Mönch, sagtest du?«

»Ja, Florian Geier und ein Mönch!« erwiderte der Fremde, »kommt schnell, sie wollen's in Ordnung bringen.«

Metzler erhob sich und beide verließen lautlos die Stube. Der Schäfer und Andres sahen sich verwundert an. Dann stand Andres auf, trat zu den andern Bauern und mischte sich in ihr leises Gespräch, ohne sich mehr um den Alten zu kümmern. Dieser nahm aus einer Ecke seinen Hut und seinen Schäferstock, legte drei Heller, den Betrag seiner Zeche, in den leeren Becher und verließ ohne Abschied das Wirtshaus.

Nachdenklich schritt er durch die stillen Gassen des Dorfes. Hie und da blickte durch die kleinen Fenster ein trauriges Licht und fiel matt an die gegenüberliegende Scheuer. Er hörte nichts als den gefrornen Schnee unter seinen Füßen knittern; nur manchmal drangen flüsternde Worte aus einer halbgeöffneten Stalltüre, an der er vorüberschritt, oder heulte ein Hund, an der rasselnden Kette zerrend, in die Nacht hinein. Und schon sah ihm durch die entlaubten Obstbäume das letzte Haus, eine alte, verfallne Scheune, entgegen. Erstaunt blieb er stehn, denn er hörte deutlich reden und durch die Lücken der zerbröckelten Lehmwand fiel ein heller Schimmer. Der Alte konnte sich nicht enthalten, als er an der großen, zerbrochnen Scheunentür vorüberging, einen Blick hineinzuwerfen. Da stand Metzler, er erkannte ihn im Augenblick, in der einen Hand eine flackernde Fackel haltend, in der andern ein dickes Buch, auf das ein Mönch in langer, weißer Kutte seine Linke legte, während die Rechte schwörend drei Finger emporstreckte. Hinter den beiden stand eine hohe, ernste Gestalt; aus dem halb zurückgeschlagnen Reitermantel blitzte in dem rötlichen Licht der glänzende Stahl einer Rüstung.

In einer Ecke standen flüsternd noch einige Männer, die ungeduldig auf die Gruppe hinsahen. Der Schäfer wandte sich ab und murmelte: »Das ist der Robert, sag' ich. Er hat entweder sie, oder sie haben ihn. Gottlob, daß ich los bin!«

Mit diesen Worten schritt er auf die Straße zurück und verschwand bald in der trüben, grauen Winternacht. – –

Wohl um dieselbe Stunde war's, da saß der junge Bruder Bernhard noch in seiner Zelle und las. Das Lämplein, das, mit einer Kette an der Decke befestigt, über seinem Pulte hin und her schwankte, warf ein zitterndes Licht auf die Gegenstände in dem kleinen Gemach. Halb unter Pergament versteckt lag das Buch, in welches er hineinsah und dessen Zeilen er mit gieriger Hast überlief; es war die Bibel seines Vaters. Nach einer langen Pause, die nur das Knistern des Papiers unterbrach, richtete er sich langsam auf und faltete, in seinen Stuhl zurückgelehnt, die Hände wie zum Gebet. »O Gott, führe mich weiter!« sagte er leise; »du hast mich fühlen lassen, wie die Sünde brennt, wie sie das arme, hilflose Menschenherz zerdrückt, daß es nur noch jammern kann in der Tiefe seines Elends. Du hast mir gezeigt, wie schwach, wie befleckt und eitel all mein Ringen war, vor dir gerecht zu erscheinen, wie meine Schuld vor dem Auge deiner Gerechtigkeit mich zermalmen müßte, o Gott, und ich stand ratlos und hilflos und ganz allein in der öden, traurigen Welt. Da hast du mich nach deiner Barmherzigkeit meinen Vater finden lassen und dein heiliges Wort. Jetzt weiß ich, daß du ein gnädiger Gott bist, daß du nicht rechten willst mit deinem armen Knecht, sondern vergeben willst alles, alles um deines Sohnes willen, ja, daß du nicht ein Gott der Rache bist, sondern ein Gott der Liebe. O ziehe ein, du unergründliche Liebe, ziehe ein in mein armes Herz, und mach' es rein von aller Befleckung! Komm, mein Heiland, o komm! Nur dir will ich angehören, nur dich lieben mit der heißesten Inbrunst meiner Seele; wegwerfen will ich alles andre, hinter mir lassen Sünde und Teufel, Welt und Hölle; denn bei dir ist's ja süß, so ruhig und heilig still; o komm, Herr Jesu Christe, komm!«

Bernhards Rede war immer feuriger, sein Blick immer glühender geworden. Plötzlich schwieg er; über sein Angesicht flog ein trauriges, schmerzliches Zucken und sein Auge sank matt zu Boden. Nach einer Weile fuhr er mit tiefer, wehmütiger Stimme fort: »O Gott, so kalt ist's da drinnen! Willst du denn nicht kommen, o Herr? Erbarme dich meiner! Zerschmilz diese eiskalte, starre Rinde, die mein Herz umgibt wie einen Panzer; ich kann es ja nicht. O, ich fühl' es mit Schmerzen, wie ich zu schwach bin, zu unwürdig, zu verderbt, deine heilige Gottesliebe zu fassen. O Herr, hilf! Laß mich nimmer Schiffbruch leiden am Glauben! Hilf, hilf!«

Er fuhr auf und trat ans Fenster und schaute, nachdem er's geöffnet, in den Kreuzgarten hinunter. Der Klosterbrunnen rauschte traulich und einförmig durch die Nacht. In der Kirche drüben war jetzt zu dieser Stunde der Gesang der Mönche längst verstummt. Durch eines der langen, schwarzen Kirchenfenster, die ernst und düster in den Garten heruntersahen, schimmerte zitternd das kleine Flämmlein des ewigen Lichts. Alles war todstille; nur eine Eule flog in trägem Schwung mit einem trüben Seufzer vom Turm dem schwarzen Walde zu. Es fing an zu schneien. Leis und langsam sanken die weichen Flocken draußen herab, wie wenn sie auch recht müde wären, oder als wollten sie die Erde überraschen, daß sie ihr leises Kommen nicht merken solle.

Bernhard sah lange hinaus. Plötzlich verklärte sich sein Auge wieder, aber der Glanz war milder und sanfter als zuvor. »Ja,« sagte er und blickte innig zum Himmel empor, »jetzt weiß ich, wie du kommst, lieber, lieber Heiland! Nicht im Sturme des Gefühls und nicht im wilden Rufen nach deiner stillen Liebe, sondern leise, leise, wie diese Flocken, und in der Nacht. Da ziehst du ein in das kranke Herz und deckst es zu mit dem weichen, reinen Mantel deiner Liebe. Ja, glauben will ich, glauben, nur fest glauben, daß du kommst; so wirst du nicht lange warten lassen auf dich, du guter, treuer Hirte deiner Schafe!«

In heißem, stillem Gebet sank der Jüngling an dem offnen Fenster auf seine Knie nieder, und als er sich erhob, fuhr ein sanfter Windstoß in die Zelle und wirbelte die Schneeflocken herein. Das Licht flackerte hell auf und die Pergamente auf dem Pulte tanzten durcheinander. Als Bernhard das Fenster wieder geschlossen hatte und an den Tisch zurücktrat, hatte der Wind die Blätter seiner Bibel umgewendet und das erste, was ihm in die Augen fiel, war der Spruch: »Selig sind, die da nicht sehen und doch glauben.«


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