Max Eyth
Die ersten Tanzschuhe
Max Eyth

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3. Nach Jahren

Sechs Jahre nachher befand ich mich wieder in jenem Hüttlein auf dem Wartberg, das gegen die Weibertreu und das Sulmtal hinunterblickt. Es hatte sich seitdem manches in seiner äußeren Lage geändert und manche Freude, manches Leid hatte ich in der kurzen Zeit erfahren, die nun hinter mir lag. Vor einem halben Jahre war ich an dem Grabe meiner treuen alten Tante Julie gestanden. Eben befand ich mich zu Heilbronn, um meinen lieben Eltern selbst die freudige Nachricht zu bringen, daß ich an der höheren Lehrstelle zu K., wo ich seit einem Jahre Verweser gewesen war, nun förmlich angestellt worden sei, – meinen Eltern und noch jemanden. Es war Abend, wie an dem verhängnisvollen Tage, an dem ich mich vor Jahren hier befunden hatte. Die Sonne war eben untergegangen; auf der Sohle des Tals stieg schon hier und dort der zarte Flor des Nebels auf und umhüllte die dunkeln, schattigen Erlenbüsche des Flüßleins. Groß und bleich hing der volle Mond über der alten Burg dort drüben und schon spielten die zitternden Schatten seines Lichtes über die dämmerlichen Halden. Ich sah lange hinaus; die Erinnerung ergriff mich mächtig und – wie's ja immer so geht, man mag einst eine komische oder tragische Rolle gespielt haben – wehmütig. Da legte sich von hinten eine weiche, warme Hand auf meine Schulter; ich wandte mich, ohne überrascht zu sein, um.

Vor mir stand ein hohes schlankes Mädchen in schwarzem Kleid; durch ihre dunklen Haare hatte sie ein schmales, rotes Band gewunden, an ihrem Finger blitzte im matten Mondlicht ein goldnes Reifchen. Ihr Gesicht, ihre schwarzen, tiefen, ernsten Augen zu beschreiben, unterlass' ich am liebsten.

»Du hast mich etwas lange warten lassen«, sagte ich und zog sie zu mir nieder auf die hölzerne Brüstung.

»Ich habe unsre Eltern nicht gleich gefunden«, entgegnete sie; »sie wollten's auch nicht leiden, daß wir noch länger oben bleiben. Aber wo hast du –«

»Meine zwei Freunde?« ergänzte ich; »diese sind, Gott sei Dank, auf gute Art weiterbefördert, 's ist, als wollte man uns keine Minute gönnen. Sieh nur, wie's seitdem so schön geworden ist da draußen!«

Sie hatte ihren schönen Lockenkopf an meine Schultern gelehnt und hörte geduldig zu, was ich ihr von, Mondschein und Nebel, von Erlkönig und Edelfräulein, von Vergangenheit und Zukunft vorplauderte. Eine Viertelstunde zerrann und die andere auch, – wir merkten es nicht. Plötzlich glaubte ich eine Veränderung bei ihr wahrzunehmen; ihr Blick folgte meinem ausgereckten Arm nicht mehr, der in der hellen Nacht draußen so viel zu zeigen hatte; ich wollte eben auf die Weibertreu kommen, doch sie schien mich nur halb zu hören. Ihr Auge hing unbeweglich an dem gegenüberstehenden Eckpfosten des Häuschens.

»Was der auch wohl gedacht haben mag« – sagte sie sinnend, als ich schwieg und sie fragend anblickte –, »wie er den Buchstaben E so krumm einschnitt?«

Ich sah jetzt auch hin. Dort stand wirklich ein E; es war nicht vernarbt, doch Regen und Sturm hatten es ausgespült, daß es grau geworden war wie das alte Holz. Nur zu gut hätte ich ihre Frage beantworten können, doch ich hielt an mich.

»Es könnte wohl Edmund heißen«, fuhr sie nun in tiefen Gedanken fort; »oder Eduard, oder Elise oder –«

»Weißt du sonst nichts, Liebe?« fragte ich leis. Doch nur ein Blick war die Antwort.

»Vor sechs Jahren war ich auch einmal hier«, sagte ich und gab mir Mühe, gleichgültig zu scheinen.

»Wie?« rief sie auffahrend.

»Und habe ›Emilie‹ in den Stamm hineingegraben und habe fast dabei geweint, so rührte mich das Geschnitze.«

Sie umschlang mich innig.

»Nicht wahr«, sagte ich nach einer langen Pause, um mich selbst aus meinem stolzen Glück zu reißen, das ich nicht ertragen konnte, »nicht wahr, da sieht man wieder, was Männertreue ist? Die Weibertreue, ach die liegt da drüben, verfallen, zertrümmert, und nur der gute Mond besucht sie noch und glaubt an sie. Drum ist er wohl so bleich geworden, der arme Kerl!«

Emilie sah mich lang an und dann hinüber zur Weibertreue. Ich glaubte im ersten Augenblick, ich habe das liebe Herz betrübt, – eine Träne sei schnell und scheu über ihre Wange heruntergeglitten und mache mir die bittersten Vorwürfe. Noch sie ließ mich nicht lange in dieser Ungewißheit. Sie hatte an der Halskrause ihres Kleides eine Zeitlang genestelt, als wollte sie ihr Halstuch zurechtschieben, doch plötzlich zog sie etwas Weißes hervor und reichte es mir.

Ihre Hand zitterte. Auch ich war eigentümlich aufgeregt, als ich das zierlich gefaltete Papierchen in den Händen hielt und verwundert betrachtete. Ich erbrach das Siegel – es mußte ja doch wohl für mich sein –, schlug die Fältchen auseinander und in die Hand fiel mir eine Flocke Moos.


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