Euripides
Die Bakchen
Euripides

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Strophe

Chor:
    Werd ich wieder die Nächte durch
    Im Tanze die weißen
    Füße drehn, hochjubelnd den Hals
    In kühltauige Lüfte hin
    Werfend, wie in der grünen Lust
    Blumger Matten das Reh umhüpft,
    Das der schrecklichen Hatz entfloh
    Aus Wildzaun und Geheg und
    Über knotige Garne weg,
    Wenn der Jäger den Hundelauf
    Stets anregt mit gellendem Schrei,
    Und es rennet mit Sturmeseil
    Rastlos über die Fläch am Bach,
    Freut sich endlich der Menschenöd
    Im stillen laubschattigen Wald,
    Im kühlen Gehölze.

    Was ist klug und die schönste Gunst,
    Welche Menschen von Göttern kommt,
    Als ob dem Scheitel des Feinds
    Sieggekrönt zu halten die Faust?
    Alles Schöne gefällt stets!

Gegenstrophe

    Spät zwar, aber gewiß stets greift
    Ein göttlicher Arm ein,
    Richtet jeden, der in der Welt
    Missetaten verübt und nicht
    Fromm das Heilige ehret, von
    Unvernünftigem Wahn erfüllt.
    Lange Zeiten verbirgt er sein
    Nahen täuschenderweise
    Und erhaschet den Frevler. Nein,
    Nie muß unser Verstand und Tun
    Stolz verschmähn den geltenden Brauch!
    Klein ist wahrlich das Opfer, wo
    Göttlich Walten sich offenbart;
    Und was ewige Zeiten und
    Natur geweiht haben – die Ob-
    Macht des zu erkennen!

    Was ist klug und die schönste Gunst,
    Welche Menschen von Göttern kommt,
    Als ob dem Scheitel des Feinds
    Sieggekrönt zu halten die Faust?
    Alles Schöne gefällt stets!

Epode

    Glücklich, wer dem Sturme der Wogen
    Heil entkam und den Hafen fand!
    Glücklich, wer obsiegt' in Gefahren!
    An Glücksgütern und Wohlstand kommt
    Einer andern zuvor gar vielfach.
    Tausend Hoffnungen schwellen noch
    Tausend Herzen; die einen
    Krönt das Glück, und die andern
    Sieht der Träumer zerrinnen.
    Wer von Tage zu Tag beglückt
    Lebt, den preisen wir glücklich.

(Dionysos kommt aus dem Haus zurück)

Dionysos:
Du, der Versagtes anzuschaun so lüstern ist,
Nach Unersehntem sehnlich rennt, Pentheus, erschein,
Heraus von deiner Wohnung komm und laß dich sehn
Im vollen Anzug einer tollen Schwärmerin,
Belauscher deiner Mutter und des Frauenchors!
In eine Kadmostochter bist du hübsch vermummt!

(Pentheus erscheint)

Pentheus:
Ei doch, die Sonnenscheibe seh ich doppelt gar,
Die Häuser doppelt und die siebenmündige Burg;
Du scheinst mir vor mir herzugehn in Stiergestalt,
Ja, deinem Kopf sind Hörner angewachsen? Wie?!
So ganz verstiert? Sag, ob du wirklich bist ein Tier!

Dionysos:
Der Gott geleitet, der uns sonst nicht gnädig war,
Jetzt ausgesöhnt! Nun siehst du's, wie du's sehen mußt!

Pentheus:
Von mir, was hältst du? schein ich nicht der Ino Gang,
Agauen, meiner Mutter, Gang zu führen so?

Dionysos:
Leibhaftig glaub ich, wenn ich dich seh, sie zu sehn.
Doch hier die Locke ist weggerückt vom rechten Platz,
Steht unterm Band nicht, wo sie hingeordnet war.

Pentheus:
Ich hab sie vorwärts drinnen und empor geschnellt;
Da ward sie denn verschoben beim verzückten Sprung!

Dionysos:
So laß mich, der für deinen Anzug sorgen muß,
Sie wieder zierlich legen. Halte still den Kopf!

Pentheus:
Hier, schmück mich auf! Dir überlaß ich's ganz und gar.

Dionysos:
Und locker ist der Gürtel, daß die Falten nicht
In gleichen Wellen nach den Fersen fallen mehr!

Pentheus:
Auch mir bedünkt's so, eben nur am rechten Fuß!
Jedoch von da an steht der Rock am Knöchel recht.

Dionysos:
Dein bester Freund wohl werd ich heißen, wenn du dort
Die Bakchen sittsam wider dein Erwarten siehst!

Pentheus:
Mit der rechten Hand so faß ich wohl den Thyrsos recht,
Wie Fraun ihn tragen? oder mit der linken hier?

Dionysos:
Die rechte Hand muß halten und der rechte Fuß
Ihn stützen. Trefflich hat dein Geist sich umgekehrt!

Pentheus:
Ich vermag Kithairons Waldrevier durch Schulternkraft
Mitsamt den Bakchen aufzuheben, meinst du nicht?

Dionysos:
Sofern du willst, vermagst du's. Ja, dein frührer Sinn
War nicht der rechte: jetzo steht er, wie er soll!

Pentheus:
Sind Hebel nötig? oder reißt mein Arm ihn los,
Indem ich Brust und Schultern stemm ans Bergeshaupt?

Dionysos:
O nein, verdirb die heilgen Nymphensitze nicht,
Die Siedlung Pans nicht, wo sein Pfeifenspiel ertönt!

Pentheus:
Ganz richtig! Frauen muß man nicht durch Körperkraft
Besiegen! Unterm Tannengrün versteck ich mich!

Dionysos:
Ja, ein Verstecken spielst du ganz so, wie's gebührt,
Als hinterlistiger Lauscher beim Mänadenchor!

Pentheus:
Ich mein, sie werden so wie Vögelchen im Busch
In ihrem trauten Nestgehege sitzen dort.

Dionysos:
Das eben willst du spähen, darum gehst du hin
Und fängst vielleicht sie, wenn du nicht gefangen wirst.

Pentheus:
So komm und führ mich mitten durch die Theberstadt;
Ich bin ja hier der einzige Mann, ich wag's allein!

Dionysos:
Du ganz allein bringst dieses Opfer hier der Stadt,
Drum harret dein ein Abenteuer, wie's gebührt.
So folg mir: meine Führung führt zum Heile hin,
Zurückgeleitet anderswer.

Pentheus:                             Die Mutter, ja!

Dionysos:
Der Welt zum Staunen!

Pentheus:                         Eben darum wandl ich hin.

Dionysos:
Zurückgetragen!

Pentheus:               Lauter Wonne und Süßigkeit!

Dionysos:
In Mutterarmen!

Pentheus:               Muß es denn so üppig sein?!

Dionysos:
Jawohl, so üppig!

Pentheus:               Wert ist's freilich meine Tat!
(Ab)

Dionysos:
Gewaltger Mann! ja, ein Gewaltempfinden soll
Dir werden, eine Glorie, die zum Himmel strahlt!
Streck aus die Hand, Agaue, greift, ihr Schwestern, zu,
Ihr Kadmostöchter! Diesen Jüngling führ ich her
Zu einem Wettkampf großer Art: und Sieger werd
Ich sein und Bakchos! Alles andre lehrt die Tat.
(Ab)

Strophe

Chor:
    Herbei, flinke Jagdhunde der Wut, zum Forst,
    Wo das Gelag der Kadmosjungfrauen schwärmt!
    Stachelt und hetzt sie los
    Auf den vermummten Mann in Weibskleidung toll-
    Wütig, den Belauscher weiblicher Mänadenschar!
    Zuerst wird die Mutter ihn vom kahlen Felsen
    Oder der Kuppe erspähn
    In dem Versteck, den Laurer, und den Bakchen schrein:
    "Was für ein Spürer hier geriet günstgen Laufs
    In das Gebirg aus Theben, ihr Mänaden, her?
    Wessen Geburt ist der?
    Nein, den trug ganz gewiß kein Weib je im Schoß!
    Eine Hyäne wohl, eine Gorgone wohl
    Von afrikanscher Art!

    Nun tobe, Rache, tobe glänzend, schwertbewehrt!
    Die Kehl ihm entzwei! schlachte gnadlos
    Dieses verruchte, pflichtlose Echionskind,
    Bodengezeugte Brut!"

Gegenstrophe

    Der mit vermeßnem Sinn und mit verwegnem Mut
    Zu den geheimen Weihen Dionysens und
    Der Bergmutter schleicht,
    Rasenden Geistes, wahnsinniger Leidenschaft,
    Will dem Unüberwundenen Gewalt antun!
    Ein demütges Herz gegen das Heilge schlicht und
    Ehrlich bewahren, heißt
    Leben von Schicksalsschlägen stets ungekränkt.
    Nach Weisheit und sonstigem erhabnem Glanz
    Mag ich von Neide frei streben. Oh, möcht ich nur,
    Wandelnd im Schönen, stets
    Jeden Tag, jede Nacht leben beglückt und fromm
    Und pflichtlose Ungebühr bannen und
    Ehren die Himmlischen!

    Nun tobe, Rache, tobe glänzend, schwertbewehrt!
    Die Kehl ihm entzwei! schlachte gnadlos
    Dieses verruchte, pflichtlose Echionskind,
    Bodengezeugte Brut!

Epode

    Erschein ein hundertköpfiger Drache, ein Stier vor ihm
    Oder ein feuergelber Leu anzuschaun!
    Herbei, Bakchos, wirf lachenden Angesichts
    Dem Wildschützen bei deiner verzückten Schar heiliger Fraun,
    Wenn er ihr naht, die Todesschling um den Hals!

(Ein zweiter Bote tritt auf)

Zweiter Bote:
O Haus, das einst in Griechenland so reich geblüht
Des greisen Manns von Sidon, der die Erdgeburt,
Die Saat der Lindwurmszähne, streut' ins Ackerland,
Wie muß ich dich beklagen, wenn auch Sklave nur!

Chor:
    Was gibt es? Bringst du Neues von der Bakchenschar?

Bote:
Dahin ist Pentheus, tot Echions edler Sohn!

Chor:
    O Fürst, deine Macht, Brausender, gibt sich kund!

Bote:
Was war das? wie? was soll das heißen? willst du gar
Das große Unglück meiner Herrschaft höhnen, Weib?

Chor:
    Ich bin fremd, in fremdem Laut jubl ich: denn
    Vor dem Gefängnis bang zittern, es ist vorbei!

Bote:
Und Theben scheint dir männerarm so völlig, daß
Es nicht, dich strafend, seinen König rächen kann?

Chor:
    Nur Dionys, nicht Theben, übt
    Gewalt über mich!

Bote:
Ich kann dir's nicht verdenken; nur frohlocken ob
Geschehnen Unglücks, Frauen, ist nicht eben hübsch.

Chor:
    Wie starb? sag, erzähl mir, und in welcher Art
    Der Unrecht verübend unfromme Mann?

Bote:
Wir ließen hier der Theber Heimatwohnungen
Im Rücken, überschritten dann Asopos' Bett
Und traten auf Kithairons schroffes Hügelland,
Pentheus und ich – ich folgt ihm als Begleiter – und
Der Fremdling, unser Führer, hin zur Festesschau.
Und uns empfing nun erstlich dort ein grünes Tal,
Vorsichtig schleichend, mit den Lippen jedes Wort
Nur leise flüsternd, um zu sehen ungesehn.
Es war ein Hohltal schroffumragt, von Quellen feucht,
Von Fichten dicht beschattet, wo die Bakchenschar
Dort ruhte, und anmutsvolle Arbeit war zur Hand.
Die kleidet' einen leer gewordnen Thyrsosstab
Mit neuer Efeuranken laubigem Ringelkranz,
Und andre sangen, Fohlen gleich vom Wagenjoch
Gelöst und frei, ein bakchisch jubelnd Wechsellied.
Pentheus, der unglückselge, der die Bakchenschar
Nicht übersah, sprach: "Fremdling, hier auf diesem Platz
Erreicht mein Blick der Bakchen Schliche nicht so recht;
Auf einer Anhöh, einem Tannenwipfel würd
Ich frei der Bakchen schändlich Treiben überschaun."
Jetzt aber sah ich eine Wundertat des Manns.
Der Fremde faßt' ein himmelragend Tannenhaupt
Und bog es, bog es nieder auf den dunklen Grund.
Denn wie ein Bogen oder rundgeschweiftes Rad,
Gezeichnet nach dem Zirkel, zieht die Kreisesbahn,
So krümmt' – ein übermenschlich Wunderwerk! – und zog
Den Waldesschößling jener mit der Hand zum Grund,
Setzt' auf die Tannenäste Pentheus, meinen Herrn,
Und ließ den Wipfel wieder steigen grad empor,
Sacht und behutsam, daß er nicht ward fortgeschnellt;
Und schwindelnd ragt' er in die Schwindelhöh hinein
Mit meinem Herrn, der auf der höchsten Spitze saß!
Er sah die Bakchen minder, als ihn diese sahn:
Und kaum erblickt' man droben auf dem hohen Sitz
Den König, als der Fremdling auch verschwunden war,
Und eine Stimme schallte durch die Lüfte her,
Dionysens, wie mir dünket: "Auf, ihr jungen Fraun,
Hier bring ich euch den Frevler, welcher meine Weihn
Und mich verhöhnte! Darum auf und straft ihn jetzt!"
Und dieses rufend, ließ er plötzlich Feuersglanz
Zum Himmel und zur Erde strahlen wunderbar.
Still war die Luft, im dichten Forste regte sich
Kein Blatt, man hörte keinen Laut von keinem Tier.
Sie, die den Schall nicht deutlich wahrgenommen, stehn,
Gespitzten Ohres lauschend, werfen hin und her
Den Blick, da rief's zum zweitenmal! und deutlich ward
Dionysens Ruf von Kadmens Töchtern jetzt erkannt.
Sie flogen fort in rascher Eile, Tauben gleich,
Spornstreichs mit ausgestrecktem windesschnellem Lauf,
Agaue, seine Mutter, samt dem Schwesternpaar
Und allen Bakchen, über Gießbachhöhlungen
Und Brüche springend, toll beseelt von einem Geist.
Und als sie Pentheus auf der Tanne sitzen sahn,
So warf man erstlich Kiesel in geschwungnem Wurf,
Geklommen rasch auf eine Felsbastei, nach ihm
Hinüber, schleudert' Fichtenäste durch die Luft,
Und andre wirbeln ihre Thyrsosstäbe hin
Nach ihm, dem unglückselgen Ziel, doch frommt' es nicht!
Zu hohen Standpunkt – höhern, als er wünschte –, hat
Der arme Lauscher sonder Hilf und ohne Rat!
Da stemmt man endlich Eichenäste ein und sprengt
Mit eisenloser Hebelkraft die Wurzeln los.
Und als die Arbeit nicht zum Ziele fördern will,
So spricht Agaue: "Kommt und stellt euch ringsherum
Und packt den Baum an, Bakchen, daß das Wild darauf
Uns nicht entrinne, nicht verrate unsres Gottes
Geheime Reigen." Tausend Hände faßten rasch
Die Tanne, und aus dem Boden war der Baum gewühlt.
Vom hohen Sitze fliegt er jählings hoch herab
Und stürzt zum Boden unter tausend Ach und Weh,
Pentheus. Er wußte, sein Verderben war ihm nah.
Nun hub den Mord die Mutter erst als Priestrin an,
Losstürzend auf ihn. Von der Stirne warf er schnell
Die Bind, auf daß die Arme ihn kennen möchte und nicht
Erwürgen, flehend rührt' er ihre Wangen an
Und sprach: "Ich bin es, Mutter, bin dein eignes Kind,
Pentheus, der Sohn Echions, den du selbst gebarst!
Erbarm dich, liebe Mutter, und ermorde nicht
Um meiner Missetaten willen deinen Sohn!"
Ihr stand der Schaum am Munde, und ihr verdrehter Blick
War stier; sie hatte kein Bewußtsein, wie's gebührt,
Besessen vom Verzückungsgott: sie hörte nicht!
Mit ihren Armen packt sie seine linke Hand,
Den Fuß in seine Rippen eingestemmt, und reißt
Die Schulter aus dem Arme, nicht durch Leibeskraft!
Denn ihrem Arm lieh diese Leichtigkeit der Gott.
Und Ino griff jetzt auf der andern Seite an,
Zerriß sein Fleisch; Autonoë samt der ganzen Schar
Der Bakchen drang ein. Durcheinander tönt das Schrein:
Wehlaut von ihm und Stöhnen, weil er atmete,
Von ihnen Jubel. Eine trug den Arm davon,
Den Fuß die andere samt den Schuhen, bloßgelegt
Vom Riß die Rippen diese. Blutbefleckter Hand
Warf jede Pentheus' Glieder, Bällen gleich, umher.
Gesondert liegt die Leiche, teils auf starrendem
Gesteine, teils im tiefen dichtverzweigten Holz,
Kein leichtes Finden! Aber sein unselig Haupt
Hat seine Mutter, der es in die Hand geriet,
Auf ihren Stab als eines wilden Löwen Kopf
Gesteckt und trägt es durchs Gebirg Kithairon hin.
Die Schwestern ließ sie beim Mänadenchor zurück
Und zieht, der unheilvollen Beute jubelnd, her
In dieser Mauern Räume und ruft den Bakchos an,
Den Jagdgenossen, der den Fang gelingen ließ,
Den Sieger – sie, die Tränen erntet von dem Sieg!
Ich weiche diesem Jammeranblick aus und geh
Von dannen, eh Agaue noch dem Hause naht. –
Bescheidenheit und fromme Scheu vor Heiligem
Ist wohl das Schönste und zugleich das Weiseste
Gewiß für irdische Menschen, die es recht verstehn.
(Ab)

Chor:
    Singe dem Bakchos Lob unser Chor,
    Juble dem Untergang lauten Schalls
    Des Sprößlings vom Geschlechte des Lindwurms, der,
    In Weibskleidern vermummt, den Hohl-
    Stab, den heiligen Thyrsos nahm
    Sich zu gewissem Tod,
    Indem der Stier zum Untergang ihn leiten muß!
    Thebische Bakchen, ja,
    Ihr habt errungen stolzen Ruhm, Triumph und Sieg,
    Tränen und Weinen euch!
    Die bluttriefend Hand an sein Kind zu legen ist
    Ein großartger Kampf!

Jedoch da seh ich zum Palast in Eile her
Agauen, Pentheus' Mutter, ziehen, stierverdreht
Die Blicke; empfangt des Jubelgottes Schwärmerei!

(Agaue tritt auf, Pentheus' Kopf auf dem Thyrsosstab)

Strophe

Agaue:
    Asiens Frauen, hört!

Chor:                                 Sage, was will dein Ruf?

Agaue:
    Aus dem Gebirge bring ich die gefällte kraus-
    Behaarte göttliche Beute heim!

Chor:
    Ich seh's, oho! ich nehm dich auf als Schwärmerin!

Agaue:
    Gefangen ohne Schlingen durch der Hände Kraft,
    Dieser Bergleu, das Jungwild,
    Wie's zu schaun ist hier!

Chor:
    Wo in der Einsamkeit?

Agaue:
    Kithairon –

Chor:                   Der Kithairon?

Agaue:
    Hat ihm den Tod gebracht!

Chor:
    Wer traf zuerst ihn?

Agaue:                             Mein ist die Ehre voran!
    Glückselge Agaue heiß ich im festlichen Chor!

Chor:
    Wer sonst noch?

Agaue:                         Des Kadmos –

Chor:                                                   Des Kadmos –?

Agaue:                                                                         Geschlecht schlug
    Mit mir, ja mit mir
    Dies Wild nieder!

Chor:                             Glücklich ob dieses Fangs!

Gegenstrophe

Agaue:
    Nimm an dem Schmause teil!

Chor:                                               Ich an dem Schmaus? O weh!

Agaue:
    Ist noch ein junges Tier: unter dem Kamm die Wang
    Umbuscht ihm eben der zarte Flaum!

Chor:
    Er ziert ihn wirklich gleich dem Haarwuchs eines Wilds!

Agaue:
    Und Bakchos hat, ein kluger Jäger voller List,
    Auf das Wild hier die Bakchen
    Losgehetzt im Sprung.

Chor:
    Der Fürst kennt die Jagd!

Agaue:
    Dein Mund lobt –

Chor:                             Er erhebt dich!

Agaue:
    Und die Kadmeer und
    Pentheus, mein Sohn erst!

Chor:                                         Preisen die Mutter, gewiß!

Agaue:
    Die diesen Fang, den Löwengezeugten, gewann!

Chor:
    Unmenschlich!

Agaue:                     Unmenschlich?

Chor:                                               Erfreut's dich?

Agaue:                                                                   Ich rühm mich!
    Ein großartges Werk
    Hab ich getan zum Stolz und Ruhm unsrem Land.

Chor:
So zeige denn den Siegesraub, seltsames Weib,
Mit dem du herzogst, auch den Bürgern in der Stadt.

Agaue:
O ihr, im schönen Festungsbau der Theberstadt
Einwohner, kommt, auf daß ihr diesen Fang beschaut
Des Wildes, das wir Kadmostöchter wältigten –
Nicht mit Thessaliens hakigtem Geschosse, nicht
Mit Gruben oder Netzen, bloß mit festem Griff
Weißarmiger Hände! Lohnt sich's dann zu prahlen noch,
Gewehr auch anzuschaffen noch vom Lanzenschmied,
Wenn wir mit diesen Händen den da fingen und
In Stücken ganz des Wildes Glieder rissen? Wo,
Wo ist mein alter Vater nur? Er komme her!
Pentheus, mein Sohn, wo weilt er? Eine Leiter soll
Er bringen, ihre Sprossen lehnen hier ans Haus,
Um an den Dreischlitz festzunageln diesen Kopf
Des Löwen, den ich von der Jagd mitbringe hier.

(Kadmos tritt auf mit Dienern, die die Leiche Pentheus' bringen)

Kadmos:
Hierher mit eurer unglückselgen Bürde! tragt
Die Reste Pentheus' vor das Haus, ihr Diener, hin,
Die ich mit tausend Mühen habe aufgesucht
Im Forstrevier Kithairons und hier bringe. Ganz
Verschleift, und keinen Teil beim andern, fand ich sie
Im schlupfenreichen Walde liegen überall.
Der Töchter ungeheure Tat vernahm ich wo,
Schon innerhalb der Mauern wandelnd längs der Stadt
Mitsamt dem Greis Teiresias von den Bakchen her,
Und kehrte wieder nach dem Forst und bringe nun,
Gemordet von den Bakchen, meinen Enkel her.
Die Gattin Aristaios' nun, Autonoë,
Weiland Aktaions Mutter, samt der Ino sah
Ich noch im Walde, wahngestachelt, jammervoll.
Die andre, sagt man, sei hierher mit tollem Fuß
Geeilt, Agaue. Diese Nachricht trifft auch zu:
Ich seh sie – ein unseliger Anblick! – leider hier.

Agaue:
Mein Vater, hoch, am höchsten kannst du rühmen dich:
Denn Heldentöchter sind dir, wie die Erde nie
Sie sah, entsprossen! Alle mein' ich, doch voran
Mich selber, die ich Spindel und Webstuhl verließ
Und stieg so hoch, Waldtiere mit der Hand zu fahn!
Auf meinen Armen bring ich, wie du siehest, hier
Den frischerrungnen Siegeslohn, auf daß man ihn
Am Sims befestige. Nimm ihn hin in deine Hand
Und lade, stolz dich brüstend wegen meines Fangs,
Zu einem Mahl die Freunde. Denn glückselig, ja!
Glückselig bist du, weil wir solche Taten tun!

Kadmos:
Maßloses Elend! Jammer, den kein Aug erträgt!
O blutiger, mit unseliger Hand vollbrachter Mord!
Ein Opfer ohnegleichen, Göttern hingestreckt,
Zu dessen Schmaus du Theben und mich laden willst!
Weh, weh, das Unheil, deins zuerst und meines dann!
Der Gott hat grausam, aber leider billig uns
Vernichtet, uns so nah verwandt, der Brausende!

Agaue:
Oh, welch ein mürrisch Wesen ist das Alter doch!
So kalt und finster blickend! Wäre nur mein Sohn
Ein rüstiger Jäger, schlüge seiner Mutter nach,
Indem er samt den Theberjünglingen im Wald
Nach Tieren schösse! Der versteht es leider nur,
Sich gegen Heiliges aufzulehnen. Laß uns ihn
Gemeinsam abziehn von der Lust an klugem Leid!
Wo weilt er? will ihn keiner vor mein Angesicht
Herrufen, daß er meinen Sieg, mein Glück erblickt?

Kadmos:
Weh, wehe! wenn ihr eurer Handlung je bewußt
Euch werdet, welch ein gräßlich Leiden! Und verharrt
Ihr ewig so in diesem Zustand, seid ihr zwar
Nicht glücklich, aber euer Elend fühlt ihr nicht!

Agaue:
Was gibt es denn hier Schlimmes oder Trauriges?

Kadmos:
Nun richt einmal zum Himmel erst den Blick empor.

Agaue:
Nun gut! Wozu die Mahnung? Sprich, was soll mir das?

Kadmos:
Ist's noch derselbe? scheint er dir verwandelt jetzt?

Agaue:
Viel heller nun, viel reiner und durchsichtiger!

Kadmos:
Und ist die Unruh aus dem Herzen endlich weg?

Agaue:
Das Wort versteh ich nicht so recht: doch kommt mir, scheint's,
Die Besinnung, und die frühere Stimmung schwand hinweg.

Kadmos:
So kannst du hören und erwidern unverwirrt?

Agaue:
Von meinen frühern Reden, Vater, weiß ich nichts.

Kadmos:
Wem hast du einst zum Ehebund die Hand gereicht?

Agaue:
Dem Saatgewächs Echion ward ich angetraut.

Kadmos:
Und welchen Sohn gebarst du deinem Ehgemahl?

Agaue:
Pentheus, der Eltern gegenseitges Liebespfand.

Kadmos:
Und wessen Antlitz hältst du hier in deiner Hand?

Agaue:
Ein Löwenhaupt – die Jägerinnen nannten's so.

Kadmos:
Betracht es einmal recht genau: die Müh ist klein!

Agaue:
Ha, welcher Anblick! Gott, was trägt hier meine Hand?!

Kadmos:
Betracht und prüfe und überzeug dich ganz genau.

Agaue:
Ich seh den größten Jammer! Oh, ich armes Weib!

Kadmos:
Was meinst du? sieht es wirklich einem Löwen gleich!

Agaue:
Nein, nein! des Pentheus Haupt ist das! Ich armes Weib!

Kadmos:
Entstellt von Blut, noch eh du wußtest, wer er war!

Agaue:
Und wer erschlug ihn? wie geriet's in meine Hand?

Kadmos:
Unselge Wahrheit! ach, zur Unzeit kommst du jetzt!

Agaue:
Sprich nur! Was werd ich hören? ach, mir klopft das Herz!

Kadmos:
Du warst's und deine Schwestern, die ihn töteten.

Agaue:
Und wo geschah es? Hier im Haus? An welchem Ort?

Kadmos:
Dort, wo die Meute Aktaion einst zerfleischte, war's.

Agaue:
Was trug den Unglückselgen zum Kithairon hin?

Kadmos:
Den Gott zu höhnen und dein Schwärmen, ging er hin.

Agaue:
Und wie gerieten wir dahin? in welcher Art?

Kadmos:
Ihr wurdet toll und schwärmtet mit der ganzen Stadt.

Agaue:
Dionys hat uns vernichtet, ach, nun merk ich's wohl!

Kadmos:
Den ihr verhöhntet, seine Gottheit leugnetet!

Agaue:
Wo, Vater, sind die teuren Reste meines Sohns?

Kadmos:
Ich bring sie hier, mit vielen Mühen aufgesucht.

Agaue:
Sind auch die Glieder alle wieder hübsch gefügt?

(Kadmos:
Bis auf das Haupt in deiner unglückselgen Hand.

Agaue:
Da! nimm es zur Bestattung mit dem andern Leib.)
Wie aber ward von unsrem Wahn Pentheus berührt?

Kadmos:
Euch war er gleich, verschmähte so wie ihr den Gott,
Darum verstrickte er alle in ein Verderben, euch
Und diesen hier, vernichtet' unser Haus und mich,
Mich, der entblößt von männlicher Nachkommenschaft,
Den Sprößling deines Schoßes da, unglücklich Weib,
So schmählich und so jammervoll gemordet sieht!
Du einzige Hoffnung, einzige Stütze meines Stamms
Und Hauses, teurer Enkel, meiner Tochter Sohn,
Du warst der Stadt ein Schrecken! Keiner mochte je
Dem Greis ein Leid zufügen, auf dein fürstlich Haupt
Hinsehend, denn er hätt es nach Gebühr gebüßt!
Jetzt werd ich achtlos fortgestoßen aus dem Haus,
Weiland der große Kadmos, der den Theberstamm
Gesät, die allerschönste Saat geerntet hat!
O teurer Mann – denn ob du schon verschieden bist,
Du bleibst mir doch das liebste Wesen, teures Kind –,
Du wirst mich nicht mehr hier beim Kinn anfassen und
Großvater nennen, liebend angeschmiegt, mein Kind,
Und sprechen: "Wer verletzt dich, alter Mann, wer tut
Dir was zuleide? Wer betrübt, wer kränkt dein Herz?
Großvater, sag mir's, daß der Frevler Straf empfängt!"
Nun bin ich elend, du vernichtet jammervoll,
Erbarmenswert die Mutter, ihre Schwestern arm!
Wenn irgendwer sich über Götter noch erhebt,
Der blicke hier auf deinen Tod und sei bekehrt!

Chor:
Dein Leiden schmerzt mich, Kadmos: deinem Enkel ist
Verdientes widerfahren: doch dich trifft es hart!

Agaue:
Du siehst, mein Vater, wie so tief gestürzt ich bin . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

(Eine große Lücke der einzigen ohnehin schlechten Handschrift des Dramas hat uns das Folgende geraubt. Agaues Klagen und Selbstanklagen wurden durch das Erscheinen des Dionysos unterbrochen. Unser Text setzt gegen Ende seiner Rede wieder ein.)

Dionysos:
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zum Drachen umgewandelt sein, auch wird dein Weib
Zum Tier gemacht, Lindwurmsgepräg annehmen, sie,
Des Ares Kind Harmonia, mit dir Sterblichem
Vermählt – ein Rinderwagen trägt euch beide, so
Spricht Zeusens Offenbarung. Welsche führst du an,
Wirst viele Burgen brechen mit zahllosem Heer,
Doch endlich, wenn sie Phoibens heilgen Sehersitz
Geplündert, wird elende Wiederkehr zuteil.
Dich aber rettet Ares samt Harmonien,
Versetzt dein Dasein in der Seligen Aufenthalt.
Das sprech ich nicht als eines irdischen Vaters, nein,
Als Sohn des Zeus! und hättet ihr, als euch es nicht
Gefiel, zur Demut euch entschlossen, euer Hort
Verblieb der Zeussohn, und ihr konntet glücklich sein!

Agaue:
Dionys, wir flehen: ja, wir haben sehr gefehlt.

Dionysos:
Zu spät erkennt ihr's, habt mich, als es galt, verkannt.

Agaue:
Wir haben's eingesehen; doch du strafst zu hart.

Dionysos:
Von euch auch ward mein göttlich Wesen arg verhöhnt.

Agaue:
Doch sei ein Gott nicht Menschen gleich an Leidenschaft.

Dionysos:
Es war das längst vom Vater Zeus mir zugesagt.

Agaue:
Ach, unser Elend, greiser Vater, war verhängt.

Dionysos:
So fügt euch endlich dem, was unabwendbar ist.
(Verschwindet)

Kadmos:
O meine Tochter, schrecklich ist das Leiden, das
Dich armes Weib und deine Schwestern, deinen Sohn
Und mich betrifft! Zu fremden Völkern muß ich, Greis,
Ziehn aus der Heimat. Ferner führ ich, sagt der Spruch,
Gemischte welsche Scharen wider Griechenland,
Und meine Gattin, Ares' Kind, Harmonien, soll
In wilder Drachenbildung, Drache selbst, ich auf
Die heilgen Herde und Gräber leiten unsres Volks,
An der Spitze roher Haufen, und ich werde nie
Erlöst von Leiden, nimmer ruhig werden, selbst
Jenseits des Acherons tiefgestürzter dunkler Flut!

Agaue:
Und ich, mein Vater, zieh ins Elend, dein beraubt!

Kadmos:
Was schlingst du deine Arme um mich, du armes Weib,
Wie um den grauen abgelebten Schwan sein Kind?

Agaue:
Wohin, gestoßen aus der Heimat, wend ich mich?

Kadmos:
Mein Kind, ich weiß nicht: deines Vaters Hilf ist nichts.

Agaue:
    Leb wohl, du mein Haus, mein Heimatland,
    Leb wohl, ich verlaß dich, verbannt, und zieh
    In das Elend hin!

Kadmos:
    Zieh hin, mein Kind, doch umgehe den Ort,
    Der Aristaios' Sohne den Tod gab.

Agaue:
    Wie beklag ich dich, Greis!

Kadmos:                                     Wie beklag ich dich, Kind,
    Wie bewein ich das Los deiner Schwestern zumal!

Agaue:
    Grausam, grausam ist die Unbild, die
    Dionysos der Fürst hier über dein Haus
    Rachsüchtig verhängt!

Kadmos:
    Grausam auch ward er beleidigt von euch
    Und entbehrte die Ehre im thebischen Land.

Agaue:
    Leb, Vater, nun wohl!

Kadmos:                             Unglückliches Kind,
    Leb wohl, doch es ist unmöglich für dich!

Agaue:
    So geleitet mich hin, Diener, zum Ort, wo
    Sich die Schwestern der Flucht anschließen im Leid!
    Dann such ich ein Land,
    Wo der Kithairon-Greuel mich nicht sieht,
    Wo den Kithairon nimmer mein Blick schaut,
    Kein bakchischer Stab herrscht, welcher mich mahnt –
    Ich gönn ihn andern Mänaden!


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