Euripides
Iphigenie in Aulis
Euripides

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Fünfer Akt.

Erster Auftritt.

Klytämnestra kommt. Der Chor.

Klytämnestra. Ich komme, meinen Gatten aufzusuchen.
Noch immer bleibt er aus – es ist schon lange,
Daß er das Zelt verließ – und drinnen weint
Und jammert die Unglückliche, nun sie
Erfuhr, was für ein Schicksal sie erwartet.
Es nähert sich, den ich genannt. Der ist's,
Das ist der Agamemnon, den man bald
Verrucht wird handeln sehn an seinen Kindern.

 
Zweiter Auftritt.

Agamemnon. Vorige.

Agamemnon. Gut, Klytämnestra, daß ich außerhalb
Des Zelts dich treffe und allein. Ich habe
Mich über Dinge mit dir zu besprechen,
Die einer Jungfrau, die bald Braut sein wird,
Nicht wohl zu hören ziemt.

Klytämnestra.                           Und was ist das,
Wozu die Zeit sich dir so günstig zeiget?

Agamemnon. Laß deine Tochter mit mir gehen! – Alles
Ist in Bereitschaft, das geweihte Wasser,
Das Opfermahl, das heil'ge Feu'r, die Rinder,
Die vor der Hochzeit am Altar Dianens,
In schwarzem Blute röchelnd, fallen sollen.

Klytämnestra. Gut redest du. Daß ich von deinem Thun
Ein Gleiches rühmen könnte! – Aber komm
Du selbst heraus, mein Kind! (Sie geht und öffnet die Thür des Gezelts.)
                                              Was Dieser da
Mit dir beschlossen hat, weiß du ausführlich.
Nimm unter deinem Mantel auch den Bruder
Orestes mit dir! (Zu Agamemnon, indem Iphigenie heraustritt.)
                          Sieh, da ist sie, deine
Befehle zu vernehmen. Was noch sonst
Für sie und mich zu sagen übrig bleibt,
Werd' ich hinzuzusetzen wissen.

 
Dritter Auftritt.

Iphigenie mit dem kleinen Orestes zu den Vorigen.

Agamemnon. Was ist dir, Iphigenie? – – – Du weinst?
Du siehst nicht heiter aus – du schlägst die Augen
Zu Boden und verbirgst dich in den Schleier?

Iphigenie. Ich Unglückselige! Wo fang' ich an?
Bei welchem unter allen meinen Leiden?
Verzweiflung, wo ich nur beginnen mag,
Verzweiflung, wo ich enden mag!Verzweiflung, wo ich nur beginnen mag! Verzweiflung, wo ich enden mag! Josua Barnes übersetzt: Quodnam malorum meorum sumam exordium? Omnibus enim licet uti primis et postremis et mediis ubique. Angenommen, daß dieser Sinn der wahre ist, so liegt ihm vielleicht eine Anspielung auf irgend eine griechische Gewohnheit zum Grunde, dergleichen man im Euripides mehrere findet. Da der Reiz, den eine solche Anspielung für ein griechisches Publikum haben konnte, bei uns wegfällt, so würde man dem Dichter durch eine treue Uebersetzung einen schlechten Dienst erweisen.

Agamemnon.                                         Was ist das?
Hat Alles hier zusammen sich verstanden,
Mich zu bestürzen – Kind und Mutter außer sich
Und Unruh' im Gesichte –

Klytämnestra.                           Mein Gemahl,
Antworte mir auf das, was ich dich frage,
Aufrichtig aber!

Agamemnon.             Braucht's dazu Ermahnung?
Zur Sache.

Klytämnestra.   Ist's an dem – willst du sie wirklich
Ermorden, deine Tochter und die meine?

Agamemnon (fährt auf).
Unglückliche! Was für Wort hast du gesprochen!
Was argwöhnst du? – Du sollst es nicht!

Klytämnestra.                                                 Antworte
Auf meine Frage.

Agamemnon.               Frage, was sich ziemt,
So kann ich dir antworten, wie sich's ziemet.

Klytämnestra. So frag' ich. Sage du mir nur nichts anders.

Agamemnon. Furchtbare Göttinnen des Glücks und Schicksals
Und du, mein böser Genius!

Klytämnestra.                             Und meiner –
Und Dieser hier! Ihn theilen drei Elende!

Agamemnon. Worüber klagst du?

Klytämnestra.                                 Dieses fragst du noch?
O dieser List gebricht es an Verstande!

Agamemnon. Ich bin verloren! Alles ist verrathen!

Klytämnestra. Ja, Alles ist verrathen. Alles weiß ich,
Und Alles hört' ich, was du uns bereitest.
Dies Schweigen, dieses Stöhnen ist Beweises
Genug. Das Reden magst du dir ersparen.

Agamemnon. Ich schweige. Reden, was nicht wahr ist, hieße
Mein Elend auch durch Frechheit noch erschweren.

Klytämnestra. Gib mir Gehör. Die räthselhafte Sprache
Bei Seit'. Ich will jetzt offen mit dir reden.
Erst drangst du dich – das sei mein erster Vorwurf –
Gewaltsam mir zum Gatten auf, entführtest
Mich räuberisch, nachdem du meinen ersten
Gemahl erschlagen, Tantalus – den Säugling
Von seiner Mutter Brust gerissen, mit
Grausamem Wurf am Boden ihn zerschmettert.
Als meine Brüder drauf, die Söhne Zeus',
Die Herrlichen, mit Krieg dich überzogen,
Entriß dich Tyndar, unser Vater, den
Du knieen flehtest, ihrem Zorn und gab
Die Rechte meines Gatten dir zurücke.
Seit diesem Tag – kannst du es anders sagen?
Fandst du in mir die lenksamste der Frauen,
Im Hause fromm, im Ehebette keusch,
Untadelhaft im Wandel. Sichtbar wuchs
Der Segen deines Hauses – Lust und Freude,
Wenn du hineintratst! Wenn du öffentlich
Erschienst, der frohe Zuruf aller Menschen!
Solch eine Ehgenossin zu erjagen,
Ist Wenigen beschert. Desto gemeiner sind
Die schlimmen! Ich gebäre dir drei Töchter
Und diesen Sohn – und dieser Töchter eine
Willst du jetzt so unmenschlich mir entreißen!
Fragt man, warum sie sterben soll – was kannst du
Hierauf zur Antwort geben? Sprich! soll ich's
In deinem Namen thun? Daß Menelaus
Helenen wieder habe, soll sie sterben!
O trefflich! Deine Kinder also sind
Der Preis für eine Buhlerin! Und mit
Dem Theuersten, das wir besitzen, wird
Das Hassenswürdigste erkauft! – Wenn du
Nun fort sein wirst nach Troja, lange, lange,
Ich im Palast indessen einsam sitze,
Leer die Gemächer der Gestorbenen
Und alle jungfräulichen Zimmer öde,
Wie, glaubst du, daß mir da zu Muth sein werde?
Wenn ungetrocknet, unversiegend um
Die Todte meine Thränen rinnen, wenn
Ich ewig, ewig um sie jammre: »Er,
Der dir das Leben gab, gab dir den Tod!
Er selbst, kein Andrer, er mit eignen Händen!«
Sieh zu, daß dir von deinen andern Töchtern,
Von ihrer Mutter, wenn du wiederkehrst,
Nicht ein Empfang dereinst bereitet werde,
Der solcher Thaten würdig ist. O um
Der Götter willen! Zwinge mich nicht, schlimm
An dir zu handeln! Handle du nicht so
An uns! – Du willst sie schlachten! Wie? Und welche
Gebete willst du dann zum Himmel richten?
Was willst du, rauchend von der Tochter Blut,
Von ihm erflehen? Fürchterliche Heimkehr
Von einem schimpflich angetretnen Zuge!
Werd' ich für dich um Segen flehen dürfen?
Um Segen für den Kindermörder flehn,
Das hieße Göttern die Vernunft ableugnen!
Und sei's, daß du nach Argos wiederkehrst,
Denkst du dann deine Kinder zu umarmen?
O, dieses Recht hast du verscherzt! Wie könnten
Sie Dem ins Auge sehn, der ein von ihnen
Mit kaltem Blut erschlug? – Darüber sind
Wir einverstanden – Mußtest du als König,
Als Feldherr dich betragen – kam es dir
Nicht zu, bei den Achivern erst die Sprache
Der Weisheit zu versuchen? »Ihr verlangt
Nach Troja, Griechen? Gut. Das Loos entscheide,
Weß Tochter sterben soll!« Das hätte Einem
Gegolten wie dem Andern. Aber nicht,
Nicht dir von allen Danaern allein
Kam's zu, dein Kind zum Opfer anzubieten!
Da! deinem Menelaus, dem zu Lieb'
Ihr streitet, dem hätt' es gebührt, sein Kind
Hermione der Mutter aufzuopfern!
Und ich, die immer keusch dein Bett bewahrte,
Soll nun der Tochter mich beraubet sehn,
Wenn jene Lasterhafte, glücklicher
Als ich, nach Sparta heimzieht mit der ihren!
Bestreit' mich, wenn ich Unrecht habe! Hab'
Ich Recht – o, so geh' in dich! – bring sie nicht
Ums Leben, deine Tochter und die meine!

Chor. Laß dich erweichen, Agamemnon! Denk,
Wie schön es ist, sich seines Bluts erbarmen!
Das wird von allen Menschen eingestanden!

Iphigenie. Mein Vater, hätt' ich Orpheus' Mund, könnt' ich
Durch meiner Stimme Zauber Felsen mir
Zu folgen zwingen und durch meine Rede
Der Menschen Herzen, wie ich wollte, schmelzen,
Jetzt würd' ich diese Kunst zu Hilfe rufen.
Doch meine ganze Redekunst sind Thränen,
Die hab' ich, und die will ich geben! Sieh,
Statt eines Zweigs der Flehenden leg' ich
Mich selbst zu deinen Füßen – Tödte mich
Nicht in der Blüthe! – Diese Sonne ist
So lieblich! Zwinge mich nicht, vor der Zeit
Zu sehen, was hier unten ist! – Ich war's,
Die dich zum erstenmale Vater nannte,
Die Erste, die du Kind genannt, die Erste,
Die auf dem väterlichen Schooße spielte
Und Küsse gab und Küsse dir entlockte.
Da sagtest du zu mir: »O meine Tochter,
Werd' ich dich wohl, wie's deiner Herkunft ziemt,
Im Hause eines glücklichen Gemahles
Einst glücklich und gesegnet sehn?« – Und ich,
An diese Wangen angedrückt, die flehend
Jetzt meine Hände nur berühren, sprach:
»Werd' ich den alten Vater alsdann auch
In meinem Haus mit süßem Gastrecht ehren
Und meiner Jugend sorgenvolle Pflege
Dem Greis mit schöner Dankbarkeit belohnen?«
So sprachen wir. Ich hab's recht gut behalten.
Du hast's vergessen, du, und willst mich tödten?
O, nein! bei Pelops, deinem Ahnherrn! nein!
Bei deinem Vater Atreus und bei ihr,
Die mich mit Schmerzen dir gebar und nun
Aufs neue diese Schmerzen um mich leidet!
Was geht mich Paris' Hochzeit an? Kam er
Nach Griechenland, mich Arme zu erwürgen?
O gönne mir dein Auge! Gönne mir
Nur einen Kuß, wenn auch nicht mehr Erhörung,
Daß ich ein Denkmal deiner Liebe doch
Mit zu den Todten nehme! Komm, mein Bruder!
Kannst du auch wenig thun für deine Lieben,
Hinknien und weinen kannst du doch. Er soll
Die Schwester nicht ums Leben bringen, sag' ihm.
Gewiß! Auch Kinder fühlen Jammer nach.
Sieh, Vater! eine stumme Bitte richtet er
An dich – laß dich erweichen! laß mich leben!
Bei deinen Wangen flehen wir dich an.
Zwei deiner Lieben, der, unmündig noch,
Ich, eben kaum erwachsen! Soll ich dir's
In ein herzrührend Wort zusammenfassen?
Nichts Süßres gibt es, als der Sonne Licht
Zu schaun! Niemand verlanget nach da unten.
Der raset, der den Tod herbeiwünscht! Besser
In Schande leben, als bewundert sterben!Besser in Schande leben, als bewundert sterben. Der französische Uebersetzer mildert diese Stelle: Une vie malheureuse est même plus prisée qu'une glorieuse mort. Wozu aber diese Milderung? Iphigenie darf und soll in dem Zustande, worin sie ist, und in dem Affecte, worin sie redet, den Werth des Lebens übertreiben.

Chor. Dein Werk ist dies, verderbenbringende
Helene! Deine Lasterthat empöret
Die Söhne Atreus' gegen ihre Kinder.

Agamemnon. Ich weiß, wo Mitleid gut ist, und wo nicht.
Liebt' ich mein eigen Blut nicht, rasen müßt' ich.
Entsetzlich ist mir's, solches zu beschließen,
Entsetzlich, mich ihm zu entziehn – Sein muß es.
Seht dort die Flotte Griechenlandes! Seht!
Wie viele Könige in Erz gewaffnet!
Von diesen allen sieht nicht Einer Troja,
Und nimmer fällt die Burg des Priamus,
Du sterbest denn, wie es der Seher fordert.
Von wüthendem Verlangen brennt das Heer,
Nach Phrygien die Segel auszuspannen
Und der Achiver Gattinnen auf ewig
Von diesem Räuber zu befrein. Umsonst,
Daß ich dem Götterspruch mich widersetze,
Ich – du – und du – und unsre Töchter in
Mycene würden Opfer ihres Grimmes.
Nein, Kind! nicht Menelaus' Sklave bin ich,
Nicht Menelaus ist's, der aus mir handelt.
Dein Vaterland will deinen Tod – ihm muß ich,
Gern oder ungern, dich zum Opfer geben.
Das Vaterland geht vor! – Die Griechen frei
Zu machen, Kind, die Frauen Griechenlandes,
Was an uns ist, vor räubrischen Barbaren
Zu schützen – das ist deine Pflicht und meine. (Er geht ab.)

 
Vierter Auftritt.

Klytämnestra. Iphigenie. Der Chor.

Klytämnestra. Er geht! Er flieht dich! – Tochter – Fremdlinge –
Er flieht! – Ich Unglückselige! Sie stirbt!
Er hat sein Kind dem Orkus hingegeben!

Iphigenie. O weh mir! – Mutter, Mutter! Gleiches Leid
Berechtigt mich zu gleicher Jammerklage!Gleiches Leid berechtigt mich zu gleicher Jammerklage. Wehe mir! ruft die Mutter. Wehe mir! ruft die Tochter; denn das nämliche Lied schickt sich zu beider Schicksal. Der P. Brumoy nimmt es in der That etwas zu scharf, wenn er dem Euripides Schuld gibt, als habe er mit dem Worte μελος die Versart bezeichnen wollen, und bei dieser Gelegenheit die weise Bemerkung macht, daß ein Acteur niemals von sich selbst sagen müsse, er rede in Versen.
Kein Licht soll ich mehr schauen! Keine Sonne
Mehr scheinen sehn! – O Wälder Phrygiens!
Und du, von dem er einst den Namen trug,
Erhabner Ida, wo den zarten Sohn
Der Mutter Brust entrissen, Priamus
Zu grausenvollem Tode hingeworfen!
O, hätt' er's nimmermehr gethan! den Hirten
Der Rinder, diesen Paris, nimmermehr
Am klaren Wasser hingeworfen, wo
Durch grüne, blüthenvolle Wiesen, reich
Beblümt mit Rosen, würdig, von Göttinnen
Gepflückt zu werden, und mit Hyacinthen,
Der Nymphen Silberquelle rauscht – wohin
Mit Hermes, Zeus' geflügeltem Gesandten,
Zu ihres Streits unseliger Entscheidung,
Athene kam, auf ihre Lanze stolz,
Und, stolz auf ihre Reize, Cypria,
Die Schlaue, und Saturnia, die Hohe,
Auf Jovis königliches Bette stolz!
O dieser Streit führt Griechenland zum Ruhme,
Jungfrauen, mich führt er zum Tod!

Chor.                                                       Du fällst
Für Ilion, Dianens erstes Opfer.

Iphigenie. Und er – o meine Mutter – er, der mir
Das jammervolle Leben gab, er flieht!
Er meidet sein verrathnes Kind! Weh mir,
Daß meine Augen sie gesehen haben,
Die traurige Verderberin! Ihr muß
Ich sterben – unnatürlich muß ich sterben,
Durch eines Vaters frevelhaften Stahl!
O Aulis, hättest du der Griechen Schiffe
In deinem Hafen nie empfangen! Hätte
Ein günst'ger Wind nach Troja sie beflügelt,
Kein Zeus hier am Euripus sie verweilt!
Ach, er verleiht die Winde nach Gefallen:
Dem schwellt er mit gelindem Wind die Segel,
Dem sendet er das Leid, die Angst dem Andern,
Den läßt er glücklich aus dem Hafen steuern,
Den führt er leicht durchs hohe Meer dahin,
Den hält er in der Mitte seines Laufes.
War's nicht schon leidenvoll genug, nicht etwa
Schon thränenwerth genug des Menschen Loos,
Daß er dem Tod noch rief, er zu erschweren?

Chor. Ach, wie viel Unheil, wie viel Elend brachte
Die Tochter Tyndars über Griechenland!
Du aber, Aermste, jammerst mich am meisten.
O, hättest du solch Schicksal nie erfahren!

 
Fünfter Auftritt.

Achilles mit einigen Bewaffneten erscheint in der Ferne. Die Vorigen.

Iphigenie (erschrocken). O Mutter, Mutter! Eine Schaar von Männern
Kommt auf uns zu.

Klytämnestra.               Der Göttinsohn ist drunter,
Für den ich dich hieher gebracht.

Iphigenie (eilt nach der Thür und ruft ihren Jungfrauen).
                                                    Macht auf!
Macht auf die Pforten, daß ich mich verberge!

Klytämnestra. Was ist dir? Vor wem fliehest du?

Iphigenie.                                                               Vor ihm –
Vor dem Peliden – ich erröthe, ihn
Zu sehn –

Klytämnestra. Warum erröthen, Kind?

Iphigenie.                                               Ach, die
Beschämende Entwicklung dieser –

Klytämnestra.                                           Laß
Die Glücklichen erröthen! – Diese zücht'ge
Bedenklichkeiten jetzt bei Seite, wenn
Wir was vermögen sollen –

Achilles (tritt näher).                     Arme Mutter!

Klytämnestra. Du sagst sehr wahr.

Achilles.                                           Ein fürchterliches Schreien
Hört man im Lager.

Klytämnestra.                 Ueber was? Wem gilt es?

Achilles. Hier deiner Tochter.

Klytämnestra.                           O, das weissagt mir
Nichts Gutes.

Achilles.                 Alles dringt aufs Opfer.

Klytämnestra.                                             Alles?
Und Niemand ist, der sich dagegen setzte?

Achilles. Ich selbst kam in Gefahr –

Klytämnestra.                                   Gefahr –

Achilles.                                                             Gesteinigt
Zu werden.

Klytämnestra.     Weil du meine Tochter
Zu retten strebtest?

Achilles.                         Eben darum.

Klytämnestra.                                     Was?
Wer durft' es wagen, Hand an dich zu legen?

Achilles. Die Griechen alle.

Klytämnestra.                       Wie? Wo waren denn
Die Schaaren deiner Myrmidonen?

Achilles.                                                 Die
Empörten sich zuerst.

Klytämnestra.                   Wehe mir! Wir sind
Verloren, Kind!

Achilles.                     Die Hochzeit habe mich
Bethöret, schrien sie.

Klytämnestra.                   Und was sagtest du
Darauf?

Achilles.         Man solle Die nicht würgen,
Die zur Gemahlin mir bestimmt gewesen.

Klytämnestra. Da sagtest du, was wahr ist.

Achilles.                                                       Die der Vater
Mir zugedacht.

Klytämnestra.         Und die er von Mycene
Ausdrücklich darum hatte kommen lassen.

Achilles. Vergebens! Ich ward überschrien.

Klytämnestra.                                             Die rohe
Barbar'sche Menge!

Achilles.                           Dennoch rechne du
Auf meinen Schutz.

Klytämnestra.               So Vielen willst du's bieten,
Ein Einziger?

Achilles.                 Siehst du die Krieger dort?

Klytämnestra. O, möge dir's bei diesem Sinn gelingen!

Achilles. Es wird.

Klytämnestra.       So wird die Tochter mir nicht sterben?

Achilles. Solang ich Athem habe, nicht!

Klytämnestra.                                         Kommt man
Etwa, sie mit Gewalt hinweg zu führen?

Achilles. Ein ganzes Heer. Ulysses führt es an.

Klytämnestra. Der Sohn des Sisyphus etwa?

Achilles.                                                           Derselbe.

Klytämnestra. Führt eigner Antrieb oder Pflicht ihn her?

Achilles. Die Wahl des Heers, die ihm willkommen war.

Klytämnestra. Ein traurig Amt, mit Blut sich zu besudeln!

Achilles. Ich werd' ihn zu entfernen wissen.

Klytämnestra.                                               Sollte
Er wider Willen sie von hinnen reißen?

Achilles. Er? – Hier, bei diesem blonden Haar!

Klytämnestra.                                                     Was aber
Muß ich dann thun?

Achilles.                           Du hältst die Tochter.

Klytämnestra.                                                     Wird
Das hindern können, daß man sie nicht schlachtet?

Achilles. Das wird dies Schwert alsdann entscheiden!Das wird dies Schwert alsdann entscheiden. Wörtlich heißt es: Es wird (oder er wird) aber doch dazu kommen! – Nun kann es freilich auch so verstanden werden: »Klytämnestra. Wird darum mein Kind nicht geopfert werden? Achilles. Du hältst deine Tochter fest. Klytämnestra. Wird das hindern können, daß man sie nicht opfert? Achilles. Nein; er wird aber dort seinen Angriff thun.« – Die angenommene Erklärungsart scheint die natürlichste zu sein.

Iphigenie.                                                                       Höre
Mich an, geliebte Mutter. Hört mich beide.
Was tobst du gegen den Gemahl? Kein Mensch
Muß das Unmögliche erzwingen wollen.
Das größte Lob gebührt dem wohlgemeinten,
Dem schönen Eifer dieses fremden Freundes;
Du aber, Mutter, lade nicht vergeblich
Der Griechen Zorn auf dich und stürze mir
Den großmuthsvollen Mann nicht ins Verderben.
Vernimm jetzt, was ein ruhig Ueberlegen
Mir in die Seele gab. Ich bin entschlossen,
Zu sterben – aber, ohne Widerwillen,
Aus eigner Wahl und ehrenvoll zu sterben!
Hör meine Gründe an und richte selbst!
Das ganze große Griechenland hat jetzt
Die Augen auf mich Einzige gerichtet.
Ich mache seine Flotte frei – durch mich
Wird Phrygien erobert. Wenn fortan
Kein griechisch Weib mehr zittern darf, gewaltsam
Aus Hellas' sel'gem Boden weggeschleppt
Zu werden von Barbaren, die nunmehr
Für Paris' Frevelthat so fürchterlich
Bezahlen müssen – aller Ruhm davon
Wird mein sein, Mutter! Sterbend schütz' ich sie.
Ich werde Griechenland errettet haben,
Und ewig selig wird mein Name strahlen.
Wozu das Leben auch so ängstlich lieben?
Nicht dir allein – du hast mich allen Griechen
Gemeinschaftlich geboren. Sieh dort, sieh
Die Tausende, die ihre Schilde schwenken,
Dort andre Tausende, des Ruders kundig.
Entbrannt von edlem Eifer kommen sie,
Die Schmach des Vaterlands zu rächen, gegen
Den Feind durch tapfre Kriegesthat zu glänzen,
Zu sterben für das Vaterland. Dies alles
Macht' ich zu nichte, ich, ein einzig's Leben?
Wo, Mutter wäre das gerecht? Was kannst
Du hierauf sagen? – Und alsdann – (Sich gegen Achilles wendend.)
                                                        Soll Der's
Mit allen Griechen, eines Weibes wegen,
Aufnehmen und zu Grunde gehn? Nein doch!
Das darf nicht sein!Dies ist eine von den Stellen, die dem Euripides den Namen des Weiberfeindes zugezogen hat. Wenn man sie aber nur auf den Achilles deutet, so verliert sie das Anstößige; und diese Erklärungsart schließt auch der Text nicht aus. Der einz'ge Mann verdient
Das Leben mehr, als hunderttausend Weiber.
Und will Diana diesen Leib, werd' ich,
Die Sterbliche, der Göttin widerstreben?
Umsonst! Ich gebe Griechenland mein Blut.
Man schlachte mich, man schleife Troja's Feste!
Das soll mein Denkmal sein auf ew'ge Tage,
Das sei mir Hochzeit, Kind, Unsterblichkeit!
So will's die Ordnung, und so sei's! Es herrsche
Der Grieche, und es diene der Barbare!
Denn der ist Knecht, und jener frei geboren!

Chor. Dein großes Herz zeigst du – doch grausam ist
Dein Schicksal, und ein hartes Urtheil sprach Diana.

Achilles. Wie glücklich machte mich der Gott, der dich
Mir geben wollte, Tochter Agamemnons!
Glücksel'ges Griechenland, so schön errettet!
Glückselig du, durch ein so großes Opfer
Geehrt! Wie edel hast du da gesprochen!
Wie deines Vaterlandes werth! Der starken
Nothwendigkeit willst du nicht widerstreben.
Was einmal sein muß, muß vortrefflich sein.
Je mehr dies schöne Herz sich mir entfaltet,
Ach, desto feuriger lebt's in mir auf,
Dich als Gemahlin in mein Haus zu führen.
O, sinn' ihm nach. So gern thät' ich dir Liebes
Und führte dich als Braut in meine Wohnung.
Kann ich im Kampfe mit den Griechen dich
Nicht retten – o, beim Leben meiner Mutter!
Es wird mir schrecklich sein. Erwäg's genau.
Es ist nichts Kleines um das Sterben!

Iphigenie.                                                     Meinen
Entschluß bringt kein Beweggrund mehr zum Wanken.
Mag Tyndars Tochter, herrlich vor uns allen,
Durch ihre Schönheit Männer gegen Männer
In blut'gem Kampf bewaffnen – meinetwegen
Sollst du nicht sterben, Fremdling! Meinetwegen
Soll Niemand durch dich sterben! Ich vermag's
Mein Vaterland zu retten. Laß mich's immer!

Achilles. Erhabne Seele – Ja! Ist dies dein ernster
Entschluß, ich kann dir nichts darauf erwiedern.
Warum, was Wahrheit ist, nicht eingestehn?
Du hast die Wahl des Edelsten getroffen!
Doch dürfte die gewaltsame Entschließung
Dich noch gereu'n: drum halt' ich Wort und werde
Mit meinen Waffenbrüdern am Altar
Dir nahe stehn – Kein müß'ger Zeuge deines Todes,
Dein Helfer vielmehr und dein Schutz. Wer weiß,
Wenn nun der Stahl an deinem Halse blinkt,
Ob dich des Freundes Nähe nicht erfreuet?
Denn nimmer werd' ich's dulden, daß dein Leben
Ein allzurasch gefaßter Vorsatz kürze.
Jetzt führ' ich Diese – (auf seine Bewaffneten zeigend)
                                    nach der Göttin Tempel;
Dort findest du mich, wenn du kommst. (Er geht ab.)

 
Sechster Auftritt.

Iphigenie. Klytämnestra. Der Chor.

Iphigenie.                                                       Nun, Mutter! –
Es netzten stille Thränen deine Augen?

Klytämnestra. Und hab' ich etwa keinen Grund zu weinen?
O ich Unglückliche!

Iphigenie.                         Nicht doch! Erweichen
Mußt du mich jetzt nicht, Mutter. Eine Bitte
Gewähre mir!

Klytämnestra.         Entdecke sie, mein Kind!
Die Mutter findest du gewiß.

Iphigenie.                                         Versprich mir,
Dein Haar nicht abzuschneiden, auch kein schwarzes
Gewand um dich zu schlagen –

Klytämnestra.                                   Wenn ich dich
Verloren habe? Kind, was forderst du?

Iphigenie. Du hast mich nicht verloren – deine Tochter
Wird leben und mit Glorie dich krönen.

Klytämnestra. Ich soll mein Kind im Grabe nicht betrauern?

Iphigenie. Nein, Mutter! Für mich gibt's kein Grab.

Klytämnestra.                                                           Wie das?
Führt nicht der Tod zum Grab?

Iphigenie.                                         Der Tochter Zeus'
Geheiligter Altar dient mir zum Grabe.

Klytämnestra. Du hast mich überzeugt. Ich will dir folgen.

Iphigenie. Beneide mich als eine Selige,
Die Segen brachte über Griechenland.

Klytämnestra. Was aber hinterbring' ich deinen Schwestern?

Iphigenie. Auch sie laß keinen Trauerschleier tragen.

Klytämnestra. Darf ich die Schwestern nicht mit einem Worte
Der Liebe noch von dir erfreuen?

Iphigenie.                                             Mög'
Es ihnen wohl ergehen! – Diesen da (auf Orestes zeigend)
Erziehe mir zum Mann!

Klytämnestra.                       Küss' ihn noch einmal,
Zum letztenmale!

Iphigenie (ihn umarmend). Liebstes Herz! Was nur
In deinen kleinen Kräften hat gestanden,
Das hast du redlich heut an mir gethan!

Klytämnestra. Kann ich noch etwas Angenehmes sonst
In Argos dir erzeigen?

Iphigenie.                             Meinen Vater
Und deinen Gatten – hass' ihn nicht!

Klytämnestra.                                           O, Der
Soll schwer genug an dich erinnert werden!

Iphigenie. Ungern läßt er für Griechenland mich bluten.

Klytämnestra. Sprich: hinterlistig, niedrig, ehrenlos,
Nicht, wie es einem Sohn des Atreus ziemet!

Iphigenie (sich umschauend).
Wer führt mich zum Altar? – Denn an den Locken
Möcht' ich nicht hingerissen sein.

Klytämnestra.                                       Ich selbst.

Iphigenie. Nein, nimmermehr!

Klytämnestra.                           Ich fasse deinen Mantel.

Iphigenie. Sei mir zu Willen, Mutter, bleib! – Das ist
Anständiger für dich und mich! – Hier von
Des Vaters Dienern findet sich schon einer,
Der zu Dianens Wiese mich begleitet,
Wo ich geopfert werden soll. (Sie wendet sich zum Gefolge.)

Klytämnestra (folgt ihr mit den Augen). Du gehst,
Mein Kind?

Iphigenie.           Um nie zurück zu kehren!

Klytämnestra. Verlässest deine Mutter?

Iphigenie.                                                 Und unwürdig
Von ihr gerissen, wie du siehst.

Klytämnestra.                                   O bleib!
Verlaß mich nicht! (Will auf sie zueilen.)

Iphigenie (tritt zurück).     Nein, keine Thränen mehr!
        (Sie redet den Chor an, mit dem sie gekommen ist.)
Ihr Jungfrau'n, stimmt der Tochter Jupiters
Ein hohes Loblied an aus meinen Leiden,
Zum frohen Zeichen für ganz Griechenland!
Das Opfer fange an – Wo sind die Körbe?
Die Flamme lodre um den Opferkuchen!
Mein Vater fasse den Altar! Ich geh,
Heil und Triumph zu bringen den Achivern.
Kommt, führt mich hin, der Phrygier und Trojer
Furchtbare Ueberwinderin! Gebt Kronen,
Gebt Blumen, diese Locken zu bekränzen!
Erhebt den Tanz um den besprengten Tempel,
Um den Altar der Königin Diana,
Der Göttlichen, der Seligen! Denn, nun
Es einmal sein muß, will ich das Orakel
Mit meinem Blut und Opfertode tilgen.

Chor (wendet sich gegen Klytämnestra, die in stumme Traurigkeit versenkt steht).
Bald, bald, ehrwürd'ge Mutter, weinen wir mit dir!
Die heil'ge Handlung duldet keine Thränen.

Iphigenie. Helft mir Dianen preisen, Jungfrauen,
Die, Chalcis nahe Nachbarin, in Aulis
Gebietet, wo die Flotte Griechenlands
Im engen Hafen meinetwegen weilet!
O Argos, mütterliches Land! und du,
Der frühen Kindheit Pflegerin, Mycene!

Chor. Die Stadt des Perseus rufst du an, von den
Cyklopen für die Ewigkeit gegründet!

Iphigenie. Ein schöner Stern ging den Achivern auf
In deinem Schooß – Doch nein! ich will ja freudig sterben.

Chor. Im Ruhm wirst du unsterblich mit uns leben.

Iphigenie. O Fackel Jovis! Schöner Strahl des Tages!
Ein ander Leben thut sich mir jetzt auf,
Zu einem andern Schicksal scheid' ich über.
Geliebte Sonne, fahre wohl!Hier schließt sich die dramatische Handlung. Was noch folgt, ist die Erzählung von Iphigeniens Betragen beim Opfer und ihrer wunderbaren Errettung. (Sie geht ab.)


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