Euripides
Iphigenie in Aulis
Euripides

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Vierter Akt.

Erster Auftritt.

Achilles. Der Chor.

Achilles. Wo find' ich hier den Feldherrn der Achiver? (Zu einigen Sklaven.)
Wer von euch sagt ihm, daß Achill ihn hier
Vor dem Gezelt erwarte? – Müßig liegt
An des Euripus Mündung nun das Heer;
Ein Jeder freilich nimmt's auf seine Weise.
Der, noch durch Hymens Bande nicht gebunden,
Ließ öde Wände nun zurück und weilet
Geruhig hier an Aulis' Strand. Ein Andrer
Entwich von Weib und Kindern. So gewaltig
Ist diese Kriegeslust, die zu dem Zug
Nach Ilion ganz Hellas aufgeboten,
Nicht ohne eines Gottes Hand! – Nun will ich,
Was mich angeht, zur Sprache kommen lassen.
Wer sonst was vorzubringen hat, verfecht'
Es für sich selbst. – Ich habe Pharsalus
Verlassen und den Vater – Wie? etwa,
Daß des Euripus schwache Winde mich
An diesem Strand verweilen? Kaum geschweig'
Ich meine Myrmidonen, die mich fort
Und fort bestürmen – »Worauf warten wir
Denn noch, Achill? Wie lang wird noch gezaudert,
Bis wir nach Troja unter Segel gehn?
Willst du was thun, so thu' es bald! sonst führ'
Uns lieber wieder heim, anstatt noch länger
Ein Spiel zu sein der zögernden Atriden.«

 
Zweiter Auftritt.

Klytämnestra zu den Vorigen.

Klytämnestra. Glorwürd'ger Sohn der Thetis, deine Stimme
Vernahm ich drinnen im Gezelt; drum komm' ich
Heraus und dir entgegen –

Achilles (betroffen.)                   Heilige
Schamhaftigkeit! – Ein Weib – von diesem Anstand –

Klytämnestra. Kein Wunder, daß Achill mich nicht erkennet,
Der mich vordem noch nie gesehn – Doch Dank ihm,
Daß ihm der Scham Gesetze heilig sind!

Achilles. Wer bist du aber? Sprich? Was führte dich
Ins griech'sche Lager, wo man Männer nur
Und Waffen sieht?

Klytämnestra.               Ich bin der Leda Tochter,
Und Klytämnestra heiß' ich. Mein Gemahl
Ist König Agamemnon.

Achilles.                               Viel und gnug
Mit wenig Worten! Ich entferne mich.
Nicht wohlanständig wäre mir's, mit Frauen
Gespräch zu wechseln.

Klytämnestra.                       Bleib! Was fliehest du?
Laß, deine Hand in meine Hand gelegt,
Das neue Bündniß glücklich uns beginnen.

Achilles. Ich dir die Hand? Was sagst du, Königin?
Zu sehr verehr' ich Agamemnons Haupt,
Als daß ich wagen sollte, zu berühren,
Was mir nicht ziemt.

Klytämnestra.                   Warum dir nicht geziemen,
Da du mit meiner Tochter dich vermählest?

Achilles. Vermählen – Wahrlich – Ich bin voll Erstaunen –
Doch nein, du redest so, weil du dich irrest.

Klytämnestra. Auch dies Erstaunen find' ich sehr begreiflich.
Uns alle pflegt – ich weiß nicht welche – Scheu
Beim Anblick neuer Freunde umzuwandeln,
Wenn sie von Heirath sprechen sonderlich.

Achilles. Nie, Königin, hab' ich um deine Tochter
Gefreit – und nie ist zwischen den Atriden
Und mir ein Solches unterhandelt worden.

Klytämnestra. Was für ein Irrthum muß hier sein? Gewiß,
Wenn meine Rede sich bestürzt, so setzt
Die deine mich nicht minder in Erstaunen.

Achilles. Denk nach, wie das zusammenhängt! Dir muß,
Wie mir, dran liegen, es herauszubringen.
Vielleicht, daß wir nicht beide uns betrügen!

Klytämnestra. O der unwürdigen Begegnung! – Eine
Vermählung, fürcht' ich, läßt man mich hier stiften,
Die nie sein wird und nie hat werden sollen.
O wie beschämt mich das!

Achilles.                                     Ein Scherz vielleicht,
Den Jemand mit uns beiden treibt. Nimm's nicht
Zu Herzen, edle Frau. Veracht' es lieber.

Klytämnestra. Leb' wohl. In deine Augen kann ich ferner
Nicht schau'n, da ich zur Lügnerin geworden,
Da ich erniedrigt worden bin.

Achilles.                                           Mich laß
Vielmehr so reden! – Doch ich geh' hinein,
Den König, deinen Gatten, aufzusuchen.

(Wie er auf das Zelt zugeht, wird es geöffnet.)

 
Dritter Auftritt.

Der alte Sklave zu den Vorigen.

Sklave (in der Thür des Gezeltes).
Halt, Aeacide! Göttinsohn, mit dir
Und auch mit Dieser hier hab' ich zu reden.

Achilles. Wer reißt die Pforten auf und ruft – Er ruft
Wie außer sich.

Sklave.                       Ein Knecht. Ein armer Name,
Der mir den Dünkel wohl vergehen läßt,
Mich –

Achilles.         Wessen Knecht? Er ist nicht mein, der Mensch.
Ich habe nichts gemein mit Agamemnon.

Sklave. Der Hauses Knecht, vor dem ich stehe. Tyndar,
        (auf Klytämnestra zeigend)
Ihr Vater, hat mich drein gestiftet.

Achilles.                                                 Nun!
Wir stehn und warten. Sprich, was dich bewog,
Mich aufzuhalten.

Sklave.                         Ist kein Zeuge weiter
Vor diesen Thoren? Seid ihr ganz allein?

Klytämnestra. So gut als ganz allein. Sprich dreist – Erst aber
Verlaß das Königszelt und komm hervor.

Sklave (kommt heraus).
Jetzt, Glück und meine Vorsicht, helft mir Die
Erretten, die ich gern erretten möchte!

Achilles. Er spricht von etwas, das noch kommen soll,
Und von Bedeutung scheint mir seine Rede.

Klytämnestra. Verschieb's nicht länger, ich beschwöre dich,
Mir, was ich wissen soll, zu offenbaren.

Sklave. Ist dir bekannt, was für ein Mann ich bin,
Und wie ergeben ich dir stets gewesen,
Dir und den Deinigen?

Klytämnestra.                       Ich weiß, du bist
Ein alter Diener schon von meinem Hause.

Sklave. Daß ich ein Theil des Heirathsgutes war,
Das du dem König zugebracht – ist dir
Das noch erinnerlich?

Klytämnestra.                     Recht gut. Nach Argos
Bracht' ich dich mit, wo du mir stets gedient.

Sklave. So ist's. Drum war ich dir auch jederzeit
Getreuer zugethan, als ihm.

Klytämnestra.                             Zur Sache.
Heraus mit dem, was du zu sagen hast.

Sklave. Der Vater will – mit eigner Hand will er –
– Das Kind ermorden, das du ihm geboren.

Klytämnestra. Was? Wie? – Entsetzlich! Mensch, du bist von Sinnen.

Sklave. Den weißen Nacken der Bejammernswerthen
Will er mit mörderischem Eisen schlagen.

Klytämnestra. Ich Unglückseligste! – Rast mein Gemahl?

Sklave. Sehr bei sich selbst ist er – Nur gegen dich
Und gegen deine Tochter mag er rasen.

Klytämnestra. Warum? Welch böser Dämon gibt's ihm ein?

Sklave. Ein Götterspruch, der nur um diesen Preis,
Wie Kalchas will, den Griechen freie Fahrt
Versichert.

Klytämnestra.     Fahrt! Wohin? – Beweinenswerthe Mutter!
Beweinenswürdigeres Kind, das in
Dem Vater seinen Henker finden soll!

Sklave. Die Fahrt nach Ilion, Helenen heim
Zu holen.

Klytämnestra. Helene wiederkehre,
Stirbt Iphigenie?

Sklave.                       Du weißt's. Dianen
Will Agamemnon sie zum Opfer schlachten.

Klytämnestra. Und diese vorgegebene Vermählung,
Die mich von Argos rief – wozu denn die?

Sklave. Daß du so minder säumtest, sie zu bringen,
Im Wahn, sie ihrer Hochzeit zuzuführen.

Klytämnestra. O Kind, zum Tode kamest du! Wir kamen
Zum Tode!

Sklave.               Ja, bejammernswürdig, schrecklich
Ist euer Schicksal. Schreckliches begann
Der König.

Klytämnestra.     Weh mir, weh! Ich bin verloren.
Ich kann nicht mehr. Ich halte meine Thränen
Nicht mehr.

Sklave.               Ein armer, armer Trost sind Thränen
Für eine Mutter, der die Tochter stirbt!

Klytämnestra. Sprich aber: Woher weißt du das? Durch wen?

Sklave. Ein zweiter Brief ward mir an dich gegeben.

Klytämnestra. Mich abzumahnen oder anzutreiben,
Daß ich die Tochter dem Verderben brächte?

Sklave. Dir abzurathen, daß du sie nicht brächtest.
Der Herr war Vater wiederum geworden.

Klytämnestra. Unglücklicher! Warum mir diesen Brief
Nicht überliefern?

Sklave.                           Menelaus fing
Ihn auf. Ihm dankst du Alles, was du leidest. (Er geht ab.)

Klytämnestra (wendet sich an Achilles).
Sohn Peleus'! Sohn der Thetis! Hörst du es?

Achilles. Bejammernswerthe Mutter! – – Aber mich
Hat man nicht ungestraft mißbraucht.

Klytämnestra.                                           Mit dir
Vermählen sie mein Kind, um es zu würgen!

Achilles. Ich bin entrüstet über Agamemnon,
Und nicht so leicht werd' ich es hingehn lassen.

Klytämnestra (fällt ihm zu Füßen).
Und ich erröthe nicht, mich vor dir nieder
Zu werfen, ich, die Sterbliche, vor dir,
Den eine Himmlische gebar. Weg, eitler Stolz!
Kann sich die Mutter für ihr Kind entehren?
O, Sohn der Göttin! hab' Erbarmen mit
Der Mutter, mit der Unglückseligen Erbarmen,
Die deiner Gattin Namen schon getragen!
Mit Unrecht trug sie ihn. Doch hab' ich sie
Als deine Braut hieher geführt, dir hab' ich
Mit Blumen sie geschmücket – Ach, ein Opfer
Hab' ich geschmückt, ein Opfer hergeführt!
O, das wär' schändlich, wenn du sie verließest.
War sie durch Hymens Bande gleich die Deine
Noch nicht –du wardst als der geliebteste
Gemahl der Unglücksel'gen schon gepriesen.
Bei dieser Wange, dieser Rechte, bei
Dem Leben deiner Mutter sei beschworen.
Verlaß uns nicht! Dein Name ist's, der uns
Ins Elend stürzt – drum rette du uns wieder!
Dein Knie, o Sohn der Göttin! ist der einz'ge
Altar, zu dem ich Aermste fliehen kann.
Hier lächelt mir kein Freund. Du hast gehört,
Was Agamemnon Gräßliches beschlossen!
Da steh' ich unter rohem Volk – ein Weib,
Und unter wilden, meisterlosen Banden,
Zu jedem Bubenstück bereit – auch brav,
Gewiß, recht brav und werth, sobald sie mögen!Gewiß recht brav, sobald sie mögen. Diese Stelle hat Brumoy zwar sehr gut verstanden, auch den Sinn, durch eine Umschreibung freilich, sehr richtig ins Französische übertragen; aber ihre wirkliche Schönheit scheint er doch nicht erkannt zu haben, wenn er sagen kann: Je crains de n'avois été que trop fidèle à mon original, à ses dépens et aux miens. Die Stelle ist voll Wahrheit und Natur. Klytämnestra, ganz erfüllt von ihrer gegenwärtigen Bedrängniß, schildert dem Achilles ihren verlassenen Zustand im Lager der Griechen, und in der Hitze ihres Affekts kommt es ihr nicht darauf an, in ihre Schilderung des griechischen Heers einige harte Worte mit einfließen zu lassen, die man ihr, als einer Frau, die sich durch ein außerordentliches Schicksal aus ihrem Gynaceum plötzlich in eine ihr so fremde Welt versetzt und der Discretion eines trotzigen Kriegsheers überlassen sieht, gerne zu gute halten wird. Mitten im Strom ihrer Rede aber fällt es ihr ein, daß sie vor dem Achilles steht, der selbst einer davon ist; dieser Gedanke, vielleicht auch ein Stirnrunzeln des Achilles bringt sie wieder zu sich selbst. Sie will einlenken, und je ungeschickter, desto wahrer! Im Griechischen sind es vier kurze hineingeworfene Worte: χρησιμον δ', οταν θελωσιν, woraus im Deutschen freilich noch einmal so viel geworden sind. Prevôt, dessen Bemerkungen sonst voll Scharfsinn sind, verbessert seine Vorgänger hier auf eine sehr unglückliche Art: Clytemnestre, sagt er, veut dire et dit, à ce qu'il me semble, aussi clairement qu'il était nécessaire, qu'Achille peut se servir de son ascendant sur l'armée pour prévenir les desseins d'Agamemnon. Le P. Brumoy n'eût point trahi son auteur en exprimant cette pensée. Nein, ein so gesuchter Gedanke kann höchstens einem eiskalten Commentator, nie aber dem Euripides oder seiner Klytämnestra eingekommen sein!
Versichre du uns deines Schutzes, und
Gerettet sind wir – Ohne dich verloren.

Chor. Gewaltsam ist der Zwang des Bluts! Mit Qual
Gebiert das Weib und quält sich fürs Geborne!

Achilles. Mein großes Herz kam deinem Wunsch entgegen.
Es weiß zu trauern mit dem Gram und sich
Des Glücks zu freuen mit Enthaltsamkeit.

Chor. Die Klugheit sich zur Führerin zu wählen,
Das ist es, was den Weisen macht.

Achilles. Es kommen Fälle vor im Menschenleben,
Wo's Weisheit ist, nicht allzuweise sein;
Es kommen andre, wo nichts schöner kleidet,
Als Mäßigung. Geraden Sinn schöpft' ich
In Chirons Schule, des Vortrefflichen.
Wo sie Gerechtes mir befehlen, finden
Gehorsam die Atriden mich; die Stirne
Von Erz, wo sie Unbilliges gebieten.
Frei kam ich her, frei will ich Troja sehn
Und den Achiverkrieg, was an mir ist,
Mit meines Armes Heldenthaten zieren.
Du jammerst mich. Zuviel erleidest du
Von dem Gemahl, von Menschen deines Blutes.
Was diesem jungen Arme möglich ist,
Erwart's von mir! – Er soll dein Kind nicht schlachten.
An eine Jungfrau, die man mein genannt,
Soll kein Atride Mörderhände legen.
Es soll ihm nicht so hingehn, meines Namens
Zu seinem Mord mißbraucht zu haben!
Mein Name, der kein Eisen aufgehoben,
Mein Name wär' der Mörder deiner Tochter,
Und er, der Vater hätte sie erschlagen.
Doch theilen würd' ich seines Mordes Fluch,
Wenn meine Hochzeit auch den Vorwand nur
Gegeben hätte, so unwürdig, so
Unmenschlich, ungeheuer, unerhört,
Die unschuldsvolle Jungfrau zu mißhandeln.
Der Griechen letzter müßt' ich sein, der Menschen
Verächtlichster, ja hassenswerther selbst
Als Menelaus müßt' ich sein.Ja, hassenswerther selbst als Menelaus müßt' ich sein. Der griechische Achilles drückt sich beleidigend aus: »Ich wäre gar nicht, und Menelaus lief' in der Reihe der Männer.« Hassen konnte man den Menelaus, als den Urheber dieses Unglücks, aber Verachtung verdiente er darum nicht. Mir hätte
Nicht Thetis, der Erinen eine hätte
Das Leben mir gegeben, wenn ich mich
Des Königs Mordbegier zum Werkzeug borgte.
Nein, bei des Meerbewohners Haupt, beim Vater
Der Göttlichen, die mich zur Welt geboren!
Er soll sie nicht berühren – nicht ihr Kleid
Mit seines Fingers Spitze nur berühren.
Eh dies geschiehet, decke ewige
Vergessenheit mein Phthia, mein Geburtsland,
Wenn der Atriden Stammplatz, Sipylus,
Im Ohr der Nachwelt unvergänglich lebet.
Es mag der Seher Kalchas das Geräthe
Zum Opfer nur zurücketragen – Seher?
Was heißt ein Seher? – Der auf gutes Glück
Für eine Wahrheit zehen Lügen sagt.
Geräth es? Gut. Wo nicht, ihm geht es hin.
Es gibt der Jungfraun Tausende, die mich
Zum Gatten möchten – davon ist auch jetzt
Die Rede nicht; beschimpft hat mich der König.
In meinen Willen hätt' er's stellen sollen,
Ob mir's gefiele, um sein Kind zu frein.
Gern und mit Freuden würde Klytämnestra
In dieses Bündniß eingewilligt haben.
Und hätte Griechenland aus meinen Händen
Alsdann zum Opfer sie verlangt, ich würde
Sie meinen Kriegsgenossen, würde sie
Dem Wohl der Griechen nicht verweigert haben.
So aber gelt' ich nichts vor den Atriden,
Nichts, wo was Großes soll verhandelt werden.
Doch dürfte, eh wir Ilion noch sehn,
Dies Schwert von Blut und Menschenmorde triefen,
Wenn man's versuchte, mir sie zu entreißen.
Sei du getrost! Ein Gott erschien ich dir.
Ich bin kein Gott; dir aber will ich's werden.

Chor. An dieser Sprache kennt man dich, Achill,
Und die Erhabene, die dich geboren.

Klytämnestra. O Herrlichster! wie stell' ich's an, wie muß
Ich reden, um zu sparsam nicht zu sein
In deinem Preis, und deine Gunst auch nicht
Durch mein ausschweifend Rühmen zu verscherzen?
Zu vieles Loben, weiß ich wohl, macht Dem,
Der edel denkt, den Lober nur zuwider.
Doch schäm' ich mich, mit ew'ger Jammerklage,
Mit Leiden, die nur ich empfinde, dich,
Den Glücklichen, den Fremdling, zu ermüden.
Doch, Fremdling oder nicht, wer Leidenden
Beispringen kann, wird auch mit ihnen trauern.
Drum hab' mit uns Erbarmen! Unser Schicksal
Verdient Erbarmen. Meine Hoffnung war,
Dich Sohn zu nennen – Ach, sie war vergebens!
Auch schreckt vielleicht dein künftig Ehebette
Mein strebend Kind mit schwarzer Vorbedeutung,
Und du wirst eilen, sie zu fliehn.Und du wirst eilen, sie zu fliehn! Ich weiß nicht, ob ich in dieser Stelle den Sinn meines Autors getroffen habe. Wörtlich heißt sie: »Erstlich betrog mich meine Hoffnung, dich meinen Eidam zu nennen; alsdann ist dir meine sterbende Tochter vielleicht eine böse Vorbedeutung bei einer künftigen Hochzeit, wovor du dich hüten mußt. Aber du hast wohlgesprochen am Anfang wie am Ende.« Der französische Uebersetzer erlaubt sich einige Freiheiten, um die Stelle zusammenhängender zu machen. Mais d'un autre côté, quel funeste présage pour votre hymen, que la mort de l'épouse, qui vous fut destinßée! ce second malheur intéresse l'époux aussi bien que la mère. Enfin qu'ajouterais-je à vos paroes etc. Hier, und nach dem Buchstaben des Textes, ist es nur eine Warnung; ich nahm es als einen Zweifel, eine Besorgniß der Klytämnestra. So sehr diese durch Achilles' Versicherungen beruhigt sein könnte, so liegt es doch ganz in dem Charakter der ängstlichen Mutter, immer Gefahr zu sehen, immer zu ihrer alten Furcht zurückzukehren. Auch das, was folgt, wird dadurch in einen natürlichen Zusammenhang mit dem Vorhergehenden gebracht. »Aber Alles, was du sagtest, wär ja wohl gesprochen,« d. i.  ich will deinen Versicherungen trauen. Doch, nein,
Was du gesagt, war alles wohl gesprochen,
Und willst du nur, so lebt mein Kind. Soll sie
Etwa selbst flehend deine Knie umfassen?
So wenig dies der Jungfrau ziemt, gefällt
Es dir, so mag sie kommen, züchtiglich,
Das Aug mit edler Freiheit aufgeschlagen.
Wo nicht, so laß an ihrer Statt mich der
Gewährung süßes Wort von dir vernehmen.

Achilles. Die Jungfrau bleibe, wo sie ist. Daß sie
Verschämt ist, bringt ihr Ehre.

Klytämnestra.                                 Auch verschämt sein
Hat sein gehörig Maß und seine Stunde.

Achilles. Ich will es nicht. Ich will nicht, daß du sie
Vor meine Augen bringest und wir beide
Boshaftem Tadel preisgegeben werden.
Ein zahlreich Heer, der heimathlichen Sorgen
Entschlagen, trägt sich gar zu gern – das kenn' ich –
Mit häm'schen, ehrenrührigen Gerüchten.
Und mögt ihr flehend oder nicht vor mir
Erscheinen, ihr erhaltet weder mehr
Noch minder – denn beschlossen ist's bei mir,
Kost's, was es wolle, euer Leid zu enden.
Das laß dir nur genügen. Glaub', ich rede ernstlich.
Und sterben mög' ich, hab' ich deine Hoffnung
Mit eitler Rede nur getäuscht; rett' ich
Die Jungfrau – nein, da werd' ich leben.

Klytämnestra.                                                 Lebe
Und rette immer Leidende!

Achilles.                                     Nun höre,
Wie wir's am besten einzurichten haben.

Klytämnestra. Laß hören! Dir gehorch' ich gern.

Achilles.                                                               Zuvor erst
Muß man es mit dem Vater noch versuchen.

Klytämnestra. Ach, der ist feig und zittert vor der Menge!

Achilles. Vernünft'ge Gründe können viel.

Klytämnestra. Ich hoffe nichts. Doch sprich, was muß ich thun?

Achilles. Fall ihm zu Füßen, fleh' ihn an, daß er
Sein Kind nicht tödte! Bleibt er unerbittlich,
Dann komm zu mir! – Erweichst du ihn, noch besser.
Dann braucht es meines Armes nicht, die Jungfrau
Bleibt leben, ich erhalte mir den Freund;
Auch bei dem Heer vermeid' ich Tadel, hab' ich
Durch Gründe mehr als durch Gewalt gestritten.
Und so wird Alles glücklich abgethan
Zu deinem und der Freunde Wohlgefallen,
Und meines Armes braucht es nicht.

Klytämnestra.                                           Du räthst
Verständig. Es geschehe, wie du meinest.
Mißlingt mir's aber – wo seh' ich dich wieder?
Wo find' ich Aermste diesen Heldenarm,
Die letzte Stütze noch in meinen Leiden?

Achilles. Wo's meiner Gegenwart bedarf, werd' ich
Dir nahe sein und dir's ersparen, vor
Dem Heer der Griechen dich und deine Ahnherrn
Durch Jammer zu erniedrigen. So tief
Herunter müßte Tyndars Blut nicht sinken
– Ein großer Name in der Griechen Land!

Klytämnestra. Wie dir's gefällt. Ich unterwerfe mich.
Und, gibt es Götter, Trefflichster, dir muß
Es wohlergehn. Gibt's keine – warum leid' ich?Gibt's keine Götter – warum leid' ich? Gewöhnlich übersetzt man diese Stelle: ει δε μη, τι δει πονειν; als eine allgemeine moralische Reflexion: gibt's keine Götter – wozu unser mühsames Streben nach Tugend? Moralische Reflexionen sind zwar sehr im Geschmack des Euripides; diese aber scheint mir im Munde der Klytämnestra, die zu sehr auf ihr gegenwärtiges Leiden geheftet ist, um solchen allgemeinen Betrachtungen Raum geben zu können, nicht ganz schicklich zu sein. Der Sinn, in dem ich diese Stelle nahm, wird durch seine nähere Beziehung auf ihre Lage gerechtfertigt, und der Buchstabe des Textes schließt ihn nicht aus. »Gibt es keine Götter, warum muß ich leiden? d. h. warum miß meine Iphigenie einer Diana wegen sterben?«

(Achilles und Klytämnestra gehen ab.)

 
Vierte Zwischenhandlung.

Chor. Wie lieblich erklang
Der Hochzeitgesang,
Den zu der Cyther tanzlustigen Tönen,
Zur Schalmei und zum libyschen Rohr
Sang der Camönen
Versammelter Chor
Auf Peleus' Hochzeit und Thetis', der Schönen!

Wo die Becher des Nektars erklangen,
Auf des Pelion wolkichtem Kranz,
Kamen die zierlich Gelockten und schwangen
Goldene Sohlen im flüchtigen Tanz.
Mit dem melodischen Jubel der Lieder
Feierten sie der Verbundenen Glück,
Der Berg der Centauren hallte sie wieder,
Pelions Wald gab sie schmetternd zurück.

Unter den Freuden
Des festlichen Mahls
Schöpfte des Nektars himmlische Gabe
Jovis Liebling, der phrygische Knabe,
In die Bäuche des goldnen Pokals.
Fünfzig Schwestern des Göttlichen hüpften
Lustig daneben im glänzenden Sand,
Tanzten den Hochzeitreigen und knüpften
Reizende Ring' mit verschlungener Hand.

(Gegenstrophe.) Grüne Kronen in dem Haar
Und mit fichtenem Geschosse,
Menschen oben, unten Rosse,
Kam auch der Centauren Schaar,
Angelockt von Bromius' Pokale
Kamen sie zum Göttermahle.

Heil dir, hohe Nereide!
Sang mit lautem Jubelliede
Der Thessalierinnen Chor;
Heil dir! sang der Mädchen Chor.
Heil dir! Heil dem schönen Sterne,
Der aus deinem Schooß ersteht!

Und Apoll, der in der Ferne
Der verborgnen Zukunft späht,
Und der auf den unbekannten
Stamm der Musen sich versteht,
Chiron, der Centaure – nannten
Beide schon mit Namen ihn,
Der zu Priams Königssitze
Kommen würde an der Spitze
Seiner Myrmidonenschaaren,
In des Speeres Wurf erfahren,
Wüthend dort mir Mord und Brand
In des Räubers Vaterland –
Auch die Rüstung, die er würde tragen,
Künstlich von Hephästos' Hand
Aus gediegnem Gold geschlagen,
Ein Geschenk der Göttlichen,
Die den Göttlichen empfangen.
So ward von den Himmlischen
Thetis' Hochzeitfest begangen.

(Epode.) Dir, Agamemnons thränenwerthem Kinde,
Nicht bei der Hirten Feldgesang
Erzogen und der Pfeife Klang,
Still aufgeblüht im mütterlichen Schooß,
Dem Tapfersten der Inachiden
Dereinst zur süßen Braut beschieden,
Dir, Arme, fällt ein ander Loos!
Dir flechten einen Kranz von Blüthen
Die Griechen in das schöngelockte Haar.
Gleich einem Rinde, das der wilde Berg gebar,
Das, unberührt vom Joch, aus Felsenhöhlen,
Unfern dem Meer, gestiegen war,
Wird dich der Opferstahl entseelen.
Dann rettet dich nicht deine Jugend,
Nicht das Erröthen der verschämten Tugend,
Nicht deine reizende Gestalt!
Das Laster herrscht mit siegender Gewalt.
Es spricht mit frechem Angesichte
Den heiligen Gesetzen Hohn.
Die Tugend ist aus dieser Welt geflohn,
Und dem Geschlecht der Menschen drohn
Nicht ferne mehr die göttlichen Gerichte.


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