Carit Etlar
Arme Leute - Erzählungen
Carit Etlar

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2. Ein Mann in Banden.

Sigwart Grubbe hieß ein dänischer Edelmann, der war in seinem Leben viel gereist und hatte viel gesehen. Er verließ die Universität Kopenhagen als junger Student und studirte darauf einige Jahre in Wittenberg, war reich, von vornehmer Geburt und persönlich von König Christian IV. geliebt, der ihn zum obersten Kanzleibeamten erhob, als er von seinen Reisen zurückkehrte. Was jedoch Sigwart Grubbe's Namen bis auf unsere Zeiten gebracht hat, ist weder seine Geburt noch seine Stellung, sondern ein Tagebuch, in welchem er mit scharfer Beobachtungsgabe klar und ausführlich eine Menge werthvoller Aufschlüsse gibt, nicht nur über Begebenheiten und die dabei mitwirkenden Kräfte, welche in der Geschichte unseres Vaterlandes Bedeutung erhalten haben, sondern zugleich über Verhältnisse, Sitten, Gebräuche und Ansichten aus der Zeit, in der er lebte. Der vornehmste und eigenthümlichste Gegenstand seiner Schilderungen ist der junge König, an dessen Hofe er eine gern gesehene Persönlichkeit war. Unter den Jungfrauen der Königin hatte er sich die Braut erwählt und den König auf seinen Reisen im Lande wie bei seinen Wanderungen und Abenteuern mehr privater und lichtscheuer Natur begleitet. Einer dieser Ausflüge und das, was das Tagebuch darüber berichtet, hat den Stoff zu folgender Erzählung gegeben.

»Am vierten Mai 1598,« erzählt Sigwart Grubbe, »war der König bei dem Rentmeister Enevold Kruse und wir tranken tüchtig bis tief in die Nacht hinein. Auf dem Rückwege nach dem Schlosse fragte der König bei der Hohen Brücke nach meiner Wohnung, und da sie in der Nähe war, sagte er, hätte ich Lust, Besuch anzunehmen, so wollte er sich einmal meine Einrichtung und meine Wirthin ansehen und sich überzeugen, ob ich einige hübsche Mägde hätte. Ich antwortete augenblicklich, ich hätte eine alte Wirthin, aber einige junge und ausgezeichnet schöne Mägde, außerdem hätte ich ein englisches Getränk, Rose de Sole, welches mein Wirth gestern in einer Korbflasche auf einem englischen Schiffe erhalten hätte. »Das alles sagt mir sehr zu,« versetzte der König. – Ich sandte sofort meinen Knecht vorauf, um das Thor zu öffnen und der Wirthin zu sagen, der König käme und wünschte, daß ihm die Flasche vorgesetzt würde. Als der König von der Rose de Sole gekostet hatte, sagte er: »Die Sorte gefällt mir; das ist nicht Branntwein, sondern diese Rose ist an der Sonne destillirt; es schadet nicht, wenn wir ihr etwas fleißiger zusprechen.« Er trank mir nun ein kleines Glas auf das Wohl meiner Hildeborg zu, ich trank es darauf meinem Nachbar zu, und so machte das Glas zwischen uns Dreien, die wir in der Begleitung des Königs waren, die Runde. Ich nahm darauf ein anderes kleines Glas und trank es dem Könige zu, indem ich ihm meine unterthänige Dankbarkeit aussprach. Aber kaum hatte ich das Glas geleert, so wurde ich so berauscht, daß ich nicht auf den Beinen stehen konnte. Als Joachim Bülow das sah, wollte er mich nach dem Bette führen, aber das Ende war, daß wir beide zu Boden fielen. Börge Trolle, der hierin eine Wirkung der Rose de Sole erkannte, nahm nun heimlich die Flasche und goß den Rest aus. Als der König merkte, daß nichts mehr übrig war, zerschlug er mit der Flasche alle Fensterscheiben. Als er mich darauf verließ, wollte er noch bei dem Lehnsmanne Christian Barnekov, dessen Wohnung in der Nähe lag, vorsprechen. Da nun die Thür verschlossen war, versuchte er zum Fenster hineinzukriechen, fiel aber unglücklicherweise auf seinen Degengriff und verwundete sich über dem rechten Auge. – Joachim Bülow und ich waren sehr krank und wurden gezwungen einige Tage in der Pflege meiner Wirthin zu bleiben, die uns mit fettem, gut gekochtem und heißem Kohle kurirte. Als ich darauf zum Könige kam, sagte er: »Du traktirtest mich gut; sieh, was für ein hübsches Auge ich bekommen habe.« Er gelobte, von dem englischen Getränke nie mehr zu kosten. Als er später die Königin auf ihrem Zimmer besuchte, sagte die Königin zu meiner Hildeborg: »Dein Sigwart hat meinen Herrn ordentlich traktirt.« – Ich machte viele Entschuldigungen und meinte, der König hätte gleich mir und Joachim Bülow in sein Bett gehen sollen.

In demselben Winter gab der Reichshofmeister, der mächtige Herr Christoffer Balkendorf, den Herren und Damen des Hofes ein prächtiges Gastmahl. In dem Gefolge des Königs gewahrte man an diesem Abende Sigwart Grubbe, Christian Barnekow, Hofjunker Bülow, den verwegenen Börge Trolle, Christian Holk und Axel Urne. Letzterer war kurz vorher von seinem väterlichen Gute Aasmark auf Lolland nach Kopenhagen gekommen und wurde bald die Seele aller Lustbarkeiten des jungen sorglosen Hofes. Auf den Wasserpartien war er der Gewandteste, auf der Jagd der Glücklichste, beim Treibjagen der Unerschrockenste. Damals reichten diese Vorzüge hin, sich in der Gunst des Königs fest zu setzen. Axel Urne war jung, schön, leidenschaftlich in allem, was er einmal beschlossen hatte, unerschütterlich, kurz, eine jener Naturen, die an jede ihrer Handlungen mit der ganzen Energie einer feurigen Seele gehen und aus dem Grunde auch fast immer das Ziel ihres Strebens erreichen. Wüßten die Leute nur, wie oft die vornehmsten Eigenschaften der Seele auf dieser unerschütterlichen Ausdauer beruhen.

Es ging bereits gegen Mitternacht, als die Gäste Balkendorfs Haus verließen. Die Königin und ihre Damen ritten nach dem Schlosse zurück, der König zog es dagegen vor, mit seinem Gefolge zu Fuße zu gehen.

»Nun müssen wir uns noch einen kleinen Spaß machen,« sagte König Christian, als sie auf die Straße hinabkamen. »Die Nacht ist in dieser Jahreszeit zu lang, um sie ganz zu verschlafen. Laßt sehen, wer den besten Einfall hat!«

Das war eine willkommene Aufforderung, nach der alle Anwesenden ihre Gesichter mit schwarzseidenen Masken verhüllten; so stürmte die muntre Schaar mit jubelndem Geschrei die Straße hinunter. Die Diener folgten und leuchteten ihnen mit Fackeln und Holzspänen. Erst im Jahre 1673 wurde auf königlichen Befehl bekannt gemacht, daß niemand auf offener Straße brennende Späne oder Fackeln tragen dürfte, sondern nur der Gebrauch der Laternen gestattet wäre. – Das Harz in den Fackeln sprühte und knisterte; die rothen Flammen warfen ihren Schein über die kleinen Häuser hin; die Bürgerwache, welche des Nachts Wächterdienste verrichtete, ergriff die Flucht. Hier klirrte eine Fensterscheibe, dort wurde ein morscher Bretterzaun umgerissen; weiter unten stieß eine verfolgte Unschuld einen Schrei aus, und dann stellte die wilde Jagd einen ehrbaren Bürger, der trällernd aus einer Weinstube kam. Er wurde die Straße entlang gezogen, über eine Wasserpfütze steckten die Edelleute ihre Degen über Kreuz, und nun mußte sich der Mann auf den Bauch legen und unter den Degen durch die Pfütze kriechen. Sub jugum mittere, unter das Joch schicken, nannte Sigwart Grubbe dies. Der Mann schrie und bat um Schonung, die Edelleute lachten und fluchten, alle Hunde in der Nachbarschaft bellten, und die Schaar zog weiter auf neue Thaten aus. Es war höchst lustig!

Kopenhagen war damals noch lange nicht das, was es gegen Ende der Regierung Christians IV. werden sollte. Valkendorf hatte einen Theil der Stadt auf eigene Kosten mit einem neuen Walle umgeben lassen; da, wo der Wall endete, begann ein Bretterzaun, über den auf Befehl des älteren Bülow Dienstleute und Jungen nicht klettern durften. Kleine niedrige Häuser lagen zwischen Gärten und offenen Plätzen, von Hecken und Staketenzäunen eingefriedigt, und schlossen sich um die Kirchen wie eine Heerde um den Hirten zusammen. Rosenborg war noch ein Ackerfeld, von tiefen Wassergräben durchschnitten, die Börse eine Sandinsel oder eine Strecke Ufer, worüber die Möven kreisten. Die Straßen, mit Kies beschüttet, bildeten im Sommer eine Staubwolke, im Winter eine Wasserpfütze; dicht neben den Häusern zog sich ein schmaler Fußweg mit tiefen Rinnsteinen hin, in denen Gänse und Enten und bisweilen auch Ferkel umherspazierten und nach guten Abfällen suchten. Es war noch die Stadt der Zukunft, die des rastlosen Unternehmungsgeistes und der Schöpferkraft des Königs Christian bedurfte, um zu wachsen. – Wir schütteln den Kopf über eine Zeit ohne Literatur, ohne Schauspiel, ohne Musik, ohne Zerstreuung, ohne andere Feste als die, welche die Bewohner der kleinen Häuser sich mit dem Hute in der Hand vor den Thüren der Edelleute mit ansehen durften. Man hatte sich damals, wo man lange nicht so lebhaft war, wie jetzt, das Bild von dem Vogel auf dem Felde angeeignet, der da erntet, ohne zu säen; das Leben war nur eine mühsame Arbeit, die Ruhe der einzige Lohn. – Einen entschiedenen Vorzug hatte jene Zeit jedoch vor uns; alle diese kleinen niedrigen Häuser gewährten ein Heim, welches genügsame Freuden darbot und verbarg; man lebte für die Familie, wie wir jetzt für die Zerstreuung leben; es gab mehr häusliche Tugenden, oder sie traten wenigstens öfter zu Tage; man wurde alt in diesem Heim mit allen Schätzen seines Herzens.

Ungefähr mitten in der Kaufhausstraße lag damals ein großes weißgetünchtes Haus, welches einem reichen und angesehenen Goldschmiede, Namens Jörgen Kaalsing, gehörte. Es war die einzige Stelle in der Straße, wo noch Licht brannte; Jörgen hatte außerdem zwei brennende Laternen draußen vor der Straßenthür an der Wand aufhängen lassen, zum Zeichen, daß diesen Abend ein Fest im Hause war. Um Mitternacht verließen die Gäste ihren Wirth, die Fenster standen offen, und einige junge weißgekleidete Mädchen waren noch zwischen den abgedeckten Tischen beschäftigt. Der alte Goldschmied war gerade im Begriff die brennenden Laternen hereinzunehmen, als der König mit seinem Gefolge vorüberkam. Die Lichter lockten dieselben an, die Schaar blieb stehen, Axel Urne schwang sich in die Fensteröffnung hinein und winkte den andern zu, so daß sie alle nach der Stelle hineilten. Einer der Edelleute löschte Jörgen Kaalsings Laternen aus, und ein anderer drängte ihn zurück, als er sich vor die Thür stellte. Axel Urne war einen Augenblick, wie verloren in den Anblick, der sich ihm darbot, in dem offenen Fenster sitzen geblieben; innerhalb der Stube schrien die jungen Mädchen wiederholentlich auf, als der unbekannte Mann mit einer Maske vor dem Gesicht vor ihnen auftauchte und zum Fenster hineinsprang. In demselben Augenblicke stürmte die ganze Schaar durch die Straßenthüre herein. Man hörte Klirren von Gläsern und Flaschen, die zerschlagen wurden, die Bitten und Drohungen des alten Goldschmiedes vermischten sich mit den Zurufen und dem Gelächter der Edelleute; von draußen konnte man sehen, wie sie durch die Stuben eilten und die fliehenden Mädchen verfolgten. Die Lichter flackerten hin und her, darauf wurden sie nach und nach ausgelöscht; aber deshalb wurde der Lärm nicht geringer, und lauter als das Singen, Lachen und Rufen erhob sich ab und zu ein scharfer gellender Klageschrei und Flehen um Hilfe und Gnade. Kurz darauf brauste die Schaar wieder zur Thüre hinaus. Axel Urne kam zuletzt, er war sehr bleich und sein Vorhemd zerrissen, aber diesmal folgte er nicht wie die anderen der gewöhnlichen Sitte, seine Thaten zu schildern. Die Diener sammelten sich um ihre Herren und drängten die Neugierigen zurück, die sich vor dem Hause des Goldschmiedes aufgestellt hatten.

Der Tag begann zu grauen, die Spitze des Thurmes auf der Nicolaikirche wurde von der Morgensonne geröthet, die Dohlen kreisten schreiend um den Thurm, die Edelleute zogen über die Hohe Brücke in das Schloß, und die Jagd war für diesmal zu Ende.

»Ich habe meine kostbare goldene Kette verloren,« sagte der König, als er sich auszog. Es wurden Boten ausgesandt und nach ihr gesucht und gefragt, aber sie kam nicht wieder zum Vorschein.

Einen Monat später war Ball auf dem Schlosse, welches Christian der Vierte kurz vor seiner Vermählung mit einem neuen Flügel erweitert und vergrößert hatte. Den ganzen Abend bewegte sich über die Hohe Brücke eine dichte zahlreiche Schaar, die von den Sänften oder Pferden der Damen zusammengedrängt und zur Seite gestoßen wurde.

Für die Bürger war es ebenfalls ein Fest, wenigstens für einen Theil, der sich mit Frau und Kindern um den Eingang zum Schlosse versammelt hatte, um die Herrschaften vorüberziehen zu sehen, während sie die Treppen hinaufstiegen. Ab und zu, wenn sich ein Verwegener zu nahe an das Portal wagte, während eine neue Schönheit eintrat, stießen die Wächter den Zudringlichen zurück und schlugen mit dem Schaft ihrer Hellebarden nach ihm.

Ein Lichtmeer entströmte den Fenstern des Schlosses und fiel über den Wasserspiegel. Von innen tönte Jubel und Musik. König Christian hatte vor kurzem aus besonders dazu aufgeforderten ausländischen Künstlern eine eigene Kapelle bilden lassen, unter Leitung des Kapellmeisters Mogens Petersen, eines für seine Zeit berühmten Mannes; das war etwas Neues und brachte eine große Wirkung hervor.

Der Stern, um den sich in dieser Ballnacht alles zu bewegen schien, war ein junges Mädchen, das erst vor kurzem von den Gütern ihres Vaters in Schonen nach der Hauptstadt gekommen war. Dasselbe hieß Karen Gyldenstjerne und war die einzige Tochter des Peter Gyldenstjerne, des Reichen, wie er allgemein genannt wurde. Die junge Dame gehörte dem vornehmsten Adel ihrer Zeit an, indem sie mit den Brahe, Skeele, Rude und vielen anderen alten Familien verwandt war. Die Pernille, deren Ländereien nach Sigvart Grubbes Schätzung einen Werth von 304,026 Thalern besaßen, wobei er, wie er ausdrücklich bemerkt, die Gold- und Schmucksachen und Kleinodien gar nicht in Anschlag gebracht hatte, war eine Tante Peter Gyldenstjerne's.

Karen Gyldenstjerne, mit verschwenderischer Pracht gekleidet und mit einem Antlitz, das fast eben so blaß wie ihr weißes Atlaskleid war, stand an der Seite ihres Vaters. Ein tiefer schwermüthiger Ernst ruhte über ihr, ein Ausdruck vollständiger Gleichgültigkeit gegen die laute Bewunderung, die sie erregte. Lächeln und Lachen schien diesem feinen ovalen Gesichtchen fremd zu sein, dessen weiche unberührte Lippen nur auf die Erlaubniß zu warten schienen, sich zwei Reihen kleiner blendendweißer Zähne zu öffnen. Ihre ganze Seele schien sich in dem forschenden und gleichsam suchenden Blicke ihrer Augen zu vereinen; es waren diese großen, blauen und gedankenreichen Augen, die eine fesselnde, fast bezaubernde Macht ausübten, und doch lag bei genauer Betrachtung weder Feuer noch Leidenschaft in ihren blendenden Strahlen, die nichts verhießen, nicht reizten, deren Sprache ein Räthsel war, deren Licht von einer Seele kam, die dem Leiden näher stand als dem Glücke. Eine vollendete Haltung, eine kindliche Schüchternheit und Anmuth ruhte über jeder ihrer Bewegungen. Sie bewahrte mitten in dem Kreise, der sich immer mehr um sie vergrößerte, und in welchem der junge feurige König ihr seine Huldigung weit häufiger darbrachte, als seine scharf beobachtende Gemahlin vielleicht wünschte, eine natürliche Freiheit. Karen hörte diese Huldigungen an, als ob dieselben ihr gar nicht gälten; sie neigte schweigend ihr Haupt und betrachtete alle diese lächelnden und duftenden Edelleute, wie man die Bilder in einer Galerie betrachtet, ohne daran zu denken, daß man selber beobachtet wird.

Axel Urne war mit in den Strom, der Karen Gyldenstjerne umgab, gerissen worden. Sie schien auf ihn dieselbe Macht wie auf alle andern auszuüben. Ihre Züge kamen ihm bekannt vor und doch durchlief er wieder und wieder den ganzen Kreis seiner Erinnerungen, ohne ausfindig machen zu können, wann und wo er früher mit dieser Schönheit, diesen großen und sprechenden Augen zusammengetroffen wäre.

Mitten unter dem Lärm des Festes, als die Musik, das Gelächter und der Becherklang am lautesten erschallte, näherte er sich ihr. Einige Schritte vor ihr blieb er stehen und lauschte auf das, was sie sagte. Wie er so dastand, reich und prachtvoll gekleidet, ein Mann vom Scheitel bis zu den Zehen, schien es, er müßte unwiderstehlich sein; seine Person hatte nie ein ritterlicheres Gepräge gehabt; vielleicht ahnte er es selbst, sein siegreiches Lächeln verrieth wenigstens das Bewußtsein seiner Vorzüge. In diesem Augenblicke theilte er mit ihr die allgemeine Bewunderung. Alle Zunächststehenden beobachteten diese beiden, die, im Besitze aller frischer Jugendgaben, einander gleich werth zu sein schienen.

Sie war die einzige, die ihn noch nicht bemerkt hatte. Als sich ihre Augen zum ersten Male begegneten, flog ein Schatten über ihr Antlitz; es war, als wäre sie von einem kalten Winde berührt. Sofort wandte sie sich an die Nächststehenden, nahm das Gespräch wieder auf und blickte vor sich hin, als weilten ihre Gedanken ganz wo anders.

Börge Trolle stand neben Axel Urne; er legte ihm die Hand auf den Arm und flüsterte: »Ja, schön ist sie, das ist gewiß; aber sie will nicht tanzen.«

Axel erwachte bei diesen Worten aus seinen Träumen; er wandte sich nach Börge um und erwiderte heiter und bestimmt: »Sie wird tanzen, du sollst es sehen.« Darauf näherte er sich dem alten Edelmanne und grüßte ihn.

»Friede Gottes und einen fröhlichen Abend, Herr Peter Gyldenstjerne! Sie kennen mich wohl. Ich bitte um Erlaubnis, Ihre schöne Jungfrau Tochter begrüßen zu dürfen.« Nach diesen Worten wandte er sich an Karen, verneigte sich so tief, daß die weiße Feder seines Hutes den Boden berührte, und fuhr mit einem einnehmenden Lächeln und in jener geschraubten Sprache, wie sie die jungen Edelleute von ihren Reisen mit heimgebracht und bei Hofe üblich gemacht hatten, fort: Sagen Sie, schöne Jungfrau, weshalb die Sonne sich hier in Finsternis verbirgt und es uns versagt, daß wir uns an ihren Strahlen wärmen?«

»O, höchst galant,« erwiderte Karen, indem sie grüßend ihr Haupt neigte; »allein, woran erkennt man wohl die Sonne, wenn sie sich in Finsternis verbirgt?«

»In der Regel nur an der Wärme, die sie verbreitet.«

»Was wünschen Sie?« fragte sie mit einem Ausdruck und in einem Tone, der nichts von der Artigkeit an sich trug, mit der er ihr entgegen gekommen war.

Axel Urne blieb, auf seinen langen Degen gestützt und mit einem unveränderten Lächeln stehen; er wußte, daß alle Umstehende ihn betrachteten, und entgegnete: »Ich wünschte jetzt, meine Augen wären ein Spiegel, der Ihr schönes Bild aufzufangen vermöchte; doch noch lieber wünschte ich die kleine Blume zu sein, die sich an Ihrer Brust wiegt, ohne ihr Glück zu fassen; – ach, fragen Sie mich nicht, was ich wünsche; vor Ihnen steigen viele Wünsche empor; ich möchte Gott im Himmel sein, um Ihr Leben so schön und reich machen zu können, wie Sie es verdienen. Aber ich bin nichts von dem, was ich genannt habe, und bin in Demuth damit zufrieden, Sie zum Tanze auffordern zu dürfen. Die Paare treten an, die Musik ertönt, die Freude ist wie Sonnenschein im Winter, wir wollen uns derselben hingeben, so lange wir können.«

»Es ist mir hier zu warm, ich tanze nicht,« erwiderte Karen Gyldenstjerne, und als wäre damit alles abgethan, legte sie die Hand auf ihres Vaters Arm und ging mit ihm zu dem Kreise der Hofdamen, der sich um die junge Königin gesammelt hatte.

Axel Urne blieb einen Augenblick stehen; als er um sich blickte, gewahrte er auf den Gesichtern aller, die das Gespräch mit angehört hatten, ein allgemeines Lächeln; er war vor denselben Zuschauern, die sonst nur Zeugen seiner Siege gewesen waren, zurückgewiesen und gedemüthigt worden. Er war aufgebracht und erbittert, besaß jedoch eine so große Gewalt über sich, daß er keine seiner Empfindungen verrieth. Er strich das lockige und duftende Haar aus der Stirne, zuckte die Achseln und ging, seinen Federhut schwenkend, auf eine andere Gruppe zu.

»Sie tanzt nicht,« flüsterte ihm Börge Trolle beim Vorbeigehen über die Schulter zu. Axel biß sich die Lippen blutig, antwortete aber nichts.

Von diesem Augenblicke an war seine Aufmerksamkeit unablässig auf das junge Mädchen gerichtet. Seine offene Weigerung flößte ihm ein größeres Interesse für dasselbe ein, als die größten Zugeständnisse im Stande gewesen wären; zu siegen hatte keinen Reiz mehr für ihn. Während es ihn vergessen zu haben schien, beobachtete er jede seiner Bewegungen. Bei Tische gelang es ihm durch seine Gewandtheit, einen Platz in Karens Nähe zu erhalten. Im ersten Augenblicke, da sie zu ihm sprach, hatte ihre Stimme gebebt; jetzt war dieselbe durchaus ruhig und gefaßt, weich und klangvoll. Einmal trafen sich ihre Augen; da kam ihm ihr Blick scharf und durchbohrend wie ein Pfeilschuß vor, kalt, aber blendend wie ein Blitzstrahl. Er reichte ihr eine Schale mit ausgesuchten Früchten; sie wies sie zurück, indem sie den Kopf schüttelte, ohne ihr Gespräch zu unterbrechen. Er saß da und starrte sie unverwandt an, sie dagegen schaute nicht mehr nach seiner Seite hinüber. Gleich nach Tische verließ Gyldenstjerne mit seiner Tochter das Schloß; eine Schaar junger Edelleute begleitete sie bis an den Fuß der Treppe, wo die Diener mit Karens Sänfte warteten. Als Börge Trolle zurückkam, stand Axel am Fenster und schaute über den Schloßplatz fort, wo die Bürger bei dem hellen Mondscheine standen und warteten.

»Sie tanzt nicht,« wiederholte Börge zum dritten Male. Axels Augenbrauen zogen sich zusammen; Börge wußte wohl, wo er verwundbar war.

Seit jenem Abend schien Axel Urne verwandelt zu sein. Widerstand und Demüthigung war etwas Neues und Unbekanntes für ihn, der bisher auf jedem dieser Wahlplätze, wo man mit Blicken und Lächeln, mit Bitten und Versprechungen kämpft, den Sieg davon getragen hatte. Er brauchte nur zu verlangen, um zu erreichen, und hatte sogar bisweilen erreicht, ohne zu verlangen. In den ersten Wochen nach dem Balle suchte er sich Zutritt zu dem Hause des alten Edelmannes zu verschaffen; er sah Karen Gyldenstjerne wieder und wieder und machte Versuche, sich ihr zu nähern, um abermals mit einer Kälte und Gleichgültigkeit zurückgewiesen zu werden, die ihn zugleich reizte und verletzte. Sie blieb ruhig, kalt und undurchschaulich, ein Stahlpanzer schien diese seine Brust zu umschließen, die er sich heben und senken sah, aber der es ihm nicht gelang ein einziges verwandtes Gefühl zu entlocken. Von Schönheit fand er alles an ihr, von Weiblichem nichts. Es war ihm selbst unmöglich sich zu erklären, weshalb sein Dasein so plötzlich nur von ihr Licht und Farbe erhielt; bis dahin hatte er seine Lust in allem, ohne Maß und Grenze gesucht, hatte wie ein Kind gelebt, das sorglos jeden Tag seine eigene Plage haben läßt, hatte nie Sehnsucht empfunden und sich nie Gedanken gemacht, das gebrauchte Spielzeug von sich geworfen und nach einem neuen gelangt; ob es beim Spielen zerbrach oder erhalten blieb, war nicht seine, sondern des Zufalls Sache.

Wir werden beständig in dem gestraft, worin wir fehlen, und die Mythe von Don Juan ist nicht glücklich, wenn sie den Schatten des Kommandanten als Drohung und Schreckbild für den Sünder benutzt; eine größere und zugleich natürlichere Strafe muß die sein, daß er endlich auf ein Weib trifft, dessen Wege nicht seine Wege sind, dessen Eigenschaften ihn erwecken, ihn erheben, ihn dazu bringen, an das zu glauben, was er vorher bezweifelt hatte, ihm Verlangen, Wünsche und Sehnsucht einstoßen, bis er in dem Kampfe für das Ideal, das er einst verläugnet hat, schließlich zu Grunde geht.

Es war nicht blos eine anhaltende Kälte und Gleichgültigkeit, die Karen Gyldenstjerne gegen ihn zeigte, ihr ganzes Benehmen trug zugleich das Gepräge einer vornehmen und überlegenen Geringschätzung, die vielleicht er allein bemerkte, die ihn aber noch mehr demüthigte und seine Eitelkeit noch tiefer verwundete. Die Erinnerung daran, die ununterbrochene Beschäftigung mit ihr erhöhte die erste Bedeutung, die sie für ihn gewonnen hatte, verlieh ihr Vollkommenheiten und einen Reichthum von Poesie, gegen den die Vorzüge aller übrigen Frauen zurücktraten. Die Vergangenheit und alles, was mit ihr in Verbindung stand, hatte er vergessen; ein tiefer Abgrund lag zwischen ehemals und jetzt; die Zukunft wollte er erobern, und das war sie. Er harrte aus, ermüdete nicht, ruhte nicht; er gehörte zu jenen Naturen, die da Licht finden, wo alle andern nur Finsternis sehen; er glich in diesem Augenblicke einem Seemanne in einem unbekannten Fahrwasser, der nicht wußte, wohin er steuern sollte. Das Bild der Jungfrau begleitete ihn überall hin; er fand sie selbst da, wo sie nicht zugegen war, in dem Lärm der Gesellschaften begegnete er ihren vornehm halb gesenkten Augen, als hielten sie es nicht für werth, ihr volles Licht auf ihn fallen zu lassen; bei den Hoffesten sah er ein stolzerhobenes Haupt, das dem ihrigen glich und sich von ihm abwandte, als wäre er gar nicht vorhanden. Wenn er einsam die Nacht durchwachte, hörte er diese weiche Stimme, die für alle andern so einschmeichelnd sein konnte und nur für ihn ihre Musik verstummen ließ, aber ihn doch wach erhielt und den Schlaf von seinem Lager scheuchte. Nur von ihr strömte alles Licht aus, wie zu ihr all seine Gedanken und all sein Sehnen zurückführten. »Was diese hochmüthige Geringschätzung hervorruft, ist nicht Kälte des Herzens,« sagte er zu sich selbst, »sondern Mangel an lebenskräftigen Gefühlen. Ich habe es gesehen; es hat Zeiten gegeben, wo ihre Augen im Feuer der Leidenschaft leuchteten und strahlten; ich habe ihre Stimme beben gehört, als ob sie fürchtete, zu viel zu sagen. Was ist es also, was sie an mir auszusetzen hat? Ich bin jung, ich bin hübsch, ich bin kräftig, ich bin ihr ebenbürtig, und mein Herz klopft heißer als das ihrige.,«

Begegneten sie sich jetzt nach langen Versuchen und vielen fehlgeschlagenen Plänen, wie bebte dann nicht seine Stimme, wenn er mit ihr redete, wie vollkommen war nicht seine frühere Sicherheit verschwunden, und welche Sprache entströmte nicht seinen Lippen! Er fand Worte, deren er sich früher nie bedient hatte; es lag eine Wahrheit, ein Reichthum in dem allen, der einen jeden gewinnen zu müssen schien. Weshalb fand er also nicht bei ihr Gnade? Wie war es möglich, daß zwei so junge und frische Naturen einander nicht entgegenkommen konnten?

In Sorge und Furcht wurde dieses Gefühl groß gezogen und steigerte sich, bis es jeden Raum seines Herzens einnahm und sich zur höchsten Stufe entwickelte, die eine menschliche Leidenschaft erreichen kann. Ohne daß er es recht begriff, gab es seinem Charakter allmählich eine andere Richtung. Ein jeder Kampf bringt das Gute mit sich, daß er unsere Fähigkeiten entwickelt und veredelt; wir enden stets stärker, als wir begannen, selbst wenn wir die Schlacht verlieren. Es war nicht länger nur die verletzte Eitelkeit, sondern ein Seelendrang, der sich in sein Verlangen, sie zu erkämpfen, mischte; sie erhielt eine Bedeutung für ihn, wie sie früher nie ein Weib für ihn gehabt hatte. Seine Hoffnung und Sehnsucht wechselten mit Furcht und Zweifel, wie Wolken an einem bezogenen Himmel, aber nur selten leuchtete ein Sonnenstrahl durch sie hindurch.

Niemand ahnte, was seit jener Ballnacht in ihm vorging. Er zog sich von dem Kreise seiner früheren Freunde zurück und wurde weniger mittheilsam als früher. Was hatte er auch wohl zu erzählen? Der König vermißte ihn bei jedem lustigen Ausflüge; er glaubte, Axel wäre krank und schickte seinen Arzt, den berühmten Peter Sörensen zu ihm. Einer der jungen Edelleute behauptete, er tränke zu Hause im Geheimen und ginge beständig im Rausche einher. Beide hatten Recht, Arel Urne war krank und war berauscht, nur hinsichtlich der Ursache irrte man sich.

»Du vergeudest nur deine Zeit,« sagte Börge Trolle, der tiefer sah, als alle andern. »Komm zu uns zurück, die Welt ist groß und du bist jung. In dem Kamin, an dem du dich wärmen willst, kann das Feuer nicht brennen, – sie gleicht einem der Schaugerichte auf des Königs Tafel, lustig anzusehen, aber nicht zu essen.,«

Axel kehrte nicht zu seinen Freunden zurück; er spiegelte sich zu seinem Troste vor, sie müßte sich doch endlich von einem so innigen und anhaltenden Gefühle bewegen lassen, eine so hingebende Liebe müßte ihre Tiefe, eine so beständige ihre Größe beweisen.

Eines Morgens erschien er vor Gyldenstjernes Thür und klopfte an. »Ich will mit ihr sprechen," sagte er zu sich selbst, »wagen, was ich vorher nicht gewagt habe, fragen, weshalb ich ihr zuwider bin, und was man thun muß, um ihre Gunst zu gewinnen.,«

Niemand kam und öffnete. Er klopfte abermals. Unten im Keller wurde gleich darauf ein Fenster geöffnet, und ein alter weißhaariger Diener steckte den Kopf heraus.

»Die Herrschaft ist verreist,« sagte er, »und wir dürfen nicht durch das große Portal gehen.,«

»Wo ist sie hingereist?,«

»Ei, für einen armen Diener ist es nicht gut, dergleichen auszuplaudern,« versetzte der Alte, im Begriff das Fenster wieder zu schließen.

»Aber du wirst mir trotzdem Auskunft verschaffen,« sagte Axel Urne und zog einige Silbermünzen ans seinem Geldbeutel. Der Diener ließ das Fenster offen stehen, sah lächelnd das Geld an und blickte in das Zimmer zurück.

»Ich stehe und sinne nach,« sagte er, »und nun fällt mir plötzlich ein, daß der gnädige Herr beim Fortreiten befahl, wir sollten ihm alle Botschaften und Briefe, die in seiner Abwesenheit ankämen, nach seinem Gute bei Fagerhult in Halland nachsenden. Jungfrau Karen bat uns auch zu verschweigen, wohin sie reisten, aber das galt sicherlich Ihnen nicht, wie ich mir leicht denken kann,« fügte der alte Mann hinzu, indem er das Geld nahm und das Fenster schloß.

Axel Urne ging mit gesenktem Haupte die Straße entlang. »Sie ist abgereist, sie hat gemeint, Land und Meer zwischen uns legen zu müssen, damit wir recht getrennt wären. Gut! Sie soll ihren Willen bekommen, von nun an ist alles vorbei, ich will sie so vollständig vergessen, wie sie es wünscht.«

Mit diesem festen Entschlusse ging er heim und schloß sich ein. Das feierliche Gelübde zu entsagen und zu vergessen wurde am Vormittage abgelegt; gleich nach Mittag ritt Axel Urne zur Stadt hinaus nach Helsingör, um sich mit der Fähre über den Sund nach Helsingborg setzen zu lassen, und noch denselben Abend zog er weiter nach Fagerhult hinauf. So standhaft ist das Bollwerk, welches der Verstand der Leidenschaft entgegensetzt.

Die Sonne schien, der grüne Roggen auf dem Felde wogte, die Lerchen sangen hoch über ihm, als ein einsamer Reiter den Weg entlang kam, der sich in nordöstlicher Richtung von Engelholm in den Gjönger District hineinzieht. Je weiter er gelangte, desto wilder wurde die Gegend; die angebauten Felder machten mächtigen Buchen- und Eichenwäldern Platz, die in unserer Zeit wieder einem armseligen Gestrüpp von Ginster, Dornbüschen und Wachholdersträuchern gewichen sind, zwischen welchem sich einzelne knorrige Schößlinge alter Bäume erheben, mit welken Zweigen an den Spitzen, vom Winde gebogen und gekrümmt und mit weißem faserigem Moose bedeckt. An einigen Stellen wechselten die Wälder mit einem kahlen und nackten Landstriche, mit bunten Feldsteinen bedeckt, unter welchen kleine Büschel hellgrüner Farrenkräuter hervorschossen. Ein zerlumpter Hirtenknabe mit einem Sacke hinten über dem Kopfe, stand, auf seinen Stab gestützt, auf einem dieser Steine und guckte dem Reiter nach, während eine Heerde magerer langbeiniger Ziegen die frischen Halme des aus dem Sande hervorsprießenden Strandhafers abnagten. Zu beiden Seiten eines halb ausgetrockneten Flusses schossen aus dem seichten Grunde einige verkrüppelte Birken hervor, zwei halbnackte Kinder rupften das Gras zwischen den Bäumen zum Futter für ihr Vieh. Ein Schwarm Krähen fliegt krächzend um die angenagten Überreste eines gestürzten Pferdes. Armuth schaut aus den Thüren der kleinen Hütten hervor; das Joch der Knechtschaft, Wüstenei und Vergänglichkeit bilden das Gepräge der ganzen Gegend.

Droben bei Fagerhult beginnen die Wälder wieder; dort werden sie größer und tiefer, die Buche breitet ihr Laubdach über den Weg, die Hügel gewinnen an Höhe, die Flüsse an Breite, der Strom schäumt, die Sonne blinkt in den gekräuselten Wellen, die Forelle steigt zum Wasserspiegel empor, das Vieh brüllt und das Thal strotzt von Gräsern.

Dort lag damals zwischen den mächtigen Anhöhen, die sich nach Fagerthult hinabsenken, ein großes, von rothen Ziegelsteinen aufgeführtes Gut. Es gehörte Peter Gyldenstjerne und wurde im Sommer von ihm selbst bewohnt. Axel Urne machte, als ihm das Gehöft zu Gesichte kam, im Hohlwege Halt. Sein Gesicht war finster und verstimmt, es hatte etwas von seinem früheren sorglosen und lebensfrohen Ausdruck verloren. Während er sich umschaute und nachdachte, träumte oder Pläne schmiedete, kam ein hochgewachsener Mann auf einem Fußpfade im Walde angegangen und sprang über die den Weg einfassende Hecke. Es war eine lange magere Person in einer abgetragenen fadenscheinigen Tracht und großen schmutzigen Lederstiefeln, die bis über die Schenkel reichten. Ihr Gesicht war scharf, spitz und voller Sommersprossen, mit dünnem, röthlichem Barte und weißen, buschigen Augenbrauen. Als der Mann Axel gewahrte, blieb er stehen, stieß einen Schrei aus und lief auf ihn zu.

»Ich irre mich nicht,« rief er, den Hut schwenkend, »Sie sind es, mein allertheuerster Freund, Herr Axel Urne, der Günstling Seiner Majestät des Königs, wie man sich erzählt. Und Sie kommen nach Halland geritten! Das nenne ich mir einen glücklichen Tag, der mir eine solche Begegnung bringt. Seien Sie herzlich willkommen, obgleich die Reise mir sicherlich nicht gilt. Aber das sage ich rund heraus, ich lasse Sie nicht los, ich halte Sie fest, bis Sie mir versprechen, ein Stündchen auf meinem Gute, welches hier ganz in der Nähe liegt, vorzusprechen, damit ich Sie ordentlich begrüßen und mit Ihnen etwas von den alten Tagen plaudern kann. – Sie schweigen? Sie bedenken sich? Sie wollen mich wohl nicht mehr als Ihren Freund anerkennen?« Der widerwärtige und abstoßende Ausdruck seines Gesichtes wurde nicht besser durch das angenommene Lächeln, womit er diese Fragen stellte.

»Gewiß erkenne ich Sie,« erwiderte Axel schnell. »Sie sind ja Herr Enevold Skade, der bei der Vermählung Seiner Majestät in Kopenhagen war und uns besuchte und mit mir an den Festtagen das Tournier und das Ringelstechen mitmachte. – Sie wohnen also hier in der Nähe?«

»Ja, ganz nahe,« versicherte Enevold, »mein Gut liegt auf der andern Seite der Anhöhe. Sie kehren bei mir ein, Sie bleiben bei mir, einen Monat, eine Woche, einige Tage, so lange Sie wollen, und erzählen uns inzwischen, wie es bei Hofe hergeht, denn es dauert immer so lange, bis wir Neues von dort erfahren.« »Es soll geschehen, wie Sie sagen,« entgegnete Axel. »Ihr Anerbieten ist mir sehr willkommen. Selbst der Teufel kann das Leben nicht aushalten, das wir dort unten führen. Meine Augen sehen doppelt, und ich leide an der Brust. Ich muß sehen, wieder zu Kräften zu kommen, und deshalb verließ ich die Stadt. Da Sie es mir nun selbst anbieten, nehme ich es an und lasse mich bei Ihnen häuslich nieder.,«

»Ei, das ist ja herrlich,« versetzte Herr Enevold mit einer Miene, die gerade das Umgekehrte ausdrückte. »Lassen Sie uns denn versuchen, ob ich mit Ihnen Schritt halten kann.,« Darauf setzte er sich in Bewegung und ging eine Strecke ohne zu reden. Plötzlich machte er Halt. »Ich habe einem vornehmen Herrn, wie Sie, allerdings nur wenig Bequemlichkeiten in meinem Hause anzubieten, auch ist es mit der Schlafgelegenheit übel bestellt, und da wir morgen noch dazu den Maurermeister bekommen, will ich Sie nicht bitten, über Nacht zu bleiben; aber ein anständiges Mittagbrot kann ich anbieten, wenn Sie mit dem, was in den Kräften eines armen und unbemittelten Mannes steht, vorlieb nehmen wollen.,«

Axel lächelte. »Hören Sie jetzt, Herr Enevold! Wir wollen uns gegenseitig verständigen. Sie haben mich eingeladen, und ich bleibe bei Ihnen, so lange ich hier in der Gegend weile. Wir sind beide gute Edelleute, und es würde sich nicht ziemen, wollte ich Ihnen für Ihre Gastfreiheit Bezahlung bieten; aber wir sind auch Kameraden, wir beide; sind Sie arm, so bin ich reich, und ich habe einen wohlgefüllten Geldbeutel hier in meinem Mantelsack, den theilen wir.,«

»Gott soll mich bewahren!« sagte Enevold mit seinem behaglichen Lächeln; »ich denke nicht an Geld, pfui! Ich meinte nur, Sie wären an Besseres gewöhnt, als ich zu bieten vermag. – Sie sollen Ihren Willen haben und mir herzlich willkommen sein, wenn Sie hier gleich bis zum Herbst bleiben,« versicherte er, indem er freundlich nach dem Mantelsack hinüberblinzelte.

»Jenes Gehöft dort oben aus rothen Ziegeln ist vermuthlich das Ihrige?« fragte Axel, als sie weiter zogen.

»Ach nein,« erwiderte Enevold und zuckte die Schultern, »das nimmt sich nicht so gut aus. Dort droben wohnt Peter Gyldenstjerne, der überall der Reiche genannt wird. Er ist mit seiner schönen Tochter, von der so viel erzählt wird, vor kurzem hier angekommen; seit jenem Tage steht das Thor für Freunde und Gäste nie geschlossen; sie strömen hinaus und strömen hinein, die Leute, leuchtend von Gold und Seide, sie schießen auf dem Sumpfe Schnepfen, machen unter Mitnahme eines Musikcorps Luftfahrten auf dem See und reiten ihre Pferde zu Schanden. Nie zuvor ist hier oben im Gjönger District ein solches Gelärme gewesen. Aber was thut das? Sie haben ja die Mittel dazu, das Geld wegzuwerfen.«

Herr Enevold ging nun voran, bis sie ein kleines Stück Wald erreichten, an dessen Saume ein niedriges, weißgetünchtes Haus mit schiefen Schornsteinen, einem Ziegeldache, das hier und da mit Stroh ausgebessert war, einer Thüre, die nur eine Angel hatte, um sich aufrecht zu erhalten, und vor der Thüre eine große Mistpfütze und eine Menge unbrauchbarer Ackergeräthschaften sichtbar wurden. Enevold schaute zu Axel Urne empor, als wollte er die Gedanken errathen, die der Anblick dieser Herrlichkeiten in ihm hervorrief. Er schüttelte mit einem melancholischen Ausdruck den Kopf und bemerkte:

»Ja, ich sagte es vorher, daß die Stätte, in welche ich Sie, der Sie gewohnt sind, im Schlosse des Königs in Sammet und Seide einherzugehen, einführe, nichts Prunkendes aufzuweisen hat. Ich lebe hier oben einsam für mich allein. Meine Frau setzte sich Grillen in den Kopf und lief mir den ersten Mai des vergangenen Jahres davon, wie Sie vielleicht schon gehört haben. Ich kann sie nicht zur Rückkehr bewegen, obgleich ich klagbar gegen sie geworden bin und die Hilfe des Gerichts in Anspruch genommen habe.«

Ein magerer und schmutziger Jagdhund empfing sie auf dem Hofe und starrte erst den fremden Reiter, darauf seinen Herrn mit einem Ausdrucke tiefen Erstaunens an, als ob er sich darüber wunderte, daß er es sich könnte einfallen lassen, Fremde mitzubringen. Das Innere des Gehöftes stand mit seinem Äußern in bestimmter und untadelhafter Harmonie.

»Wohnungsraum haben wir genug,« sagte Herr Enevold, während er Axel durch mehrere Stuben ohne Möbel und Gardinen führte, die als Kornböden benutzt wurden, »aber ich habe nicht sonderlich viel hineinzustellen. Ich bin, wie gesagt, ein alleinstehender Mann und bekam, Gott Lob, keine Kinder. Als nun mein Weib fortlief, hielt ich Auction und verkaufte den überflüssigen Hausrath. Sehen Sie, diese halte ich für meine beste Stube, und die sollen Sie haben.«

Die beste Stube lag nach dem Walde hinaus; vom Fenster konnte man nach Peter Gyldenstjernes Gut hinüberschauen, ein Umstand, der sofort Axel Urnes Beifall fand. An der Wand hingen einige Säcke Zwiebeln, die bereits zu keimen begannen, und alte Stiefeln, Sättel und Trensen, mit einer dicken Lage weißen Schimmels überzogen.

»Das Haus ist gar zu feucht,« bemerkte Enevold, während er das Fenster vergebens zu öffnen versuchte, worauf er die keimenden Zwiebeln und das Reitzeug auf den Gang hinauswerfen ließ. »Recht übel waren wir hier im Winter auch mit den Ratten dran; es war wahrhaft unangenehm,« fügte er als Erklärung für einige große Strohwische hinzu, die längs der getäfelten Wand aus verschiedenen Löchern hervorragten, »aber mit Eintritt des Sommers zieht das Satansgeschmeiß auf das Feld hinaus, und wir haben lange nichts von ihnen gemerkt. Aber jetzt will ich Sie eine Zeit lang in Ruhe lassen und mich bemühen, die Dirne in Bewegung zu setzen, daß sie Ihnen Mittagsessen bereitet. Sie liegt sicherlich oben im Stroh und schläft.«

Nach diesen einleitenden Erklärungen ging Herr Enevold, und Axel blieb allein. Nach großer Mühe gelang es ihm, das Fenster zu öffnen, und nun setzte er sich an dasselbe. Rund um ihn her war alles todt und still. Die Sonne ergoß ihr Licht über die ganze Gegend, sie schien in den Wald hinein und auf Peter Gyldenstjernes rothe Ziegeldächer. Still hingen die Wolken in der Luft, keine Bewegung, kein Leben, Schweigen, Träumerei oder Leblosigkeit, wohin er blickte. Unten im Hofe wiederholte sich dasselbe: eine Schaar Hühner lag halb im Staub begraben, der Hahn hatte sich wach erhalten und blinzelte zur Sonne empor, der Storch stand auf der Scheune und schlief, den Schnabel unter dem Flügel; die Schwalben allein zeigten Leben, sie kamen und verschwanden mit lautem Gezwitscher und in großen Kreisen um das Dach. Vor dem Eingänge in den Garten stand ein alter Hollunderstrauch in voller Blüte und sandte einen starken Duft zum Zimmer empor.

Axel Urne saß am Fenster und blickte vor sich nieder. In seinen düsteren Gedanken vereinigten sich die Sorgen und fehlgeschlagenen Hoffnungen der letzten Monate mit dem Elend, das ihn hier umgab, zu einem Gesammtbilde. Den Gegensatz bildete der rothe Edelhof unten vor dem Walde, wo die Sonne glänzte, wo alles Glück und Jubel in sich zu bergen schien, und wo er vergessen war. Ab und zu kam es ihm vor, als ob der erwachende Wind frohes Gelächter einer heiteren Gesellschaft durch die Luft zu ihm herübertrug; er reckte sich zum Fenster hinaus, als ob er es einathmen wollte. Gleich darauf lächelte er über sich selbst. Bei einer Natur, wie die seinige war, konnten Grübeleien und Träumereien nicht lange Nahrung finden; er schüttelte den Kopf wie ein Streitroß, wenn das Signal zum Angriff ertönt. Vor ihm lag der Kampfplatz. »Dort will ich siegen oder zu Grunde gehen,« flüsterte er.

Karen Gyldenstjerne hatte für ihn nie so große Bedeutung gehabt als in diesem Augenblicke. Bis dahin war er an den Blumen, die vor seinem Fuße wuchsen, gleichgültig vorübergegangen, und hatte nur für die Auge gehabt, deren Erlangung Mühe kostete. Was ihm zunächst lag, stand seinen Wünschen am fernsten.

Nun galt es handeln; es war nicht seine Sache zu warten, bis Möglichkeiten oder Begebenheiten eintraten. Er zog es vor, sie selbst herbeizuführen und stürmte auf sein Ziel los, ohne sich darum zu kümmern, was es bringen würde, Glück oder Leiden. Nur das wußte er, daß es ihm die vielen Tage lang, seitdem er sie zum letzten Male gesehen, gleichsam an Licht und Athem gefehlt hatte.

Da kam eine große dicke Magd herein, unter der Wucht eines Tisches stöhnend, der ungeachtet seiner verbleichten Vergoldung und seiner vierthalb Beine der Gegenstand der ungetheilten Bewunderung mehrerer verschwundener Generationen gewesen war. Nach dem Tische brachte sie einen Lehnstuhl mit hohem Rücken und stellte ihn mitten in das Zimmer. Das fette rothbackige Gesicht der Magd war von der Sonne und einer eben erst vorgenommenen gründlichen Abwaschung stark marmorirt. Aus dem hellgelben Haar, das unter ihrer Haube zum Vorschein kam, guckte hier und da ein einzelner Strohhalm hervor; übrigens sagte sie nichts, sondern beschränkte sich darauf, Axel mit einem Ausdruck tiefer Verwunderung zu betrachten. Gleich darauf erschien Herr Enevold; sein pockennarbiges und haariges Gesicht perlte von Schweißtropfen.

»Ich bin unten beim Pfarrei gewesen und habe für meinen lieben Gast ein Gericht junger Mohrrüben geliehen; den Sauerampfer haben wir selbst. In kurzem ist das Essen fertig; ich denke, Sie werden zufrieden sein – es gibt einen Puterhahn, einen schönen fetten Puterhahn! – Sie schauen nach Herrn Peters Gehöft hinüber. Sie haben doch hoffentlich mit den Leuten nichts zu schaffen? Gott weiß, daß ich nicht neidisch bin, aber ich halte nicht viel von der Familie. Weshalb sollen sie es besser haben als alle andere?«

»Peter Gyldenstjerne ist mein sehr guter Freund,« erwiderte Axel.

»Meiner ist er nicht; wir grüßen uns kaum, wenn wir uns treffen. Da kommt er im vorigen Jahre mit zwei Dienern hinter sich angeritten und fragt, ob wir nicht auf gemeinschaftliche Kosten eine Brücke über den Bach Bitsö bauen wollen, um uns an dem Wege nach der Mühle anderthalb Meilen zu ersparen. Ich sage ja, denn wie kann ich bei einer Brücke wohl an anderes als an ein paar Bretter über einige eingerammte Pfähle denken, und nun geht er hin und baut eine große mächtige Brücke aus behauenen Steinen mit einem Geländer. Über eine solche konnte die gnädige Herrschaft natürlich angenehmer hinübertraben. Auf mein Theil fielen siebzehn Thaler, und die weigere ich mich zu zahlen.«

»Aber ich werde sie bezahlen,« sagte Axel hurtig. »Nicht wahr, lieber Herr Enevold, wir schicken noch heute Abend einen Boten hinüber, dann ist die Sache abgemacht.«

»Ja,« erwiderte Enevold langgezogen und lächelte dazu, »wenn Sie es wünschen, meinetwegen. Für siebzehn Thaler könnte man sonst viele hübsche Dinge bekommen. Aber dann ist da auch noch eine andere Sache, eine gar häßliche, die mit Karo und den Puten des reichen Peter.«

»Was ist das für eine Sache? Erzählen Sie sie mir, da wir jetzt doch einmal im Zuge sind.«

»Ja, der Karo ist das klügste Thier, das sich auf der ganzen Erde findet. Das sagt unser Pfarrer auch. Denken Sie sich, wenn er einen oder zwei Tage umherläuft, ohne hier zu Hause etwas richtig zu fressen zu bekommen, dann versteht der Satan sich selbst Futter zu verschaffen. Er schleicht dann in der Nachbarschaft umher, wo es etwas zu finden gibt. Nun hat Gyldenstjerne gar große und seltene Puten, die vor Fett strotzen, und die haben ganz besonders seinen Beifall gefunden. Aber Sie dürfen nicht glauben, daß es dem lieben Hunde je in den Sinn kommt, sie auf der Stelle zu verzehren, nein, er bringt sie treulich auf den Hof geschleppt und bellt über seine That noch ebenein aus vollem Halse. Wenn Bengte nun das hört, geht sie hinab und nimmt ihm die Pute fort, aber er bekommt stets sein Stück ab; er kriegt den Kopf und die Beine, und noch etwas als Zugabe. Heute morgen war er wieder nach einer hinüber, und das ist gerade die, welche Sie zum Mittag haben sollen. Wir führen genau Buch über seine Jagdbeute, und machen für jede, die er nimmt, einen Kreidestrich an das Gesims. Jetzt sind wir, wenn ich mich recht erinnere, schon bei der eilften. Nicht wahr, Bengte, – ›Bengte!‹ rief er zum Fenster hinaus der Magd zu, ›sind es mit der, die er heute holte, nicht schon eilf?‹ Der reiche Herr Peter hat herüber geschickt und sich über Karo beschwert; aber ich kümmere mich den Teufel darum; mag er selbst auf seine Puten aufpassen. Ich schwöre auf meine Seligkeit, daß ich den Hund nicht auf sie gehetzt habe.«

Axel hörte nicht mehr nach Enevolds Erzählung hin. Unten auf dem Wege kam eine Schaar Reiter aus dem Walde angejagt und machte vor der Gatterthür Halt. Ein junges Mädchen ritt in ihrer Mitte. Er fühlte sein Herz klopfen, trotz der weiten Entfernung war ein Irrtum nicht möglich. So stolz und vornehm trug nur Karen ihr Haupt, so leicht und wunderbar schön saß nur sie zu Pferde. Herr Peter Gyldenstjerne hielt an ihrer Seite und strich sich mit der Hand über seinen langen weißen Bart und lächelte den jungen eifrigen Kavalieren zu, die nicht die Grenzen der Artigkeit dadurch zu überschreiten glaubten, daß sie sich so nahe wie möglich um Karens Pferd drängten, während sie vor der Gatterthür still hielt. Ihr frisches sorgloses Lachen und einzelne Laute anderer Stimmen tönten wie ein Echo aus einer glücklicheren Welt zu ihm herüber. Sie schaute in dem hellen Tageslichte um sich her, und einmal ruhte ihr Blick fest und unverwandt auf dem Fenster. Lange starrte er ihr und der flüchtigen Schaar nach, die in dem Walde verschwand, zwischen dessen Baumgipfel die Sonne ihre leuchtenden Strahlen warf. Darauf wurde die Luft schwer, der Nebel erhob sich wie eine graue Decke und verbarg die Reiter und Peter Gyldenstjerne's Gut.

Aber Herr Enevold fuhr fort von Karo und seinen Thaten zu erzählen. Er hatte seine Geschichte noch nicht zu Ende gebracht, als die Magd hereinkam und den Tisch deckte, worauf sie die gestohlene Pute auftrug. Axel litt, er seufzte und härmte sich, aber das hinderte ihn nicht, tüchtig in den Braten einzuhauen.

Herr Enevold Skade war mit seinem neuen Gaste sehr zufrieden. Am Abend spielte Axel Domino mit ihm und war so höflich, beständig zu verlieren; er versorgte die Küche und bezahlte endlich die Schuld an Gyldenstjerne. Einige Tage später ritt er hinüber, um dem alten Edelmanne seine Aufwartung zu machen, und wurde von ihm sehr höflich empfangen. Karen ließ sich dagegen nicht blicken, obgleich Axel die Zeit hinzog, so lange es nur möglich war. Gyldenstjerne erwiderte nicht einmal seinen Besuch und bat weder ihn noch Enevold zu den häufigen Festlichkeiten auf dem Gute, zu denen alle übrige umwohnende Familien von einigem Ansehen eingeladen wurden.

Eines Abends sattelte Axel sein Pferd und ritt Schritt für Schritt auf die Waldungen bei Fagerhult zu. Die Sonne stand im Begriff unterzugehen; die Mücken summten und hoben und senkten sich vor dem Kopfe des Pferdes, wie kleine schwarze Wolken. Als er über die Wiese hintritt, wieherten die Füllenstuten in dem Gehege und die Fohlen galoppirten hinter der Einfriedigung auf ihn zu. Ab und zu schallte ein schwaches Klappern von der Wassermühle auf dem anderen Ufer des Baches herüber, und die Birkhenne lief die mit Haidekraut bewachsenen Geleise entlang, gefolgt von ihren Küchlein, die ihre nackten Hälse in gerader Linie vor sich hinstreckten. Am Horizont in Osten zog ein Gewitter herauf, und einzelne schwere Regentropfen fielen bereits auf die grünen Blätter. Er achtete nur flüchtig darauf; in der Schönheit des Abends lag für ihn etwas eigenthümlich Trauriges und Niederschlagendes; alle seine Gedanken vereinigten sich in dem Wunsche, Karen zu begegnen; er mußte, es mochte kosten, was es wollte, sie sehen, sie sprechen hören. Nie zuvor hatte er begriffen, was eine so heftige Sehnsucht sagen wollte. Er war geliebt und umschwärmt worden und hatte vergessen; jetzt wurde er verschmäht und konnte nicht vergessen. Dieselbe Eigenschaft, die früher dazu beitrug, ihm ein so großes Glück zu schaffen, die Eigenschaft, daß er sich all seinen Gefühlen leidenschaftlich hingab, völlig und ohne Vorbehalt, trug jetzt zu seinem Leiden nur um so mehr bei.

»Es gibt also noch eine bessere Liebe,« sagte er, während er mit gesenktem Kopfe in den Wald hineinritt und das Pferd gehen ließ, wohin es wollte, »eine Liebe, die gleichsam über der bis jetzt von mir gekannten schwebt, eine tiefere und innigere, deren Wesen mehr Hingabe und Demuth als Verlangen ist, und die unser ganzes Innere durchdringt wie der Rauch vom Hochaltare durch die Kirche dringt.«

Jenseits des Waldes läutete eine Glocke zum Abendgebete, deren Schläge weich und wehmüthig durch die warme Luft klangen; er faltete die Hände und betete. Um was? Um Glück zu der Hoffnung, der er entgegenging.

An Gyldenstjernes Gartenzaun band er sein Pferd an, nahm ihm das Gebiß ab und ließ es am Grabendamme grasen. Er lauschte, ehe er über den Zaun stieg, alles war ruhig und still darin. Oben in den alten Ulmen schlug ein Nachtigallmännchen in langsamen und getragenen Tönen, als riefe es die Sie. In den leeren Gängen konnte er eine schwache Spur eines feinen und schmalen Füßchens unterscheiden, und auf der Bank, auf der sie am vorhergehenden Abend still und träumerisch wie hingegossen gesessen hatte, lag ein Blumenstrauß, dessen halbwelke und hängende Blätter mit einem Grashalm zusammengebunden waren.

Wie lange er wartete, wußte er nicht; es hatte geregnet und war wieder klares Wetter geworden; der Mond warf seine Strahlen zwischen die Zweige hinab und ließ ein scharfes Streiflicht über das Moos und das Laub auf der Erde gleiten. Im Edelhofe schien alles zu ruhen; aus einem der Gemächer schimmerte Licht hinter der Gardine hervor, und die Thür zum Altane stand offen; eine weiße weibliche Gestalt kam heraus und blickte in den Garten hinab. Er konnte den Hals und den Umriß ihrer Brust unter dem dünnen Stoffe, der sie umhüllte, ziemlich deutlich erkennen. Jetzt war nicht eine Wolke am Himmel; in den Sträuchern hingen die Thautropfen an den frischen Spinnengeweben des letzten Tages. Aus dem Stalle schallte das Prusten der Pferde und das Rasseln ihrer Halfterketten. Karen stand gegen den Altan gelehnt und die Hände auf dem Geländer gefaltet, unbeweglich da. Ein Seufzer ließ sich vernehmen; er betrachtete ihn als eine Brücke zwischen ihnen. Als sie wieder den Kopf erhob, bemerkte sie, wie sich ein Mann über das Geländer schwang und auf den Boden niederkniete. Ihre erste Bewegung war zurückzutreten, dann blieb sie wieder stehen und ihre großen blauen Augen ruhten fest und unverwandt auf ihm. Alles Licht, welches sie in sich bargen, strahlte in diesem Augenblicke fragend und forschend aus ihnen hervor.

»Verzeihen Sie mir,« sagte er mit einer bebenden und furchtsamen Stimme, die etwas Vertrauen Erweckendes hatte, während sie zugleich die ganze Macht und Tiefe seiner Leidenschaft offenbarte. Sie schwieg eine Weile, ehe sie fragte: »Was wollen Sie?«

»Sie sehen. Jagen Sie mich nicht fort; ich weiß alles, was Sie sagen wollen. Hören Sie mich an, schenken Sie mir Glauben. Es muß etwas in meiner Stimme sein, was Ihnen bezeugt, daß ich die Wahrheit rede.«

Seine stammelnden Lippen fanden endlich Worte, und nun brachen sie hervor, diese lange unterdrückten und durchlebten sehnsüchtigen Empfindungen, mit einer brausenden Gewalt und Schnelligkeit, wie ein Strom, der alle seine Dämme durchbricht. Er erzählte, was sie ihm geworden war, wie er gehofft, gesucht und nicht gefunden hätte. Stumm und regungslos stand sie da. Alles, was er sah, war, daß sich ihre Brust unter dem weißen Kleide hob und senkte, wahrend sie die Beichte seiner Seele mit einem Blicke anhörte, der von seinem ruhigen und kalten Ausdrucke nichts verlor.

»Ich liebe Sie,« fuhr er mit dieser eindringenden und weichen Stimme fort, die früher stets Gnade gefunden hatte. »Sie wissen es, wissen es lange, womit ich Sie erzürnt habe. Was soll ich thun, um mir Ihre Gunst ein ganz klein wenig wieder zu gewinnen?«

Nie zuvor hatte sein Gesicht einen beredteren und mehr bezaubernden Ausdruck gehabt. Einen Augenblick gewahrte er in ihrem Blicke eine seltsame Wildheit, aber dieselbe verschwand wieder, während sie sich vor ihm, der sich knieend näherte und ihr seine Hände entgegenstreckte, zurückzog.

»Ich schenke Ihnen keinen Glauben,« erwiderte sie eiskalt. »Vergangenen Winter lebte ich am Hofe, und die Damen daselbst erzählten, wie verschwenderisch Sie mit schönen Versprechungen und Versicherungen wären.«

Sie schien auf Antwort zu warten, aber es erfolgte keine; er beugte unter diesem neuen Schlage sein Haupt nur tiefer.

»Reden Sie wirklich die Wahrheit?« fügte sie hinzu. »Wollen Sie thun, um was ich Sie bitte?« »O reden Sie nur,« flüsterte er leidenschaftlich, »verlangen Sie, ich will alles, alles thun, wozu ein Mann nur im Stande ist.«

»So erheben Sie sich, mein Herr, verlassen Sie mich und kommen Sie nicht öfter hierher.« Mit diesen Worten verließ sie den Altan und zog die Thüre hinter sich zu.

Eine tödtliche Blässe überzog Axels Züge; er blickte ihr nach, lauschte, sie mußte wiederkommen, es war nur eine Prüfung, ein Spiel, eine Strafe vielleicht für ein gebrochenes, er wußte selbst nicht wem abgelegtes Gelübde, aber sie kam nicht. Das Licht flackerte hinter der weißen Gardine; es ließen sich Fußtritte und ein Geräusch vernehmen, als ob eine Thür von innen verschlossen würde. Darauf verschwand das Licht, und der Altan war in Finsternis gehüllt.

Wie er aus dem Garten kam, wußte er nicht; er war noch nie der Gegenstand einer solchen eisigen Kälte gewesen; so tief hatte sie ihn vorher nicht gedemüthigt; nie zuvor war sie ihm schöner vorgekommen. Verlangen, Schmerz und Zorn kämpften in seiner Seele um die Herrschaft. Das arme Pferd mußte die Stimmung seines Reiters entgelten; er spornte es zu einem rasenden Lauf, raufte sich in den Haaren, stieß einen gräßlichen Fluch aus, und die Verzweiflung des Augenblicks war um so größer, weil er keine Möglichkeit sah, ihr ein Ende zu machen. Abzureisen, sie zu vergessen, sie aufzugeben kam ihm nicht in den Sinn.

Der Mond schien, die Drossel schlug im Erlengebüsch; die Bäume warfen lange dunkle Schlagschatten auf ihn hinab; in dem bläulichen, gleichsam wogenden Lichtmeere und bei dem starken Thau sah das Gras und Haidekraut wie eine über die Wiesen gebreitete Decke aus. Er hielt das Pferd an und starrte um sich, verwundert über die Ruhe und den Frieden, den alle Umgebungen verkündeten.

»Sie kann nicht fühlen, kann nicht zu mir emporreichen, sie begreift nichts und faßt nichts, sie ist unfruchtbar wie eine erfrorene Wiese, tobt wie ein welkes Blatt, das man zur Erinnerung bewahrt. Und dennoch, dennoch! sie kann fühlen, kann glauben und geben, wenn sie nur wollte; es stand in ihren Augen zu lesen, eine Secunde, aber nur eine einzige Secunde lang, dann wurde sie wieder zu Stein. – Es klopft in meinen Schläfen, mein Blut ist Feuer, es siedet, als sollte es mir die Brust sprengen, – ist Liebe denn Wahnwitz, oder was ist es, was ich fühle? ...« Er stieß einen durchdringenden Schrei aus, scharf und klagend wie ein verwundetes Thier; oben zwischen den Hügeln hallte er wieder, dann stieß er dem Pferde die Sporen in die Seite und ritt vorwärts durch die Nacht.

Ein polnischer Fürst hatte Peter Gyldenstjerne einen Schimmelhengst geschenkt, von dem in der Gegend viel gesprochen wurde. Er war wild und ungezähmt und in einem hölzernen Käfige über das Meer gebracht worden, was damals mit großer Mühe verbunden war. Den Tag darauf riß sich der Hengst im Stalle los und lief in die Wälder, wo er sich den größten Theil des Sommers aufhielt, ehe es gelang, ihn wieder einzufangen. Im Winter machte er sich abermals frei, und einige Tage darauf kam der Waldläufer nach dem Gute und erzählte, daß in den Lichtungen zwischen den Fichten vier erschlagene Wölfe lägen. Augenscheinlich mußte, ehe sie getödtet worden, ein harter Kampf stattgefunden haben, denn der Schnee war rings um sie her mit Blut besteckt und von Pferdehufen zusammengetreten; endlich waren die Köpfe bei allen vier Wölfen von erhaltenen Schlägen zerschmettert.

Peter Gyldenstjerne lächelte und rieb sich die Hände. »Das hat Kringe getan,« so hieß nämlich der Hengst. »Im ganzen dänischen Reiche hat das Thier nicht seines Gleichen. Könnten wir es nur dahin bringen, daß es dem Zügel gehorchte, das wäre mein höchster Wunsch.«

»Könnten wir nur Kringe erst wieder in den Stall hineinbekommen, gnädiger Herr,« entgegnete der Waldläufer. »Heute Nacht lief es mit den vieren gut ab, aber morgen kommen vielleicht acht, denn da gibt es ja eine Masse von diesen Unthieren.«

»Wir bekommen ihn meiner Treu sicherlich noch in den Stall hinein,« versetzte der reiche Peter; »gerade jetzt, wo die Winterkälte zunimmt und er im Walde nichts zu fressen findet, wird ihm bald die Lust vergehen, sich draußen umherzutreiben.«

Am nächsten Tage stand der Hengst wiehernd unten auf der Wiese; er lief nicht fort, wie er sonst pflegte, wenn sich die Leute näherten, sondern blieb stehen und schlug mit dem Schwänze und legte die Ohren friedfertig zurück, als ob er nur darauf wartete, daß sie ihn wieder ergriffen. Als sie ihn auf den Hof gebracht hatten, bemerkten sie, daß ihm die Haut auf der einen Seite des Halses zerrissen war; sonst fehlte ihm jedoch nichts. War es der Kampf mit den Wölfen oder die ausgestandene Noth im Walde, was Kringe sanfter machte, das ist schwer zu entscheiden, aber seit seiner Rückkehr war er ruhiger als sonst, fand sich willig in die Halfter, duldete sogar, daß man ihm Trense und Zügel anlegte und trabte täglich an einer Leine um die Rennbahn; sobald jedoch jemand Miene machte, ihn zu besteigen, war seine Geduld zu Ende, er schnaubte, schlug aus und erhob sich auf die Hinterbeine. Mehr vermochte man nicht zu erreichen.

Eines Tages kam Herr Enevold Skade nach Hause zurück und erzählte, daß am nächsten Mittag oben beim reichen Peter Gyldenstjerne große Gesellschaft sein würde. »Der Müller geht, um unten im Bache Lachse zu fangen und der Jäger ist seit frühster Morgenstunde auf der Vogeljagd, während reitende Boten nach allen Gütern unterwegs sind. Es wird eine wahre Pracht geben. – Ich allein bin davon ausgeschlossen; ich und auch Sie, mein theuerer Gast. – Die Geschichte mit dem Gelde half nicht sonderlich, wir warfen es für die Brücke zum Fenster hinaus. Übrigens wird von der Lustbarkeit noch lange die Rede sein; leicht möglich, daß sie besser anfängt als ein Ende nimmt.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Der verrückte Torben Steenssön ist zu Herrn Peter gekommen und hat eben mit allen Gästen gewettet, daß er morgen Nachmittag bei Untergang der Sonne Herrn Peters Schimmelhengst, ihn, den Kringe, von dem so viel Gerede ist, satteln will; darauf will er aufsteigen und die Rennbahn rings umreiten, einmal zu seiner eigenen Ehre und zweimal zu Ehren der schönen Karen. Ich möchte mir den Spaß gern mit ansehen,« fügte Enevold hinzu, »denn sicherlich kommt er, kenne ich Kringe recht, nicht mit heiler Haut davon, und wenn Torben auch ein Teufel ist, der weder Feuer noch Branntwein scheut. Einige meinen, Jungfrau Karen habe ein Auge auf ihn.«

»Und Torben will wirklich den Schimmelhengst reiten?« fragte Axel.

»Das will er, und ist es jemand im Stande, so ist er es allein, obgleich es schon allen andern übel ergangen ist.«

Axel Urne saß da und sah zum Fenster hinaus und stellte keine weitere Fragen mehr, aber am folgenden Nachmittage verließ er das Gehöft in ärmlicher schwarzer Tracht. Über dieser trug er einen langen dunklen Mantel, der keinen Schmuck seines Standes aufwies. Ein dunkler Filzhut saß ihm tief auf die Stirn gedrückt.

Das Gerücht von Torben Steensjöns Wette hatte sich verbreitet und viele Menschen bei Peter Gyldenstjerne's Reitbahn versammelt, die außerhalb des Hofes am Saume des Fichtenwaldes lag.

Kurz vor Sonnenuntergang erschienen die Herrschaften und nahmen auf einer Galerie in der einen Ecke der Rennbahn Platz, über welche eine große Decke als Schirmdach gegen die Sonne gespannt war. Ein aufmerksamer Kreis drängte sich wie gewöhnlich in Karens Nähe zusammen. Einer der jungen Herren ging auf die Bahn hinab, wo er den Dienern befahl, die größten Steine, die auf dem Kiesboden umherlagen, anzusammeln. Es war der Held des Tages, Herr Torben Steensjön, eine kleine vierschrötige Person, die, nachdem sie den Mantel abgeworfen hatte, sich in einem grünen Wammse und gelben hirschledernen Beinkleidern zeigte, die in weiße, mit zwei langen eisernen Sporen versehene Stulpstiefel gesteckt waren. Sein Gesicht verrieth einen kühnen und sorglosen Sinn; die frische und glühende Farbe desselben war vielleicht nur eine Folge des Mittagsmahles, an dem er so eben Theil genommen hatte.

Axel Urne war nach dem Walde gegangen, in dem er längst jeden Weg und Steg kannte, am besten jedoch diejenigen, welche nach Peter Gyldenstjerne's Gut führten. Am Saume desselben rieselte eine Quelle, an der er einen langen Sommertag zugebracht hatte, sinnend und harrend, ob er nicht sie, von der er träumte, zu sehen bekommen würde. Auf diesem moosbewachsenen Steine hatte er eine unberechenbare Zeit gesessen, lauschend auf das Sausen in dem Nadelwalde, während die Sonne auf dem Farrenkraut und dem feuchten Moose schimmerte und die gelblichbraunen Eidechsen zwischen demselben zum Vorschein kamen und verschwanden. Dort drüben stand eine gespaltene Eiche, hinter welcher er sich einmal, als sie lächelnd und auf die Worte ihres Begleiters hörend vorüberritt, verborgen hatte. Unten in der Lichtung hatte sie geruht, während der Diener ihren geplatzten Sattelgurt ausbesserte; damals pflückte sie Blumen, band sie zusammen und warf sie darauf wieder fort; sie verwelkten an seiner Brust.

Alle diese Erinnerungen schwebten in diesem Augenblicke wie Schatten an seiner Seele vorüber. Heute wollte er sie wieder zu sehen bekommen, ihr wieder nahe sein, und doch so unendlich fern. In seinem Seufzer und seinem Schmerze lag diesmal etwas Bitteres, etwas, das einem Vorwurfe glich. Er kam sich selbst wie ein Mann vor, der den Gebrauch aller seiner Glieder verloren hatte.

Bei der Rennbahn suchte er einen versteckten Platz unter der Menge außerhalb des Geheges; er sah Karen oben auf dem Altane und Torben unten umherspazieren. Alle Übrige fanden den jungen Edelmann in seiner Ruhe und Unerschrockenheit groß und erhaben; Axel fand ihn abstoßend, er sah nur eine angenommene Gleichgültigkeit und ein schlecht verhehltes Selbstgefühl über die Wichtigkeit, die ihm der Augenblick gab. Zuletzt fand er etwas geradezu Aufdringliches in der Dreistigkeit, mit welcher Torben unaufhörlich Karen Gyldenstjerne anblickte, und noch mehr in dem vertraulichen Lächeln, mit dem er ihr einen Gruß zuwarf.

Als alles vorbereitet war, wurde Kringe von zwei handfesten Knechten, die ihn beide am Zügel hielten, in die Bahn geführt. Der Hengst überschaute verwundert diesen Kreis von Köpfen, die ihn von allen Seiten anstarrten; seine Mähne sträubte sich und der Schaum floß ihm vom Gebiß.

Der reiche Peter war zu Torben hinabgegangen. »Das Thier macht heute böse Augen,« sagte er, »und Karen verlangt, du sollst das Wagestück, es zu reiten, unterlassen. Sie versprach dir, wenn du die Wette gewännest, den Blumenstrauß, welchen sie an ihrer Brust trägt; du sollst ihn so erhalten, ohne erst die Glücksgöttin zu versuchen.«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich darauf eingehe,« erwiderte Torben, »und selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht einmal all der Menschen wegen, die hier umherstehen und mich angaffen. Ziehen Sie sich zurück, Herr Peter, und lassen Sie mich in Gottes Namen beginnen.«

Peter Gyldenstjerne ging kopfschüttelnd auf den Altan, Torben näherte sich dem Hengste, that mit ihm schön, streichelte ihn, und Kringe wandte geduldig den Kopf nach ihm hin und scharrte im Sande. Plötzlich schwang sich Torben mit einem gewaltigen Sprunge auf den Rücken des Hengstes, während gleichzeitig die Diener die Zügel, woran sie das Thier bisher gehalten hatten, losließen, und von nun an war der Reiter sich selbst überlassen. Ein allgemeiner Beifallsschrei schallte über den ganzen Platz hin. Kringe stand einen Augenblick wie betäubt; er schien nicht recht zu fassen, was vorgegangen war, darauf erhob er den Kopf, wieherte laut auf und bäumte sich fast senkrecht in die Höhe. Torben blieb sitzen; mit Hilfe der Sporen und des Zaumes suchte er ihn vorwärts zu treiben, ohne daß es ihm gelingen wollte. Kringe machte eine Menge Seitensprünge, senkte den Kopf, fuhr dann wieder zurück, kam aber in der Bahn nicht vorwärts. Einige Minuten dauerte dieser Kampf zwischen Mensch und Thier, und es konnte kaum noch ein Zweifel aufkommen, wer von ihnen obsiegen würde. Torben hatte den Hut verloren, seine rothen Wangen wurden bleich, die Adern in seinen Schläfen waren steif und angespannt. Der Hengst schlug so heftig und so oft hinter einander nach der Seite aus, daß der Reiter über den Sattel emporglitt. Er hielt sich an der Mähne fest, aber Kringe schnaubte und senkte den Kopf, um nach den Beinen desselben zu beißen. Als Torben dadurch das Gleichgewicht verlor, wurde er durch einen neuen heftigen Seitensprung auf die Erde geschleudert, und als wollte er seiner Ohnmacht spotten, stand Kringe augenblicklich still, senkte den Hals und beroch den Gefallenen.

Die Umstehenden hatten den letzten Theil des Kampfs in tiefem athemlosem Schweigen mit angesehen und zollten Torbens Unglück große Theilnahme. Einige Augenblicke blieb er bewußtlos im Sande ausgestreckt liegen, und das Blut strömte ihm aus dem Munde, als ihn die Leute aus der Bahn trugen.

Kringe hatte sich inzwischen von einem alten weißhaarigen Knechte, dessen Wege er im Stalle anvertraut war und der allein einige Gewalt über ihn zu haben schien, fangen lassen. Er trocknete mit seiner rothen wollenen Mütze den mit Schaum bedeckten Hals des Hengstes, liebkoste ihn und sagte zu ihm:

»Ich habe es ihnen oft genug gesagt, daß du dich nicht reiten läßt. Es gibt keinen von christlichen Eltern geborenen Mann, der als Herr auf deinem Rücken sitzen kann; aber sie wollen mir ja nicht glauben.«

Nach Torbens Fall schien das Schauspiel beendet zu sein; die Menge begann bereits den Platz zu verlassen, als ein Mann mit jenem langsamen und bestimmten Gange, der einen festen Willen verräth, in die Bahn trat. Indem er den Mantel über das Geländer warf, zeigte er sich in schwarzer enganschließender Tracht, die alle den Vorzug einer ausgezeichneten Figur erkennen ließ. Mitten auf der Bahn blieb er stehen, machte Gyldenstjerne und seiner Gesellschaft eine tiefe Verneigung und ging dann auf Kringe zu. Der Mann war Axel Urne.

Die Zuschauer jubelten, alle erkannten seine Absicht, und in seiner kräftigen und gewandten Gestalt und noch mehr in seinem ernsten und bestimmten Aussehen lag etwas, das für ihn sprach.

Einige Augenblicke gingen damit hin, Kringes Sattel fester zu schnallen, und mittlerweile bat der alte Knecht Axel, von seinem Vorsatze abzustehen.

»Ich kenne ihn, gnädiger Herr, so genau wie meine Hosentasche,« versicherte der Mann; »Kringe ist von den Polen nicht um nichts und wieder nichts gekommen. Jetzt ist der böse Geist wieder in ihn gefahren, so daß ihn der Teufel in eigener Person nicht bändigen könnte.«

»Wir müssen es einmal probiren,« versetzte Axel.

Er schwang sich mit gleicher Sicherheit wie Torben in den Sattel, und der Kampf zwischen Klugheit und Instinct begann von neuem. Was sich jetzt darstellte, war ein Zeugnis dafür, wie wenig sich Kringes Widerstandsfähigkeit in dem früheren Kampfe zu erkennen gegeben hatte; als Axel im Sattel saß, schien der Hengst wie verwandelt. Die Mähne sträubte sich, er peitschte die Seiten mit seinem langen Schwanze, eine Dampfwolke fuhr in einem langen Strome aus seinen blaßrothen schnaubenden Nüstern, Zähne und Hufe, Sprünge und Sätze wurden aufgeboten, alles Wilde und Unbändige in seiner Natur kam zum Ausbruch, aber alles vergebens. Axel schien mit dem Rücken des Thieres nur ein Ganzes zu bilden, seine Augen strahlten, seine Lippen waren zusammengepreßt, seine Stirn gefaltet, seine Schönheit hatte vielleicht nie ein männlicheres und mehr bezauberndes Gepräge gehabt. Die Zuschauer drängten sich in der Nähe der Stelle, auf der der Kampf vor sich ging, zusammen, aber sie bekamen nur einen undeutlichen Begriff von demselben. Alles war in eine Wolke von Staub und aufgepeitschtem Sande eingehüllt, in der sich eine dunkle, wogende und unerkennbare Masse hob und senkte, nach der Seite drängte und verschwand und von wo Schreien und Schnauben, wie Ausdrücke von Wuth oder Schmerz, herübertönten.

Aus dieser Staubwolke kam plötzlich ein Reiter mit vollkommener Gewalt über das Pferd hervor; Kringe schien wie verwandelt, er bewegte sich im Schritte ängstlich und unsicher vorwärts, allein ein kurzes und laut vernehmliches Schnauben verrieth seine erhitzte Stimmung. Die Sache war die, daß ihm Axel während des Kampfes seine Schärpe um den Kopf gewunden und dadurch auf beiden Augen geblendet hatte. Kringe war jetzt Axel völlig gehorsam und ging, wohin ihn derselbe führte.

Die Zuschauer heulten und riefen ihm Beifall zu, als er mitten über den Platz auf Gyldenstjerne's Tribüne zu ritt. Hier machte er einen Augenblick Halt und grüßte. Dreimal ritt er rings um den Platz. Als er sein Glück von neuem versuchen wollte, blieb das Pferd plötzlich stehen, bäumte sich, drückte den Kopf an sich und beugte ihn zu den Vorderfüßen hinab, um die Binde abzureißen. Als der Versuch mißglückte, stieß es einen rasenden Schrei aus und warf sich in den Sand, indem es Axel mit sich zog und sich über ihn fortwälzte. Dieser hatte den Zügel losgelassen, war aber nicht im Stande gewesen, sich rechtzeitig aus dem Sattel zu schwingen. Er fiel und blieb regungslos im Sande ausgestreckt liegen, während der Hengst wieder aufsprang und wiehernd über die Bahn lief.

Von allen Seiten strömten Leute nach der Stelle hin, wo der Gefallene lag, stürmten über Geländer und Einfriedigung und bildeten einen dichten Kreis um Axel, der mit geflossenen Augen leichenblaß da lag und mit den Händen im Sande krampfhaft umherfaßte. Sie nahmen die Thür des Geländers und legten ihn darauf. Bei dieser Bewegung schien er zu erwachen und schlug die Augen auf. Als er unter den Zuschauern Herrn Peter wahrnahm, winkte er ihn zu sich und versuchte den Kopf in die Höhe zu heben.

»Die Blume! – die Blume! Ihre Blumen!« sagte er kaum hörbar. »Sie versprachen sie für einen dreimaligen Rundritt um die Bahn. – Bin ich nicht die verlangten drei Mal herumgeritten?«

Karen Gyldenstjerne stand an ihres Vaters Seite und hatte beide Hände um seinen Arm gelegt; sie sah in diesem Augenblicke fast eben so bleich wie er aus, der vor ihres Vaters Füßen lag, bewußtlos, mit keuchender Brust, während ihm das feuchte verwirrte Haar auf die Stirn hinabhing, die sich in einer tiefen Falte um die Augen zusammenzog. Indem er den Kopf erhob, trat sie einen Schritt auf ihn zu, als wollte sie etwas sagen, bedachte sich jedoch wieder und reichte ihrem stillschweigenden Vater den Strauß, den sie an ihrem Gürtel trug. Als Axel die Blumen erhielt, lächelte er und drückte sie mit beiden Händen fest an sich; darauf schloß er von neuem die Augen und schien keinen Begriff davon zu haben, daß ihn die Schaar nach Heim Enevolds Gehöft brachte. Es verliefen viele Tage, in welchen Herr Axel Urne nichts von sich selbst zu sagen wußte. Er lag lange in einem tiefen Schlafe, schlug darauf die Augen auf und griff mit der einen Hand nach dem Kopf, als ob ihm derselbe wehe thäte; die andere Hand war in einen großen Verband eingewickelt, welcher ihm jede Bewegung unmöglich machte. Sein Erwachen begann mit heftigen Fieberanfällen; seine Augen blickten wild und starr und auf seiner Stirn perlten Schweißtropfen; er sprach mit sich selbst, stöhnte und streckte wie abwehrend die Hand gegen die Phantasiebilder aus, die sich ihm aufdrängten. Er hörte flüsternde Stimmen, die lachten und spotteten; bleiche Schatten abgeschiedener Geister bekamen plötzlich neues Leben und mahnten an eine Vergangenheit, die ein sorgloser Leichtsinn lange in Vergessenheit gehüllt hatte. Die Ratten hatten in die Tapete gerade über seinem Bette ein Loch genagt. Dieses dunkele Loch wurde ihm zu einem Auge, zu einem Kopfe, zu einer weiblichen Gestalt, der er fort und fort einen anderen Namen gab und die sich über ihn neigte und ihn in ihre Arme drückte. Ein Sonnenstrahl fiel durch einen kleinen Riß in der hinabgelassenen Gardine und ließ ihn in dem wechselnden und schwindenden Lichte, das er über die Wand warf, eine Menge Figuren sehen. Eine Spinne spann von der Decke hinab ihr Netz, sie kam und verschwand wieder und breitete täglich ein größeres Gewebe über das Bett. Alles, was ihn in demselben umgab, nahm phantastische Gestalten an, sprach, drohte und arbeitete in seinem rastlos thätigen Gehirn. Wenn es Abend wurde, zirpten die Grillen in einer Spalte der Mauer; darauf horchte er und führte inzwischen lange Gespräche mit sich selbst, durch welche er, ohne es zu ahnen, die Umstehenden in das Geheimnis einweihte, das er bisher mit so großer Sorgfalt verhehlt hatte.

Enevold Skade übertraf sich selbst in der Pflege seines lieben Gastes; er bot alles auf und wachte persönlich bei ihm. Als sich Axel auf dem Wege der Besserung befand, blies er ihm Stücke auf der Flöte vor und empfing nicht nur täglich Peter Gyldenstjerne's Besuch, sondern aß auch mit größter Gewissenhaftigkeit alle die ausgesuchten Krankenspeisen auf, die der alte Edelmann um Erlaubnis gebeten hatte, senden zu dürfen.

Eines Abends erwachte Axel, als noch die Sonne zu seinem Kammerfenster hineinschien. Er war allein, sein Kopf tat ihm nicht mehr weh. Nach einigen mißlungenen Versuchen erhob er sich aus dem Bette, zog seine Kleider an, schwankte nach dem Fenster und öffnete es. Sein erster Blick fiel auf das Gut des reichen Herrn Peter, das ihm in der klaren Abendluft naher gerückt schien.

Die Kirchenglocke läutete zum Abendgebete, die Kühe brüllten, wahrend die Hirten sie zu den Milchmädchen in den Pferch trieben. Die Schwalben zwitscherten. Es muß wohl der Preis der Sonne sein, den das Vögelchen singt, denn es schweigt, sobald das Licht verschwindet. Alles, was er sah, trat mit einer Schwermuth erweckenden Lieblichkeit an ihn heran; an diesem Frieden hatte er keinen Theil, in dieser Harmonie und Schönheit war er der einzige, der litt, und das Unglück war gerade, daß er zu kämpfen, aber nicht zu leiden verstand.

»Ich habe viel Zeit vor der Thür jenes Gutes verloren,« flüsterte er; »wie glücklich hätte ich nicht in derselben sein können!«

Es war der letzte Seufzer seiner dahinschwindenden Eitelkeit, den er hier ausstieß, indem er das Wamms über sich warf und das Zimmer verließ.

Draußen auf dem Gange hörte er Gelächter und eine heisere Baßstimme, die mehrmals dieselben Worte wiederholte:

»Predbjörn ging hin zu des Krämers Bud'
Und fragte: Ist Meth und Wein heut' gut?
Dann lege ich mich auf den Söller
Und trink' und trink immer töller
Bei der Sonn' wie beim Mond und den hellen Sternen.«

Ein Lichtstrahl fiel aus dem Zimmer über den Gang, Axel öffnete die Thür und sah Herrn Enevold in Hemdärmeln vor einem Tische, auf dessen einer Seite einige geleerte Schüsseln und Teller von einer beendeten Mahlzeit zeugten, während daß Wappen ans jedem Geschirr Herrn Peter Gyldenstjerne als Eigenthümer bezeichnete. Auf der anderen Seite des Tisches lag ein Spiel schmutziger Karten ausgebreitet, und vor diesen saß oder richtiger lag ein beleibter Mann mit hellem struppigem Haar und stützte beide Hände auf eine Weinkanne, die auf dem Tische stand. Es war der Sänger, der bei Axels Erscheinen plötzlich schwieg und die Karten an sich raffte.

»Hier sehen Sie meinen Verwalter Klemmen,« sagte Enevold; »wir sitzen hier und schließen die Rechnungen über die Bewirthschaftung des Gutes von der vorigen Woche ab.«

Klemmen brach in ein schallendes Gelächter aus, richtete sich vom Stuhle empor, fiel aber sofort wieder zurück. »Solch verlogener Schelm!« rief er, »sollen hier sitzen und Rechnungen abschließen! – Glaube das ja nicht! Wir haben seit Mittag hier gesessen und gezecht und uns des reichen Peters Essen schmecken lassen, und jetzt machten wir ein kleines Spielchen, aber ich spiele nicht mehr mit Enevold, denn er prellt mich, und wenn du es noch einmal probirst, dann schlage ich dir die Knochen entzwei, ja, das thue ich, denn ich habe zwei tüchtige haarige Fäuste. – Ich will eine silberne Uhr zum Geschenk haben.«

Enevold warf einen verlegenen Blick zu Axel hinüber; er schämte sich offenbar, in einer so schlechten Gesellschaft angetroffen zu sein.

»Du hast sicherlich ein wenig zu viel getrunken, mein lieber Klemmen,« bemerkte er mit seiner sanftesten und einschmeichelndsten Stimme; »jetzt thätest du am besten, in dein Bett zu gehen, denn morgen müssen wir zeitig auf.«

»Ei sieh, jetzt soll ich also in das Bett gesteckt werden, jetzt bin ich nicht mehr gut genug dazu hier zu sitzen und zu trinken; aber der Teufel soll lebendig in dich fahren, wenn ich mich vom Flecke rühre, so lange noch ein Tropfen in der Kanne ist. So viel will ich Ihnen nur kund und zu wissen thun, daß ich nie mehr in die Kirche gehe, und wenn es schneit, dann will ich hinaus und jagen. – Nein, so ein Hasenfuß, der um den Leib zusammengepreßt ist wie eine Spinne, der will Kringe reiten und läßt sich von ihm wie ein Klotz auf die Erde schleudern und liegt dann da und heult und winselt, weil des reichen Herrn Peters Tochter nichts von ihm wissen will! – Hole mir meine Reitpeitsche, ich will auf den Markt und die Mädchen küssen, – ja wahrhaftig, er wird von der schönen Jungfrau gerade eben so viel bekommen wie von den köstlichen Speisen, die ihm Herr Peter herübergeschickt hat. Enevold und ich essen sie immer. – Während er im Bette da liegt und Unsinn schwatzt und nach Karen im weißen Kleide und nach Elvads Tochter Marie mit den Armspangen ruft, reitet Herr Tyge Krabbe auf das Gut und verlobt sich mit dem Kinde des reichen Peter Gyldenstjerne. Morgen kommt Seine Gnaden der König zu Besuch, dann gibt es einen Schmaus ohne Gleichen. Deshalb schießen sie Wild und fangen Birkhühner und fischen im See nach Lachsen, aber ich will mit dabei sein, und trinken und trinken, bis mir die Augen aus dem Kopfe stehen, denn ich will kreuzlustig sein und eine silberne Uhr zum Geschenk bekommen.«

Enevold hatte wiederholentlich den Versuch gemacht, Klemmens Erzählung zu unterbrechen. So oft er sich näherte, schob der Trunkenbold ihn zurück und fuhr fort zu erzählen. Als er Peter Gyldenstjerne's Namen nannte, legte ihm Axel die Hand auf die Schulter.

»Nun ist's genug mit dem Geschwätz! Achtung vor dem hohen Adel, von dem du redest. Was ist an der Geschichte, von der dieser Mensch erzählt, von Tyge Krabbe und Jungfrau Karen?«

»Es wird allerdings von ihrer Verlobung gesprochen,« erwiderte Enevold ausweichend; »aber wer kann dergleichen Glauben schenken! In dem Gerede haben außer ihnen schon viele gestanden, und niemand weiß etwas Gewisses.«

»Nichts Gewisses?« rief Klemmen und schlug auf den Tisch und zog das kleine Talglicht, welches die Stube erhellte, dicht vor sich hin, so daß Axel jeden Zug in seinem fetten glänzenden Gesicht mit den langen braunen Zähnen sehen konnte, die, sobald er den Mund öffnete, sichtbar wurden. »Es kann schon sein, daß so ein heruntergekommener Taugenichts wie du nichts Gewisses darüber weiß, aber ich kenne Herrn Krabbe's Diener, er trägt einen silbernen Knopf an seiner Mütze. Nun, der kam gestern hier vorüber und guckte grinsend in mein Zimmer – nicht eine einzige ganze Scheibe im Fensterrahmen, kein Glas, sondern das Holzwerk mit Schweineblasen überklebt, das ist nicht einmal zu einer Hundehütte für den alten Karo gut genug, sagte er wegwerfend. Ja, das ist ein Diener, der liest alle Romane wie der beste Magister und bekommt Wort für Wort heraus. – Ich will eine rothe Rübe und einen Salzhäring haben, ich will eine rothe Rübe haben,« sang er plötzlich. »Der erzählte mir, daß jetzt, nämlich wie morgen Abend, Jungfrau Karen und Junker Tyge sich in Gegenwart ihrer adeligen Sippe und Verwandtschaft verloben werden, und das ist so wahr, wie die Sterne am Himmel stehen. – Ich will haben eine rothe Rübe, ich will haben eine rothe Rübe.«

Axel stand mit geschlossenen Augen gegen die Wand gesunken da. «Hilf mir in mein Bett,» sagte er, »ich kann hier in der Stube vor Rauch und Qualm nicht Athem holen.« Enevold faßte ihn unter den Arm. Klemmen machte einen Versuch, ihm zu Hilfe zu kommen, sank aber wieder in den Stuhl zurück.

Als Axel in seinem Zimmer wieder allein war, hörte er die Baßstimme des Verwalters aufs neue von Predbjörn singen, der nach des Krämers Bude ging. Der Gesang wurde noch oftmals bis tief in die Nacht hinein angestimmt, ein Beweis dafür, daß die beiden Freunde noch immer die Rechnungen abschlossen.

Am folgenden Tage war die ganze Gegend in Bewegung. Das nur spärlich bevölkerte Land sah plötzlich eine Menge fremder Menschen erscheinen, die alle das gleiche Ziel hatten und nach dem Gute Peter Gyldenstjerne's hinaufzogen. Von allen Richtungen her kamen sie angeritten oder angegangen, indem sie einander an den Händen hielten, eine Blume im Munde und einen Proviantbeutel über dem Rücken. – Um des Königs willen war das Land diesen Tag in Bewegung; deshalb sammelte man mit solcher Sorgfalt die Steine von der großen Heerstraße, ebnete die Löcher und Geleise mit den Stengeln des Haidekrautes und streute Tannenzweige und Buchenlaub auf den Weg. Vor der Allee, die nach Herrn Peters Gute hinaufführte, war eine große Ehrenpforte von Eichenlaub und gemaltem Papier, welches Blumen vorstellte, errichtet; durch diese sollte der König reiten. Das Gut wimmelte von fremden Edelleuten, die Herr Peter von nah und fern zu Gaste geladen hatte. Jeder entfaltete die größtmögliche Pracht, wallende Federn, flandrisches Tuch, venetianischer Atlas, utrechter Sammet, florentinische Gold- und Silberborten strahlten überall. Als dunkle Wolken in diesem Sonnenschein zeigten sich hier und da einige ältere und ernste Gestalten, Landedelleute in blauangelaufenen und blankpolirten eisernen Rüstungen, deren Harnische bei jedem Schritte rasselten. Diese alten Herren, deren Tracht längst aus der Mode gekommen war, schienen aus ihren Gräbern wieder auferstanden zu sein.

Die Sonne schien, die Luft war blau, die Krähen flogen in großen Kreisen über dem Walde. Es wurde Mittag, und der König war noch nicht gekommen; der Abend war nicht mehr fern, und noch immer schwieg die Kirchenglocke, die ihn anmelden sollte. Enevold Skade ging mehrmals zu Axel hinein und fand ihn jedes Mal schlafend. Gegen Abend zog er sein Staatsgewand an, steckte eine neue Straußfeder auf seinen Hut und ging hin und horchte an der Thür des Krankenzimmers. Axel schien noch immer zu schlafen,

»Der gestrige Auftritt hat ihn sehr ermüdet,« flüsterte Enevold Klemmen zu.

»Ja, daß er uns dasitzen und zechen sah,« versetzte der Verwalter, der in seinem neuen Wammse, in den gewichsten Reitstiefeln und mit einem reinen weißen Hemdenkragen, der über die Schultern hinabfiel, kaum wiederzuerkennen war.

Darauf stiegen sie beide zu Pferde und ritten zum Hofe hinaus. Sobald Axel hörte, wie sich die Thür hinter ihnen schloß, erhob er sich, lauschte und verließ das Bett. Er kleidete sich eilig an, wählte ein Kleidungsstück, verwarf es wieder und sandte ab und zu einen finstern und sprechenden Blick nach dem rothen Gutsschlosse hinüber, wo der Rauch aus allen Schornsteinen in die klare Abendluft emporstieg. Als er fertig war, hüllte er sich in einen grauen Mantel, verließ still und lautlos das Zimmer und kam ohne bemerkt zu werden aus dem Gehöft.

Kurz darauf vernahm man aus weiter Ferne das Läuten einer Kirchenglocke, eine andere antwortete ihr, und die Reiter, welche auf den nächsten Anhöhen des hallander Bergrückens aufgestellt waren, um Ausschau über die Gegend zu halten, jagten in gestrecktem Galopp nach Herrn Peters Gut zurück.

»Er kommt!« riefen sie und schwenkten die Mützen. »Er ist schon unten bei der sveiner Brücke; jetzt kommt er gleich den bjergelöver Bergrücken heraufgeritten.« Und das Volk drängte sich näher an den Weg heran, ohne sich an die Stöcke der Vögte zu kehren, jubelte und prügelte sich um einen bessern Platz, und dann erhob sich aus dieser dicht zusammengedrängten Schaar ein Summen und Brausen, wie ferner Wellenschlag des Meeres an die Küste. Diesmal war der König nicht blos der erste Mann des Landes, nein, er war auch eine Gottheit, die hinriß und blendete, wenn er aus seiner Wolle heraustrat und sich herabließ, der Menge sichtbar zu werden.

Einige Stunden später war das Bild verwandelt; es war Abend geworden, der Nebel stieg aus Sümpfen und Wiesen empor und legte sich wie eine graue Decke über die Baumgipfel. Schwärme wilder Enten zogen über die Gegend fort und die Frösche quakten im Schilfe. König Christian hatte, von Gyldenstjerne und seinen Gästen vor der Ehrenpforte empfangen, seinen Einzug gehalten, das Volk hatte ihm zugejubelt, kleine weißgekleidete Mädchen Blumen auf den Weg gestreut, die Majestät hatte einen gegrüßt, war vor einem andern stehen geblieben, hatte einem dritten die Hand gereicht, kurz gesagt, alle bezaubert. Nun hallte das Schloß von Lust und Leben und dem frischen Lachen junger Mädchen wieder. Licht und Strahlen und Wohlgeruch strömten bis zu dem unten stehenden Volke hinab, das mit tiefer Andacht diesen auserwählten Kreis betrachtete und einander an den Arm stieß, wenn ein bauschiges Seidenkleid oben auf dem Altane rauschte oder sich ein blumengeschmückter Kopf blicken ließ, um frische Luft an den offenstehenden Fenstern zu schöpfen.

Unten vor der Treppe lauschte das Volk auf den Verwalter Klemmen, welcher jedem, der es hören wollte, erzählte, der reiche Herr Peter hätte ihm befohlen, sich Schlag acht Uhr auf dem Hofe einzufinden, damit er in die Zahl der Fackelträger eingereiht werden könnte, welche dem Könige nach dem Schlafzimmer leuchten sollten. Als er diese Erzählung eben zum zehnten Male vorgetragen hatte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter und ein Kopf beugte sich zu dem seinigen herüber und flüsterte:

»Komm ein wenig zu mir her, ich will mit dir plaudern.«

Klemmen wandte sich um und sah einen Mann in einem grauen Mantel, den Hut tief über die Stirn hinabgedrückt. Es war zu finster, um seine Züge zu erkennen, aber er folgte ihm nach einem der Seitengebäude hinüber, wo das Gedränge weniger groß war.

»Du bist der Verwalter Klemmen,« sagte der Mann und zeigte, indem er den Hut zurückschob, Axel Urnes Züge, »du bist derselbe, der mich in Gemeinschaft mit Enevold Skade betrügt, derselbe, der nach dem, was du gestern Abend erzählt hast, nach einer silbernen Uhr Verlangen hat. Leihe mir deinen Mantel und deinen Hut, laß mich an deiner Stelle als Fackelträger mitgehen, und ich will morgen deine rothen Fäuste mit Silbergeld füllen.«

Klemmen bedachte sich, machte Einwendungen und sprach etwas von der großen Ehre, um die er käme, während Axel ihm eine immer größere Belohnung versprach. Darauf tauschten sie Mäntel und Hüte aus und der Edelmann ging die Treppen zum Hauptgebäude hinauf. Hier gab ihm der Haushofmeister eine Fackel und wies ihn in den Gang hinein.

Er drängte sich nach und nach von Zimmer zu Zimmer, langsam und vorsichtig, ohne daß jemand auf ihn Acht gab; endlich machte er vor dem kleinen Zimmer Halt, welches auf den Altan hinausführte, wo er vorher schon einmal Karen Gyldenstjerne gesehen hatte. Die Thüre war nur angelehnt; er hatte sich nicht geirrt, jeder Liebende hat einen unbegreiflichen Instinct, der ihn stets auf die rechte Spur führt, um die zu finden, welche er sucht. Karen stand mit gefalteten Händen am Fenster und blickte zu dem sternhellen Himmel empor; sie war sehr bleich und schien müde oder leidend zu sein. Plötzlich wandte sie sich nach der Thüre um; sie hatte die gedämpften und zögernden Schritte vernommen, die sich von draußen der Thür näherten. Axel stand, gegen den Thürpfosten gelehnt, vor ihr. Er streckte die Hand vor und sagte mit leiser und bebender Stimme:

»Ich bitte Sie, fragen Sie nicht, wer ich bin und was ich will; ich habe nur wenige Worte zu sagen, dann gehe ich und komme nicht öfter.« Karen trat ihm einen Schritt näher; sie stutzte, als sie die Veränderung sah, die mit ihm vorgegangen war. Sein mageres und bleiches Gesicht, die hohlen eingefallenen Wangen, selbst das Bebende und Unsichre in der Stimme verriethen, was er gelitten hatte.

»Sprechen Sie denn,« entgegnete sie mit größerer Freundlichkeit, als ihm früher je von ihr zu Theil geworden war. »Was können Sie mir zu sagen haben?« fügte sie hinzu, während sich ihre großen schwermüthigen Augen fest und unverwandt auf ihn hefteten.

»Ich wollte gern wissen, ob es wahr ist, was man sich erzählt, daß Sie sich heute Abend mit Tyge Krabbe verloben?«

»Und wenn es der Fall ist, was dann?«

Sein Haupt neigte sich auf die Brust, während er einen Augenblick in Schmerz versenkt dastand, aber er erhob es wieder, strich das Haar aus der Stirn zurück und rief: »Was dann? Nichts anderes, als daß ich dann den Becher, den Sie mir reichten, bis auf den Grund geleert habe. Ich glaubte den Sieg erringen zu können; deshalb habe ich gekämpft, gestrebt, danach mich Tage und Nächte gesehnt, ich glaubte, es wäre unmöglich, einem so glühenden und innigen Gefühle gegenüber, wie das meinige ist, kalt zu bleiben. Ich habe auf diesen Würfel mein Leben gesetzt und – ich habe verloren.«

»Was wollen Sie so viel auf das Spiel setzen?« fragte sie. »Es kam ja doch nur darauf an, die früheren Eroberungen um eine neue zu vermehren.«

»Im Winter, als ich Sie zum ersten Male sah, – ja!« erwiderte er freimüthig, ohne seinen Blick von den forschenden Augen abzuwenden, womit sie in seiner Seele zu lesen schien, »aber seitdem, seitdem hat sich alles geändert. Meine Triumphe,« fuhr er fort und zuckte die Achseln, »ich entsinne mich keiner; die Vergangenheit ist vergessen, es gibt in ihr nichts, was der Erinnerung werth ist. Die Zukunft, die Hoffnung, das Glück, alles, was in meinen Augen als das einzige würdige Ziel meines Lebens galt, das waren Sie. – Sie verloben sich mit Tyge. – Ich frage nicht mehr nach der Gleichgiltigkeit, die Sie mir stets bewiesen; sie ist das Recht eines Weibes dem gegenüber, der ihr nicht gefällt. Nie habe ich jedoch ergründen können, weshalb Sie mir, so oft wir uns trafen, diese tiefe Geringschätzung bezeigten. Es muß ein Räthsel in meinem Leben sein, das ich nicht zu lösen vermag. Ist mein Wappenschild nicht so blank wie das Ihrige? Ist meine Familie nicht tapfer und ehrenwerth? Doch mag es darum sein! – Sie verloben sich und fragen: was dann? – Das will ich Ihnen sagen: Erst warte ich, bis es geschehen ist, und wenn das Licht gelöscht und die Thür geschlossen ist, dann gehe ich hin und lasse mich todt schlagen. Ach, seien Sie unbesorgt, das geschieht nicht hier, nicht in Ihrer Gegenwart, die Leute sollen keinen Grund haben, Ihren Namen mit dem meinen zu verbinden. Man schlägt sich ja unten in Deutschland, da gibt es Platz für viele Gräber. Außer Ihnen gibt es nichts, was mich hienieden zurückhalten könnte. Eine Leidenschaft wie die meinige ist groß genug, um davon zu leben, zuweilen stirbt man jedoch auch an ihr. Leben Sie wohl! Der Herr lasse sein Angesicht über Ihnen leuchten!«

Er nahm seine Fackel und ging, Karen hielt ihn nicht zurück, mit geschlossenen Augen stand sie da und sank gegen die Wand zurück, als Axel gegangen war. Die eine Hand preßte sie gegen ihre Brust, als ob ihr dieselbe wehe thäte. Es kostete ihr Anstrengung, Athem zu schöpfen.

Als Axel auf den Gang hinauskam, rief ihn der Haushofmeister zu den übrigen Fackelträgern hin und ließ sie sich in zwei Reihen von dem Speisesaale bis zu des Königs Schlafgemächern aufstellen.

Kurz darauf ging Börge Trolle, der sich mit in dem Gefolge befand, den Gang entlang. Axel wandte, um nicht bemerkt zu werden, den Kopf zur Seite, aber Börge hatte ihn bereits gesehen. Mit einem Ausrufe blieb er vor ihm stehen und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Geh' deiner Wege und verrathe mich nicht!« flüsterte Axel.

Börge stand einen Augenblick, als ob er sich bedächte, und schüttelte den Kopf. »Sie tanzt nicht!« sagte er mit gedämpfter Stimme und ging in den Saal hinein.

Es wurde spät, ehe König Christian diesen Abend das Zeichen zum Aufbruch gab. Peter Gyldenstjerne begleitete ihn nach seinen Gemächern. Hier wartete Karen nach damaliger Sitte mit dem Nachttrunk, einem Becher warmen und gewürzten Weines.

»Das ist also Ihre schöne Tochter,« sagte der König, »die Jungfrau, deren Schönheit und Anmuth alle unsere Cavaliere preisen, und deren Anblick Sie uns leider entziehen, da Sie sie vom Hofe fern halten.«

Der alte Peter Gyldenstjerne lächelte und seufzte zu gleicher Zeit. »Es ist meine Tochter,« entgegnete er, »und zugleich mein einziges Kind. Ich sollte in der Gegenwart Ew. Majestät nicht davon reden, aber sie hat mir an diesem glücklichen Tage großen Kummer bereitet und heute Abend einen ehrbaren und rechtschaffenen Freier, mit dem ich sie verloben wollte, abgewiesen.«

»Wer war das?«

»Ein Vasall Ew. Majestät, Herr Tyge Krabbe, der Jüngere.«

»Tod Gottes!« sagte der König, »das war übel gethan; ich setze auf Herrn Tyge großen Werth; er ist ein tapferer und muthiger Edelmann. Was haben Sie gegen ihn? Das müssen Sie mir noch heute Abend erklären, vielleicht läßt sich die Sache wieder in Ordnung bringen.« Der König redete laut, wie es seine Gewohnheit war, sobald er heftig wurde. Die Thür nach dem Gange stand offen; die Zunächststehenden konnten hören, was gesagt wurde.

»In diesem Falle,« erwiderte Karen, »wollen wir hineingehen, wenn es Ew. Majestät gefällig ist. Du, Fackelträger, dort, komm her und leuchte uns.«

Ein Mann ging mit der Fackel voran, und als sie in das nächste Zimmer kamen, schloß Karen die Thür.

»Jetzt ein ehrliches und aufrichtiges Bekenntnis,« sagte der König, »ich will genau wissen, weshalb eine Jungfrau, wie Sie, einen Herrn von guter adeliger Geburt, dem sein König wohl gewogen ist, verwirft.«

»Ich liebe Herrn Tyge Krabbe nicht,« entgegnete Karen freimüthig.

»Also nicht,« sagte der König, »aber ich liebe dafür Kinder, die dem Willen ihrer Eltern gehorchen, zumal wenn sie ihnen zum Guten rathen. Ist er Ihnen nicht hübsch genug, meine Schöne, nicht reich genug, nicht mächtig genug? – Letzterem kann ich abhelfen. – Kommen Sie mit Ihrem Grunde hervor, wenn Sie überhaupt einen haben.«

»Wenn er der schönste, der reichste, der mächtigste Mann in allen Landen Ew. Majestät wäre, würde ich mich doch nicht mit ihm verloben,« versetzte Karen. »Fragen Sie nicht weiter, Herr König, Ihr Nachttrunk wird kalt, erlauben Sie mir zu gehen, die Sache läßt sich nicht ändern.«

König Christian ergriff ihre Hand; er fühlte sie in der seinigen beben. Sie war bleich geworden, aber es lag eine Kälte und Bestimmtheit in ihrem Wesen, die des Königs scharfe und durchdringende Augen nicht zu besiegen im Stande waren.

»Unter der Sache steckt etwas anderes, als Sie gestehen wollen,« sagte er, »mich täuscht man nicht. Jetzt fragt der König: Weshalb können Sie sich nicht mit Tyge Krabbe verloben?«

Karen schwieg einen Augenblick. Der König stampfte auf den Boden. »Aber so reden Sie doch, Kind, antworten Sie!«

Da erhob Karen ihr Haupt und antwortete: »Ich bin eine entehrte Frau.« König Christian ließ ihre Hand los und trat einen Schritt zurück. Herr Peter stieß einen wehklagenden Schrei aus, und in der Ecke des Zimmers, in welcher der Fackelträger stand, hörte man einen tiefen Seufzer. Das geschmolzene Wachs tröpfelte auf seine Hand, ohne daß er es merkte. Niemand gab auf ihn Acht.

»Eine entehrte Frau,« wiederholte der König, »Sie! – Es ist unmöglich.«

»Sie redet irr!« rief Herr Peter Gyldenstjerne, »achten Ew. Majestät nicht auf das, was die Unglückliche sagt.«

Der König legte seine Hand auf ihre Schulter. »Sprich, mein Kind, erkläre dich, vertraue dich mir an.«

»Ich habe in eines Mannes Arm geruht,« antwortete Karen, »wenn auch wider meinen Willen; ich habe gefühlt, wie sich die glühenden Lippen eines Mannes auf die meinigen drückten, zwar wider meinen Willen; aber es ist doch geschehen.«

»Wer, wann, wo?« rief der König. »Schaue ich in deine reinen unschuldigen Augen, halte ich es für unmöglich. Erkläre dich!«

»Nein, ich bitte um Vergebung, den Rest mögen Ew. Majestät erklären, wenn Sie sich dieses Schmuckes erinnern.« Mit diesen Worten legte sie eine goldene Halskette auf den Tisch vor dem Könige.

»Was sehe ich?« sagte König Christian, indem er mit tiefem Staunen bald Karen, bald die Kette anblickte. »Es ist die meinige, ich habe sie verloren, Gott mag wissen wo. Von wem haben Sie dieselbe erhalten?«

»Von dem Goldschmied Jörgen Kaalfing. Seine Frau ist meine Amme gewesen; ich besuchte sie eines Abends, und sie baten mich über Nacht zu bleiben. Als wir uns zur Ruhe begeben wollten, kam eine Schaar halbbetrunkener Herren die Straße entlang gestürmt, drang durch Thüre und Fenster hinein, schlug den alten Goldschmied, löschte die Lichter aus und verfolgte die sich flüchtenden jungen Mädchen durch alle Gemächer. Tages darauf fand Jörgen Kaalfing diesen Schmuck.«

»Wer waren diese Herren?« fragte der König.

»Ich kannte sie nicht!«

»Keinen von ihnen?«

»Keinen von ihnen,« wiederholte sie kalt und warf ihr Haupt zurück, während ihr Blick nach wie vor unverwandt auf dem Könige ruhte, der sich auf eine Antwort zu besinnen schien. Er bekam keine Gelegenheit sie zu geben. Von der Thür sah er den Fackelträger zwei Schritt vortreten und darauf niederknien, indem er sagte:

»Ich kenne einen von ihnen, es war ein Mann, der, von der Schönheit eines jungen Mädchens berauscht, überwältigt, hingerissen, zu ihren Bitten lachte und ihren Schrei erstickte. Ein Weib lag an seiner Brust, von seinen Armen umschlossen, und doch waren sie meilenweit von einander getrennt. Welche Reue dieser Mann seither empfunden, davon können Sie, Jungfrau, gewiß etwas erzählen. Tage und Monate hat er damit zugebracht, das Verbrechen eines Augenblicks zu sühnen; das Unglück ist über ihn gekommen, er ist mit dem, woran er sündigte, gestraft worden; er hat gefleht, ohne erhört zu werden, gekämpft, ohne den Sieg zu erringen; er geht jetzt hin, um zu sterben, wenn es ihm nicht gelingt, Verzeihung zu erhalten. – Bitten Sie für mich, mein gnädiger Herr und König, geruhen Sie, mich zu erkennen; ich bin Axel Urne, Ihr getreuer und ergebener Diener; bitten Sie für mich, lieber Herr Peter Guldenstjerne, fragen Sie Ihre Tochter, ob sie meine Gattin vor Gott und Menschen sein will, dann sollen alle meine übrigen Tage meines Lebens nur dem Zwecke geweiht sein, wieder gut zu machen, was ich gegen sie verbrochen habe.«

Jede dieser Äußerungen wurde mit einer weichen, furchtsamen und bebenden Stimme gesagt, die etwas Rührendes an sich hatte. Axel Urne lag knieend zu Karens Füßen; sie brach in Thränen aus und beugte sich zu ihm hernieder, indem sie ihre gefalteten Hände auf seine Schulter legte.

»Sie sind der einzige in der ganzen Welt, der das Recht hat, eine solche Sprache zu führen,« flüsterte sie. »Hier ist meine Hand, mein Herz hat Ihnen, schon lange ehe Sie darum baten, gehört. Hier, nehmen Sie meine beiden Hände, da es einmal Ihr Wunsch ist. Gott möge es zum Besten ausfallen lassen!,«

Mit einem jubelnden Schrei sprang Axel Urne in die Höhe; er schlang seine Arme um Karen und drückte sie an seine Brust. »Ist es denn wahr? Ist es denn wahr? Soll mir denn wirklich noch Heil und Gnade aufgehen? Soll ich nicht mehr leiden?,«

»Ich glaube, wir sind unserer zwei beim Leiden gewesen,« erwiderte sie.

Um folgenden Tage wurde Karen Gyldenstjerne mit Axel Urne verlobt. König Christian hatte alle Bedenklichkeiten bei dem alten Herrn Peter gehoben. Axel war vor Entzücken außer sich, sein bleiches Gesicht strahlte von Glück, Er trug an diesem Tage die Tracht eines Hofmannes, geschmückt mit Bändern und Schleifen. Als er die Glückwünsche der Anwesenden entgegengenommen hatte, ging er durch den Saal, langsam, lächelnd, den Oberkörper hin und her wiegend und den Hut schwenkend. Vor Börge Trolle blieb er stehen, beugte sich zu ihm herüber und flüsterte:

»Sie tanzt doch, und mit mir allein.«


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