E. T. A. Hoffmann
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E. T. A. Hoffmann

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Datura Fastuosa

(Der schöne Stechapfel)

Erstes Kapitel

Das Glashaus des Professors Ignaz Helms. Der junge Student Eugenius. Gretchen und die alte Professorin. Kampf und Entschluß.

In dem Glashause des Professors Ignaz Helms stand der junge Student Eugenius und betrachtete die schönen hochroten Blüten, die die königliche Amaryllis (Amaryllis reginae) eben zur Morgenzeit entfaltet.

Es war der erste milde Februarstag. Hell und freundlich leuchtete das reine Azur des wolkenlosen Himmels, strahlte die Sonne hinein durch die hohen Glasfenster. Die Blumen, die noch in grüner Wiege schlummerten, rührten sich wie im ahnenden Traum und trieben die saftigen Blätter empor, aber der Jasmin, die Reseda, die immerblühende Rose, der Schneeball, das Veilchen erfüllten, ins neue blühende Leben erwacht, das Haus mit den süßesten, lieblichsten Düften, und hin und wieder flatterten schon Vögelein, die sich schüchtern hervorgewagt aus dem warmen Nest, hinan und pickten an die Scheiben, als wollten sie sehnsüchtig den schönen bunten Frühling herauslocken, der in dem Hause verschlossen.

»Armer Helms«, sprach Eugenius mit tiefer Wehmut, »armer alter Helms, alle diese Pracht, alle diese Herrlichkeit schaust du nicht mehr! – Deine Augen schlossen sich für immer, du ruhst in kalter Erde! – Doch nein, nein! Ich weiß es ja, du bist unter all deinen lieben Kindern, die du so treulich hegtest und pflegtest, und keines, dessen frühen Tod du beklagtest, ist gestorben, und nun erst verstehest du ganz ihr Leben und ihre Liebe, die du nur zu ahnen vermochtest.« –

In dem Augenblick klapperte und hantierte das kleine Gretchen mit der Gießkanne gar sehr unter den Blumen und Pflanzen umher. –

»Gretchen, Gretchen!« rief Eugenius, »was machst du denn? Ich glaube beinahe, du begießest schon wieder die Pflanzen ganz und gar zu unrechter Zeit und verdirbst, was ich sorglich gepflegt.« – Dem armen Gretchen wäre beinahe die gefüllte Gießkanne aus den Händen gefallen.

»Ach, lieber Herr Eugenius«, sprach sie, indem ihr die hellen Tränen in die Augen traten, »schelten Sie doch nur nicht, sein Sie doch nur nicht böse. Sie wissen ja, ich bin ein dummes, einfältiges Ding, ich denke immer, die armen Stauden und Sträucher, die hier im Hause kein Tau, kein Regen erquickt, schauten mich verschmachtend an, und ich müsse ihnen Speis' und Trank reichen.« – »Naschwerk«, fiel ihr Eugenius in die Rede, »Naschwerk, Gretchen, verderbliches Naschwerk ist ihnen das jetzt, woran sie erkranken und sterben. Überhaupt, du meinst es gut mit den Blumen, ich weiß es, aber es fehlt dir ganz an botanischer Kenntnis, und du gibst dir, meines sorgsamen Unterrichts unerachtet, gar keine Mühe mit dieser Wissenschaft, die doch jedem Frauenzimmer wohl ansteht, ja unentbehrlich ist, denn sonst weiß ein Mädchen ja nicht einmal, zu welcher Klasse und Ordnung die schön duftende Rose gehört, mit der es sich schmückt, und das ist doch sehr schlimm. Sag' einmal, Gretchen, was sind das für Pflanzen dort in jenen Töpfen, die nun bald blühen werden?« »Ja!« rief Gretchen freudig, »das sind ja meine lieben Schneeglöckchen!« »Siehst du«, sprach Eugenius weiter, »siehst du nun wohl, Gretchen, daß du nicht einmal deine Lieblingsblumen richtig zu benennen weißt! Galanthus nivalis mußt du sagen.« –

»Galanthus nivalis«, sprach Gretchen leise nach, wie in scheuer Ehrfurcht. – »Ach, lieber Herr Eugenius!« rief sie dann aber, »das klingt sehr schön und vornehm, aber es ist mir so, als wenn das gar nicht mein liebes Schneeglöckchen sein könne. Sie wissen ja, wie ich sonst, da ich noch ein Kind« – »Bist du es nicht mehr, Gretchen?« fiel ihr Eugenius in die Rede. »Ei nun«, erwiderte Gretchen, bis unter die Augen errötend, »wenn man in das vierzehnte Jahr getreten, rechnet man sich doch wohl nicht mehr zu den Kindern.« – »Und doch«, sprach Eugenius lächelnd, »und doch ist es nicht so lange her, daß die große neue Puppe –«

Schnell wandte sich Gretchen ab, sprang auf die Seite und machte sich mit den Töpfen zu schaffen, die dort auf dem Fußboden standen, sich zu ihnen niederkauernd. –

»Sei nicht böse, Gretchen«, fuhr Eugenius sanft fort; »bleibe immer das gute, fromme liebe Kind, das Vater Helms der bösen Verwandtin entriß und dann samt seiner edlen Frau so hielt, als wär's die eigne Tochter. – Doch du wolltest mir etwas erzählen!«

»Ach«, erwiderte Gretchen kleinlaut, »ach, lieber Herr Eugenius, das ist wohl wieder albernes Zeug, was mir in den Kopf gekommen, aber da Sie es wünschen, will ich nur alles ganz ehrlich gestehen. Wie Sie meine Alpenglöckchen so vornehm nannten, da fiel mir Fräulein Röschen ein. Ich und sie, nun, Sie wissen es ja, Herr Eugenius, wir waren sonst ein Herz und eine Seele und spielten, als wir, noch Kinder, gar zu gerne miteinander. Aber eines Tages – es mag wohl jetzt ein Jahr her sein – war Röschen so ernst, so sonderbar gegen mich in ihrem ganzen Betragen und sagte, ich sollte sie nicht mehr Röschen nennen, sondern Fräulein Rosalinda. – Ich tat das, aber seit dem Augenblicke wurde sie mir immer fremder und fremder – ich hatte mein liebes Röschen verloren. So, denk' ich, wird es mir auch mit meinen lieben Blumen gehen, wenn ich sie plötzlich mit fremden stolzen Namen anreden sollte.«

»Hm«, sprach Eugenius, »es ist zuweilen etwas in deinen Worten, Gretchen, was ganz seltsam und sonderbar klingt. Man weiß ganz genau, was du sagen willst, und versteht doch eigentlich nicht, was du gesprochen. Aber das tut der herrlichen botanischen Wissenschaft nicht den mindesten Abbruch, und wenn auch dein Röschen jetzt Fräulein Rosalinda geworden, darfst du doch dich wohl um die Namen deiner Lieblinge, wie sie in der vornehmen, studierten Welt genannt werden, ein wenig bekümmern. – Nütze meinen Unterricht! – Für jetzt, mein gutes, liebes Mädchen, sieh aber nach den Hyazinthen. Schiebe den Og roi de Buzan und die Gloria solis mehr ins Sonnenlicht. Aus der Péruque quarrée scheint nicht viel werden zu wollen. Der Emilius Graf Bühren, der im Dezember so stolz blühte, ist schon zur Ruhe gegangen, der hält's nicht lange aus; aber der Pastor fido läßt sich hübsch an. Den Hugo Grotius, den magst du tapfer begießen, der muß noch tüchtig ins Wachstum.« –

Indem Gretchen, die aufs neue hoch errötet, als Eugenius sie sein gutes, liebes Mädchen nannte, ganz Freude und Lust, zu tun begann, was ihr geheißen, trat die Professorin Helms in das Glashaus. Eugenius machte sie darauf aufmerksam, wie herrlich schon der Frühlingsflor beginne, und rühmte vorzüglich die blühende Amaryllis reginae, die der selige Herr Professor beinahe noch höher geschätzt als die Amaryllis formosissima, weshalb er sie dann auch ganz besonders hege und pflege, seinem teuern Lehrer und Freunde zum steten Andenken.

»Sie haben«, sprach die Professorin gerührt, »Sie haben ein herzlich gutes kindliches Gemüt, lieber Herr Eugenius, und keinen von allen seinen Schülern, die denn so nach und nach ins Haus gekommen sind, hat mein verstorbener Mann so geschätzt, so väterlich geliebt als Sie. Aber keiner hat meinen Helms auch so verstanden, keiner ist seinem Innersten so verwandt gewesen, keiner so in das rechte Wahre und Eigentümliche seiner Wissenschaft eingedrungen als Sie. ›Der junge Eugenius‹, pflegte er oft zu sagen, ›ist ein treuer, frommer Jüngling, deshalb lieben ihn die Gewächse, Pflanzen, Bäume und gedeihen fröhlich unter seiner Pflege. Ein feindliches, störrisches, ruchloses Gemüt, das ist der Satan, der das Unkraut säet, welches wild aufwuchert und vor dessen giftigem Hauch die Gotteskinder absterben. – Gotteskinder nannte er ja seine Blumen.‹

Dem Eugenius standen die Tränen in den Augen. »Ja, liebe hochverehrte Frau Professorin«, sprach er, »diese fromme Liebe will ich treu bewahren, und fortblühen in herrlichem Gedeihen soll dieser schöne Tempel meines Lehrers, meines Vaters, solange noch ein Hauch des Lebens in mir ist. Wenn Sie es erlauben, Frau Professorin, so will ich jetzt, wie es der Herr Professor zu tun pflegte, hier das kleine Stübchen neben dem Glashause beziehen, dann hab' ich alles besser im Auge.«

»Eben«, erwiderte die Professorin, »eben fiel es mir recht schwer aufs Herz, daß nun es wohl bald mit der Herrlichkeit dieser Blumenpracht ein Ende haben wird. Ich verstehe mich wohl auch recht gut auf die Pflege der Gewächse und Pflanzen und bin, wie Sie wissen, in der Wissenschaft meines Mannes nicht unerfahren. Aber du lieber Gott, eine alte Frau wie ich, mag die so rührig sein, alles in Obhut zu halten wie ein junger rüstiger Mensch, fehlt es ihr auch gar nicht an Liebe dafür? Und da wir uns nun trennen müssen, lieber Herr Eugenius –«

»Wie!« rief Eugenius voller Schreck, »wie, Sie wollen mich verstoßen, Frau Professorin?«

»Geh«, sprach die Professorin zu Gretchen, »geh, liebes Gretchen, ins Haus und hole mir einmal das große Umschlagetuch, es ist doch noch recht kühl.«

Als Gretchen fort war, begann die Professorin sehr ernst: »Wohl Ihnen, lieber Herr Eugenius, daß Sie ein viel zu unbefangener, weltunerfahrener, ein viel zu edler Jüngling sind, um vielleicht das einmal ganz zu verstehen, was ich Ihnen jetzt zu sagen genötigt bin. Ich trete nun bald in mein sechzigstes Jahr, Sie haben kaum das vierundzwanzigste erreicht, ich könnte füglich Ihre Großmutter sein, und ich meine, daß dies Verhältnis unser Beisammensein heiligen müsse. Aber der giftige Pfeil boshafter Verleumdung schont auch nicht die Matrone, deren Leben vorwurfsfrei war, und es dürfte nicht an arglistigen Menschen fehlen, die, so lächerlich es auch klingen möchte, Ihren Aufenthalt in meinem Hause der bösen Nachrede, hämischer Neckerei bloßstellen würden. Mehr noch als mich selbst würde Sie die Bosheit treffen, darum ist es nötig, lieber Eugenius, daß Sie mein Haus verlassen. Übrigens werde ich Sie in Ihrer Laufbahn unterstützen wie meinen Sohn und würde dies auch getan haben, hätte mein Helms mir auch dazu nicht ausdrücklich die Verpflichtung auferlegt. – Sie und Gretchen, das sind und bleiben meine Kinder.«

Eugenius stand da ganz stumm und starr. Er konnte in der Tat nicht begreifen, wie sein fernerer Aufenthalt bei der Professorin irgend etwas Anstößiges haben, wie dies Stoff zur übeln Nachrede geben könne. Aber der bestimmte Wille der Professorin, daß er das Haus, das ihm für den Kreis seines ganzen Lebens galt, in dem alle seine Freuden wohnten, verlassen, der Gedanke, daß er nun von seinen Lieblingen, die er gehegt und gepflegt, scheiden solle, faßte ihn mit aller Macht und Stärke.

Eugenius gehörte zu den einfachen Menschen, denen ein kleiner Kreis, in dem sie sich froh und frei bewegen, vollkommen genügt, die in der Wissenschaft oder der Kunst, welche das Eigentum ihres Geistes worden, den schönsten und einzigen Zweck ihres Treibens und Strebens suchen und finden; denen das kleine Reich, worin sie heimatlich sind, die fruchtbare Oasis in der großen, unwirtbaren, freudenleeren Wüste scheint, für die sie das übrige Leben halten, das ihnen eben deshalb fremd bleibt, weil sie sich nicht ohne Gefahr hinauswagen zu können glauben. Man weiß, daß dergleichen Menschen eben ihrer Gesinnung halber in gewisser Art immerdar Kinder bleiben, daß sie ungeschickt, linkisch, ja in dem steifen Gewande einer gewissen kleinlichen Pedanterie, in das ihre Wissenschaft sie einhüllt, engherzig und seelenlos sich darstellen. Es fehlt dann nicht an mancher Verspottung, die der Unverstand, des leichten Sieges gewiß, sich erlaubt. Aber in dem Innersten eben solcher Menschen brennt oft die heilige Naphtaflamme höherer Erkenntnis. Fremd geblieben dem wirren Treiben des bunten Weltlebens, ist das Werk, dem sie sich einzig ergeben mit aller Liebe und Treue, der Mittler zwischen ihnen und der ewigen Macht alles Seins, und ihr stilles, harmloses Leben ein steter Gottesdienst im ewigen Tempel des Weltgeistes. – So war Eugenius! –

Als Eugenius sich von seiner Bestürzung erholt und zu Worten kommen konnte, versicherte er mit einer Heftigkeit, die ihm sonst gar nicht eigen, daß, wenn er das Haus der Professorin verlassen müsse, er seine Laufbahn hienieden für geendet ansehe; denn nimmermehr werde er, ausgestoßen aus seiner Heimat, zur Ruhe und Zufriedenheit gelangen können. Er beschwor die Professorin in den rührendsten Ausdrücken, den, den sie doch als ihren Sohn angenommen, doch nicht fortzujagen in die trostlose Einöde, denn dafür müsse er jeden andern Ort halten, welcher er auch sei.

Die Professorin schien mit Mühe nach einem Entschluß zu ringen.

»Eugenius«, sprach sie endlich, »es gibt ein Mittel, Sie mir im Hause, in denselben Verhältnissen, wie sie bis jetzt bestanden, zu erhalten. – werden Sie mein Mann!« –

»Es ist«, fuhr sie fort, als Eugenius sie verwundert anblickte, »es ist gar nicht möglich, daß ein Gemüt wie das Ihrige auch nur das mindeste Mißverständnis hegen kann, deshalb nehme ich auch gar keinen Anstand, Ihnen zu gestehen, daß der Vorschlag, den ich Ihnen soeben machte, keineswegs ein augenblicklicher Einfall, sondern das Erzeugnis reiflicher Überlegung ist. – Sie sind mit den Verhältnissen des Lebens unbekannt und werden sich nicht sobald, vielleicht nie darin zu schicken lernen. Sie brauchen selbst in dem engsten Kreise des Lebens jemanden, der Ihnen die Bürde des alltäglichen Bedürfnisses abnimmt, der für Sie bis in das kleinste hinein sorgt, damit Sie frei in voller Gemütlichkeit ganz sich selbst und der Wissenschaft leben können. Das aber vermag niemand besser als eine zärtliche, liebende Mutter, und die will ich sein und bleiben im strengsten Sinn des Worts, heiße ich auch vor der Welt Ihre Frau! – Gewiß ist Ihnen noch nie der Gedanke an Heirat und Ehe in den Sinn gekommen, lieber Eugenius, Sie dürfen auch eben nicht weiter darüber nachdenken, da, hat der Segen des Priesters uns auch verbunden, in keiner Hinsicht sich in unserm Beisammensein etwas ändern wird, es sei denn, daß jener Segen mich an heiliger Stätte erst in aller Frömmigkeit zu Ihrer Mutter weiht, wie Sie zu meinem Sohn. Mit desto größerer Ruhe durfte ich Ihnen, lieber Eugenius! den Vorschlag, der manchem Weltling gar seltsam und sonderbar bedünken möchte, wohl machen, da ich überzeugt bin, daß, gehen Sie ihn ein, nichts dadurch zerstört wird. Alles das, was weltliche Verhältnisse verlangen, um eine Frau glücklich zu machen, wird und muß Ihnen fremd bleiben, ja der Zwang des Lebens, der Druck, die Unbehaglichkeit so vieler Anforderungen, mit denen Sie gequält werden würden, dürfte gar leicht jede etwanige Täuschung vernichten und Ihnen desto lebhafter allen Harm, alle Not der unbequemen Wirklichkeit fühlen lassen. Deshalb kann und darf die Mutter in die Stelle der Frau treten.«

Gretchen kam hinein mit dem Umschlagetuch, das sie der Professorin darreichte.

»Ich will«, sprach die Professorin, »ich will durchaus keinen raschen Entschluß, lieber Freund! – entscheiden Sie sich erst dann, wenn Sie sich alles recht reiflich überlegt. – Für heute kein Wort, es ist eine gute alte Regel, daß man jede Sache, ehe man sich entschließt, beschlafen müsse.«

Damit verließ die Professorin das Glashaus und nahm Gretchen mit sich fort.

Die Professorin hatte ganz recht, noch niemals war dem Eugenius etwas von Heirat und Ehe in den Sinn gekommen, und eben nur deshalb hatte ihn der Antrag der Professorin bestürzt gemacht, weil plötzlich ein ganz neues Bild des Lebens ihm vor Augen zu stehen schien. Als er die Sache nun aber recht überlegte, so fand er nichts Herrlicheres, Wohltuenderes, als daß die Kirche einen Bund segne, der ihm eine gute Mutter und die heiligen Rechte des Sohnes erworben.

Gern hätte er der alten Frau sogleich seinen Entschluß kundgetan; da sie ihm aber bis zum andern Morgen zu schweigen geboten, so mußte er wohl an sich halten, unerachtet sein Blick, sein ganzes Wesen, das ganz stilles frommes Entzücken war, der Alten verraten mochte, was in seinem Innern vorging.

Als er sich nun aber anschickte, dem Rat der Professorin gemäß die Sache zu beschlafen, gerade in dem Delirieren des Einschlummerns ging ihm ein heller Schimmer, ein Traumbild auf, dessen Gestalten aus seinem Andenken sonst ganz entschwunden geschienen. Zu der Zeit, da er als Amanuensis des Professors Helms die Wohnung bei ihm genommen, kam öfters eine junge Großnichte ins Haus – ein ganz hübsches artiges Mädchen – die aber seine Aufmerksamkeit so wenig erregte, daß er, als sie einige Zeit weggeblieben und es bald darauf hieß, sie werde zurückkommen und einen jungen Doktor am Orte heiraten, sich gar nicht mehr auf sie besinnen konnte. Als sie nun wirklich zurückkam und ihre Hochzeit mit dem jungen Doktor gefeiert werden sollte, war der alte Helms krank und konnte das Zimmer nicht verlassen. Da sprach aber das fromme Kind, daß es gleich nach der Trauung mit dem Bräutigam ins Haus kommen und von dem ehrwürdigen Paar den Glück und Heil bringenden Segen erflehen wolle. – Nun geschah es, daß Eugenius gerade in dem Augenblick in das Zimmer trat, als das Brautpaar vor den Alten kniete.

Gar nicht jenes Mädchen, jene Großnichte, die er sonst so oft im Hause gesehen, ein ganz anderes, höheres Wesen schien ihm die engelsschöne Braut. Sie war in weißen Atlas gekleidet. Eng umspannte das reiche Gewand den schlanken Leib und floß dann herab in breiten Falten. Durch kostbare Spitzen schimmerte der blendende Busen, das kastanienbraune, zierlich aufgeflochtene Haar schmückte reizend der bedeutsame Myrtenkranz. Eine süße fromme Begeisterung strahlte auf dem Antlitz der Holden, alle Anmut des Himmels schien über sie hingegossen. Der alte Helms schloß die Braut in seine Arme, dann tat die Professorin ein Gleiches und führte sie dem Bräutigam zu, der mit der Inbrunst des höchsten Entzückens das Engelskind stürmisch an seine Brust drückte.

Eugenius, den niemand bemerkte, um den sich niemand kümmerte, wußte nicht, wie ihm geschah. Eiskalt und dann glühendheiß fuhr es ihm durch alle Glieder, ein unnennbares Weh durchschnitt seine Brust, und doch dünkte ihm, es sei ihm nie wohler gewesen. – »Wie, wenn nun die Braut sich dir nahte, wenn du sie auch an deine Brust drücktest?« – Dieser Gedanke, der ihn plötzlich traf wie ein elektrischer Schlag, schien ihm ein ungeheurer Frevel, aber die namenlose Angst, die ihn erdrücken wollte, war ja selbst die glühendste Sehnsucht, das dürstendste Verlangen, es möge sich das begeben, was sein ganzes Ich auflösen müßte in vernichtender Schmerzeslust.

Jetzt erst bemerkte ihn der Professor und sprach ihn an: »Nun, Herr Eugenius, da haben wir unser junges glückliches Ehepaar – Sie mögen auch immer der Frau Doktorin Glück wünschen, das ist wohl ziemlich.« – Eugenius war keines Wortes mächtig, doch die holde Braut nahte sich, reichte ihm mit der anmutigsten Freundlichkeit die Hand, die Eugenius, ohne zu wissen, was er tat, an die Lippen drückte. Aber nun schwanden ihm auch die Sinne, er hielt sich mit Mühe aufrecht, er vernahm nichts davon, was die Braut zu ihm sprach, er fand sich erst wieder, als das junge Paar längst das Zimmer verlassen und der Professor Helms ihn ein wenig ausschalt wegen seiner unbegreiflichen Schüchternheit, in der er verstumme und wie ein lebloses Wesen erscheine ohne Teilnahme, ohne Empfindung. – Seltsam genug war es wohl, daß, nachdem Eugenius ein paar Tage durch und durch erschüttert, wie im Traum umhergegangen, die ganze Begebenheit in seinem Innern zerfloß zum wirren Traum. –

Die Gestalt der holden engelsschönen Braut, wie er sie damals in dem Zimmer des Professors Helms geschaut, war es nun, die ihm plötzlich in regem, glühendem Leben vor Augen stand, und alles namenlose Weh jenes Augenblicks preßte aufs neue seine Brust zusammen. Aber es schien ihm, als sei er selbst der Bräutigam, und die Schönste breite die Arme aus, daß er sie umfange und an seine Brust drücke. Und da er im Übermaß des höchsten Entzückens auf sie losstürzen wolle, fühle er sich festgekettet, und eine Stimme riefe ihm zu: »Tor, was willst du beginnen, du gehörst nicht mehr dir selbst an, du hast deine Jugend verkauft, kein Frühling der Liebe und Lust blüht dir mehr auf, denn in den Armen des eisigen Winters bist du erstarrt zum Greise.« – Mit einem Schrei des Entsetzens erwachte er aus dem Traum, aber noch war es ihm, als sähe er die Braut, und hinter ihm stehe die Professorin und bemühe sich mit eiskalten Fingern ihm die Augen zuzudrücken, damit er die geschmückte schöne Braut nicht schauen möge. – »Hinweg«, rief er, »hinweg, noch ist meine Jugend nicht verkauft, noch bin ich nicht erstarrt in den Armen des eisigen Winters!« – Mit der glühendsten Sehnsucht flammte ein tiefer Abscheu auf gegen die Verbindung mit der alten sechzigjährigen Professorsfrau. –

Eugenius mochte wohl am andern Morgen etwas verstört aussehen; die Professorin erkundigte sich sogleich nach seinem Befinden, bereitete ihm selbst, da er über Kopfweh und Mattigkeit klagte, einen stärkenden Trank und pflegte und hätschelte ihn wie ein verzärteltes krankes Kind.

»Und«, sprach Eugenius zu sich selbst, »und all diese mütterliche Liebe und Treue sollte ich lohnen mit dem schwärzesten Undank, in wahnsinniger Betörtheit mich loßreißen von ihr, von allen meinen Freuden, von meinem Leben? Und das eines Traumbilds halber, das nie für mich aufleben kann, das, vielleicht Verlockung des Satans, mich von schnöder Sinneslust Verblendeten stürzen sollte ins Verderben? – Gibt es da noch zu denken, zu überlegen? Fest, unwandelbar fest steht mein Entschluß!« –

Noch an demselben Abend wurde die alte, beinahe sechzigjährige Professorin die Braut des jungen Herrn Eugenius, der zur Zeit noch zu den Studenten zu rechnen.

Zweites Kapitel

Lebensansichten eines weltklugen Jünglings. Der Fluch des Lächerlichen. Der Zweikampf um der Braut willen. Verfehlte Nachtmusik und eingetroffene Hochzeit. Mimosa pudica.

Eugenius war eben beschäftigt, einige Topfgewächse zu beschneiden, als Sever, der einzige Freund, mit dem er sparsamen Umgang pflegte, zu ihm hineintrat. – Sowie aber Sever den in seine Arbeit vertieften Eugenius erblickte, blieb er festgewurzelt stehen und schlug dann eine übermäßige Lache auf.

Das hätte auch wohl ein anderer getan, der weniger empfänglich für alles Bizarre als der joviale lebenslustige Sever.

Die alte Professorin hatte in aller herzlichen Gutmütigkeit dem Bräutigam die Garderobe des seligen Professors erschlossen und sogar geäußert, daß sie es gern sehen würde, wenn Eugenius, wolle er auch nicht eben in den altmodigen Kleidern über die Straße gehen, doch von den schönen bequemen Morgenanzügen Gebrauch mache.

Da stand nun Eugenius in dem weiten mächtigen Schlafrock des Professors, von indischem, mit den buntesten Blumen jeder Art besäten Zeuge, eben eine solche hohe Mütze auf dem Kopf, auf deren Vorderseite gerade ein glühendes Lilium bulbijerum (Feuerlilie) prangte, und sah mit seinem Jünglingsgesicht in dieser Maske aus wie ein verzauberter Prinz.

»Gott behüte und bewahre«, rief Sever, als er sich endlich von seinem Lachen erholt, »ich glaubte, es spuke hier, und der selige Professor wandle, aus dem Grabe erstanden, unter seinen Blumen, selbst ein artiges Staudengewächs mit den seltsamsten Blüten! – Sage, Eugenius, wie kamst du zu dieser Maskerade?«

Eugenius versicherte, daß er in diesem Anzuge gar nichts Seltsames finde. Die Professorin habe ihm in ihrem jetzigen Verhältnis erlaubt, des verstorbenen Professors Schlafröcke zu tragen, die bequem und noch dazu von solchem kostbaren Zeuge verfertigt wären, wie es kaum in der ganzen Welt mehr aufzutreiben. Alle Blumen und Kräuter wären nämlich auf das genaueste der Natur abkonterfeit, und es gäbe in dem Nachlaß noch einige seltne Nachtmützen, die ein vollständiges Herbarium vivum ersetzten. Diese wolle er jedoch aus geziemender Ehrfurcht nur an besonderen Festtagen aufs Haupt setzen. Selbst der jetzige Anzug sei aber schon deshalb höchst merkwürdig und schön, weil der verstorbene Professor eigenhändig mit unauslöschbarer Tinte bei jeder Blume, bei jedem Kraut den richtigen Namen bemerkt, wie Sever sich durch näheres Beschauen des Schlafrocks und der Mütze überzeugen könne, so daß solch ein Schlafrock jedem wißbegierigen Lehrling zum herrlichen Studium dienen dürfte.

Sever nahm die Nachtmütze in die Hand, die ihm Eugenius darreichte, und las wirklich in feiner, sauberer Schrift eine Menge Namen, z. B. Lilium bulbiferum, Pitcairnia angustifolia, Cynoglossum omphalodes, Daphne mezereum, Gloxinia maculata u. a. m. Sever wollte aufs neue ausbrechen in Lachen, doch plötzlich wurde er sehr ernst, schaute dem Freunde tief ins Auge und sprach: »Eugenius! – Wär' es möglich – wär' es wahr? – Nein, es kann, es darf nichts anders sein als ein possenhaftes albernes Gerücht, das der böse Leumund dir und der Professorin zum Hohn ausstreut! – Lache, Eugenius, lache recht derb, man sagt, du würdest die Alte heiraten?«

Eugenius erschrak ein wenig, dann versicherte er aber mit niedergeschlagenen Augen, daß allerdings wahr sei, was man spreche.

»So hat mich«, rief Sever in vollem Eifer, »so hat mich das Schicksal zur rechten Stunde hergebracht, dich wegzureißen von dem verderblichen Abgrunde, an dessen Rande du stehst! – Sage, welch ein heilloser Wahnsinn hat dich ergriffen, daß du dein Selbst in der schönsten Zeit verkaufen willst für ein schnödes Handgeld?« – So wie es dem Sever zu geschehen pflegte bei solcher Gelegenheit, er sprudelte auf, erhitzte sich selbst immer mehr und mehr, bis er zuletzt Verwünschungen ausstieß gegen die Professorin – gegen Eugenius und eben noch recht derbe Studentenflüche daraufsetzen wollte, als Eugenius ihn endlich mit Mühe dahinbrachte, stillzuschweigen und ihn anzuhören. Eben Severs aufbrausende Hitze hatte dem Eugenius seine ganze Haltung wiedergegeben. Er setzte nun dem Sever mit Ruhe und Klarheit das ganze Verhältnis auseinander, verhehlte nicht, wie die ganze Sache sich von Haus aus gestaltet, und schloß endlich mit der Frage, welchen Zweifel er wohl hegen könne, daß die Verbindung mit der Professorin eben ganz unbedingt sein Lebensglück machen werde.

»Armer Freund«, sprach Sever, der nun auch wieder ruhig geworden, »armer Freund, in welches dichte Netz von Mißverständnissen hast du dich versponnen! – Doch vielleicht gelingt es mir, die fest geschürzten Knoten zu lösen, und dann, erst aus den Banden gerettet, wirst du den Wert der Freiheit fühlen. – Du mußt fort von hier!« »Nimmermehr«, rief Eugenius, »mein Entschluß steht fest. Du bist ein unseliger Weltling, wenn du zweifeln kannst an dem frommen Sinn, an der treuen Mutterliebe, womit die würdigste aller Frauen mich, der ich ewig ein unmündiges Kind, durch das Leben führen wird!«

»Höre«, sprach Sever, »du nennst dich selbst ein unmündiges Kind, Eugenius! Zum Teil bist du es wirklich, und dies gibt mir Welterfahrenem das Übergewicht, das mir sonst die Jahre nicht zugestehen würden, da ich nur wenig älter als du. Magst du es daher nicht voreilige Hofmeisterei nennen, wenn ich dich versichere, daß du von deinem Standpunkt aus gar nicht vermagst in der ganzen Sache klar zu sehen. Glaube ja nicht, daß ich gegen die gute harmlose Absicht der Professorin den mindesten Zweifel hege, daß ich nicht überzeugt bin, sie will nur dein Glück, aber sie selbst, guter Eugenius, sie selbst ist in großem Irrtum befangen. Es ist eine alte richtige Bemerkung, daß die Weiber alles vermögen, nur nicht sich außer sich selbst heraus zu versetzen in die Seele des andern. Was sie selbst lebhaft empfinden, gilt ihnen für die Norm alles Empfindens überhaupt, und die eigene innere Gestaltung ist ihnen der Prototypus, nach dem sie das, was in des andern Brust verschlossen, beurteilen und richten. So wie ich die alte Professorin kenne in all ihrem Tun und Wesen, muß ich denken, daß sie nie heftiger Leidenschaft fähig war, daß sie jenes Phlegma von jeher besaß, welches die Mädchen und Frauen lange hübsch erhält, denn in der Tat noch jetzt sieht die Alte für ihre Jahre glatt und glau genug aus. Daß der alte Helms das Phlegma selbst war, wissen wir beide, und kommt nun hinzu, daß beide nächst der frommen Einfachheit altvorderlicher Sitten eine recht herzliche Gemütlichkeit in sich trugen, so mußt' es eine recht glückliche, ruhige Ehe geben, in welcher der Mann niemals die Suppe tadelte, die Frau aber niemals die Studierstube zur Unzeit scheuern ließ. Dieses ewige Andante des ehelichen Duetts glaubt nun die Professorin mit dir in aller Gemächlichkeit fortspielen zu können, da sie dir Phlegma genug zutraut, um nicht plötzlich mit einem Allegro hinauszufahren in die Welt. Bleibt in dem botanischen Schlafrock nur alles fein still und ruhig, so ist es am Ende gleich, wer drinnen sitzt, der alte Professor Helms oder der junge Student Eugenius. O, es ist kein Zweifel, die Alte wird dich pflegen, dich hätscheln, ich bitte mich im voraus bei dir zu Gaste auf den herrlichsten Mokkakaffee, den je eine alte Frau bereitet, und sie wird es gern sehen, wenn ich mit dir eine Pfeife des feinsten Varinas rauche, die sie selbst gestopft und die ich mit dem Fidibus anzünde, den sie aus zum Feuertode verdammten Kollektaneen des Seligen zugeschnitten und gekniffen. – Aber wenn nun mitten in diese Ruhe, die für mich wenigstens alle Trostlosigkeit einer menschenleeren Wüste hat, wenn nun in diese Ruhe plötzlich der Sturm des Lebens einbricht?« –

»Du meinst«, unterbrach Eugenius den Freund, »wenn böse Zufälle sich ereignen – Krankheit« –

»Ich meine«, fuhr Sever fort, »wenn durch diese Glasfenster einmal ein Paar Augen hineinblicken, von deren feurigem Strahl die Kruste schmilzt, die dein Inneres überdeckt, und der Vulkan bricht los in verderblichen Flammen« –

»Ich verstehe dich nicht!« rief Eugenius.

»Und«, sprach Sever weiter, ohne auf Eugenius zu achten, »und wider solche Strahlen schützt kein botanischer Schlafrock, er fällt in Lumpen herab vom Leibe, und wär' er von Asbest. – Und! – abgesehen von dem, was sich in der Art Verderbliches ereignen kann, so lastet von Haus aus in diesem wahnsinnigen Bündnis der ärgste aller Flüche auf dir, der Fluch, vor dem auch die kleinste Blüte des Lebens erkrankt und abstirbt – es ist der Fluch des Lächerlichen.« –

Eugenius verstand in seiner beinahe kindischen Unbefangenheit wirklich gar nicht recht, was der Freund sagen wollte; er war im Begriff, sich soviel möglich belehren zu lassen über die unbekannte Region, von der Sever schwatzte, als die Professorin hineintrat.

Über Severs Antlitz zuckten tausend ironische Fältchen, ein spitzes Wort schwebte ihm auf der Zunge. Doch als die Professorin mit aller gemütlichen Freundlichkeit, mit aller anmutigen Würde einer edlen Matrone auf ihn zutrat, als sie ihn mit wenigen herzlichen Worten, die aber recht aus dem Innersten strömten, bewillkommte als den Freund ihres Eugenius, da war weggetilgt alle Ironie, aller schadenfrohe Spott, und es war dem Sever im Augenblick, als gäbe es in der Tat Wesen und Verhältnisse im Leben, von denen der gemeine Weltsinn nichts wisse, nichts ahne.

Es sei hier gesagt, daß die Professorin beim ersten Anblick jeden seltsam wohltuend ansprechen mußte, dessen Sinn nicht verschlossen für den Ausdruck wahrhafter Frömmigkeit und Treue, wie er aus Albrecht Dürers Matronen spricht; denn einer solchen Matrone glich die Professorin ganz und gar. –

Also Sever verschluckte das spitze Wort, das ihm auf der Zunge schwebte, und selbst dann kam ihm der Spott nicht wieder, als die Professorin ihn wirklich einlud, da es gerade die Vesperzeit, mit Eugenius Kaffee zu trinken und Tabak zu rauchen. –

Sever dankte dem Himmel, als er wieder im Freien, denn die Gastlichkeit der alten Frau, der besondere Zauber der edelsten Frauenwürde, der über ihr ganzes Wesen verbreitet, hatte ihn so befangen, daß er in seiner tiefsten Überzeugung wankte. Ja, daß er wider seinen Willen glauben mußte, Eugenius könne in der Tat glücklich sein in dem widersinnigen Verhältnis mit der Alten, das war ihm beinahe unheimlich und grauenhaft. –

Doch! – wohl geschieht es im Leben, daß eine ausgesprochene böse Ahnung eintrifft im nächsten Moment, und so begab es sich denn auch, daß sich schon andern Tages etwas kundtat von dem Fluch des Lächerlichen, dessen Sever erwähnt wie in feindlicher Verwünschung. –

Eugenius' seltsamer Bräutigamsstand war bekannt geworden, und so konnt' es nicht fehlen, daß, als er andern Morgens in das einzige Kollegium trat, das er noch besuchte, ihn alle mit lachenden Gesichtern anblickten. Ja, noch mehr, als das Kollegium geendet, hatten die Studenten bis auf die Straße hinaus eine Doppelreihe gebildet, die der arme Eugenius durchwandern mußte, und nun scholl's überall: »Gratulor, Herr Bräutigam – grüß' Er das liebe süße Bräutlein – hm! Ihm hängt wohl der Brauthimmel voll Geigen und Pfeifen usw.«

Dem Eugenius stieg aus allen Adern das Blut mächtig zu Kopf. – Schon auf die Straße gekommen, rief ihm ein roher Bursche aus der Reihe zu: »Grüß' deine Braut, die alte –« Er stieß ein garstiges Schimpfwort aus, aber in dem Augenblick erwachten auch alle Furien des Zorns und der Wut in Eugenius, mit geballter Faust schlug er seinem Widersacher ins Gesicht, daß er rücklings überstürzte. Er raffte sich auf und erhob gegen Eugenius den dicken Knotenstock, mehrere taten ein Gleiches, da sprang aber der Senior der Landsmannschaft, zu der beide, Eugenius und der Bursche, der ihn beschimpft, gehörten, dazwischen und rief stark: »Halt! – Seid ihr Straßenbuben, daß ihr euch hier prügeln wollt auf offnem Markt? – Es geht euch den Teufel was an, ob Eugenius heiratet, und wer seine Braut ist. Seine Braut hat aber Marcell verunglimpft, hier in unser aller Gegenwart auf offner Straße, und zwar so plebejisch, daß er den Schimpf mit Schimpf rügen durfte und mußte auf der Stelle. Marcell weiß nun, was er zu tun hat; rührt sich aber jetzt einer, so hat er es mit mir zu tun.« Der Senior nahm den Eugenius unter den Arm und geleitete ihn nach Hause. »Du bist«, sprach er dann zu Eugenius, »du bist ein braver Junge, du konntest nicht anders handeln. Aber du lebst zu still, zu eingezogen, man sollte dich beinahe für einen Tuckmäuser halten. Mit dem Schlagen wird es nun nichts sein; fehlt es dir auch nicht an Mut, so hast du doch keine Übung, und der Prahlhans Marcell ist einer unsrer besten geübtesten Schläger, der setzt dich auf die Erde beim dritten Stoß. Aber das soll nicht sein, ich schlage mich für dich, ich fechte deine Sache aus; du kannst darauf bauen.« Der Senior verließ den Eugenius, ohne seine Antwort abzuwarten.

»Siehst du wohl«, sprach Sever, »siehst du wohl, wie meine Prophezeiungen schon jetzt sich zu bewähren beginnen?«

»O schweige«, rief Eugenius, »das Blut kocht mir in den Adern, ich kenne mich selbst nicht mehr, mein ganzes Wesen ist zerrissen! – Gott im Himmel! – welcher böse Geist flammte aus mir heraus in diesem wilden Jähzorn! – Ich sage dir, Sever, hatte ich eine Mordwaffe in der Hand, niedergestoßen in dem Augenblick hätt' ich den Unglücklichen! – Aber auch nie hat eine Ahnung diese Brust gehegt, daß es in dem Bereich des Lebens eine Schmach geben könne der Art!«

»Nun«, sprach Sever, »die bittern Erfahrungen treten ein.«

»Bleibe weg«, fuhr Eugenius fort, »bleibe weg mit deiner gepriesenen Weltklugheit. Ich weiß es, Orkane gibt es, die plötzlich hereinbrechen und im Augenblick zerstören, was lange sorgliche Mühe schuf. – O, mir ist es, als wenn meine schönsten Blumen zerknickt, tot vor meinen Füßen lägen.«

Ein Student forderte jetzt in Marcells Namen den Eugenius zum Zweikampf auf den andern Morgen. Eugenius versprach, zur rechten Zeit an Ort und Stelle zu sein.

»Du, der du niemals ein Rapier in der Hand gehabt, du willst dich schlagen?« so fragte Sever ganz erstaunt; Eugenius versicherte aber, daß keine Macht ihn abhalten werde, seine Sache selbst auszufechten, wie es sich gebühre, und daß Mut und Entschlossenheit das ersetzen würden, was ihm an Geschicklichkeit abginge. Sever stellte ihm vor, daß im Zweikampf auf den Stoß, wie er am Orte üblich, der Mutigste dem Geschickten unterliegen müsse. Eugenius blieb indessen standhaft bei seinem Entschluß, indem er hinzufügte, daß er im Stoßen vielleicht geübter sei, als man es glaube.

Da schloß ihn Sever freudig in die Arme und rief: »Der Senior hat recht, du bist ein braver Junge durch und durch, aber in den Tod sollst du nicht gehen, ich bin dein Sekundant und werde dich schützen, wie ich es nur vermag.«

Leichenblässe lag auf Eugenius' Antlitz, als er auf den Kampfplatz trat, aber aus seinen Augen flammte ein düstres Feuer, und seine ganze Haltung war fester Mut, die Ruhe der Entschlossenheit selbst.

Nicht wenig erstaunte Sever und ebenso der Senior, als Eugenius sich gleich als ein ganz guter Fechter zeigte, dem sein Gegner beim ersten Gange durchaus nichts anhaben konnte. Beim zweiten Gange traf den Marcell gleich ein geschickter Stoß in die Brust, daß er zusammenstürzte.

Eugenius sollte fliehen, aber nicht von der Stelle wollte er weichen, es möge über ihn ergehen, was es auch sei. Marcell, den man für tot gehalten, erholte sich wieder, und nun erst, da der Wundarzt erklärte, Rettung sei möglich, begab sich Eugenius mit Sever von dem Kampfplatz nach Hause. »Ich bitte dich«, rief Sever, »ich bitte dich, Freund, hilf mir aus dem Traum, denn in der Tat, zu träumen glaub' ich, wenn ich dich betrachte. Anstatt des friedlichen Eugenius stehet ein gewaltiger Mensch vor mir, welcher stoßet wie der vortrefflichste Senior und ebensoviel Mut und Gelassenheit hat als dieser.« – »O mein Sever«, erwiderte Eugenius, »gäbe der Himmel, du hättest recht, möchte alles nur ein böser Traum sein. Aber nein, der Strudel des Lebens hat mich erfaßt, und wer weiß, an welche Klippen mich die dunkle Macht schleudert, daß ich, zum Tode wund, nicht mehr mich retten kann in mein Paradies, das ich unzugänglich glaubte den finstern wilden Geistern.« –

»Und«, fuhr Sever fort, »und diese finstren wilden Geister, die jedes Paradies zerstören, was sind die anders als die Mißverständnisse, die uns um das Leben betrügen, das heiter und klar vor uns liegt? – Eugenius, ich beschwöre dich, laß ab von einem Entschluß, der dich verderben wird! – Ich sprach von dem Fluch des Lächerlichen, mehr und mehr wirst du ihn empfinden. Du bist brav, entschlossen, und es ist vorauszusehen, daß du, da nun einmal es unmöglich ist, das Lächerliche deines Verhältnisses mit der Alten zu vertilgen, dich wohl noch zwanzigmal schlagen wirst deiner Braut halber. Aber je mehr dein Mut, deine Treue sich bewähren mag, desto schärfer wird die Lauge werden, mit der man dich und deine Taten übergießt. Aller Glanz deines studentischen Heldentums verbleicht in der absoluten Philisterei, die die alte Braut über dich bringen muß.« –

Eugenius bat den Sever, von einer Sache zu schweigen, die unabänderlich in seinem Innern feststehe, und versicherte nur noch auf Befragen, daß er seine Fechtkunst lediglich dem verstorbenen Professor Helms verdanke, der als ein echter Student aus der älteren Zeit ungemein auf diese Kunst und überhaupt auf das, was in studentischer Sprache »Komment« heißt, gehalten. Beinahe jeden Tages habe er, schon der Bewegung halber, sich ein Stündchen mit dem Alten herumrapieren müssen, woher ihm denn, ohne daß er jemals den Fechtboden besucht, hinlängliche Übung gekommen. –

Eugenius erfuhr von Gretchen, daß die Professorin ausgegangen und nicht zu Mittage, sondern erst am Abend nach Hause kommen werde, da sie gar vieles in der Stadt zu besorgen. Ihm fiel dieses deshalb ein wenig auf, weil es ganz aus der Gewohnheit, aus der Lebensweise der Professorin lag, das Haus auf so lange Zeit zu verlassen.

Vertieft in ein wichtiges botanisches Werk, das ihm eben erst zur Hand gekommen, saß Eugenius in dem Studierzimmer des Professor Helms, das nun das seine worden, und hatte in dem Augenblick alles Verhängnisvolle, das sich am Morgen begeben, beinahe vergessen. Die Dämmerung war schon eingebrochen, da hielt ein Wagen vor dem Hause, und bald darauf trat die Professorin in Eugenius' Zimmer. Er erstaunte nicht wenig, sie in dem vollen Staat zu sehen, den sie nur an hohen Festtagen anzulegen pflegte. Das schwere faltenreiche Kleid von schwarzem Moor, reichlich mit schönen Brabanter Spitzen besetzt, das kleine altertümliche Häubchen, das reiche Perlenhalsband, ebensolche Armbänder, der ganze Schmuck gab der hohen vollen Gestalt der Professorin ein gar herrliches, ehrfurchtgebietendes Ansehen.

Eugenius sprang auf von seinem Sitz, aber mit der ungewöhnlichen Erscheinung trat, selbst wußte er nicht wie, auch alles Unheil des Tages in seiner Seele hervor, und unwillkürlich aus der tiefsten Brust rief er: »O mein Gott!«

»Ich weiß«, sprach die Professorin mit einem Ton, der in erkünstelter Ruhe nur zu sehr die tiefste Bewegung der Seele verriet, »ich weiß alles, was seit gestern vorgegangen, lieber Eugenius, ich kann, ich darf Sie nicht tadeln. – Mein Helms hat sich auch einmal meinethalber schlagen müssen, als ich seine Braut, ich hab' es erst erfahren, als wir schon zehn Jahre verheiratet, und mein Helms war ein ruhiger gottesfurchtiger Jüngling, der gewiß niemandes Tod wollte. Aber es ist nicht anders, hab' ich auch niemals begreifen können, warum es nicht anders sein kann. Doch die Frau vermag ja manches nicht zu fassen, was sich auf jener dunkeln Kehrseite des Lebens begibt, die ihr, will sie Weib sein und des Weibes Ehre und Würde behaupten, fern, dunkel bleiben muß, mit frommer Ergebung mag sie daran glauben, was der Mann von der Gefahr jener Klippen, die er, ein kühner Pilot, umschifft hat, erzählt, und nicht weiter forschen! – Noch von anderm ist hier aber die Rede. – Ach, so sollte man – ist die Sinnenlust der Jugend vorüber, sind die grellen Bilder des Lebens verbleicht – denn das Leben selbst nicht mehr verstehen, sollte der Geist, ist er ganz zugewendet dem ewigen Licht, doch nicht das reine Blau des Himmels schauen können, ohne daß aus dem Pfuhl des Irdischen dunkle Wolken und Gewitter aufsteigen? – Ach! – als mein Helms sich um meinetwillen schlug, da war ich ein blühendes achtzehnjähriges Mädchen, man nannte mich schön – man beneidete ihn. – Und Sie – Sie schlagen sich für eine Matrone, für ein Verhältnis, das die leichtfertige Welt nicht zu fassen vermag, das nichtswürdige Gottlosigkeit mit frechem Spott begeifert. – Nein! Das darf, das soll nicht sein! – Ich gebe Ihnen Ihr Wort zurück, lieber Eugenius! Wir müssen uns trennen!«

»Nimmermehr«, schrie Eugenius, indem er der Professorin zu Füßen stürzte und ihre Hände an seine Lippen drückte; »wie, meinen letzten Tropfen Blut sollt' ich nicht verspritzen für meine Mutter?« – Und nun beschwor er die Professorin unter den heißesten Tränen, zu halten, was sie versprochen, nämlich, daß der Segen der Kirche ihn weihen solle zu ihrem Sohn! – »Doch ich Unglückseliger«, fuhr er dann plötzlich auf, »ist nicht alles zerstört, all mein Hoffen, mein ganzes Lebensglück? Marcell ist vielleicht schon tot – in der nächsten Minute schleppt man mich vielleicht ins Gefängnis.« –

»Sein Sie ruhig«, sprach die Professorin, indem ein anmutiges Lächelnd die Verklärung des Himmels auf ihrem Antlitz verbreitete, »sein Sie ruhig, mein lieber frommer Sohn! Marcell ist außer aller Gefahr, der Stoß ist so glücklich gegangen, daß durchaus gar keine edlen Teile verletzt sind. Mehrere Stunden habe ich bei unserm würdigen Rektor zugebracht. Er hat sich mit dem Senior Ihrer Landsmannschaft, mit den Sekundanten, mit mehreren Studenten, die bei dem ganzen Vorfall zugegen waren, besprochen. – ›Das ist keine gemeine alberne Rauferei‹, sprach der edle Greis, ›Eugenius konnte die tiefe Schmach nicht anders rügen und Marcell auch nicht anders handeln. Ich habe nichts erfahren und werde jeder Angeberei zu begegnen wissen.‹« –

Eugenius schrie laut auf vor Wonne und Entzücken, und hingerissen von dem Moment, in dem der Himmel selbst durch seine schönsten Freuden den frommen Sinn des begeisterten Jünglings zu verherrlichen schien, gab die Professorin seinem Flehen nach, daß ihre Hochzeit in ganz kurzer Zeit gefeiert werden solle.

Am späten Abend, als den Morgen darauf die Trauung in möglichster Stille gefeiert werden sollte, ließ sich auf der Straße vor dem Hause der Professorin ein dumpfes Murmeln und leises Kichern vernehmen. Es waren Studenten, die sich versammelten. Aufflammend im Grimm lief Eugenius nach seinem Rapier. Vor Schreck leichenblaß, war die Professorin keines Wortes mächtig. Da sprach aber eine rauhe Stimme auf der Straße: »Wollt ihr, so werde ich euch beistehn in dem saubern Ständchen, das ihr dem Brautpaar hier zu bringen im Sinn habt, aber morgen wird sich denn auch keiner weigern, mit mir ein Tänzchen zu machen, solange als er sich auf den Beinen aufrecht erhalten kann!« –

Die Studenten schlichen einer nach dem andern still fort. Eugenius, aus dem Fenster blickend, erkannte im Laternenschimmer sehr deutlich den Marcell, der mitten auf dem Pflaster stand und nicht eher wich, bis der letzte der Versammelten den Ort verlassen.

»Ich weiß nicht«, sprach die Professorin, als die paar alten Freunde des verstorbenen Helms, die der Trauung beigewohnt, fortgegangen waren, »ich weiß nicht, was unserm Gretchen ist, warum sie geweint hat wie im trostlosesten Schmerz. Gewiß glaubt das arme Kind, wir würden uns nun weniger um sie kümmern. Nein! – mein Gretchen bleibt mein liebes, liebes Töchterlein!« – So sprach die Professorin und schloß Gretchen, die eben hereingetreten, in ihre Arme. »Ja«, sprach Eugenius, »Gretchen ist unser gutes liebes Kind, und mit der Botanik wird's auch noch recht gut gehen.« Damit zog er sie zu sich hin und drückte, was er sonst beileibe nicht getan, einen Kuß auf ihre Lippen. Aber wie leblos sank Gretchen in seinen Armen zusammen.

»Was«, rief Eugenius, »was hast du, Gretchen? – Bist du denn eine kleine MimosaMimosa pudica – Sinnpflanze. Die vierfach gefingert gefiederten Blätter ziehen oder legen sich bei der geringsten Berührung zusammen., daß du zusammenfährst, wenn man dich anrührt?«

»Das arme Kind ist gewiß krank, der feuchte kalte Dunst in der Kirche hat ihr nicht wohlgetan«, so sprach die Professorin, indem sie der Kleinen die Stirne rieb mit stärkendem Wasser. Gretchen schlug die Augen auf mit einem tiefen Seufzer und meinte, es sei ihr plötzlich gewesen, als bekäme sie einen Stich ins Herz hinein, aber nun wäre alles vorüber. –

Drittes Kapitel

Stilles Familienleben. Der Ausflug in die Welt. Der Spanier Fermino Valies. Warnungen eines verständigen Freundes.

Auf den Glockenschlag fünf Uhr, wenn der letzte schöne Morgentraum von dem wohlerhaltenen Exemplar irgendeiner seltnen Pflanze entflohen, verließ Eugenius sein Lager, fuhr in den botanischen Schlafrock des Professors und studierte, bis ein feines Glöcklein ertönte. Dies geschah Punkt sieben Uhr und war ein Zeichen, daß die Professorin aufgestanden, sich angekleidet, und daß der Kaffee in ihrem Zimmer bereit stand. In dies Zimmer begab sich Eugenius und ergriff, nachdem er zum Guten Morgen der Professorin die Hand geküßt, ganz nach der Art, wie wohl ein frommes Kind die Mutter begrüßt, die Pfeife, die schon gestopft auf dem Tische lag, und die er an dem Fidibus anzündete, den ihm Gretchen hinhielt. Unter freundlichem Gespräch wurd' es acht Uhr, dann stieg Eugenius hinab in den Garten oder in das Treibhaus, wie es nun eben Witterung und Jahreszeit gestattete, wo er sich mit botanischer Arbeit beschäftigte bis elf Uhr. Dann kleidete er sich an und stand Punkt zwölf Uhr an dem gedeckten Tisch, auf dem die Suppe dampfte. Die Professorin war dann gar höchlich erfreut, wenn Eugenius bemerkte, daß der Fisch die gehörige Würze, daß der Braten Saft und Kraft habe usw. »Ganz«, rief die Professorin, »ganz wie mein Helms, der meine Küche zu loben pflegte, wie selten ein Ehemann, dem es manchmal überall schmeckt, nur nicht im Hause! – Ja, lieber Eugenius, Sie haben ganz und gar das heitre Gemüt meines Seligen!« – Nun folgte ein Zug nach dem andern aus dem stillen einfachen Leben des Verstorbenen, den die Professorin beinahe geschwätzig erzählte, und der den Eugenius, war ihm auch alles längst bekannt, doch wieder aufs neue rührte, und oft schloß sich das einfache Mahl der kleinen Familie damit, daß die letzten Tropfen Weins auf das Andenken des Professors geleert wurden. Der Nachmittag glich dem Vormittage. Eugenius brachte ihn hin mit seinen Studien, bis um sechs Uhr abends die Familie sich wieder versammelte. Eugenius erteilte dann ein paar Stunden hindurch, in Gegenwart der Professorin, dem Gretchen Unterricht in dieser, jener Wissenschaft, dieser, jener Sprache. Um acht Uhr wurde gegessen, um zehn Uhr begab man sich zur Ruhe. So war ein Tag dem andern völlig gleich, und nur der Sonntag machte eine Ausnahme. Eugenius ging dann vormittags, stattlich gekleidet in diesen, jenen Sonntagsrock des Professors von zuweilen etwas seltsamer Farbe und noch seltsamerem Schnitt, mit der Professorin und Gretchen nach der Kirche, und nachmittags wurde, erlaubt' es die Witterung, eine Spazierfahrt nach einem nicht fern von der Stadt gelegenen Dörfchen gemacht.

So dauerte das klösterliche einfache Leben fort, aus dem sich Eugenius nicht hinaussehnte, in dem ihm sein ganzes Wirken und Sein eingeschlossen schien. Wohl mag aber zehrender Krankheitsstoff sich im Innern gebären, wenn der Geist, seinen eignen Organismus verkennend, im unseligen Mißverständnis den Bedingungen des Lebens widerstrebt. Krankheit zu nennen war nämlich die hypochondrische Selbstgenügsamkeit, zu der Eugens ganzes Treiben erstarrte, und die, immer mehr ihm seine unbefangene Heiterkeit raubend, ihn für alles, was außer seinem engen Kreise lag, kalt, schroff, scheu erscheinen ließ. Da er niemals, außer an den Sonntagen, in Gesellschaft seiner Gattin-Mutter, das Haus verließ, so kam er aus aller Berührung mit seinen Freunden; Besuche vermied er auf das sorglichste, und selbst Severs, seines alten treuen Freundes, Gegenwart beängstete ihn so sichtlich, daß dieser auch wegblieb.

»Es ist nun einmal so mit dir gekommen, du bist und mußt nun tot sein für uns. – Ein Erwachen würde dich erst recht töten!« –

So sprach Sever, als er das letztemal den verlornen Freund verließ, dem es gar nicht einmal einfiel, darüber nachzudenken, was Sever mit jenen Worten wohl habe sagen wollen.

Die Spuren des geistigen Verkränkelns zeigten sich auch bald auf Eugens todbleichem Antlitz. Alles Jugendfeuer in den Augen war erloschen, er sprach die matte Sprache des Engbrüstigen, und sah man ihn in dem Ehrenkleide des verstorbenen Professors, so mußte man glauben, der Alte wolle den Jüngling hinaustreiben aus seinem Rock und selbst wieder hineinwachsen. Vergebens forschte die Professorin, ob der Jüngling, um den ihr bangte, sich körperlich krank fühle und des Arztes bedürfe; er versicherte indessen, daß er sich niemals wohler gefühlt. –

Eugenius saß eines Tages in der Gartenlaube, als die Professorin hineintrat, sich ihm gegenübersetzte und ihn stillschweigend betrachtete. Eugenius schien, in ein Buch vertieft, sie kaum zu bemerken.

»Das«, begann endlich die Professorin, »das habe ich nicht gewollt, nicht gedacht, nicht geahnt!«

Eugenius fuhr, beinahe erschreckt durch den fremdartigen scharfen Ton, in dem die Professorin jene Worte sprach, von seinem Sitze auf.

»Eugenius«, fuhr die Professorin sanfter und milder fort, »Eugenius, Sie entziehen sich der Welt ganz und gar, es ist Ihre Lebensweise, die Ihre Jugend verstört! Ich, meinen Sie, sollte nicht tadeln, daß Sie in klösterlicher Einsamkeit sich einschließen in das Haus, daß Sie ganz mir und der Wissenschaft leben, aber es ist dem nicht so. Fern sei von mir der Gedanke, daß Sie Ihre schönsten Jahre einem Verhältnis opfern sollten, das Sie mißverstehen, indem Sie dies Opfer bringen. Nein, Eugenius, hinaus sollen Sie in das Leben treten, das Ihrem frommen Sinn nie gefährlich werden kann.«

Eugenius versicherte, daß er gegen alles, was außer dem kleinen Kreise, der seine einzige Heimat sei, liege, einen innern Abscheu hege, daß er sich wenigstens unter den Menschen beängstet, unbehaglich fühlen werden, und daß er auch am Ende gar nicht wissen, wie er es anfangen solle, hinauszutreten aus seiner Einsamkeit.

Die Professorin, ihre gewohnte Freundlichkeit wiedergewinnend, sagte ihm nun, daß der Professor Helms ebenso wie er das einsame, ganz den Studien gewidmete Leben geliebt, daß er aber demunerachtet sehr oft und in seinen Jüngern Jahren beinahe täglich ein gewisses Kaffeehaus besucht, in dem sich meistens Gelehrte, Schriftsteller, vorzüglich aber Fremde einzufinden pflegten. So sei er stets mit der Welt, mit dem Leben in Berührung geblieben, und oft habe er dort durch mancherlei Mitteilungen reichlich geerntet für seine Wissenschaft. Ein gleiches solle Eugenius tun.

Hätte die Professorin nicht darauf bestanden, schwerlich wäre Eugenius dazu gekommen, sich wirklich hinauszuwagen aus seiner Klause.

Das Kaffeehaus, dessen die Professorin gedachte, war in der Tat der Sammelplatz der schriftstellerischen Welt und nebenher der Ort, den Fremde zu besuchen pflegten, so daß in den Abendstunden ein buntes Gewühl in den Sälen auf- und abwogte.

Man kann denken, wie seltsam dem Klausner Eugenius zumute war, als er zum erstenmal sich in diesem Gewühle befand. Doch fühlte er seine Beklommenheit weichen, als er gewahrte, daß niemand sich um ihn kümmerte. Immer unbefangener geworden, trieb er es bis zu der Keckheit, irgendeine Erfrischung bei einem müßig dastehenden Kellner zu bestellen, bis ins Tabakzimmer zu dringen, Platz zu nehmen in einer Ecke und, den mannigfachen Gesprächen zuhorchend, wirklich selbst seiner Lieblingsneigung gemäß eine Pfeife zu rauchen. Nun erst gewann er eine gewisse Haltung, und von dem lustigen, lauten Treiben um ihn her auf ihm fremde Weise erregt, blies er, ganz fröhlich und guter Dinge, die blauen Wolken vor sich her.

Dicht neben ihm nahm ein Mann Platz, dessen Bildung und Anstand den Fremden verriet. Er stand in der Blüte des männlichen Alters, mehr klein als groß, war er sehr wohlgestaltet, jede seiner Bewegungen rasch und geschmeidig, sein Antlitz voll eigentümlichen Ausdrucks. – Es war ihm unmöglich, sich mit dem herbeigerufenen Kellner zu verständigen, je mehr er sich deshalb mühte, je mehr er in Hitze geriet und Zorn, desto wunderlicher wurde das Deutsch, das er herausstotterte. Endlich rief er auf Spanisch: »Der Mensch tötet mich mit seiner Dummheit.« Eugenius verstand das Spanische sehr gut und sprach es so ziemlich. Aller Blödigkeit entsagend, nahte er sich dem Fremden und erbot sich, den Dolmetscher zu machen. Der Fremde schaute ihn an mit durchbohrendem Blick. Dann versicherte er aber, indem eine anmutige Freundlichkeit in seinem Gesichte aufglänzte, daß er es für ein besonderes Glück halte, auf jemanden zu treffen, der seine Muttersprache rede, die so selten gesprochen werde, unerachtet sie wohl die herrlichste sei, die es gäbe. Er rühmte Eugens Aussprache und schloß damit, daß die Bekanntschaft, die er der Gunst des Zufalls verdanke, fester geknüpft werden müsse, welches nicht besser geschehen könne, als bei einem Glase des geistigen feurigen Weins, der auf dem vaterländischen Boden wachse.

Eugenius errötete über und über wie ein verschämtes Kind; als er indessen ein paar Gläser von dem Xeres getrunken, den der Fremde hatte bringen lassen, fühlte er mit der behaglichen Wärme, die sein Innres durchströmte, eine ganz besondere Lust an des Fremden lebensheiterm Gespräch.

Er möge, begann endlich der Fremde, nachdem er den Eugenius einen Augenblick stillschweigend betrachtete, er möge es ihm nicht übel deuten, wenn er nun gestehe, daß bei dem ersten Blick er sich über sein Äußeres gar verwundert. Sein jugendliches Gesicht, seine ganze Bildung stehe nämlich mit seiner bis zum Bizarren altfränkischen Kleidung in solch wunderlichem Widerspruch, daß er ganz besondere Beweggründe vermuten müsse, die ihn nötigten, sich auf die Weise zu verunstalten.

Eugenius errötete aufs neue, denn einen flüchtigen Blick auf seinen zimtfarbnen Ärmel mit den goldbesponnenen Knöpfen auf dem Aufschlag werfend, fühlte er selbst lebhaft, wie seltsam er abstechen müsse gegen alle, die im Saal befindlich, vorzüglich aber gegen den Fremden, der, nach der letzten Mode schwarz gekleidet, mit der feinsten, blendend weißen Wäsche, mit dem Brustnadelbrillant die Eleganz selbst schien.

Ohne Eugens Antwort abzuwarten, fuhr der Fremde fort, daß es durchaus außer seinem Charakter läge, jemanden seine Lebensverhältnisse abzufragen, indessen flöße ihm Eugenius ein solches hohes Interesse ein, daß er nicht umhinkönne, ihm zu gestehen, wie er ihn für einen jungen, vom Unglück, von drückender Sorge verfolgten Gelehrten halte. Sein blasses abgehärmtes Gesicht spräche dafür, und das altfränkische Kleid sei gewiß das Geschenk irgendeines alten Mäcens, das er in Ermanglung eines andern zu tragen gezwungen. Er könne und wolle helfen, er sähe ihn für seinen Landsmann an, und nur darum bitte er, alle engherzigen Rücksichten beiseite zu setzen und so offen zu sein, als er es gegen den innigsten, bewährtesten Freund sein würde.

Eugenius errötete zum drittenmal, nun aber in dem bittern Gefühl, ja beinahe im Zorn über das Mißverständnis, das der unglückselige Rock des alten Helms vielleicht nicht bei dem Fremden allein, sondern bei allen Anwesenden veranlaßt. Eben dieser Zorn löste ihm aber Herz und Zunge. Er eröffnete dem Fremden sein ganzes Verhältnis, er sprach von der Professorin mit dem Enthusiasmus, den ihm die wahre kindliche Liebe zu der alten Frau einflößte, er versicherte, daß er der glücklichste Mensch sei auf Erden, daß er wünsche, seine jetzige Lage möge fortdauern, solange er lebe.

Der Fremde hatte sehr aufmerksam alles angehört; dann sprach er mit bedeutendem scharfen Ton: »Ich lebte auch einmal einsam, viel einsamer als Sie, und glaubte in dieser Einsamkeit, die andere trostlos genannt hätten, daß das Schicksal keinen Anspruch mehr an mich habe. Da rauschten die Wogen des Lebens hoch auf, und mich ergriff ihr Strudel, der mich hinabzureißen drohte in den Abgrund. Doch bald hob ich, ein kühner Schwimmer, mich hoch empor und segle nun fröhlich und freudig daher auf silberheller Flut und fürchte nicht mehr die hoffnungslose Tiefe, die das Spiel der Wellen verbirgt. Nur auf der Höhe versteht man das Leben, dessen erster Anspruch ist, daß man seine Lust genieße. Und auf den heitern hellen Lebensgenuß wollen wir die Gläser leeren!«

Eugenius stieß an, ohne daß er den Fremden ganz verstanden. Seine Worte, in dem sonoren Spanisch gesprochen, klangen ihm wie fremde, aber recht ins Innere hineintönende Musik. Er fühlte sich zu dem Fremden hingezogen auf besondere Weise, selbst wußte er nicht warum.

Arm in Arm verließen die neuen Freunde das Kaffeehaus. In dem Augenblick, als sie auf der Straße sich trennten, kam Sever, der, als er Eugenius erblickte, voll Erstaunen stehenblieb.

»Sage«, sprach Sever, »sage mir um des Himmels willen, was hat das zu bedeuten? Du auf dem Kaffeehause? Du vertraulich mit einem Fremden? – Und noch dazu siehst du ganz erregt, erhitzt aus, als hättest du ein Glas Wein zuviel getrunken!«

Eugenius erzählte, wie alles gekommen, wie die Professorin darauf bestanden, daß er das Kaffeehaus besuchen solle, wie er dann die Bekanntschaft des Fremden gemacht.

»Was doch«, rief Sever, »was doch die alte Professorin für einen Scharfsinn hat fürs Leben! In der Tat, sie sieht ein, daß der Vogel flügge geworden, und läßt ihn sich versuchen im Fliegen! – O der klugen, weisen Frau!«

»Ich bitte dich«, erwiderte Eugenius, »schweige von meiner Mutter, die nichts will als mein Glück, meine Zufriedenheit, und deren Güte ich eben die Bekanntschaft des herrlichen Mannes verdanke, der mich soeben verließ.«

»Des herrlichen Mannes?« unterbrach Sever den Freund. »Nun, was mich betrifft, ich traue dem Kerl nicht über den Weg. Er ist übrigens ein Spanier und Sekretär des spanischen Grafen Angelo Mora, der seit kurzem angekommen und das schöne Landhaus vor der Stadt bezogen hat, das sonst, wie du weißt, dem bankerott gewordenen Bankier Overdeen gehörte. – Doch das wirst du schon alles wissen von ihm selbst.«

»Mitnichten«, erwiderte Eugen, »mir fiel es nicht ein, ihn nach Stand und Namen zu fragen.«

»Das ist«, sprach Sever lachend weiter, »das ist der wahre Weltbürgersinn, wackrer Eugen! – Der Kerl heißt Fermino Valies und ist ganz gewiß ein Spitzbube, denn sooft ich ihn sah, fiel mir an ihm ein gewisses heimtückisches Wesen auf, und dann traf ich ihn schon auf ganz besonderen Wegen. – Hüte dich – nimm dich in acht, o mein frommer Professorssohn!«

»Nun merk' ich wohl«, sprach Eugen voller Unmut, »daß du es darauf abgesehen hast, mich durch deine lieblosen Urteile zu kränken, zu ärgern, aber du sollst mich nicht irremachen; die Stimme, die in meinem Innern spricht, die ist es, der ich allein traue, der ich allein folge.«

»Füge es«, erwiderte Sever, »füge es der Himmel, daß deine innere Stimme kein falsches Orakel sein mag!« –

Eugenius vermochte erst selbst nicht zu begreifen, wie es geschehen können, daß er dem Spanier in den ersten Augenblicken der Bekanntschaft sein ganzes Inneres erschlossen, und hatte er der Macht des Augenblicks die seltsame Aufregung zugeschrieben, in der er sich befunden, so mußte er nun, da das Bild des Fremden in seiner Seele unverwischt feststand, es sich selbst gestehen, daß das Geheimnisvolle, ja Wunderbare, wie es in dem ganzen Wesen des Fremden sich kundtat, mit wahrer Zauberkraft auf ihn gewirkt, und eben dieses Wesen schien ihm die Ursache des seltsamen Mißtrauens zu sein, das Sever wider den Spanier hegte.

 

Andern Tages, als Eugenius sich wieder auf dem Kaffeehause einfand, schien ihn der Fremde mit Ungeduld erwartet zu haben. Unrecht, meinte er, sei es gewesen, daß er gestern Eugenius' Vertrauen nicht erwidert und nicht auch von seinen Lebensverhältnissen zu ihm gesprochen. Er nenne sich Fermino Valies, sei Spanier von Geburt und zur Zeit Sekretär des spanischen Grafen Angelo Mora, den er in Augsburg getroffen und mit dem er hergekommen. Das alles habe er schon gestern von einem seiner Freunde, namens Sever, erfahren, erwiderte Eugenius. Da flammte ein glühend Rot plötzlich auf des Spaniers Wangen und verschwand ebenso schnell. Dann sprach er mit stechendem Blick und beinahe bitter höhnendem Ton: »Nicht glauben konnt' ich, daß Leute, um die ich mich nie gekümmert, mir die Ehre erzeigen würden, mich zu kennen. Doch glaub' ich schwerlich, daß Ihr Freund Ihnen mehr über mich wird sagen können als ich selbst.« – Fermino Valies vertraute nun ohne Hehl seinem neuen Freunde, daß er, kaum der Knabenzeit entwachsen, verführt durch die boshafte Arglist mächtiger Verwandten, in ein Kloster gegangen und Gelübde getan, gegen die sich später sein Innerstes empört. Ja, bedroht von der Gefahr, in immerwährender namenloser Marter hoffnungslos hinzusiechen, habe er dem Drange nicht widerstehen können, sich in Freiheit zu setzen, und sei, als die Gunst des Schicksals ihm eine Gelegenheit dazu dargeboten, entflohen aus dem Kloster. Lebendig, mit den glühendsten Farben, schilderte nun Fermino das Leben in jenem strengen Orden, dessen Regel der erfinderische Wahnsinn des höchsten Fanatismus geschaffen, und um so greller stach dagegen das Bild ab, das er von seinem Leben in der Welt aufstellte, und das so reich und bunt war, wie man es nur bei einem geistvollen Abenteurer voraussetzen kann.

Eugenius fand sich wie von Zauberkreisen umfangen, er glaubte in dem magischen Spiegel des Traums eine ihm neue Welt voll glänzender Gestalten zu erblicken, und unbemerkt erfüllte seine Brust die Sehnsucht, selbst dieser Welt anzugehören. Er gewahrte, daß seine Verwunderung über manches, vorzüglich aber diese, jene Frage, die er unwillkürlich dazwischenwarf, dem Spanier ein Lächeln entlockte, das ihm Schamröte ins Gesicht trieb. Ihm kam der niederschlagende Gedanke, daß er in Mannesjahren ein Kind geblieben!

Nicht fehlen konnte es, daß der Spanier mit jedem Tage mehr Herrschaft gewann über den unerfahrenen Eugenius. Sowie nur die gewöhnliche Stunde schlug, eilte Eugenius nach dem Kaffeehause und blieb länger und länger, da ihn, mochte er es sich selbst auch nicht gestehen, vor der Rückkehr aus heitrer Welt in die häusliche Einöde graute. Fermino wußte den kleinen Kreis, in dem er sich bis jetzt mit seinem neuen Freunde bewegt, geschickt zu erweitern. Er besuchte mit Eugenius das Theater, die öffentlichen Spaziergänge, und gewöhnlich endeten sie den Abend in irgendeiner Restauration, wo hitzige Getränke die aufgeregte Stimmung, in der sich Eugenius befand, bald bis zur Ausgelassenheit steigerten. Spät in der Nacht kam er nach Hause, warf sich aufs Lager, nicht um wie sonst ruhig zu schlafen, sondern um sich hinzugeben verwirrten Träumen, die ihm oft Gebilde vorüberführten, vor denen er sich sonst entsetzt haben würde. – Matt und abgespannt, unfähig zu wissenschaftlicher Arbeit fühlte er sich dann am Morgen, und erst wenn die Stunde schlug, in der er den Spanier zu sehen gewohnt, kamen alle Geister des wildverstörten Lebens in ihm zurück, die unwiderstehlich ihn forttrieben.

Eben zu solcher Stunde, als Eugenius wieder forteilen wollte nach dem Kaffeehause, guckte er, wie er zu tun gewohnt, in das Zimmer der Professorin, um flüchtig Abschied zu nehmen.

»Treten Sie herein, Eugenius, ich habe mit Ihnen zu reden!« So rief ihm die Professorin entgegen, und in dem Ton, mit dem sie diese Worte sprach, lag so viel strenger, ganz ungewohnter Ernst, daß Eugenius festgebannt wurde von jäher Bestürzung.

Er trat ins Zimmer; nicht ertragen konnte er den Blick der Alten, in dem sich tiefer Verdruß mit niederbeugender Würde paarte.

Mit ruhiger Festigkeit hielt nun die Professorin dem Jünglinge vor, wie er sich nach und nach zu einer Lebensart verlocken lassen, die alle Ehrbarkeit, alle gute Sitte und Ordnung verhöhne und ihn über kurz oder lang ins Verderben stürzen werde.

Wohl mochte es sein, daß die Alte, die Bedingnisse des Jugendlebens zu sehr nach der Sitte älterer frömmerer Zeit abwägend, in ihrer langen und bisweilen zu heftig werdenden Strafpredigt das richtige Maß überschritt. So mußte es aber kommen, daß das Gefühl des Unrechts, das erst den Jüngling erfaßt hatte, unterging in dem bittern Unmut, den die immer mächtiger werdende Überzeugung, wie er sich doch niemals einem eigentlich sträflichen Hange überlassen, in ihm erregte. Wie es denn zu geschehen pflegt, daß der Vorwurf, der nicht ganz trifft ins Innerste hinein, von der Brust des Schuldigen wirkungslos abprallt.

Als die Professorin ihre Strafpredigt endlich schloß mit einem kalten, beinahe verächtlichen: »Doch! gehen Sie, tun Sie, was Sie wollen!« da kam ihm der Gedanke, wie er in Mannesjahren ein Kind geblieben, mit erneuter Stärke zurück. – »Armseliger Schulknabe! wirst du nie der Zuchtrute entrinnen?« – So sprach eine Stimme in seinem Innern! – Er rannte von dannen.

Viertes Kapitel

Der Garten des Grafen Angelo Mora. Eugenius' Entzücken und Gretchens Schmerz. Die gefährliche Bekanntschaft.

Ein von dem tiefsten Unmut, von den widersprechendsten Gefühlen bestürmtes Gemüt verschließt gern sich in sich selbst, und so geschah es denn auch, daß Eugenius, als er schon vor dem Kaffeehause sich befand, statt hineinzutreten, sich schnell entfernte, unwillkürlich hinauslaufend ins Freie.

Er gelangte vor das breite Gittertor eines Gartens, aus dem ihm balsamische Düfte entgegenströmten. Er schaute hinein und blieb im tiefsten Erstaunen festgewurzelt stehen.

Ein mächtiger Zauber schien die Bäume, die Gebüsche der entferntesten verschiedensten Zonen hierher versetzt zu haben, die im buntesten Gemisch der seltsamsten Farben und Gestaltungen üppig prangten, wie dem heimatlichen Boden entsprossen. Die breiten Gänge, die den magischen Wald durchschnitten, faßten fremde Gewächse, Stauden ein, die Eugenius nur dem Namen, der Abbildung nach gekannt, und selbst Blumen, die er wohl gezogen im eignen Treibhause, erblickte er hier in einer Fülle und Vollendung, wie er sie nie geahnt. Durch den Mittelgang konnte er hinschauen bis zu einem großen runden Platz, in dessen Mitte aus einem Marmorbecken ein Triton Kristallstrahlen hoch in die Höhe spritzte. Silberpfauen stolzierten daher, Goldfasane badeten sich in dem Feuer der Abendsonne. – Nicht gar zu fern vom Tor blühte eine Datura fastuosa (schöner Stechapfel) mit ihren herrlich duftenden großen trichterförmigen Blumen in solch glanzvoller Pracht, daß Eugenius mit Scham an die ärmliche Gestaltung dachte, die dasselbe Gewächs in seinem Garten zeigte. Es war das Lieblingsgewächs der Professorin, und allen Unmut vergessend, dachte Eugenius eben: »Ach! – könnte die gute Mutter solch eine Datura in den Garten bekommen!« – Da schwebten, wie von den Abendlüften getragen, süße Akkorde eines unbekannten Instruments aus den fernen Zaubergebüschen, und leuchtend stiegen die wunderbaren Himmelstöne einer weiblichen Stimme empor. – Es war eine jener Melodien, die nur die Liebesbegeisterung des Südens aus der tiefsten Brust hervorzurufen vermag, es war eine spanische Romanze, die die Verborgene sang.

Aller süße namenlose Schmerz der innigsten Wehmut, alle Glut inbrünstiger Sehnsucht erfaßte den Jüngling, er geriet in eine Trunkenheit der Sinne, die ihm ein unbekanntes fernes Zauberland voll Traum und Ahnung erschloß. Er war auf die Knie gesunken und hatte den Kopf fest angedrückt an die Stäbe des Gitters.

Tritte, die sich dem Gattertor nahten, scheuchten ihn auf, und er entfernte sich schnell, um in seinem aufgeregten Zustande nicht von Fremden überrascht zu werden. –

Unerachtet die Dämmerung schon eingebrochen, fand Eugenius doch noch Gretchen im Garten mit den Pflanzen beschäftigt.

Ohne aufzublicken, sprach sie mit leiser schüchterner Stimme: »Guten Abend, Herr Eugenius!« – »Was ist dir«, rief Eugenius, dem des Mädchens seltsame Beklommenheit auffiel, »was ist dir, Gretchen? – Schau' mich doch an!«

Gretchen blickte zu ihm auf, aber in dem Augenblick quollen ihr auch die hellen Tränen aus den Augen.

»Was ist dir, liebes Gretchen?« wiederholte Eugenius, indem er des Mädchens Hand faßte. Aber da schien ein jäher Schmerz des Mädchens Innres zu durchzucken. Alle Glieder bebten, die Brust flog auf und nieder, ihr Weinen brach aus in heftiges Schluchzen.

Ein wunderbares Gefühl, wohl mehr als Mitleid, durchdrang den Jüngling.

»Um des Himmels willen«, sprach Eugenius in der schmerzlichsten Teilnahme, »um des Himmels willen, was hast du, was ist dir geschehen, mein liebes Gretchen? – Du bist krank, sehr krank! – Komm, setze dich, vertraue mir alles!«

Damit führte Eugenius das Mädchen auf eine Gartenbank, setzte sich zu ihr und wiederholte, indem er ihre Hand leise drückte: »Vertraue mir alles, mein liebes Gretchen!«

Dem Rosenschimmer des erwachten Morgens gleich, brach ein holdes Lächeln durch des Mädchens Tränen. Sie seufzte tief, der Schmerz schien gebrochen und das Gefühl unbeschreiblicher Lust, süßer Wehmut sie zu durchdringen.

»Ich bin«, lispelte sie leise mit niedergeschlagenen Augen, »ich bin wohl ein dummes, einfältiges Ding, und es ist alles nur Einbildung, lauter Einbildung! – Und doch«, rief sie dann stärker, indem ihr Tränen wieder aus den Augen stürzten, »und doch ist es so – doch ist es so!«

»So fasse«, sprach Eugenius ganz bestürzt, »so fasse dich doch nur, liebes Gretchen, und erzähle, vertraue mir, was dir denn Böses geschehn, was dich so tief erschüttert hat.«

Endlich kam Gretchen zu Worten. Sie erzählte, wie in Eugenius' Abwesenheit ein fremder Mann plötzlich durch die Türe, die sie zu verriegeln vergessen, in den Garten getreten und sehr eifrig nach ihm gefragt habe. Der Mann habe in seinem ganzen Wesen was Besonderes gehabt, sie aber mit solchen seltsamen, feurigen Augen angeblickt, daß es ihr ganz eiskalt durch alle Glieder gefahren sei und sie vor lauter Angst und Bangigkeit kaum ein Glied rühren können. Dann habe der Mann sich in ganz wunderlichen Worten, die sie, da er überhaupt gar kein rechtes Deutsch gesprochen, kaum verstanden, nach diesem, jenem erkundigt und zuletzt gefragt – hier stockte Gretchen plötzlich, indem ihre Wangen Feuerlilien glichen. Als nun aber Eugenius in sie drang, alles, alles herauszusagen, erzählte sie weiter, daß der Fremde sie gefragt, ob sie nicht dem Herrn Eugenius recht gut sei. Recht aus der Seele, habe sie erwidert, o ja, recht von Herzen! Da sei der Fremde dicht an sie herangetreten und habe sie wieder mit jenem abscheulichen Blick ordentlich durchbohrt, so daß sie die Augen niederschlagen müssen. Noch mehr! recht frech und unverschämt habe der Fremde sie auf die Wangen geklopft, die ihr vor lauter Angst und Bangigkeit gebrannt, dabei gesagt: »Du niedliche hübsche Kleine, ja recht gut sein, recht gut sein!« und dann so hämisch gelacht, daß ihr das Herz im Leibe gezittert. In dem Augenblick sei die Frau Professorin ans Fenster getreten, und der Fremde habe gefragt, ob das die Frau Gemahlin des Herrn Eugenius sei, und als sie erwidert, ja, es sei die Mutter, recht höhnisch gerufen: »Ei, die schöne Frau! – Du bist wohl eifersüchtig, Kleine –?« hierauf wieder so hämisch und arglistig gelacht, wie sie es nie von einem Menschen gehört, dann aber, nachdem er die Frau Professorin nochmals recht scharf ins Auge gefaßt, sich schnell aus dem Garten entfernt.

»Aber«, sprach nun Eugenius, »aber in diesem allen, liebes Gretchen, finde ich noch gar nichts, das dich so tief, so gar schmerzlich hätte betrüben können.«

»O Herr«, brach Gretchen los, »o Herr des Himmels, wie oft hat die Mutter mir gesagt daß Teufel in menschlicher Gestalt auf der Erde umherwandeln, die überall Unkraut unter den Weizen säeten, die den Guten allerlei verderbliche Schlingen legten! – O gütiger Gott! – der Fremde, er war der Teufel, der –«

Gretchen stockte. Eugenius hatte gleich gemerkt, daß der Fremde, der Gretchen im Garten überrascht, niemand anders gewesen sein konnte als der Spanier Fermino Valies, und wußte nun recht gut, was Gretchen sagen wollte.

Nicht wenig darüber betreten, fragte er nun kleinmütig, ob er sich denn wirklich seit einiger Zeit in seinem Betragen geändert habe.

Da strömte alles heraus, was Gretchen in der Brust verschlossen. Sie hielt dem Jüngling vor, daß er jetzt im Hause stets trübe, in sich verschlossen, wortkarg, ja zuweilen so ernst und finster sei, daß sie es gar nicht wage, ihn anzureden. Daß er keinen Abend mehr sie seines Unterrichts würdige, der ihr, ach, so lieb, ja wohl das Beste gewesen, was sie auf der Welt gehabt. Daß er gar keine Freude mehr an den schönen Gewächsen und Blumen habe – ach! daß er gestern auf die so herrlich blühenden Balsaminen, die sie allein so sorgsam gezogen, auch nicht einen Blick geworfen, daß er überhaupt gar nicht mehr der liebe gute –

Ein Tränenstrom erstickte Gretchens Worte.

»Sei ruhig, laß keine törichten Einbildungen in dir aufkommen, mein gutes Kind!« – Sowie Eugenius diese Worte sprach, fiel sein Blick auf Gretchen, die sich von der Bank, auf der sie gesessen, erhoben, und als zerstreuten sich plötzlich Zaubernebel, die ihn geblendet, gewahrte er nun erst, daß nicht ein Kind, daß eine sechzehnjährige Jungfrau in der höchsten Anmut des entfalteten Jugendreizes vor ihm stand. – In seltsamer Überraschung vermochte er nicht weiterzureden. Endlich sich ermannend, sprach er leise: »Sei ruhig, mein gutes Gretchen, es wird noch alles anders werden«, und schlich aus dem Garten ins Haus die Treppe hinauf.

Hatte Gretchens Schmerz, ihr Abscheu gegen den Fremden des Jünglings Brust auf besondere Weise bewegt, so war eben deshalb sein Groll gegen die Professorin gestiegen, der er in seiner Betörung allein Gretchens Gram und Leid zuschrieb.

Als er nun zur Professorin hineintrat und diese ihn anreden wollte, unterbrach er sie mit den heftigsten Vorwürfen, daß sie dem jungen Mädchen allerlei abgeschmacktes Zeug in den Kopf gesetzt und über seinen Freund, den Spanier Fermino Valies, geurteilt habe, den sie gar nicht kenne und niemals kennen werde, da der Maßstab einer alten Professorsfrau zu klein sei für wahrhaft lebensgroße Gestaltungen.

»So weit ist es gekommen!« rief die Professorin mit dem schmerzlichsten Ton, indem sie die Augen, die gefalteten Hände gen Himmel erhob.

»Ich weiß nicht«, sprach Eugenius verdrießlich, »ich weiß nicht, was Sie damit meinen, aber mit mir ist es wenigstens noch nicht so weit gekommen, daß ich mit dem Teufel Gemeinschaft gemacht!« –

»Ja«, rief die Professorin mit erhöhter Stimme, »ja! In des Teufels Schlingen sind Sie, Eugenius! Schon hat der Böse Macht über Sie, schon streckt er seine Krallen aus, Sie hinabzureißen in den Pfuhl ewigen Verderbens! – Eugenius! lassen Sie ab von dem Teufel und seinen Werken, es ist Ihre Mutter, die Sie bittet, beschwört« –

»Soll ich«, unterbrach Eugenius die Professorin erbittert, »soll ich begraben sein in diesen öden Mauern? – soll ich freudenlos das kräftigste Leben des Jünglings hinopfern? – Sind die harmlosen Vergnügungen, die die Welt darbietet, Werke des Teufels?«

»Nein«, rief die Professorin, indem, sie ermattet in einen Stuhl sank, »nein, nein, aber! –« In dem Augenblick trat Gretchen hinein und fragte, ob die Professorin, ob Eugenius nicht zu Nacht essen wolle, alles sei bereit.

Sie setzten sich zu Tische, stumm und düster, keines Wortes mächtig vor den feindlichen Gedanken, die das Innere erfüllten. –

Am frühen Morgen erhielt Eugenius ein Billett von Fermino Valies des Inhalts:

»Sie waren gestern am Gattertor unseres Gartens. Warum traten Sie nicht hinein? Zu spät hat man Sie bemerkt, um Sie einzuladen. Nicht wahr, Sie haben ein kleines Eden für Botaniker geschaut? – Heute gegen Abend erwartet Sie an demselben Gattertor

Ihr innigster Freund

Fermino Valies.«

Nach dem Bericht der Köchin hatte das Billett ein furchtbarer, ganz schwarzer Mensch überbracht, wahrscheinlich ein mohrischer Diener des Grafen.

Eugenius fühlte sein ganzes Herz aufgehen bei dem Gedanken, daß er nun eintreten sollte in das Paradies voll herrlichen Zaubers. Er hörte die Himmelstöne, die den Gebüschen entstiegen, und seine Brust bebte vor Inbrunst und Verlangen. Zerronnen war aller Unmut in dem lusterfüllten Gemüt.

Bei Tische erzählte er, wo er gewesen und wie der Garten des Bankiers Overdeen vor dem Tore, den der Graf Angelo Mora besitze, sich ganz und gar verändert habe und jetzt ein wahrer botanischer Zaubergarten sei. Gütig wolle ihn heute abend sein Freund Fermino Valies hineinführen, und er werde nun alles mit leiblichen Augen in der Natur schauen, was er sonst nur aus Beschreibungen und Bildern gekannt. Weitläufig sprach er nun über alle wunderbaren, fernen Zonen entrückten Bäume und Büsche, nannte ihre Namen, gab sein tiefstes Erstaunen darüber zu erkennen, wie sie das heimatliche Klima hätten entbehren und hier aufgezogen werden können. Dazu kam er auf die Sträucher, auf die Stauden, auf die Gewächse und versicherte, daß alles in diesem Garten ganz fremdartig und ungewöhnlich sei, daß er z. B. in seinem Leben keine solche Datura fastuosa gesehen, wie sie im Garten blühe. Der Graf müsse geheimnisvoller Zaubermittel mächtig sein, denn gar nicht zu begreifen wäre sonst, wie dies alles in der kurzen Zeit, während der Graf sich hier aufhalte, habe bewerkstelligt werden können. Dann sprach er von den Himmelstönen der weiblichen Stimme, die den Gebüschen entschwebten, und erschöpfte sich in Schilderungen der Wonne, die er dabei gefühlt.

Eugenius bemerkte in seiner Freude, in seinem Entzücken nicht, daß er allein sprach, und daß die Professorin und Gretchen stumm und in sich gekehrt dasaßen.

Als er die Mahlzeit geendet, sprach die Professorin, indem sie sich von ihrem Sitze erhob, sehr ernst und gelassen: »Sie befinden sich in einem sehr aufgeregten bedrohlichen Zustande, mein Sohn! Der Garten, den Sie mit so vielem Eifer beschreiben und dessen Wunder Sie bösen Zauberkräften des unbekannten Grafen zuschreiben, hatte schon seit vielen, vielen Jahren dieselbe Gestalt, und diese seltsame, ja, wie ich zugeben will, wunderbare Gestaltung ist das Werk eines fremden kunstreichen Gärtners, der in Overdeens Diensten stand. Ich war mit meinem lieben Helms ein paarmal dort, der meinte aber, es wäre ihm alles zu künstlich, und der Zwang, den man der Natur angetan, um das Fremde, einander Entgegengesetzte in abenteuerlicher Mischung zusammenzubringen, beklemme ihm das Herz.« –

Eugenius zählte die Minuten; endlich sank die Sonne, und er durfte sich auf den Weg machen.

»Die Pforte des Verderbens ist geöffnet, und der Diener steht bereit, das Opfer zu empfangen!« So rief die Professorin im Schmerz und Zorn; Eugenius versicherte dagegen, daß er aus dem Ort des Verderbens gesund und unversehrt zurückzukommen hoffe.

Der Mensch, der das Billett von dem Fremden gebracht, habe ganz schwarz, ganz abscheulich ausgesehen, meinte Gretchen.

»Wohl gar«, sprach Eugenius lächelnd, »wohl gar mag es Luzifer selbst oder wenigstens sein erster Kammerdiener gewesen sein? Gretchen, Gretchen! fürchtest du dich noch vor dem Schornsteinfeger?« Gretchen schlug errötend die Augen nieder, Eugenius entfernte sich schnell.

Vor lauter Bewunderung der botanischen Pracht und Herrlichkeit, die sich ihm in dem Garten des Grafen Angelo Mora auftat, konnte Eugenius gar nicht zu sich selbst kommen.

»Nicht wahr«, sprach Fermino Valies endlich, »nicht wahr, Eugenius, es gibt noch Schätze, die du nicht kanntest. Hier sieht es anders aus als in deinem Professors-Garten.«

Es ist zu bemerken, daß der enger geschlossene Bund die Benennung mit dem brüderlichen Du unter den Freunden herbeigeführt hatte. –

»O sprich«, erwiderte Eugenius, »sprich nicht von dem armseligen öden Plätzchen, wo ich, einer kranken, mühsam vegetierenden Pflanze gleich, ein kümmerliches freudeloses Leben hingeschmachtet habe! – O diese Pracht – diese Gewächse, diese Blumen – Hier zu bleiben – hier zu wohnen! –«

Fermino meinte, daß, wenn Eugenius sich dem Grafen Angelo Mora nähern wolle, welches er (Fermino) sehr gern vermitteln werde, jener Wunsch leicht erfüllt werden könne, insofern es ihm möglich, sich von der Professorin wenigstens auf die Zeit zu trennen, während der Graf hierbliebe.

»Doch«, fuhr Fermino fort mit spöttelndem Tone, »doch das ist wohl nicht möglich. Wie sollte solch ein junger Ehemann als du, mein Freund, nicht noch im Entzücken der Liebe schwärmen und sich nur einen Augenblick seine Seligkeit rauben lassen. – Ich habe gestern deine Frau gesehen. In der Tat für ihre hohen Jahre ein glaues muntres Weiblein. – Es ist doch erstaunlich, wie lange Amors Fackel in dem Herzen mancher Weiber zu brennen vermag. – Sage mir nur wie dir bei den Umarmungen deiner Sara, deiner Ninon zumute wird? – Du weißt, wir Spanier sind von feuriger Einbildungskraft, und daher kann ich an dein Eheglück gar nicht denken, ohne in Flammen zu geraten! – Du bist doch nicht eifersüchtig –?«

Der spitze tötende Pfeil des Lächerlichen traf des Jünglings Brust. Er dachte an Severs Warnungen, er fühlte, daß, ließe er sich darauf ein, über sein eigentliches Verhältnis mit der Professorin zu sprechen, er den Spott des Spaniers nur noch mehr reizen würde. Aber aufs neue stand es auch klar vor seiner Seele, daß ein falscher, täuschender Traum ihn, den unerfahrnen Jüngling, um sein Leben betrogen. Er schwieg, doch die brennende Röte, die sein Gesicht überzog, mußte dem Spanier die Wirkung seiner Worte verraten.

»Schön«, sprach Fermino Valies weiter, ohne des Freundes Antwort abzuwarten, »schön ist es hier und herrlich, es ist wahr, aber nenne darum deinen Garten nicht öde und freudenleer. Eben in deinem Garten fand ich gestern etwas, was alle Pflanzen, Gewächse, Blumen auf dem ganzen Erdboden weit, weit übertrifft. – Du weißt, daß ich nichts anders im Sinn haben kann als das Engelsbild von Mädchen, die bei dir hauset. Wie alt ist die Kleine?«

»Sechzehn Jahre, glaub' ich«, stotterte Eugenius.

»Sechzehn Jahre!« wiederholte Fermino, »sechzehn Jahre! hierzulande das schönste Alter! – In der Tat, als ich das Mädchen sah, wurde mir manches klar, mein lieber Freund Eugenius! Euer kleiner Haushalt ist wohl recht idyllisch, alles friedlich und freundlich, die gute Alte ist zufrieden, wenn Männlein bei guter Laune bleibt – sechzehn Jahre? – Ob das Mädchen wohl noch unschuldig sein mag? –«

Alles Blut gärte in Eugenius auf bei dieser frechen Frage des Spaniers.

»Sündlicher Frevel«, fuhr er den Spanier zornig an, »sündlicher Frevel ist deine Frage; Schmutz, der den himmelsklaren Spiegel, dem des Mädchens reines Gemüt gleicht, nicht zu beflecken vermag.«

»Nun, nun«, sprach Fermino, indem er dem Jüngling einen heimtückischen Blick zuwarf, »nun, nun, ereifre dich nur nicht, mein junger Freund! Der reinste klarste Spiegel nimmt die Bilder des Lebens auch am lebendigsten auf, und diese Bilder – doch ich merke, daß du nicht gern von der Kleinen hören magst, und schweige daher.«

In der Tat malte sich auf Eugenius' Gesicht der bittre Unmut, der ihn ganz verstörte. Ja, unheimlich wurde ihm dieser Fermino, und aus dem tiefsten Grunde seines Innersten wollte der Gedanke hervorkeimen, daß Gretchen, das ahnende Kind, wohl recht haben könne, wenn ihr dieser Fermino als ein satanisches Prinzip erschienen.

In diesem Augenblick ließen sich wie Meereswogen anschwellende Akkorde aus dem Gebüsch hören, und jene Stimme ertönte, die gestern alles Entzücken der süßesten Wehmut in des Jünglings Brust entzündet.

»O Herr des Himmels!« rief der Jüngling, indem er erstarrt stehenblieb.

»Was ist es?« fragte Fermino; aber Eugenius gab keine Antwort, sondern horchte dem Gesange zu, ganz verloren in Wonne und Lust.

Fermino schaute ihn an mit Blicken, die in sein Innerstes dringen zu wollen schienen.

Als der Gesang endlich schwieg, seufzte Eugenius tief auf, und als könne nun erst alle süße Wehmut der gepreßten Brust entsteigen, traten ihm helle Tränen in die Augen.

»Dich scheint«, sprach Fermino lächelnd, »dich scheint der Gesang sehr zu ergreifen!«

»Woher«, rief Eugenius begeistert, »woher diese Töne des Himmels? – Keiner Sterblichen Brust kann ihre Heimat sein.«

»Doch«, sprach Fermino weiter, »doch! – Es ist Gräfin Gabriela, die Tochter meines Herrn, welche nach Landessitte Romanzen singend und sich auf der Guitarre begleitend, durch des Gartens Gänge lustwandelt.«

Ganz unvermutet trat Gräfin Gabriela, die Guitarre im Arm, aus dem dunklen Gebüsch, so daß sie plötzlich dicht vor Eugenius stand.

Es ist zu sagen, daß Gräfin Gabriela in jedem Betracht schön zu nennen war. Der üppige Bau ihres Körpers, der siegende Feuerblick ihrer großen schwarzen Augen, die hohe Anmut ihres Wesens, der volle sonore Silberklang der tiefen Stimme, alles dieses verriet, daß sie unter heiterm südlichen Himmel geboren.

Gefährlich mögen solche Reize sein, aber noch gefährlicher für den lebensunerfahrnen Jüngling ist jener unbeschreibliche Ausdruck im Antlitz, im ganzen Wesen, der auf schon erwachte, im Innern mächtig flammende Liebesglut deutet. Zu diesem Ausdruck gesellt sich denn noch jene geheimnisvolle Kunst, vermöge der das in Lieb' entflammte Weib ihren Anzug, ihren Schmuck so zu wählen, zu ordnen vermag, daß ein harmonisches Ganzes jeden Reiz des einzelnen noch blendender hervorleuchten läßt.

War nun in dieser Hinsicht Gräfin Gabriela die Göttin der Liebe selbst, so mußt' es wohl geschehen, daß ihre Erscheinung den schon durch den Gesang aufgeregten Eugenius traf wie ein zündender Blitz.

Fermino stellte den Jüngling der Gräfin vor als einen neuerworbnen Freund, der das Spanische vollkommen verstehe und spreche und dabei ein vortrefflicher Botaniker sei, weshalb ihm hier der Garten ungemeines Vergnügen gewähre.

Eugenius stammelte einige unverständliche Worte, während die Gräfin und Fermino bedeutende Blicke wechselten. Gabriela faßte den Jüngling scharf ins Auge, dem zumute war, als müsse er hinsinken in den Staub.

Da gab die Gräfin ihre Guitarre dem Fermino und hing sich in des Jünglings Arm, indem sie mit holder Anmut erklärte, daß sie auch ein wenig von der Botanik verstehe, über manches wunderbare Gesträuch aber gern belehrt sein wolle und daher darauf bestehen müsse, daß Eugenius nochmals den Garten durchwandle.

Bebend vor süßer Angst, wandelte der Jüngling mit der Gräfin fort, aber freier wurde seine Brust, als die Gräfin nach dieser, jener seltsamen Pflanze fragte, und er sich in wissenschaftlichen Erklärungen ergießen konnte. Er fühlte den süßen Hauch der Gräfin an seiner Wange spielen; die elektrische Wärme, die sein Inneres durchdrang, erfüllte ihn mit namenloser Lust, er kannte sich selbst nicht mehr in der Begeisterung, die ihn plötzlich umgeschaffen zu einem ganz andern Wesen.

Immer dichter, immer schwärzer wurden die Schleier, in die der Abend Wald und Flur hüllte. Fermino erinnerte, daß es Zeit sein werde, den Grafen in seinen Zimmern aufzusuchen. – Eugenius, ganz außer sich selbst, drückte der Gräfin Hand stürmisch an die Lippen und schritt dann fort, wie durch die Lüfte getragen, im Gefühl einer Seligkeit, die seine Brust noch nicht gekannt.

Fünftes Kapitel

Das Traumbild. Ferminos verhängnisvolle Geschenke. Trost und Hoffnung.

Man kann denken, daß der Aufruhr im Innern keinen Schlaf in Eugenius' Augen kommen ließ. Als er endlich, der Morgen war schon angebrochen, in jenen Schlummer fiel, der mehr ein Zustand der Betäubung zwischen Wachen und Schlafen zu nennen als wirklicher Schlaf, da trat ihm in vollem blendenden Glanz der höchsten Anmut, wie damals geschmückt, aufs neue das Bild jener Braut entgegen, die er schon einmal im Traum gesehen, und mit verdoppelter Stärke erneute sich der fürchterliche Kampf im Innern, den er damals gekämpft.

»Wie«, sprach das Bild mit süßer Stimme, »wie, du wähnst dich fern von mir? – du zweifelst, daß ich dein bin? – du glaubst, daß das Glück deiner Liebe verloren ist? – Schau' doch nur auf! Geschmückt mit duftenden Rosen, mit blühenden Myrten ist die Brautkammer! – Komm, mein Geliebter, mein süßer Bräutigam! Komm an meine Brust! – «

Flüchtig wie ein Hauch glitten Gretchens Züge über das Traumbild hin, doch als es näher trat, beide Arme ausbreitend, den Jüngling zu umfangen, da war es Gräfin Gabriela.

In der Raserei wildflammender Liebesglut wollte Eugenius das Himmelsbild umfassen, da bannte ihn ein eisiger Starrkrampf fest, so daß er regungslos blieb, als das Traumbild immer mehr und mehr erblaßte, ängstliche Todesseufzer ausstoßend.

Mühsam entwand sich der Brust des Jünglings ein Schrei des Entsetzens.

»Herr Eugenius, Herr Eugenius! Erwachen Sie doch nur, Sie träumen ja so ängstlich! –«

So rief eine laute Stimme. Eugenius fuhr auf aus dem träumerischen Zustand, die helle Sonne schien ihm ins Gesicht. Es war die Hausmagd, die gerufen und die ihm nun sagte, daß der fremde spanische Herr schon dagewesen und mit der Frau Professorin gesprochen, die sich unten im Garten befinde und über den ungewöhnlich langen Schlaf des Herrn Eugenius sehr besorgt gewesen, da sie eine Kränklichkeit vermutet. Der Kaffee stehe im Garten bereit.

Eugenius kleidete sich schnell an und eilte hinab, die aufgeregte Stimmung, in die ihn der verhängnisvolle Traum gesetzt, mit aller Gewalt bekämpfend. –

Nicht wenig verwundert war Eugenius, als er die Professorin im Garten antraf, wie sie vor einer wunderbar herrlichen Datura fastuosa stand und, hingebeugt über die großen trichterförmigen Blumen, den süßen Geruch wohlgefällig einzog.

»Ei«, rief sie dem Eugenius entgegen, »ei, Sie Langschläfer! – Wissen Sie wohl, daß Ihr fremder Freund schon hier gewesen ist und Sie zu sprechen verlangt hat? – Nun, am Ende habe ich wohl dem fremden Herrn unrecht getan und auf meine bösen Ahnungen zuviel gegeben! – Denken Sie nur, lieber Eugenius, diese herrliche Datura fastuosa hat er aus dem Garten des Grafen herschaffen lassen, weil er von Ihnen gehört, daß ich diese Blume sehr liebe. – Also haben Sie doch in Ihrem Paradiese der Mutter gedacht, lieber Eugenius! – Die schöne Datura soll auch recht gepflegt werden.« –

Eugenius wußte nicht recht, was er von Ferminos Beginnen denken sollte. Er mochte beinahe glauben, daß Fermino durch die Aufmerksamkeit, die er bewiesen, den unverdienten Spott habe gutmachen wollen, den er sich über ein Verhältnis erlaubt, das er nicht kannte. –

Die Professorin sagte ihm jetzt, daß der Fremde ihn auf heute abend wieder in den Garten geladen. Die hohe Gutmütigkeit, die sich heute in dem ganzen Wesen der Professorin aussprach, wirkte wie ein heilender Balsam auf des Jünglings wundes zerrissenes Gemüt. Es war ihm, als sei sein Gefühl für die Gräfin von solch hoher Art, daß es nichts gemein haben könne mit den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens. Liebe, die sich auf irdischen Genuß bezieht, mochte er daher jenes Gefühl gar nicht nennen, ja, er fand dies Gefühl entweiht durch den leisesten Gedanken an sinnliche Lust, unerachtet ihn der verhängnisvolle Traum eines andern hätte belehren sollen. So kam es aber, daß er, wie es lange nicht geschehen, sich heiter und froh zeigte, und die Alte war in diesem Augenblick viel zu unbefangen, um die seltsame Spannung zu bemerken, die sich in jener Heiterkeit aussprach.

Nur Gretchen, das ahnende Kind, blieb dabei, daß der Herr Eugenius ganz ein anderer worden, als die Professorin meinte, daß er wieder zurückgekommen von seinem sonderbaren Wesen.

»Ach«, sprach die Kleine, »ach, er ist uns nicht mehr so gut als sonst und stellt sich nur so freundlich, damit wir nicht nach dem fragen sollen, was er uns verschweigen will.« –

Eugenius fand seinen Freund in einem Zimmer des großen Gewächshauses mit dem Filtrieren verschiedener Flüssigkeiten beschäftigt, die er dann einfüllte in Phiolen.

»Ich arbeite«, rief er dem Jüngling entgegen, »ich arbeite in deinem Fache, wiewohl auf andere Weise, als du es wohl jemals getan haben magst!« –

Er erklärte nun, wie er sich auf die geheimnisvolle Bereitung gewisser Substanzen verstehe, die das Wachstum, vorzüglich aber die Schönheit der Gewächse, Sträucher, Pflanzen usw. beförderten, woher es denn komme, daß in dem Garten alles so wunderbar herrlich emporkeime und gedeihe. Darauf schloß Fermino einen kleinen Schrank auf, in dem Eugenius eine Menge Phiolen und kleiner Schächtelchen erblickte.

»Hier«, sprach Fermino, »hier erblickst du eine ganze Sammlung der seltensten Geheimnisse, deren Wirkung ganz fabelhaft zu sein scheint.«

Bald war es ein Saft, bald ein Pulver, das, in das Erdreich oder in das Wasser gemischt, die Farbe, den Duft dieser, jener Blume, den Glanz dieses, jenes Gewächses herrlicher und schöner machen sollte.

»Lasse«, (so sprach Fermino weiter) »lasse zum Beispiel ein paar Tropfen von diesem Saft in das Wasser fallen, womit du die Rosa centifolia aus einer Gießkanne dem sanften Regen gleich ansprengst, und du wirst über die Pracht erstaunen, mit der die Knospen sich entfalten. Noch wunderbarer scheint aber die Wirkung dieses staubähnlichen Pulvers. In den Kelch einer Blume gestreut, mischt es sich mit dem Blumenstaub und erhöht den Duft, ohne ihn in seiner Natur zu ändern. Bei manchen Blumen, wie zum Beispiel bei der Datura fastuosa, ist dies Pulver vorzüglich anwendbar, nur erfordert der Gebrauch desselben eine vorzügliche Behutsamkeit. Eine halbe Messerspitze genügt; die ganze, ja auch nur die halbe Quantität des in dieser Phiole verschlossenen Pulvers würde aber den stärksten Menschen augenblicklich töten, und zwar mit allen Zeichen des Nervenschlages, so daß an eine Spur der Vergiftung gar nicht zu denken. – Nehmen Sie, Eugenius, ich mache Ihnen mit diesem geheimnisvollen Pulver ein Geschenk. Die Versuche, die Sie damit anstellen möchten, werden nicht mißlingen, doch sein Sie behutsam, und denken Sie daran, was ich Ihnen von der tötenden Kraft dieses unbedeutend scheinenden farb- und duftlosen Staubes gesagt habe.«

Damit reichte Fermino dem Eugenius eine kleine blaue verschlossene Phiole hin, die dieser, die Gräfin Gabriela im Garten gewahrend, gedankenlos einsteckte. –

Es genügt zu sagen, daß die Gräfin, ein Weib, ganz Liebe und Lust, in ihrem innersten Wesen die Kunst jener höheren Koketterie tragend, die nur die Ahnung des Genusses gewährt und so den unlöschbaren Durst der inbrünstigsten Sehnsucht in der Brust zu wecken und zu erhalten weiß, durch ihr folgerechtes Betragen den Jüngling in immer stärkerer, immer verzehrenderer Liebesglut entflammte. Nur die Stunden, die Augenblicke, wenn er Gabriela sah, galten ihm für das Leben, sein Haus schien ihm ein finsteres ödes Gefängnis, die Professorin der böse Geist kindischer Betörung, der ihn hineingebannt. Er bemerkte nicht den tiefen stillen Gram, der die Professorin verzehrte, nicht die Tränen, die Gretchen vergoß, wenn er sie kaum eines Blicks würdigte, für kein freundliches Wort eine Antwort hatte. –

So waren einige Wochen vergangen, als Fermino sich an einem Morgen bei Eugenius einstellte. Es lag etwas Gespanntes in seinem ganzen Wesen, das auf irgendein ungewöhnliches Ereignis zu deuten schien.

Nach einigen gleichgültigen Worten faßte er den Jüngling scharf ins Auge und sprach mit seltsam schneidendem Ton: »Eugenius – du liebst die Gräfin, und ihr Besitz ist all dein Sehnen und Trachten.« –

»Unglücklicher!« rief Eugenius ganz außer sich, »Unglücklicher! Mit tötender Hand greifst du in meine Brust und vernichtest mein Paradies! – Was sage ich! – Nein! du störst den Wahnsinnigen auf aus dem Traum seiner Betörung! – Ich liebe Gabriela – ich liebe sie, wie wohl noch kein Mensch hienieden geliebt haben mag – aber diese Liebe führt mich zum trostlosen Verderben!« – »Das sehe ich nicht ein«, sprach mit Kälte Fermino.

»Sie besitzen«, fuhr Eugenius fort, »sie besitzen! – Ha! der armselige Bettler soll trachten nach dem schönsten Edelstein des reichen Perus! – Ein in dem kleinlichen Elend eines mißverstandenen Lebens verlorner Unglücklicher, der nichts behielt, als die der inbrünstigsten Sehnsucht und der trostlosen Verzweiflung offne Brust, und sie – sie – Gabriela!« –

»Ich«, sprach Fermino weiter, »ich weiß nicht, Eugenius, ob nur deine freilich miserabeln Verhältnisse dich so kleinmütig machen. Ein liebendes Herz darf stolz und keck nach dem Höchsten streben.« –

»Wecke«, unterbrach Eugenius den Freund, »wecke nicht trügerische Hoffnungen, die mein Elend nur noch vergrößern könnten.«

»Hm«, erwiderte Fermino, »ich weiß doch nicht, ob das trügerische Hoffnung, ob das trostloses Elend zu nennen, wenn man mit der höchsten Inbrunst, die nur in des Weibes Brust zu glühen vermag, wiedergeliebt wird.«

Eugenius wollte auffahren. »Still!« rief Fermino, »mache dir Luft in allerlei Exklamationen, wenn ich ausgeredet und mich entfernt haben werde, aber jetzt höre mich ruhig an.«

»Es ist«, sprach nun Fermino weiter, »es ist nur zu gewiß, daß Gräfin Gabriela dich liebt, und zwar mit all dem zerstörenden Feuer, das in der Brust der Spanierin flammt. Sie lebt nur in dir, ihr ganzes Wesen gehört nur dir an. So bist du aber kein armseliger Bettler, kein in dem kleinlichen Elend des mißverstandenen Lebens Verlorener; nein, in Gabrielas Liebe bist du unendlich reich, du stehst an den goldnen Pforten eines glanzvollen Edens, das sich dir erschlossen. Glaube ja nicht, daß dein Stand deiner Verbindung mit der Gräfin entgegen sein würde. Es gibt gewisse Verhältnisse, die den stolzen spanischen Grafen wohl seinen hohen Stand vergessen und es ihn selbst auf das eifrigste wünschen lassen würden, dich als einen Eidam aufzunehmen. Ich, mein lieber Eugenius, wäre nun derjenige, der jene Verhältnisse zur Sprache bringen müßte, und ich könnte dir schon jetzt, um dem Verdacht der unfreundschaftlichen Geheimniskrämerei zu entgehen, manches darüber sagen, doch besser ist es, ich schweige zur Zeit. – Und um so mehr scheint dies besser, als eben jetzt ein sehr düsteres schwarzes Gewölk an dem Himmel deiner Liebe heraufgezogen ist. – Du kannst denken, daß ich der Gräfin sorglich deine Verhältnisse verschwiegen habe, und ganz unerklärlich ist es mir, wie die Gräfin es erfahren konnte, daß du vermählt bist, und zwar mit einer mehr als sechzigjährigen Frau. Sie hat mir ihr ganzes Herz ausgeschüttet, sie ist ganz aufgelöst in Schmerz und Verzweiflung. Bald verflucht sie den Augenblick, als sie dich zum ersten Male sah, verflucht dich selbst; bald nennt sie dich wieder mit den zärtlichsten Namen und klagt sich selbst, den Wahnsinn ihrer Liebe an. Sie will dich nie mehr sehen, das hat sie –«

»Heiliger Gott«, schrie Eugenius, »gibt es für mich einen gräßlicheren Tod?«

»Das hat«, fuhr Fermino schalkisch lächelnd fort, »das hat sie beschlossen in den ersten Augenblicken der Liebesraserei. Doch sollst du, wie ich hoffe, Gräfin Gabriela noch heute zur Mitternachtsstunde sehen. Zu dieser Zeit brechen die Blüten der großblumichten Fackeldistel in unserm Gewächshause auf, die, wie du weißt, mit dem Aufgang der Sonne wieder hinzuwelken beginnen. So wenig der Graf den gewürzigen durchdringenden Geruch dieser Blüten ertragen kann, so sehr liebt ihn Gräfin Gabriela. Oder besser gesagt: Gabrielas zur Schwärmerei geneigtes Gemüt findet in dem Wunder dieses Gesträuchs das Mysterium der Liebe und des Todes selbst, das in der Nacht der Blüte durch das schnelle Aufkeinem zum höchsten Moment der Seligkeit und ebenso schnelles Hinwelken gefeiert wird. Ihres tiefen Schmerzes, ihrer Verzweiflung unerachtet, kommt die Gräfin daher gewiß in das Gewächshaus, wo ich dich verstecken werde. – Sinne auf Mittel, dich von deinen Fesseln zu befreien, entflieh dem Kerker! – Doch alles überlasse ich der Liebe und deinem guten Stern! – Du dauerst mich mehr als die Gräfin, und daher biete ich alle meine Kräfte auf, dich zu deinem Glück zu führen.« –

Kaum hatte Fermino den Jüngling verlassen, als die Professorin zu ihm trat.

»Eugenius«, sprach sie mit dem tiefen, niederschlagenden Ernst der ehrwürdigen Matrone, »Eugenius, es kann nicht länger zwischen uns so bleiben!«

Da durchleuchtete den Jüngling wie ein jäher Blitz der Gedanke, daß sein Bund ja nicht unauflöslich sei, daß der Grund richterlicher Scheidung ja schon in dem Mißverhältnis der Jahre liege.

»Ja«, rief er im triumphierenden Hohn, »ja, Frau Professorin, Sie haben ganz recht, es kann zwischen uns nicht länger so bleiben! Vernichtet werde ein Verhältnis, das eine aberwitzige Betörung gebar und das mich fortreißt ins Verderben – Trennung – Scheidung – ich biete dazu die Hand.« –

Die Professorin erblaßte zum Tode, Tränen standen ihr in den Augen.

»Wie«, sprach sie mit zitternder Stimme, »mich, die dich warnte, als du die Ruhe, den innern Frieden der Seele vorzogst dem irren Treiben der Welt, mich, deine Mutter, willst du preisgeben dem Spott, dem Hohngelächter der Bösen? Nein! Eugenius, das willst, das kannst du nicht! – Der Satan hat dich verblendet! Gehe in dich! – Doch ist es nun dahin gekommen, daß du die Mutter, die dich hegte und pflegte, die nichts wollte als dein zeitliches, dein ewiges Wohl, daß du sie verachtest, von ihr willst? Ach, Eugenius, keines irdischen Richters wird es bedürfen, uns zu scheiden. Bald wird es geschehen, daß der Vater des Lichts mich abruft von dieser Welt des Grams und des Jammers! – Wenn ich, längst von dem Sohn vergessen, im Grabe ruhe, dann genieße deine Freiheit – alles Glück, das dir die Täuschungen des irdischen Seins gewähren mögen.« –

Ein Tränenstrom erstickte die Stimme der Professorin, die sich, das Schnupftuch vor den Augen, langsam entfernte.

So verstockt war des Jünglings Herz nicht, daß ihn der tötende Schmerz der Professorin nicht hätte tief durchdringen sollen. Er sah es ein, daß jeder Schritt zur Trennung ihr mit dem Gefühl der erlittenen Schmach den Tod bringen mußte, und daß auf diese Weise nicht Freiheit zu erringen. Er wollte dulden – untergehen, doch, »Gabriela!« rief es im Innern, und der tiefste hämische Groll gegen die Alte fand wieder Raum in seiner Seele.

Letztes Kapitel

Es war eine dunkle schwüle Nacht. Hörbar säuselte der Atem der Natur durch das schwarze Gebüsch, und wie feurige Schlangen strahlten Blitze am fernen Horizont. Die ganze Gegend um den Garten des Grafen erfüllte der wunderbare Geruch der aufgeblühten Fackeldiestel. Trunken vor Liebe und brünstigem Verlangen, stand Eugenius vor dem Gattertor; endlich erschien Fermino, öffnete und führte ihn in das matt erleuchtete Gewächshaus, wo er ihn in einer dunkeln Ecke verbarg.

Nicht lange dauerte es, so erschien die Gräfin Gabriela, von Fermino und dem Gärtner begleitet. Sie stellten sich hin vor dem blühenden Cactus grandiflorus, und der Gärtner schien sich weitläuftig auszusprechen über das wunderbare Gesträuch und über die Mühe und Kunst, mit der er es gepflegt. Endlich führte Fermino den Gärtner fort.

Gabriela stand wie in süße Träume versunken, sie seufzte tief, dann sprach sie leise: »Könnt' ich leben – sterben wie diese Blüte! – Ach Eugenio!«

Da stürzte der Jüngling hervor aus seinem Versteck und warf sich nieder vor der Gräfin.

Sie stieß einen Schrei des Schrecks aus, sie wollte entfliehen. Doch mit der Verzweiflung der Liebeswut umfaßte sie der Jüngling, und auch sie umfing ihn mit den Lilienarmen – kein Wort kein Laut – nur glühende Küsse!

Tritte nahten, da drückte die Gräfin den Jüngling noch einmal fester an ihre Brust. »Sei frei – sei mein – dich oder Tod!« – So lispelte sie, stieß dann den Jüngling sanft von sich und entfloh schnell in den Garten.

Betäubt, besinnungslos vor Entzücken fand Fermino den Freund.

»Habe«, sprach Fermino endlich, als Eugenius erwacht schien, »habe ich dir zuviel gesagt? – Kann man glühender, inbrünstiger geliebt sein, als du es bist? – Doch nach diesem begeisternden Augenblick der höchsten Liebesekstase muß ich, mein Freund, für dein irdisches Bedürfnis sorgen. Unerachtet sich Liebende aus sonstigem leiblichen Genuß nicht eben viel zu machen pflegen, so laß es dir doch gefallen, ehe du, wenn der Morgen angebrochen, von hinnen gehst, etwas Stärkendes zu genießen.«

Eugenius folgte wie im Traum mechanisch dem Freunde, der ihn in das kleine Gemach führte, wo er ihn einst mit chemischen Operationen beschäftigt angetroffen hatte.

Er genoß etwas von den gewürzreichen Speisen, die er aufgetragen fand, und besser noch sagte ihm der feurige Wein zu, den Fermino ihm einnötigte.

Gabriela und nur Gabriela war, wie man denken mag, der Inhalt des Gesprächs, das beide, Fermino und Eugenius, führten, und alle Hoffnung des süßesten Liebesglücks glühte auf in des Jünglings Brust.

Der Morgen war angebrochen, Eugenius wollte fort. Fermino begleitete ihn an das Gattertor. Im Scheiden sprach Fermino: »Gedenke, mein Freund, der Worte Gabrielas: ›sei frei, sei mein!‹ und fasse einen Entschluß, der dich schnell und sicher zum Ziele führt. Schnell, sage ich; denn übermorgen mit dem Anbruch des Tages reisen wir von dannen.«

Damit schlug Fermino das Gattertor zu und entfernte sich durch einen Seitengang.

Halb entseelt, vermochte Eugenius sich nicht von der Stelle zu rühren. Fort, fort sollte sie und er nicht folgen? – Vernichtet alle Hoffnung, durch diesen jähen Blitzschlag! – Endlich lief er von dannen, den Tod im Herzen. Wilder und wilder gärte das Blut in seinen Adern, als er zurückgekommen in sein Haus; die Wände schienen über ihn einzustürzen, er lief hinab in den Garten. Er erblickte die schöne vollblühende Datura fastuosa, jeden Morgen pflegte die Professorin, hingebeugt über die Blüten, den balsamischen Wohlgeruch einzuziehen. Da stiegen die Gedanken der Hölle in ihm auf, der Satan wurde seiner mächtig, er holte die kleine Phiole hervor, die ihm Fermino Valies gegeben und die er noch bei sich trug, öffnete sie und schüttete mit abgewandtem Gesicht das Pulver aus in den Blütenkelch der Datura fastuosa.

Es war ihm nun, als stehe alles um ihn her in hellem lodernden Feuer; weit von sich warf er die Phiole und rannte fort und immer weiter fort, bis er in dem nahgelegenen Walde niedersank vor Ermattung. Sein Zustand glich dem des wirren Träumens. Da sprach die Stimme des Bösen in ihm: »Was harrst du? was weilst du? die Tat ist geschehen, dein der Triumph! – Du bist frei! – Hin zu ihr – hin zu der, die du gewonnen um den Preis deiner Seligkeit, aber dein ist alle höchste Lust, alles namenlose Entzücken des Lebens!« –

»Ich bin frei, sie ist mein!« so schrie Eugenius laut, indem er sich aufraffte vom Boden und dann schnell fortrannte nach dem Garten des Grafen Angelo Mora.

Es war hoher Mittag worden, er fand das Gattertor fest verschlossen, und niemand kam auf sein Klopfen.

Er mußte sie sehen, sie in seine Arme fassen, alles Übermaß gewonnenen Glücks genießen im ersten Gefühl der teuer erkauften Freiheit. Der Drang des Augenblicks gab ihm ungewöhnliches Geschick, er überkletterte die hohe Mauer. Totenstille herrschte im ganzen Garten, einsam waren die Gänge. Endlich glaubte Eugenius in dem Pavillon, dem er genaht, ein leises Flüstern zu vernehmen.

»Wenn sie es wäre!« Mit süßer Angst des brünstigsten Verlangens durchbebte ihn der Gedanke. Näher und näher schlich er heran – sah durch die Glastüre – erblickte Gabriela freventlich sündigend in Ferminos Armen! –

Aufbrüllend wie ein wildes, vom Todesstreich getroffenes Tier stürzte er gegen die Türe, daß sie zusammenbrach, aber in dem Augenblick faßten ihn auch die Eisschauer der Ohnmacht, und er sank bewußtlos nieder auf die steinerne Schwelle des Pavillons.

»Schafft den Wahnsinnigen fort!« – So schallte es ihm in die Ohren; er fühlte sich mit Riesenkraft gepackt und hinausgeschleudert durch das Tor, das klirrend sich hinter ihm schloß.

Krampfhaft klammerte er sich fest an das Gatter, gräßliche Flüche und Verwünschungen ausstoßend gegen Fermino, gegen Gabriela! – Da lachte es hämisch in der Ferne, und es war, als riefe eine Stimme: »Datura fastuosa!« – Zähneknirschend wiederholte Eugenius: »Datura fastuosa«, aber plötzlich fiel ein Hoffnungsstrahl in seine Seele. Er raffte sich empor und rannte in voller Hast zurück nach der Stadt in sein Haus. Auf der Treppe begegnete ihm Gretchen, die sich tief entsetzte über sein gräßliches Ansehen. Die zersplitternden Glasscheiben hatten sein ganzes Haupt verletzt, das Blut floß ihm über die Stirne, dazu kam sein verstörter Blick, der Ausdruck des fürchterlichsten Aufruhrs im Innern, von dem sein ganzes Wesen zeugte. Keines Wortes war das holde Kind mächtig, als Eugenius, ihre Hand ergreifend, mit wilder Stimme fragte: »Ist die Mutter im Garten gewesen? – Gretchen«, rief er dann noch einmal in tötender Angst, »Gretchen, sei barmherzig – rede – sprich – ist die Mutter im Garten gewesen?«

»Ach«, erwiderte Gretchen endlich, »ach, lieber Herr Eugenius, die Mutter – nein, sie war nicht im Garten. Als sie eben hinabgehen wollte, wurde ihr so ängstlich zumute. Sie fühlte sich krank, blieb oben, legte sich ins Bette.« –

»Gerechter Gott!« rief Eugenius, auf beide Knie niederstürzend und die Hände hoch erhebend, »gerechter Gott, du hast Erbarmen mit dem Verworfenen!«

»Aber«, sprach Gretchen, »aber, lieber Herr Eugenius, was ist denn Furchtbares geschehen?« Doch ohne zu antworten, lief Eugenius hinab in den Garten, riß wütend das todbringende Gewächs aus der Erde und zertrat die Blüten in den Staub.

Er fand die Professorin im sanften Schlummer. »Nein«, sprach er zu sich selbst, »nein, der Hölle Macht ist gebrochen, nichts vermag die Kunst des Satans über diese Heilige!« Dann ging er auf sein Zimmer, die gänzliche Erschöpfung brachte ihm Ruhe.

Doch bald ging ihm wieder das entsetzliche Bild jenes höllischen Truges auf, der ihm unabwendbares Verderben bereitet. Nicht anders glaubte er sein Verbrechen büßen zu können, als mit dem freiwilligen Tode. Doch Rache, furchtbare Rache sollte diesem Tode vorausgehen.

Mit der dumpfen, unheilschwangern Ruhe, die dem wütendsten Sturme folgt, und in der erst die entsetzlichsten Entschlüsse zu reifen pflegen, ging er hin, kaufte sich ein paar gute Doppelpistolen, Pulver und Blei, ladete das Gewehr, steckte es in die Tasche und wanderte hinaus nach dem Garten des Grafen Angelo Mora.

Das Gattertor stand offen, Eugenius bemerkte nicht, daß es von Polizeisoldaten besetzt war; er wollte eben eintreten, als er sich von hinten erfaßt fühlte.

»Wo willst du hin? Was willst du tun?« So sprach Sever, denn der war's, der den Freund festhielt.

»Trage«, sprach Eugenius im Ton der düstern, auf alles verzichtenden Verzweiflung, »trage ich das Kainszeichen auf der Stirn? Glaubst du, daß ich auf dem Wege des Mordes daherschleiche?«

Sever faßte den Freund unter den Arm und zog ihn sanft fort, indem er sprach: »Frage mich nicht, mein geliebter Eugenius, woher ich alles weiß, aber ich weiß es, daß man dich durch die Künste der Hölle verlockt hat in die gefährlichsten Schlingen, daß ein satanischer Trug dich betörte, daß du dich rächen willst an dem schändlichen Bösewicht. Doch deine Rache kommt zu spät. Eben sind beide, der angebliche Graf Angelo Mora nebst seinem saubern Helfershelfer, dem verlaufenen spanischen Mönch Fermino Valies, von Regierungs wegen verhaftet worden und befinden sich auf dem Wege nach der Residenz. In der angeblichen Tochter des Grafen hat man eine italienische Tänzerin erkannt, die im letzten Karneval sich bei dem Theater St. Benedetto in Venedig befand.« –

Sever ließ dem Freunde einige Augenblicke Ruhe, sich zu fassen, und übte dann über ihn die Macht, die jedem festen, klaren Gemüt eigen.

Bei den sanften Vorstellungen, wie es eben der irdische Erbteil des Menschen sei, daß er oft nicht widerstehen könne der bösen Verlockung, wie aber oft der Himmel ihn errette auf wunderbare Weise, und daß in dieser Rettung eben Sühne und Trost zu finden, erweichte sich der in Verzweiflung erstarrte Sinn des Jünglings. Ein Tränenstrom stürzte ihm aus den Augen, er ließ es geschehen, daß Sever ihm die Pistolen aus der Tasche zog und abdrückte in die Luft. –

Eugenius wußte selbst nicht, wie es sich begeben, daß er plötzlich mit Sever vor dem Zimmer der Professorin stand, durchbebt von der Angst des Verbrechers.

Die Professorin lag erkrankt auf dem Bette. Doch lächelte sie beide Freunde mild an und sprach dann zu Eugenius: »Meine bösen Ahnungen haben mich nicht betrogen. Aus der Hölle hat Sie der Herr des Lichts errettet. Alles, lieber Eugenius, verzeihe ich – doch, o himmlischer Vater! Darf ich denn von Verzeihen sprechen, da ich mich selbst anklagen muß? – Ach, erst jetzt, erst in meinem hohen Alter muß ich es einsehen, daß der irdische Mensch festgehalten ist im Irdischen durch Bande, denen er sich nicht entwinden darf, da der Wille der ewigen Macht sie selbst geschlungen. Ja, Eugenius, es ist ein törichter Frevel, die gerechten Ansprüche des Lebens, wie sie aus der Natur unseres Daseins entspringen, nicht gelten lassen zu wollen und hochmütig zu glauben, man wäre über sie erhaben! – Nicht Sie, Eugenius, ich allein habe gefehlt, ich will auch dafür büßen und den Spott der Bösen ertragen mit Geduld. – Werden Sie frei, Eugenius!«

Da kniete aber der Jüngling, ganz zerknirscht von der bittersten Reue, vor dem Bette nieder und schwur, indem er die Hand der Professorin mit Küssen und Tränen bedeckte, daß er nie lassen werde von der Mutter, daß er nur, ganz in ihrer Frömmigkeit, in ihrem heiligen Frieden lebend, Vergebung seiner Sünden hoffen dürfe.

»Sie sind mein guter Sohn«, sprach die Professorin mit dem sanften Lächeln himmlischer Verklärung, »bald, ich fühle es, bald wird Sie der Himmel lohnen!« –

Merkwürdig genug war es, daß der spanische Mönch dem Sever gleiche Schlingen gestellt hatte wie dem harmlosen Eugenius, der sich darin verfing, während der lebenskluge, verständige Sever sich ihnen leicht entzog. Freilich wollte es indessen auch ein günstiger Zufall, daß Sever über das zweideutige Verhältnis des angeblichen Grafen Angelo Mora und seiner Begleitung Kunde aus der Residenz erhielt.

Beide, der Graf und Fermino, waren nämlich nichts anderes als geheime Emissäre des Jesuiten-Ordens, und bekannt ist das Prinzip dieses Ordens, sich überall Anhänger und sichere Agenten zu verschaffen. Eugenius hatte die Aufmerkamkeit des Mönchs nun gewiß zuerst durch seine Kenntnis der spanischen Sprache erregt. Fand nun der Mönch bei näherer Bekanntschaft, daß er es mit einem ganz unerfahrnen harmlosen Jüngling zu tun habe, der noch dazu in ganz gezwungenen, dem Leben widerstreitenden Verhältnissen lebe, so mußte er eben diesen Jüngling für ganz bildungsfähig zu den Zwecken des Ordens achten. Ebenso bekannt ist es ferner, daß der Orden sich der seltsamsten Mystifikationen bediente, um Anhänger zu werben; nichts kettet aber fester als das Verbrechen, und Fermino glaubte daher mit Recht sich des Jünglings nicht besser versichern zu können, als wenn er die schlummernde Leidenschaft der Liebe mit aller Gewalt weckte, die ihn dann führen sollte zur fluchwürdigen Tat.

Bald, nachdem dies alles geschehen, begann die Professorin immer mehr und mehr zu kränkeln. So wie der verstorbene Helms, entschlummerte sie, da schon Bäume und Gebüsche entlaubt waren, sanft in Gretchens und Eugenius' Armen. –

Aber als die Professorin schon zu Grabe getragen, da kam der Gedanke an die gräßliche, fluchwürdige Tat, die er begangen, in Eugenius zurück. Blieb auch diese Tat selbst wirkungslos, so klagte sich doch Eugenius als den Mörder der Mutter an, und sein Inneres zerfleischten die Furien der Hölle.

Nur dem treuen Freunde Sever gelang es, den Verzweifelnden endlich zur Fassung zu bringen. Er versank in stillen zerstörenden Gram, verließ nicht sein Zimmer, sah niemanden und genoß kaum soviel, als zur Erhaltung nötig.

Ein paar Wochen waren in der Art verflossen, als eines Tages Gretchen zu ihm hineintrat in Reisekleidern und mit bebender Stimme sprach: »Ich komme, von Ihnen Abschied zu nehmen, lieber Herr Eugenius! – Die Verwandte in dem kleinen Städtchen, drei Meilen von hier, will mich wieder aufnehmen. – Leben Sie –«

Sie vermochte nicht zu endigen.

Da wand sich ein ungeheurer Schmerz los aus der Brust des Jünglings, und durch diesen Schmerz leuchtete plötzlich die Naphthaflamme der reinsten Liebe.

»Gretchen!« rief er, »Gretchen, wenn du mich verlassest, so sterbe ich den qualvollen Tod des verzweifelnden Sünders! – Gretchen – sei mein. –«

Ach, mit welchem treuen Herzen hatte ihn, ohne es selbst zu ahnen, Gretchen längst geliebt. Halb ohnmächtig vor süßem Bangen, vor himmlischer Wonne, sank die Jungfrau dem Jüngling an die Brust.

Sever trat hinein und sprach, als er die Seligen erblickte, ernst und feierlich: »Eugenius, du hast den Engel des Lichts gefunden, der dir den Frieden deiner Seele wiedergeben wird, und selig wirst du sein hienieden und dort.« –

 


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