E.T.A. Hoffmann
Das Gelübde
E.T.A. Hoffmann

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Graf Nepomuk, voller Gram und Zorn über Hermenegildas Betragen, bekümmerte sich nicht mehr um sie, und so geschah es, daß mehrere Tage vergingen, die sie ungestört, auf ihrem Zimmer eingeschlossen, von niemanden als ihrer Kammerfrau gesehen, zubrachte.

In tiefen Gedanken, ganz erfüllt von den Heldentaten jenes Mannes, den die Polen damals anbeteten wie ein falsches Götzenbild, saß Nepomuk eines Tages in seinem Zimmer, als die Tür aufging und Hermenegilda in voller Trauer mit lang herabhängendem Witwenschleier eintrat. Langsamen feierlichen Schrittes nahte sie sich dem Grafen, ließ sich dann auf die Knie nieder und sprach mit bebender Stimme: »O mein Vater – Graf Stanislaus, mein geliebter Gatte, ist hinüber – er fiel als Held im blutigen Kampf: – vor dir kniet seine bejammernswerte Witwe!« – Graf Nepomuk mußte dies um so mehr für einen neuen Ausbruch der zerrütteten Gemütsstimmung Hermenegildas halten, als noch Tages zuvor Nachrichten von dem Wohlbefinden des Grafen Stanislaus eingelaufen waren. Er hob Hermenegilden sanft auf, indem er sprach: »Beruhige dich liebe Tochter, Stanislaus ist wohl, bald eilt er in deine Arme.« – Da atmete Hermenegilda auf wie im schweren Todesseufzer und sank von wildem Schmerz zerrissen neben dem Grafen hin in die Polster des Sofas. Doch nach wenigen Sekunden wieder zu sich selbst gekommen, sprach sie mit wunderbarer Ruhe und Fassung: »Laß es mich dir sagen, lieber Vater! wie sich alles begeben, denn du mußt es wissen, damit du in mir die Witwe des Grafen Stanislaus von R. erkennest. – Wisse, daß ich vor sechs Tagen in der Abenddämmerung mich in dem Pavillon an der Südseite unseres Parks befand. Alle meine Gedanken, mein ganzes Wesen dem Geliebten zugewendet, fühlt ich meine Augen sich unwillkürlich schließen, nicht in Schlaf, nein, in einen seltsamen Zustand versank ich, den ich nicht anders nennen kann, als waches Träumen. Aber bald schwirrte und dröhnte es um mich her, ich vernahm ein wildes Getümmel, es fiel ganz in der Nähe Schuß auf Schuß. Ich fuhr auf, und war nicht wenig erstaunt mich in einer Feldhütte zu befinden. Vor mir kniete er selbst – mein Stanislaus. – Ich umschlang ihn mit meinen Armen, ich drückte ihn an meine Brust – ›Gelobt sei Gott‹, rief er, ›du lebst, du bist mein!‹ – Er sagte mir, ich sei gleich nach der Trauung in tiefe Ohnmacht gesunken, und ich törigt Ding erinnerte mich jetzt erst, daß ja Pater Cyprianus, den ich in diesem Augenblick erst zur Feldhütte hinausschreiten sah, uns ja eben in der nahen Kapelle unter dem Donner des Geschützes, unter dem wilden Toben der nahen Schlacht getraut hatte. Der goldne Trauring blinkte an meinem Finger. Die Seligkeit, mit der ich nun aufs neue den Gatten umarmte, war unbeschreiblich; nie gefühltes namenloses Entzücken des beglückten Weibes durchbebte mein Inneres – mir schwanden die Sinne – da wehte es mich an mit eiskaltem Frost – ich schlug die Augen auf – entsetzlich! mitten im Gewühl der wilden Schlacht – vor mir die brennende Feldhütte, aus der man mich wahrscheinlich gerettet! – Stanislaus bedrängt von feindlichen Reitern – Freunde sprengen heran ihn zu retten – zu spät, von hinten haut ihn ein Reiter herab vom Pferde.« – Aufs neue sank Hermenegilda überwältigt von dem entsetzlichen Schmerz ohnmächtig zusammen. Nepomuk eilte nach stärkenden Mitteln, doch es bedurfte ihrer nicht, mit wunderbarer Kraft faßte sich Hermenegilda zusammen. »Der Wille des Himmels ist erfüllt«, sprach sie dumpf und feierlich, »nicht zu klagen ziemt es mir, aber bis zum Tode dem Gatten treu, soll kein irdisches Bündnis mich von ihm trennen. Um ihn trauern, für ihn, für unser Heil beten, das ist jetzt meine Bestimmung, und nichts soll diese mir verstören.« Graf Nepomuk mußte mit vollem Recht glauben, daß der innerlich brütende Wahnsinn Hermenegildas sich durch jene Vision Luft gemacht habe, und da die ruhige klösterliche Trauer Hermenegildas um den Gatten kein ausschweifendes beunruhigendes Treiben zuließ, so war dem Grafen Nepomuk dieser Zustand, den die Ankunft des Grafen Stanislaus schnell enden mußte, ganz recht. Ließ Nepomuk zuweilen etwas von Träumereien und Visionen fallen, so lächelte Hermenegilda schmerzlich, dann drückte sie aber den goldnen Ring, den sie am Finger trug, an den Mund und benetzte ihn mit heißen Tränen. Graf Nepomuk bemerkte mit Erstaunen, daß dieser Ring wirklich ein ganz fremder war, den er nie bei seiner Tochter gesehen, da es indessen tausend Fälle gab, wie sie dazu gekommen sein konnte, so gab er sich nicht einmal die Mühe weiter nachzuforschen. Wichtiger war ihm die böse Nachricht, daß Graf Stanislaus in feindliche Gefangenschaft geraten sei. Hermenegilda fing an auf eigne Weise zu kränkeln, sie klagte oft über eine seltsame Empfindung, die sie eben nicht Krankheit nennen könne, die aber ihr ganzes Wesen auf seltsame Art durchbebe. Um diese Zeit kam Fürst Z. mit seiner Gemahlin. Die Fürstin hatte, als Hermenegildas Mutter frühzeitig starb, ihre Stelle vertreten und schon deshalb wurde sie von ihr mit kindlicher Hingebung empfangen. Hermenegilda erschloß der würdigen Frau ihr ganzes Herz und klagte mit der bittersten Wehmut, daß, unerachtet sie für die Wahrheit aller Umstände rücksichts der wirklich vollzogenen Trauung mit Stanislaus, die überzeugendsten Beweise habe, man sie doch eine wahnsinnige Träumerin schelte. Die Fürstin, von allem unterrichtet und von Hermenegildas zerrüttetem Gemütszustande überzeugt, hütete sich wohl ihr zu widersprechen; sie begnügte sich damit, ihr zu versichern, daß die Zeit alles aufklären werde und daß es wohlgetan sei, sich in frommer Demut dem Willen des Himmels ganz zu ergeben. Aufmerksamer wurde die Fürstin, als Hermenegilda von ihrem körperlichen Zustande sprach und die sonderbaren Anfälle beschrieb, die ihr Inneres zu verstören schienen. Man sah, wie die Fürstin mit der ängstlichsten Sorgfalt über Hermenegilda wachte und wie ihre Bekümmernis in dem Grade stieg, als Hermenegilda sich ganz zu erholen schien. Die todblassen Wangen und Lippen röteten sich wieder, die Augen verloren das düstre unheimliche Feuer, der Blick wurde mild und ruhig, die abgemagerten Formen rundeten sich mehr und mehr, kurz Hermenegilda blühte ganz auf in voller Jugend und Schönheit. Und doch schien die Fürstin sie für kränker als jemals zu halten, denn: »Wie ist dir, was hast du mein Kind? – was fühlst du?« so frug sie, quälende Besorgnis im Gesicht, sobald Hermenegilda nur seufzte oder im mindesten erblaßte. Graf Nepomuk, der Fürst, die Fürstin berateten sich, was es denn nun werden solle mit Hermenegilda und ihrer fixen Idee, Stanislaus' Witwe zu sein. »Ich glaube leider«, sprach der Fürst, »daß ihr Wahnsinn unheilbar bleiben wird, denn sie ist körperlich kerngesund und nährt den zerrütteten Zustand ihrer Seele mit voller Kraft. – Ja«, fuhr er fort, als die Fürstin schmerzlich vor sich hinblickte, »ja sie ist kerngesund, unerachtet sie zur Ungebühr und zu ihrem offenbaren Nachteil wie eine Kranke gepflegt, gehätschelt und geängstet wird.« Die Fürstin, welche diese Worte trafen, faßte den Grafen Nepomuk ins Auge und sprach rasch und entschieden: »Nein! – Hermenegilda ist nicht krank, aber, läge es nicht im Reich der Unmöglichkeit, daß sie sich vergangen haben könnte, so würde ich überzeugt sein, daß sie sich in guter Hoffnung befinde.« Damit stand sie auf und verließ das Zimmer. Wie vom Blitz getroffen starrten sich Graf Nepomuk und der Fürst an. Dieser, zuerst das Wort aufnehmend, meinte, daß seine Frau auch zuweilen von den sonderbarsten Visionen heimgesucht werde. Graf Nepomuk sprach aber sehr ernst: »Die Fürstin hat darin recht, daß ein Vergehen der Art von seiten Hermenegildas durchaus im Reich der Unmöglichkeit liegt, wenn ich dir aber sage, daß, als Hermenegilda gestern vor mir herging, mir es selbst wie ein närrischer Gedanke durch den Sinn fuhr: ›Nun seht einmal, die junge Witwe ist ja guter Hoffnung‹; daß dieser Gedanke offenbar nur durch das Betrachten ihrer Gestalt erzeugt werden konnte, wenn ich dir das alles sage, so wirst du es natürlich finden, wie die Worte der Fürstin mich mit trüber Besorgnis, ja mit der peinlichsten Angst erfüllen.« – »So muß«, erwiderte der Fürst, »der Arzt oder die weise Frau entscheiden und entweder das vielleicht voreilige Urteil der Fürstin vernichtet oder unsere Schande bestätigst werden.« Mehrere Tage schwankten beide von Entschluß zu Entschluß. Beiden wurden Hermenegildas Formen verdächtig, die Fürstin sollte entscheiden was jetzt zu tun. Sie verwarf die Einmischung eines vielleicht plauderhaften Arztes und meinte, daß andere Hülfe wohl erst in fünf Monaten nötig sein würde. »Welche Hülfe?« schrie Graf Nepomuk entsetzt. »Ja«, fuhr die Fürstin mit erhöhter Stimme fort, »es ist nun gar kein Zweifel mehr, Hermenegilda ist entweder die verruchteste Heuchlerin, die jemals geboren, oder es waltet ein unerforschliches Geheimnis – genug, sie ist guter Hoffnung!« Ganz erstarrt vor Schreck fand Graf Nepomuk keine Worte; endlich sich mühsam ermannend beschwor er die Fürstin, koste es was es wolle, von Hermenegilda selbst zu erforschen, wer der Unglückselige sei, der die unauslöschliche Schmach über sein Haus gebracht. »Noch«, sprach die Fürstin, »noch ahnet Hermenegilda nicht, daß ich um ihren Zustand weiß. Von dem Moment, wenn ich es ihr sagen werde, wie es um sie steht, verspreche ich mir alles. Überrascht wird sie die Larve der Heuchlerin fallen lassen oder es muß sich sonst ihre Unschuld auf eine wunderbare Weise offenbaren, unerachtet ich es auch nicht zu träumen vermag, wie dies sollte geschehen können.« Noch denselben Abend war die Fürstin mit Hermenegilda, deren mütterliches Ansehn mit jeder Stunde zuzunehmen schien, allein auf ihrem Zimmer. Da ergriff die Fürstin das arme Kind bei beiden Armen, blickte ihr scharf ins Auge und sagte mit schneidendem Ton: »Liebe, du bist guter Hoffnung!« Da schlug Hermenegilda den wie von himmlischer Wonne verklärten Blick in die Höhe und rief mit dem Ton des höchsten Entzückens: »O Mutter, Mutter, ich weiß es ja! – Lange fühlt ich es, daß ich, fiel auch der teure Gatte unter den mörderischen Streichen der wilden Feinde, dennoch unaussprechlich glücklich sein sollte. Ja! – jener Moment meines höchsten irdischen Glücks lebt in mir fort, ich werde ihn ganz wieder haben den geliebten Gatten in dem teuern Pfande des süßen Bundes.« Der Fürstin war es, als finge sich alles an um sie zu drehen, als wollten ihr die Sinne schwinden. Die Wahrheit in Hermenegildas Ausdruck – ihr Entzücken, ihre wahrhafte Verklärung ließ keinen Gedanken an erheucheltes Wesen, an Trug aufkommen und doch konnte nur toller Wahnsinn auf ihre Behauptung etwas geben. Von dem letzten Gedanken ganz erfaßt, stieß die Fürstin Hermenegilda von sich, indem sie heftig rief. »Unsinnige! Ein Traum hätte dich in den Zustand versetzt, der Schmach und Schande über uns alle bringt! – glaubst du, daß du mich mit albernen Märchen zu hintergehen vermagst? – Besinne dich – laß alle Ereignisse der vorigen Tage dir vorübergehen. Ein reuiges Bekenntnis kann uns vielleicht versöhnen.« In Tränen gebadet, ganz aufgelöst von herbem Schmerz sank Hermenegilda vor der Fürstin auf die Knie und jammerte: »Mutter, auch du schiltst mich eine Träumerin, auch du glaubst nicht daran, daß die Kirche mich mit Stanislaus verband, daß ich sein Weib bin? – Aber sieh doch nur hier den Ring an meinem Finger was sage ich! – Du, du kennst ja meinen Zustand, ist denn das nicht genug dich zu überzeugen, daß ich nicht träumte?« Die Fürstin nahm mit dem tiefsten Erstaunen wahr, daß Hermenegilden der Gedanke eines Vergehens gar nicht einkam, daß sie die Hindeutung darauf gar nicht aufgefaßt, gar nicht verstanden. Der Fürstin ihre Hände heftig an die Brust drückend, flehte Hermenegilda immerfort, sie möge doch nur jetzt, da es ihr Zustand außer Zweifel setze, an ihren Gatten glauben, und die ganz bestürzte, ganz außer sich gesetzte Frau wußte in der Tat selbst nicht mehr, was sie der Armen sagen, welchen Weg sie überhaupt einschlagen sollte, dem Geheimnis, das hier walten mußte, auf die Spur zu kommen. Erst nach mehreren Tagen erklärte die Fürstin dem Gemahl und dem Grafen Nepomuk, daß es unmöglich sei von Hermenegilda, die sich von dem Gatten schwanger glaube, mehr herauszubringen, als wovon sie selbst im Innersten der Seele überzeugt sei. Die Männer voller Zorn schalten Hermenegilda eine Heuchlerin und insonderheit schwur Graf Nepomuk, daß, wenn gelinde Mittel sie nicht von dem wahnsinnigen Gedanken, ihm ein abgeschmacktes Märchen aufzuheften, zurückbringen würden, er es mit strengen Maßregeln versuchen werde. Die Fürstin meinte dagegen, daß jede Strenge eine zwecklose Grausamkeit sein würde. Überzeugt sei sie nämlich, wie gesagt, daß Hermenegilda keinesweges heuchle, sondern daran, was sie sage, mit voller Seele glaube. »Es gibt«, fuhr sie fort, »noch manches Geheimnis in der Welt, das zu begreifen wir gänzlich außerstande sind. Wie, wenn das lebhafte Zusammenwirken des Gedankens auch eine physische Wirkung haben könnte, wie wenn eine geistige Zusammenkunft zwischen Stanislaus und Hermenegilda sie in den uns unerklärlichen Zustand versetzte?« Unerachtet alles Zorns, aller Bedrängnis des fatalen Augenblicks konnten sich der Fürst und Graf Nepomuk doch des lauten Lachens nicht enthalten, als die Fürstin diesen Gedanken äußerte, den die Männer den sublimsten nannten, der je das Menschliche ätherisiert habe. Die Fürstin blutrot im ganzen Gesicht meinte, daß den rohen Männern der Sinn für dergleichen abginge, daß sie das ganze Verhältnis, in das ihr armes Kind, an dessen Unschuld sie unbedingt glaube, geraten, anstößig und abscheulich finde, und daß eine Reise, die sie mit ihr zu unternehmen gedenke, das einzige und beste Mittel sei, sie der Arglist, dem Hohne ihrer Umgebung zu entziehen. Graf Nepomuk war mit diesem Vorschlage sehr zufrieden, denn da Hermenegilda selbst gar kein Geheimnis aus ihrem Zustande machte, so mußte sie, sollte ihr Ruf verschont bleiben, freilich aus dem Kreise der Bekannten entfernt werden.


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