E.T.A. Hoffmann
Das Gelübde
E.T.A. Hoffmann

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Hermenegildas überreizter Zustand schien übergehen zu wollen in wirklichen hellen Wahnsinn, der sie zu tausend Torheiten trieb. Graf Nepomuk, voll Kummer und Angst um das geliebte Kind, glaubte, daß ärztliche Hülfe hier vielleicht wirksam sein könnte, und es gelang ihm in der Tat, einen Arzt zu finden, der es sich gefallen ließ einige Zeit auf dem Gute zu bleiben und sich der Leidenden anzunehmen. So richtig berechnet seine mehr psychische als physische Kurmethode aber auch sein mochte, so wenig sich ihre Wirkung auch ganz ableugnen ließ, so blieb es doch zweifelhaft, ob von wirklichem Genesen jemals die Rede würde sein können, da nach langer Stille sich ganz unerwartet wieder die seltsamsten Paroxismen einstellten. Ein eignes Abenteuer gab der Sache eine andere Wendung. Hermenegilda hatte eben den kleinen Ulanen, ein Püppchen, das sie sonst wie den Geliebten ans Herz gedrückt, dem sie die süßesten Namen gegeben, unwillig ins Feuer geworfen, weil er durchaus nicht singen wollte: »Podrosz twoia nam niemila, milsza przyiaszn w Kraiwbyla etc.« Im Begriff, von dieser Expedition in ihr Zimmer zurückzukehren, befand sie sich auf dem Vorsaal, als es klingend und klirrend hinter ihr her schritt. Sie schaute um sich, erblickte einen Offizier in voller Uniform der französischen Jägergarde, der den linken Arm in der Binde trug, und stürzte mit dem lauten Ruf.- »Stanislaus, mein Stanislaus!« ihm ohnmächtig in die Arme. Der Offizier, eingewurzelt im Boden vor Erstaunen und Überraschung, hatte nicht wenig Mühe Hermenegilda, die, groß und üppig gebaut, eben keine geringe Last war, mit einem Arm, dessen er nur mächtig, aufrecht zu erhalten. Er drückte sie fest und fester an sich, und indem er Hermenegildas Herz an seiner Brust schlagen fühlte, mußte er sich gestehen, daß dies eins der entzückendsten Abenteuer sei, das er je erlebt. Sekunde auf Sekunde verging, der Offizier ganz entzündet vom Liebesfeuer, das in tausend elektrischen Funken der holden Gestalt, die er in seinen Armen hielt, entströmte, drückte glühende Küsse auf die süßen Lippen. So fand ihn Graf Nepomuk, der aus seinen Zimmern trat. Auch er rief aufjauchzend vor Freude: »Graf Stanislaus!« – In dem Augenblick erwachte Hermenegilda, und umschlang ihn inbrünstig, indem sie ganz außer sich von neuem rief. »Stanislaus! – mein Geliebter! mein Gatte!« – Der Offizier im ganzen Gesicht glühend, zitternd – außer aller Fassung, trat einen Schritt zurück, indem er sich sanft Hermenegildas stürmischer Umarmung entzog. »Es ist der süßeste Augenblick meines Lebens – aber nicht schwelgen will ich in der Seligkeit, die mir nur ein Irrtum bereitet – ich bin ja nicht Stanislaus – ach ich bin es ja nicht.« – So sprach der Offizier stotternd und zagend; entsetzt prallte Hermenegilda zurück, und als sie sich, den Offizier schärfer ins Auge fassend, überzeugt, daß die freilich ganz wunderbare Ähnlichkeit des Offiziers mit dem Geliebten sie getäuscht, eilte sie fort laut jammernd und klagend. Graf Nepomuk konnte, da der Offizier sich nun als den jüngern Vetter des Grafen Stanislaus, als den Grafen Xaver von R. kund tat, es kaum für möglich halten, daß der Knabe in so kurzer Zeit zum kräftigen Jünglinge herangewachsen. Freilich kam hinzu, daß die Strapazen des Kriegs dem Gesicht, der ganzen Haltung, einen männlichern Charakter gaben, als es sonst der Fall gewesen sein würde. Graf Xaver hatte nämlich mit seinem ältern Vetter Stanislaus zugleich das Vaterland verlassen, wie er, französische Kriegsdienste genommen und in Italien gefochten. Damals kaum achtzehn Jahre alt, zeichnete er sich doch bald, als besonnener und löwenkühner Kriegsheld auf solche Weise aus, daß ihn der Feldherr zu seinem Adjutanten erhob, und jetzt war er, ein zwanzigjähriger Jüngling, schon zum Obristen heraufgestiegen. Erhaltene Wunden, nötigten ihn einige Zeit auszuruhen. Er kehrte in das Vaterland zurück, und Aufträge von Stanislaus an die Geliebte führten ihn auf den Landsitz des Grafen Nepomuk, wo er empfangen wurde, als sei er der Geliebte selbst. Graf Nepomuk und der Arzt, beide gaben sich alle nur ersinnliche Mühe, Hermenegilda, die ganz vernichtet von Scham und bitterm Schmerz, ihr Zimmer nicht verlassen wollte, solange Xaver im Hause, zu beruhigen, aber umsonst. Xaver war außer sich, daß er Hermenegilda nicht wiedersehen sollte. Er schrieb ihr, daß er unverschuldet eine für ihn unglückliche Ähnlichkeit zu hart büße. Aber nicht ihn allein, sondern den Geliebten Stanislaus selbst träfe das von jenem verhängnisvollen Moment erzeugte Mißgeschick, da ihm, dem Überbringer süßer Liebesbotschaft, jetzt alle Gelegenheit geraubt worden, ihr selbst, wie er gesollt, den Brief, den er von Stanislaus bei sich trage, einzuhändigen, und noch alles von Mund zu Mund hinzuzufügen, was Stanislaus in der Hast des Augenblicks nicht mehr schreiben konnte. Hermenegildas Kammerfrau, die Xaver in sein Interesse gezogen, übernahm die Bestellung zur günstigen Stunde, und was dem Vater, dem Arzt nicht gelungen, bewirkte Xaver durch sein Schreiben. Hermenegilda entschloß sich ihn zu sehen. In tiefem Schweigen, mit niedergesenktem Blick empfing sie ihn in ihrem Gemach. Xaver nahte sich mit leisem schwankenden Schritt, er nahm Platz vor dem Sofa, auf dem sie saß, aber indem er sich herabbeugte von dem Stuhl, kniete er mehr vor Hermenegilda, als daß er saß, und so flehte er in den rührendsten Ausdrücken, mit einem Ton, als habe er sich des unverzeihlichsten Verbrechens anzuklagen, nicht auf sein Haupt möge sie die Schuld des Irrtums laden, der ihn die Seligkeit des geliebten Freundes empfinden lassen. Nicht ihn, nein Stanislaus selbst habe sie in der Wonne des Wiedersehens umarmt. Er übergab den Brief, und fing an von Stanislaus zu erzählen, wie er mit echt ritterlicher Treue selbst im blutigen Kampf seiner Dame gedenke, wie nur sein Herz glühe für Freiheit und Vaterland usw. Xaver erzählte mit lebendigem Feuer, er riß Hermenegilden hin, die alle Scheu bald überwunden, den zauberischen Blick ihrer Himmelsaugen unverwandt auf ihn richtete, so daß er, ein neuer, von Turandots Blick getroffener, Kalaf, durchbebt von süßer Wonne, nur mühsam die Erzählung fortspann. Ohne es selbst zu wissen, bedrängt von dem innern Kampf gegen die Leidenschaft, die in hellen Flammen auflodern wollte, verlor er sich in die weitläuftige Beschreibung einzelner Gefechte. Er sprach von Kavallerieangriffen – gesprengten Massen – eroberten Batterien. – Ungeduldig unterbrach ihn Hermenegilda, indem sie rief. »Oh, weg mit diesen blutigen Szenen eines Schauspiels der Hölle – sage – sage mir nur, daß er mich liebt, daß Stanislaus mich liebt!« – Da ergriff Xaver, ganz ermutigt, Hermenegildas Hand, die er heftig an seine Brust drückte. »Höre ihn selbst, deinen Stanislaus!« so rief er, und nun strömten die Beteurungen der glühendsten Liebe, wie sie nur dem Wahnsinn der verzehrendsten Leidenschaft eigen, von seinen Lippen. Er war zu Hermenegildas Füßen gesunken, sie hatte ihn mit beiden Armen umschlungen, aber indem er, schnell aufgesprungen, sie an seine Brust drücken wollte, fühlte er sich heftig zurückgestoßen. Hermenegilda sah ihn mit starrem seltsamen Blick an und sprach mit dumpfer Stimme: »Eitle Puppe, wenn ich dich auch zum Leben erwärme an meiner Brust, so bist du doch nicht Stanislaus, und kannst es auch nimmer werden!« – Hierauf verließ sie das Zimmer mit leisen langsamen Schritten. Xaver sah zu spät seine Unbesonnenheit ein. Daß er bis zum Wahnsinn in Hermenegilda, in die Braut des verwandten Freundes verliebt sei, fühlte er nur zu lebhaft, ebenso aber auch, daß er bei jedem Schritt, den er zugunsten seiner törichten Leidenschaft zu tun gesonnen, sich würde treulosen Freundschaftsbruch vorwerfen müssen. Schnell abreisen, ohne Hermenegilda wiederzusehen, das war der heroische Entschluß, den er wirklich auf der Stelle so weit ausführte, daß er zu packen und seinen Wagen anzuspannen befahl. Graf Nepomuk war hoch verwundert, als Xaver von ihm Abschied nahm; er bot alles auf ihn festzuhalten, doch mit einer Festigkeit, mehr von einer Art Krampf, als von wahrer Geistesstärke erzeugt, blieb Xaver dabei, daß besondere Ursachen ihn forttrieben. Den Säbel umgeschnallt, die Feldmütze in der Hand, stand er in der Mitte des Zimmers, der Bediente mit dem Mantel auf dem Vorsaal – unten vor der Türe wieherten ungeduldig die Pferde. – Da ging die Tür auf, Hermenegilda trat herein, mit unbeschreiblicher Anmut schritt sie auf den Grafen zu, und sprach hold lächelnd: »Sie wollen fort, lieber Xaver? – und noch so vieles dacht ich von meinem geliebten Stanislaus zu hören! – Wissen Sie wohl, daß mich Ihre Erzählungen wunderbar trösten?« – Xaver schlug hocherrötend die Augen nieder, man nahm Platz, Graf Nepomuk versicherte ein Mal über das andere, seit vielen Monaten habe er Hermenegilda nicht in dieser heitern unbefangenen Stimmung gesehen. Auf seinen Wink wurde, da die Zeit herangekommen, die Abendtafel in demselben Zimmer bereitet. Der edelste Ungarwein perlte in den Gläsern, und volle Glut auf den Wangen nippte Hermenegilda aus dem gefüllten Pokal hochfeiernd das Andenken des Geliebten, Freiheit und Vaterland. Zur Nacht reise ich fort, dachte Xaver im Innern, und frug in der Tat, als die Tafel aufgehoben, den Bedienten, ob der Wagen warte; der, erwiderte der Bediente, sei längst, wie Graf Nepomuk befohlen, abgepackt und abgespannt in die Remise geschoben, die Pferde fräßen im Stall und Woyciech schnarche unten auf dem Strohsack. Xaver ließ es dabei bewenden. Hermenegildas unvermutete Erscheinung hatte den Grafen überzeugt, daß es nicht allein möglich, sondern auch rätlich und angenehm sei zu bleiben, und von dieser Überzeugung kam er zu der andern, daß es nur darauf ankomme sich zu besiegen, das heißt, Ausbrüchen der innern Leidenschaft zu wehren, die, den geisteskranken Zustand Hermenegildas aufreizend, nur ihm in jeder Hinsicht verderblich werden könnten. Wie dann nun alles sich weiter fügen würde, so beschloß Xaver seine Betrachtung, sollte selbst Hermenegilda aus ihren Träumen erwacht, die heitere Gegenwart der düstern Zukunft vorziehen, das liege denn alles in der Konstellation zusammenwirkender Umstände und an Treulosigkeit, an Freundschaftsbruch sei nicht zu denken. Sowie Xaver andern Tages Hermenegilden wiedersah, gelang es ihm in der Tat, indem er sorglich auch das Kleinste vermied, was sein zu heißes Blut hätte in Wallung setzen können, seine Leidenschaft niederzukämpfen. In den Schranken der strengsten Sitte bleibend, ja selbst ein frostig Zeremoniell beachtend, gab er nur dem Gespräch die Schwingen jener Galanterie, die den Weibern mit süßem Zucker verderbliches Gift beibringt. Xaver, ein zwanzigjähriger Jüngling, in eigentlichen Liebeshändeln unerfahren, entfaltete, von dem sichern Takt fürs Böse im Innern geleitet, die Kunst des erfahrenen Meisters. Nur von Stanislaus, von seiner unaussprechlichen Liebe zur süßen Braut, sprach er, aber durch die volle Glut, die er dann entzündet, wußte er geschickt sein eignes Bild durchschimmern zu lassen, so daß Hermenegilda in arger Verwirrung selbst nicht wußte, wie beide Bilder, das des abwesenden Stanislaus und das des gegenwärtigen Xaver, trennen. Xavers Gesellschaft wurde bald der aufgeregten Hermenegilda zum Bedürfnis, und so geschah es, daß man sie beinahe beständig, und oft wie im traulichen Liebesgespräch zusammen sah. Die Gewohnheit überwand mehr und mehr Hermenegildas Scheu und in eben dem Grade überschritt Xaver jene Schranken des frostigen Zeremoniells, in die er sich anfangs mit klugem Vorbedacht gebannt hatte. Arm in Arm gingen Hermenegilda und Xaver in dem Park umher, und sorglos ließ sie ihre Hand in der seinigen, wenn er im Zimmer neben ihr sitzend von dem glücklichen Stanislaus erzählte. Kam es nicht auf Staatshändel, auf die Sache des Vaterlandes an, so war Graf Nepomuk eben keines Blickes in die Tiefe fähig, er begnügte sich mit dem, was er auf der Oberfläche wahrzunehmen imstande, sein für alles übrige totes Gemüt vermochte die vorüberfliehenden Bilder des Lebens nur dem Spiegel gleich im Moment zu reflektieren, spurlos schwanden sie dahin. Ohne Hermenegildas inneres Wesen zu ahnen, hielt er es für gut, daß sie endlich die Püppchen, die bei ihrem törigten wahnsinnigen Treiben den Geliebten vorstellen mußten, mit einem lebendigen Jüngling vertauscht, und glaubte mit vieler Schlauheit vorauszusehen, daß Xaver, der ihm als Schwiegersohn ebenso lieb, bald ganz in Stanislaus' Stelle treten werde. Er dachte nicht mehr an den treuen Stanislaus. Xaver glaubte dieses ebenfalls, da nun, nachdem ein paar Monate vergangen, Hermenegilda, so sehr ihr ganzes Wesen auch von dem Andenken an Stanislaus erfüllt schien, es sich doch gefallen ließ, daß Xaver mehr und mehr sich ihr annäherte mit eigner Bewerbung. Eines Morgens hieß es, daß Hermenegilda sich in ihre Gemächer mit der Kammerfrau eingeschlossen habe, und durchaus niemanden sehen wolle. Graf Nepomuk glaubte nicht anders, als daß ein neuer Paroxismus eingetreten sei, der sich bald legen werde. Er bat den Grafen Xaver, die Gewalt, die er über Hermenegilda gewonnen, jetzt zu ihrem Heil zu üben, wie erstaunte er aber, als Xaver es nicht allein durchaus verweigerte, sich Hermenegilden auf irgend eine Weise zu nähern, sondern sich auch in seinem ganzen Wesen auf eigne Art verändert zeigte. Statt wie sonst beinahe zu keck aufzutreten, war er verschüchtert, als habe er Gespenster gesehen, der Ton seiner Stimme schwankend – der Ausdruck matt und unzusammenhängend. – Er sprach davon, daß er nun durchaus nach Warschau müßte, daß er Hermenegilden wohl niemals wiedersehen werde – daß in der letzten Zeit ihr verstörtes Wesen ihm Grauen und Entsetzen erregt – daß er Verzicht geleistet auf alles Glück der Liebe, daß er nun erst in der an Wahnsinn grenzenden Treue Hermenegildas, die Treulosigkeit, die er an dem Freunde begehen wollen, zu seiner tiefsten Beschämung fühle, daß schleunige Flucht sein einziges Rettungsmittel sei. Graf Nepomuk begriff alles nicht, nur schien es ihm endlich klar zu werden, daß Hermenegildas wahnsinnige Schwärmerei den Jüngling angesteckt. Er suchte ihm dies zu beweisen, doch umsonst. Xaver widerstrebte um so heftiger, als dringender Nepomuk ihm die Notwendigkeit bewies, daß er Hermenegilda von allen Bizarrerien heilen, folglich sie wiedersehen müsse. Schnell war der Streit geendet, als Xaver, wie von unsichtbarer unwiderstehlicher Gewalt getrieben, hinabrannte, sich in den Wagen warf und davonfuhr.


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