Alois Essigmann
Sagen und Märchen Altindiens. 1. Band
Alois Essigmann

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Im Weltalter der Götter

Schöpfung und Flut

Eine Ewigkeit hatte Brahma als Nichts auf dem Rücken der Urschlange Sescha geruht und sich zum All gesammelt.

Dann schuf sein Denken die zehn Schöpfer!

Sie wurden die Väter der Götter und Dämonen, die Ahnherrn der Menschen, und bauten mit ihnen Welten aus dem All.

Kaschjapa, einer der Schöpfer, nahm die Töchter des Schöpfers Dakscha zu Gattinnen:

Aditi schenkte ihm die Aditia oder Götter, Diti die Daitia und Danu die Danawa, zwei den Göttern feindliche Dämonengeschlechter.

Der Sohn der Sonne aber war Manu, der erste Mensch.

Im Auf und Ab der Zeiten vermehrten sich die Geschöpfe schier ins Unendliche, da dem Leben noch kein Ende gesetzt war.

Brahma versank in tiefes Denken:

Er wollte dem wuchernden Leben Einhalt gebieten, doch er konnte kein Mittel finden, den Strom der Fruchtbarkeit einzudämmen: Sein schöpferischer Wille hatte ihn hervorgebracht, und der war für ewige Zeiten unabänderlich.

Da schlugen, im Zorn über seine Hilflosigkeit, lohende Flammen aus den Augen des ohnmächtigen Allmächtigen und drohten die Welt zu verzehren!

Der Gott Schiwa aber fühlte inniges Mitleid mit allem Leben und bat den Erhabenen, seinen Zorn zu mäßigen, daß dessen Feuer das herrliche All nicht fräße. Die Flammen erloschen vor diesem Hauch des Alleinsempfindens!

Ein Tropfen fiel von der Stirne Brahmas und ward zu einem ernsten, schwarzäugigen Weib in purpurnem Kleide.

Nach Süden wandte es sich, um von dannen zu schreiten, als der Herr es anrief:

»Du Frucht meines Denkens über Vernichtung des Lebens sollst Tod heißen:

Du geh' und schlage Weise wie Toren, Gute wie Böse und alles was lebt, auf daß es nicht mehr erstehe, denn die Welt sinkt schier ins Wasser von seiner Last!«

Laut weinend warf sich die Lotusgeschmückte vor dem Allmächtigen auf die Knie und barg ihr Antlitz in seinen Händen.

»Gnade! Du Herr der Welt!« schluchzte sie.

»Soll ich Kindern und Greisen, Starken und Schwachen, Sündern und Büßern mit gleichem Maß messen? – Wie wird man mich hassen, wenn Vater und Mutter, Gattin, Freund und das Kind in der Wiege dahinschwinden! Durch alle Ewigkeit werden die Tränen der Unglücklichen mich brennen! – Gnade! Du gütiger Vater der Wesen!«

»Mein Wort ist unabänderlich und ewig!« sprach der Herr: »Tod soll das Leben enden! Doch du wirst vor den Geschöpfen ohne Schuld sein: du liebst sie, du sollst sie befreien! Zorn, Haß und Neid werden ihren Untergang zeitigen, ehe sie in deinen Armen Ruhe finden; die Tränen, die du in meine Hand geweint, will ich als Siechtum über die Erde streuen, so daß die Vergehenden dich als Erlösung ehren: Mögen die Sünder durch ihre Sünden vergehen – du bist die sühnende Gerechtigkeit, die sie, ohne Haß, ohne Liebe, aufnimmt!

Und Yama, der Herr über das Recht ist, soll auch Herr sein über dich, Tod!«

So war Tod in die Welt gekommen, auf daß sie sich ewig erneuere!

Noch einmal drohte allem Atmenden der Untergang, als ein Danawa dem ruhenden Brahma die heilige Lehre Weda stahl, die dem schlafenden Gott über die Lippen quoll.

Der Erwachte beschloß, eine Flut über die Erde fegen zu lassen und sich eines edlen Menschen zu bedienen, um die entsühnte Welt mit neuen Geschöpfen zu bevölkern:

An den Ufern der Wirini stand Manu, in strenger Bußübung die Arme zum Himmel erhoben, den Blick in die eilenden Wellen des Flusses versenkt. Da schwamm ein kleines Fischlein auf ihn zu und sprach mit menschlicher Stimme:

»Sieh! Du büßender Gerechter: Die großen Fische fressen die kleinen, die Starken verdrängen die Schwachen! Ich bin in steter Sorge um mein Leben. Rette mich, edelmütiger Büßer, vor dieser verzehrenden Furcht!«

Voll Mitleid schöpfte Manu das Fischlein mit der hohlen Hand aus dem Fluß und trug es rasch nach Hause. Dort setzte er es in eine silberne Schüssel, pflegte seinen Schützling voll frommen Eifers und liebte ihn wie einen Sohn.

Aber das Fischlein wuchs unter der Sorgfalt des Guten gar rasch und hatte bald nicht genug Raum in der Schüssel.

Auf seine Bitte setzte Manu es in einen großen Weiher: der maß drei Meilen in der Länge und eine in der Breite.

Doch der Fisch wuchs weiter, und nach einiger Zeit ward ihm auch dieses Wasser zu eng. Wieder bat er seinen gütigen Pfleger, ihn in ein größeres Gewässer zu setzen:

»Zur Ganga bringe mich, zu des Meeres Gattin! Dort möchte ich mich tummeln, du Lieber! Doch tu', wie du willst – du bist der Herr, denn deiner Güte verdank' ich das Wachstum, du Sündenloser!«

So brachte Manu den Fisch nach der Ganga, und als ihn auch die Ufer dieses Stromes beengten, trug er ihn nach dem weiten Meer. Dort setzte er den Riesenfisch, der einen himmlischen Wohlgeruch ausströmte, in die lockende Flut.

Der Fisch aber sprach mit freundlichem Lächeln:

»Du, Glückseliger, hast mich in treuer Sorge erhalten, so höre meinen Rat und handle danach:

Bald wird die große Reinigungsflut über die Erde fegen, denn Lebendem und Totem ist die Zeit des Schreckens nahe!

Baue ein Schiff und besteig' es mit den sieben Heiligen! Und Samen aller Art nimm auf und bewahre ihn wohl! Harre meiner, wenn die Flut dich trägt! An einem Horne sollst du mich erkennen!«

»Ich will tun, wie du geraten hast!« sprach Manu, und als der Fisch untertauchte, schritt er in den Wald und begann den Schiffbau.

Und als das Schiff fertig und genau nach des Fisches Rat beladen war, hob sich die Flut über die Erde und Manu glitt auf den Wogen dahin.

Und als er des wunderbaren Fisches gedachte, kam dieser geschwommen, und Manu sah an seiner Stirne ein großes Horn.

Daran mußte nun der Büßer sein Schiff binden, und in schneller Fahrt zog es der Fisch über die weite Meeresflut.

Stürme tobten über das Wasser, daß sie schier Sonne, Mond und Sterne verlöschten! Nur die sieben Heiligen, die mit Manu über das Wasser glitten, erglänzten im reinen Licht ihres sündenlosen Seins. Das Schiff tanzte über die Wellen wie ein liebetrunkenes Weib. Alles Land war versunken, und schier endlos schienen die Wasser.

Viele Jahre zog der Fisch schweigend das Schiff durch die Nacht!

Endlich stieß es an den höchsten Gipfel des Himawat, und Manu mußte es auf Geheiß des Fisches dort anbinden; heute noch nennt das indische Volk den Berg »Schiffsbindung«.

Der geheimnisvolle Fisch aber sprach zu Manu:

»Ich bin Brahma, das höchste und ewige Wesen!

Dich habe ich aus der Flut gerettet, auf daß du meine Welt mit neuen Geschöpfen bevölkerst: Bete und schaffe, so wird es dir gelingen!«

Damit verschwand der Gott vor den Augen Manus.

Als die Wasser sich verliefen, reinigte der Gerettete seine Seele in frommer Sammlung, dann breitete er neues Leben über die weite Erde.

Die Götter und ihre Feinde

Mitten im Weltall ragt der Berg Meru in den Himmel und durch die Erde in die Unterwelt.

Er ist der geheiligte Sitz der Götter, den Sonne, Mond und Sterne voll Ehrfurcht rechtshin umwandeln und von allen Seiten mit ihrer Lichtflut umspülen.

Wie Strahlen um einen Stern, liegen die Erdteile um ihn.

Auf seinen Höhen wohnen die Götter unter der Herrschaft des kriegerischen Indra.

Schakra, der Mächtige, heißt er allen, denn er hat die schwankende Erde befestigt und das Blau des Himmels darüber gespannt. Er verteidigt sie gegen Daitia und Danawa in ruhmreichen Kämpfen und segnet sie mit fruchtbringendem Regen in schenkendem Frieden.

Die Wasu oder Erdengötter, die Rudra und Maruta, Wind- und Wettergötter, die lieblichen Apsaras, himmlische Wasserjungfrauen und des Himmels Spielleute: die Gandharva, sie alle ziehen in Indras Gefolge einher und beglücken Mensch und Tier, Baum und Gras, ja den dürstenden Sand in der Wüste mit ihren freundlichen Gaben.

Schatschi, die Macht, ist des Götterkönigs Gattin, ein ragendes Beispiel weiblicher Treue. Sie kost mit dem geliebten Gatten, wenn er aus der Schlacht kommt, sie schmückt ihm den Herdsitz, wenn er ruht nach friedlicher Reise, auf der er Flüsse, Seen und Teiche gefüllt und nach der Ordnung in den Reichen der Erde gesehen hat.

Der große, blonde Sohn der Aditi ist der Vorkämpfer der Götter, wenn die Dämonenscharen der Diti- und Danusöhne sich gegen den Himmel wälzen. Er ist Meister aller Waffen, und siebenfarbig ist sein großer Bogen, der nach dem Kampf am Himmel hängt.

Varuna steht neben Indra, der mächtige Herr der Gewässer. Sein Reich ist das unendliche Meer mit all seinen Schätzen und die gewaltigen Ströme, die flinken Wasser der Erde. Geheimnisvoll wirkt er noch in dem kleinsten Grashalm, denn seinem Gesetze gehorcht alles Leben. Er ist ein mächtiger Hüter der Menschheit und wacht über ihre Sitte: Der Unklarheit, der Unwahrheit ist er feind und straft sie mit Krankheit und heillosem Siechtum.

Agni, der milde Gott des Feuers, ist des Götterkönigs getreuer Freund und Kampfgenosse. Sein Wagen ist mit roten Stuten bespannt und so stürmt er die hölzernen Burgen der Feinde.

Er ist der ewig Junge, der sich stets erneuert!

Gerne wohnt er bei den Menschen und trägt ihre Opfer zu den Göttern.

Auch Agni ist ein Freund der Wahrheit, und die Liebe zu ihr hat einst den Fluch eines Heiligen auf ihn geladen:


Der Seher Bhrigu warb um Puloma, die Braut eines Riesen, und führte sie als Gattin in seine Einsiedelei. Verzweifelt irrte der verlassene Riese durch die Wälder, und als er zufällig die leere Klause des Heiligen betrat, warf er sich betend vor dem flackernden Hausfeuer nieder und flehte Agni um Wahrheit an:

»Wo ist Puloma? – Du schwarzpfadiger Gott! wo weilt sie, deren liebliches Lachen mir eine glückliche Zukunft verhieß? Sprich, du Siebenzüngiger, vor dessen Sitz die Ehen geschlossen werden: War sie die Meine, da sie sich mir versprochen? – Ward sie mir nicht geraubt? – O du, der du die ganze Welt durchziehst, der du in Sonne, Mond und Sternen bist wie in dem kleinsten Spanlicht, im opferfressenden Feuer wie im winzigsten Tröpflein Blut – du Allesseher! gib mir Wahrheit: wo weilt Puloma und ist sie die Meine?«

Um der Wahrheit willen sagte Agni, daß Puloma des Riesen Weib sein müßte, daß sie aber nun als Gattin Bhrigus in der Einsiedelei hause.

Da verbarg sich der Riese in der Nähe und raubte die Heimkehrende ihrem Gatten.

Als Bhrigu sah, daß er sein Weib verloren hatte, verfluchte er den schwatzhaften Agni!

»Werde zum verachteten Allesesser! verzehre, was du berührst – sei es rein oder unrein, erlaubt oder verpönt vom religiösen Gesetz – dich soll danach hungern, mundschneller Gott! – selbst Leichen sollen dir noch als köstliche Speise munden!«

Entsetzt floh Agni vor dem Fluch des zürnenden Heiligen und verbarg seine Schmach im Meer, da der Hohn seiner Feinde ihn »Allesfresser« nannte.

Mit einem Schlag hörten alle Opferfeuer zu brennen auf, die Götter hungerten, und die Menschen verkamen in Sittenlosigkeit.

In dieser Not baten die sieben Heiligen Brahma um Hilfe, denn ein feierlicher Fluch nimmt unaufhaltsam wie das Schicksal seinen Lauf: Das schnelle Wort kann nicht zurückgenommen, nur in seiner Wirkung gemildert werden.

Und der Allmächtige rief Agni vor sein Angesicht und sprach zu dem Betrübten:

»Du wirst bis ans Ende der Zeiten dem Fluche folgen und verzehren, was du berührst! doch ich schenke dir auch die Gabe, zu reinigen, was du berührst. So bist du zwar ein Allesesser, aber nichts Unreines wirst du essen, denn deine Berührung reinigt alles!«

Pavaka, der Reiniger, heißt Agni seither den Andächtigen.


Yama, der ernste Völkersammler, der über den Tod und das Recht herrscht, ist ein nimmermüder Freund der Menschen und getreuer Hüter der Ordnung. Im Gefolge des schweigsamen Herrschers schreiten die Ahnen und Väter der Lebenden. Seine Boten schweifen über die Erde und führen die Gezeichneten in sein gastliches Haus.

Surya und Soma, der Gott der Sonne und des Mondes, teilen die Ewigkeit, auf daß sie als Zeit geregelt erscheine. Surya ruft täglich zu neuem Leben, und Soma läßt sein balsamisches Licht in die Nächte fließen, auf daß die Menschen darin Heilung und neue Kraft finden.

Uschas, die liebliche Morgenröte, erfreut Götter und Menschen, wenn sie das Himmelstor öffnet. Sie sendet alltäglich ihre beiden Reiter aus, um Verzweifelnde aus dem Schrecken der Nacht zu erlösen.

Aswinas heißen die schönen Jünglinge, die auch die Ärzte des Himmels sind.

Kama, der Liebesgott, reitet als ewiger Jüngling auf einem bunten Papageien und schwingt seinen goldenen Bogen, an welchem eine Schnur wilder Bienen die Sehne ist. Duftende Blüten sind die Spitzen seiner sehnsuchtbefiederten Pfeile, und ihre Wunden heilt allein Kamas Gattin: Rati, die Lust.

Wischnu und Schiwa, Erhalter und Zerstörer, sind Teile des Schöpfers, sind er selbst, der urewig geheimnisvolle, dreieinige Gott Brahma.

Brihaspati, der weise Sohn des Angiras, versieht als Priester den Opferdienst im Himmel. Er ist der gütige Mittler zwischen den Aditisöhnen und Brahma, dem ehernen Schicksal, dem sich auch die Götter beugen müssen.

Nicht sorglos fließt ihr Leben dahin; sie kämpfen um ihr Dasein, wie die Erdenkinder, und ihre schrecklichsten Feinde sind die starken Söhne der Diti und Dann, die wilden Dämonen der Finsternis, der Dürre, der sengenden Glut.

Auf kühner Streife war es einst Bala, dem Danawafürsten, gelungen, die Kühe der Götter zu rauben und sie in der weiten Höhle eines Berges einzuschließen.

Indra zog an der Spitze des Götterheeres aus, die milchspendenden Freunde aller Geschöpfe zu befreien und die Frevler zu strafen.

Auf seinem edelsteingeschmückten Streitwagen, mit den goldenen Radbüchsen und Schienen, brauste der starkarmige Götterkönig durch die Luft, in seinem Gefolge die flechtentragenden Windgenien in gedeckten Fellen, mit goldenen Helmen und Lanzen, die weithin über den Himmel glänzten.

In heißem Pfeil- und Speerkampf wurden die Danawa zurückgedrängt und der dreiköpfige Wischwarupa von Indra im Keulenkampf erschlagen. Ein Wurf mit der nie fehlenden Indralanze spaltete den Berg und befreite die Kühe, so daß sie ihr Labsal über die ganze Erde ergießen konnten.

Doch bald darauf führte Bala seine Dämonenscharen aufs neue gegen den Meru.

In heißer Schlacht entriß er dem Indra die Herrschaft über die Erde und flehte in inbrünstigem Opferdienst, daß Brahma ihn in dem neuen Besitz erhalte.

Da erschien Wischnu in Zwergengestalt, mit der weißen Schnur des Brahmanenstandes um die Brust, vor dem Opfernden, gewann in weiser Rede die Gunst des mächtigen Dämonenfürsten, und als dieser dem Lobredner eine Weihgabe bot, bat Wischnu, ihm drei Schritte Landes zu schenken.

Gerne bewilligte der Fromme dem priesterlichen Zwerg diese Bitte.

Vor den Augen des Dämonenfürsten wuchs nun der Gott ins Unendliche und nahm mit drei Schritten die ganze Welt! 17

Indra, dem Götterkönig, hat er sie wiedergegeben!

Mit Agni, dem kühnen Freund, zog nun Schakra abermals gegen Bala und schlug das Heer der Dämonen aufs Haupt, daß seine Herrschaft aufs neue befestigt war.

Indessen wuchs dem gewaltigen Herrn des Himmels in Writra, dem Fürsten der Kalakeya, einem Riesengeschlecht der Danawa, ein schier unbezwinglicher Gegner heran.

Writra wälzte mit seinen Riesen Berge gegen den Meru, daß die Erde erzitterte. Darauf stürmten die Kalakeya vor und warfen sich gegen die Götter. Der Meru schien in lohenden Flammen zu stehen, so funkelten die goldenen Panzer, die eisernen Keulen der Danawa. Tapfer wehrten sich die Götter, und zu Hunderten und Tausenden fielen die abgehauenen Köpfe der Riesen aus der Luft. Aber Writras Kühnheit hatte unzählige Scharen der Dämonen angelockt und die Götter wurden zurückgedrängt. Als stürzten Berge ein, so tobte es in den Lüften beim Zusammenstoß der feindlichen Helden.

Vergebens stritt Indra mit all seiner Tapferkeit und Stärke, mit allen seinen göttlichen Waffen gegen Writra. Der Danawa in seiner goldenen Wehr schien unverwundbar, und sein gellender Schlachtschrei trieb die Seinen zu tollster Kampfeswut und entmutigte die göttlichen Heerscharen.

Da trat Indra vor Brahma, um von dem Allmächtigen Rat zu erbitten. Brahma wußte, warum der Götterkönig vor ihm stand und sprach:

»Laß aus den Knochen eines Sündenlosen eine sechszackige Keule machen: damit wirst du Writra töten!«

Die Götter baten darauf den Heiligen Dadhitscha, ihnen zu helfen, und willig opferte der Edle sein Leben zum Heile der Welt.

Twaschler, der Götterschmied, verfertigte aus den Knochen des Sündenlosen den Sechszack, und, wieder voll Mut, warfen sich die Götter den Dämonen aufs neue entgegen.

Furchtbar war der Anprall Leib an Leib! wieder schienen die Danawa die Stärkeren zu sein, die Götter weichen zu wollen. Schon klang Writrus Kriegsschrei wie ein Sieges jauchzen – da warf Indra den Sechszack:

Schauerlich rollte der erste Donner durch die Lüfte, die Danawascharen mit Entsetzen erfüllend. Writra sank mit gespaltenem Schädel zu Boden und war tot!

Jetzt drangen die göttlichen Heerscharen auf die entsetzten Dämonen ein und schlugen ihrer viele Tausende nieder. Heulend flohen die letzten vom Schlachtfeld und verbargen sich voll Angst im Meer.

Seither ist der Donnerkeil Indras Lieblingswaffe. Freundlich spricht er mit dem Zackigen vor der Schlacht, und dieser glüht vor Kampfeslust in Schakras Hand, wenn der Feind sich naht.

Ein mächtiger Helfer gegen die Dämonen erstand bald darauf dem Götterkönig in dem Kriegsgolte Skanda:

Agni hatte beim Opfer die Gattinnen der sieben heiligen Seher erschaut, und sein Herz entbrannte in heißer Liebe zu den holden Frauen. Seufzend und sinnend zog er sich in den Wald zurück und fand keinen anderen Gedanken, als den an die tugendhaften Schönen, die er ewig meiden mußte.

Svaha, des Feuergottes Gattin, erkannte in ihrem liebenden Herzen den Kummer des Gemahls, und, um den Treulosen nicht zu verlieren, nahm sie die Gestalt der Gattin des ersten Sehers an und ging am Morgen zu Agni in den Wald. Voll Freude umarmte der Verliebte seine Gattin und verlebte den ganzen Tag in Lust und Freude mit ihr, ohne sie zu erkennen.

In der Dämmerung aber schlich Svaha ins Dickicht, verwandelte sich in einen Geier und flog nach dem Berge Sveta. Dort ruhte sie die ganze Nacht in einem goldenen Bett, von Schlangen und Geistern bewacht.

Am nächsten Morgen flog sie nach dem Wald zurück und nahte sich ihrem Gatten als Frau des zweiten Sehers. Wieder verlebte sie unerkannt einen glücklichen Tag mit Agni. Und wieder ruhte sie des Nachts in ihrem goldenen Bett auf dem Berge Sveta. Und noch viermal gelang es ihr, den geliebten Galten zu täuschen. Nur die Gestalt der Arundhati, der Gattin des siebenten Sehers, konnte sie nicht annehmen: Ihre Zauberkraft versagte vor der unendlichen Liebe der beiden Gatten zueinander!

Die ersten sechs Seher aber hörten von den schwatzhaften Tieren des Waldes, daß ihre Frauen sich mit Agni erlustigt hatten, und jagten die Ungetreuen aus dem Hause.

Unschuldig verdammt, irrten die Unglücklichen durch die Welt, bis Brahma sie als Sternbild an den Himmel setzte.

Svaha aber gebar auf dein Berg Svela den sechsköpfigen Skanda. Dann flog sie als Geier davon, und niemand kannte die Mutter des starken Gottes, der in vier Tagen zum Manne erwachsen war.

Um diese Zeit raubte der Dämon Keschin Dewasena und Daitiasena, die Tochter des Schöpfers Pratschapali. Indra besiegte Keschin und löste die Fesseln Dewasenas, während der starke Dailiafürst mit der Schwester der Befreiten entfloh.

Weinend beklagte die herrliche Dewasena das Los der Unglücklichen und schwor, nur den zum Gatten zu nehmen, der stärker als Götter und Dämonen sei.

Da trat der sechsköpfige Skanda auf den Plan.

Voll Kühnheit verfolgte er den Entführer und besiegte ihn nach heißen Kampf. Dann drang er weit in das Reich der Daitia ein und schlug Bana, den Sohn Balas, in schwerer Schlacht. Als der Dämonenfürst sich voll Angst in den Berg Krauntscha verkroch, spaltete der Gewaltige das Gebirge und tötete den Feigen durch einen Lanzenwurf. Indra, Schiwa und viele andere Götter hatten sich dem kühnen Skauda angeschlossen und lieferten den Dämonen blutige Schlachten.

Nun trat der Riese Mahisa an die Spitze der Dämonen und führte eine Schar ihrer Besten zum Angriff. Mit unwiderstehlicher Kraft fraßen sich die kühnen Recken in das Götterheer und drohten es zu vernichten. Bis dicht vor den Streitwagen des gewaltigen Schiwa rollte die feindliche Woge. Da tötete Skandas Lanze den Mahisa, der seine Keule schon gegen Schiwa erhoben hatte. Dann sprang der Starke unter die führerlose Schar und warf sie mit dem Schwert, wie der Schnitter die Halme. Der Riese Taraka stellte sich dem Sechsköpfigen entgegen: ein furchtbares Ringen hob an, und die Erde erdröhnte von dem Gestampf der beiden gewaltigen Kämpfer. Doch der sechsfachen Kraft des Gottes war keiner gewachsen: Skanda erwürgte den Riesen wie einen tollen Hund.

Indra neigte sich vor dem gewaltigen Kämpfer und bot ihm seine Herrschaft an, doch Skanda wies sie aus Ehrfurcht vor dem mächtigen Writratöter zurück und bat nur, ihm die Führung des Götterheeres anzuvertrauen.

Seither ist Skanda Indras starker und kluger Feldherr und der glückliche Gatte der Dewasena, die ihn stärker als alle Götter und Dämonen gesehen hat. Der rote Hahn, das Banner, welches Skanda von Agni erhalten hat, zieht dem Heere der Götter voran.

Katscha und Dewajani

Wirschaparwan, der König der Danawa, hatte dem bußereichen Brahmanen Uschanas das Seelenheil der Seinen anvertraut. Als Hauspriester des Königs war der Fromme oberster Priester im Danawareich. Uschanas hatte in strengster Askese und tiefinnerster Sammlung der Natur das Geheimnis des Sterbens abgelauscht. Wen immer er mit seinen Zauberworten rufen mochte, der brach jede Fessel des Todes und trat lebend vor den gewaltigen Büßer.

Da war die Weltherrschaft der Götter in Gefahr! Mochten ihre Waffen auch tausend und abertausend Dämonen in der Schlacht töten, das Zauberwort des Danawapriesters rief alle wieder ins Leben zurück.

Und die Leichen aus dem Heerbann der Götter blieben tot, denn der edle Brihaspati kannte das Zauberwort nicht. Jede Schlacht, und mochte sie auch für die Götter siegreich sein, zehrte an der Macht der Himmlischen.

Mit Grauen gedachten die Götter des Lichtes der Zeit, da die Dämonen der Finsternis, der verzehrenden Dürre, die Herrschaft der Welt an sich reißen, die alte Ordnung zertrümmern und Elend über die Erde breiten würden.

Sie gingen zu Katscha, dem Sohn ihres Priesters Brihaspati, und baten ihn, Schüler und Jünger des mächtigen Dämonenpriesters zu werden.

Vielleicht lernte er die Kunst des Wiederbelebens von seinem Meister, vielleicht fand der schöne Jüngling Gnade vor den Augen Dewajanis, der holden Tochter Uschanas: Auch die Götter mußten den Tod überwinden lernen, wenn die Welt fürder unter ihrer Herrschaft blühen sollte!

Katscha neigte sich ehrfürchtig vor den hehren Hütern der Welt und kam ihrem Wunsche freudig nach:


Im Schülerkleid, mit einer Tracht Brennholz auf dem Arm, so trat er, wie es die Sitte erheischte, vor Uschanas, nannte seinen Namen und seine Herkunft, und bat den würdigen Asketen, ihm tausend Jahre als Jünger dienen und von ihm die heilige Lehre des Weda und alle Bräuche der Priesterkaste hören zu dürfen.

»Gerne nehme ich dich als Schüler auf, edler Jüngling!« sprach Uschanas, »denn dein Vater, der ehrwürdige Götterpriester, ist mir wert! – Sei willkommen!«

So lebte nun Katscha im Hause des Danawapriesters, und seine Dienstwilligkeit, seine bescheidene Freundlichkeit, sein kindliches Lachen, machte ihn dem Alten und seinem jungfräulichen Töchterlein Dewajani immer lieber.

Fünfhundert Jahre hatte er schon gelernt und gedient, da hörten die Danawa erst, daß Uschanas' Jünger der Sohn des Götterpriesters sei.

Voll Sorge um das Geheimnis, dem allein sie ihre Macht verdankten, lauerten sie Katscha auf.

Als er eines Morgens die Kühe seines Lehrers auf die Weide trieb, erschlugen sie den edlen Jüngling und gaben seinen Leichnam den Wölfen zum Fraß.

Dewajani ahnte nichts Gutes, als die Kühe ohne den Hirten heimkehrten. Und als vollends die Stunde der Abendandacht schlug, ohne daß der eifrige Brahmanenschüler nach Hause gekommen wäre, litt es sie nicht länger in ihrer Sorge um den lieben Freund.

Sie wandte sich mit Tränen im Auge zum Vater und sprach: »O Vater! Katscha fehlt zur Abendandacht – er, der jeder Pflicht des Priesterslandes so pünktlich nachkommt – oh – er ist gestorben – sie haben ihn ermordet – oh – ich will nicht leben ohne ihn!«

Tröstend strich Uschanas über die Flechten seines lieblichen Kindes und rief den Vermißten mit seiner geheimnisvollen Zauberformel.

Da zerriß Katscha die Leiber der Wölfe, die ihn gefressen hatten, lief nach Hause und erzählte der treubesorgten Dewajani, was ihm geschehen war.

Bald darauf lauerten die Danawa dem Wiedererstandenen von neuem auf und töteten ihn, als er beim Blumensuchen zu weit in den Wald geraten war.

Sie warfen den Leichnam ins Meer, doch Uschanas' Zauberwort reichte auch in dessen Tiefen, und Dewajani konnte den schmerzlich vermißten Gespielen bald wieder begrüßen.

Zum drittenmal erschlugen nun die Danawa den Jüngling, verbrannten seinen Leichnam und gaben die Asche seinem Meister in Sura, einem berauschenden Getränk, zu trinken.

Wieder klagte Dewajani dem Vater ihr Leid, doch dieser weigerte sich, sein Zauberwort zu sprechen: »Wie oft ich auch Katscha erwecken wollte, die Danawa würden ihn stets wieder erschlagen!« sprach er. »Laß ihn ruhen! weine nicht um den armseligen Schüler, da Götter und Danawa um deine Liebe werben.«

»Oh – oh!« schluchzte Dewajani. »Wie kann ich meinem Schmerz um den edlen Jüngling, den lieben Gespielen, gebieten? – Nein, Vater, nein! – Hungern will ich und dürsten, bis du mich mit ihm vereinst – oder der Tod!«

»So will ich ihn noch einmal rufen!« sprach Uschanas, »und die Brahmanenmörder mit schweren Strafen bedrohen – –.«

»Halt ein!« rief da Katscha aus Uschanas' Leib, »Rufe mich nicht, ehrwürdiger Lehrer, denn du müßtest sterben. Die Danawa haben dir meine Asche im Abendtrunk gegeben! Du stirbst, wenn ich die Fesseln des Todes breche!«

»Nun, Dewajani, hast du die Wahl: gilt dir des Gespielen Leben mehr als das des Vaters?« sprach Uschanas ernst.

»Weh' mir!« schluchzte Dewajani. »Wie soll ich einen missen von zweien, die ich liebe? – Oh, laß mich – Vater – laß mich sterben!«

»Wie schön, wie edel bist du, Katscha! daß meine Tochter so dich liebt!« rief Uschanas. »Ersteh' aus meinem Blut aufs neue als mein Sohn – doch nimm zuerst den Zauber, der ins Leben ruft, daß du mich, deinen Vater, aus des Todes Banden lösest!«

Darauf murmelte er die Zauberformel, und als der wiedererstehende Katscha des Greises Adern sprengte, fiel dieser um und war tot.

Doch rasch belebte das Zauberwort des kundigen Schülers den Toten. Freudig schlössen die Drei einander in die Arme.

Der Asketenfürst aber, welcher durch sein Suratrinken so viel Glück gefährdet halte, verfluchte für alle Zeiten jeden Brahmanen, der der Lockung des berauschenden Trankes nicht widerstehen könnte: An Leib und Seele sollte der suratrinkende Priester gestraft werden, wie der Mörder eines Gerechten!

Katscha blieb bis ans Ende seiner tausendjährigen Lehrzeit bei Uschanas. Als er Abschied nahm, um nach der Götterstadt zurückzukehren, bat Dewajani ihn hold verschämt, sie als Gattin in sein Haus zu führen.

»O Schwesterlein!« sprach Katscha dawider, »wie könnte ich dich freien, da wir doch beide eines Blutes sind? Uschanas, der mich aus seinem Blut zu neuem Leben gerufen hat, ist mein Vater, wie der deine! – Der heilige Weda und aller Völker Gebrauch verbietet solchen Bund. – Sonniges Glück wünsche ich dir, holde Schwester, doch unsere Wege müssen sich scheiden!«

Damit grüßte er die Betrübte und eilte nach dem Himmel. Dort feierten ihn die Gölter als Befreier aus schwerer Not mit vielen Ehren und jubelnder Freude.

Dewajani aber drohte sich schier zu verzehren vor Sehnsucht nach dem Geliebten. Als Uschanas sein geliebtes Kind von Tag zu Tag bleicher werden sah, da verdachte er die Zauberformel, die an allem Schuld trug, auf daß sie für ewige Zeiten im Gedächtnis aller Geschöpfe erlösche.

Seither bleiben Tote tot, und kein Götter-, kein Dämonenwort kann sie ins Leben rufen.

Mada, der Riese Leidenschaft

Der Bhrigusohn Tschiawana hatte seine Klause am Ufer des Flusses Narmada gebaut und lebte dort in strengster Askese. Schier unerschöpfliche Gnadenschätze häufte er durch fromme Buße auf: Während des glühenden indischen Sommers saß er nackend zwischen vier hochlodernden Feuern und ließ sich die Sonne auf den Scheitel brennen. Viele Jahre hindurch hielt er das strenge Gelübde des Schweigens, und seine Nahrung bestand in Wasser und wenigen Wurzeln. Zuletzt stand er regungslos, wie eine Säule, im Wald, und Ameisen bauten an ihm ihr Bauwerk empor. Sein Scheitel ward noch überdeckt, nur die blitzenden Augen lugten aus dem Gewirr von Halmen, Nadeln und Sandkörnern.

Scharjati, der Herrscher des Reiches, kam um diese Zeit mit seinem Töchterlein Sukanja in Tschiawana's Waldeinsamkeit. Ihm folgte ein reisiges Heer und ein Troß von Sklaven und Frauen der Prinzessin.

Sukanja tollte mit ihren Gespielinnen durch den stillen Einsiedlerwald, und in fröhlichem Haschen und Suchen verlor ihr Gefolge sie aus den Augen. Bald stand sie allein vor Tschiawanas Klause und musterte neugierig das Niegesehene.

Der büßende Bhrigusohn in seinem Ameisenhaufen sah das holde Mädchen, und in sein altes Herz fiel heiße Liebe und glühende Sehnsucht nach dieser blühenden Jugend.

Leise rief er Sukanja an, doch die Neugierige hörte oder beachtete den Ruf nicht. Sie sah etwas Funkelndes in dem Ameisenhügel, und während sie spielend darin mit einem langen Dorn herumstocherte, fragte sie harmlos: »Was mag das sein?«

Da ihr keine Antwort ward, lief sie wieder in den Wald und suchte ihre Gespielinnen. Sie hatte dem büßenden Heiligen die Augen ausgestochen!


In seinem Zorn sandte der Blinde eine schwere Seuche über Scharjatis Heer.

Vergebens forschte der König in seinem Gefolge und bei den Kriegern nach des Übels Ursache; wiederholt fragte er, ob keiner von ihnen den heiligen Bhrigusohn, der hier in der Nähe hause, gekränkt habe. Endlich erzählte Sukanja, wie sie, im Walde spielend, zwei funkelnde Sterne in einem Ameisenbau zerstört habe.

Böses ahnend, ließ sich Scharjati dorthin führen und fand mitten im Ameisenhaufen den geblendeten Büßer.

»Verzeih'! Du mächtiger Heiliger!« rief er mit flehend erhobenen Händen. »Verzeih', was dir meines Kindes Unverstand getan hat! Sei gnädig, frommer Einsiedler, und nimm die Strafe von meinem Heer, von meinem Land!«

»Hochmut und Verachtung für den schmutzigen Greis haben dein Kind verleitet, mich zu blenden. So soll es als Gattin des Verachteten seine Armut teilen, den Geblendeten führen. Dann will ich dir und den Deinen wieder gnädig sein!« sprach der Heilige.

Schweren Herzens gab Scharjati dem Asketenfürsten die liebe Tochter, doch willig nahm Sukanja die Buße für ihren jugendlichen Übermut auf sich. Freundlich, wie eine liebevolle Tochter, pflegte sie ihren greisen Gatten und ward nicht müde in seiner Wartung.

Einst zogen die schönen Morgenrotreiter, die Aswinas, die Götterärzte, durch den Wald und sahen die Liebliche, wie sie am Ufer der Narmada das Kochgerät wusch.

»Wer bist du, schönste Blume des Waldes?« fragten die beiden Jünglinge.

Da erzählte Sukanja von ihrer Herkunft, von dem schrecklichen Unheil, daß sie in kindischem Unverstand verschuldet hatte, und daß sie jetzt das Weib des geblendeten Büßers sei und ihn voll Reue und kindlicher Liebe pflege.

»Mir dünkt, du bist zu jung zu diesem traurigen Amt und für die Waldeinsamkeit zu schön!« sprach einer der Jünglinge.

»Ja, komm mit uns!« sprach der andere. »Komm mit nach der Götterstadt und wähle einen Jungen zum Gatten. Laß dich mit köstlichem Geschmeide schmücken und dir den Weg zu Götterfreuden zeigen!«

»Ich liebe Tschiawana. denn er ist weise und gut!« erwiderte Sukanja mit leisem Seufzer.

»Wir sind die Götterärzte! wir wollen den Heiligen gesund und jung machen, dann magst du zwischen ihm und uns beiden wählen!«

Alle drei traten vor Tschiawana, und die Aswinas wiederholten ihren Vorschlag.

Der blinde Heilige war's zufrieden, und die Heilkundigen führten ihn in den Fluß, bis allen dreien die Wellen über dem Kopf zusammenschlugen.

Als sie wieder auftauchten, war Tschiawana ein helläugiger Jüngling geworden: schön wie die Morgenrotreiter und lachend wie der Gatte des leibhaftigen Glückes!

»Nun wähle!« riefen die Aswinas der staunenden Sukanja zu.

Da wählte sie mit holdem Erröten ihren Gatten! Neidlos beglückwünschten die Götterärzte das herrliche Paar.

Tschiawana aber sprach:

»Ihr habt meinen Augen die Schönheit der Welt, meinem Leib die Lust der Jugend geschenkt! ich will es euch danken: Künftig sollen die Menschen auch euch den köstlichen Somatrank opfern, wie jetzt nur Indra und den höchsten der Götter!«

Frohen Mutes stiegen die Morgenrotreiter zum Himmel hinan, und das junge Paar trug sein stilles Glück in die Klause.

Als bald darauf Scharjati mit großem Gefolge die Einsiedelei besuchte, um sich an der jungen Freude seiner Tochter zu weiden, rüstete Tschiawana ein feierliches Opfer.

In seliger Dankbarkeit hob er die geweihte Schale mit dem berauschenden Soma und rief die Aswinas an, um die Spende für sie zu vergießen.

Da erschien Indra vor dem Altar und rief dem Heiligen ein drohendes Halt zu: »Du sollst nicht rütteln an Althergebrachtem!« schrie er zornig. »Die Aswinas sind Halbgötter, sind Ärzte und Diener der Götter! Sie, sollen nicht an meiner Tafel schwelgen!«

»König der Götter!« sprach Tschiawana ernst, »wie magst du die Edlen schmähen, die die Schrecken der Nacht verscheuchen, wenn sie vor Uschas Wagen reiten, die Götter und Menschen heilen mit ihrer Kunst, die mir das Licht und die Jugend wiedergegeben haben! – Sie sollt' ich nicht ehren dürfen als Götter? – Nein, Schakra, fröhlicher Somatrinker! ich spende den Aswinas Opfer wie den anderen Göttern!«

Und wieder hob er die Schale, um das Opfer zu vollenden.

»Halt!« rief Indra, »und hörst du nicht auf mein Wort, so wird mein Donnerkeil dich treffen, Unseliger!«

Zornig funkelten des Writratöters Augen, und in seiner Rechten schwang er dräuend den Sechszack.

Tschiawana aber erschuf aus dem Gnadenschatz seiner Buße Mada, den Riesen Leidenschaf! Unermeßlich war dessen Leib, und sein Rachen gähnte von der Erde bis zum Himmel. Zähne wie Bäume und Hauer wie Türme standen darin. Die Augen gläntzten wie Sonnen und die Arme glichen Bergketten. Glühendheiß loderte es aus seinem Rachen, und ein Meer von Schlamm geiferte über die zuckende Zunge.

Mit furchtbarem Brüllen stürzte Mada gegen Indra und drohte den Gott zu verschlingen.

Dem tapferen Götterkönig erlahmte vor Schrecken der Arm, der den Donnerkeil schwang.

»Wahrlich!« sprach er, »würdig sind die Aswinas des Somaopfers, wenn du, mächtiger Bhrigusohn, ihnen den Schutz deiner Gnade leihst!«

Schnell rief Tschiawana den Riesen Leidenschaft zurück und verteilte sein Wesen auf Trinken und Spielen, auf Hassen und Lieben! Furchtbar sind auch noch die Teile des Riesen, vor welchem einst Indra gebebt hatte!

Tschiawana vollendete das Opfer, und die segenspendenden Aswinas sitzen seither an der Somatafel.

Der dankbare Heilige aber lebte mit seiner holden Sukanja noch viele Jahre im stillen Waldesglück, als Freund der Götter und Menschen.

Nahuscha

In Naumutschi, dem Daitiakönig, war den Dämonen ein neuer Writra erstanden. Als ein gewaltiger Kriegsheld führte er seine Scharen gegen die Götter und entriß der Herrschaft Indras weite Gebiete.

Wieder und wieder stellte der Donnerer seine Heere von Rudras, Marutas und Gandharvas diesen Schrecken der Welt entgegen, wieder und wieder maß er sich im Einzelkampf mit dem furchtbaren Dämonenherrscher: der Sieg blieb aus!

Naumutschi behauptete, was er erstritten hatte, und stürzte die Welt in Sorge, durch neue Raubzüge in glückliches Land.

Die Götter fragten die Rischi, die sieben heiligen Seher der Urzeit, um Rat, und die Heiligen rieten zu einem ehrlichen Frieden.

Da auch die Götter nicht bessere Hilfe wußten und Indra gestand, daß ihm der Daitiakönig an Kraft und Geschicklichkeit gewachsen sei, so gingen alle zur Grenze des Daitiareiches, und die sieben Rischi suchten Naumutschi auf.

Der Dämonenfürst empfing die Heiligen voll Ehrerbietung und hörte ihre Friedensvorschläge willigen Herzens.

»Ich bin bereit, einen ewigen Frieden zu schließen!« sprach er ernst, »doch trau' ich dem mächtigen Donnerer nicht. Er ist vernarrt in sein Spielzeug: die Menschen und Tiere, Felder und Wälder. Das Herz möchte ihm schier brechen, wenn ich mich in Frieden über die Erde lege und mit den Meinen Flüsse und Weiher austrinke, so daß die Geschöpfe ein wenig dürsten müssen. Ich traue dem Jähzornigen nicht! – Heilige Eide müßten ihn binden, senst schlägt er mich tot, sobald ich die Waffen abgelegt habe! – Er schwöre, mich nicht zu töten: bei Tage nicht und nicht bei Nacht, mit Wasser nicht und nicht mit Feuer, noch mit Waffen aus Stein, Erz, Holz oder allem, was fest ist!

Spricht er den Eid, so will ich Frieden halten und das Jahr mit ihm teilen!«

Und Indra sprach den Eid: »Bei Tage nicht und nicht bei Nacht, mit Wasser nicht und nicht mit Feuer, noch mit Waffen aus Stein, Erz, Holz oder allem, was fest ist, will ich den starken Naumutschi töten!«

So ward der Friede geschlossen, und im Sommer streckte sich der Dämonenfürst über die Erde, um sie ein halbes Jahr lang zu drücken.

Furchtbar litten alle Geschöpfe unter der verzehrenden Dürre. Weiher und Flüsse waren von den Dämonen ausgetrunken, versengt die einst blühenden Matten, die duftenden Wälder; und flehend stiegen die Gebete aus vertrockneten Kehlen zum Himmel empor. Nie noch hatte der Gabenspender Indra so lange gezögert. Das Ende aller Wesen schien nahe!

Traurig saß der Weltenherr auf seinem funkelnden Thron und sann, wie er die Erde von der Schreckensherrschaft Naumutschi befreie.

Oh, sein geliebter Donnerkeil! – doch der war eine Waffe – war aus Festem geschmiedet – das Feuer barg er in sich – oh! des schrecklichen Eides!

Zornig sprang Indra auf und eilte zu seiner gequälten Erde.

Da lag sein Feind im Dämmerlicht des Abends, lang hingestreckt, durch den Frieden geschützt, und schlief!

Sein Haupt reichte bis ans Ufer des Meeres, und dem schnarchenden Rachen entstieg eine verzehrende Glut, die das Wasser des Meeres kochen machte, daß seine Oberfläche eitel Schaum war.

Wie der Blitz fuhr's in Indras Gedanken:

Nicht Wasser ist der Schaum des Meeres und nicht Feuer! Waffe ist er nicht und nicht aus Stein, noch Erz, noch sonst aus Festem! und die Dämmerung ist nicht Tag noch Nacht!

Jauchzend schlug er den Donnerkeil in die kochende Meerflut, daß eine Schaumwoge hochauf zum Himmel stieg und im Niederfallen den neuen Writra erschlug.

Hei! wie jubelten Götter und Genien, wie trieben Waju, der Sturm, und die singenden Maruta strotzende Regenwolken herbei und ergossen deren Labsal auf die lobpreisende Erde!

Indra aber sank zu Boden und vergrub sein Antlitz vor Scham im Sande:

Er hatte seinen Eid gebrochen!

Lange lag der Heißblütige so, dann schlich er im Dunkel der Nacht von dannen.

Winzig klein geworden, verbarg er sich vor aller Welt im Wasser, im Stengel einer frisch erblühten Lotosblume.


Kaum war der Götterkönig verschwunden, versiegte der Regen, die Erde vertrocknete aufs neue, Bäche, Weiher, Flüsse und Seen versickerten, denn Götter und Genien fühlten nicht mehr die Zügel der Herrschaft. Die Welt war ohne König, Zucht und Gesetzmäßigkeit im Schwinden.

Wieder traten die Götter vor die sieben Seher und baten sie um Rat, baten, ihnen einen neuen Herrscher zu geben.

Die Heiligen sahen die Not der Welt und schlugen den König Nahuscha, der in Weisheit und Milde über die Menschen herrschte, zum Himmelsherrn vor. Sie versprachen, ihn mit den Schätzen ihrer Gnade zu überhäufen, auf daß er stark genug werde, um über die Dreiwelt des Himmels, der Erde und der Unterwelt zu herrschen.

Des waren die Götter zufrieden, und im feierlichen Zuge holten sie den Erwählten aus seinem irdischen Reich.

Nahuscha trat auf das Tigerfeil vor dem Weltenthron, Weihwasser rieselte auf den Beglückten nieder, und so ward er der Beherrscher der Dreiwelt.

Doch Nahuscha war ein Mensch!

Als er sich über Götter, Genien, Heilige und die ganze Erde gesetzt sah, vergaß er die schweren Pflichten seiner Erhöhung und langte gierig nach ihren leichten Freuden.

Mit den schönen und heiteren Apsaras durchstreifte er die heiligen Haine in tollem Taumel, schwelgte mit den Welthütern an der Somatafel und lieh sein Ohr nur den lustigen Weisen der Gandharva, den preisenden Heldenliedern der brahmanischen Dichter und nicht den klagenden Gebeten der leidenden Menschheit.

Einst feierte er ein stolzes Fest in Indras Garten Nandana:

Narada, der Götterbote, pries die kriegerischen Ahnen des Weltenherrn in begeisterten Hymnen; Apsaras tanzten über die blumigen Wiesen, und die Schellen an ihren zarten Knöcheln klirrten leise in die fröhlichen Weisen der Gandharva. Wohlgerüche erfüllten die Luft, und ein kühler Wind erfrischte die tafelnden Götter.

Um Nahuscha waren die sechs Jahreszeiten versammelt, die dem Herrn der Welt ihre köstlichsten Gaben gebracht hatten.

Nach dem Somagelage streifte der Fröhliche durch den weiten Götterhain und erblickte die trauernde Schatschi.

»Ist das nicht Schatschi, die Macht?« rief er, »des verschollenen Indra Eheweib? Warum dient sie mir nicht? – Ich bin nun Indra – ich der Götterkönig – der Herr der Welt! Und wahrlich! so schön ist Schatschi, daß sie stets nur das Weib des Erhabensten sein soll! – Bringt sie in mein Haus!« sprach er zu seinem Gefolge. »Ich will sie zu meiner Gattin erheben!«

Als Schatschi die Worte Nahuschas hörte, entfloh sie und verbarg sich bei Brihaspati, dem guten Götterpriester.

Dieser gewährte der Treuen gastlichen Schutz und prophezeite, daß Indra wieder erscheinen und über die Dreiwelt herrschen werde.

Nahuscha tobte, daß die Welt erzitterte, als er hörte, daß Schatschi sich unter des Brahmanen Schutz begeben hatte.

Die Götter baten ihn, seinen Grimm zu beherrschen, auf daß dieser nicht die Welt vernichte. Doch eigensinnig bestand der Götterkönig darauf, daß Indras Weib in sein Haus geführt werde.

Da gingen die Götter, denen vor dem Zorne des Starken bangte, zu Brihaspati und baten ihn, um der Welt willen Schatschi auszuliefern, auf daß sie die Gattin des furchtbaren Götterkönigs Nahuscha werde. »Gib sie heraus! o Ehrwürdiger!« sprachen sie. »Nahuschas Grimm verzehrt sonst die Welt, denn weit stärker als Indra ist der neue Herrscher, da die sieben Heiligen ihm den Schatz ihrer Buße geliehen haben!«

Doch Brihaspati sprach:

»Wie kann ich die Schutzsuchende dem Verfolger ausliefern? – Glaubt ihr, so wenig gälten einem Brahmanen die Lehren des Weda?

Muß ich die heiligen Sprüche erst nennen? – Euch sagen, daß kein Regen fällt auf die Saat dessen, der einen Schützling ausliefert, daß Speise und Trank ihn verzehren, statt zu nähren, daß seine Kinder früh ins Grab sinken und seine Ahnen keine Ruhe finden, daß die Götter seine Gaben verschmähen und ihre Gaben ihm Not und Tod bringen!

Habt ihr vergessen, wie Indra einst den König Usinara prüfte und belohnte? – So will ich es euch wiedererzählen:


Der vielgepriesene Länderherr saß vor dem lodernden Opferfeuer, als eine Taube sich in seinen Schoß flüchtete. Ein schneller Habicht verfolgte die Zitternde, flog bis vor Usinaras Thron und forderte seine Beute von dem König.

»Gerecht wirst du gepriesen, o Herr!« so sprach der Habicht. »Gib mir, was ich erjagt habe, mich plagt der Hunger!«

»Wie könnt' ich gegen die heilige Lehre verstoßen?« sprach der König. »Wie dem Verfolger geben, was sich vertrauend zu mir geflüchtet hat? – Die Schuld würde lasten auf mir, als hält' ich eine Kuh, eine Weltmutter, erschlagen oder einen Brahmanen erwürgt! – Nie geb' ich den Schützling heraus!«

»So willst du mich dem Hungertode preisgeben? – mich? und, bin ich tot, mein Weib und meine Kleinen? oh – vergiß nicht, weiser König: Pflicht steht gegen Pflicht! Laß doch die kleinere um die große zu erfüllen: gib mir die Taube! Es ist den Habichten gesetzt, die Tauben zu fressen!«

»Nimm einen Büffel, kluger Vogel – einen Eber oder Hirschen – alles lasse ich dir geben, doch der Schützling ist mir heilig!« rief Usinura.

»Nicht Büffel, Hirsch und Eber will ich von dir erbetteln, König!« sprach der Habicht. »Die Taube gib mir, meine müdgehetzte Beute und jene Nahrung, die des Schöpfers Willen mir zugesprochen hat!«

»Nimm mein Reich und alles, was ich habe; der Schützling bleibt in meiner Hut!" erwiderte Usinara ernst.

»Gib mir von deinem Fleisch soviel, als diese Taube wiegt, wenn du um alles an die Pflicht dich bindest!« rief der Habicht.

»Gerecht ist deine Forderung, weiser Vogel!« sprach der König und ließ eine Wage bringen.

Dann schnitt er sich ein Stück Fleisch vom Leibe und wog es gegen die Taube.

Doch der kleine Vogel wog schwerer als das blutige Fleisch des Edlen. Noch einmal schnitt das Messer in des Dulders Leib, und wieder ward das Opfer zu leicht befunden.

Da trat Usirana auf die Wage und bot sich dem Habicht zur Speise.

»Indra bin ich!« rief der Vogel jetzt, »und die Taube ist Agui! Wir kamen, dich zu prüfen, viel besungener Herr der Gerechtigkeit, und du hast bestanden wie Gold im Feuer, glücklicher Weiser! Steig' auf zu meinem Himmel und leuchte der Menschheit als Beispiel!«


So schützt ein Weiser, was sich seinem Schutze anvertraut! – Nie liefere ich Schatschi dem Drohenden aus!« schloß Brihaspati seine Rede.

»So rate uns, wie wir die Welt beschützen vor dem Grimmigen, der die Gnade der Rischi besitzt!« sprachen die Götter ergeben.

Da dachte der edle Priester nach und sagte:

»Schatschi mag Nahuscha sagen lassen, daß sie dem Gewaltigen in sein Haus folgen werde, wenn er die sieben Heiligen vor seinen Wagen spannt. In einem Gefährte, so kostbar, wie noch keiner eins lenkte, fährt die Macht mit dem Allbezwinger zum Altar! – Hochmut ist Nahuschas Fehler, Hochmut wird ihn stürzen!«

Die Götter brachten ihrem König die Botschaft der Entflohenen, und der Herr der Welt freute sich über Schatschis Willigkeit und das seinem Stolze schmeichelnde Verlangen. Er suchte die heiligen Seher auf und spannte sie an seinen Streitwagen: Zwei an jede Seite und drei an die Stange.

Indessen halte Brihaspati ein stilles Opfer zur Auffindung Indras gerüstet. Der Agni der Opferflamme durchstreifte im Fluge die ganze Welt, doch fand er seinen Herrn und Freund nicht auf der festen Erde, noch in der blauen Luft. Unter Brihaspatis kräftigen Zaubersprüchen fuhr er in das gefürchtete Wasser und sah hier Indra in der Lotosblüte verborgen.

Rasch rief er alle Götter herbei.

Und als die Herrlichen reinen Herzens des gewaltigen Writratöters Kriegstaten und seine weise Friedensherrschaft priesen, da wuchs der in Sünde und Reue klein gewordene Indra und stand plötzlich in seiner alten Stärke unter ihnen.

Nun erzählten die Frohen ihm von Nahuschas schlechter Herrschaft und baten den mächtigen Donnerer, den Unwürdigen vom Thron der Welt zu stürzen und sie wieder, wie einst, zu beherrschen.

Doch Indra schüttelte das Haupt:

»Woher nähm' ich die Kraft, den Nahuscha zu stürzen? – Ich, der unter der Sünde des Eidbruches seufzt, ihn, den die Gnade der Heiligen trägt!«

Und schweigend schritten die Götter alle zum Himmel.

Dort hatte Nahuscha indessen sein seltsames Gespann gegen Brihaspatis Haus gelenkt, um die heißbegehrte Braut im Triumphe abzuholen.

Dem ungeduldigen Verliebten zogen die Ehrwürdigen zu langsam des Weges.

»Schleicht nicht so!« rief er zornig und spornte den heiligen Agastya mit der Ferse.

Da war das Maß des Frevels voll, und die Macht des zum Weltherrscher erhobenen Menschen gebrochen!

Die Heiligen hielten an, und auf Agastyas Fluch: »So schleiche du durch die Ewigkeit!« stürzte Nahuscha als Schlange vom Wagen. Heute noch steht am Himmel das Sternbild: die sieben leuchtenden Heiligen an den Wagen gespannt, und daneben die stürzende Schlange!

Indra aber ward im Himmel mit lautem Jubel empfangen.

In einem sühnenden Roßopfer wälzten die Heiligen die schreckliche Schuld von seinem Herzen und verteilten ihr Wesen in der ganzen Schöpfung: Die Berge nahmen ein Drittel auf sich und bekamen davon die Schrunden und Risse: die Bäume tragen das zweite Drittel und schwitzen Harz unter der schweren Last; die Frauen büßen das letzte in stets wiederkehrender Schwäche.

Indra aber ward rein und thront wieder mächtig über der Dreiwelt, an der Seite seiner getreuen Schatschi.

Der Fluch der Schlangenmutter

Die Schwestern Kadru und Winata waren Gattinnen des Schöpfers Kaschjapa. Kadru brachte tausend und abertausend Kinder zur Welt. Sie war die Mutter aller Schlangen und liebte ihre klugen und zierlichen Sprößlinge voll Stolz und Freude.

Winata sah voll Neid auf die Scharen blühender Kinder und erflehte vom Schöpfer einen Nachwuchs, weit mächtiger als das Schlangengeschlecht der Schwester.

Sie gebar den Aruna und den Garuda.

Aruna, ein schöner Knabe, war ohne Beine zur Welt gekommen. Der Sonnengott nahm ihn als Wagenlenker, und morgens und abends sieht man den Herrlichen das rote Siebengespann leiten, das im goldenen Joch den perlengeschmückten Wagen Suryas durch den Äther zieht.

Garuda war der Fürst der Geier, ein furchtbarer Feind seiner schleichenden Vettern. Stark war er und weitflügelig, der größte Vogel der Welt! Dem erhabenen Gott Wischnu diente Garuda als Reittier oder er saß in der Dämonenschlacht auf dem Bannerschaft seines Streitwagens. Voll Stolz strich er durch den Weltenraum und deuchte sich selbst dem Götterkönig an Kraft gewachsen. Als Indra einst den Schlangenprinzen Sumucha, den Eidam seines Wagenlenkers Matali, vor Garuda beschützte, stritt der stolze Vogel mit dem Herrn der Welt und prahlte mit seiner grimmigen Stärke. Lächelnd legte Indra dem Zornigen seine Linke auf die Schulter, daß diesem schier der Flügel brach unter der Last der Faust, die einst die Erde befestigt hatte. Kleinlaut bat der Wischnuvogel, ihn zu schonen, und spottend warf Inra ihm Sumuchas abgestreifte Haut um den nackten Hals.

Durch alle Zeiten trägt Garudas Volk diese Krause, als Zeichen der schmählichen Prahlsucht seines Ahnherrn.


Kadru und Winata waren voll Eifersucht gegeneinander, denn jede war stolz auf ihre Kinder und sah in ihnen die Krone der Schöpfung.

Einst gerieten die beiden in Streit über die Farbe des Götterrosses Utschaisrawa: schwarz! sagte Kadru; weiß! Winata.

»Wir wollen um die Freiheit wetten!« schlug Kadru vor, denn sie hatte einen Plan, der die verhaßte Schwester in ihre Gewalt bringen sollte. »Wir wollen wetten, und wer verliert, dient der andern als Sklavin!«

Winata war damit einverstanden, denn sie wußte bestimmt, daß Utschaisrawa weiß sei.

»So wollen wir morgen an das Ufer des Meeres gehen und das herrliche, hochohrige Roß betrachten, wenn es bäumend aus den Fluten steigt!« sprach Kadru.

Dann sandte sie einige ihrer Söhne bei dem Schlangenvolk umher und befahl, daß alle ihre Kinder sich am andern Morgen als schwarze Haare an das Götterroß heften solllten, auf daß ihre Mutter nicht der Sklaverei verfiele.

Doch die Schlangen sind sehr leichtsinnige Geschöpfe: Im strömenden Regen der Nacht badeten sie voll Wonne und sonnten sich träge am nächsten Morgen.

Nur wenige hatten der Mutter Befehl befolgt. Und als Utschaisrawa aus den Fluten stieg, war der Hengst silberweiß und trug nur einen schwarzen Schweif aus den wenigen getreuen Kindern Kadrus.

Da verfluchte die der Sklaverei verfallene Mutter ihre ungehorsamen Kinder:

»Sterben sollt ihr alle bis zum Letzten! Wenn Dschanamedschaja das Schlangenopfer feiert, soll das Feuer euch verzehren! Alle mögen enden auf dem Opferherd, den der Sohn Parikschits aus dem Kuruhause baut!«

Und der Schöpfer der Welt hörte den Fluch und verhängte seine Erfüllung als Strafgericht über das Schlangenvolk, denn bösen Schaden hatten die Giftzähne der Kadrusöhne seinen Menschen und Tieren schon zugefügt.

Die listigen Schlangen aber versammelten sich in einer Steinwüste und hielten Rat, wie sie dem schrecklichen Fluch der Mutter entgingen.

Einer riet, das Kurugeschlecht unter den Bissen der Nattern sterben zu lassen, auf daß nie ein Parikschit, noch ein Dschanamedschaja geboren werde.

Ein zweiter wollte ruhig die Zeit abwarten, bis Dschanamedschaja das Opfer rüste und ihn dann in Brahmanengestalt so eindringlich bitten und warnen, daß er sicher von der Ausführung seines Vorhabens abstünde.

Ein dritter riet, den Priester, der das Schlangenopfer leiten wolle, zu töten. Andere wollten im Regen die Opferfeuer löschen oder die heiligen Geräte verunreinigen, so daß die Zeremonie unwirksam bleibe, Dschanamedschaja töten und noch manches andere.

Doch Wasuki, der Schlangenkönig, sprach mit ernster Miene:

»Was schwätzt ihr da von Königs- und Brahmanenmord, ihr Überklugen! – Glaubt ihr, Sünde lösche Sünde aus? – Mag dem und jenem Fluch die List entkommen, doch unabwendbar ist ein Mutterfluch! – So unabwendbar wie das Schicksal! – Bei ihm will ich Hilfe suchen, in einer Stunde, da die Götter uns gnädig sind. Vielleicht mildert Brahma den Fluch auf ihre freundliche Fürsprache. Harret und hoffet!«

Traurig, furchtsam und doch voll Hoffnung auf die Weisheit ihres Königs, schlichen die Schlangen hinweg, und Wasuki sann, wie er den Göttern dienen könnte, um sein geliebtes Volk zu erretten.

Amrita, der Göttertrank

Nun war in jener Zeit der Götter Sehnsucht nach ewiger Jugend und Unsterblichkeit erwacht. Die Zauberformel, welche Katscha von den Danawa geholt hatte, war durch Uschanas' Fluch der Welt verloren gegangen und hatte bei allen die Liebe zu ewigem Leben erweckt.

Da traten die Aditisöhne vor Brahma und baten ihn um Rat. Und der Ewige sprach:

»Sehet! im Wasser ist alles, was das Leben erhält! Das winzigste Kräutlein zieht seine Kraft daraus, wie der mächtige Elefant der Berge. Und das Wasser des Himmels fließt in Bächen und Strömen über alles Verwesende, nimmt die letzten Lebenssäfte-Lebenskräfte mit und trägt sie in das weite Meer.

Im Ozean ruht das ewige Leben!

Auf! Sondert das Amrita, den köstlichen Unsterblichkeitstrank, von der salzigen Flut, wie der Hirte die goldgelbe Butter von dem bläulichen Naß der Milch!«

Die Götter riefen die Dämonen herbei, denn sie wären allein für das Riesenwerk zu schwach gewesen. Die Söhne der Diti und der Aditi schlossen Frieden und machten sich an die segenverheißende Arbeit.

Der Berg Mandara war zum Rührstock ausersehen.

In gewaltiger Anstrengung rissen Götter und Dämonen ihn aus seinen Grundfesten und schleppten ihn zum Meer. Der Schildkrötenkönig Akupara bot seinen starken Rücken als Lager für den Riesenquirl, und Indra hob den Mandara auf den hochgewölbten Panzer des geduldigen Tieres.

Nun fehlte es an einem Strick, um den mächtigen Rührstock zu drehen.

Da hielt der Schlangenkönig Wasuki die Stunde für gekommen, in der er für sich und die Seinen der Götter Freundschaft und Dankbarkeit erwerben konnte: Er bot sich den Suchenden als Quirlstrick an. Der tausend Meilen lange Schlangenkönig schlang sich um den Mandara.

Die Götter faßten seinen Kopf, die Dämonen den Schwanz, und in gleichmäßigem Hin und Her wirbelten sie das Meer durcheinander, daß der Gischt in die Wolken spritzte.

Huii! sauste und rauschte das, als die Wellen hier Abgründe aufrissen, dort Berge auftürmten! – Wie im Donner erzitterte die Erde unter dem mächtigen Wogenprall.

In jähem Wirbel wurden zuerst alle Fische in den brodelnden Abgrund gerissen. Immer schneller drehten Götter und Dämonen! Die Drehstürme rissen Vögel aus der Luft und warfen sie in den schäumenden Kessel. Und der Riesenquirl tanzte immer schneller! Die Tiere der Uferwälder wurden von Luftwirbeln in die Tiefe geschleudert, und alles Leben da unten zerstoßen, zermalmt, zerrieben! Baum und Gras wurden hineingerissen, und der Mandara glühte mitten im Meer und ergoß Ströme geschmolzenen Goldes und Silbers ins Wasser!

Da gerannen plötzlich die tobenden Fluten. – Ein wunderschönes Weib in goldgelbem Kleide hob sich aus dem Schaum, in der Rechten eine Schale aus einem einzigen Edelstein tragend: darin war Amrita, der Trank der Unsterblichkeit.

Das herrliche Weib war Lakschmi, die Göttin des Glückes, die leibhaftige Schönheit.

Sie schlang den Arm um Wischnus Hals und wählte ihn zu ihrem Gatten.

Die Götter tranken von dem köstlichen Amrita und gedachten nicht der Dämonen, die jenseits des Berges standen. Die leuchtende Schale ging von Hand zu Hand und ward nicht leer.

Plötzlich bemerkten Sonne und Mond, daß sich Rahu, ein Dämon der Finsternis, unter die trinkenden Götter gemischt hatte und eben an der kostbaren Schale nippte. Erschreckt riefen sie Wischnu an, dieser schleuderte seine nie fehlende Wurfscheibe und schnitt damit Rahus Haupt vom Rumpfe.

Tot sank der Leib des Dämonen zu Boden, denn der Unsterblichkeitstrank war noch nicht durch die Kehle gelaufen. Das abgeschnittene Haupt aber fliegt ewig durch den Weltenraum, denn unsterblich ist es durch das Amrita geworden:

Brüllend verfolgt es Sonne und Mond, kommt bald diesem, bald jener nahe und droht die Leuchtenden zu verschlingen – denn sie haben Rahu an Wischnu verraten.

Als die Dämonen sich von den Göttern um das Amrita betrogen sahen, stürzten sie hinter dem Berg hervor, und es kam zu fürchterlichem Kampf.

Aber die Unsterblichen erschlugen der Dämonen so viele, als sie umdrängten. Nur wenige konnten sich vor den streitbaren Lichtgöttern in die Tiefe des Meeres retten.

Nachdem die Götter den Berg Mandant wieder auf seinen Platz gestellt hatten, traten sie mit dem Schlangenkönig Wasuki vor Brahmas Angesicht.

Sie priesen dem Ewigen die guten Dienste, die der Herr der Schlangen ihnen geleistet hatte, und baten den Weltenschöpfer, den Fluch der Kadru zu mildern, denn die Sorge um die Zukunft der Seinen verzehre den wackren Wasuki.

Da sprach der milde Herr der Geschöpfe:

»Unauslöschlich steht der Mutter Fluch in meinem Sinne, und zu viele der Giftwürmer schleichen unter meinen geliebten Geschöpfen umher. Sie sollen untergehen, auf daß die Welt gedeihe und der Mutter Wort geachtet werde wie meines! Nun eine kleine Schar von ihnen will meine Gnade erretten:

Wenn Wasukis Schwester Dscharatkaru die Gattin eines frommen Einsiedlers wird, der, trotz seiner Gelübde, um ein Weib bettelt, so wird sie einen edlen Sohn gebären, welcher die letzten Schlangen vor den unwiderstehlich lockenden Zauhersprüchen des Opferpriesters bewahrt!«

Traurig ob des unabwendbaren Verhängnisses schlich Wasuki von dem Lotusthron des Ewigen hinweg.

Er sandte die Klügsten seines Volkes durch alle Lande, daß sie den Büßer suchten, welchen das Schicksal seiner schönen Schwester zum Gatten bestimmt hatte: das Geschlecht der Zickzackläufer sollte nicht aus der Welt verschwinden.

Patala, die Unterwelt

Die letzten Dämonen hatten sich im Meer verborgen und brüteten Rache.

»Laßt uns Glauben und Sitte vernichten!« sprachen sie. »Ist die Zucht der Frommen dahin,, so bleiben die Götter ohne Opfer, und ihre Kraft schwindet wie Schnee vor der Sonne. Schweigt die Lehre, so stirbt Sitte und Brauch; keiner wird dann ein Opferfeuer entzünden und den Himmlischen Speise und Trank bieten!«

Des Nachts schlichen sie aus den Gewässern, erwürgten die frommen Brahmanen, die Einsiedler und Büßer, und fraßen ihr Fleisch, daß die Knochen und Schädel in der Wildnis bleichten.

Von Tag zu Tag wurden weniger die Frommen, die allein die heiligen Opferbräuche und das alles ordnende Wissen des Weda kannten. Die Feuer erloschen auf den Altären, die Menschen wüteten gegeneinander in Haß und Mord, denn kein Gesetz, keine Vätersitte zügelte ihr wildes Wesen, seit die Überlieferung mit den Lehrern der Menschheit dahinschwand. Einer scheute den andern, wie das Lamm den Tiger, und sie flohen einander und bargen sich in den Höhlen und Klüften der wildesten Berge.

Nur wenige, in denen die alte Tugendlehre durch einzelne, den Dämonen entgangene ßrahmanen lebendig erhalten worden war, zogen als Helden gegen die Schrecken der Finsternis. Doch sie blieben im Kampf mit den Unholden.

Die Lichtgötter verloren an Kraft und Macht, als die Opfer ausblieben, denn der Glaube stärkt Menschheit und Gottheit.

In dieser Not kamen die Himmlischen zu dem allewig Unveränderlichen und baten ihn um Hilfe für seine Welt.

»Ihr sollt die Brahmanenmörder vernichten!« sprach Brahma, »und müßtet ihr dazu den Meeresgrund trocken legen! – Bittet den Heiligen Agastya! Die Bußkraft dieses Frommen ist mächtig genug, um euch zu helfen!«

Da gingen sie nach der Klause des Heiligen und sprachen zu ihm: »Du frommer Seher der Urzeit, der du dem Windhiaberge das Wachsen verboten, als er voll Neid auf den Meru die Sonne verdunkeln wollte! Du Starker, der den Frevler Nahuscha vom Weltenthron gestürzt! Du Edler, der stets der Welt aus aller Not geholfen! Hilf ihr aus diesem verderbenbringen den Elend! Leere den Ozean, daß wir die tückischen Brahmanenmörder fassen und vernichten können!«

Da neigte sich der Gewaltige zum Gestade hinab und trank das Meer aus, bis auf den letzten Tropfen!

Die Götter aber stürmten über den Meeresgrund und töteten die aufgescbreckten Dämonen zu Tausenden und aber Tausenden. Nur eine kleine Schar der Verfolgten grub sich durch die Erde und floh in die Unterwelt, wo Kapila, der Beherrscher des grausigen Patala, thront.

Die sieghaften Götter umwandelten den Heiligen Agastya rechtshin und priesen seine weltbefreiende Tat. Dann baten sie ihn, den Ozean wieder zu füllen, daß in der Welt die alte Ordnung herrsche.

Doch Agastya vertröstete sie auf kommende Zeiten, da Bhagiratha, ein König aus dem Geschlecht der Ikschwakuiden, dem Himmelsstrom Ganga den Weg ins leere Becken des Ozeans weisen würde.

Damals herrschte zu Ajodhia Sagara, ein Urenkel Ikschwakus.

Seine erste Gattin hatte ihm den Stammhalter Asamandscha geschenkt, die zweite einen Kürbis, aus dessen Kernen ihm sechzigtausend starke Söhne erwuchsen. Denn der Segen des heiligen Bhrigu ruhte auf Sagaras Haus.

Die sechzigtausend Sagariden waren gefürchtet auf der weiten Erde. Als gewaltige Kämpfer zogen sie durch die Lande;, und ihr hochgemuter Stolz kannte keine Grenzen.

Als der König ein Pferdeopfer feiern wollte, vertraute er das Opferroß der Hut seiner tapferen Söhne an.

Dem strengen Opferbrauch gemäß, schweifte der todgeweihte Hengst, jeder Fessel ledig, durch das Land. Als er auf den trockenen Grund des Meeres geriet, verlor er sich durch die Dämonenschlucht in die Unterwelt.

Lange suchten die Sagariden ihn auf der ganzen Erde, denn ein unvollendetes Opfer mußte ihrem Haus, ja dem ganzen Lande schweres Unheil bringen.

Endlich kehrten sie ohne das ihrer Sorge anvertraute Tier nach Ajodhia zurück und berichteten dem Vater von ihrem Unglück.

Da fuhr Sagara zornig empor und schrie:

»Bringt mir das Roß zum Opfer! und wenn ihr es aus der Unterwelt holen müßtet! – Sonst will mein Auge euch nicht mehr sehen!«

Die Sagariden suchten aufs neue die Erde und den Meeresgrund ab und fanden endlich die Schlucht, durch welche die letzten Dämonen zum Patala gefahren waren.

Diese betraten sie mutig und, Schritt für Schritt gegen Schlangen und Drachen, Geister und Riesen kämpfend, kamen sie endlich bis zum höllischen Feuer, dem funkelnden Thron des mächtigen Kapila.

Das lange gesuchte Opferroß sprang mutwillig neben dem Throne umher.

Und statt sich ehrfürchtig vor dem Herrn der Unterwelt zu neigen, umstellten die stolzen Recken den flüchtigen Renner und wollten ihn nach der Oberwelt treiben.

Darob ergrimmte der Herr des Feuers, und ein Zornesblick aus seinen Augen verbrannte sie alle zu Asche. Sechzigtausend weiße Häuflein lagen rings um das Pferd.

Zu Ajodhia aber harrte Sagara lange Jahre seiner Söhne und des Hengstes, denn er mochte nicht sterben, ohne das Opfer vollendet zu haben. Asamandscha, der für den Greis die Herrschaft geführt hatte, war ihm schon in den Tod vorausgegangen. Nun sandte er dessen Sohn Ansuman, einen gewinnenden Heldenjüngling, aus, die Sagariden samt dem Opferroß zu suchen.

Ansuman fragte sich durch die Welt und fand so die Schlucht, durch welche seine Oheime kämpfend geschritten waren.

Als er vor Kapilas Thron kam, umwandelte er den Ehrwürdigen rechtshin und bat ihn, das Opferroß, welches friedlich neben dem Höllenfürsten stand, dem Großvater zur Vollendung des Opfers bringen zu dürfen.

Freundlich gab der Mächtige dem schönen Jüngling seine Einwilligung.

Die Asche der Sagariden und Kapilas Erzählung, wie die Stolzen geendet hatten, erinnerten ihn an seine Pflicht als Enkel: Er mußte für ihre Ruhe im Tode sorgen, ihnen den Weg zu Indras Himmel bahnen!

Wieder wandte er sich voll Ehrfurcht an den Herrn der Unterwelt.

»Wenn Ganga, die Tochter des Bergriesen Himawat, ihre Asche benetzt, so werden die Sagariden Ruhe finden!« sprach der Ehrwürdige.

Und Ansuman kehrte mit dem Opferroß nach Ajodhia zurück, entschlossen, durch fromme Opfer die Gnade der Bergtochter zu gewinnen und die Seelen seiner Ahnherren von den Schrecken der Unterwelt zu befreien.

Ganga, die Dreipfadige

Zu Ajodhia war das Opfer gefeiert worden, Sagara war gestorben und auch sein Enkel Ansuman.

Auch dem Gebet seines Sohnes Dilipa war es nicht gelungen, die hehre Göttin Ganga von ihrem funkelnden Lauf am nächtlichen Himmel herabzurufen.

Erst Bhagiratha, dem Enkel Ansumans, erschien die stolze Tochter des Gebirges, als er in schier übermenschlicher Buße seine Jahre am Fuße des Eisstarrenden hinbrachte.

Gnädig fragte die Herrliche nach dem Ziel seiner Buße.

Bhagiratha schilderte den Tod seiner Ahnen und seine Pflicht, als Enkel für die Ruhe der Vorfahren zu sorgen, wenn er einst im Tode den Frieden finden wolle. Er sprach von der Hoffnung, die Kapila seinem Großvater erweckt habe, und bat die Erhabene, sich doch zur Erde herabzulassen und die Ahnen aus der Unterwelt zu erlösen.

Ganga versprach dem Frommen Erfüllung seines brünstigen Flehens, doch müsse Schiwa sie auffangen, sonst würde die Gewalt ihres Sturzes die Erde zerschmettern.

Nun legte Bhagiratha seine Andacht dem starken Gotte Schiwa zu Füßen, und der Erhabene erhörte seine Bitte:

Er trat mit Bhagiratha an den Fuß des Himawat, und als der König rief, stürzten in brausendem Fall die Fluten auf das Haupt des Gottes.

Vom höchsten Gipfel des ehrwürdigen Berges, der in den Himmel ragt, schäumten die Wogen in blitzendem Spiel herab, und alle Götter sahen dem herrlichen Schauspiel zu. Der starke Gott aber empfing den Strom mit der Stirn, wie der Sieger den Kranz. Durch die schwarzglänzenden Locken des Dreizackschwingers brach sich die Herrliche Bahn und rieselte in sieben Strömen über die Brust des Gewaltigen hernieder.

»Nun weise mir den Weg, Bhagiratha!« rief die stolze Tochter des Bergriesen.

In feierlichem Zuge ging's durch Indiens Lande: Voran Bhagiratha im Büßerkleid. Ihm folgten die Fische, Schildkröten, Schlangen und alles Getier des Meeres. Dann kam die herrliche Tochter des Berges und segnete das Land in weitem Umkreis. Götter und Genien schritten an ihrer Seite und jubelten ob des Glückes der Erde.

Singend und tanzend kam der Zug bis ans Gestade des Meeres, und brausend ergoß sich die Flut in das leere Becken.

Noch schritt Bhagiratha voran! und er führte die Hehre über den Boden des Ozeans nach der Dämonenschlucht:

Abwärts stürzten die Wasser in gurgelndem Lauf und wanden sich rechtshin um Kapilas Thron.

Die heiligen Fluten netzten die Asche der Sagariden, und sogleich erstanden die stolzen Helden in Göttergestalt und schritten fröhlich nach Indras Himmel.

Bhagiratha eilte zur Erde zurück und zog das Büßerkleid aus, nachdem er der Pflicht gegen die Ahnen genügt hatte. Als weiser und starker König herrschte er noch lange über Ajodhia.

Ganga aber, deren Weg vom Sternenhimmel über die Erde nach der Unterwelt führt, heißt bei allen Gläubigen die Dreipfadige und ist der Segen der Menschheit. 49

Das Schlangenopfer

Tausend und abertausend Jahre waren durch die Welt geeilt.

Dem Weltalter der Götter und ihrer Verehrung war das des Zweifels und großen Kampfes gefolgt.

Parikschit, der Enkel Ardschunas, herrschte zu Hastinapura über das Reich seiner Väter.

Er war edel und kühn und ein großer Freund der Jagd.

Einst hetzte er hinter einem Hirschen her, den sein Bogen weidwund geschossen hatte. Voll Eifer folgte der Jäger der blutigen Spur, bis sie sich auf einer Lichtung verlor. Im eifrigsten Suchen stieß er auf einen Brahmanen, der still seine Kühe hütete.

»Ehrwürdiger!« rief er hastig, »sahst du nicht einen weidwunden Hirschen vorüberspringen? – Sprich! Ich bin der König!«

Der fromme Büßer erwiderte nichts auf die schnelle Frage, denn er hatte am Morgen gelobt, den Göttern zu Ehren einen Tag lang zu schweigen.

»He! sprich!« rief Parikschit ungeduldig. »Ich bin Herrscher in diesem Lande!«

Vor dem gleichmütigen Schweigen des Priesters überfiel dem eifrigen Jäger der Zorn. Verächtlich schnellte er mit dem Ende des Bogens eine tote Schlange gegen den Büßer und lief davon, aufs neue den Hirschen zu suchen.

Der Schlangenleib aber hatte sich wie eine Kette um des Geduldigen Hals gelegt. Freundlichen Auges sah der Büßer dem enteilenden König nach und freute sich dieser Prüfung. Demütig trug er das Aas am Halse: in würdiger Beherrschung seines Zornes die Schmach zum Schmucke verwandelnd!

Schamika hieß der gute Heilige, und er hatte ein Söhnlein namens Schiringin. Der war ein lebhafter Knabe, welcher über seine Gespielen zu herrschen gewohnt war.

Als die Knabenschar den Heftigen am nächsten Tag verspottete, weil sein Vater den sonderbaren Schmuck auch ferner trug, da wallte Schringins heißes Blut über. Weihwasser sprengend rief er aus:

»Stirb, Parikschit! Du Eitler, der einen Weisen zu schmähen wagte, stirb am siebenten Tag von heute: Das Gift des Natternkönigs Takschaka soll dich töten!«

Und das Schicksal hörte den Fluch des Heiligensohnes und verhängte seine Erfüllung über Parikschit.

Schringin aber lief zu seinem Vater und erzählte, schluchzend vor Zorn und Freude, wie er die schändliche Tat des Königs gerächt habe.

»Wehe! mein Sohn!« rief Schamika erschreckt. »Was hast du getan? – Nie soll ein Frommer den Zorn für sich sprechen lassen: Geduld und Weisheit sind die Zauberwaffen des Brahmanen!

Du hast den edlen König Parikschit dem Tode geweiht! – Weh' uns! Im Lande ohne König herrscht Not und Elend – Recht und Pflicht vergehen, wo keine starke Hand sie schützt – Indra versagt dem königlosen Land den Regen, und die Dämonen der Dürre heben froh ihr Haupt! – Wer soll die Frommen schützen, wo keine Macht die Bösen bändigt? –

Und Parikschit ist gut – der Jagdeifer nur hatte ihn hingerissen – er kannte mein Schweiggelübde nicht und hielt sich für verhöhnt! – 0 schneller Zorn der Jugend!«

»Mein Vater, was ich sprach, wird sich erfüllen!« rief Schringin, »sei's lieb dir oder leid! – Ich sprach noch nie ein Wort, und war's im Scherz gewesen, das nicht der Wahrheit folgte, sie verkündete: Heut' über sieben Tage stirbt der König vom Gifte Takschakas!«

»Weh' uns! – Ich laß den Guten warnen! – Und du – lern' Selbstbeherrschung! zügle deinen Zorn, wenn er dich nicht ins Elend reißen soll! – Der Weise trägt die Welt in sich – nichts außer ihm kann ihn zu Wort und Tat enflammen! – Wie fern bist du davon, mein Sohn!«

Darauf sandte Schamika einen seiner Jünger nach Hastinapura und ließ dem König sagen, daß Schringin ihn in schnellem Zorn verflucht habe.

Voll Schrecken über die Gefahr, versammelte Parikschit seinen Rat, und dieser traf alle Vorsichtsmaßregeln, um den geliebten Herrscher vor der Natter zu schützen:

Der König wurde ins innerste Gelaß des Palastes gebracht. Jeder Eingang, jede Spalte und Ritze wurde aufs sorgfältigste bewacht. Die besten Ärzte rief man aus dem ganzen Land herbei und stellte Heilkräuter und Gegengifte bereit.

Und doch ward der siebente Tag voll Sorge erwartet!

In der Schlangenwelt aber herrschte eitel Freude:

Voll Angst hatten die von Mutter Kadru verfluchten Geschöpfe der Erfüllung des Fluches entgegengesehen. Parikschits künftiger Sohn sollte das vernichtende Opfer feiern, und noch hatte Wasukis Schwester den ihr bestimmten Gatten nicht finden können. Nun befahl der Fluch Schringins, daß Takschaka Parikschit töte! und – Parikschit hatte noch keinen Sohn. – Konnte ein Fluch den anderen aufheben?

Frohen Herzens zog Takschaka gegen Hastinapura. Vor dem Stadttor traf er Kasiap, den berühmtesten der Ärzte. Flugs nahm er die Gestalt eines Brahmanen an und näherte sich dem Weisen.

»Wohin so eilig? würdiger Arzt!« rief er ihn an.

»Zum König! – Takschaka will ihn heute beißen, und ich werde ihn heilen!«

»O Weiser! Ich bin Takschaka, und meinem Gift ist deine Kunst wohl nicht gewachsen! – Sieh hier den Baum! – ich beiße ihn in die Wurzel – und schon verdorren seine Blätter – Zweig' und Äste fallen – –«

»Halt!« rief Kasiap. Rasch machte er sich an dem sterbenden Baum zu schaffen, und wenige Augenblicke später trieb der Geheilte neue Knospen und grünendes Laub.

Takschaka stand betroffen da.

»Ich staune über deine Kunst, weiser Arzt!« sprach er dann. »Und doch wird es dir nicht gelingen, den König zu retten: Eines Brahmanen Fluch wirkt stärker als alles Gift!«

Und da er den Arzt nachdenklich werden sah, fuhr der Schlaue fort:

»Kehre um, Weiser, und lasse deine Kunst nicht vor dem Schicksal zuschanden werden! Soviel als dir der König geboten hat, soviel und noch mehr will ich dir geben.«

Damit war Kasiap zufrieden, und nachdem er des Schlangenkönigs Geld genommen hatte, wandte er Hastinapura den Rücken und ging nach Hause.

Takschaka schritt durch das Tor und kam bis zum Palaste des Königs. Als er sich hier von Wachen angehalten sah, ging er hinweg und rief einige seiner Schlangen. Diese verwandelte er in Brahmanen und ließ sie am Tor des Palastes köstliche Früchte, als Huldigungsgabe für den bedrohten König, abgeben.

Parikschit freute sich über die ehrerbietige Spende, doch als er einen der Äpfel öffnete, sah er darin ein kleines Würmchen. Erschrak er auch zuerst vor dem winzigen Schlänglein, so faßte er sich doch bald und sprach:

»Der kleine Heilige soll wahr gesprochen haben: Ich will dies kleine Abbild der Schlange ›Takschaka‹ nennen und mich von ihm beißen lassen!«

Lachend hielt er den zappelnden Wurm an seinem Hals.

Doch der schwoll zwischen seinen Fingern zum wahren König der Nattern an, umstrickte den Leib des Entsetzten und schlug seine Zähne in dessen nackten Hals.

Tod fiel Parikschit zu Boden, und im selben Augenblick brachte seine Gattin ein Knäblein zur Welt und nannte es Dschanamedschaja.


Zu jener Zeit zog ein büßender Brahmane namens Dscharatkaru als Bettler durch die Lande. Als ihn die Lust der Jugend zum erstenmal geschüttelt hatte, war sein feierliches Gelübde zum Himmel gestiegen:

»Ohne Freude will ich durch die Welt wandern, ohne Haus und Eigentum leben; wo mich die Nacht findet, will ich mich schlafen legen! Herr will ich bleiben über Leib und Geist, Lust und Schmerz, Haß und Liebe! Dscharatkaru soll Dscharatkaru genügen!«

In stiller Versunkenheit war er seither durch die Lande gezogen und hatte viel fromme Weisheit in sich gefunden.

Einst kam er auf seiner Wanderschaft an einen Abgrund. Ein schwankendes Rohr sah er über die gähnende Tiefe ragen, und daran hingen, kopfabwärts, viele Seelen von Verstorbenen. Das Rohr hing nur noch an einer einzigen Wurzelfaser, und daran nagten abwechselnd eine schwarze und eine weiße Maus.

Entsetzt schrie er auf:

»O ihr Unglücklichen! Gleich wird die letzte Wurzelfaser reißen, und ihr stürzt in den schrecklichen Abgrund. Oh, könnt' ich euch helfen! Ein Viertel – die Hälfte – ja, meine ganze Buße will ich hingeben – wenn das euch retten kann, denn mein Herz ist von Mitleid erfüllt!«

»Nicht an Buße mangelt es uns, du Guter!« sprachen die Seelen. »Wir sind das fromme Geschlecht der Jajawara und haben die schönsten Plätze im Himmel! doch werden wir sie bald verlieren.

Du weißt, die Seelen der Abgeschiedenen vergehen, wenn kein Enkel ihrer im Opfer gedenkt. Und Dscharatkaru, der letzte unseres Stammes, will unvermählt sterben. Siehe das Rohr, das uns trägt, ist unser starkes Geschlecht. Die letzte Wurzelfaser ist der letzte unseres Stammes.

Schwarz und weiß nagen Nacht und Tag an seinem Leben. Ist es zu Ende, so stürzen wir in den Abgrund der Hölle!

O edler Fremdling, der du das Leid mit uns fühlst, suche Dscharatkaru und sage ihm, er soll ein Weib nehmen, auf daß sein Sohn den Shimm fortsetze, wie Brahma es den Menschen gesetzt hat!«

Da warf sich Dscharatkaru an dem Abgrund nieder und schrie:

»Ich Unglücklicher bin Dscharatkaru, euer Sohn und Enkel! Durch Weltflucht wollt' ich euch und mir den Himmel verdienen, und mein strenges Gelübde droht euch nun mit dem Höllenpfuhl. Oh – oh – wie bedrückt mein Schwur die Seele, seit ich euch über dem Abgrund sehe! – Ich will ein Weib suchen – ich kann mein Gelübde nicht brechen – – Find' ich ein Mädchen namens Dscharatkaru – denn: Dscharatkaru soll Dscharatkaru genügen! – und ist es bereit, mein Bettlerdasein zu teilen, so rette ich euch und mich!«

Und wie ein Wahnwitziger eilte er hinweg und schrie durch den Wald:

»Wer schenkt seine Tochter einem Bettler? – Aus Barmherzigkeit!«

Die Mädchen aber flohen vor dem schmutzigen, vom Fasten halb verhungerten Frommen, und er irrte weiter durch die Welt, überall seinen Bettelspruch um ein Weib wiederholend.

Als die Schlangen den Einsiedler um ein Weib betteln hörten, gedachten sie der milden Worte Brahmas und brachten die Nachricht ihrem König Wasuki.

Rasch eilte der um die Rettung seines Volkes Besorgte zu dem frommen Dscharatkaru und bot ihm seine schöne Schwester zur Gattin an.

»Wie heißt deine Schwester?« fragte der Büßer.

»Dscharatkaru, wie du!«

»Und weißt du, daß ich sie nicht ernähren kann? denn ich bin ein Bettler und habe gelobt, es zu bleiben.«

»Ich will sie beschenken und erhalten, als würde sie das Weib eines Königs!« sprach Wasuki.

Da ging Dscharatkaru in Wasukis Palast, und vor dem heiligen Hausfeuer nahm er die Schlangenprinzessin in feierlicher Hochzeit zum Weibe.

Als Dscharatkaru ihrem Gatten ein Knäblein schenkte, nannte sie es Astika, und der fromme Brahmane weihte es der Gattin Brahmas, Sarasvati, der Schirmherrin von Kunst und Wissen, der Göttin der Beredsamkeit. Aus dem reichen Gnadenschatz seiner Buße, schenkte Dscharatkaru dem Söhnlein die Gabe, daß niemand seinen Bitten widerstehen können sollte.


Im Königspalast zu Hastinapura war einstweilen Dschanamedschaja zum gewaltigen Helden herangewachsen, und er führte die Herrschaft als kluger und tapferer König.

Als er einst im Triumph von der Bestrafung eines raubsüchtigen Nachbarn heimkehrte, trat ihm Ruru, ein junger Brahmane, entgegen.

»Du glaubst von einer großen Tat zu kommen, König!« sprach er zu Dschanamedschaja. »Und doch hast du nur Raub an deinem Eigentum bestraft, und der Mord an deinem Vater ist noch ungerochen!«

»Was sprichst du da? Jüngling aus edlem Geschlecht!« rief der König. »Wer bist du? und wie starb mein Vater?«

»Ruru heiße ich, und vor wenigen Monden hat eine Natter meine Braut zu Tode gebissen. Yama, der gute Gott des Todes, hat auf mein inniges Flehen gewährt, daß ich das mir zugemessene Stück Leben mit ihr teile. So lebt sie wieder und ist meine Gattin, bis Yamas Boten uns – ach! lange vor der Zeit – holen werden. Doch den Nattern habe ich Rache geschworen und komme, dich, König, mahnen! Auch du hast die Pflicht, die Argen zu vertilgen, denn dein Vater Parikschit fiel unter dem Giftzahn des Natterkönigs!«

Da berief Dschanamedschaja den weisen Priester Utanka nach Hastinapura und ließ von ihm das große Schlangenopfer rüsten, denn der allein kannte die verborgensten Opferbräuche und die zwingenden Zaubersprüche.

In der Opferhalle saß der junge König. Erlauchte Gäste aus allen Ländern umgaben ihn: Herrscher aus den benachbarten Reichen, Freunde und Vasallen, viele edle Frauen und würdige Priester.

Wyasa war gekommen, der greise Heilige, der als Sänger die Heldentaten der Vorfahren pries und von der großen Schlacht am Kurufelde sang.

In weiser Rede und Gegenrede glänzten die ehrwürdigen Brahmanen vor dem ganzen Hof und empfingen reiche Geschenke von dem freigebigen Herrscher.

Und vor der Halle loderten die Opferfeuer! Priester in schwarzen Talaren schritten dazwischen umher und nährten sie mit Sandel und anderen kostbaren Hölzern, sprengten Weihwasser aus goldenen Becken nach allen Himmelsrichtungen und wiederholten Utankas halblaut gesungenen

Schlangenzauber

Kommt, ihr Sanften, Klugen, Schnellen!
Kommt, ihr Kinder Mutter Kadrus!
Grüne, gelbe, blaue, rote,
Schwarze Brut der braunen Erde!

Wärmt euch an der hellen Flamme,
Wie im Schein der goldnen Sonne,
Kühlt euch in geweihtem Wasser,
Wie in Indras Regenflut!

Kommt! und ruft die ganze Sippe:
Vater, Oheim, Bruder, Schwester
Und der Schwester flinken Gatten!
Kommt in Rudeln,
Kommt in Scharen!
Komm, du ganzes Volk der Schlangen!
Fünfundfünfzig,
Siebenundsiebzig,
Neunundneunzigtausend Völker
Kluger Schlangen, eilt herbei!
Beißzahn, Schnellzung', Zähneschärfer,
Tausendgift, Gazellenwerfer,
Würger, Viper, Otter, Natter,
Ewigfresser, ewig Satter:
Hört und eilt und kommt herbei!

Wohl! ihr naht:
Es glänzt das Feuer,
Sprüht das Wasser wie ein Regen
Aus den güldenen Gefäßen,
Die des Priesters Hand geweiht!
Schwarzer Rauch steigt gegen Himmel
Und die ersten Opfer brennen,
Sterben nach der Mutter Fluch!

Weiter, weiter!
kommt in Scharen,
Kommt in Heeren!
Komm, du gift'ges Volk der Schlangen!
Fünfundfünfzig,
Siebenundsiebzig,
Neunundneunzigtausend Völker
Gift'ger Schlangen, eilt herbei!

Seht ihr, wie die Flamme loht?
Und die Flamme loht zum Tod!
Stürzt ins lodernde Verderben –
Alles end' im großen Sterben!
Die ihr in den Wäldern lauert,
Die ihr unter Steinen kauert,
Die ihr kriechet durch den Kot:
Kommt! – Nun prasselt euch der Tod!

Kommt, ihr Bösen, Gift'gen, Falschen!
Kommt, ihr Kinder Mutter Kadrus!
Grüne, gelbe, blaue, rote,
Schwarze Brut der braunen Erde!
Brennt! ihr schnellen Zickzackläufer,
Daß ihr niemals wiederkehret!
Endet alle mit dem Mörder:
Takschaka! ich rufe dich!

Lockend und drohend klang es in die Wälder hinaus, fand seinen Weg zum Ohr und Herzen der Schlangen, koste den schlanken Leib und schüttelte ihn vor Entsetzen.

Langsam folgten die Gerufenen der unwiderstehlichen Lockung.

Langsam, doch stetig!

Angstvoll hielten sie nach den ersten Windungen an, riefen Verwandte und Freunde, um in ihnen Kraft zum Widerstreben zu finden, und rissen die Herbeigeeilten nur mit auf den Weg zum Verderben.

Das Säuseln des Windes trug die Zauberformel durch alle Lande: süß schmeichelnd und lockend, trotzig drohend und fesselnd!

In allen Wäldern raschelte das Laub den seltsamen Spruch und lockte die Schwachen zum Tode; die Bäche murmelten ihn auf ihrem Lauf und die heißen Steine klirrten ihn in die Sonne!

Weit und breit bedeckten sich die Wege nach Hastinapura mit gleitenden Schlangenleibern, und alles wogte nach den lodernden Feuern vor der Opferhalle. Das glitt und sprang und warnte den Nachbar vor der Gefahr, die ihn selbst anzog. Wie ein Rausch war es über die klugen Geschöpfe gekommen, wie ein vernichtender Rausch und ein verzehrender Durst nach Tod und Todesfurcht!

Wochen, Monde und Jahre währte das Opfer.

Hundert- und aberhunderttausend Schlangen waren dem lockenden Rufe Utankas und seiner Priester schon gefolgt – waren ins lodernde Feuer geglitten und ihrer Mutter zu Ehren verbrannt.

Wenige bargen sich noch in den geheimsten Schlupfwinkeln, doch zwingend klang auch dorthin das geheimnisvolle Raunen vom Feuer auf der Opferstätte.

Takschaka war mit Wasuki zu dessen Schwester geflohen, die als Weib eines Brahmanen über den Zauber erhaben war. Doch blutenden Herzens beklagte die gute Dscharatkaru den Untergang ihres lieben Volkes.

Wasuki seufzte, daß Astika, das Söhnlein der Schwester, erst zwölf Jahre alt sei, denn von ihm sollte den letzten des Schlangenvolkes Rettung werden, nach Brahmas mildem Spruch. – Ach! es würde zu spät sein! denn wenige waren nur, die dem Zauber noch widerstanden hatten.

Als Astika die Klagen der Mutter und des Oheims hörte, tröstete er sie mit verheißenden Worten und eilte an den Hof Dschanamedschajas, um die letzten vom Geschlecht seiner Mutter zu erretten.

Takschaka aber fühlte den Zauber in seinem Herzen bohren und locken, und floh vor Entsetzen zu Indra, daß dieser traute Freund des regenfrohen Schlangenvolkes ihn vor dem sengenden Tod beschütze.

Und zu Hastinapura ging das Opfer weiter:

Kommt, ihr Bösen, Gift'gen, Falschen!
Kommt, ihr Kinder Mutter Kadrus!
Grüne, gelbe, blaue, rote,
Schwarze Brut der braunen Erde!
Brennt! ihr schnellen Zickzackläufer,
Daß ihr niemals wiederkehret!
Endet alle mit dem Mörder:
Takschaka, ich rufe dich!

So klang es in den Wald hinein, als der schöne Knabe Astika zur Opferstätte kam.

Doch wehe: Die Wachen, die Diener des Palastes, die Priester – alle wiesen das Kind von der Stätte ernster Andacht, denn sie fürchteten eine Störung des Opfers, und Takschaka, das Ziel des jahrelangen Mühens, war von den lockenden Zaubersprüchen noch nicht bezwungen worden.

Da stand Astika an der weiten Pforte, die zur Opferstätte führte, und sah die Priester mit rauchroten Augen die Feuer schüren, den König und seine Gäste mit Andacht der heiligen Handlung folgen und über alles eine ernste Schönheit gebreitet.

Begeistert hob er seine helle Knabenstimme, und jubelnd klang es zur Weihestätte:

»Oh, seht das herrliche Opfer!

Die Feuer leuchten wie die Sterne am Himmel, und der Opferherr thront unter ihnen wie der lichte Mond.

Golden und schwarzrandig loht es zum Himmel, und rechtshin streicht der duftende Opferrauch, zur Freude der Götter.

Frommen Herzens wandeln die Priester zwischen den Feuern, und ihre Weisheit ist die Brücke zwischen Menschen und Göttern.

Reich wird der Opferdank des gastfreien Königs sein, denn er ist der Herrlichste unter den Gatten der Erde – den Vätern der Völker!

Segen ist in seinem Lande, soweit nur ein Auge reicht, denn er ist tapfer und gerecht und der Stolz seines Geschlechtes!

Strengstes Opfer, das jemals zum Himmel flammte! Beste Brahmanen, die je einen Herrscher gepriesen! Edelster König, der Indra gleicht, wie er in den Wolken thront: seid gesegnet!«

»Wer ist der Knabe mit der milden Weisheit eines Alten?« fragte Dschanamedschaja und ließ Astika vor seinen Thron führen.

»Heil dir, Herr der Erde!« sprach das schöne Kind, als es vor dem König stand. »Ich frage nicht, wie es die Sitte erheischt, ob Segen herrscht in deinem Reiche, ob dein Schatz gefüllt und dein Heer stark ist, ob du den Sechsten nach Recht und Pflicht nimmst! denn dein Auge verrät, daß du ein Guter, ein Edler, ein Weiser bist, und mit solchen ist das Glück und die Gnade der Götter!«

»Du bist ein Weiser, liebliches Brahmanenkind!« sprach der König voll Freude, »und ich will dir jegliche Gnade erweisen, die du erbittest. Fordere! Alles sei dir gewährt!«

»Halt! edler König!« rief Utanka in diesem Augenblick. »Mein sündenloses Auge sieht Takschaka, den lange vergebens Gerufenen, in Indras Palast. Nun will ich ihn mit der Zange meiner Worte packen und herunterziehen ins verzehrende Feuer. Spare solang deine Bitte, schöner Knabe, und du deine Gabe, schenkender Herrscher, bis ich ihn fallen seh' in den glühenden Tod!«

Und ins tiefste Schweigen der Andacht sang der Priester sein lockendes Lied und schloß mit dem zwingenden:

Takschaka! Dich rufe ich!

Und da litt es den Natternkönig nicht länger an des Freundes Seite; lautlos schlich er aus der Halle des Götterkönigs und glitt am Himmelsgewölbe abwärts, gegen die leuchtende Opferstätte von Hastinapura.

Indra wollte den treuen Freund retten, ihn zurückhalten von sicherem Verderben. Er sprang ihm nach und umklammerte den Abwärtsfliehenden mit seinen starken Armen.

Aber Utankas Ruf zog den Nalternkönig wie an einer eisernen Kette, und Indra mußte ihn lassen, wenn er den Sturz in den Tod nicht mitmachen wollte.

Schneller nun fiel der Verlassene und war wie ein leuchtender Blitz am Himmel zu sehen.

»Jetzt ist Takschaka mir sicher!« rief der Opferer Utanka. »Nun sprich deine Bitte, lieblicher Knabe, ehe er und die letzten seines Geschlechtes in den Flammen prasseln!«

»So will ich, daß das Opfer zu Ende sei!« rief der Sohn der Schlangenprinzessin, und ein Wink seiner Hand hielt den fallenden Takschaka am Himmel auf.

Bestürzt rief der König:

»Was sinnst du, Knabe? – Um Takschakas willen ward dies furchtbare Opfer gefeiert, denn er hat meinen Vater getötet!«

»Und willst du darum das ganze Geschlecht meiner Mutter ausrotten?« sprach flehenden Auges Astika.

Da schwieg der König, und auf seinen Wink wurden die Opferfeuer verlöscht.

Astika hatte die letzten Schlangen vor dem Verderben bewahrt, und ihm danken die munteren Zickzackläufer, daß sie sich heute noch sonnen und in Indras Fluten kühlen können.

Takschaka aber steht als Sternbild im Himmel, dort wo Astikas Wink ihn festgehalten hat. Ein leuchtendes Beispiel für die zwingende Gewalt geheiligter Bräuche und die alles besiegende Macht des reinen Geistes!


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