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XIV.

Mademoiselle Lou lag auf ihrem Diwan und warf recht übellaunig den Roman, in welchem sie las, auf das Seitentischchen.

Er interessierte sie nicht, obwohl er reichlich pikant war: er stammte aus deutscher Feder und übertraf noch alle französischen Romane an Frivolität und Zynismus.

Mademoiselle Lou liebt überhaupt keine Lektüre, denn das Lesen ist eine Arbeit und strengt an; sie erlebte lieber die Pikanterien und spielte selbst die Heldin, denn das war amüsant und interessierte sie mehr als die Schicksale jener fremden Romanhelden, auf deren Glück sie höchstens neidisch wurde, deren Sentimentalität sie nicht verstand und deren Unglück sie kalt ließ!

Was erlebte sie selbst?

Nichts, nichts! Seit Wochen ein greuliches Hin und Her, bei dessen Langweiligkeit sie schier umkam. Sie hatte sich ihre neue Methode, durch Solidität einen Mann zu erobern, sehr viel leichter gedacht!

Sie war unerträglich und – was das Schlimmste war, – sie schien ebensowenig Erfolg zu haben, wie jede andere, fidelere, bei welcher man nicht versauert und Gähnkrämpfe bekommt!

Mürrisch nahm sie die Photographie des jungen Grafen zur Hand und schaute mit beinahe feindseligem Blick auf sein Antlitz nieder.

O, wie hatte sie sich bisher in ihm getäuscht.

Nicht um einen Schritt war sie mit ihm weitergekommen, – er war ein Narr und hatte trotz alles Leichtsinns doch noch Grundsätze.

Und hübsch?

Fräulein Lou kräuselte spöttisch die Lippen.

Lächerlich! – Man nannte ihn »den schönen Abensberg« und im Salon der Soubrette waren die Frauenzimmer alle des Teufels auf ihn und beneideten die Zirkusreiterin um ihren entzückenden Liebhaber!

Schade nur, daß er so gar nicht ihr Geschmack war!

Lou kann diesen durchgeistigten, vornehmen Ausdruck in Gesichtern nicht leiden!

Sie mag überhaupt keine klugen, allzu gebildeten Menschen, die sie nur genieren.

Ihre Gedankensphären sind ihr fremd und unverständlich, ihre feinen Sitten und Ansichten ärgern sie, denn sie muß sich anstrengen, wenn sie darin gleichen Schritt halten will.

Fräulein Lou liebt aber in allen Dingen eine völlige Ungeniertheit und Bequemlichkeit.

Selbst als Liebhaber ist ihr der junge Graf unsympathisch. Er ist ein allzu ritterlicher Freund, die Glacéhandschuhe scheinen bei all seinem Über-die-Stränge- Schlagen doch verwachsen mit ihm.

Mademoiselle Lou, die Sinnliche, Ungebildete, sieht in der Liebe nur rohe Instinkte und einen Rausch des Augenblicks. Götz aber hat ihr schon öfters fabelhaft romantische Ansichten entwickelt und die Liebe als eine der edelsten und idealsten Tugenden gefeiert.

Er möchte flott, leichtsinnig, – Lebemann sein, aber er hat doch nicht das richtige Temperament dazu. So etwas ernüchtert und wirkt langweilig.

Fräulein Lou verlangt nur Körper und keine Seele, einen Trauring, aber keine Fessel.

Und von Heiraten spricht der Herr Graf überhaupt nicht, ja, er scheint sich trotz all seiner Verliebtheit ganz behaglich in der Rolle eines platonischen Anbeters zu fühlen.

Auf die Dauer hält Fraulein Lou das nicht aus, denn wenn sie auch durch das Hasardspiel, welches seine Kasse bestreitet, eine ganz gute Einnahme hat, so steht dieselbe doch in gar keinem Verhältnis zu dem schauerlich öden Leben, welches die sonst so leichte Künstlerin jetzt führt.

Außerdem sind Gerüchte zu ihr gedrungen, daß der Graf scharf beobachtet werde und seine Eltern alles aufbieten würden, ihn aus den Netzen der schönen Reiterin zu lösen. Das wäre denn doch ganz und gar gegen Fräulein Lous Rechnung.

Wenn die Herren ihres Abenteuers selber satt sind, ist ihnen die Ungnade der Eltern stets ein recht willkommener Vorwand, überdrüssig gewordene Beziehungen zu lösen. Götz aber brennt noch lichterloh, – sie hat es durch ihr Wehren erreicht, sein Begehren zu spornen.

Und das ist die Hauptsache, daß sie seiner selbst sicher bleibt!

Der Hitzkopf ist es imstande, um ihretwillen mit den Eltern zu brechen, und das ist der geeignete Moment, ihn rettungslos in ihre Arme zu treiben.

Er wird dann von ihr abhängen – sie heiraten – die Alten werden mit der Zeit mürbe werden, sich in das Unvermeidliche finden und segnen. Lou aber ist die reiche Frau Gräfin geworden, und die Zirkusschinderei hat ein Ende.

Also jetzt ausharren und auf dem Posten bleiben, nur Beharrlichkeit führt zum Ziel!

Die Reiterin seufzt schmerzlich auf und erhebt sich, um ihren sehr saloppen und verschlampten Morgenrock, um welchen die kostbaren Spitzen schmutzig und zerfetzt herumhängen, mit einer recht raffinierten Toilette zum Empfang des Grafen zu vertauschen.

Auch dies ist eine Anstrengung und eine Unbequemlichkeit, welche die faule Dame haßt.

Aber der Graf legt enormen Wert auf Äußerlichkeiten, er ist Pedant und würde sehr ernüchtert sein, die Angebetete so liederlich angezogen zu sehen!

Ach, wenn sie dagegen zurückdenkt, an ihn, den Prachtkerl, den wonnigen Paul, den einzigen, welchen sie jemals mit all der stürmischen Glut ihrer Sinne geliebt hat!

Paul war kein vornehmer Herr, er war der Sohn eines reichen Fleischermeisters, ein Mensch wie ein Baum! Grobknochig, mit Fäusten wie die Eisenhämmer, einem frischen, roten Gesicht, hellen Augen und etwas dicken Lippen, – der lachte, fluchte, trank – der preßte in seiner wilden, zügellosen Vollkraft die kleine Reiterin an sich, daß er sie beinahe vor Leidenschaft zermalmte.

Andere nannten ihn roh, ungebildet, aber Fräulein Lou war wie berauscht! So liebte sie den Mann, genußfreudig, bärenhaft – zum Fürchten!

Und dabei hatte er Geld und verjubelte es mit ihr bis zur Atemlosigkeit. Damals war sie noch im Ballett beschäftigt.

Aber so gern Paul auch wollte, heiraten durfte er nicht, denn er war noch jung und völlig abhängig von seinem Alten, und der war noch brutaler als der Sohn, – der hätte ihn totgeschlagen, wenn er ihm die Possenreißerin ins Haus gebracht!

Ja, das war eine schöne Zeit!

Den Paul hatte sie geliebt, leidenschaftlich – wild – begehrlich!

An ihn dachte sie immer noch.

Ein Mann wie Graf Abensberg biß sie nicht in die Arme, schüttelte sie nicht mit rüden Fäusten, drohte ihr nicht mit Mord und Totschlag, wenn sie einem andern zulachte!

Er war langweilig mit all seinen guten Formen, seinem feinen Takt, welchen er nie vergaß, selbst unter vier Augen nicht.

Bei Fräulein Lou war das gesittete Benehmen, die zur Schau getragene Bildung nur ein erborgtes Requisit, ein klein wenig Glasur, die ihre Trägerin genierte und so schnell wie möglich abgestreift wurde, wenn »es nicht mehr darauf ankam«!

Der dauernde Verkehr mit einem geistig gebildeten, in einer tadellosen Kinderstube erzogenen Mann wirkte höchst beklemmend auf sie, und sehnsüchtiger als je gedachte sie ihres Fleischergesellen, der nicht verlangte, daß sie den Fisch ohne Messer aß und absolut nichts dabei fand, wenn sie am Nachmittag noch ungekämmt war.

Wozu doppelt?

Zur Vorstellung wurde sie ja frisiert.

Tief aufseufzend bereitete die Kunstreiterin alles zum Empfang ihres Anbeters vor.

Sie neigte trotz ihrer achtundzwanzig Jahre schon etwas zum Embonpoint, und das machte ihr jede Tätigkeit noch verhaßter.

Also heiraten! – Heiraten und sich zur Ruhe setzen, gleichviel mit wem!

Einem Mann gewöhnt man manches ab, was man bei einem Liebhaber dulden muß.

Es gibt wohl Kunstreiterinnen, welche für ihr »Geschäft« schwärmen, welche fein und gut erzogen sind, Direktorentöchter, an deren Erziehung etwas gewandt werden konnte und welche die große Dame wie etwas ganz Selbstverständliches spielen. – Fräulein Lou aber hatte sich aus der Hefe heraufgearbeitet, sie war kein echtes Zirkusblut, sondern nur »Talmi«, und das verleugnete sich nicht, sondern trat mit den Jahren immer deutlicher zu Tage.

Endlich hatte sie ihre Toilette beendet.

Sie wollte heute 'mal einen Trumpf ausspielen und sehen, ob sie ihrem Ziel nicht näher rückte, wenn sie den »ritterlichen Freund« etwas mehr »auf Feuer« setzte!

Angeblich hatte sie gerade ein neues Kostüm angeprobt, als der Graf klingelte, und um ihn nicht warten zu lassen, öffnete sie ihm in dem Zirkusstaat.

Da Fräulein Lou nur durch pantomimische Tänze zu Pferd wirkte, mußte sie möglichst viel Abwechslung in diesen Vorführungen schaffen.

Den Schmetterlingen, Rosen, Irrlichtern und Tauben sollten jetzt wirbelnde Schneeflocken folgen.

Ein künstliches Gestöber rieselte von der Zirkuskuppel herab, und mitten hindurch tollte die reizendste Schneeflocke Lou, in jenem koketten Spiel, welches die Zuschauer stets von neuem entzückte.

Ihr Kostüm war raffiniert reizend.

Weiße Gaze, von jenem magischen Flitter bedeckt, welcher namentlich bei den winterlichen Ansichtspostkarten so reizend täuschend das Schneegeglitzer darstellt, umbauschte die graziös-üppige Figur, just, als sei Fräulein Lou zu einem großen, blitzenden Brillant erstarrt.

Weiche Watteschneebälle garnierten den Saum und die tief ausgeschnittene Taille, das Köpfchen zierte ein spitzzackiges Diadem von funkelndem Kristall, und das hochtoupierte Haar war dick mit Diamantpuder bestreut.

Die Schminke tat das ihre, um die märchenhafte Erscheinung zu einer geradezu bezaubernden zu machen, und als Götz, starr vor Überraschung, vor der reizenden Kleinen stand, da blitzten ihn die dunklen Augen an wie Sterne zur Winterszeit, und das rote Mündchen lachte so keck, so übermütig und sinnbetörend, daß der junge Graf wie berauscht die Arme öffnete, den wonnigen Spuk zu fassen und zu halten.

Aber Fräulein Lou entfloh hinter den Tisch und drohte ihm schelmisch, daß sie sich sofort umkleiden werde, wenn er »unartig« werde, und dann erklärte sie ihm, daß sie eben erst das Kostüm erhalten und es um jeden Preis sogleich habe anprobieren müssen!

So animiert Götz auch anfänglich war, entging es seiner klugen Freundin doch nicht, daß ein finsterer Schatten auf seiner Stirn lag und seine Heiterkeit eine etwas gewaltsame war.

Sie schlang den Arm um ihn und rückte schmeichelnd näher.

»Du bist verstimmt, mein Freund! O, leugne nicht! Ich kenne dein Gesicht! Ich weiß so genau, wie es in deinem Herzen aussieht! Hast du Schulden? Dann sag' es, ich gebe ein Gastspiel und bezahle sie dir!«

Er küßt den vollen, weichen Arm voll leidenschaftlichen Entzückens.

»Schulden? Nein! – Aber Ärger!«

»Ärger?! Haha! Mensch ärgere dich nicht! Worüber kannst du grollen, wenn ich bei dir – wenn du bei mir?«

»Das ist es ja!« murmelte er ingrimmig, – »mein Ärger bedeutet eine Trennung von dir!«

Sie schaute jäh auf, – ihr Blick ward einen Augenblick scharf und durchdringend.

»Trennen?« fragte sie gedehnt. »Was heißt das?«

Er zog eine Depesche aus der Tasche und warf sie auf den Tisch. »Da lies!« sagte er, und seine Brauen zogen sich noch finsterer zusammen.

Mit schnellem Griff raffte sie das Papier auf und überflog seinen Inhalt.

»Komme sofort nach Hause, – dringende Angelegenheit! Vater.«

Langsam richtete sie sich auf und schob den jungen Offizier, welcher sich geneigt, um einen heißen, Kuß auf ihren Nacken zu drücken, sanft zurück.

»Deine Eltern haben von unserm Verkehr erfahren, sie wollen uns trennen?« fragte sie leise.

Er lachte scharf auf. »Das möchte ihnen nicht gelingen! – Nein, Lou, – woher sollten sie unser Geheimnis erfahren haben? – Falsche Zungen und Zuträger gibt es freilich überall, aber in diesem Falle wäre Papa wohl hergekommen, wenn er den Henker unsrer Liebe spielen wollte. Nein, – ich fürchte, daß irgendeine schwere Erkrankung die Ursache ist, – Meine Schwester Anna-Kathrin war stark erkältet, wie Papa im letzten Briefe schrieb, vielleicht ist es schlimmer geworden.«

Lous Augen schillerten. Eine kranke oder tote Schwester? Bah! Das wäre ja nur eine Chance mehr, denn je weniger ein Vermögen geteilt wird, desto größer bleibt es.

Aber sie äußerte diese praktische Ansicht nicht, denn Götz war ein Gefühlsmensch und wäre imstande, einer toten Schwester tatsächlich nachzutrauern!

Sie strich leise und lind über seine Stirn, zog ihn wieder neben sich nieder und schüttelte traurig das reizende Köpfchen.

»Nein, Liebster, du irrst dich, – es ist ein anderer Grund! Ich fühle es an meiner Angst und Qual, an der unerklärlichen Bangigkeit, welche mich heute schon den ganzen Tag beunruhigt. Es droht mir ein Unglück, – man will dich aus meinen Armen reißen!«

Er umschloß sie noch fester und küßte stürmisch ihr reizendes, so todtrauriges Gesichtchen, und zum erstenmal wehrte sie diesen Küssen nicht.

»Und wenn man es tausendmal wollte, keine Macht der Welt sollte dazu imstande sein!«

Durch Tränen verschleiert blickten die dunklen Augen zu ihm auf, inniger noch schmiegte sie sich an seine Brust.

»Dies Wort ist kein Schwur, und auch einen Schwur kann man brechen!«

»Lou!«

»Aus den Augen, aus dem Sinn! – Man wird dir eine andere zuschieben, und du wirst eine reiche, stolze, vornehme Dame heiraten...«

Er lacht nervös auf. »Närrchen! Wie wenig kennst du mich noch! Ein Mann, dessen ganzes Sein und Wesen nach Freiheit lechzt, wird sich gerade von Hymen fesseln und knebeln lassen! Nein, bei allen Teufeln! Ich möchte einen schlechten Ehemann abgeben!«

»Du willst überhaupt nicht heiraten?« Ihr Auge funkelt wie das einer giftigen Schlange zu ihm auf, und ihre Arme umstricken ihn glatt und geschmeidig wie Natternleiber, welche ihr Opfer auf Tod und Leben umgarnen.

Er steht und merkt es nicht, sein Blick richtet sich brennend geradeaus.

»Nein,« sagt er mit tiefem Atemzug, »ich würde zugrunde gehen an solch einer unerträglichen Bürde! Vorerst möchte ich alles abschütteln, was mich hemmt und bannt, möchte mein Glück in der weiten Welt suchen und aus eigener Kraft ein glücklicher Mensch werden!«

Sie lacht, leise und wunderlich, springt auf und stellt zwei Gläser und eine Sektflasche auf den Tisch.

»Darauf wollen wir anstoßen! Ich verschmachte! Ja, ein freies Leben! Wehe denen, die dich ketten und binden wollen an ein Weib, welches dich wie mit Bleigewichten aus dem Himmel des Glücks und Genusses herabzwingen würde! – Stoß an, Götz! Freies Leben, freie Wahl, freie Liebe! Hoch die goldene Freiheit!«

Heiße Glut steigt in seine Wangen, er entkorkt die Flasche, schenkt ein, daß der Schaum über den Rand perlt und umschlingt die reizende Sprecherin voll Leidenschaft. »Ja, sie lebe hoch, die Freiheit und die Liebe!«

Schrill klingen die Gläser aneinander, Götz stürzt den Wein hinab, und Lou hält ihr Glas mit weißer Hand empor, ihr Antlitz scheint wie berauscht, die Augen glänzen wie im Fieber, die schlanke, üppige Gestalt wiegt sich vor ihm.

»Die Liebe! Die Liebe!« wiederholt sie.

»Lou – liebst du mich?!«

Sie neigt sich näher, immer näher – schlingt jählings die Arme um ihn und jauchzt zwischen Lachen und Weinen: »Ja, ich liebe dich, – wahnsinnig bis zum Sterben! Du gehörst mir! Nicht gebunden und gekettet – nein, als freies Geschenk der Gnade!«

Sie bedeckt seine Lippen mit flammenden Küssen, heiß, unersättlich in berauschender Glut. »Du kannst und darfst mich nicht verlassen, Götz! – Schlag' die Schranken nieder, welche uns trennen, kehre zurück zu mir! Nirgend anders wohnt dein Glück als an meinem Herzen!« – Und dann ringt sie gegen seinen Arm, befreit sich und flüchtet hinter den Tisch.

Ihr Anblick, ihr Feuer, ihr Ungestüm sind bestrickend.

»Leb' wohl jetzt, und reise ab, wenn du mußt. Sagtest du nicht, dem Zug gehe in wenig Stunden? Gut, ich halte dich nicht. Sieh, was man daheim von dir will. Ich bange nicht mehr um deinen Verlust, ich weiß, daß du wieder zu mir kehrst, daß du kommen, daß du mich lieben mußt! Auf Wiedersehen, Götz! Auf Wiedersehen!«

Noch einmal hebt sie das Glas und lächelt ihm zauberisch zu. »Hoch die Freiheit und die Liebe!« Wie von Sinnen will er zu ihr hinstürmen und sie umfangen.

»Nein, ich gehe nicht – ich kann nicht gehen in dieser Stunde!« – Plötzlich schrickt er zusammen und läßt die Arme jählings sinken. »Anna-Kathrin! Und wenn sie stirbt?!«

Lou hat ihn scharf beobachtet, sie beißt die Zähne zusammen und schweigt.

Da greift er hastig nach Paletot und Mütze.

»Anna-Kathrin ist das einzige Wesen, welches mir im Leben nahe gestanden, – ich muß zu ihr! – Aber, so wahr ich dich in diesem Augenblick bis zur Raserei liebe, Lou, ich komme wieder, glaube es mir und – küsse mich noch einmal, Lou, küsse mich!«

Sie nimmt seinen Kopf zwischen beide Hände und sieht ihm mit unbeschreiblichem Blick in die Augen. »Du mußt zurückkehren, du mußt es!« haucht sie.

Er lacht aufgeregt, – er küßt sie wie ein Unersättlicher.

»Und was verlangst du von mir, wenn ich wieder bei dir bin?«

»Daß du nie wieder von mir scheidest, sonst wehe dir und mir!«

Abermals sein kurzes, scharfes Auflachen. »Wer weiß, ob dieser Wunsch nicht in Erfüllung geht! Er ist nicht nur der deine, sondern auch der meine! – Auf Wiedersehen, kleine Lou!«

Er stürmt davon und die Reiterin starrt ihm mit gekrampften Händen und blassen Lippen nach. Hat sie verspielt?

Sie schüttelt mit triumphierendem Lächeln das Haupt in den Nacken.

Nein! – Gestern noch wäre er vielleicht für immer von ihr gegangen, nach dem heutigen Abend nicht.

Jetzt sind ihre Küsse wie Funken in sein Herz gefallen, – sie haben ein Feuer entzündet, welches kein elterlicher Zorn mehr löschen kann.

Auch die Totenblumen vom Sarge einer Schwester ersticken es nicht.

Fräulein Lous geballte Hände lösen sich, sie hebt abermals das Glas an die Lippen und lächelt.

Es war zur rechten Zeit gewesen, daß sie heute die Coeurdame ausgespielt, – sie hat den Buben damit genommen!


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