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IX.

Zirkus Sontini öffnete nur während der Wintersaison seine Pforten für das schaulustige Publikum der Residenz; vom März bis Ende Oktober befand sich der Direktor mit seinem gesamten Personal auf großer Gastspieltournee oder er ließ sich in einer andern großen Handels- oder Hafenstadt nieder, für etliche Monate das Kunstinteresse der Provinzler zu befriedigen.

Jetzt pfiff der Novemberwind eisig kalt durch die belebten Straßen, die ersten Schneeflocken wirbelten hernieder, ihr kurzes Dasein schnell auf dem nassen Asphalt oder unter den Sohlen der hastenden Passanten zu beschließen, die Weihnachtszeit warf ihren strahlenden Lichtglanz voraus und drückte dem hochflutenden Getriebe schon jetzt ihren Stempel emsiger Unruhe auf.

Die Saison begann mit Diners und Tanzfesten, die Theater lockten mit den interessantesten Premieren, – und wo die Musik mit Pauken und Trompeten, mit süßen Walzerklängen oder klassischen Akkorden einsetzte, glitzerten die Fächer in den Händen schöner Frauen, rauschten Seide und Atlas wie die geheimnisvollen Wogen eines Zauberwassers, in welchen alles Erdenleid und alle Daseinsnot für kurze, glückselige Zeit versinkt.

Auch im Zirkus Sontini entfaltete sich ein reges Treiben.

Grau und dämmerig lag der riesige Innenraum des eleganten Gebäudes um diese Vormittagsstunde.

Der Himmel hing voll Schneewolken und ward dadurch die Beleuchtung noch trüber als sonst, – ein paar elektrische Birnen glühten hier und dort an den Wänden auf, den geschäftigen Menschen bei ihrer Arbeit zu leuchten.

Scheuerfrauen hantierten eifrig mit Schrubber und Besen, seiften hinter den oberen Galerien die weißgetünchten Wände ab, entfernten die mächtigen grauen Laken und Segeltücher von den roten Samtbrüstungen und Sesseln der Logen, bürsteten und klopften dieselben, rieben und putzten den Goldstuck und tilgten überall die Spuren, welche der Sommer mit Staub und Mottenpulver hinterlassen.

Stallbedienstete im gewöhnlichen Arbeiteranzug hatten den gewaltigen Vorhang, welcher sonst Manege und Stallgang trennt, herbeigeschleppt, zogen ihn auf, hämmerten und klopften, und zwischendurch klang gedämpftes Wiehern der Pferde, kurzes Hundegekläff oder der scharfe, kurze Knall einer Peitsche aus Stall und Nebenräumen, wo einzelne Spezialisten bereits ihre Nummern in stiller Abgeschiedenheit probten.

Die Manege stand für die nächsten beiden Stunden lediglich dem Direktor zur Verfügung, welcher bei seinen Dressuren gern ungestört und allein blieb.

In tadellosem Zivil, den spiegelblanken Zylinder auf dem leicht ergrauten, schick gewellten Haar, betrat Herr Sontini die Manege.

Hinter ihm schritt ein Stallmeister, welcher die beiden Peitschen seines Herrn und Gebieters trug.

Die eine lang wie eine Fahrpeitsche, mit kostbarem Griff aus Gold und Edelsteinen, den Knauf von kleiner Fürstenkrone gebildet, das Geschenk eines kunstsinnigen Monarchen, welcher seine Anerkennung für die Musterleistungen des berühmten Artisten auf diese Weise ausgedrückt hatte; die andere eine kurze, einfache, kleine Reitgerte, abgegriffen und ausgefasert, in seltsamem Kontrast zu der prunkvollen Genossin stehend.

Weder von der einen noch von der andern trennte sich der Direktor, und ein betagter Stallmeister hatte einmal etwas indiskret behauptet, die armselige kleine Lederpeitsche sei dem »Alten« beinahe noch lieber, als die Ehrengabe seines königlichen Gönners, denn er habe sie vor langen Jahren von seiner ersten und einzigen Liebe, der reizenden Springerin Amalia Bucher, erhalten!

Er sei damals noch ein Anfänger, ein blutarmer Kerl gewesen, welchen der alte Bucher mehr dazu benutzt habe, die »Chosen« herzuzuschleppen und die Pferde zu putzen, als ihn im Sattel zu beschäftigen. Die reizende Amalia sei damals schon ein »Star« gewesen, die nicht habe daran denken dürfen, eine Liebesheirat auf nichts hin zu schließen. – Na, sie habe ja auch bald ihren fürstlichen Gemahl gefunden, und der Alte habe aus Verzweiflung, um sich tot zu stürzen, seinen ersten berühmten Salto ausgeführt. Der sei großartig geglückt, und anstatt das Genick zu brechen, wäre er ein großartiger Artist geworden. – Du liebe Zeit! Wie haben ihm die Weiber überall nachgestellt! Blumen, Briefchen, Ringe und Busennadeln – und hinten am Zirkuspförtchen die Equipagen, die ihn zu süßen Schäferstunden abholen sollten, aber der Sontini war ein närrischer Kauz, er verbiß sich in seinen Schmerz um die schöne Amalia und ist ihr treu geblieben, bis sie endlich starb. – Da hat er auch geheiratet, die Tochter des reichsten Pferdezüchters im Lande, – nicht aus Liebe, Gott bewahre! – danach ist Madame Sontini nicht – nur aus Vernunft. Und das Geschäft war gut, er bekam die Pferde, wie er sie sich nur wünschen konnte, und der Zirkus Sontini ward weltberühmt! – Ja, das ist die Geschichte von der kleinen Reitgerte, und solange der Alte sie nicht aus den Händen läßt, solange ist auch seine Amalia noch nicht vergessen!

So hatte der Bereiter erzählt, und die Artisten blickten seit jener Zeit voll mitleidiger Teilnahme auf ihren ernsten, alten Chef und die unscheinbare kleine Gerte.

Sontini hatte auch heute seine Nummern durchgeprobt, und während der letzten halben Stunde hatte sich der Platz zwischen den beiden Logenwänden vor dem Vorhang mit Mitgliedern gefüllt, welche nach dem Direktor ihre Probe abhalten sollten.

Man wußte, daß »der Alte« in dem Bureau erwartet wurde und dort viel zu erledigen hatte. Um so überraschter war man, als der gestrenge Herr, nachdem seine vier herrlichen Schimmelhengste, welche er in Freiheit dressiert hatte, in dem Stallgang verschwunden waren, nicht seiner Gewohnheit gemäß folgte, sondern sich auf einen Stuhl der ersten Sitzreihe niederließ und seinem Schwiegersohn, Mister Brother, welcher die nachfolgende Probe beaufsichtigte, zurief: »Ist Mademoiselle Lou zur Stelle? – Ich wünsche, daß sie beginnt!«

Allgemeines Flüstern, Blickewechseln, Tuscheln und Kichern.

»Aha! Jetzt wird der Alte 'mal Staub machen!« lachte die schöne Schulreiterin mit boshaftem Augenzwinkern. «Es war ja auch ein Skandal, wie das Frauenzimmer die ganze Zeit über gearbeitet hat! Für die Provinz mag so 'was hingehen, – aber hier?!« und sie zuckte die Schultern und blickte zu der Zirkusdecke empor, als ob sie dabei die Hände ringen möchte.

»Ja, das schöne Lärvchen allein schafft's hier nicht!« nickte der Clown Alexander, ein älterer Mann mit unbeschreiblich melancholischen Augen. »Und anstrengen will sich die Kleine nicht, um das Fehlende zu lernen!«

»Nee, man ja nicht zu ville! Immer hübsch faul aufs Lotterbette liegen und mit die Barons und Jrafen Austern und Sekt schlucken, det paßt der Mamsell besser!« spottete die dicke Mutter der ersten Ballerina, welche jede haßte, die ihrem Töchterchen Konkurrenz bei den Herren machte. »Det dauert hier keene acht Tage, denn fliegt se! Der Olle macht schon janz sein Rausschmeißejesichte!«

Mister Brother erschien wieder vor dem Vorhang.

»Na, ist sie da, oder dürfen wir wieder warten?« rief ihm Sontini ungeduldig entgegen.

»Nein, sie ist zur Stelle! Zankt nur mit dem Sattelmeister, daß er ihr ›aus Niedertracht‹ immer die ältesten und wackeligsten Panneaus aussuche, dabei wiegt das breite rote, welches er ihr gegeben, seinen halben Zentner – und liegt so bombensicher...«

»Narrheit! – Klingelzeichen!«

Vor der Terrasse ward Fräulein Lou auf das Pferd gehoben, und der gutmütige, lammfromme Schimmel, auf dessen Rücken schon gar manche Anfängerin ihre Pas gemacht, schritt ruhig und sicher, als ginge eine Wiege, in die Manege.

Der Direktor saß mit finsterem Gesicht und blickte nur mit kurzem Dankesnicken auf, als die kleine Reiterin ihn durch eine etwas schnippische Kopfbewegung grüßte.

Fräulein Lou trug nur das ganz einfache »Probekostüm« aus dunklem Leinen, sie war auch weder durch Kaiserrot noch Puder »gemacht«, – nicht einmal die Frisur war perfekt, sondern das krause Haar nur recht nachlässig im Nacken zum Knoten gedreht, und doch sah Mademoiselle Lou reizend aus!

Selten konnte man ein pikanteres Gesichtchen sehen als das ihre.

Große, ungestüm blitzende Schwarzaugen, voll sprühenden Lebens, umrahmt von langen, dunklen Wimpern, welche ihnen besonderen Reiz verliehen. Das Näschen klein, keck, entzückend geformt. Und klein, wie eine Rosenknospe, der Mund, schneeweiß die Mausezähnchen hinter den lachenden Lippen.

Sie lachten nur nicht immer, – im Gegenteil, außer dem obligaten Lächeln bei den Vorstellungen sah man hier im Zirkus selten ein freundliches Gesicht bei Mademoiselle Lou, denn sie war meist übellaunig, verdrossen und gelangweilt, zurzeit sogar recht » démolie«, wie der Parforcereiter mit zwinkerndem Blick der robusten Ballettmutter soeben zuflüsterte; sie hatte sich vor acht Tagen, während der Abschiedsvorstellung in D., ein »bißchen weh getan«! Während eines Charivaris war ihr ein Kollege mit .einer Requisite, einer sogenannten »Chose«, in den Weg geraten, und Mademoiselle Lou hatte einen Schlag an den Fußknöchel davongetragen, welcher sie während der nächsten Tage hinken ließ.

Glücklicherweise konnte sie sich während der Reise und Übersiedelung in die Residenz schonen, aber sie war von Natur wehleidig und übellaunig über jede Kleinigkeit, und während andere Artisten eine Verletzung, welche sie nicht direkt arbeitsunfähig macht, gar nicht beachten, meldete sich Mademoiselle Lou sofort mit viel Ach und Weh krank.

Sie hatte auch keinen Schneid, keine Passion. Sie hatte sich von der kleinen Choristen-Tänzerin emporgebracht und glaubte, im Zirkus, mit Hilfe ihres hübschen Gesichtchens, spielend Triumphe zu feiern.

Das war ein Irrtum.

Keine Kunst erfordert größeren Fleiß, eisernere Ausdauer und unermüdlicheres Studium als die equilibristische! Und gerade diese ernste Arbeit haßte Mademoiselle Lou.

Kein Mitglied des ganzen Instituts zog sich so viele Rügen und so strengen Tadel seitens der Direktion zu wie die kleine Forcereiterin, deren Leistungen immer zu wünschen übrig ließen und Meister Sontini nie befriedigten. Hätte das nachsichtige Publikum nicht stets wieder der auffallend reizenden Erscheinung auf dem silberstrotzenden Panneau zugejubelt, würde der Kontrakt der kleinen Französin – die Kollegen behaupteten allerdings, Fräulein Lou habe Frankreich nicht einmal auf der Landkarte kennengelernt – wohl schon vor der Zeit gelöst worden sein.

In dieser Woche nun lief er ab, und da im Bureau schon verschiedene Offerten anderer Künstlerinnen derselben Branche nebst vielversprechenden »Photos« eingetroffen waren, so sah das ganze Zirkuspersonal der Entwickelung der Dinge mit besonderer Spannung entgegen.

Wurde ihr aufgekündigt oder nicht?

Aha! Der Alte blieb heute während der Probe anwesend, – das hatte wohl seinen Grund.

Sontini hatte die große, elegante Peitsche zur Hand genommen und war Mademoiselle Lou persönlich in die Manege gefolgt.

» Allez!« – und mäßig mit der Peitsche knallend, ließ er den schmucken Lipizanoschimmel die erste Runde in schlankem Trabe machen.

Mademoiselle Lou sprang auf die Knie, dann auf die Füße, – sie begann ihre Exerzises.

»Donnerwetter! Heute nimmt sie sich zusammen!« flüsterte ein Akrobat der Schulreiterin zu. »Sie weiß genau, daß es darauf ankommt! Solche Pirouetten hat sie lange nicht geliefert, und es scheint beinahe, als ob sie mit den ›Ballons‹ und ›Leinewand‹ heute auch 'mal ins klare käme!«

Die Schulreiterin verzog spöttisch den Mund. »Das wäre auch ein ekliger Strich durch ihre Rechnung, gerade jetzt abgehalftert zu werden, wo ihr der Weizen in der Residenz blühen könnte! – Was ist denn so ein Forcefrauenzimmer! – Künstlerin etwa? – Bah! Die Lou reitet, nur um eine Partie zu tun! – Ein Prinz oder Graf! – haha – der steckt ihr im Kopf! Man weiß ja, wie sie angelt! Und wenn erst ein Millionengraf angebissen hat, dann vale Zirkus und edle Reitkunst!«

»Nun sehen Sie nur 'mal, wie sie eben den Salto drehte!«

»Famos! Das war gut! – O, wenn sie will...!«

»Der Alte sieht auch gleich ganz versöhnlich aus!«

Mademoiselle Lou hatte mit viel Eleganz ihren Salto mortale durch die Luft ausgeführt, jetzt schoß ihr Körper rotierend mit den Füßen auf das Panneau zurück, tief aufatmend zog sie das Taschentuch und trocknete das glühende Gesicht.

Der Direktor wandte sich zum Stallmeister und gab ihm ein paar halblaute Befehle, dann nickte er Mademoiselle Lou in seiner ruhigen, ernstgemessenen Weise zu.

»Ich erwarte Sie nach Beendigung Ihrer Exerzises im Bureau!«

Sie quittierte durch ein lässiges Neigen des Köpfchens, und Sontini schritt gedankenvoll, ohne noch eines der Mitglieder anzureden, aus dem Zirkusinnern in einen der Nebenräume, welche zu dem Bureau führten.

Kurze Zeit spater stand Mademoiselle Lou in dem dämmerig stillen Bureauzimmer vor dem Gestrengen.

Sontini legte die Feder nieder, schob gelassen mehrere Briefschaften zur Seite und schaute der Eintretenden mit scharf prüfendem Blick entgegen.

»Ihr Kontrakt ist abgelaufen, Fräulein Weising!«

»Ich weiß es, Herr Direktor!«

»Ich muß Ihnen ehrlich sagen, mein Fräulein, daß ich während Ihres ganzen Auftretens unzufrieden mit Ihnen war. – Sie können Gutes leisten, aber Sie tun es nicht. Sie sind träge, nachlässig, Sie verabsäumen die Proben und wenden keinerlei Fleiß an Studium und Übungen. In der Provinz mochte das noch hingehen, denn leider Gottes verroht der Geschmack des Publikums von Jahr zu Jahr mehr; man goutiert mehr die Effekte und Mätzchen, als wie die echte, alte, feine Kunst. Hier in der Residenz ist das anders, hier finden sich gottlob noch Kenner, – Leute, welche in der alten hohen Schule groß geworden sind. – Eigentlich dürfte ich hier nur erstklassige Artisten beschäftigen, weil Sie mir aber heute in der Probe bewiesen haben, daß Sie etwas leisten können, wenn Sie sich anstrengen, will ich es noch einmal mit Ihnen versuchen und Ihren Kontrakt prolongieren. Unter den bisherigen Bedingungen! Höhere Zugeständnisse kann ich Ihnen auf keinen Fall machen! Auch muß ich mir das Recht vorbehalten, Sie auf der Stelle entlassen zu können, falls Sie mir durch Ihr Verschulden eine Vorstellung umwerfen. Ich betone noch einmal, daß ich äußersten Fleiß und rastloses Üben von Ihnen verlange. Mit dem Gesicht allein ist es hier in der Residenz nicht getan, – wenn Sie lediglich mit Ihrem hübschen Lärvchen Erfolge feiern wollen, haben Sie es bequemer, sich in einer Schaubude auszustellen! – So, das war es, was ich Ihnen sagen wollte. Wenn Sie einverstanden sind, unterzeichnen Sie hier den verlängerten Kontrakt.«

Der Sprecher wies auf den weißen Bogen, welcher auf dem Pult bereit lag, trat gelassen beiseite und griff nach einer Zeitung.

Mademoiselle Lou stand einen Augenblick regungslos und klemmte die rote Lippe zwischen die Zähnchen. In ihren Augen sprühte ein Unwetter, welches sich jeden Moment in leidenschaftlich gereiztem Zorneserguß zu entladen drohte; aber die Klugheit und Berechnung waren größer als die verletzte Eitelkeit und der kochende Grimm über die Behandlung, welche sie hier erdulden mußte.

Mit kurzer Bewegung warf sie den reizenden Kopf in den Nacken.

»Ich bin einverstanden!« sagt sie so ruhig, wie es ihr in diesem Augenblick möglich war, trat an das Schreibpult und kratzte mit großen, eckigen Schriftzügen ihren Namen unter den Kontrakt.

»Haben Sie vorher durchgelesen?« fragte Sontini.

Sie zuckte mit beinahe beleidigendem Lächeln die Achseln, nahm das Duplikat mit des Direktors Unterschrift, kniff es brüsk zusammen und schob es in die Tasche.

»Haben Sie sonst noch Befehle, Herr Direktor?«

»Nein, das Reglement für die nächsten Tage ist im Stallgang ausgehängt; – nehmen Sie Kenntnis davon!«

Eine stumme Verbeugung, die seidenen Röcke der Kunstreiterin rauschten auf, und mit hartem Knacks schloß sich die Tür hinter ihr.

Hastig schritt Mademoiselle Lou nach dem Ausgang des Zirkus.

Für die Kollegen, welche noch plaudernd vor der Sattelkammer standen, hatte sie einen flüchtigen Gruß und auf die Frage: »Na, – sind Sie topp?« ein kurzes Nicken und eine bissige Bemerkung über den »Alten«. Als sie der Schulreiterin begegnete, musterte sie die Rivalin nur mit schillerndem Blick und einem unendlich triumphierenden Lächeln, ohne Zeit für einen Gruß zu finden.

Noch war Mademoiselle Lou in der Residenz unbekannt, sie winkte daher einer Droschke und fuhr nach ihrer Wohnung.

Ihre Wangen glühten vor Unmut und Ärger, und die dunklen Augen spiegelten die Empfindungen, welche sie durchbebten.

Mit beinahe feindseligem Blick musterte sie die klapperige Droschke zweiter Klasse, diese Jammerkutsche, welche bei all ihrer Lumpigkeit doch kaum von ihr bestritten werden konnte.

Ihre Gage war wohl die niedrigste im ganzen Zirkus: sie mußte noch zwei andere Forcereiterinnen neben sich dulden, häßliche, chiffonierte alte Frauenzimmer, welche aber nach Ansicht des »Alten« vollendete Künstlerinnen mit bekanntem Namen waren und »Zum Niederknieen« schön ritten!

Sie selber war ja nur Anfängerin, – war und blieb Anfängerin, obwohl sie schon seit Jahren sich die Lunge aus dem Leibe galoppierte!

Und wozu hatte sie es in dieser Zeit gebracht?

Was hatte sich von all ihren hochfliegenden Plänen verwirklicht?

Sie mußte in einem erbärmlichen Klapperkasten von Droschke fahren, – sie, die voll ungestümer Sehnsucht von einer glänzenden eigenen Equipage, von Lakaien und Zofen träumte!

Sie mußte sich abschinden und abarbeiten, sie mußte sich knechten und tyrannisieren lassen, anstatt daß sie in seidenen Kissen ein seliges dolce far niente genoß, anstatt eine vornehme große Dame zu sein, welche im Überfluß schwelgt und in Perlen und Diamanten wühlt!

Bah – was sind die paar Ringe, Armbänder und Broschen, welche sie bisher erhielt?

Almosen – kärglicher Lohn für so manch schöne, lange Stunde, die sie geopfert hatte, um knauserige Alte oder verschuldete Junge zu amüsieren!

Liebschaften, ja, die konnte sie haben wie Sand am Meere, – Soupers und Diners, und zur Not auch 'mal Wagen und Pferde und elegante Salons, als dame soutenue – aber wie lange das alles? Ans Heiraten dachte bisher keiner, und doch ist Mademoiselle Lou so klug und berechnend, daß sie nur ein dauerndes Glück im Reichtum mit dem sicheren Ring am Finger als Endziel ihrer Wünsche ansieht!

Sie will heraus aus dieser Schinderei und Knechtschaft, sie will frei sein – frei und selbständig, ohne die ewige Arbeit und Drillerei, ohne die Peitsche des Direktors permanent im Nacken zu fühlen!

O, wie haßt sie dieses Leben im Zirkus, diese ununterbrochene Hetzjagd, dieses Üben, Arbeiten, Schuften tagein und tagaus!

Sie hat kein echtes, ruheloses Nomadenblut in den Adern, sie ist nicht in der Maringotte geboren und hat keine Freude an dem zügellosen Leben, welches auf den ersten Blick wohl aussieht wie goldene Freiheit, aber dennoch nichts anderes ist als ein Sklaventum schlimmster Art, eine Jagd nach Ruhm, Erfolg, Glück, ein Ringen um das tägliche Brot, ein Kampf im Totenhemd um ein paar leuchtende Augenblicke des Triumphs.

Mademoiselle Lou hat dieses Leben satt.

Sich bewundern, anbeten lassen, – schwelgen und genießen kann sie auch als reiche Dame, als Gräfin oder Fürstin sogar mit all dem süßen Beigeschmack einer stolzen, vielbeneideten Herrin, – darum will sie heiraten, der Ruhe pflegen und alle Daseinsfreuden behaglich durchkosten.

Hier in der Residenz muß sich der Ersehnte finden, welcher sie zu Freiheit und Genuß führen soll!

Mademoiselle Lou will jetzt Ernst machen, den schillernden Goldfasanen mit Netz und Leimrute aufwarten.

Sie war bisher zu harmlos, zu leicht zu haben, – sie glaubte mit Gewähren mehr zu erreichen als mit Versagen.

Nun wird sie die Taktik ändern.

Ob sie das Ziel erreichen,wird?

Ein wunderliches, beinahe grausames Lächeln spielt um die roten, knospenden Lippen, die Kunstreiterin hebt mit sprühendem Blick den Kopf und dehnt voll zitternder Ungeduld die Arme.

»Ich dürste nach Freiheit – ich lechze nach ihr, und ich werde sie erreichen, um jeden Preis!«

 

Graf Götz war soeben von dem Rennplatz zurückgekommen. Er hatte bei einem Herrenreiten seinen neuen, vorzüglich trainierten Vollblüter persönlich durch das Ziel gebracht und den ersten Preis gewonnen, das war ihm ein unbeschreiblicher Triumph.

Das Reiten war seit jeher seine Passion gewesen.

Ein Pferd zu bändigen, es mit eiserner Faust seinem Willen gefügig zu machen, in toller, atemraubender Jagd dahinzustürmen wie Wetter und Wind, das war nach dem leidenschaftlichen Temperament des jungen Mannes, der immer noch in ungestilltem Durst nach schrankenloser Selbständigkeit gern jede Gelegenheit wahrnahm, um sich »auszutoben«.

Keiner der Kameraden lebte so flott wie Abensberg, keiner schlug derart über die Stränge wie er, der mit unruhig flackerndem Blick von einem Vergnügen und Sport zum andern jagte, trank, spielte und liebte, so nervös und unersättlich, als sei er durch lange Jahre ein Verschmachtender gewesen, welcher endlich den vollen Becher an die Lippen setzte und nun kein Maß und Ziel kennt.

Götz von Abensberg war weder ein passionierter, noch fleißiger und strebsamer Offizier, er machte kein Hehl daraus, daß ihm der eiserne Zwang und das Muß des Dienstes ein Greuel war, aber er ritt vorzüglich, schneidig, kühn, jedes Hindernis waghalsig nehmend, wie überhaupt ein rücksichtsloses »Draufgehen« sein ganzes Wesen charakterisierte.

»Sie sollten Forcereiter werden, Abensberg!« hatte ihm sein Rittmeister einmal lachend gesagt, als der junge Graf bei einer Schnitzeljagd seine Bravour und Sicherheit in glänzendstem Licht gezeigt, und Götz hatte das schöne, kühne Antlitz mit aufsprühendem Blick gehoben und durch die Zähne gemurmelt: »Lieber heut' als morgen, Herr Rittmeister! Der Zirkus hat stets einen großen Zauber auf mich ausgeübt, und das erste Mal, daß ich im Leben einen Rohrstock fühlte, war an jenem Abend, wo ich durchgebrannt war, um heimlich eine Vorstellung im Zirkus Blumenfeld, in welchem ein berühmter Jockeireiter auftrat, zu besuchen!«

»Na, dann bewahren Sie diese fatale Erinnerung recht frisch in Gedanken, wenn Sontini seine heiligen Hallen öffnet!« lachte der joviale Vorgesetzte. »Wenn Sie so viel Passion haben, kommen Sie am Ende gar nicht wieder aus dem Zirkus heim, wenn Sie mir aber den Stalldienst verschlafen, hol' Sie der Teufel!«

Daran dachte Götz soeben, als er in gehobenster Stimmung nach dem Rennen sein Bad genommen, gut gefrühstückt hatte und nun, auf der Chaiselongue liegend, eine Zigarette rauchte.

Sein Blick überflog die Zeitung.

Famos! Heute Eröffnungsvorstellung bei Sontini!

Gute Kräfte,– brillante Pferde.

Das Programm war reichhaltig und vielversprechend, just das, was Götz in seiner jetzigen Stimmung brauchte.

Die Schulreiterin Miß Dorothy Longhill, – war vergangenen Winter noch nicht da. Gewiß eine tannenschlanke englische Schönheit, mit rotgoldenem Haar, bläulich umschatteten Äugen und müdem, verschleiertem Blick, welcher so doppelt viel zu sagen vermag, wenn er endlich einmal aufblitzt. Hm... Götz liebt im allgemeinen die kühlen, stillen Schönheiten nicht, – er friert, wenn er mit seiner heiß pulsierenden Hand über Marmor streicht... Aber wer weiß – oft glühen Funken unter der Asche,... Und weiter – Clown Alexander – kennt er noch! Großartiger Musikvirtuos! ... Parforcereiter Don Manuel – auch bekannt!... Akrobaten, Forellenschimmel Nonbijou – Forcereiterin Nademoiselle Lou? – Wer ist das? Neu!

Französin? Bah, – das Papier ist geduldig.

Die Artisten spekulieren noch immer auf die Vorliebe des deutschen Michels für alles Ausländische. »Mademoiselle«, »Miß«, »Senor« – und dann die Namen möglichst exotisch!

Aber jeder paßt die gewählte Nationalität seinem Temperament, seiner Eigenart oder seinem Äußeren an, und danach zu urteilen ist Nademoiselle ein kleiner, schwarzhaariger Sprühteufel voll französischer Eleganz, Koketterie und Leichtsinn!

Götz lacht. Französinnen muß man glücklich, Engländerinnen aber unglücklich lieben.

Seltsam, er mag das nüchterne Blond nicht. Es liegt etwas Langweiliges, Frommes, Hausbackenes darin, und langweilige Weiber machen ihn rasend!

Er will kein Zuckerwasser, er will Wein – heißen, feurigen Wein, welcher alle Sinne berauscht und die Adern mit Glut füllt.

Erst drei Jahre steht er in der Residenz, aber er hat sie durchlebt, als wären es zwanzig gewesen. Nun ist er müde, satt, nervös geworden, er braucht schon starke Reizmittel, um sich zu amüsieren.

Die blonde Miß wird wenig Glück bei ihm haben, wenn sich nicht zwei Teufelshörnchen unter dem goldenen Heiligenschein verstecken... Aber Mademoiselle Lou? –- Laßt sehen!

Und Graf Götz schickt seinen Privatdiener, ihm einen Logenplatz im Zirkus Sontini zu sichern.


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