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Arnaut von Marueil

Arnaut war der Sohn armer und geringer Eltern in Marueil, im Bistum Perigueux. Er war ein schöner und kluger Knabe, und da er wohl wußte, daß er nicht in die Umgebung und das Leben seiner Eltern paßte, so erreichte er es, daß er Lesen und Schreiben lernte und Schreiber wurde, der Schriftstücke aufsetzte, welche die Leute von ihm verlangten.

Da stand er einmal auf der Straße und sah einen Zug vornehmer Herren und Damen vorüberreiten. An der Spitze ritt eine wunderschöne Frau in kostbarer Kleidung und neben ihr ein junger Herr, an dessen Hut eine edelsteinbesetzte Agraffe blitzte und leuchtete. Es wurde ihm gesagt: »Das ist die Gräfin von Toulouse, und neben ihr reitet ihr Diener, der sie liebt, der ein berühmter Troubadour ist, er ist von ganz einfachem Herkommen, und nur durch seine Gedichte hat er sich so hoch aufgeschwungen, daß er mit der hochgebornen Gräfin scherzen und lachen darf wie mit seinesgleichen und so kostbar angezogen ist, als wäre er ein hoher Herr.«

Als Arnaut das gesehen, da beschloß er, sich gleichfalls der Dichtkunst zu widmen. Er hörte die Lieder, welche damals gesungen wurden, und betrachtete sie genau, und dann versuchte er, in der Art eines Liedes, das ihm besonders gefallen, ein eignes Lied zu dichten; und als er dachte, daß ihm das gelungen sei, ahmte er andere wieder nach, und so meinte er, nun auch ein Dichter zu sein.

So verließ er nun seine Stadt und machte sich auf den Weg, Schlösser zu besuchen und den Herrschaften vorzusingen, fremde Lieder und eigne, und dafür Belohnungen zu bekommen. Unter andern Schlössern besuchte er dergestalt das Schloß des Herrn Roger Taillefer von Béziers, der eine Tochter des Grafen Raimund von Toulouse zur Gattin hatte namens Adelaide; sie wurde nach dem Stande ihres Vaters »Gräfin« genannt, obwohl ihr Gatte nur Vizegraf war.

Die Herrschaften saßen im Saal auf ihrem Thron, und auf Bänken, welche die Wände entlangliefen, saßen die Ritter und Gefolgsleute und die Damen des Hofes. Arnaut trat in die Mitte, verbeugte sich tief und begann seinen Gesang. Aber im Singen stockte er plötzlich und wurde verwirrt. Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Gräfin und sie wendete sich zu ihrem Gatten, ihm einige Worte ins Ohr flüsternd. Da faßte sich Arnaut schnell und fuhr fort in seinem Lied, und als er geendet, zollten alle ihm Beifall.

Als es Nacht geworden war, da lag er allein in seiner Stube im Bett und dachte nach über alles, das ihm an diesem Tage geschehen war. Da wurde ihm klar, daß er bis heute nicht gewußt hatte, was das Dichten ist, denn die Lieder, welche er gekannt, waren tot für ihn gewesen, das sah er erst jetzt ein, und nun wurden sie plötzlich lebendig, und er fühlte, was mit ihnen gemeint war, daß die Dichter etwas sagten, das eigentlich unsagbar ist. Er dachte: »Nun meinte ich, ich wolle höher kommen in der Welt, nun sehe ich, daß mir alles gleichgültig geworden ist, und nichts habe ich im Sinn, als die Gräfin. Nun weiß ich, daß das Liebe ist, das ich fühle, und vorher habe ich von Liebe nichts gewußt, ich habe nur das Wort gekannt. Mir ist, ich habe einen Spiegel in mir, in dem sie sich spiegelte, und nun ist mir, als könnte ich sie sehen, und nun fühle ich die frische Lust, das Grün der Wiesen und die bunten Blumen, und mein Herz bewegt sich sehnsuchtsvoll und ungeduldig -- ach, wie schön: tausend Troubadours singen und preisen ihre Geliebte, niemand weiß, auf wen ihre Verse gehen, denn manche Dichter sind ja auch schon tot, vielleicht auch haben manche so gedichtet wie ich früher, die gar nicht liebten, die von der Liebe gar nichts wußten, so kann ich nun meine Verse bilden auf sie, und niemand weiß, wen ich meine, und im geheimen kann ich sie küssen in meinen Versen, ihr braunes Haar und ihre lachend braunen Augen, ihr liebes, freundliches Gesicht und ihre schmalen Hände, die in ihrem Schoß ruhen wie zwei Engel, die müde sind vom Fliegen.«

Die Gräfin sprach zu ihrem Gatten und der sagte zu Arnaut, er solle bleiben in seinem Dienst. Arnaut verbeugte sich und küßte des Grafen Hand, und ihm war, als solle er ohnmächtig werden vor Glück, denn nun konnte er die Geliebte täglich sehen.

So begann er seinen Tag, indem er ein Lied auf sie dichtete, auf ihr Haar, ihren Mund und ihre Augen. Er nannte sie »die Schöne«, kein Mensch wußte ihren Namen, nur er wußte ihn, und wenn er sein Gedicht aufschrieb, dann küßte er das Papier und stellte sich vor, er küsse ihre Hand. Kein Mensch wußte auch, daß die Lieder von ihm gedichtet waren; er sang sie und sagte, sie seien von einem alten Dichter gedichtet vor langen Jahren, der schon gestorben sei, dessen Namen er vergessen habe.

Die Gräfin Adelaide saß neben ihrem Gemahl, sie spürte, daß Arnaut sie meinte, daß er seine eignen Werke sang. Sie errötete und schlug die Augen nieder, ihr Herz klopfte, und es war ihr, als wolle ihr Atem stocken. Da hatte Arnaut sein Lied geendet, und sie dachte, er müsse gekränkt sein, wenn sie so still sitze, deshalb nahm sie sich zusammen, richtete die Augen auf ihn und sagte ihm Dank, und indem Arnaut sich verbeugte, geschah ihm, als höre er eine Engelstimme ganz von weitem, und sie fuhr fort, er solle in das Frauenzimmer kommen und solle da vor ihr allein singen.

So ging er nun in das Frauenzimmer, wo die Gräfin am Fenster saß, aus dem man weit über das Land blickte, und ihre Frauen und Mädchen saßen da mit allerhand Arbeiten. Sie hatten geschwatzt und gekichert, als er kam, noch war auf den geröteten Gesichtern das unterdrückte Lachen zu sehen, die Herrin aber saß allein in ihrem Fenster und hatte in die Weite geschaut.

Da sang er sein neues Lied, und er wagte es und fügte ihren Namen ein: Adelaide. Sie errötete hoch und sah in den Schoß, ein Seufzer hob ihren Busen, und eine Träne blitzte in ihrem Auge auf. Ihm war, als solle er die Laute fortwerfen und zu ihren Füßen stürzen, aber er bezwang sich, denn alle Frauen und Mädchen schauten starr auf ihn hin.

Er sang: »Ich liege im Widerstreit mit mir selbst. Mein Herz zieht mich, und mein Verstand hält mich zurück. Die Frau, die ich liebe, muß von Königen geliebt werden, und ich bin nur ein armer Diener. Aber wie? Macht Liebe nicht alle gleich? Gott sieht nur auf das Herz -- du, die ich liebe, bist ein vollkommenes Abbild Gottes.«

Die Herrin sagte: »Ich danke dir, Arnaut, für dein neues Lied. Ich wußte, daß auch die früheren Lieder von dir gedichtet waren. Aber nun verlasse uns, damit wir Frauen allein sind und deine schönen Worte unserm Geist ganz einprägen können.«

Nun ging Arnaut. Und es wurde ihm klar, daß er ganz anders war wie alle andern Menschen. Er ging wohl auf der Erde, aber es war ihm, als gehe er in den Lüften, und wenn er die andern Menschen sah, so konnte er sich nicht vorstellen, daß denen auch so sein konnte; da mußte er lachen, als er das versuchte. Ganz kindisch erschien ihm nun sein früheres Streben, höher zu kommen. Er dachte: wenn sie abends ihr schönes Haar löste, und er stände neben ihr und dürfte das sehen, welch ein Glück das wäre. Und nach Tagen dachte er, welches Glück es wäre, wenn er ihre Hand küssen dürft;) das Herz pochte ihm, wenn er daran dachte.

Nun machte er viele Lieder, und zuletzt machte er eines, in welchem er seine Herrin bat, ihm einen Kuß zu gewähren. Er wagte nicht, ihr das Lied vorzusingen, denn er hätte den Mund nicht öffnen können, um die Worte zu bilden. So gab er ihr denn an einem Abend in der Dämmerung das Blatt, auf das er sein Gedicht geschrieben. Am andern Morgen ließ ihn die Frau zu sich kommen in das Frauenzimmer. Sie saß auf ihrem Stuhl, und ihre Frauen und Mädchen saßen und arbeiteten. Sie sagte zu ihm: »Ein schönes Lied hast du gedichtet; du bittest, daß du mich küssen darfst.« Sie errötete, als sie das sagte. Dann lachte sie und fuhr fort: »Weil du so schön dichtest, Arnaut, deshalb will ich dir gestatten, um was du bittest«; sie schloß die Augen und legte den Kopf in ihrem Stuhl zurück.

Da schossen ihm die Tränen des Unmutes in die Augen, und er lief aus dem Zimmer, ohne sie geküßt zu haben.

Das war am Morgen gewesen. Aber am Abend begegnete er der Frau allein, und es dunkelte schon. Er wollte ihr ausweichen. Da ergriff sie seine Hand, und dann legte sie die Arme um seinen Hals und küßte ihn, er aber umfaßte sie und drückte auf ihren Mund einen heißen Kuß und noch einen Kuß und noch einen. Da stemmte sie die Arme gegen seine Brust und flüsterte: »Laß, Arnaut, laß, was soll geschehen.« Er löste seinen Arm, und mit eiligen Schritten ging sie fort.

Die Nacht hindurch ging er in seinem Zimmer auf und ab, griff in die Laute und suchte die Melodie, welche ihm vorschwebte, und bildete die Worte, welche er hatte, zu Versen, in denen er erzählte, daß er die Herrin geküßt hatte.

Nun kam der König Alfons von Castilien zu dem Vizegrafen Roger Taillefer zu Besuch; und als er die schöne Adelaide sah, verliebte er sich heftig in sie. Der König war aber ein stattlicher Mann und ein kühner Ritter. Als er das erstemal mit Adelaide allein war, da nahm er sie in den Arm und küßte sie. Sie wehrte sich zuerst, aber dann ließ sie sich küssen.

Der König Alfons sagte zu ihr: »Es geht das Gerücht, daß Arnaut eine Liebe zu dir hat und daß du nachsichtig gegen seine Kühnheit bist. Ich wünsche, daß er aus deinem Dienst entlassen wird.«

Adelaide seufzte und versuchte eine Gegenrede. Aber da runzelte der König die Stirn, und sie sah ein, daß sie ihn erzürnen würde, wenn sie sich weigerte. So ließ sie denn Arnaut wieder zu sich kommen und teilte ihm den Wunsch des Königs mit. Arnaut wurde bleich, und sie hatte Mitleiden mit ihm. Sie sagte: »Ich verbiete dir, mich weiterhin zu lieben. Es gibt so viele Frauen und Mädchen. Ich verbiete dir, mich zu lieben.« Arnaut verbeugte sich und sprach: »Ich kann Euch nicht gehorchen; ja, ich will Euch nicht gehorchen in dem, was Ihr sagt, daß ich Euch nicht mehr lieben soll. Aber ich werde Euch verlassen, wie Ihr befohlen habt.« Und mit diesen Worten ging er aus der Tür und verließ das Schloß des Vizegrafen.

Nun nahm ihn der Herr von Montpellier an seinen Hof auf. Er war traurig und nachdenklich, und sein Herr sagte zu ihm: »Arnaut, ich weiß, wie verschmähte Liebe tut. Viel Glück ist mit der Liebe verbunden, aber auch viel Leid. Aber auch das Leid der Liebe ist Glück.« Arnaut schüttelte den Kopf und sprach: »Herr, meine Liebe kennt Ihr nicht. Ihr war auch das Glück Leid.«

Damals dichtete er ein Lied, in welchem er sagte: »Es ist nicht wahr, wie manche glauben, daß die Seele nur getroffen wird, wenn die Augen sehen. Meine Augen sehen meine Geliebte nicht mehr, aber meine Gedanken können nicht von ihr frei werden. Ich bin mit ihr so fest verbunden wie mit Gott, ja, ich liebe Gott nur, weil ich sie liebe.«

Er sagte zu seinem Herrn: »Ein schlechter Diener bin ich für Euch, Ihr habt gedacht, Ihr habt Freude durch mich, und nun gehe ich trübselig und stumm, und wenn Euer Blick auf mich fällt, so umwölkt sich Euer Gesicht.« Sein Herr erwiderte: »Ich wußte, daß ich einen Dichter zu mir nahm, ein Dichter aber ist nicht Herr seiner selbst, sondern sein Herz beherrscht ihn; und so nehme ich denn dankbar hin von ihm, was er mir geben kann, denn mehr, als er kann, darf man von keinem Menschen verlangen.«

So sah nun Arnaut in die Welt um sich, und da sah er, was er früher nie gesehen: Unterdrückung der Niedrigen durch die Vornehmen, Laster und Torheiten aller Menschen, eine allgemeine Ziellosigkeit des Strebens; und es wurde ihm klar, daß er früher nicht anders gewesen war als alle die Menschen, die um ihn lebten, und daß er nur jetzt, nach seinem Unglück, eine solche Entfernung von ihnen bekommen hatte, daß er sich über sie verwundern konnte. Nun dichtete er fromme Lieder, in denen er seine Sehnsucht ausdrückte, aus der Wirrnis der Welt zu Gott zu kommen; und er merkte, daß die Menschen ihn nicht verstanden und daß niemand wußte, was er mit der Wirrnis der Welt meinte.

 

Als der Dichter seine Geschichte beendet hatte, da lachte das Mädchen. »Er dichtete fromme Lieder, in denen er seine Sehnsucht ausdrückte, aus der Wirrnis der Welt zu Gott zu kommen«, sagte sie. »Die Menschen aber verstanden ihn nicht. Natürlich verstanden sie ihn nicht. Die Menschen sind nicht dumm. Sie leben ja in der Wirrnis der Welt, unterdrücken und werden unterdrückt, haben Laster und predigen gegen die Laster, sehen die Torheiten der andern und die andern sehen die Torheiten der ersten. Aber so wollen sie ja leben. Ja, Arnaut wollte in die Höhe kommen; so ein Mensch war er, daß ihm das nicht gleichgültig war, ob er oben stand oder unten. Ein solcher Mensch kann freilich eine Frau nicht halten, wenn ein König kommt. Wäre er ein Edler gewesen, so hätte er die Frau auch zu einer Edlen gemacht. Aber so, nun, so wurde sie schon die Geliebte des Königs, neben andern Geliebten wahrscheinlich, und das war ihr ganz angemessen, und Arnaut klagte über die Welt, und das war ihm auch ganz angemessen. Du, du hast nie über die Welt geklagt, und du hast sie kennengelernt, denn du hast deinen Einzug in sie mit bloßen Füßen im Straßenschmutz gehalten.«

»Nein, ich habe nie über die Welt geklagt, denn die Welt ist schön«, rief der Dichter. Er umarmte das Mädchen und küßte sie.

Und so geschah es, daß der Dichter das Mädchen heiratete und daß die beiden als Ehepaar auf dem Schloß lebten.

Da geschah es an einem Abend, daß dem Dichter ein junger Mann gemeldet wurde, der angab, daß er ihn in einer wichtigen Angelegenheit sprechen müsse. Der Dichter ließ ihn vor, und nun erzählte der Jüngling, daß er im Krieg Offizier gewesen sei, und seine Truppe sei treu geblieben, aber dann habe er sie müssen auseinandergehen lassen, er selber habe aber einen Führer der Revolution, einen gänzlich nichtigen Menschen, ermordet. Und nun bitte er, daß er hier, auf dem entlegenen Besitz, ein Unterkommen haben dürfe, um sich vor den Verfolgern zu verstecken.

Der Dichter sah prüfend in das jugendlich frische und kecke Gesicht des Sprechenden. Dann sagte er: »Ich will tun, was Sie verlangen. Sie haben gehandelt als der Mensch, der Sie sind, und das tun heute nur wenige, denn die meisten lügen durch ihr Handeln. Aber Sie müssen nicht denken, daß ich darum Ihr Handeln billige. Sie sagten selber, daß der Mensch, den Sie ermordeten, nichtig war. Glauben Sie, daß nichtige Menschen etwas so Bedeutendes machen können, wie eine Revolution ist? Das arme unglückliche Volk wurde von seinen Führern verlassen, da schwangen sich diese Leute zu Führern auf, denn irgend jemand muß doch an der Spitze stehen, und es gibt unter ihnen auch gute Leute. Was haben Sie gebessert durch Ihre Tat? Die neuen Herrscher werden nur ängstlich werden und in ihrer Angst törichter handeln, als sie sonst gehandelt hätten. Aber Sie sind ein junger Mann und haben Ihre Tat in jugendlicher Unerfahrenheit getan.«

Bestürzt erwiderte der junge Mann: »Ich dachte zu Gesinnungsgenossen zu kommen -- aber ich sehe, daß Sie andere Ansichten haben, ich könnte Sie vielleicht in unangenehme Lagen bringen durch mein Bleiben, so will ich lieber gehen. Verzeihen Sie meine Anfrage meiner Unwissenheit.«

Der Dichter schüttelte freundlich den Kopf, dann sagte er: »Bleiben Sie, bleiben Sie. Sie haben als ein Mann Ihre Pflicht getan, wie Sie verstanden, das ist sehr viel in einer solchen Zeit. Ich will Sie beschützen, wie ich kann.«

Nun trat die junge Frau in das Zimmer, und die drei besprachen, wie das Verhältnis äußerlich geregelt werden sollte. Der Dichter sagte: »Sie müssen uns verstehen. Wir leben auf einer andern Ebene. Die Menschheit hat seit hundert Jahren ihre Lebensverhältnisse so geändert, daß nichts mehr von den alten Anschauungen Gültigkeit hat. Außerdem ist es noch fraglich, ob die neuen Lebensverhältnisse so sind, daß sie dauernd in ihnen bestehen kann, indem sie sich ihnen anpaßt, oder ob sie durch sie zerstört wird. Heute sehen wir nur Versuche der Anpassung, wir beide haben uns nach hier als auf eine Insel zurückgezogen, denn unseres Amtes ist es nicht, daß wir uns an diesen Versuchen beteiligen, und ein jeder muß tun, was seines Amtes ist. Der Mensch, den Sie erschossen haben, war ein vorwitziger Narr, der unverantwortlich nach Zügeln griff, die am Boden schleiften. Er hätte das Pferd nicht bändigen können, er wäre auch ohne Sie bald unter die Hufe geraten.« Der junge Mann sah den Dichter mit großen Augen an. »Sie meinen nicht, daß da Schuldige sind?« fragte er.

Der Dichter erwiderte: »Ich will ein nicht ganz zutreffendes Gleichnis gebrauchen, denn es handelt sich nicht um einen einmaligen Untergang, sondern um eine geschichtliche Weiterbildung. Ein Schiff gerät in Not; es scheint, daß die Mannschaft das Loch nicht verstopfen und das eindringende Wasser nicht bewältigen kann. Nun stürzen alle sich aus den Branntweinvorrat und betrinken sich. Aufgabe des Kapitäns ist, rechtzeitig die Verzweiflung zu merken und die Leute in der Hand zu behalten, vielleicht schießt er einen oder einige der sogenannten Führer nieder. So ist es möglich, daß Schiff und Mannschaft gerettet werden. Aber die Führung hat bei uns versagt. Nun sind Sie zwischen die Betrunkenen gesprungen und haben da einen der armen Teufel erschossen. Es ist ja nicht schade um ihn. Aber das Schiff war durch Ihre Tat nicht mehr zu retten.«

»Ja, es war wohl nicht mehr zu retten«, sagte der Jüngling leise.

»Nun ist es aber kein Schiffsuntergang«,, fuhr der Dichter fort, »den wir erleben, sondern eine Umbildung der Gesellschaft, der Versuch einer Anpassung an andere Zustände. Bei einem Untergang ist es ja gleichgültig, ob die Guten sich durch solche unnützen Taten zerstören, sie zerstören sich nur einige Minuten früher, als die andern untergehen. Aber bei einer Umbildung ist das ein Unglück. Es gibt wenige Gute in der Welt. Deren erste Pflicht ist heute, sich ihre Aufgabe zu suchen. Für die müssen sie sich erhalten. Und vielleicht ist dann eine dauernde Umbildung möglich, wenn die Guten helfen, jeder in seiner Art.«

Der junge Mann sah dem Dichter in die Augen. Dann sagte er: »So hat noch niemand zu mir gesprochen.«

Die drei lebten eine Weile vertraut zusammen; der Jüngling hörte auf die Worte des alten Dichters; er sprach auch oft mit der jungen Frau, die ihm vieles erklärte, einmal sprach er: »In welcher Welt habe ich bis nun gelebt! Ich war blind, und die Wahrheit ist doch so einfach!«

Oft saßen die jungen Leute zusammen und sprachen. Die Augen der jungen Frau glänzten in Eifer, dankbar sah der Jüngling zu ihr auf. Einmal sagte er: »Ihr Gatte ist mir ein Vater gewesen, ich verdanke ihm mein geistiges Leben, das nun eben beginnt. Und Sie -- « er sprach nicht weiter, sondern verstummte. Aber die Wangen der jungen Frau färbte eine hohe Röte, da flog auch ihm eine Röte über die Stirn.

In diesen Tagen sagte der Dichter: »Ich will wieder eine Geschichte aus der Handschrift des alten Mönchs erzählen.« Und so begann er:


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