Otto Ernst
Vom Strande des Lebens
Otto Ernst

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IV. Allegro beatissimo.

Fröstelnd schreck' ich empor. Drei Schläge hab' ich vernommen, drei mächtige, hallende Schläge gegen das Sonnentor.

Und mit stockendem Atem horcht die Welt. In kurzen, dumpfen Stößen schlägt das Meer, wie ein banges, pochendes Herz.

Und von einem Punkt am östlichen Rande des Meeres rinnt ein Rieseln und Wirbeln und Zittern über den Himmel und breitet sich fächerförmig aus.

Und sieh, aus den östlichen Fluten steigt ein hügelreiches Land.

Silberne Hügel wachsen hervor.

Violette Berge türmen sich auf.

Grüne Höhen steigen empor.

Ein Berg des Goldes tritt ans dem Grau.

Höher und höher heben sich rote Gipfel.

Noch liegt es grau zwischen den grünen und silbernen Bergen, zwischen den Höhen des Goldes und den Hügeln der Röte.

Aber ein seltsames Summen kommt aus den tiefsten Tälern.

Und heller und heller blaut es zwischen den Höhen, und aus den blauen Tälern steigen frohe Menschen empor, plaudernde, singende, schweigende Erdenpilger, ernste und lustige, würdige und komische, lachende und weinende Wanderer, aber fröhlich alle, fröhlich alle.

Denn die Vollendung aller ist da.

Im äußersten Morgen, hinter den letzten Höhen, kommt das Ziel der Wanderung langsam, leise heraus: die obersten Zinnen einer weißen Burg.

In endlosen Zügen steigen die Menschen herauf, in Mengen und allein, zu zweien, zu dreien, zu zwölfen, zu hunderten, eine große Wallfahrt, die letzte Wallfahrt, bei der die Andacht Frohsinn und die Lustigkeit Gebet ist.

Sie tragen noch alle das Gewand der Erde, und in ihren Gewändern hängt noch der Nebel der Tiefe. Manche stürmen den andern voraus in ausgelassener Fröhlichkeit. Das sind die, die schon auf Erden glücklich waren. Die aber auf Erden glücklos waren, steigen langsam und still empor und tragen in ihren Augen noch den letzten Glanz des Erdenleides. Da seh' ich Könige, die einen Freund gesucht und keinen gefunden, Propheten und Erfinder, die keinen Glauben gefunden, Kinder, die vergeblich nach einer Mutter ausgeschaut, alte Mädchen, die den unbegehrten Schatz ihrer Liebe durch ein ödes Leben getragen. Aber alle schauen hinauf zu jenen weißen Zinnen, die höher und höher steigen, und Freude ist auf allen Angesichtern.

Und Musik ist mit allem, was da wandert und strebt auf goldenen Zacken und violetten Höhn; das All der Welt ist voll strömenden Klangs. Mit Chören der Frommen mischt sich stürmender Gesang der Einsamen, mit jauchzenden Liedern der Leichtgesinnten mischt sich träumender Zwiegesang. Sieh, neben den singenden Frommen schreitet, springt ein lachender Jüngling dahin und wandelt die Weise ihres Liedes ab in ein lachendes, tanzendes Stakkato. Und die Frommen hören ihm zu mit freundlichem Lächeln; denn sie verstehen seine Andacht.

Zweie seh' ich langsam, langsam emporsteigen und höre sie von vergangenen Tagen sprechen. Den stillen Blick zum hohen Licht gekehrt, erzählen sie immerfort, immerfort, ein langes Leben voll langer Qual. Ihr Gespräch ist wie ein singender Wind, der Sommerabends durch den Garten geht. Aber das Licht der Höhe blinkt in ihren Augen, und das Leid ihres Lebens klingt aus ihnen hervor wie tiefes Glück.

Horch, aus einem unbekannten Tale wälzt sich's herauf wie von brummenden Bässen, nimmt einen Anlauf und überschlägt sich und kollert wieder bergab, nimmt einen zweiten Anlauf und purzelt wieder zurück und nimmt abermals einen Anlauf und abermals einen, und da tauchen sie über einem silbernen Gipfel auf mit roten, breiten, schweißtriefenden Stirnen und schnaufenden Nasen. Das sind die wohlbeleibten Seelen, die immer gesagt, es gäbe keine Morgenröte.

Zuletzt von allen haben sie's doch geglaubt und kommen nun auch zum ewigen Fest. Aber weil sie so lange gezögert, mußten sie schnaufen, derweil die andern sangen.

O sieh: von allen Höhen, von den silbernen und orangenen Hügeln, von den Gipfeln des Goldes und der Bläue, von roten und violetten Kuppen bauen sich Brücken, bauen sich hinüber zum Berge der weißen Zinnen! Brücken von Rosengeflecht und hängenden Syringen!

Und nun strömt es von allen Enden über die Brücken dem einen, weißen Glanze zu.

Warum aber staut sich die Menge vor jener Brücke? Ach, zwei Professoren sind stillgestanden und streiten über die Lehre von den letzten Dingen. Nicht Zorn und Haß ist in ihren Worten und Mienen; sie streiten mit seligen Gesichtern; aber so erregt ist der eine, daß er seinen Hut verloren hat und ihn vergeblich sucht. Ein Gottesleugner faßt sie freundlich bei den Schultern und schiebt sie lächelnd voran.

Auf weitem Plan vor der weißen Burg sind die ersten angekommen, und wogend wächst das farbige Gewimmel.

O, ein Engel steht vor der Pforte der weißen Burg. Licht umwittert seine Flügel; Ewigkeit umkränzt seine Stirn.

Und die ihn sehen, erschauern vor seiner Schönheit.

Nur ein Knäblein tanzt ihm jauchzend entgegen; es hat den Hut des Professors gefunden und ihn schief auf die schimmernden Locken gedrückt; in übermütigen Sprüngen tanzt es vor dem ernsten Seraph und blitzt ihn aus schelmischen Augen an . . .

Und die umstehenden Kinder der Erde erstarren ob dieser Entweihung des heiligen Augenblicks und sehen bangend auf den Genius.

Der aber lächelt dem Knaben zu, beugt sich zu ihm nieder und küßt ihn auf die Stirn. Und ein Lächeln der Befreiung rauscht über die unabsehbare Menge dahin.

Die letzten haben den Gipfel erreicht, und Millionen Millionen Herzen schlagen in einer Erwartung.

Nur zwei Kindlein stehen noch vor der letzten Böschung. Schon hat das eine den Fuß auf die letzte Höhe gesetzt, schon blickt es mit aufgerissenen Augen in den weißen Glanz – da hört es seinen Gefährten unter ihm seufzen. Und eilig kehrt es zurück und reicht ihm die Hand und hilft ihm hinauf auf die letzte Höhe.

Und der Seraph zerteilt die Menge und tritt auf den Helfer zu und nimmt ihn bei der Hand, und mit ihm schreitet er voran dem höchsten Lichte entgegen.

Auf tut sich die Pforte der weißen Burg, und durch sieben Tore der Seligkeit schreitet die Menschheit empor zum ewigen Glück. Immer lauter rauscht die Musik des Weltalls, immer gewaltiger schwillt sie empor, und immer schöner doch, immer entzückender ergreift sie die Herzen, und sieh: unter Donnern der Seligkeit zerreißt das letzte Tor, das letzte Tor zum reinsten Licht.

Ich habe das letzte Licht nicht gesehn; geblendet fiel mein Haupt zurück in den Sand der Düne.

Als ich es wieder erhob, stand die gleißende Morgensonne über dem Meer.

Aber am Grunde meiner Augen ist ein Glanz geblieben, der bis ans Ende meiner Tage brennt.


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