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Josef Freiherr von Eötvös.

Biographie von Adolf Dux.

Der neuen Auflage von den in's Deutsche übertragenen Werken des Freiherrn Josef von Eötvös, die hiermit in die Hände des Publicums gelangt, ziemt es sich, ein Lebensbild des verewigten Dichters und Staatsmannes vorauszuschicken, und da die Sammlung, welche wir hiermit einleiten, sich vorzugsweise auf die erzählenden Dichtungen des berühmten Autors beschränkt, so sollte auch die vorausgeschickte Lebensskizze vorzugsweise den Dichter Eötvös in's Auge fassen. Allein in unserem Helden waren der Dichter, der Denker und Staatsmann so innig mit einander verknüpft, wirkten seine poetische Phantasie, sein forschender Geist und sein Wille, die Cultur und die Wohlfahrt seines Vaterlandes zu heben, wechselseitig so sehr auf einander, daß es wohl schlechterdings unmöglich ist, seinen Lebensgang anders, als möglichst vollständig und nach allen sich darbietenden Seiten zu schildern.

Und selbst das kann noch nicht ganz genügen. Wie wenig umfassend auch der Raum sei, der uns zugemessen ist, darf zur Vervollständigung des Bildes der Hintergrund doch nicht fehlen, muß wenigstens andeutungsweise der Zustände des Landes gedacht werden, in welchem Eötvös eine so große Rolle spielte, wenn auch sein Ruhm weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus sich verbreitete; ja selbst bis in verflossene Jahrhunderte muß zurückgegriffen und wenigstens ein Fingerzeig gegeben werden in Betreff der Verhältnisse, aus welchen der edle Dichter und Staatsmann hervorging.

Daher erwähnen wir zunächst die freilich nicht historisch verbürgte, aber doch wahrscheinliche Thatsache, daß Baron Josef Eötvös – vielleicht – von einem Ahnherrn abstammt, der in einem Kampf zwischen Deutschen und Magyaren zum Opfer fiel. Dem Familiennamen unseres Helden begegnen wir nämlich zum ersten Male im 15. Jahrhundert, in welchem, und zwar im Jahre 1439 bei Gelegenheit eines Streites zwischen den deutschen und magyarischen Bürgern Ofens, einer der letzteren, Johann Eötvös, von seinen Gegnern getödtet und in die Donau geworfen wurde. Welche Wandlung, welche Klärung von dem blutigen Zwiespalt zweier Nationalitäten, welchem der muthmaßliche Stammvater in Ofen zum Opfer fiel, bis zu dem edlen Enkel, um welchen sich die ungarisch und deutsch sprechenden Bürger eben derselben alten Königsstadt vertrauens- und verehrungsvoll schaarten, indem sie ihn dreimal zu ihrem Abgeordneten in den Reichstag wählten.

Mit größerer Bestimmtheit, als den eben genannten Ofner Bürger, kann man Männer gleichen Namens aus dem 16. Jahrhundert als Ahnherren des Barons Josef Eötvös bezeichnen. Ohne jedoch so weit zurückzugehen, nennen wir blos zunächst Nikolaus von Eötvös, welcher kaiserlicher General unter Maria Theresia war und von dieser für sich und seine Nachkommen den Freiherrenrang erhielt. Ein Sohn des eben Genannten, Baron Ignaz Eötvös, war ein hervorragender Staatsmann, der von Josef II., Leopold II., Franz I. und Ferdinand I. mit deren Vertrauen beehrt und mit wichtigen Aemtern betraut wurde. In diesem Manne, in dessen Liebe zu wissenschaftlicher Beschäftigung und zur Einsamkeit sehen wir bereits das Vorbild, das uns in seinem Enkel, unserem Dichter, verklärt wieder erscheint. Der Sohn desselben, der gleichfalls Ignaz hieß und der Vater unseres Dichters wurde, bekleidete mehrere hohe Aemter; er war Obergespan des Saroser Comitats, kaiserlicher Kämmerer, königlich ungarischer Hof-Vicekanzler, wirklicher geheimer Rath und Tavernikus. Er starb am 21. August 1851. Seine Gemahlin, die Mutter des Dichters, war eine geborene Freiin von Lilien, Sternkreuzordens- und königlich ungarische Palastdame, die 1858 in ihrem 72. Jahre starb.

Nach diesen Vorbemerkungen und Thatsachen zu dem kurzen Lebensabriß unseres Helden selbst übergehend, erwähnen wir zunächst, daß Baron Josef Eötvös am 13. September 1813 in Ofen geboren wurde. Seine Studien machte er theils zu Hause auf dem väterlichen Gute zu Erczi, im Stuhlweißenburger Comitat, theils in Ofen und Pest, und schon im Jahre 1833, also in seinem 20. Jahre, legte er während des Landtages in Preßburg das Advocaturs-Examen ab. Von dieser Zeit an, begann er die amtliche Laufbahn, die in Ungarn von den meisten jungen Leuten nach absolvirten Studien betreten wird und gewissermaßen als nationale Lebens- und Bildungsschule zu betrachten ist. Eötvös wurde nämlich im Jahre 1833 im Stuhlweißenburger Comitat zum Vice-Notär gewählt und behielt diese Stellung zwei Jahre, worauf er zur Hofkanzlei nach Wien kam und da 1836 Concipist wurde. Auf diesem Posten verblieb er jedoch nur kurze Zeit. Noch in demselben Jahre trat er eine große Reise nach Deutschland, der Schweiz, Holland, Frankreich und England an, und im Jahre 1837 heimgekehrt, übernahm er die Stelle eines Beisitzers der Districtual-Gerichtstafel in Eperies. Bald jedoch gab er auch dieses Amt auf und zog sich in die Einsamkeit des großväterlichen Gutes Sályi zurück, wo er bis 1840 hauptsächlich den Studien und der literarischen Production oblag. Von nun an haben wir es mit Eötvös, dem bedeutenden Schriftsteller und Staatsmann zu thun.

Was indeß diese letzteren anbelangt, so können wir nicht eben von dem erwähnten Jahre an weiter fortschreiten, sondern müssen um mehrere Jahre zurückgreifen, denn früh schon regte sich in Eötvös die Neigung zu dichterischer Thätigkeit. Und der Zeit, wenn auch nicht der Bedeutung nach, sind die dramatischen Versuche unseres Dichters voranzustellen. 1830 übersetzte er Goethe's ›Götz von Berlichingen‹ in's Ungarische, und ein Jahr darauf schrieb er sein erstes Original-Lustspiel: ›Die Kritiker‹, das jedoch nur im Manuscript vorhanden ist. 1832 entstand das Trauerspiel: ›Die Rache‹, das zwei Jahre später im Druck erschien, und 1833 das Lustspiel: ›Die Freien‹, das nicht veröffentlicht worden ist. 1835 ließ Eötvös eine Uebersetzung von Victor Hugo's ›Angelo‹ erscheinen, deren Vorrede Sensation erregte. Die bedeutendste unter den dramatischen Arbeiten unseres Dichters ist das aus dem Jahre 1844 herrührende Lustspiel: ›Es lebe die Gleichheit‹, das als Griff in's volle Leben seinerzeit eben so sehr von Interesse, wie von Bedeutung war. Die Geister Ungarns waren in voller Gährung, der Kampf zwischen den liberalen Tendenzen der Zeit und den hyperconservativen Anschauungen, die in den damals noch bestehenden feudalaristokratischen Verhältnissen wurzelten, war von der Entscheidung nicht mehr fern, und die liberalen Schlagworte des Tages waren bereits Vielen geläufig, die sich jedoch im Herzen dem Liberalismus der Zeit noch nicht zugewandt hatten. Diese, welche die ›Gleichheit‹ im Munde führten, aber sich selbst doch noch nicht entschließen konnten, nach diesem Princip zu handeln, trifft der lachende Spott in dem Lustspiel: ›Es lebe die Gleichheit‹, welches, nebenbei bemerkt, so gut erdacht und so gut gearbeitet ist, daß es noch vor wenigen Jahren im Nationaltheater zu Pest mit gutem Erfolg aufgeführt wurde. Uebrigens hatten schon die vor diesem Lustspiel erwähnten dramatischen Arbeiten hingereicht, um die Aufmerksamkeit der ungarischen Akademie der Wissenschaften und der Kisfaludy-Gesellschaft auf den jungen Dichter zu lenken. Beide wählten ihn im Jahre 1835 zu ihrem Mitglied.

Bedeutender waren die literarischen Produktionen des Freiherrn von Eötvös, die nach der oben erwähnten Krise entstanden. Die auf dieser gesammelten Erfahrungen, die Studien in der stillen Einsamkeit zu Sályi und das öffentliche Leben, an welchem Eötvös bald darauf mit voller Seele theilnahm, Alles brachte die herrlichen Geistesgaben des edlen jungen Mannes plötzlich zu voller Reife, und der Dichter, der Redner, der Staatsmann feierte einen Triumph nach dem andern. Die erste Gelegenheit war hierzu durch die Überschwemmung dargeboten, die im Jahre 1838 Pest verheerte. Der Verleger Gustav Heckenast, der damals selbst großen Schaden erlitt, gab zu Gunsten der Ueberschwemmten das »Árvis-könyv« (Ueberschwemmungsbuch) heraus, zu welchem die literarischen Notabilitäten Ungarns Beiträge lieferten; der bedeutendste darunter war: »Der Karthäuser.« – Die ungarische-Roman-Literatur war damals, und dies erst seit wenigen Jahren, beinahe nur durch Baron Nikolaus Jósika vertreten, der nach Walters Scotts Vorbild nationalgeschichtliche Stoffe behandelte, – der historische Roman der Ungarn war also bereits begründet; aber neu war es, die Schmerzen und Leiden der Gegenwart mit solcher Unmittelbarkeit, mit solchem Schwung, in so blühender Sprache Ausdruck gegeben zu sehen, wie im »Karthäuser«. Bot auch nicht die Heimat den Schauplatz der Erzählung, so fand der nationale Leser doch in manchen der erzählten Thatsachen, wie in vielen der geistvollen Reflexionen Anklänge, welche der kosmopolitischen Dichtung theilweise ein nationales Gepräge verleihen konnten. Selten hat ein Werk so große Sensation erregt, einen so tiefen, nachhaltigen Eindruck gemacht, wie das berühmte erste größere Werk des Freiherrn von Eötvös in Ungarn, und bei allen Lesern, welchen dieses Werk bald durch Uebersetzung zugänglich wurde.

1840 zog der Dichter von Sályi nach Ofen, und in demselben Jahre machte er zum ersten Male von seinem angeborenen Rechte Gebrauch, seinen Sitz in der Magnatentafel, dem ungarischen Oberhause, einzunehmen, und so wurde er mit in die Reformbewegung hineingezogen, in welcher Ungarn sich seit 1830 befand. Für den Fortschritt, dem er als Gesetzgeber mit bewunderter Eloquenz das Wort redete, trat er auch als Schriftsteller mit seiner glänzenden Feder ein, und in derselben Zeitperiode, in welcher er als Dichter seinen ersten größeren Triumph feierte, beginnt er auch bereits bedeutende publicistische Erfolge zu erringen. Im Jahre 1838 veröffentlichte er eine Schrift: »Votum in Angelegenheit der Gefängnißreform«, und 1840 in der »Buda-Pesti Szemle« (Pest-Ofner Revue) eine Studie über den »Pauperismus in Irland« und seine berühmte Abhandlung über die »Emancipation der Juden«. In den nächsten Jahren folgte eine Reihe von Zeitungsartikeln, in welchen er die feudal-aristokratische Verfassung bekämpfte und die 1846 unter dem Titel: »Reform« gesammelt erschienen.

Das hierauf folgende, gleich dem eben genannten bedeutende publicistische Werk: »Teendöink« (Unsere Aufgaben) zeichnete der Opposition das Programm ihres Vorgehens vor. Es liegt außerhalb unserer Aufgabe, diese publicistische Thätigkeit eingehend zu charakterisiren; wir beschränken uns daher nur darauf, zu bemerken, daß das Ziel derselben wenigstens in den Hauptgrundlagen durch die Verfassung erreicht wurde, die Ungarn im Jahre 1848 erhielt. Diese war namentlich eine Frucht des zuletzt genannten, die Aufgaben der Opposition darlegenden Werkes.

Neben seiner hiermit skizzirten politischen und publicistischen Thätigkeit vernachlässigte Eötvös nicht die belletristische; ja diese ging mit jener Hand in Hand und verfolgte zum größten Theile dieselben Ziele. Das in die Vierziger Jahre fallende Tendenz-Lustspiel: »Es lebe die Gleichheit« ist bereits oben erwähnt worden. In dieselben Jahre fallen auch die Romane: »Der Dorfnotär« (1845) und »Ungarn im Jahre 1514« in deutscher Uebersetzung (1847), unter dem Titel: »Der Bauernkrieg« bekannt. Eötvös war ein Tendenzdichter im edelsten Sinne des Wortes; er geißelte in den ersten der beiden genannten Dichtungen die Mißbräuche in der Verwaltung, und indem er in dem andern historischen Roman die im 16. Jahrhundert durch Bedrückung hervorgerufene Empörung der Bauern zum Vorwurf nahm, redete er darin der Emancipation des Bauernstandes das Wort, welche im Jahre 1848 thatsächlich erfolgte. Kurz, die Reform, welche die Verfassung Ungarns in jenem denkwürdigen Jahre erfuhr, ist – außer andern Factoren – auch eben sowohl durch die dichterische, wie durch politische Wirksamkeit des Freiherrn v. Eötvös herbeigeführt worden.

Eötvös, der viel dazu beigetragen hatte, daß am 15. März 1848 das erste ungarische verantwortliche Ministerium in's Leben gerufen wurde, erhielt auch damals das Portefeuille des Cultus- und Unterrichtsministeriums. Allein durch die Ermordung des Grafen Lamberg auf der Pest-Ofner Brücke (am 28. September 1848) sah er sich veranlaßt, seine Stelle niederzulegen und Ungarn zu verlassen. Er ging zuerst nach Wien, später nach München und kehrte erst im Jahre 1851 nach Pest zurück.

In jener Zeit entstanden die staatsphilosophischen Werke: »Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Oesterreich« und »Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat.« Später folgten auch wieder belletristische Werke, und zwar der Roman: »Die Schwestern« (1857), die »Gedichte«, die in einem 1858 erschienenen Almanach veröffentlicht wurden, und 1859 ein Cyklus kleiner Erzählungen. In der im Jahre 1858 veröffentlichten Schrift: »Die Garantien der Einheit und Macht Oesterreichs« bewies er die Nothwendigkeit des Constitutionalismus in Oesterreich und half so jene Veränderungen anbahnen, durch welche die zweite Periode seiner Thätigkeit als Staatsmann möglich wurde.

Er wurde 1861, 1865 und 1869 in seiner Vaterstadt Ofen zum Reichstags-Abgeordneten gewählt, und als 1867 das zweite ungarische verantwortliche Ministerium in's Leben trat, erhielt er abermals das Portefeuille des Cultus- und Unterrichtsministers. Der ungarischen Akademie der Wissenschaften, deren Vice-Präsident er im Jahre 1855 war, stand er seit 1866 als Präsident vor.

Groß ist die Zahl der meisterhaften Reden, die er als Deputirter und als Minister im Abgeordnetenhause, wie als Präsident der Akademie in den feierlichen Jahresversammlungen derselben hielt, und diese Reden, sowie die unter dem Titel: »Gedanken« erschienene Sammlung tiefsinniger Aphorismen und andere, kleinere Publicationen sind nicht minder, als die oben namhaft gemachten Werke, eben so viele Blätter im unverwelklichen Ruhmeskranz des Schriftstellers Eötvös.

Der weitzielenden, theilweise auch von Erfolg begleiteten Thätigkeit, welche Eötvös als Minister zur Hebung des Unterrichtswesens und zur Lösung der Kirchenverfassungs-Fragen in Ungarn entfaltete, wurde er nach mehrwöchentlicher Krankheit am, 2. Februar 1871, durch den Tod entrissen. Er starb also in seinem 58. Lebensjahre, beweint von seiner Gattin, Agnes von Rosty, mit der er seit 1842 vermählt war, von seinen Kindern (drei Töchter und ein Sohn), betrauert von seiner Nation und von Allen, die den Namen Josef Eötvös kennen, achten und lieben gelernt haben.

Ercsi, der Schauplatz der Kindheit unseres Helden, birgt in der dortigen Familiengruft die Asche desselben.


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