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... Werndt machte eine Pause. Er holte tief Atem. Ergriffenheit preßte den Kehlkopf zusammen. Mit schimmernden Blicken schaute er von dem breiten Balkon auf die Menge hinunter, die unübersehbar die Straßen durchwogte.

»Deutsche!« rief er ins Sprachrohr. Der Trichter vervielfachte die Kraft seiner Stimme. Sie flog wie ein Vogel weit über die Häupter.

»Deutsche! Ich tat meine Pflicht. Tut ihr nun die eure! Wir sind endlich frei, aber noch nicht am Endziel. Der Kampf um das Gold hat erst heute begonnen. Ihn glücklich zu Ende zu führen, wird schwer sein. Er fordert von allen, von euch harte Opfer und volles Vertrauen. Gebt mir dies Vertrauen, dann will ich euch danken ...«

Die Menge erfaßte nicht, was er sagte. Sie hörte nur oben die mächtige Stimme. Sie sah dort am Fenster den deutschen Befreier, den Märchenerfinder, und jauchzte als Antwort.

Werndt trat zurück in die inneren Räume. Saldern nickte ihm zu.

»Solche Stunden vergißt man nicht, wenn man sie lebte.

Der Ingenieur blickte ernst.

»Ich habe dieses Gefühl nicht gekannt. Die Hunderttausende zu seinen Füßen, aufjubelnd, vertrauend, und doch – – –«

Er unterbrach sich.

»Und doch?« frug der andere.

»Und doch noch nicht ahnend, daß jetzt erst die Kämpfe und Opfer beginnen. Würden sie jauchzen, wenn sie es schon wüßten?«

Auch Saldern war ernst.

»Lassen Sie ihnen den Tag ohne Trübung. Die Wirklichkeit sorgt früh genug fürs Erwachen. Hoffen wir, daß unser Volk sich so stark zeigt, wie wir es erwarten, und daß diese Massen in einigen Wochen noch einmal so jubeln und danksagen können – – Wenn alles getan ist.«

Werndt nahm seine Hand und drückte sie herzlich.

»Auf gutes Gelingen und glückliche Walstatt!«

* * *

Grandmaire war nicht der Mann, sich durch den Überraschungshieb der deutschen Regierung lange niederwerfen zu lassen. Als er mit seinem Gefolge so eilig das Fest verlassen hatte, war auch in ihm alles nur Ohnmacht und grundloses Chaos gewesen. Der Anblick der leuchtenden Goldbarren hatte seine Kampfkraft im innersten Mark getroffen. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, war er mit seinem Vertrauten nach Hause gefahren.

Die Wirkung der gewohnten Umgebung, die Befreiung von dem niederschmetternden Anblick des Goldes brachte ihn langsam wieder zur inneren Sammlung. Sein Hirn, das gewohnheitsmäßig geschult war, in Deutschlands Wesen nur Tücke und heimliche Rachsucht zu sehen, stellte sich bald wieder ganz auf den Kampf ein. Während Dupont noch völlig zerschmettert im Klubsessel lag und mit starren Augen hilflos vor sich hin sah, baute Grandmaire schon das Schachspiel der feindlichen Völker von neuem.

Was war geschehen? Deutschland hatte seine Schuld bezahlt. War das ein Unglück? Mußte der Gläubiger denn nicht nur Freude empfinden, daß er voll bezahlt war? Warum freute er sich nicht? Fast zehn lange Jahre hatte Frankreich gedrängt, gefeilscht und gedroht um diese Bezahlung. Nun war sie geschehen und alles in Ordnung. Trotzdem hatte er es als Schande empfunden, als furchtbare Drohung, als offene Tücke. Sein Gehirn hatte sich instinktiv aufgelehnt in lautem Protestruf. Wogegen? Gegen die verlangte Erfüllung? Man hatte doch nur das getan, was er selbst gefordert und immer von neuem erpreßt und gefordert. Nur das, was er wollte. Und doch rief sein Mund angstvoll – »ich protestiere!« Wie kam das? Wie war dieser Schreck zu erklären? Er wußte es selbst nicht.

Grandmaire sah schweigend und lange durchs Fenster. In dem dunklen Rahmen des leeren Kamins sammelte er seine trüben Gedanken. Geschah wirklich nur das, was er wollte? Jahrelang hatte er es geglaubt, mit Überzeugung verfochten. Der Deutsche sollte die Schulden bezahlen, so wollte das Recht es. So wollten es alle – ja, mußten es wollen, wenn sie noch an Gott und Gerechtigkeit glaubten. In keinem Augenblick war ihm ein Zweifel gekommen, daß Frankreich im Recht war. Er war sein erbittertster Kämpfer gewesen. Warum stritt er jetzt noch, wo alles erreicht war?

Unschlüssig suchte er Antwort bei Dupont. Aus dessen Sessel kam vernehmbares Schnarchen. Eingeschlafen war dieser Strohkopf, während er sich hier abrang, um Klarheit zu finden! So war es ja immer im Leben gewesen. Eine Herde von Schläfern, von Rentenbeziehern – und er, der stets Wache, der immer Bereite, der alles vorantrieb. Er hatte als Sohn eines Schreibers begonnen. Seine Jugend war Arbeit gewesen und Ehrgeiz. Nach dem Kriege war er Advokat geworden. Seine Verteidigungen waren berühmt, seine Anklagereden wie keine gefürchtet. Dann hatte ihn die Politik gepackt. Unwiderstehlich, mit Haut und mit Haaren. In ihr entdeckte er seine innerste Seele. Der Kampf um Versailles gab stets neue Nahrung. Dieser Kampf war seine Lebensaufgabe geworden, ein Stück seines Selbst. Untrennbar verwoben mit ihm und seinem Namen. Wer den Namen Grandmaire sprach, dachte dabei an Versailles. Wo man Versailles sagte, suchte man nach Grandmaire. Frankreich hatte in ihm seinen eifrigsten Wächter. Und nicht nur in Deutschland empfand man ihn als einen Henker der Deutschen. Man warf ihm oft Haß vor, vernichtende Rachsucht. Er empfand es als Unrecht. Er war überzeugt, nur für Frankreich zu kämpfen, für das, was ihm not tat, um groß dazustehen vor anderen Völkern. Für das, was es fordern mußte als Sühne. In Deutschland sah er einen Judas der Menschheit, den dreisten Barbaren, den feigen Verräter. So hatte er es als Kind in der Schule gelernt, so hatte er es auf den Universitäten gehört, wenn man dort auch ab und zu anderes lehrte. Die Feindschaft von Deutschland war das A und O jeder Politik Frankreichs gewesen, solange er sie kannte. Dieser Feindschaft verdankte er selbst seinen Aufstieg. Und das Ziel dieses Kampfes war immer Versailles, Bezahlung der Schulden, Erfüllung an Frankreich. Und heute nacht war er am Ziele gestanden. Die Schuld war bezahlt, Versailles erledigt. Warum jauchzte er nicht bei dem Anblick des Goldes? Warum fühlte er sich nicht als ruhmreichen Sieger?

Immer im gleichen Kreise drehten sich seine Gedanken, rieben sich wund aneinander und brannten wie zahllose schmerzende Pfeile.

Hatte er doch für etwas Fremdes gekämpft? Für etwas anderes, als er stets geglaubt? War Versailles für ihn mehr als die Goldschuld gewesen? Während er sich frug, gab sein Herz ihm schon Antwort.

Ja! schrie es auf. Nicht Bezahlung war Endziel. Ziel war die Vernichtung! Die Vernichtung des Gegners, des blutfremden Deutschen. Weil er an die Möglichkeit der Erfüllung nie ernsthaft geglaubt, hatte er sie tagtäglich erbittert gefordert. Immer und immer wieder hatte er neue Forderungen ersonnen, in der Hoffnung, den Gegner nun stürzen zu sehen. Auf den Zusammenbruch waren all seine Nerven dressiert. Durch die Erbschaft des Blutes, durch Land und Erziehung. Und immer wieder war dieser Fangstoß mißlungen! Immer wieder hatte der Feind sich unfaßbar entzogen, das Letzte geleistet, verzweifelnd getragen. Jedes Ja auf Verbohrtes, jede neue Erfüllung haßtoller Befehle war ihm, Frankreichs Führer, Enttäuschung gewesen. Gewollte Verhöhnung, untragbare Kränkung, die neue und schärfere Sühne verlangte. Er hatte nach Nein bei dem Gegner geschrien wie nach der Erlösung. Sie war nie gekommen!

Und jetzt war das Letzte, Undenkbare Wahrheit! Die Schuld war beglichen, Versailles erledigt, das Recht, dieses Volk zu vernichten, erloschen. – Erst jetzt wußte Grandmaire, daß er haßte. Voll Inbrunst, in Qualen. Und das warf ihn nieder. Er hielt leise stöhnend die hämmernden Schläfen. Wütend sah er auf Dupont. Warum hatte der ihn nicht einmal gewarnt?! Weshalb hatte er nie die Wahrheit erkannt? Würde es diesen Menschen da überhaupt grämen, wenn er sie wüßte? Gewiß nicht. Er haßte aus Trägheit.

Grandmaire fiel in den Sessel und starrte sein Bild an.

Also hatte er für eine falsche Sache gekämpft und Qualen gelitten. Also hatte die Welt recht gehabt, die in ihm eine Bestie erkannte, voll gierigem Bluthaß. Also war sein Leben, sein Reden, sein Handeln nur Täuschung gewesen, nur Lüge und Rachsucht!

Nein! schrie er auf. Was ich tat, war die Wahrheit. Ich glaubte das, was ich sagte. Ich war überzeugt davon, daß ich im Recht war. Ich liebte mein Vaterland wie kein Franzose. Napoleon Bonaparte allein ausgenommen.

Auch er endete als Besiegter! höhnten seine Gedanken. Vielleicht wartet deiner St. Helena schon. Bonaparte erstarrte beim Anblick des brennenden Moskaus. Für dich war das flammende Gold die Vernichtung.

Grandmaires Augen brannten. Gefühllos sah er die Dämmerung hinter den Fenstern.

Mein letzter Tag ist erwacht, dachte er grübelnd. Wofür soll ich noch kämpfen? Wo ist noch ein Kampfziel? Grandmaire war Versailles. Versailles ist erledigt. Ich, der gefürchtetste, mächtigste Staatsmann der Welt, bin seit heute ein wandernder Schatten geworden. Ein Stück für Museen. Ein Spott für die Feinde ...

Mit einem Ruck hob er sich im Sessel und ging nach dem Schreibtisch. Kalt und geschäftsmäßig schloß er ein Fach auf und nahm den Revolver. Die ersten Sonnenstrahlen fielen ins Zimmer. Ruhig hob Grandmaire die Waffe zur Schläfe. Ruhig setzte er ab. Wie ein Erstaunen ging es durch sein Antlitz.

War er wahnsinnig? Was wollte er tun? War denn alles zu Ende? Was hatte sich denn an dem Endziel geändert? Gab es denn kein Mittel mehr, Deutschland zu treffen, dies Volk zu vernichten, trotz seiner Milliarden? Durch seine Milliarden! – Krieg! schrie seine Seele. Krieg heißt die Losung!

Krieg? Jetzt? warf sein Hirn ein. Wo alles bezahlt ist? Wer wird dir noch folgen, wenn du Frankreich aufrufst?

Alle! Alle! rief es zurück. Sie sind ja Franzosen und hassen das Deutsche aus innerstem Herzen. Als Erben des Blutes. Sie müssen dir folgen. Es ist ihr Verhängnis!

Wie aber begründen? Begründen? Was klarer?! Braucht Bluthaß denn Gründe? Sie werden sich finden wie Muscheln im Meere. Ist die Bezahlung nicht Grund in sich selber geworden? Ist deine Politik, all dein Reden nicht glänzend bestätigt, nicht schlagend bewiesen? Wie wurde den Deutschen die Rückzahlung möglich? Wie konnten sie diesen ungeheueren Reichtum an einem Tag zahlen? In lauterem Golde? Nur durch ihre Falschheit, durch dreistes Betrügen! Sie stellten sich arm hin und waren noch reicher, als wir es behauptet. Sie flehten um Schonung, bis man ihre Schulden noch einmal ermäßigt. Sie lebten wie Bettler und sammelten Gold an. Und als man es hatte, warf man es uns höhnisch auf einmal zu Füßen. Da – seht eure Torheit, uns Deutschen zu trauen! Da habt ihr den Bettel! Fast hundert Milliarden –! Nun sind wir die Herren!

Halt! rief Grandmaire so laut vor sich hin, daß Dupont im Schlummer zusammenzuckte. Ihr seid es noch nicht! Jetzt haben wir, Frankreich, die Goldmilliarden. Ihr seid zwar befreit von den Schulden, doch Bettler. Frankreich, das goldreichste Land auf der Erde, der Wirtschaftsdiktator, das mächtigste Landheer –

Hélas! schrie er wie in Erleuchtung und schlug Dupont lachend die Hand auf die Schulter, daß dieser wild auffuhr ...

»Der Sieg ist gesichert! – Allons, an die Arbeit!«

* * *

Grandmaire nahm ohne Zögern den Kampf wieder auf. Eine fieberhafte Unruhe hatte ihn erfaßt. Er fühlte sich selber um Jahre verjüngt durch den Rausch seines Blutes. Über eine Stunde lang telefonierte er drahtlos mit dem abwesenden Präsidenten der Republik. Der Absicht des höchsten Vertreters Frankreichs, sofort nach Paris zurückzukehren, widersprach er mit Schärfe. Es mußte jedes Aufsehen vermieden werden, wenn der Plan Grandmaires gelingen sollte. Und Präsident Dulac war froh, die Verantwortung für diesen Ringkampf auf die Schultern des Größeren legen zu können. Seine Zeit als der oberste Mann seines Landes war doch schon bemessen. Daß Grandmaire sein Nachfolger würde, bezweifelte niemand.

Um elf Uhr vormittags war die geheime Beratung der Minister und der parlamentarischen Führer –. Da sie ausnahmslos dem Fest beigewohnt hatten, waren sie alle im Bilde und warteten nur auf die Weisung des Meisters. Sie fanden Grandmaire auf der Höhe des Siegers. Seine Politik war selbst vor seinen Gegnern bestätigt. Man beugte sich willig dem stärkeren Willen.

Grandmaire fuhr unbewegten Blicks durch die wogende Menge, die sich in den Straßen der Seinestadt drängte. Die Nachricht der Nacht trieb das Volk aus den Häusern. Ein Goldrausch hatte die Menschen gepackt. Grandmaire war gewillt, diesen Taumel zu nutzen.

In seinem Palais erwarteten ihn schon Vertreter der Presse. Er instruierte sie selbst. Nach der gleichen Parole: Frankreich nimmt unter Vorbehalt an, behält sich die nähere Prüfung noch vor, wodurch Deutschland plötzlich zu Goldschätzen kam. Von dem Ergebnis dieser Prüfung hänge jede weitere Maßnahme ab. Frankreich wahre sich ausdrücklich Recht zum Protest.

Im Arbeitszimmer stieß er auf Dupont.

»Neues?« fragte er kurz.

»Der deutsche Gesandte hat Paris im Flugzeug verlassen.«

Grandmaire lächelte grausam. Deutlich erschien ihm als Vision das glatte Gesicht des jüngeren Gegners. Er sah es verzerrt zur teuflischen Fratze. Es war ihm zum Sinnbild des Deutschen geworden. Oh, wie er es haßte!

Dupont trippelte von einem Fuß auf den anderen. Er hatte sichtbar etwas auf dem Herzen. Seine sonst matten Augen triumphierten. Der andere sah diesen Blick.

»Was gibt's sonst noch?«

Der Außenchef rückte sich in seinen Hüften. Er machte ein schlaues, verschmitztes Gesicht.

»Die Deutschen haben sich doch noch verrechnet. Es stimmt noch nicht alles.«

»Wieso –? Was?«

»Nach dem Geheimvertrag haben sie noch zehn Milliarden zu zahlen. Solange die fehlen –«

Grandmaire kniff die Lippen.

»Sind ebenfalls schon bei der Bank eingezahlt. Hatte mich schon erkundigt. Es lag ja zu nahe.«

Der Glanz in den Augen des anderen erlosch in Enttäuschung. Sein Chef ging zum Schreibtisch.

»Ist auch nicht mehr nötig. Wir können es anders. – Der Direktor der Münze – –?«

»Wartet im Vorzimmer.«

»Bitte!«

Grandmaire bot Monsieur Blanc einen Sessel.

»Herr Direktor,« sagte er freundlich. »Es gibt scharfe Arbeit.«

Der andere griff nach Notizbuch und Bleistift.

»Will die Regierung neue Münzen ausgeben?«

»Hier, bitte die Vollmacht. Es bleibt bis auf weiteres alles Geheimnis – –«

»Eh bien – ich verstehe. In welchem Metall soll die Prägung erfolgen?«

»In Gold. Hundert Franken, das Bild von Versailles.«

Der Blick des Direktors fing freudiges Feuer.

»Herr Präsident – –! Dieser Triumph! Dieser Reichtum!«

Grandmaire winkte ab. Er sah nach der Standuhr.

Sofort verstand Monsieur Blanc und erhob sich vom Sessel.

»Welchen Betrag soll ich prägen?«

»Siebzig Milliarden!« sagte Grandmaire ohne Zucken der Wimper. Nur seine Habichtaugen stachen und flammten.

Dem Direktor blieb der Mund offenstehen.

»Siebzig – – –?!«

»Siebzig Milliarden in Hundertfranc-Stücken,« wiederholte der andere. »Ich bitte bis morgen um nähere Meldung, wieviel Zeit die Münzen zur Ausprägung brauchen. Hundert neue Maschinen sind dazu bewilligt. Vorschläge, die einer Beschleunigung dienen, sind jederzeit an mich persönlich zu richten. Bon jour, Herr Direktor ...«

Der dicke Franzose fand sich vor der Türe, bevor er es wußte. Sein Hirn drehte sich rund.

»Siebzig Mil–liar–den ... Siebzig Milliarden ...!« keuchte er tonlos.

»Nanu – – so verdattert, mon cher directeur?« schreckte ihn eine weibliche Stimme im Vorraum.

Eine zierliche Gestalt huschte an ihm vorbei. Er sah in ein lachendes, weißes Gesicht.

War das nicht die Tänzerin Lylia Ré, das rassige Vollblut, die teuerste, große Kokotte von Frankreich? Ehe er darüber klar sah, war sie in der Türe des Präsidentenzimmers verschwunden.

Er hatte sich nicht versehen. Grandmaire empfing die Tänzerin wie eine alte Bekannte. Ritterlich schob er ihr einen Klubsessel hin.

Sie lächelte ihn spöttisch an.

»So liebenswürdig, so charmant, Präsident? Also brauchen Sie mich.«

»Frankreich braucht Sie.«

»Ah!« machte sie nur. »Aber ich habe das Spionieren so satt!«

Grandmaire zuckte nervös, doch fing er sich schnell.

»Es wird das letztemal sein, chère amie. Ihr Meisterstück. Es wird Ihren Namen berühmt machen für alle Zeit.«

»Das ist er bereits.«

»Durch Schönheit, gewiß. Doch Schönheit vergeht.«

Sie trommelte mit den kostbar beringten Fingern auf der Lehne ein Lied.

»Sie sind unliebenswürdig, Monsieur.«

»Aber wahr. – Ich möchte Ihnen eine größere Berühmtheit verleihen. Sie sind eine Meisterin Ihres Fachs ...«

Sie lächelte fein.

»Der Liebe? Vielleicht ...«

»Auch das. Und der hohen geheimen, politischen Kunst, Spionage genannt. Frankreich wird nie vergessen, welche Dienste es Ihnen verdankt.«

»Eh bien. Sie haben mir manche Unannehmlichkeiten gebracht.«

»Aber das Bewußtsein, dem Vaterlande einen unschätzbaren Dienst erwiesen zu haben, die Ehre –«

Sie fiel lebhaft ein.

»Niemand weiß, was ich tat. Warum nicht, Präsident? Warum sprechen nicht alle Zeitungen davon?«

»Tiens. Es mußte so sein. Sie werden es tun, wenn Sie auch noch das Letzte für Frankreich gewagt –«

»Ich habe immer das Letzte getan. Ich habe mein Leben gewagt.«

»Dafür will ich Ihnen danken. Wenn Ihnen auch noch dieser Auftrag gelingt, wird Ihr Name in aller Mund sein. Man wird Sie neben Jeanne d'Arc stellen, die Retterin Frankreichs – –«

Lylia sah spöttisch auf seinen Mund.

»Jetzt fehlt nur noch die Heiligsprechung, Monsieur ...«

Grandmaire wehrte schroff ab.

»Ich spreche im Ernst. Sie können für Frankreich zur Retterin werden.«

Unwillkürlich unterbrach sie das Wippen des zierlichen Fußes. Sie nahm die schlanken Beine voneinander. Sie war interessiert.

»Wie lautet der Auftrag?«

»In Deutschland werden in Kürze Unruhen entstehen. Deutschland wird voraussichtlich Krieg führen müssen ...«

»Mit uns?«

»Weiß ich nicht.«

»Ich verstehe. Also weiter. Was soll ich dabei tun?«

»Die französische Propaganda muß wieder wie damals im Weltkriege wirken. In noch größerem Maßstab. Für die Zentrale in Deutschland brauchen wir eine ganz sichere Kraft. Möglichst eine Frau. Eine Meisterin in ihrem Fach, unverdächtig und schön. Verführerisch schön wie Sie, Lylia ...!«

Sie legte das Bein wieder über das Knie.

»Wen soll ich verführen?« gähnte sie hinter der offenen Hand.

»Monsieur Breitner.«

»Wer ist dieser Mann? Ich kenne ihn nicht.«

»Ein deutscher Kommunist. Das heißt, der Führer der Kommunisten. Sie müssen ihn ganz in Ihre Hand bekommen. Er muß Ihr Sklave werden. Sie müssen ihm alle Geheimnisse der deutschen Regierung entlocken, die er als Abgeordneter kennt. Sie müssen ihn zum Werkzeug Frankreichs machen, damit er die Menge aufhetzt, Deutschlands Untergrund höhlt, seine Kraft untergräbt. Die Arbeiter glauben in Deutschland an ihn.«

Sie blickte enttäuscht.

»Und das nennen Sie eine große Aufgabe für mich? Eine Choristin der Opéra macht das doch auch.«

»Nein. Wäre das wirklich der Fall, würde die französische Regierung sich die Summen wohl sparen. Es hängt von dem Gelingen des Planes Frankreichs Wohlergehen ab. Deutschlands Sieg oder Ende. Die Regierung ist bereit, diesen Dienst fürstlich zu lohnen.«

»Monsieur Mack gibt mir eine Revenu von fünfhunderttausend Francs. Ich habe eine Rente von eineinhalb Millionen.«

»Ich weiß. Ich biete Ihnen zehn Millionen, mon coeur.«

»Tiens.«

Ihre großen Augen blitzten habgierig auf. Doch nur einen Augenblick lang. Dann sah sie unschlüssig an ihm vorbei.

»Ich kann nicht fort von Paris.«

Grandmaire ging auf sie zu.

»Sie haben einen Freund?«

»Ja – wir lieben uns sehr.«

»Wer ist es? Pardon – was ist sein Beruf?«

»Attaché militair.«

Der Präsident überlegte einen Augenblick.

»Bien. Vielleicht könnte man ihn mitschicken. Ihm eine ähnliche Aufgabe stellen.« Er unterbrach sich sofort. – »Nein, das geht diesmal nicht. Er würde eifersüchtig werden und alles wäre gefährdet. Sie werden allein gehen müssen. Für einige Wochen verzichten.«

Sie spielte nachdenklich mit einem Ring.

»Zehn Millionen!« drängte er nach.

Ihr Auge war feucht.

»Ich liebte nicht oft!«

»Sie lieben Frankreich noch mehr. In längstens drei Monaten sind Sie zurück.«

»Drei Monate,« stöhnte sie auf. »Und was tut mein Raoul, wenn er ohne mich ist?«

»Er wird Sie mit Stolz und Sehnsucht erwarten. In drei Monaten sind Sie die gefeiertste Frau in Paris, in der Welt, Lylia. Ihr Freund wird zu Ihren Füßen liegen – – –«

Sie wand sich, als zerre man an ihrem Herzen.

»Ich kann nicht, Monsieur – –! Ich sterbe dabei!«

Grandmaires Habichtgesicht wurde steinern und hart.

»Dann wird sich Justine Delavard glücklich schätzen, es für Sie zu tun. Sie wird in einigen Wochen statt Ihrer im Triumph in Paris einziehen. Ganz Paris wird sie anbeten. Ihr Raoul wohl dabei –. Er ist ja Franzose und lebt für sein Land. Jeder wird von Justine sprechen. Niemand denkt mehr an Sie. Justine wird in den Augen der Welt die begehrteste Frau. Ihre Siegerin sein – – – Sie werden Raoul für immer verlieren – –, nicht nur kurze Wochen – –«

Sie stand, ihre Hand auf den Busen gepreßt. Das schöne Gesicht war von Tränen benäßt.

»Haben Sie Erbarmen, Präsident!« stammelte sie.

Er drückte einen Knopf. Eine Klingel klang auf.

»Mademoiselle Delavard!« rief er dem Diener voll Ungeduld zu.

Die Tänzerin hielt ihn aufweinend zurück. Wie eine wildschöne Katze sprang sie ihn an.

»Nein – warten Sie noch! Das – jamais – nein, das wäre mein Tod!«

Er lächelte hart.

»Sie sind also bereit?«

Noch einmal sah sie sich wie schutzflehend um. Wie ein gefangenes Tier.

»Es muß also sein?«

»Es muß, Lylia!«

Da gab sie ihm schluchzend die zitternde Hand.

»Raoul!« stöhnte sie auf.

Grandmaire strich ihr liebkosend das schöne Gesicht.

»Es ist gut,« sagte er nach dem Diener zurück. Die Türe fiel wie ein Verhängnis ins Schloß.

»Es ist gut,« sagte er nochmals, wie leise gerührt.

Dann küßte er Lylia stumm auf den Mund.

* * *

... Doktor Werndt lehnte sich in seinen Schreibstuhl zurück und schloß wie zu innerer Sammlung die Augen. Dann sah er befriedigt den vortragenden Rat an, der wartend bereit stand.

»Es stimmt, das Exempel. Bisher geht alles so wie ich es dachte. Was macht Sie da stutzig?«

Regierungsrat Glasschneider nahm das Konzept auf.

»Die Haltung der Mark. Sie macht ja unglaubliche Sprünge seit gestern. Zuerst diese Hausse war ja zu erwarten. Die Bezahlung der Schulden an Frankreich und England gab dafür Erklärung. Auch der langsame Rückgang, der bald darauf folgte. Man hat sich gefaßt und sich einfach besonnen, daß Deutschland noch innere Schulden besessen, die hoch genug bleiben. Der Frank und das Pfund stiegen auch ganz normal. Der plötzliche Goldreichtum in Frankreich und England mußte sich geltend machen, gewiß. Aber jetzt dieser Sturz! Etwas stimmt dabei nicht.«

Werndt schien nicht erstaunt.

»Ganz meine Ansicht. Ich erwartete diesen Rückschlag der Mark seit zwei Tagen. Das Auswärtige Amt wird schon Näheres wissen.« Er griff nach dem Hörer. »Freiherr v. Saldern! Ja, bitte persönlich. – Hier Werndt. Haben Sie neue Nachricht aus Frankreich? Ein Brief unterwegs? Desto besser. – Ich warte.«

Im gleichen Augenblick klopfte es kurz. Ein Kurier übergab ein versiegeltes Schreiben. Werndt las es genau.

»Ich lasse danken. Es stimmt so.«

Der Kurier ging hinaus.

»Es geht los mit der Mark,« sagte Werndt zu Glasschneider gewendet.

»Exzellenz haben Nachrichten?«

»Ja, Grandmaire ist an der Arbeit. Eben war Freiherr v. Saldern beim Reichskanzler. Frankreich verlangt Nachweise über die Herkunft des Goldes. Auf der Pariser Börse wurde das Stichwort ausgegeben, meine Entdeckung sei Schwindel. Eine einfache Finte, den Betrug zu verdecken. Deutschland nehme das Gold aus natürlichen Lagern des Erzgebirges. Oder es habe den Reichtum schon immer besessen und einfach verheimlicht. Bei der ganzen Psyche Grandmaires glaubt er das vielleicht wirklich. Bezeichnenderweise ging die Parole sofort auch nach England, Newyork und Tokio. Der Rückgang der Mark nahm damit seinen Anfang.«

»War das schon der Hauptstoß?«

»Das nicht. Nur das Vorspiel. Der weitere Hauptzug ist dann gleich geschehen. Grandmaire wirft das Gold auf den Geldmarkt. Wir haben die Nachricht erst eben erhalten. Durch einen Agenten. Siebzig Milliarden in Hundertfrank-Stücken werden aus unserem Golde gemünzt.«

Der Regierungsrat zuckte zusammen und stand wie verdonnert.

Werndt schrieb lange Zahlen. Er rechnete ruhig.

»Das ist gut,« sagte er endlich. »Grandmaire ist kein Stümper. Er geht schneidig vor. Das beschleunigt den Endkampf.«

Der Regierungsrat blickte besorgt.

»Sie nennen das gut? Wenn die siebzig Milliarden die Welt überschwemmen?«

»Fünfundneunzig Milliarden,« berichtigte Werndt ihn. »Denn England wird folgen. Wahrscheinlich auch andere mit ihren Reserven. Es wird bald Goldmünzen regnen.«

»Aber dann sind wir in Deutschland doch einfach verloren! Dieser wirtschaftliche Druck! Unser Papiergeld gegen fast hundert Milliarden in Gold. Selbst wenn wir heute begännen, neues Gold zu erzeugen. Bis dieses gelungen, verschickt und gemünzt ist, vergehen noch Wochen. In der Zwischenzeit sind wir mit unseren Milliarden erschlagen.«

Er war außer Fassung vor dieser Erkenntnis.

»So kalkuliert Herr Grandmaire. Ich muß ihn enttäuschen. Und Sie kann ich trösten. Wir sind schon gerüstet. Nehmen Sie dieses rote Kuvert. Im Amts-Safe der Reichsbank finden Sie gleiche in großen Paketen. Sie gehen heute noch ab, an ihre Adressen. Es sind die Weisungen an alle Banken und Postämter Deutschlands. Die versiegelten Ballen, mit dem, was uns not tut, sind dort schon seit Wochen vertraulich gelagert. Kein Mensch ahnt bis heute, was sie wohl enthalten. Ausgenommen die Regierung. Grandmaire wird sich freuen.

»Goldmünzen?« fragte Glasschneider hoffend.

»Goldmünzen,« gab Werndt froh zurück. »Fünfundneunzig Milliarden.«

* * *

Von allen Ecken flammten die gelben Plakate.

»Ab 1. Juli Ausgabe der neuen Goldmünzen in Zehnmark- und Zwanzigmarkstücken. Umtausch gegen Papiergeld von 50, 100 und 1000 Mark. Ab 10. Juli Ausgabe der neuen Fünfzigmarkstücke in Gold. Der Umtausch erfolgt bei jeder Bank oder Poststelle des Deutschen Reiches.«

In langen Reihen standen die Menschen an, vom frühesten Morgen bis spät in den Abend. Vor den Bankhäusern und vor den Postämtern. In Berlin wie in München, in Dresden und Leipzig, in Frankfurt und Breslau. In den Städten und fern in den winzigsten Dörfern, wo Poststellen waren.

Ein Goldtaumel hatte die Menschen erfaßt, wie drüben in Frankreich. Jeder wollte als erster die Goldstücke haben. Man bebte vor Furcht, daß der Goldstrom versiege, bevor man ihn auffing. Daß man für den Umtausch zu spät kommen könne. Jeden Abend schlossen sich ratternd die eisernen Gitter vor Tausenden Menschen. Doch morgens begann dann der Goldstrom von neuem. Es gab keine Stockung. Wie ein Ungeheuer fraß das Land alles Papiergeld mit tausenden Mäulern und spie rotes Gold aus in endlosen Mengen, in hundert Milliarden. Wie glühende Lava, die alles bedeckte. Zwei Wochen hindurch schon. Dann floß der Strom träger. Das Land war gesättigt, das Volk war befriedigt. Es schwamm in der Goldflut, noch trunken vom Goldrausch.

* * *

Während draußen das Volk um die Goldstücke raufte, ging es in den Börsen zu wie in einem Tollhaus. Die Kurse beschrieben irrsinnige Kurven. Sie sprangen und fielen wie ein Barometer, das abwechselnd Hölle und Nordpol vertauschte.

Der Devisenmarkt hatte die Führung beim Veitstanz. Jedes Verhältnis der Geldwerte wechselte täglich. Die übliche Skala der irdischen Länder fiel jäh auseinander und kam nicht in Ordnung. Ein Gerücht, ein Gefühl, eine Schätzung genügte, das mühsam Erreichte in Scherben zu werfen. Berlin kalkulierte ganz anders als Brüssel. Paris stritt mit London, Newyork und Tokio. Dann wählte man schließlich Berlin als den Maßstab.

Doch auch in Berlin war die Börse ein Zerrbild, das sich aus den rollenden Goldströmen abhob. Auf die Nachricht, daß Deutschland die Schuld von Versailles bezahlte, begann eine Hausse in Mark ohnegleichen. Der Kurs kletterte, sprang, schoß unaufhaltsam wie toll in die Höhe. Wer Mark hatte, gewann in Minuten aus nichts ein Vermögen. Gleichzeitig jagten auch Franken und Pfund steil nach oben. Besonders die Franken. Amerika warf neues Gold in die Räder, den Kurssturz zu bremsen, und hielt sich als goldreiches Land nur mit Mühe auf etwa der früheren Höhe mit England. Doch stürzte der Dollar in Deutschland und Frankreich und war nicht zu halten. Newyork, das gewöhnt war, die Mark für Bruchteile eines Cents zu erwerben, sah sich über Nacht um Milliarden geschädigt. Das Friedensverhältnis der Mark kam stets näher. Am schlimmsten erging es den goldarmen Ländern, wie Holland und Rußland, Skandinavien, Italien, Japan und China. Ihr Geld sank im Kurse, wie plötzlich erschlagen. Eine ungeheure Erregung lief um die Erde. Die Börsenbesucher vergaßen das Leben und wußten nicht, was vor dem Börsentor vorging. Man mußte die Börsenzeit zweimal verlängern. Man aß in der Börse. Man jagte im Auto vom Heim in die Börse, und wieder nach Hause. Man träumte von Kursen, Effekten, Devisen. Man dachte nichts anderes.

Im Effektensaal ging es nicht besser. Nur im umgekehrten Verhältnis. Wenn die Mark stieg, so fielen die Aktien um hundert, um tausend. Sie sanken auf Pari und kletterten wieder, sobald Frank und Pfund sich nach oben erholten. Kein Kaufmann, kein Industrieller der Erde wußte im voraus, ob er heute reich war, ob morgen ein Bettler. Spekulationswut griff furchtbar um sich. Das Volk wurde hörig. Ein Börsenfieber packte die Menschen, wie kurz nach dem Kriege, nach 1920. Nur namenlos größer, berauschender, toller. Der Wahnsinn der Börsen griff rings um die Erde Er fiel wie ein Tier über Städte und Dörfer und fraß wie ein Gift alles ruhige Denken. Die Arbeit stand still. Man verließ die Fabriken, Büros und Kasernen, um zu spekulieren. Gold war das Gebet, war der Fluch, war der Segen. Gold dachte Europa, Amerika, Asien – Gold herrschte als Sieger im Osten und Westen, im Norden und Süden, wie niemals auf Erden. Vierzehn Tage hatten genügt, die Welt durch das Gold in ein Tollhaus zu wandeln ...

Freiherr v. Saldern bedurfte seiner ganzen Energie, um in diesem Taumel die Nerven zu wahren. Immer von neuem setzte der Anblick des irdischen Chaos ihn vor harte Proben. Dem Reichskanzler Brettscheid ging es nicht besser. Nur Zieten vertraute blindwütig dem Manne, der diesen Kampf über der Erde entfesselt.

Täglich trafen sich alle Minister in Werndts Arbeitszimmer, das immer mehr Mittelpunkt dieses Kampfes wurde. In den Augen des jungen Erfinders fand man die Besinnung, das neue Vertrauen, gewann man die Kampfkraft in all diesen Stürmen.

Besonders v. Saldern kam nicht aus den Sorgen. Grandmaire bombardierte das Amt mit den drohendsten Noten. Nichts hatte sich seit der Bezahlung geändert an Deutschlands Bedrückung. Auf Deutschlands Begehren, das Rheinland zu räumen, kam höhnische Antwort. Zum Wahnsinn der Börsen kam Wahnsinn des Hasses. Immer öfter trat Saldern vor Werndt hin, in Kummer und Aufruhr, um Rat zu erbitten.

»War das Ihr Wille, als Sie das Gold schufen?« fragte er einmal.

Werndt sah ihm mit sicherem Blick in die Augen.

»Es ist nur der Kampf um das Gold, lieber Freiherr. Er hat jetzt begonnen. Das Gold hat Jahrtausende um sich gewütet, und muß seine Zeit wie ein Sterbender haben. Es wehrt sich verzweifelt. Es wird ihm nichts nützen.«

»Und wenn dieser Kampf noch Jahrtausende dauert?«

»Haben Sie Vertrauen?« frug der andere langsam.

»Ja, ja!« machte Saldern. »Es ist nur so furchtbar, so über die Kraft eines menschlichen Hirnes!«

Werndt blickte ihm sorgenvoll nach. Auch er war ernst geworden. Noch schmäler als früher. Aus seinem Gesicht wich der steinerne Zug nicht. Er sprach nur das Notwendigste mit der Umgebung. Seine Adleraugen blickten jetzt oft übernächtigt.

Und doch war er ruhig. Er hatte dies alles ja kommen gesehen. Durchdacht bis zum letzten, in langen fünf Jahren, in russischen Nächten, bei Experimenten, im einsamen Flugzeug. Nun setzte er jede Figur, wie ein Spieler. Im Schachspiel um Deutschland, ums Glück dieser Erde.

Als die Mark wie ein Luftballon stieg, zeigte es sich, daß die neue Regierung auf seinen Rat vor dem Tag von Versailles ungeheure Summen in Mark gekauft hatte. Zum niedrigsten Kurse, durch tausend Agenten, im weitesten Ausland. Aus den Milliardengewinnen beim Kurssprung schuf Werndt sich Reserven mit heimlichen Zielen.

Die Einziehung aller Zehn- und Zwanzigmarkscheine im Anfang des Juni hatte die ungedeckte Schuld um Milliarden vermindert, ohne Verdacht zu erwecken. Der Umtausch in Gold hob die Mark auf den Nennwert und machte Berlin zu dem Pol aller Börsen. Der Markkurs regierte die Börsen der Erde, wie früher der Dollar, so sehr er auch schwankte.

Als die Devisen der anderen Länder jäh fielen, kaufte Werndt Gulden und Kronen und Lei auf. Die ganzen Reserven warf er in das Ausland und wurde der Gläubiger von Milliarden und Abermilliarden in fremder Valuta. Wozu er sie brauchte, blieb noch sein Geheimnis. Er schob seine Läufer und sah stumm nach Frankreich ...

* * *

»Heute! Heute!« schrien die meterhohen Plakate. »Pünktlich abends acht Uhr. Im Zirkus Busch. Vortrag Johannes Breitner. M. d. R. (K. P. D.) Das Goldgift Werndts. Ein Verbrechen am Volke ...«

Noch lange nach Beginn der Versammlung stritten sich Männer und Frauen am Eingang des Zirkus. Die riesige Halle war bis an die Decke gefüllt bis zum Bersten. Die sechsfach verstärkte Polizei war ganz machtlos. Unübersehbar standen die Menschen, bis weit in die Straßen. Kommunistische Platzordner gingen herum und warfen Flugblätter in dicken Paketen. Parallelversammlungen in den vier größten Sälen der Hauptstadt bot man als Trost aus. Es half erst allmählich. Es dauerte lange, bis alle da draußen sich endlich zerstreuten, und sich auf die anderen Säle verteilten.

Im inneren Zirkus schwoll brodelnder Lärm auf und wurde gleich wieder zu brennender Stille. Jeder war hier Partei. Jeden trafen die Worte, die dort von den Lippen des Volksführers fielen, wie peitschende Schläge. Was hier fiebernd saß, um den glänzendsten Redner der Hauptstadt zu hören, war nicht die Partei, nicht die Hefe des Volkes. Das Volk selber horchte. Das Volk war gekommen, um endlich zu wissen, was in der Welt vorging, was man oben wollte. Wer Werndt war, der Goldmann, der in einer Stunde die Welt umgeworfen. Da von der Regierung die Aufklärung ausblieb, lief man zu dem Manne, der sie stets bekämpfte. Der stets informiert war. Man mußte ihn hören. Sein Bild wuchs im Volke zu einem Titanen, zu dem man in Furcht und Bewunderung aufsah.

Breitner wußte: dies war seine Nacht. In dieser Nacht sprach er zum erstenmal zu ihnen allen. Nicht nur zu den wenigen, die ihm sonst folgten. Hier saßen die Freunde dicht neben den Gegnern. Der Arbeiter neben dem Kaufmann und Künstler. Die Waschfrau, das Dienstmädchen neben der Gräfin. Sie alle waren jetzt Opfer geworden. Das Gold warf die Klassenwand über den Haufen. Hier war jeder einzelne plötzlich entwurzelt. Wer heute noch reich schien, war morgen ein Bettler. Wer heute noch darbte, fuhr morgen im Auto.

Breitner stand, beide Hände am Stehpulte, den Kopf mit der niedrigen Stirn vorgeschoben, die funkelnden Augen wie stechende Dolche.

»Das ist euer Werndt, dem ihr zugejubelt in sündhafter Torheit! Ein Sendling der Hölle, ein Mörder der Erde, ein Vampyr, der Gold speit und Menschenblut aussaugt. Ihr Armen, ihr Opfer teuflischer Verderbtheit!

Was dieser Mann wollte, fragt ihr mich alle. Er sagt, daß er Deutschland aus Knechtschaft befreie. Ist das die Befreiung, die wir jetzt erleben? Wo ist die Befreiung? Was hat sich geändert? Noch steht Frankreichs Heer unvermindert im Rheinland. Was anders wird, sieht man: die Welt wird zum Tollhaus! Kein Mensch ist mehr sicher, im Wahnsinn der Zeiten. Der Kapitalismus herrscht jetzt ohne Schranken. Die Schieber und Wucherer baden in Blutgold. Doch was wird aus euch, die ihr nur von der Arbeit, von sauer Erspartem euch ehrlich ernährtet? Was wird aus euch werden? Ich will es euch sagen: Er wird euch ersticken. Er wird euch vernichten, der Goldmann da oben, der große Erfinder, der neueste Herrgott! So seht doch nur um euch! Was nennt ihr Befreiung? Ihr denkt an die Preise. Ihr freutet euch alle, als sie plötzlich fielen. Ihr kamt euch so reich vor. Ihr warft mit dem Gold um euch, bis es dahin war. Doch was tat der Kaufmann? Er saß auf den Waren, den riesigen Lagern, die er mit Papiermark bezahlt und erworben. Da saß er – und weinte und riß sich die Haare! Er war über Nacht arm wie Hiob geworden!«

Ein Brausen der Zustimmung lief durch den Zirkus. Rufe ertönten. Dann lauschte man weiter in größter Erregung.

»Was sollte der Mann mit den Sachen jetzt machen? Sie zu einem Bruchteil des Wertes verkaufen? Millionen von Mark schon beim Einkauf verlieren? Von einem Gewinn überhaupt nicht zu reden. Wer nahm ihm das Zeug ab? Je länger er brauchte, um sich zu entschließen, desto sicherer wuchs sein Verlust mit der Einfuhr der neueren Ware. So ging es dem Kaufmann. Wie ging es anderen? Der Fabrikant teilte das nämliche Schicksal. Auch sein Geld lag fest in Rohstoffen und Waren, in teuren Maschinen. Und war über Nacht unverkäuflich geworden. Es sei denn mit Schaden, der ihn ruinierte. Die Aktien fielen, die Sachwerte stürzten. Ein jeder von uns sah sie plötzlich entwertet. Nur Gold triumphierte und bares Papiergeld. Die Arbeiter wollten die Löhne in Goldmark. Man konnte nicht zahlen, man hatte nur Waren. Die Aufträge kamen zu niedrigsten Preisen. Man schloß die Fabriken. Die Arbeit war brotlos. Man spielte um Gold, um das Leben zu fristen. Das Volk war vergiftet!«

»Wir fordern die Arbeit! Wir wollen verdienen!« schrie es aus den Bänken und schwoll wie ein Strom an.

Breitner winkte um Ruhe.

»Beruhigt euch, Leute. Euch geht's nur wie allen, die Doktor Werndt mit seinem Goldgift kurierte. Ihr seht Hausbesitzer da unter euch sitzen. Ihr habt sie beneidet. Freut ihr euch, ihr Leute? Ihr kauftet das Haus einst zu riesigen Summen in schönem Papiergeld. Wieviel ist es jetzt wert? Was gibt man in Münzen jetzt für eure Kästen? Wer eifrig Papiergeld gehamstert, ist Krösus. Er hat über Nacht sein Vermögen vervielfacht. Doch Grundstücke? Häuser? Wer nimmt sie zum Nennwert, den ihr einst bezahltet? Wer gibt fünf Prozent von der früheren Summe? – Ihr habt Hypotheken. Bald kommt der Verfalltag. Man gab euch das Darlehn einst in Papiergeld. Nun dürft ihr das gleiche in Goldmünzen zahlen. Habt ihr sie beisammen? Was wird, wenn ihr's nicht habt? – Der Gläubiger wird euch den Steinkasten pfänden. Ihr seid die Betrogenen, seid ohne Heimat! Das dankt ihr dem Goldmann!«

Schreie gellten auf. Aus der vordersten Reihe stand stumm eine Frau auf, weißhaarig und zitternd, und wankte mit angstvollen Gesten zum Pult hin. Mitten in der Arena verlor sie die Kräfte und fiel in den spritzenden Sand der Manege. Man trug sie nach außen. Es währte Minuten, bis Breitners Stimme den Raum wieder füllte.

In seinem Gesicht stand ein drohendes Leuchten.

»Wer hatte nun recht, wenn er jahrelang warnte? Ihr oder Breitner? Ihr habt mich beschimpft, mich verdächtigt, verachtet. Ihr nanntet mich Schurke, Verräter, Verbrecher. Nur weil's euch, den Satten, noch damals so gut ging, und ich und die Meinen im Elend verkamen. Nur der Hungernde wußte, wie's stand um die Wahrheit! Euer Hirn war benebelt. Euer Bauch gab euch Träume, die angenehm rochen. Wer hat heute recht? Ich habe den Kapitalismus bekämpft. Heute herrscht er als Sieger und wird unser Mörder. Wir haben stets Gleiches für alle verlangt. Wärt ihr mitgegangen, wir wären jetzt alle gerettet und glücklich. Wir hätten die gleichen Verluste erlitten, wir hätten die gleichen Gewinne geerntet. Wir könnten den Wahnsinn der Erde belächeln. Wir hätten ja alle das, was wir uns wünschen: das eigene Heim, einfach, aber genügend. Die Mittel zum Leben, gemeinsame Lager, die allen gehören und alle gebrauchen. Wir hätten als eigene Herren Fabriken. Wir könnten durch Arbeit den Schaden verringern. Die Waren gehörten ja uns und dem Staate!«

Er stieß die Faust wutgeballt in die Höhe.

»Ich habe den Kommunismus gepredigt und dafür gelitten. Er wäre die Rettung für alle gewesen. Ihr wolltet nicht hören. Ihr habt vor dem goldenen Kalbe gebetet, dem Mammon geopfert. Ihr wolltet den Mordstaat der Kapitalisten. Jetzt habt ihr ihn alle in herrlichster Blüte. Jetzt steht er euch allen bald bis an die Mäuler und drückt euch den Hals zu. Jetzt schimpft auf den Breitner und wallfahrt noch einmal mit Fahnen und Liedern zum Goldmann da oben, zu eurem Erlöser, zu eurem Heiland! Singt doch euer Verschen vor seinen Balkonen! Das Verschen von Deutschland, Deutschland über alles! So singt doch!«

Er machte eine Pause. Dann hob er ganz plötzlich die sehnigen Arme und stieß sie mit drohenden Fäusten zum Himmel. Sein Kopf schwoll und flammte, wie in einem Anfall.

»Hoch!« brüllte er wütend. »Hoch der Kommunismus! Hoch die Weltrevolution! Hoch die Freiheit!«

Ein furchtbarer Sturm warf sich zwischen die Massen. Wie auf ein Signal brach es los, wie ein Zyklon.

»Hoch der Kommunismus! Hoch die Weltrevolution!« brüllte, schrie es im Chore, von oben und unten, aus tausenden Kehlen. Die weite Arena war plötzlich ein Krater, von heulendem, drohendem Volk überflutet. In den gelichteten Reihen der Bänke verloren sich hilflose Reste der Bürgerparteien, der alten Verfechter des früheren Staates. Der Sturm riß ihr Denken mit in die Arena, dort unter die Füße der tobenden Menge, hinab in den Staub der erstürmten Manege.

Man wankte in Herden hinab zu dem Ausgang, erschlagen und torkelnd, als sei man betrunken. Gepeitscht von dem Hohn dieses furchtbaren Menschen. Geängstigt, erblindet, verzweifelnd an allem ... Bis weit in die Straßen verfolgt durch die Schreie und gröhlenden Rufe im Zirkus da hinten – – –

* * *


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