Marie von Ebner-Eschenbach
Unsühnbar
Marie von Ebner-Eschenbach

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XXI.

Maria sah dem Kinde nach. Funken flimmerten vor ihren Augen; ihr war, als ob die Wand, an der sie lehnte, schwankte; als ob die kleinen, runden Scheiben der Erkerfenster wie Kreisel wirbelten, platzten wie Seifenblasen . . . Sie biß sich in die Lippen, sie wollte standhaft bleiben, sie wollte die Herrschaft behaupten über ihre schwindenden Sinne. – Einmal wieder rief ihr die Erinnerung das alte Zauberwort zurück: Nur ruhig!

»Wie dürfen Sie es wagen?« stieß sie plötzlich hervor. »Was wollen Sie? . . . Warum haben Sie meine Antwort nicht abgewartet?«

»Welche Frage . . .« erwiderte er, betroffen über diesen unerwarteten Empfang. »Aus Ungeduld, aus Sehnsucht.«

»Nach dem, was Sie hier erwartet? . . . O!«

»Was mich hier erwartet? Sie meinen den Schmerz, Sie leidend zu finden,« – »und furchtbar verändert,« setzte er in Gedanken hinzu.

Die widersprechendsten Gefühle kämpften in ihm. Mitleid, Groll, Trotz und Wehmuth. Ihm schien jede Gunst erreichbar und jedes Glück; – sollte er das seine nun suchen im Besitz einer verwelkten Frau? . . . Aber – es war doch sie! sie, die ihm die heftigste Leidenschaft seines Lebens eingeflößt hatte . . . Er fühlte von Neuem ihren bestrickenden Einfluß und überließ sich ihm. Das Bewußtsein eines begangenen Frevels an diesem armen Weibe erwachte und zugleich – nur Lügner behaupten, daß er großmüthiger Regungen unfähig sei – der Vorsatz, seine Schuld wieder gut zu machen.

Noch immer hatte er dagestanden, den Hut in der Hand, und nahm jetzt unaufgefordert Platz, Maria gegenüber. Allmählich fand er die Züge, die ihm so theuer gewesen, in diesem bleichen Gesichte wieder. Es trug die Spuren von schweren Seelenqualen, die um ihn erduldet worden . . . Ein nicht geringes Genüge für seine Eitelkeit. –

Tessin sprach einige Worte der Rührung und des Bedauerns; sich selbst jedoch sagte er: »Sie ist jung, sie wird genesen, sie wird wieder aufblühen in meinen Armen; ich will der Gott sein, unter dessen Hauch ihre Wangen sich von Neuem färben, ihre Lippen lächeln werden, der sie auferweckt und zurückführt zu allen Daseinswonnen.«

Er begann, ihr seine unveränderte Liebe zu betheuern; er erzählte von der Kunst, die er angewendet hatte, um sich immer in Kenntniß von Allem zu erhalten, was sie betraf. So wußte er denn auch von ihrer »hochherzigen Verzichtleistung« und schwor, daß er den Anspruch, der ihm daraus erwuchs, geltend machen werde.

Mit einer Art stumpfer Ergebung ertrug Maria seine Nähe, seinen unverwandt auf sie gerichteten Blick. Der ihre blieb so abwesend, so leer, daß sich Tessin eines Zweifels an der leichten Ausführbarkeit seiner göttlichen Sendung nicht erwehren konnte. In gereiztem, unwillkürlich herausforderndem Tone schloß er: »Sie haben Ihrem Sohne den Namen genommen, der ihm vor dem Gesetz zukam; das kann nur in der Absicht geschehen sein, ihm dafür den Namen zu geben, der ihm in Wahrheit gehört, – den meinen.«

Jetzt machte sie eine heftig abwehrende Bewegung: »Ihm Ihren Namen geben und Ihnen dadurch ein Recht auf das Kind – Ihnen?« – Sie beugte sich vor. In ihren Augen hatte sich eine Flamme der Verachtung entzündet, die ihn traf wie ein glühender Pfeil.

Er zuckte zusammen, er rang nach Fassung und rief dennoch fassungslos aus: »Gräfin . . . Maria, Sie haben mich geliebt!«

Sie neigte den Kopf, eine brennende Röthe flog über ihre Wangen: »Ich habe geglaubt. Sie zu lieben, und Sie – sind schlau gewesen, Sie haben es verstanden, einen Brand des Schuldbewußtseins gegen Sie in meine Seele zu werfen . . . Dann haben Sie sich einen Spießgesellen geworben, und mit seiner verrätherischen Hülfe sind Sie gekommen und haben mich überrascht, gemeiner, ehrloser als ein Dieb, und ich habe mich an Sie weggeworfen . . . Und nachdem das Unwiderrufliche geschehen, nachdem die Schuld begangen war . . . eine Schuld, die von den Thränen der Reue so wenig weggespült werden kann wie der Fels von der Welle, die zu seinen Füßen brandet . . . dann ist mir der Mann, neben dem ich bisher hingegangen wie eine Blinde, theurer geworden von Tag zu Tag . . . Er hat mich die Liebe kennen gelehrt, die ewig ist; er, in dessen Seele die reinste Güte und Treue vereinigt waren . . . Und diese Empfindung in einem Herzen, das seiner unwürdig geworden . . . Das seltenste, köstlichste Glück vergeudet – um welchen Preis!« Ein Schauer des Ekels durchrieselte ihre Glieder.

Im Innersten entrüstet, äußerlich jedoch starr und unbeweglich hatte Tessin ihr zugehört. Wie er sie jetzt haßte, die Thörin, die sich – um ein Geringes zu spät – in ihren Mann verliebt hatte; wie er sie lächerlich fand mit ihrer Sentimentalität und ihrer krankhaften Reue! Eine kleine Abkühlung that Noth, und so murmelte er denn höhnisch: »Wie müssen Sie mir geflucht haben.«

»Nur mir . . . Sie sind ohne Rechtsgefühl; ich hatte es und täuschte dennoch das edelste Vertrauen, betrog – – um Sie!«

Ihr Blick glitt über ihn hin, und er spürte ihn wie etwas Körperliches, das von ihm herunterwischte: allen Werth, alles Selbstbewußtsein, alle eingebildete Herrlichkeit . . . Er knirschte, er meinte Nothwehr üben zu müssen, und dazu war ihm jedes Mittel gut.

»Sie regen sich auf,« sprach er frostig. »Wollen Sie sich tödten?«

»Nein, ich will leben, um mein Kind zu erziehen . . . Ich will es lehren rechtschaffen sein und wahr und stark; ein Feind alles Dessen, was glänzt und scheint und lügt . . . Er soll . . .« Ihr keuchender Athem stockte.

»Sagen Sie es doch kurz heraus,« rief Tessin mit bitterem Lächeln. »Er soll das Gegentheil von Dem werden, wofür Sie mich halten . . . Glück auf, Gräfin – möge die Erziehung gelingen. Nur rathe ich Ihnen: seien Sie nicht zu rüde – manche Lection schlägt deshalb nicht an, weil sie in gar zu schonungsloser Weise gegeben wurde.«

Maria hatte ihr Haupt gesenkt, sah vor sich hin und nickte nur zerstreut zu seinen Worten. – »Er soll auch –« begann sie, »nie erfahren, daß Sie sein, sein –« es war ihr unmöglich, es auszusprechen. »Sie bleiben immer für ihn ein Fremder! . . . Das fordere ich, darüber werde ich wachen, dabei muß es bleiben, wenn ich nicht mehr da bin, ihn zu beschützen vor Ihrem Einfluß, Ihrem Beispiel . . . Ein Fremder. Schwören Sie mir – – oder nein – versprechen Sie mir . . . Aber nicht, wie Euresgleichen einer Frau etwas verspricht, einer Frau, der gegenüber Ehrlosigkeit nicht entehrt . . . Warum? warum? – Vielleicht, weil sie Euch nicht zur Rechenschaft ziehen kann.« Sie zitterte und bebte, und es schien, daß er eine gewisse Befriedigung empfand über ihre maßlose Aufregung. Er war die gelassene, kaltblütige Ueberlegenheit selbst, er war kräftig und gesund, seine Nerven waren von Stahl.

»Gräfin,« sagte er in ermahnendem Tone. »Sie wollen etwas von mir und hören nicht auf, mich zu beleidigen. Ist das klug?«

Maria griff mit beiden Händen an ihre Stirn. »Unklug!« jammerte sie, »ganz thöricht und unklug . . . Verzeihen Sie mir . . .« Es klang schrill, wie ein der innersten Natur, dem widerstrebenden Willen, mit übermächtiger Gewalt abgerungener Schrei: »Verzeihen Sie mir und erfüllen Sie meine Bitte.«

Er that, als wenn er sich besänne, und sagte nach einer Weile: »Es soll geschehen.«

Maria fiel rasch ein: »Bei Allem, was Ihnen – – – aber was ist Ihnen heilig?« setzte sie entmuthigt hinzu.

Jetzt wurde seine Miene ernst und überzeugt: »Die Erinnerung an die Stunde, die Sie aus Ihrem Leben tilgen möchten, und die ich nicht tauschen würde gegen alle Erdengüter. Bei dieser Erinnerung verspreche ich's.« Er stand langsam auf. Ein wilder Wunsch, sie an sich zu reißen, sie noch einmal an seine Brust zu pressen, ergriff ihn.

Da erhob sich auch Maria, und sie standen Aug' in Auge.

Später, als er Alles, was er je angestrebt, errang, das Glück sich an seine Fersen heftete, Unternehmen und Gelingen für ihn Eins geworden schien, gedachte er manchmal jenes seltsamen, stummen, kurzen Kampfes zwischen ihm und einer zarten, sterbenden Frau, – in welchem er unterlegen.

Sie hatte nach der Thür gewiesen, und er hatte sich bezähmt und Gehorsam geleistet.

Maria blieb aufrecht . . . Sie mußte aufrecht bleiben. – Wenn sie sich jetzt verriethe, sie sich selbst, welche Thorheit wäre das . . . Nein, sie thut es nicht, sie will nicht, sie ist stark.

Die Thür öffnet sich wieder, Erich kommt hereingelaufen: »Mutter!« ruft er, »der Herr ist schon fortgefahren.«

»Ja – ja wohl – –.«

Und jetzt spricht Lisette, die dem Kinde gefolgt ist: »Merkwürdig, nein, wie merkwürdig! . . . Felix Tessin – den Namen kenn' ich nicht, aber den Menschen . . . Was hat der nur gewollt? Ich möcht' darauf schwören, daß es derselbe ist, der zuletzt beim armen Wolfi war.« –

»Es wird so sein –« stammelte Maria unverständlich – »Bruder und Schwester durch ihn gemordet, –« und sie stürzte leblos zusammen.

Lange Zeit verging, bevor ihr Bewußtsein wiederkehrte. Im jähen Schrecken hatte Lisette an den Professor, an Wolfsberg, an Wilhelm telegraphiren lassen: »Gräfin erkrankt, gleich kommen.« Halb sinnlos raufte sie sich die Haare und hörte nicht auf zu schreien: »Sie ist todt, mein Kind ist todt.« Bei dem ersten Zucken jedoch, das durch den Körper der Ohnmächtigen lief, bei dem ersten Aufschlagen ihrer Augen machte Lisettens Verzweiflung der unerschütterlichsten Zuversicht und Hoffnungsfreudigkeit Platz.

Mit Mühe sprach Maria einige Worte: »Laß Wilhelm und Helmi kommen, gleich, hörst Du? – gleich!« – Eine erdrückende Angst schien auf ihr zu lasten; sie verlangte nach dem Kinde, und als man es ihr brachte, erkannte sie es nicht und hielt es für den kleinen Hermann: »Da bist Du –« murmelte sie, »das war ein tiefer Schlaf . . . O, wie habe ich mich nach meinem Erstgeborenen gesehnt!«

Es wurde Nacht; die Kranke lag regungslos. Ein Eiskübel war an ihr Bett gestellt worden; Lisette und Clara erneuerten abwechselnd die Umschläge auf ihrer Stirn.

»Sie sieht uns nicht, seien Sie sicher, Fräulein,« flüsterte das Kammermädchen. »O Gott, und ihre Augen! – wie blaue Flammen, mit Schleiern davor.«

Auf dem Tische stand eine verdeckte Lampe; der schwache Lichtkreis, den sie an die Decke warf, fesselte den Blick Maria's. In dem bleichen Schimmer bildeten sich fluthende Wellen, und ein weißer Schwan zog über sie hin, und in den Lüften erklang eine liebliche Musik. Die verstummte plötzlich; ein Stern war vom Himmel gefallen, und der Stern war ein Weib, und entsetzliche Ungeheuer zerfleischten es . . . Hunderte von Fratzen, Köpfe, ohne Leiber schwebten heran, Augen ohne Köpfe, die vielen Augen, die sich in die ihren bohrten. Sie fürchtete sich nicht, sie fand das Alles natürlich. Natürlich auch, daß sie auf ihrem Bette lag und zugleich dort oben stand, in dem webenden Schein, an der Seite Hermann's. Er deutete auf sie und sagte: »Ich seh' dein Herz, es blutet, und es hat einen schwarzen Fleck, einen kleinen, kleinen Fleck, der verfinstert die Welt.«

Draußen heulte der Sturm, umpfiff das Haus, schleuderte Regengüsse gegen die Scheiben der Fenster, rüttelte an den Angeln, warf sich gegen das Thor, das stöhnend Widerstand leistete.

Lisette sprach: »Das verwünschte Wetter! Es hält Dich wach, mein armes Kind!«

»In Dornach ist es still,« versetzte Maria, – und nach einer Pause: »Glaubst Du? – glaubst Du es, liebe Alte?«

»Was soll ich glauben? was wünschest Du, daß ich glauben soll?«

»– Daß sie mich dort dulden werden in der Gruft?«

»Wie Du nur sprichst!«

»Staub bei Staub, aber – wie wunderbar . . .« Sie machte einen Versuch, sich zu wenden: »Der Eine ist gekommen –«

»Wer denn? ich verstehe Dich nicht.«

»Du hast ihn doch selbst gebracht,« erwiderte sie leise, mit einem Schatten von Ungeduld, »sein Vater schickt ihn, er soll mich nach Dornach führen . . . meinem lieben Dornach –« sie lächelte glückselig, als sie den Namen nannte – »zu meinem Hermann . . . dahin, wo er jetzt ist . . . Wir werden liegen, Hand in Hand, hinter den Steinen. Nicht ein Laut wird zu uns dringen, nicht eine Stimme . . . nicht einmal die Stimme des Gewissens . . .«

»Sie phantasiert, und ich sage Ihnen, man muß zu dem Geistlichen schicken,« flüsterte Clara Lisetten zu. Von der wurde sie rauh angelassen.

»Ja just, phantasiren wird sie! das fällt ihr ein. – Sie spricht aus dem Schlaf, hat's von klein auf gethan.«

Maria versank in einen dumpfen Halbschlummer, aus dem sie von Zeit zu Zeit auffuhr, um nach Wilhelm und Helmi zu rufen. Gegen Morgen wurde sie ruhiger, und so fand sie der herbeigeholte Bezirksarzt. Als er hörte, daß Professor Hofer stündlich erwartet werde, äußerte er den Wunsch, mit dem berühmten Arzt zusammenzutreffen, und nahm sich vor, später wiederzukommen. Seine Meinung über den Zustand der Kranken behielt er für sich; etwas zu verordnen, fand er überflüssig.

Lisette triumphirte. Gab dieses Benehmen des Doctors ihr Recht oder nicht? Wäre er so fortgegangen, ohne sich auszusprechen, ohne nur ein Recept aufzuschreiben, wenn er die geringste Besorgniß hätte?

Sehr gelegen kam ihr in dieser Stunde ein Antwort-Telegramm aus dem Hause des Professors, welches meldete, er sei für drei Tage verreist. So hatte sie noch Zeit, ihre Aufforderung zu widerrufen, und brauchte sich nicht wieder von ihm »die alte Furchtputzen« schelten zu lassen.

Der Optimismus Lisettens besaß eine mittheilende Kraft. Im ganzen Schlosse herrschte Fröhlichkeit. Der Castellan setzte die unterbrochenen Singlectionen seines Zeisigs wieder fort und werkelte ihm unermüdlich das Liedchen vor: »Wenn ich am Morgen früh aufsteh' . . .« Die Männer traten wieder fest auf, die Frauen schlugen lärmend die Thüren zu; Alles kehrte ins alte Geleise zurück.

Maria hatte sich auf das Ruhebett tragen und dieses an das Fenster rücken lassen. Sie war erschöpft und halb betäubt und glaubte immer, den Wagen, der Wilhelm und Helmi brachte, hereinrollen zu hören.

»Nimm doch Vernunft an,« ermahnte Lisette, »sie können noch nicht da sein, trotz der Relais, die der Verwalter geschickt hat; außer es wäre ein Wunder geschehen, oder – sie hätten einen Extrazug genommen.«

Eine dieser Möglichkeiten mußte eingetreten sein, denn gegen Abend waren die Ersehnten da, begleitet von Doctor Weise. Mit heiteren Mienen liefen ihnen die Diener entgegen und verkündeten, es gehe besser, es gehe gut.

Lisette kam die Treppe herabgestürzt; sie warf sich beinahe auf die Kniee vor dem Ehepaar und umarmte beinahe den Doctor: »Das vergelte der liebe Gott den Herrschaften, daß sie sich so beeilt haben . . . Jetzt wird sie glücklich sein.« Unablässig zum Vorwärtsschreiten anspornend, machte sie den Wegweiser über die Treppen und Gänge.

»Sie gehen zuerst,« sprach Wilhelm zum Doctor, »und bestimmen, ob die Gräfin uns sehen darf.«

Er ließ die Einwendungen Lisettens nicht gelten; sie mußte sich bequemen, Weise anzumelden, der auch sofort vorgelassen wurde, während Wilhelm und Helmi im Nebenzimmer warteten. Er völlig verstört, sie sorgenvoll, gebeugt, mit blassen Wangen. Die tröstlichen Versicherungen, mit denen sie empfangen worden, flößten ihnen wenig Vertrauen ein. Sie erbebten, als Lisette endlich erschien.

»Nur kommen, nur kommen! Sie fragt nach den beiden Herrschaften und nach Niemandem sonst,« rief sie und entfernte sich discret.

»Nun denn, in Gottes Namen,« sagte Wilhelm, und Helmi legte sachte die Hand auf die Klinke. Da trat ihnen Weise aus der Thür entgegen.

»Nichts zu machen,« flüsterte er tief betrübt – »eine Herz-Ruptur, worunter man sich freilich nicht vorstellen darf – nun, mit einem Wort: es ist aus.«

Wilhelm taumelte, wie wenn ihn Jemand vor die Brust gestoßen hätte.

»Aber – sie lebt noch . . .«

»Noch, ja, noch,« und Weise schob den Thürflügel zurück.

Maria lag gerade ausgestreckt. Das letzte Tageslicht warf seinen bleichen Glanz über ihre von der erhabenen Majestät des Todes schon verklärten Züge. Umflossen von der goldigen Pracht ihrer Haare ruhte ihr Haupt in den Kissen, und sie machte eine vergebliche Anstrengung, es zu heben, als Wilhelm und Helmi eintraten. Diese strich mit zitternden Fingern über die Hand der Kranken.

– »Dank, daß Ihr kamt . . . Dank und eine Bitte, –« sprach Maria. »Ihr seht, ich darf nicht leben für das Kind . . . ich darf auch nichts abtragen von meiner Schuld . . .«

»Du hast sie gesühnt, o Gott im Himmel, wie gesühnt!« rief Helmi.

– »Gebüßt, nicht gesühnt – das hätt' ich nie gekonnt . . . Schwer ist mit solchem Bewußtsein das Leben . . . und schwer der Tod . . .«

Wilhelm begann leise, dann brach es wie ein Schrei aus seiner Brust: »Nein, nein, Du wirst nicht sterben!«

»Doch – und Ihr, gute Eltern, Ihr habt um einen Sohn mehr – den meinen . . . Ja?«

Beide schluchzten: »Ja.«

Helmi bettete den Kopf der Kranken etwas höher, und Maria's Blick ruhte auf ihr mit einem Ausdruck wie aus einer andern Welt.

– Und nun ließ sich durch die tiefe Stille das Herannahen eines Wagens vernehmen. Hufschlag und Peitschenknall erschallten vor dem Thor; es wurde zurückgeschoben in seinen eisernen Schienen, und dröhnend rollte ein wuchtiges Gefährt herein.

Maria hatte aufgehorcht: »Der Vater . . . mein armer Vater,« sagte sie. Angst und Sorge malten sich in ihrem sterbenden Gesichte, ein banges Flehen war in ihrer Stimme: »Wilhelm, Helmi – in meinem Schreibtisch – ein Brief an Euch – enthält mein Testament . . . das Kind bewahren vor jedem andern Einfluß – vor jedem . . . Schwört mir –.«

»Sei ruhig,« sprach Wilhelm, und jetzt klang sein Ton sicher und fest, »wir übernehmen, wir allein, die Verantwortung für diese Seele.«

»Mein armer Vater!« wiederholte Maria. »Das Glück ist nicht, wo er es sucht. Gut sein ist Glück, einfach, selbstlos und gut, wie Hermann, wie ihr . . . Erich soll dereinst in Wolfsberg das Werk fortsetzen, das ich hier im Geiste meines Hermann begonnen habe . . . in dem ich unterbrochen ward . . . er soll . . . Wo ist Erich?« fragte sie laut.

Da erscholl ein helles Lachen: »Er kommt, und wer noch?« sprach Jemand, die Schwelle überschreitend – und ins Zimmer flatterte Fee, Erich an der Hand: »Da ist sie, da ist Deine kleine Fee; jetzt wirf sie hinaus, wenn Du's übers Herz bringst.« Sie war an das Ruhebett herangetreten, prallte plötzlich zurück und stöhnte: »O! – O!«

Maria sah sie an, ein mattes Lächeln irrte um ihren Mund und begrüßte diese Abgesandte des Lebens, die da hereingedrungen war, so lieblich, so frisch und rosig, mit ihrem Lachen wie Lerchenschlag.

Von einer feigen Regung ergriffen, wollte Fee entfliehen, aber sie bemeisterte sich, sie blieb, hob Erich zu seiner Mutter empor, nahm sanft und zärtlich ihren Arm, legte ihn um den Hals des Kindes und stammelte:

»Du hast ihn gerufen.«

»Kleine Fee,« sagte Maria, »leb' wohl, liebe kleine Fee.«

Nun war es vorbei mit der Fassung der jungen Frau. Sie warf sich ungestüm an Maria's Brust und brach in einen Sturm von Klagen und Thränen aus. Wilhelm machte die Sterbende frei von ihr, er wollte Fee hinwegführen; sie riß sich los, sank auf ein Kissen am Ende des Zimmers, wo sie sich wand in krampfhaften Bemühungen, ihr Schluchzen zu unterdrücken.

Lisette kam, Erich zu holen, und empfing den Dank ihrer Herrin »für lange Treu'«. – »Auch Du bist diesen edlen Menschen empfohlen . . . sie werden Dich nicht trennen von dem Kinde . . . . Hab' es nicht zu lieb . . . wie Du Dein großes Kind gehabt hast, arme Alte.«

»Niemanden mehr so lieb,« und sie küßte die theure Hand ihrer Einen und Einzigen mit heißen, bebenden Lippen. Jeder Nerv an ihr zuckte; sie hielt es nicht aus, nahm Erich, der, stumm und bestürzt, kaum zu athmen wagte, und trug ihn fort.

Helmi war niedergekniet: »Maria, Vielgeliebte,« flehte sie leise, »geh' nicht unversöhnt aus dem Leben, erfülle Deine Christenpflicht . . . Bereite Dich vor, an das Herz des Allgütigen zu sinken.«

»Des – Allgütigen?«

»An den Du glaubst – –.«

»An den ich glaube? . . .« sehnsüchtig hauchte sie es nach. – »Alles verloren, Helmi – den Glauben an die Vorsehung . . . den Glauben selbst an meinen freien Willen . . . Und doch nur Einen Wunsch . . .« Ihre letzte Kraft erschöpfte sich in den Worten: »O, hätte ich nie ein Unrecht gethan!«

* * *

Das an Wolfsberg abgesandte Telegramm wurde ihm nach dem Gute Gräfin Dolph's, wo er sich zu kurzem Besuche eingefunden hatte, nachgeschickt. Dort traf es ihn am späten Abend. Er reiste sofort ab. Ein Schnellzug brachte ihn auf die erste Station der Localbahn, die ihn weiter befördern sollte. Da begann die Qual des Wartens von einem Bettelzug zum andern, des Einherhumpelns hinter einer kriechenden Lokomotive. – Wolfsberg kam in Versuchung, hinauszuspringen und nebenher zu laufen, um wenigstens das Gefühl zu haben: es geht vorwärts! . . . Dann wieder griff es ihm wie mit eisernen Klammern in die Brust: »Warum so eilig? wonach hastest du?« – Er hatte die Gewißheit, daß ihn ein Leid erwartete, dem er nicht gewachsen war. Gefoltert von Angst und Ungeduld, kam er mittelst einer elenden Fahrgelegenheit auf der letzten Post vor Wolfsberg an. Dort konnte ihm nur noch ein abgejagter Reitgaul zur Verfügung gestellt werden. Auf den schwang er sich, trieb ihn wüthend an und ließ an dem unglücklichen Thier seine zornige Verzweiflung aus.

Es dunkelte, als er im Dorf ankam. Das einförmige Gebimmel des Todtenglöckleins schallte ihm entgegen. Leute standen in Gruppen beisammen, ein ganzer Zug wandelte über den Feldweg dem Schlosse zu . . . Noch ein Stockhieb auf die Flanke des erschöpften, keuchenden Pferdes; es griff aus, fiel, sprang auf und brach im nächsten Augenblick völlig nieder. Der Reiter machte sich los aus den Bügeln. Ein stechender Schmerz am Fuße hemmte seine Schritte, er schleppte sich dem Zuge nach. Vier Lichter schwankten an dessen Spitze, und weißliche Rauchwölkchen umqualmten sie. Wolfsberg verbiß seinen Schmerz, strebte weiter mit grimmigem Bemühen und rief: »Halt! halt! Komm' Einer und helfe mir!«

Seine Stimme blieb ungehört von den ihre Kirchengebete murmelnden Wallern. Am Gartenthor waren die Lampen entzündet worden. Der Geistliche im Ornat, Kirchendiener und Chorknaben mit Laternen und Weihrauchfässern schritten vorüber in den Hof.

»Wartet! Helft mir!« röchelte Wolfsberg todesbang.

Dieses Mal wurde er gehört. Der Zug hielt, die Leute sahen sich um; sie konnten lange nichts unterscheiden in der Dunkelheit, bis plötzlich ein Bursche sprach:

»Es is der Graf, dort beim Feldstein steht er, dem is was g'schehn.«

Einer flüsterte es dem Andern zu, – doch mehr that Keiner.

Endlich erbarmte sich ein alter, krüppelhafter Mensch, ging hin und stützte und führte ihn.

Beinahe zugleich mit dem Priester trat Wolfsberg in das Sterbezimmer. Die Fenster waren weit geöffnet. Am Himmel schwebte eine finstere Wolke; sie glich einem riesigen Vogel mit weit ausgespreizten Flügeln. Der von ihr verhüllte Mond warf eine Fülle silbernen Lichtes über eine Stelle am Horizont. Auf dieser ruhten Maria's schon gebrochene Augen. Dort, wo es hell war, wo der verklärende Schimmer sich breitete, – lag Dornach.

 


 


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