Marie von Ebner-Eschenbach
Bozena
Marie von Ebner-Eschenbach

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Im Laufe des nächsten Vormittags suchte Ronald das Fräulein Heißenstein im Garten auf, wo sie sich nach Bozenas Angabe befand, um ihr die inzwischen beendete Gutsbeschreibung zu übergeben und um mit ihr die Angelegenheiten Rondspergs zu besprechen. Regula versuchte mehrmals, der Unterhaltung einigen Schwung zu verleihen, aber es wollte nicht gelingen. Einmal wurde Ronald sogar fürchterlich zerstreut und antwortete auf ihre Bemerkung, es gebe nichts Träumerischeres, als einen sonnigen Sommertag, besonders nach einem Regentag: «Achthundert Joch, mein Fräulein!» Ein paar Minuten früher waren sie Röschen und Anitschka begegnet, die große Sträuße von Wiesenblumen trugen. Röschen hatte den ihren emporgehalten und Ronald im Vorübereilen zugerufen: «Für Ihre Mutter!»

Er wanderte weiter an Regulas Seite, und in einiger Entfernung von ihnen ging sein Vater mit dem Burggrafen im Garten spazieren; er hatte Ronald und das Fräulein wohl bemerkt, schien ihnen aber sorgfältig auszuweichen. Eine böse Vorbedeutung! Ronald wußte, wenn der alte Herr es vormittags vermeidet, mit ihm zu sprechen, so geschieht es, weil er etwas gegen ihn auf dem Herzen hat. Vor Tisch darf aber keine unangenehme Erörterung stattfinden, das wäre gegen alle Regeln der Hygiene. Ärgern darf man sich ohne Schaden für die Gesundheit erst nachmittags.

Bis dahin versparte sich denn auch heute der Greis das Aussprechen seines Verdrusses; der tückische Anstifter desselben, sein Günstling, wurde ausnahmsweise zum schwarzen Kaffee auf die Terrasse geladen. Und kaum hatte sich die Gesellschaft um den runden Tisch versammelt, als der Graf auch schon seinem ihm gegenübersitzenden Sohne zurief: «Unter anderm! Mir ist gemeldet worden, daß die Bauern Tag und Nacht an der Grenze jagen. Weißt du davon?»

«Nein, Vater», erwiderte Ronald und sah dabei den Burggrafen strafend an, was der mit dreister Gelassenheit ertrug.

«Mein guter Sohn kümmert sich um derlei Lappalien nicht», spöttelte der Graf. «Was liegt ihm daran? ... Warum sollte der Bauer nicht jagen? – Es freut auch ihn, und seine Freude wiegt die des Edelmanns auf. Vor Gott sind wir alle gleich. Deshalb nehmen wohl die Hannaken, wie ich ebenfalls höre, die Pfeife nicht mehr aus dem Munde, wenn sie mit dir sprechen.»

Den Anfang seiner Rede hatte der alte Herr an die ganze Gesellschaft, ihren letzten Satz an seinen Sohn allein gerichtet; es war ein direkter Angriff, den Ronald mit lächelnder Ruhe hinnahm und mit dem offenen Geständnis beantwortete: «Es kommt freilich vor.»

Der Graf schüttelte sich, wie durchfröstelt von Widerwillen. «Zu meiner Zeit», fuhr er fort, «steckte der Bauer, wenn er mich von weitem sah, auf die Gefahr hin, in Flammen aufzugehen, die brennende Pfeife in seine Tasche. Dir – klopft er sie einmal auf der Nase aus.»

Dies sollte im Scherz gesprochen sein, kam aber um so bitterer heraus, je mehr der Graf sich bemühte, die in ihm gärende Entrüstung hinter seinem Spotte zu verbergen.

Die Gräfin erbebte leise, Regula verzog den Mund und dachte: «Wie kann man sich das bieten lassen?» Der Burggraf kicherte untertänig und Röschen erschrak und erbleichte ... Was wird geschehen? – Wird Ronald zornig auffahren gegen seinen Vater? ... Angstvoll schoß ihr Blick zu ihm hinüber und traf ein ernstes, aber unbewegtes Angesicht, auf dem ihr Auge ruhen blieb so voll Mitgefühl, so voll Bewunderung, daß der Mann unter diesem begeisterten Kinderblicke errötete und den seinen senkte.

Es war eine schwüle Sekunde, und allen gereichte es zur Erquickung, einen Wagen in den Hof rollen und Peter melden zu hören: «Frau Baronin kummen.»

«Meine Thilde!» rief der Graf lebhaft und erhob sich, um die Tochter zu begrüßen, deren sonore Stimme sich bereits in der Halle vernehmen ließ.

Gleich bei ihrem Erscheinen erklärte die Baronin, sie käme heute weder um Papas, noch um Mamas, sondern nur um Regulas willen, auf welche sie auch zuerst zuging und der sie flüchtig einen Kuß auf die Wange gab.

«Ronald und ich», rief die Freifrau, «wollen diese Städterin mit unserer Landwirtschaft bekannt machen, für die sie sich außerordentlich interessiert.»

Der Graf dachte zwar, davon habe er bis jetzt nichts bemerkt, aber es freute ihn immer, wenn sich jemand geneigt zeigte, die Herrlichkeiten Rondspergs in Augenschein zu nehmen.

Auf den Wunsch der Baronin mußte ohne Verzug angespannt werden; sie lachte, als ihre Mutter sie bat, doch ein wenig von ihrer Fahrt auszuruhen. Was tut man denn beim Fahren anderes als ruhen? Sie hatte keine Zeit zu verlieren, übermorgen in aller Gottesfrühe mußte sie wieder fort; denn: «Wir nehmen die Sommerbirnen ab und fangen schon Montag an, das Korn zu schneiden.»

Während die Baronin von der bevorstehenden Ernte sprach, hörte sie nicht auf, Röschen zu beobachten, und zwar mit einem Interesse und einem Wohlwollen, das ihr ein fremdes Wesen nicht leicht einflößte.

Sie hatte dem Unglück ihres Bruders heiße Tränen gezollt, damit war aber auch die Sentimentalität abgetan; nun hieß es, sich eine Räson machen, sich in das Unvermeidliche fügen. Ronald kann nichts Gescheiteres tun, als in den sauren Apfel beißen und die Weinhändlerin heiraten. Wenn die einmal ihre Schwägerin ist, wird Thilde sie schon dahin bringen, ihre allerliebste Nichte so großmütig auszustatten, daß sie ohne weiteres auf das Glück Anspruch machen darf, eine Schwiegertochter der Baronin Waffenau zu werden.

«Das kann sich alles finden», dachte die praktische Frau und mahnte zum Aufbruch.

«Auf Wiedersehen, Papa, auf Wiedersehen, Mama, auf Wiedersehen, Kleine!» Sie fuhr schmeichelnd mit der Hand über Röschens Scheitel. «Mich wundert», sagte sie zu sich selbst, «daß die kluge Regula dieses bezaubernde Ding mitgenommen hat. Ronald ist zwar sehr verständig, aber – er ist ein Mann; und ihn so geradezu herausfordern zum Vergleiche ... Ich hätt es an ihrer Stelle nicht gewagt.»

Sie nahm Regulas Arm und führte sie hinweg. Fräulein Heißenstein aber fand, die Baronin erweise Höflichkeiten, die sie füglich ihrem Bruder überlassen sollte.

Ein hoher Jagdwagen war vorgefahren; die beiden Damen installierten sich darin, Ronald schwang sich auf den Vordersitz und ergriff die Zügel. Florian wurde, zu seiner großen Unzufriedenheit, daheim gelassen. Er hätte sich so gern zum Cicerone des Stadtfräulein gemacht, weil der junge Herr Graf gar nicht verstand, den Leuten, wie sich's gehört, Sand in die Augen zu streuen.

Das Ziel, nach dem Ronald lenkte, war ein ansehnlicher, zu Rondsperg gehörender Hof, der von ziemlicher Höhe aus die Gegend beherrschte. Nach einer Viertelstunde raschen Fahrens hielt der Wagen vor einem Gebäude, das ehemals ein Schlößchen gewesen und später in einen Schüttkasten umgewandelt worden war. Leere Scheunen und Ställe schlossen sich hufeisenförmig an ihn an. In der Mitte des Hofes stand ein Kastanienbaum, in dessen Schatten ein alter Hahn mit gichtisch zuckenden Beinen und zerzaustem Gefieder seinen ihn umgebenden Harem bewachte. Ein paar Schritte weiter befand, sich ein Ziehbrunnen, neben dem einige Holzrinnen, die ein Knabe mit Wasser zu füllen beschäftigt war, auf dem Boden lagen. Dieser Junge wurde herbeigerufen und ihm die Hut der Pferde anvertraut.

«Gib acht auf Kocka und Myska!» rief ihm die Baronin zu, und hüpfte leicht, wie ein sechzehnjähriges Mädchen, aus dem Wagen.

Regula zeigte sich beim Aussteigen so unbeholfen, hatte so gar keine Ahnung, wohin sie den Fuß setzen sollte, daß Ronald sich genötigt sah, sie in seine Arme zu nehmen und aus dem Wagen zu heben, was er denn auch ohne Umstände tat und was ihr recht zu sein schien. Dann geleitete er sie durch das offene Tor der Scheune zu einem mit Erlen bewachsenen Platze, der eine weite Fernsicht gewährte.

«Von hier aus», sagte Ronald, «überblicken Sie so ziemlich die Rondsperger Flur. Die Wiese dort unten, hinter dem breiten Gerstenfeld ... Mein Gott, Fräulein, wohin sehen Sie denn? Links – noch weiter – so! ... Die Wiese dort, die Pappeln auf jener Hügelkette, zu deren Füßen Sie das Schloß sehen ... sehen Sie es?»

Regula versicherte, sie «nehme es ganz deutlich wahr».

«Und das Flüßchen drüben im Tale, das stellenweise herüberschimmert, wo seine Ufer sich verflachen – bilden die Grenzen Ihres Reiches. Hier, mein Fräulein, übergebe ich Ihnen Rondsperg. Die gerichtlichen Schritte macht Doktor Wenzel, unser beiderseitiger Vertrauensmann. Für Sie und mich ist der Kauf mit diesem Handschlage geschlossen.»

Er reichte ihr die Hand und seine Schwester bemerkte, daß er leicht erblaßte, als Regulas Hand in die seine sank. Fräulein Heißenstein blickte ihn dabei an, schmachtend – erwartungsvoll, und sah so komisch aus, daß die Baronin ein Lachen verbeißen mußte, obwohl sie in einer Stimmung war – einer Stimmung! ... Sie hätte alle Welt prügeln mögen.

Regula warf Kennerblicke um sich, fragte vor einer Stechapfelstaude, ob dies nicht Enzian sei; verwechselte Schierlings- mit Eibischblüte und Hirse mit Reps, und erklärte zuletzt, sie müsse gestehen, daß sie die umliegenden Felder schön finde.

«Sie sind leider verpachtet auf Jahre hinaus», rief die Baronin, «parzellenweise verpachtet und – unter welchen Bedingungen! ...»

Sie lief in Verzweiflung zwischen der Scheune und einem Hühnerstalle hin und her. «Das ist der gute Papa gewesen, sehen Sie – der gute Papa! Ganz Rondsperg verpachten, was uns vor Jahren noch hätte retten können – o eher sterben! ... Aber hie und da einen abgelegenen Acker an einen Gläubiger, warum nicht? – Dann aber auch um ein Stück Brot! ...»

Ronald fiel seiner Schwester ins Wort: «Es bietet sich jetzt die Gelegenheit», sagte er, «den größten Teil der Pächter mit geringen Opfern abzufinden. Sie müssen es tun, Fräulein. Ich rate Ihnen, diesen Ihren besten Hof einzulösen und, wenigstens solange ich noch hier als Ihr Bevollmächtigter fungiere, in eigener Regie zu behalten.»

«Ich werde tun, was Sie mir raten, Herr Graf», sprach Regula und trat an seine Seite, und als die beiden nebeneinander standen, dachte die Baronin: «Es ist doch nicht möglich! – Nein, es ist doch nicht möglich!»

«Auch wollte ich Ihnen ankündigen «, fuhr Regula fort, «daß mein Sekretär mit der ersten Rate des Kaufschillings morgen früh hier eintrifft und ...»

«Aber, liebste Regula!» unterbrach sie die Baronin, «was fällt Ihnen ein, den Mann hierher zu bestellen? Seine Ankunft würde Aufsehen in Rondsperg machen. Er darf nicht kommen. Ronald muß Ihren Schimmel» – sie nahm sich niemals Zeit, Schimmelreiters ganzen Namen auszusprechen – «auf der Station erwarten, das Geld in Empfang nehmen, den Überbringer aber bitten, um Gottes willen wieder heimzufahren. Wenn der Burggraf zehn Worte mit dem Sekretär tauscht, so kommt er euch hinter euren frommen Betrug und rapportiert ihn Papa in einer Weise, die an uns allen zusammen nicht ein gutes Haar läßt!»

Ein alter Schäfer, der den Tieren, die er trieb, ähnlich sah, kam mit seiner kleinen Herde den Berg herauf und wünschte «guten Nachmittag». Während Ronald sich mit ihm in ein Gespräch einließ, spazierte Thilde von einem Gebäude zum andern, öffnete die Türen, sah in die Fenster hinein und rief: «Diese Mauer stürzt nächstens zusammen, – hier braucht's einen neuen Dachstuhl, – der Stall muß eingerissen werden! ... Prickelt es einem nicht in allen Fingern? Möchte man nicht gleich selbst Hand anlegen?»

Jetzt kam auch das Weib des Schäfers herbei und begrüßte die Baronin mit großen Freudenbezeugungen, brach aber sofort in heftiges Schluchzen aus und klagte unter beständiger Anrufung des göttlichen Heilands und der «svatá panenka» Maria: «Daß ich meine gnädigen Herrschaften so selten sehe! Dreizehn Jahr – dreizehn Jahr sind der Herr Vater und die Frau Mutter nicht mehr bei uns gewesen ... Es ist ihnen hier zu traurig ... Freilich, wie sieht es auch aus!»

Die Baronin tröstete sie: «Sei ruhig, Liborka! Es wird anders werden. Nicht wahr?» sprach sie zu ihrem Bruder, der sich genähert hatte, «nächstens schickst du Maurer und Zimmerleute herauf?»

Ronald erwiderte, dies könne, mit Erlaubnis Fräulein Heißensteins, schon morgen geschehen. Fräulein Heißenstein freute sich darüber sehr, erkundigte sich nach den Ziegelpreisen und legte beachtenswerte Kenntnisse im Baufache an den Tag.

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