Marie von Ebner-Eschenbach
Bozena
Marie von Ebner-Eschenbach

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12.

Nun waren sie allein, die altgeborene Regel, die unverwüstlich junge Bozena und das immer fröhliche Röschen; wohl selten würfelt «seine Majestät, der Zufall» größere Kontraste zusammen. Beschirmend waltete der Geist Mansuets über dem seltsamen Kleeblatte. Der Alte war dem Fräulein Heißenstein freundlicher gesinnt seit dem Heimgange Nannettens; weil sie nicht mehr unter dem schädlichen Einfluß ihrer Mutter stände, meinte er; in der Tat aber nur deshalb, weil er sich jetzt als Regels Beschützer fühlte. Trotz all ihres Ernstes, all ihrer Weisheit bedurfte sie seines Rates, holte ihn gern ein und befolgte ihn sogar.

«Sie hat Heißensteinsches Blut in den Adern, das muß sich nolens volens dokumentieren!» versicherte Mansuet eines Tages Bozena und dem Sekretär. «Warten Sie nur, geben Sie nur acht: Nächstens tut sie etwas für das Kind.»

Aber Schimmelreiter schüttelte zweifelnd den Kopf, er sprach: «Sie ist nicht verpflichtet, etwas für das Kind zu tun, also wird sie auch nichts tun. Wie lautet Ihre werte Meinung?» wandte er sich galant an Bozena.

Diese antwortete in der bedachtsamen Weise, die sie seit ihrer Rückkehr angenommen hatte: «Ich hoffe auf ihre Großmut!»

«Prosit!» sagte Schimmelreiter, dem es infolge eifrigen Bestrebens gelungen war, sich einige von Mansuets Redewendungen anzueignen. «Leichter pressen Sie Himbeersaft aus einer Zitrone, als eine großmütige Regung aus dieser Seele.»

Bozena schwieg und ließ sich auf keine weitere Erörterung ein.

«Sie widerspricht mir nicht gern», erklärte später der Sekretär Schimmelreiter mit Selbstgefühl.

«Sie widerspricht überhaupt keinem Menschen mehr», dachte Mansuet. «Mißtraut sie uns? Oder ist ihr alles so gleichgültig geworden, daß sie nicht einmal ein Wort dafür einsetzen mag? Was geht in ihr vor? ... Gott mag es wissen!»

*

Nach dem Tode der Frau Heißenstein hatte Graf Ronald ihrer Tochter einen teilnahmsvollen Brief geschrieben, aber gekommen war er nicht. All die Arbeit, die er sich aufgebürdet, dürfte ihn abgehalten haben, meinte Regel; muß er doch die Geschäfte der Beamten versehen, die man in Rondsperg entlassen hatte, weil man sie nicht mehr besolden konnte.

Er war jetzt Direktor, Rentmeister, Förster und Wirtschafter in einer Person. Mit eisernem Fleiße mühte er sich ab, um die Armut fernzuhalten von seinem väterlichen Dache. Der alte Graf wollte nicht wissen, wie es um seine Verhältnisse stand. Vermochte Ronald es einmal nicht zu verhindern, daß ein ungeduldiger Gläubiger sich an den Greis drängte, dann wies ihn dieser an seinen Sohn, der die Leitung der Geschäfte allein übernommen habe. Den aber fragte er mit einer gewissen Schadenfreude, wann endlich die Segnungen des von ihm eingeführten neuen Regimes eintreten würden?

Daß sein Wohlstand für immer entschwunden sei, daran vermochte er ebensowenig zu glauben, als an den Bestand der neuen Staatsordnung. Rondsperg war ja ein Juwel, Rondsperg besaß ja unerschöpfliche Hilfsquellen. Sein Besitzer konnte durch die Ungunst der Zeiten in augenblickliche Verlegenheiten geraten, aber nicht in dauernde.

Wäre Roland auch imstande gewesen, seinem Vater diesen beglückenden Wahn zu rauben, er hätte es nicht getan; dazu liebte er ihn viel zu sehr. So setzte er denn unverdrossen seine vergebliche Arbeit fort. Ein Entschluß hätte freilich das bevorstehende Unheil wenigstens verzögern und dem Sohne einen Teil des väterlichen Gutes retten können: man hätte Rondsperg verpachten müssen. Aber bei dem alten Grafen fand das Wort «Verpachtung» ebensoviel Anklang, wie bei jedem unumschränkten Herrscher das Wort «Konstitution» . Ronald sprach es einmal aus, und – niemals wieder.

Regula Heißenstein war von diesen Verhältnissen genau unterrichtet. Der ehemalige Direktor von Rondsperg hatte sich in Weinberg ein nettes Haus gebaut und lebte dort in behaglichem Wohlstande. Er traf Schimmelreiter oft beim «Grünen Baum» und sprach gern mit ihm von dem Schauplatze seiner einstigen Taten. Er war ein gutmütiger Mann, und bewahrte auch den gnädigen Herrschaften, die er fünfundzwanzig Jahre lang, soviel es irgend an ihm lag, bestohlen hatte, ein freundliches Interesse. Dem Sekretär Regulas gegenüber ließ er es an zarten Winken nicht fehlen, welch ein verdienstliches Werk es wäre, den braven jungen Grafen aus aller Not zu retten, indem man ihm zu einer reichen Heirat verhülfe.

«Ein Goldfischchen, wie das Fräulein Heißenstein, das wäre halt was für ihn!» sagte der Direktor mit diplomatischem Lächeln.

«Ein adeliger, schöner Mann, wie der Graf von Rondsperg, das wäre was für sie!» erwiderte der Sekretär und schmunzelte auf das verbindlichste.

Die beiden Ehestifter machten einen Überschlag der Kosten, die erforderlich wären, um Rondsperg wieder ertragsfähig zu machen, die verpfändeten Grundstücke einzulösen, die eingestürzten Wirtschaftsgebäude aufzurichten, den fundus instructus zu erneuern; und eine Stunde später teilte schon der Herr Sekretär seinem Fräulein die Ergebnisse dieser Berechnungen mit. Sie nahm seinen Bericht gleichgültig entgegen, wie etwas, das sie gar nicht kümmerte, begab sich aber flugs an ihren Schreibtisch und begann sofort auf eigene Hand eifrigst zu rechnen. Sie fand, zu ihrer lebhaften Befriedigung, daß die Summe, um die sich's handeln würde, so ansehnlich sie auch war, doch kaum ein Viertel ihres mobilen Vermögens betrug. Dieses Resultat versetzte sie in so gute und unternehmende Laune, daß sie noch selbigen Tages an Ronald schrieb, um ihm für die Teilnahme zu danken, die er ihr bei Gelegenheit des Todes ihrer unvergeßlichen Mutter ausgesprochen hatte.

Ihr Brief war mit all der Zurückhaltung verfaßt, die höchste Wohlerzogenheit einer jungen Dame, einem jungen Herrn gegenüber, auferlegt; der Stil wie gedrechselt, die Schrift wie gestochen. Es war ein Muster von einem Briefe und konnte nicht verfehlen, auf Ronald und seine Eltern, denen der Empfänger ihn doch gewiß mitteilen würde, den besten Eindruck hervorzubringen. Eine Danksagung dürfte kaum ausbleiben, und Regula nimmt sich vor, dieselbe nicht unbeantwortet zu lassen. Die Korrespondenz kommt in Gang, es folgt wohl einmal eine persönliche Begegnung. Die Kapitalistin erkundigt sich freundlich nach den Erfolgen der Tätigkeit des Landwirtes. Vertrauen belohnt ihre Teilnahme. Sie – in ausnehmend delikater Weise – bietet Hilfe. Er – nicht minder delikat – zögert anfangs und – gibt endlich nach: «Unter einer Bedingung, mein Fräulein! ... Die Hand, von der ich annehme, muß mein werden!» – «O Herr Graf – Sie mißverstehen – Sie verkennen vielleicht die uneigennützige Absicht ...» – «Kein Wort weiter, Edelste! ...» Sein Schnurrbart ruht auf ihren Fingerspitzen; – der Rest ist Schweigen – Soll und Haben finden sich.

Während Regula von der Eroberung Ronalds träumte, träumten alle spekulativen Junggesellen und alle noch heiratsfähigen Witwer in Weinberg von dem Glück, die Erbin heimzuführen. Der eine tat es mit mehr, der andere mit weniger Zuversicht; doch kam jedem, wenn auch nur in einem Augenblicke des Übermuts, der Gedanke, die Heißensteinschen Reichtümer seien bestimmt, von ihm eingeheimst zu werden. Regula sah sich bald von einem Heere huldigender Freier umschwärmt, die nichts so emsig suchten, als die Gelegenheit, ihr Beweise der Ehrfurcht und Bewunderung zu geben und den heißen Wunsch an den Tag zu legen, der Alleinstehenden ihren Schutz angedeihen zu lassen und sich ritterlich zwischen sie und die Fährlichkeiten der bösen Welt zu werfen.

Das korrekte Fräulein empfing selbstverständlich keine Herrenbesuche; nur an drittem Orte war sie für ihre männlichen Sklaven zu treffen. Um so eifriger wurde sie von dem weiblichen Anhang ihrer Bewerber, von deren zärtlichen Müttern, Schwestern und Basen belagert. Diese ließen es nicht fehlen an der ausbündigsten Schmeichelei, und Regel sog dieses gefährliche Gift mit immer wachsendem Wohlgefallen ein. Wie schoß jetzt ihre, bereits von Frau Nannette zärtlich gepflegte Eitelkeit in die Blüte! Wie trugen die Verhältnisse dazu bei, ihren Durst nach Lob zu erhöhen! Sie war die unumschränkte Herrin ihrer werten Person, es galt nicht erst einen bärbeißigen Vater, eine launische Mutter, einen einflußreichen Verwandten zu gewinnen, um sich der Ersehnten nahen zu dürfen. Kein Ausdruck der Ergebenheit ging unterwegs verloren, jedes überschwengliche Wort gelangte unmittelbar an seine richtige Adresse, der Duft jedes Weihrauchkörnleins, das ein frommer Beter um Regulas Minnesold zu verbrennen für gut fand, wurde von der Göttin selbst eingesogen.

Ein Jahr nach dem Tode ihrer Mutter konnte Regula schon ebenso viele Briefe, als seitdem Tage verflossen waren, in die Lade legen, in der sie ihre teuersten Erinnerungen verwahrte. Und alle diese Briefe enthielten mehr oder minder unumwunden ausgesprochene Heiratsanträge. Von ihren Bewerbern durfte keiner sich rühmen, daß sie ihm die leiseste Hoffnung gegeben, und keiner sich beklagen, daß sie ihm die kühnste Hoffnung genommen habe. Sie hatte niemals an eine andere Verbindung, als an die mit dem Grafen Ronald gedacht, aber dennoch wollte sie von ihren zahlreichen Freiern nicht einen missen. Eine volle Woche hindurch war sie verstimmt, weil ein Witwer von fünfzig Jahren, der überdies Krautwurm hieß, unzufrieden mit der ausweichenden Antwort, die sie ihm erteilte, sich rasch resolvierte und eine andere Wahl traf, die sofort Genehmigung fand.

Fräulein Regula hielt es mit dem Futter für ihre Eitelkeit wie Voltaire mit seinem Ruhme: Er hatte davon für eine Million, aber er wollte noch für einen Sou.

Seit der Erfahrung, die sie an Herrn Krautwurm gemacht hatte, wurde sie noch vorsichtiger in der Behandlung ihrer Bewunderer. Dennoch gab es einen unter ihnen, den sie mißhandelte; zugleich der einzige, der Zutritt in ihr Haus erhalten, da er im Laufe der Zeiten Röschens Unterricht in den sogenannten deutschen Gegenständen übernommen hatte. Er war ein blonder, hübscher junger Mann mit dunkelblauen Augen und einem Vollbarte. Ihm war im Leben alles verkehrt gegangen. Er war zum Poeten geboren und wurde Professor der Mathematik, er schwärmte für Schönheit und Güte und – verliebte sich in Regula. Ja, er verliebte sich in sie. Was nicht einmal einem Geizhalse, dem reichen Fräulein gegenüber, gelang – er brachte es zuwege, oder vielmehr ihn überfiel's, wie ein reißendes Tier aus dem Busche den ahnungslosen Wanderer überfällt.

Wie es möglich war, daß dieses reizlose Geschöpf eine brennende Leidenschaft erregte – wer kann es begreifen? Der nicht, der meint, das Entstehen der Liebe bedürfe eines andern Grundes als die Beschaffenheit des Herzens, dem sie entspringt. Was gefiel dem Professor Ludwig Bauer an Regula? Ihre frostige Höflichkeit? Ihr wächsernes Gesicht? – Was trieb ihn zu ihr? – Vielleicht nur das Verhängnis, das zu manchem Menschen spricht: Hier ist eine Gelegenheit, tief unglücklich zu werden – ergreife sie! Hier fließt ein Strom unsäglicher Leiden – stürz dich hinein!

Der junge Professor liebte das Fräulein Heißenstein mit einer grimmigen, stets beleidigten und gekränkten Liebe, die ihm alle Lebensfreude verdarb und die er nur um so hartnäckiger festhielt mit verbissener Treue. Um Regula täglich sehen zu können, bot er sich an, ihrer kleinen Nichte Unterricht im Rechnen und in der Grammatik zu geben. Die Tante ging sehr gern auf diesen Vorschlag ein. Sie fürchtete ohnedies, es könne auffallen, daß «ein ungebildeter Kommis» der alleinige Führer des nun schon achtjährigen Kindes auf den Pfaden der Wissenschaft sei. Hingegen geriet ganz Weinberg in Bewunderung, als es bekannt wurde: Ein Professor des Gymnasiums bringe jetzt in eigener Person der kleinen Waise die vier Spezies bei und führe sie am Ariadnefaden seiner Weisheit durch das Labyrinth der Endungen.

Es ist erstaunlich! – Und was das kosten mag! Ja, Fräulein Heißenstein ist eben jederzeit und immer, man kann nur sagen: großartig!

Allabendlich Schlag sechs Uhr trat Professor Bauer in das Speisezimmer, wo Röschens Lehrtisch in einer Fensternische aufgeschlagen war, und wo sie ihn seufzend erwartete, aber nicht seufzend aus Ungeduld. Sein erstes Wort lautete regelmäßig: «War Fräulein Tante nicht da? Wird Fräulein Tante nicht kommen?» Und kam sie nicht, dann hatte Röschen eine schlimme Stunde. Erschien sie aber, so beeilte er sich, zu sagen: «Es ist gut, du warst sehr brav, du bist fertig.»

Ei, wie rasch sie in diesem günstigen Falle ihren kleinen Lehrkram zusammenräumte, sich in einen Winkel des Zimmers verkroch und auf ihre Schreibtafel, statt Ziffern, Herrn und Damen zeichnete, mit unförmig großen Köpfen und unglaublich dünnen Armen, an deren Enden fünf Stängelchen hingen, die sich für Finger ausgaben.

Sobald Ludwig Bauer die von ihm Angebetete erblickte, wurde er entweder mürrisch oder verlegen. Ein nicht erhörter Liebhaber ist selten liebenswürdig, er tut gewöhnlich das möglichste, um seine Sache zu verschlimmern. Von seinen Gefühlen zu sprechen, war dem Professor selten erlaubt, um Regulas stets zur Abwehr bereite Tugend nicht unter die Waffen zu rufen. Versuchte er es aber, sich angenehm zu machen, indem er interessante Dinge vorbrachte, die den gebildeten Geist des Fräuleins mit neuen Erkenntnissen schmücken sollten, dann kam er meist am schlechtesten an. Regula empfand einen wahren Abscheu vor allem Wissen, das sie nicht selbst besaß, und hatte bei den Erörterungen des Professors eine Art, den Mund zu verziehen, zerstreute Blicke umherzuwerfen und mit fast geschlossenen Lippen zu sagen. «Warum nicht gar» – die ihn jedesmal auf das gramsamste beschämte.

Zu andern Zeiten wieder benahm sich Bauer höchst stürmisch und ungebärdig. Röschen konnte sich eines Tages nicht genug darüber wundern, daß ihre Tante so gar keine Angst vor ihm zu haben schien, sondern sein heftiges Gezänke mit Ruhe, ja mit einem Lächeln der Befriedigung anhörte.

«Stimmen Sie sich herab, stimmen Sie sich herab, Bester!» sagte sie.

Sie sagte «Bester» zu einem Menschen, der schrecklich böse war – Röschen konnte darauf schwören.

Der Professor stand auf, machte einen Gang durch das Zimmer, trat vor Regula hin, kreuzte die Arme und sprach: «Ich bin Ihnen so gleichgültig wie der Hund, der dort über den Platz läuft ... Sie haben kein Herz, Fräulein!»

Regula warf einen Blick auf das Kind, das in der Ecke des Zimmers spielte, und entgegnete in ermahnendem Tone: «Sie wissen nicht, was Sie reden!»

«Nicht? ... Bin ich Ihnen etwa nicht gleichgültig? ... Antworten Sie mir!» rief der arme Professor in einem Atem flehend und drohend.

«Sie könnten es mir werden, wenn Sie so fortfahren – Freund», säuselte das Fräulein und schlug züchtig die Augen nieder. «Wäre das nicht traurig? ... Freundschaft ist so schön – denken Sie an Jean Paul ... Ich möchte Sie nicht verlieren ...»

«Fräulein! Fräulein! – o Fräulein!» war alles, was er hervorbrachte im Sturme seiner Gefühle. Regula richtete sich kerzengerade auf; murmelte etwas von Anmaßung und Tyrannei, die sie sich verbitten müsse, und machte eine verabschiedende Handbewegung.

«Oh!» stöhnte Ludwig, gerade wie Othello: «Oh! – Oh! –» und stürzte zur Tür hinaus.

Röschen hatte sich in ihrer Angst hinter einen der hochlehnigen Sessel gekauert und erwartete, ihre Tante werde sich gleichfalls in Sicherheit zu bringen suchen. Sie machte ihr schon Platz neben sich: «Komm hierher!» flüsterte sie, fürchtend, der wütende Professor könnte wiederkehren.

Aber für das Kind war heut ein Tag der Überraschungen. Statt besorgt zu scheinen, sah die Tante dem Enteilenden mit einem triumphierenden Blick nach, und versuchte sogar, ein Liedchen zu trällern; aber das mißlang ihr, denn sie hatte weder Gehör noch Stimme, oder vielmehr beides falsch und ungehorsam, und wenn sie singen wollte: «Der Eichwald brauset, die Wolken ziehen», geriet sie jedesmal in die Melodie von: «Robert – Robert, mein Geliebter!»

*

Ungefähr um dieselbe Zeit sah Mansuet den guten Schimmelreiter mit ganz verstörtem Gesicht aus dem Zimmer Bozenas treten. Er nahm im Gehen eine neue schwarze Krawatte von seinem Halse ab und ersetzte sie durch die dunkelgrau und grün quadrillierte, die er gewöhnlich trug. Als er an Weberlein vorüber sollte, machte er, um ihm auszuweichen, einen so großen Bogen, als die Breite des Ganges irgend erlaubte. Aber das half ihm nichts. Sein Freund schritt resolut auf ihn zu, nahm vertraulich seinen Arm und sprach: «Na, wissen Sie's jetzt? Sie hat ‹Nein› gesagt, versteht sich?»

Schimmelreiter sah noch immer um sich mit Blicken, starr und gläsern, wie die eines Menschen, der eben einen großen Schrecken gehabt hat. Grenzenloses Erstaunen, die höchste Bestürzung malten sich auf einem runden Gesichte.

Plötzlich blieb er stehen, faßte Mansuets beide Hände und, indem er sich zu dem kleinen Manne niederbeugte, flüsterte er ihm zu: «Sie hat, denken Sie, sie hat ‹Nein› gesagt – denken Sie sich das!»

Und nun ließ er Mansuets Hände los und rang die seinen wie ein Trostloser.

Der Alte redete ihm zu: «Beschwichtigen Sie sich. Wissen Sie was? – Machen Sie sich nichts daraus.»

Der abgewiesene Freier mußte zugeben, daß er nicht leicht etwas Klügeres tun könnte. – Aber freilich, gleich das Klügste zu tun, wer trifft das so leicht? Überdies würde die Sache damit noch nicht abgetan sein. Das Schlimmste kommt nach! Das Gerede der Leute. «Alle Leute werden es erfahren!» jammerte Schimmelreiter.

«Was fällt Ihnen ein?» fragte Mansuet. « Die Bozena schwatzt nicht, und außer ihr weiß es niemand.»

Der Sekretär gestand, das Fräulein wisse es, ihr habe er pflichtschuldig gemeldet, er gehe mit dem Gedanken um, «sich zu verändern». Freilich ohne ihr mitzuteilen, auf wen seine Wahl gefallen sei.

«Dann ist ja alles vortrefflich!» sagte Weberlein, «dann gehen Sie gleich und nehmen eine andere.»

Diese Äußerung rief, so brutal sie schien, durchaus keine Entrüstung bei Schimmelreiter hervor, er meinte vielmehr, das sei zu überlegen, kam jedoch alsbald wieder auf die Katastrophe zurück, die jetzt seine ganze Seele erfüllte.

«Aber, die Bozena! ... Begreifen Sie die Bozena? Begreifen Sie, daß sie mich ausgeschlagen hat? Sie hätte doch wirklich ein Glück mit mir gemacht. So eindringlich habe ich es ihr vorgestellt! – Es nützte nichts. Sie wird niemals heiraten, behauptet sie. Ich lasse nicht nach mit Fragen: Warum? warum? Ob sie ihr Herz an einen gehängt hat, den sie nicht kriegen kann? – Ob sie gar so hoch hinaus will? – ‹Nein! nein!› sagt sie. ‹Was also hält Sie ab?› sag ich. Und sie darauf: ‹Ein unübersteigliches Hindernis.› – ‹Das immer bleiben wird?› – ‹Immer.› – ‹An dem nichts zu ändern ist?› – ‹Nichts. Lassen Sie es jetzt gut sein, Herr Sekretär.› – Und ich hätte es sollen gut sein lassen. Aber da reitet mich der Teufel, daß ich nicht schweigen kann, daß ich noch frage: ‹Wenn dies unübersteigliche Hindernis nicht wäre, würden Sie mich dann nehmen?› – Glauben Sie es, oder nicht – sie antwortet mir: ‹Wenn Sie es durchaus wissen wollen: auch dann nicht.› Ja: ‹Auch dann nicht›, hat sie gesagt. Und jetzt möchte ich wissen, sie ist ja gut, tut niemandem gern weh – warum sie nicht lieber geschwiegen – warum sie nicht lieber eine ausweichende Antwort gegeben hat?»

«Jede andere hätt's getan – aber sie? Sie sagt nur die Wahrheit, aber die ganze. Sie ist wahr wie der Tag», erwiderte Mansuet.


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