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Vorwort

Durch eine wunderbare Fügung ist eine Anzahl von Schriftstücken aus dem vernichteten königlichen Archiv von Memphis erhalten geblieben, die in griechischer Sprache auf Papyrus geschriebene Bittschriften enthalten, welche ein im Serapeum eingeschlossener Klausner von mazedonischer Herkunft zugunsten zweier Zwillingsschwestern verfaßte, die als »Ausgießerinnen von Spenden« dem Gotte dienten.

Auf den ersten Blick erscheinen diese Bittschriften kaum der Beachtung wert; ein tieferes Eingehen in ihren Inhalt lehrt aber, daß wir in ihnen Dokumente von hohem kulturgeschichtlichem Werte besitzen; zeigen sie uns doch an einem Mittelpunkte der heidnischen Religionsübung die Wurzeln der durch das Christentum zu höherer sittlicher und historischer Bedeutung gelangten mönchischen Idee, gewähren sie uns doch unerwartete Einblicke in das innere Leben jenes Serapistempels, dessen zerstörte Mauern in unserer Zeit der rastlose Fleiß des französischen Ägyptologen Mariette vom Sande der Wüste befreit hat.

Es war mir vergönnt, diese Stätten zu besuchen und zu durchforschen, und die erwähnten Bittschreiben sind mir seit Jahren bekannt. Als nun in jüngster Zeit einer meiner Schüler es unternahm, vorzüglich eines von diesen Dokumenten, das in der königlichen Bibliothek zu Dresden konserviert wird, eingehend zu behandeln, unterzog ich mich selbst einem neuen Studium derselben, und dabei geschah es, daß das Bild des Serapeums zur Zeit Ptolemäus Philometor deutlich in meine Vorstellung trat, und in mir diejenigen Gemälde feste Umrisse gewannen und sich mit Farben bekleideten, welche ich auf den folgenden Blättern dichterisch auszugestalten versuche.

Zu meinen Helden wählte ich nicht denselben Klausner und dieselben Zwillingsschwestern, von denen die Bittschriften reden, sondern solche, welche um ein Weniges früher unter den gleichen Bedingungen gelebt haben konnten, denn es geht aus dem Papyrus hervor, daß nicht nur zufällig einmal Zwillinge im Serapistempel tätig waren, sondern daß vielmehr ein Schwesternpaar auf das andere im Amt als Ausgießerinnen von Spenden gefolgt ist.

Meine Klea und Irene ließ ich diese Tätigkeit nicht antreten, sondern als Pflegebefohlene des Serapeums für sie heranwachsen. Ich wählte diese Auskunft, teils weil die vorhandenen Quellen nur sehr ungenügende Kunde über die Anforderungen, welche an die Zwillinge gestellt worden sind, zu gewähren vermögen, teils infolge von anderen, sich aus dem Plan meiner Dichtung ergebenden Gründen.

Klea und Irene sind frei erfundene Gestalten, dagegen habe ich die historische Physiognomie der Zeit, in der ich sie leben lasse, und die Bilder der feindlichen Brüder auf dem Throne Ägyptens, Ptolemäus Philometor und Euergetes II., welcher letztere den Beinamen Physkon (d.i. der Dicke) trug, treu nach den vorhandenen, ziemlich ergiebigen Quellen zu zeichnen versucht. Auch der Eunuch Euläus und der Römer Publius Cornelius Scipio Nasica sind historische Personen. Unter den jungen, in dieser Zeit lebenden Patriziern wählte ich den letzteren, teils weil sein strenger aristokratischer Sinn, den er namentlich in späteren Jahren schroff betätigte, bezeugt wird, teils weil mir sein Bei- oder Spitzname Serapion auffiel.

Ich erkläre diesen letzteren in meiner Weise, obwohl ich weiß, daß er ihn seiner Ähnlichkeit mit einer untergeordneten Person dieses Namens verdanken soll.

Für den gerade mit dieser Epoche der ägyptischen Geschichte weniger vertrauten Leser sei gesagt, daß er Kleopatra, die Gattin des Ptolemäus Philometor, mit der ich ihn bekannt zu machen gedenke, nicht mit ihrer berühmten Namensschwester, der Geliebten des Julius Cäsar und des Marcus Antonius, verwechseln darf.

Der Name Kleopatra war besonders beliebt im Hause der Lagiden, und unter den Königinnen, welche ihn trugen, war die durch Shakespeare und in jüngster Zeit durch Makart auch in den weitesten Kreisen bekannte Schwester und Gattin des vierzehnten Ptolemäers die siebente. Ihr tragisches Ende durch Otterngift oder den Biß einer Natter fällt 134 Jahre später als unsere Erzählung, welche im Jahr 164 v. Chr. spielt.

Zu dieser Zeit hatte Ägypten bereits 169 Jahre unter der Herrschaft eines griechischen (mazedonischen) Königshauses gestanden, welches seinen Namen der Ptolemäer oder Lagiden seinem Ahnherrn Ptolemäus Soter, dem Sohne des Lagus, dankte. Dieser tatkräftige Mann, ein General Alexanders des Großen, hatte an der Eroberung des Niltals 332 teilgenommen. Nach dem Tode Alexanders. 323, verwaltete Ptolemäus Ägypten als Satrap des neuen Weltreiches und bestieg dann den Thron der Pharaonen. Er und seine Nachkommen behaupteten denselben, bis Ägypten nach dem Tode der letzten und berühmtesten Kleopatra (30) dem römischen Reiche als Provinz einverleibt wurde.

Auf die Geschichte der einzelnen Ptolemäer einzugehen ist hier nicht der Platz, wohl aber darf bemerkt werden, daß der völkergewinnende Zauber des griechischen Wesens sich in Ägypten besonders wirksam erwies, und zwar vorzüglich infolge des mächtigen Einflusses des von Alexander gegründeten Alexandria, das in wunderbarer Schnelligkeit zu einem der glänzendsten Mittelpunkte hellenischen Geistes, hellenischer Kunst und Wissenschaft heranwuchs.

Lange vor der gemeinsamen Herrschaft der feindlichen Brüder Ptolemäus Philometor und Euergetes II., deren gewaltsames Ende wir dem Leser in unserer Weise vorführen, machte sich griechischer Einfluß in allen Regungen des ägyptischen Lebens, welches von der Eigenart seiner früheren Eroberer, Hyksos, Assyrer und Perser, fast unberührt geblieben war, geltend, und der abgeschlossenste und ungastlichste Staat des früheren Altertums öffnete unter den Ptolemäern allen Fremden weit die Tore.

Alexandria war auch in unserem Sinne eine Weltstadt, in der nicht nur die Handelsgüter, sondern auch die geistigen und religiösen Besitztümer der verschiedensten Völker zusammenströmten, verarbeitet und allen Nationen, die sie begehrten, vermittelt wurden. Ich widerstand dem Reiz, meine Erzählung hierher zu verlegen, weil in Alexandria das ägyptische Element zu weit hinter dem hellenischen zurücktrat, und hier das glänzende, überwältigend reiche Bühnenwerk leicht die Aufmerksamkeit von dem Seelenleben der handelnden Personen abgezogen haben würde.

In den inneren Angelegenheiten ihres Landes war es den Königen von Ägypten in der von uns geschilderten hellenistischen Zeit frei zu schalten gestattet, die Entfaltung ihrer Macht nach außen hin beschränkte das schnell und gewaltig herangewachsene römische Reich nach seinem Belieben.

Die Einwanderung von Israeliten aus Palästina hatte gerade Philometor willig Vorschub geleistet, und unter ihm gewann die große jüdische Gemeinde von Alexandria einen den griechischen beinahe überflügelnden Einfluß auf die Stadt, das Reich und ihren königlichen Beschützer, der dem Jehova am Nil einen Tempel zu bauen gestattete und in eigener Person an den dogmatischen Händeln der griechisch gebildeten Israeliten in seiner Umgebung teilnahm. Der hochbegabte, aber lasterhafte und gewalttätige Euergetes II. war ihnen um so weniger geneigt und verfolgte sie grausam, sobald ihm die Herrschaft über ganz Ägypten nach dem Tode seines Bruders zugefallen war. Auch die Mitglieder der großen Akademie, des sogenannten Museums von Alexandria, ließ er, der sich selbst mit wissenschaftlichen Arbeiten ernstlich beschäftigt hatte, seine schwere Hand fühlen und zwang sie, sich eine neue Heimat zu suchen. Die in die Flucht getriebenen Jünger der Wissenschaft ließen sich dann in verschiedenen Städten am Mittelmeer nieder und trugen nicht wenig zur Verbreitung der im Museum gereiften Geistesfrüchte bei.

Aristarch, den größten unter den gelehrten Zeitgenossen Philometors, lass' ich an einem Gespräch im Königspalaste von Memphis teilnehmen. Die Verse vom kleinen Menschenkind, welche Kleopatra im zehnten Kapitel (S. 98) vorträgt, stammen nicht aus dem Altertum. Der verewigte Friedrich Ritschl, der Aristarch unserer Zeit, hielt sie besonders hoch und teilte sie mir vor einigen Jahren samt mehreren Variationen mit, welche ein noch unter den Lebenden wandelnder Anonymus an sie geknüpft hatte. Ich fügte zwei von diesen letzteren zu dem ersten Verse, welche, wie ich in der zwölften Stunde erfuhr, von dem verstorbenen H. H. L. von Held gedichtet worden sind, über den man in Varnhagens biographischen Denkmalen, Bd. VII, nähere Auskunft findet. Ich denke, daß mir mancher Leser für die Mitteilung dieser hübschen Verse und der geistreichen neuen Wendungen der ihnen zugrunde liegenden Idee Dank wissen wird. Ähnliche Verse könnte Kallimachus oder ein anderer Poet aus dem Kreise der früheren Mitglieder des Museums recht wohl gedichtet haben.

Auch in dieser Erzählung war ich bestrebt, die ihre Eigenart bedingenden und bezeichnenden Züge einer großen Kulturepoche in einem engbegrenzten Bilde zusammenzufassen und ihm Farbe und Bewegung zu verleihen, indem ich die Lebensschicksale von einzelnen Kindern der darzustellenden Zeit sich vor den Augen meiner Leser verflechten und zur Lösung gelangen ließ.

Alle in dieser Erzählung handelnden Personen sind mir aus der Betrachtung der Tage, in denen sie lebten, in die Vorstellung getreten; aber als sie einmal in den Umrissen mein waren, zeigten sie sich bald als Traumbilder in verklärter Gestalt vor meiner Seele, und von dichterischer Schaffensfreude durchglüht, fühlte ich, indem ich sie darstellte, daß ihr Blut sich erwärmte, daß ihr Herz zu schlagen und ihres Geistes Schwingen sich angemessen ihrem Wesen zu regen begannen. Ich ließ der Geschichte ihr Recht, aber der Mensch als historische Person trat hinter dem Menschen als solcher zurück, und aus den Repräsentanten einer Epoche wurden die Träger einer für alle Zeiten gültigen menschlichen Idee; und so darf ich es wohl wagen, dieses Zeitbild auch eine Dichtung zu nennen.

Leipzig, den 13. November 1879

Georg Ebers


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