Alexander Dumas d. Ä.
Die schwarze Tulpe
Alexander Dumas d. Ä.

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7.
Der glückliche Mann lernt das Unglück kennen

Nachdem Cornelius die Angelegenheiten seiner Familie besorgt hatte, besuchte er seinen Paten Cornelius van Baerle im Monat Januar 1672.

Die Nacht brach ein.

Obgleich selbst ziemlich wenig Gärtner und ziemlich wenig Künstler, besichtigte Cornelius das ganze Haus von dem Atelier bis zu den Gewächshäusern, von den Gemälden bis zu den Tulpen. Er dankte seinem Neffen, daß er die Schlacht an der Southwood-Bai auf dem Verdeck des Admiralschiffes der sieben Provinzen mitgemacht und seinen Namen einer prächtigen Tulpe gegeben hatte, und dies alles mit der Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit eines Vaters gegen seinen Sohn; und während er so van Baerles Schätze einer Musterung unterzog, blieb die Menge neugierig, ja sogar ehrfurchtsvoll, vor der Thür des glücklichen Mannes stehen.

All dieser Lärm erregte die Aufmerksamkeit Boxtels, der neben seinem Feuer sein Vesperbrot zu sich nahm.

Er erkundigte sich, was los wäre, erfuhr es und kletterte nach seinem Laboratorium hinauf.

Und trotz der Kälte richtete er sich dort, das Fernrohr vor dem Auge, häuslich ein.

Seit dem Herbste 1671 war ihm das Fernrohr von keinem großen Nutzen mehr. Frostig wie echte Töchter des Orients können die Tulpen im Winter nicht in der Erde gepflegt werden. Sie bedürfen des inneren Hauses, des weichen Bettes in den Schränken und der freundlichen Liebkosungen des Ofens. Auch Cornelius brachte den ganzen Winter in seinem Laboratorium mitten unter seinen Büchern und Gemälden zu. Selten ging er in das Zimmer mit den Zwiebeln, wenn es nicht geschah, um einige Sonnenstrahlen, die er ertappt hatte, eindringen zu lassen und sie durch Öffnung einer gläsernen Klappe zu zwingen, daß sie gern oder ungern zu ihm hineinfielen.

An dem Abend, von dem wir sprechen, sagte Cornelius, nachdem die beiden Namensvettern alle Gemächer zusammen besichtigt hatten, leise zu van Baerle:

»Mein Sohn, entfernen Sie Ihre Leute und suchen Sie es einzurichten, daß wir einige Augenblicke allein bleiben.«

Cornelius verneigte sich zum Zeichen des Gehorsams. Darauf sagte er ganz laut:

»Wollen Sie jetzt noch gefälligst das Trockenzimmer meiner Tulpen besichtigen?«

Das Trockenzimmer! Dieses Pandämonium der Tulpenwelt, dieses Tabernakel, dieses sanctum sanctorum, war, wie einst Delphi, den Profanen verboten.

Nie hatte ein Diener, wie der große Racine, der zu jener Zeit in Blüte stand, gesagt hätte, seinen Fuß kühn hineingesetzt. Cornelius ließ nur den harmlosen Besen einer alten friesischen Magd, seiner Amme, hineindringen, die, seitdem sich Cornelius dem Kultus der Tulpen gewidmet hatte, keine Zwiebeln mehr an die Speisen zu thun wagte, um ihren Pflegling über jede Verwechselung zu beruhigen.

Auch entfernten sich die Diener, welche die Kerzen trugen, bei dem bloßen Worte Trockenzimmer ehrfurchtsvoll. Cornelius nahm die Lichter dem ersten aus der Hand und ging seinem Paten voran.

Fügen wir zu dem Ebengesagten noch hinzu, daß das Trockenzimmer das nämliche Zimmer mit der Glaswand war, auf welches Boxtel unaufhörlich sein Fernrohr richtete.

Der Neidhammel war mehr als je auf seinem Posten.

Zuerst sah er, wie sich die Wände und die Glaswand erhellten.

Darauf erschienen zwei Schatten.

Der eine derselben, groß, majestätisch, ernst, nahm neben dem Tische, auf welchen Cornelius den großen Leuchter gesetzt hatte, Platz.

In diesem Schatten erkannte Boxtel das blasse Gesicht des Cornelius von Witt, dessen lange, schwarze, mitten über der Stirn gescheitelte Haare auf die Schultern hinabwallten.

Nachdem der Deichhauptmann einige Worte, deren Sinn der Neidhammel an der Bewegung seiner Lippen nicht verstehen konnte, zu Cornelius gesagt hatte, zog er aus seiner Brusttasche ein weißes, sorgfältig versiegeltes Päckchen und überreichte es ihm, ein Päckchen, das Boxtel nach der Art, in der es Cornelius nahm und in einen Schrank legte, für Papiere von der höchsten Wichtigkeit hielt.

Anfänglich hatte er gedacht, daß dieses kostbare Päckchen einige erst vor kurzem aus Bengalen oder von der Insel Ceylon angekommene Brutzwiebeln enthielte; allein er hatte bald überlegt, daß Cornelius die Tulpen wenig zog und sich fast nur mit dem Menschen beschäftigte, einer schlechten Pflanze, die für den Anblick weit weniger angenehm und namentlich weit schwieriger zur Blüte zu bringen ist.

Er kam also auf die Idee zurück, daß dieses Päckchen einzig und allein Papiere enthielte, und diese Papiere nur von Politik handelten.

Was aber Papiere über Politik mit Cornelius zu schaffen hatten, der dieser Wissenschaft nicht allein völlig fremd war, sondern sich dessen auch rühmte, war seiner Ansicht nach noch weit unklarer als Chemie und sogar Alchemie.

Wahrscheinlich hatte sie Cornelius, der schon durch die Unpopularität, mit der ihn seine Mitbürger zu beehren anfingen, bedroht war, seinem Paten van Baerle nur anvertraut, und die Sache war von dem Deichhauptmann um so geschickter, da man sicherlich nicht bei Cornelius, der jeglichen politischen Ränken fremd war, auf diese Papiere Jagd machen würde.

Überdies kannte Boxtel seinen Nachbar: hätte das Päckchen Brutzwiebeln enthalten, so hätte er nicht an sich halten können, sondern es als Liebhaber geprüft und augenblicklich den Wert der empfangenen Geschenke geschätzt.

Dagegen hatte Cornelius das anvertraute Päckchen ehrfurchtsvoll aus den Händen des Deichhauptmanns genommen und es immer noch ehrfurchtsvoll in einen Schrank gelegt, wobei er es ganz nach unten packte, zunächst zwar gewiß damit es nicht gesehen würde, dann aber, damit es nicht einen zu großen Teil des für seine Zwiebeln aufbewahrten Platzes in Anspruch nähme.

Sobald das Päckchen im Schranke war, erhob sich Cornelius von Witt, drückte seinem Paten die Hände und schritt nach der Thür.

Schnell ergriff Cornelius den Leuchter und ging eilig voran, um ihm höflich zu leuchten.

Nun entschwand nach und nach das Licht in dem Zimmer mit der Glaswand, um auf der Treppe, dann in der Vorhalle und endlich auf der noch immer von Leuten, die den Deichhauptmann in seine Kutsche steigen sehen wollten, dicht bevölkerten Straße wieder zu erscheinen.

Der Neidhammel hatte sich in seinen Vermutungen nicht getäuscht. Die von dem Deichhauptmann seinem Paten anvertrauten und von diesem sorgfältig verschlossenen Papiere waren Johanns Correspondenz mit Herrn von Louvois.

Nur war sie, wie Cornelius seinem Bruder gesagt hatte, übergeben worden, ohne daß Cornelius seinem Mündel auch nur im geringsten die politische Wichtigkeit hatte ahnen lassen.

Er hatte ihm lediglich anempfohlen, diese Papiere niemandem, wer sie auch immer von ihm verlangen möchte, ohne ein Wort von ihm zu verabfolgen.

Und Cornelius hatte die Papiere, wie wir gesehen haben, in den Schrank mit den kostbaren Brutzwiebeln eingeschlossen.

Als dann der Deichhauptmann abgefahren, der Lärm verhallt und das Licht erloschen war, hatte unser Freund nicht mehr an dieses Päckchen gedacht, an welches Boxtel dagegen noch sehr stark dachte. Wie ein erfahrener Lotse sah er in diesem Päckchen die ferne und unwahrnehmbare Wolke, die beim Heranrücken immer größer wird und das Gewitter in sich birgt.

Und jetzt sind nun alle Hauptpunkte zu unserer Geschichte in diesem fetten Boden, der sich von Dordrecht nach Haag hinzieht, abgesteckt worden. Möge ihnen in den nächsten Kapiteln folgen, wer Lust hat; was uns anlangt, so haben wir unser Wort gehalten, indem wir bewiesen, daß Cornelius und Johannes von Witt in ganz Holland nie so wilde Feinde hatten, wie ihn van Baerle in seinem Nachbar Mynheer Isaak Boxtel besaß.

Trotz seiner tiefen Unkunde von aller Politik war unser Tulpenzüchter auf dem Wege nach dem von der Gesellschaft zu Harlem gesteckten Ziele rüstig vorwärtsgeschritten und von der nußbraunen Tulpe zu der Tulpe mit der Farbe des gebrannten Kaffees gelangt. An demselben Tage, wo in Haag das große Ereignis, welches wir erzählt haben, stattfand, werden wir ihn gegen ein Uhr nachmittags wiederfinden, wie er aus seiner Rabatte die bis dahin noch unfruchtbaren Zwiebeln von dem Samen der Tulpen mit der Farbe des gebrannten Kaffees nahm, deren bis dahin mißlungene Blüte im Frühling des Jahres 1673 erwartet wurde, und die jedenfalls die von der Harlemer Gesellschaft verlangte schwarze Tulpe liefern mußte.

Den 20. August 1672 nachmittags ein Uhr befand sich Cornelius also in seinem Trockenzimmer, die Füße auf die Fußbank gesetzt, die Ellbogen auf die Tischdecke gestützt, und betrachtete mit Wonne drei prächtige Brutzwiebeln, die er von einem Tulpenknollen ablöste: reine, vorzügliche, fehlerlose Brutzwiebeln, die wertvollsten Grundbedingungen zu einem der herrlichsten Erzeugnisse der Wissenschaft und der Natur, wie sie in jener Verbindung vorkamen, deren glücklicher Erfolg den Namen des Cornelius van Baerle für immer berühmt machen sollte.

»Ich werde die erhabene schwarze Tulpe finden,« sagte Cornelius leise zu sich, während er seine Brutzwiebeln völlig ablöste. »Ich werde die hunderttausend Gulden des ausgesetzten Preises gewinnen. Ich werde sie unter die Armen Dordrechts verteilen; auf diese Weise wird sich der Haß, den in Bürgerkriegen jeder Reiche erregt, legen, und ohne Republikaner oder Orangisten fürchten zu brauchen, werde ich meine Rabatten immer in gleich prächtigem Zustande erhalten können. Dann brauche ich nicht mehr zu fürchten, daß bei einem Aufstande die Krämer Dordrechts und die Schiffer aus dem Hafen mir meine Zwiebeln ausreißen, wie sie mir bisweilen ganz leise drohen, wenn es ihnen einfällt, daß ich eine Zwiebel für zwei- oder dreihundert Gulden gekauft habe. Abgemacht, ich gebe also die hunderttausend Gulden des Harlemer Preises den Armen.«

»Obgleich . . .«

Und bei diesem »Obgleich« machte van Baerle eine Pause und seufzte.

»Obgleich,« fuhr er fort, »die Verwendung dieser hunderttausend Gulden zu einer Vergrößerung meines Beetes oder auch zu einer Reise in den Orient, das Vaterland der schönen Blumen, mir sehr zu statten gekommen wäre.«

»Aber ach! man muß an das alles nicht mehr denken! Musketen, Fahnen, Trommeln und Proklamationen beherrschen in diesem Augenblicke die Lage der Dinge!«

Van Baerle hob die Augen zum Himmel empor und stieß einen Seufzer aus.

Dann lenkte er seinen Blick wieder auf seine Zwiebeln, die in seinem Geiste doch mehr als diese Musketen, diese Trommeln, diese Fahnen und diese Proklamationen, kurz als alle diese Dinge galten, die alle nur geeignet sind, den Geist eines redlichen Menschen zu stören.

»Es sind doch wirklich recht hübsche Brutzwiebeln,« sagte er. »Wie glatt, wie wohlgeformt sie sind! Ein wie schwermütiges Äußere sie haben, das meiner Tulpe das schwarze Ebenholz verspricht! Auf der oberen Schale kann man mit bloßem Auge die Adern des Saftumlaufes nicht einmal sehen. O, wahrhaftig, nicht ein Makel soll das Trauerkleid der Blume, die mir ihr Leben verdanken wird, entstellen!«

»Wie soll man diese Tochter meiner Nachtwachen, meiner Arbeit, meines Denkens nennen? Tulupa nigra Baerlensis.«

»Ja, Baerlensis; ein schöner Name. Das ganze tulpenfreundliche Europa, das heißt das ganze intelligente Europa wird zittern, wenn die Nachricht davon mit Windeseile nach allen vier Hauptpunkten des Erdballes fliegt.«

»›Die erhabene schwarze Tulpe ist entdeckt! Ihr Name?‹ werden die Tulpenliebhaber sagen. – ›Tulupa nigra Baerlensis.‹ – ›Weshalb Baerlensis?‹ – ›Weil ihr Entdecker van Baerle heißt,‹ wird man sagen. – ›Wer ist dieser van Baerle?‹ – ›Derselbe, der schon fünf neue Arten: die Johanna, die Johann von Witt, die Cornelius u. s. w. entdeckt hat.‹ Mein eigener Ehrgeiz ist dabei nur im Spiele. Er wird niemandem Thränen kosten. Und man wird noch von der tulupa nigra Baerlensis sprechen, wenn vielleicht mein Pate, dieser glänzende Politiker, nur noch durch die Tulpe, der ich seinen Namen gegeben habe, bekannt ist.«

»Die reizenden Brutzwiebeln!«

»Wenn meine Tulpe geblüht hat,« fuhr Cornelius fort, »so will ich, sobald die Ruhe in Holland zurückgekehrt ist, den Armen doch nur fünfzigtausend Gulden geben. Alles in allem betrachtet, ist es für einen Menschen, der durchaus niemandem etwas verdankt, schon viel. Dann kann ich mit den fünfzigtausend anderen Gulden Experimente anstellen. Ach, wenn es mir gelänge, der Tulpe den Geruch der Rose oder der Nelke, oder sogar einen völlig neuen Geruch, was noch besser wäre, zu verleihen; wenn ich dieser Königin der Blumen diesen der Gattung zukommenden, natürlichen Duft wiedergäbe, den sie dadurch verlor, daß sie von dem Throne Indiens hinabstieg und sich auf den europäischen Thron emporschwang, denselben, den sie auf der Halbinsel Ostindien, in Goa, Bombay, Madras und namentlich auf der Insel Ceylon haben soll, das einst der Versicherung nach das irdische Paradies war; ja, welcher Ruhm würde das sein! Ich bekenne es offen, lieber möchte ich dann van Baerle als Alexander, Cäsar oder Maximilian sein.«

»Die prächtigen Brutzwiebeln!«

Und entzückt versenkte sich Cornelius in seine Betrachtung und überließ sich Cornelius den süßesten Träumen.

Plötzlich wurde an der Klingel in seinem Arbeitszimmer heftiger als sonst geschellt.

Cornelius begann zu zittern, streckte die Hand nach seinen Brutzwiebeln aus und drehte sich um.

»Wer ist da?« fragte er.

»Ein Bote aus Haag ist angelangt,« erwiderte der Diener.

»Ein Bote aus Haag! . . . Was will er?«

»O, Herr, es ist Kraeke.«

»Kraeke, der erste Kammerdiener des Herrn Johann von Witt? Gut! Er soll warten.«

»Ich kann nicht warten,« sagte eine Stimme auf dem Gange.

Und gleichzeitig erzwang Kraeke den Eingang und stürzte in das Trockenzimmer.

Dieses fast gewaltsame Eindringen war eine solche Verletzung der in dem Hause des Herrn Cornelius van Baerle bestehenden Gewohnheiten, daß dieser, als er Kraeke in das Trockenzimmer hineinstürzen sah, mit der Hand, welche die Brutzwiebeln bedeckte, eine fast krampfhafte Bewegung machte, wodurch zwei der köstlichen Brutzwiebeln hinabgeworfen wurden. Eine derselben rollte unter einen in der Nähe des großen Tisches stehenden kleineren Tisch und die andere in den Kamin.

»O weh!« rief Cornelius und eilte hinter seinen Brutzwiebeln her, »was giebt es denn, Kraeke?«

»Weiter nichts, mein Herr,« sagte Kraeke und legte das Papier auf den großen Tisch, wo die dritte Zwiebel liegen geblieben war, »weiter nichts, als daß Sie dieses Papier, ohne einen einzigen Augenblick zu verlieren, lesen sollen.«

Und Kraeke, der in den Straßen Dordrechts einen ähnlichen Aufruhr, wie er ihn in Haag verlassen hatte, bemerkt zu haben glaubte, machte sich, ohne den Kopf zu wenden, aus dem Staube.

»Es ist gut, es ist gut, mein lieber Kraeke,« versetzte Cornelius und griff unter den Tisch, nur auf die köstliche Zwiebel Jagd zu machen; »man wird es lesen, dein Papier.«

Und ohne von den verloren gegangenen Knollen abzulassen, ging van Baerle nach dem Kamin, kniete neben ihm nieder und begann mit der Fingerspitze die Asche zu befühlen, die zum Glück kalt war.

Nach einem Augenblick fand er die zweite Brutzwiebel.

»Gut,« sagte er, »da ist sie.«

Und nachdem er sie mit einer fast väterlichen Aufmerksamkeit betrachtet hatte, rief er:

»Unversehrt wie die erste.«

In demselben Augenblicke, und noch während Cornelius auf den Knieen lag und die zweite Brutzwiebel untersuchte, wurde an der Thür des Trockenzimmers so heftig gerüttelt und sprang sie infolge dieses Rüttelns dergestalt auf, daß Cornelius merkte, wie ihm die Glut dieser schlechten Ratgeberin, die Zorn heißt, in Wangen und Ohren stieg.

»Was giebt es denn schon wieder?« fragte er. »Wird hier denn alles närrisch?«

»O, Herr, Herr!« schrie ein Diener und stürzte mit einem weit blässeren Gesichte und einer weit bestürzteren Miene, als Kraeke gehabt hatte, in das Trockenzimmer.

»Was ist los?« fragte Cornelius, der bei dieser doppelten Verletzung aller herkömmlichen Regeln ein Unglück ahnte.

»Ach, Herr, fliehen Sie, fliehen Sie schnell!« rief der Diener.

»Fliehen, und weshalb?«

»Herr, das Haus ist voller Schutzmannschaften.«

»Was wollen sie?«

»Sie suchen nach Ihnen.«

»Zu welchem Zwecke?«

»Um Sie zu verhaften.«

»Mich zu verhaften? Mich?«

»Ja, Herr, und ein Richter führt sie.«

»Was hat das zu bedeuten?« fragte van Baerle, indem er seine beiden Brutzwiebeln fest mit seiner Hand umschloß und fast verstört auf die Treppe hinaussah.

»Sie kommen, sie kommen herauf!« rief der Diener.

»O, mein liebes Kind, mein würdiger Gebieter,« rief die Amme und stürmte ihrerseits in das Trockenzimmer. »Nehmen Sie Ihr Geld, Ihre Edelsteine, und fliehen Sie, fliehen Sie!«

»Aber wo soll ich denn hinausfliehen, Amme?« fragte van Baerle.

»Springen Sie zum Fenster hinaus.«

»Fünfundzwanzig Fuß hoch!«

»Sie fallen auf sechs Fuß rajoltes Land.«

»Ja, aber ich werde auf meine Tulpen fallen.«

»Das thut nichts, springen Sie!«

Cornelius nahm die dritte Brutzwiebel, trat an das Fenster und öffnete es. Mehr aber noch von der Vorstellung der Verheerung, die er auf seinen Rabatten anrichten mußte, als von der Tiefe, die er hinabspringen sollte, zurückgeschreckt, rief er:

»Nie, niemals!«

Und er trat einen Schritt zurück.

In diesem Augenblicke sah man die Hellebarden der Soldaten über das Treppengeländer zum Vorschein kommen.

Die Amme streckte die Arme zum Himmel empor.

Was Cornelius van Baerle anlangt, so muß man nicht nur zum Lobe des Menschen, sondern auch des Tulpenzüchters bekennen, daß seine Gedanken ausschließlich seinen unschätzbaren Brutzwiebeln galten.

Er suchte mit den Augen nach einem Papiere, in das er sie wickeln könnte, bemerkte das von Kraeke auf den Trockentisch gelegte Bibelblatt, nahm es, ohne sich in seiner großen Verwirrung zu erinnern, woher er es hatte, wickelte die drei Zwiebeln hinein, verbarg sie in seine Brusttasche und wartete.

Unter Führung des Richters traten die Soldaten in demselben Augenblicke herein.

»Sind Sie der Doktor van Baerle?« fragte der Richter, obgleich er den jungen Mann genau kannte; aber in dieser Beziehung beobachtete er streng die bei Gericht geltenden Vorschriften, was, wie man sieht, dem Verhöre eine große Wichtigkeit verlieh.

»Ich bin es, Herr van Spennen, wie Sie recht wohl wissen,« erwiderte Cornelius und begrüßte seinen Richter artig.

»Dann übergeben Sie uns die aufrührerischen Papiere, die Sie bei sich versteckt haben.«

»Die aufrührerischen Papiere?« wiederholte Cornelius, über die Anrede ganz bestürzt.

»O, spielen Sie nicht den Erstaunten.«

»Ich schwöre Ihnen, Herr van Spennen,« erwiderte Cornelius, »daß ich durchaus nicht verstehe, was Sie sagen wollen.«

»Dann will ich Ihnen auf den Weg helfen, Doktor,« sagte der Richter: »überliefern Sie uns die Papiere, welche Ihnen der Verräter Cornelius von Witt im letzten Monate Januar zur Aufbewahrung übergeben hat.«

Blitzartig durchzuckte es den Geist des Herrn Cornelius.

»Ha, ha,« bemerkte van Spennen, »Sie fangen an sich zu erinnern, nicht wahr?«

»Gewiß; aber Sie sprachen von aufrührerischen Papieren, und derartige Papiere besitze ich nicht.«

»O, Sie leugnen?«

»Sicherlich.«

Der Richter wandte sich nur und überflog das ganze Zimmer mit einem einzigen Blicke.

»Welches Zimmer in Ihrem Hause nennt man das Trockenzimmer?« fragte er.

»Wir befinden uns gerade in demselben, Herr van Spennen.«

Der Richter warf einen Blick auf einen kurzen Bericht, der oben auf seinen Papieren lag.

»So ist es,« sagte er, wie jemand, der sich orientiert hat.

Darauf wandte er sich an Cornelius und sagte:

»Wollen Sie mir diese Papiere übergeben?«

»Ich darf ja nicht, Herr van Spennen. Diese Papiere gehören nicht mir. Sie sind mir anvertraut worden, und ein anvertrautes Gut ist heilig.«

»Doktor Cornelius,« sagte der Richter, »im Namen der Stände befehle ich Ihnen, diesen Schrank zu öffnen und mir die Papiere, die darin eingeschlossen sind, zu übergeben.«

Und mit dem Finger zeigte der Richter gerade nach dem dritten Schubfache eines neben dem Kamine stehenden Schrankes.

In diesem dritten Schubfache befanden sich wirklich die von dem Deichhauptmann seinem Paten eingehändigten Schriftstücke, ein Beweis, daß die Polizei vollkommen gut unterrichtet war.

»Ei, Sie wollen nicht?« fuhr van Spennen fort, als er sah, daß Cornelius vor Erstaunen regungslos stehen blieb. »Nun, so will ich selbst öffnen.«

Und nachdem er das Schubfach herausgezogen hatte, brachte der Richter zuerst zwanzig sorgfältig eingepackte und mit Etiketten versehene Zwiebeln und dann das Päckchen Papiere, welches sich noch genau in demselben Zustande befand, in dem es von dem unglücklichen Cornelius von Witt seinem Paten übergeben war, zum Vorschein.

Der Richter öffnete die Siegel, zerriß den Umschlag, warf einen begierigen Blick auf die ersten Blätter, die sich seinen Augen darboten, und rief mit schrecklicher Stimme:

»Ha, das Gericht hatte also keine falsche Anzeige erhalten!«

»Was ist denn los?« fragte Cornelius.

»Ach, spielen Sie nicht länger den Unwissenden, Herr van Baerle,« erwiderte der Richter, »und folgen Sie uns.«

»Wie! ich soll Ihnen folgen!« rief der Doktor.

»Ja, denn im Namen der Stände verhafte ich Sie.«

Man verhaftete noch nicht im Namen Wilhelms von Oranien. Dazu war er noch nicht lange genug Statthalter.

»Mich verhaften!« rief Cornelius. »aber was habe ich denn gethan?«

»Das geht mich nichts an, Doktor; darüber werden Sie sich mit Ihren Richtern verständigen.«

»Und wo soll das geschehen?«

»In Haag.«

Bestürzt, umarmte Cornelius seine Amme, die das Bewußtsein verlor, reichte seinen Dienern, die in Thränen ausbrachen, die Hand, und folgte dem Richter, der ihn als Staatsgefangenen in einen Wagen sperrte und in gestrecktem Galopp nach Haag führen ließ.

 


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