Alexander Dumas d. Ätere
Napoleon Bonaparte
Alexander Dumas d. Ätere

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Napoleon auf St. Helena

Der Kaiser übernachtete denselben Abend in einer Art Herberge, wo er sich sehr unwohl fühlte. Am folgenden Tag, morgens 6 Uhr, begab er sich zu Pferd mit dem Großmarschall Bertrand und dem Admiral Keith nach Longwood, zu dem Hause, das der letzere, als das angemessenste auf der Insel, zu seinem Wohnsitz bestimmt hatte. Nach seiner Zurückkunft verblieb der Kaiser in einem kleinen, zu einem Landhause gehörigen Pavillon, der einem Großhändler der Insel, namens Balcombe, gehörte. Das war seine vorläufige Wohnung, und hier sollte er so lange bleiben, bis Longwood instand gesetzt wäre, ihn aufzunehmen. Er hatte sich am Abend zuvor so übel befunden, daß er, obschon dieser kleine Pavillon fast gar nicht möbliert war, nicht in die Stadt zurückkehren wollte.

Als Napoleon sich abends niederlegen wollte, zeigte sich's, daß ein Fenster in seinem Schlafzimmer keine Scheiben, keine Läden und keine Vorhänge hatte. Herr von Las Cases und sein Sohn verhängten es, so gut sie konnten, und fanden ein Dachzimmer, wo sie sich, jeder auf eine Matratze, niederlegten; die Kammerdiener warfen sich, in ihre Mäntel gehüllt, quer vor die Tür auf den Boden.

Am folgenden Morgen frühstückte Napoleon ohne Tafeltuch, ohne Serviette, den Rest des Mittagessens vom vorigen Tage.

Das war nur das Vorspiel des Elends und der Entbehrungen, die seiner in Longwood warteten.

Doch verbesserte sich nach und nach diese Lage. Man ließ vom Northumberland Weißzeug und Silbergeräte kommen, und der Oberst des 53. Regiments hatte ein Zelt anbieten lassen, das man so aufschlug, daß es als Verlängerung des kaiserlichen Zimmers dienen konnte. Von da an dachte Napoleon, mit seiner gewöhnlichen Regelmäßigkeit, daran, Ordnung in seine Tageszeit zu bringen.

Um 10 Uhr ließ er Herrn von Las Cases rufen, um mit ihm zu frühstücken. Sodann fand eine halbstündige Unterhaltung statt, und hierauf las Herr von Las Cases, was ihm den Tag vorher diktiert worden war, wieder vor. War diese Lektüre zu Ende, so fuhr Napoleon bis 4 Uhr fort zu diktieren. Um 4 Uhr kleidete er sich an und ging aus, damit man sein Zimmer in Ordnung bringen könnte. Gewöhnlich ging er dann in den Garten hinunter, der ihm sehr ans Herz gewachsen war und an dessen Ende ihm eine zeltartige, mit Leinwand bedeckte Laube wie ein Zelt Schutz gegen die Sonne bot. Regelmäßig setzte er sich unter dieses Dach, wohin man einen Tisch und Sessel gebracht hatte, und diktierte hier dem seiner Begleiter, der zum Zwecke dieser Arbeit von der Stadt kam, bis zur Stunde des Mittagessens, die auf 7 Uhr festgesetzt war. Den Rest des Abends las man entweder in Racine oder Molière, da von Corneille nichts vorhanden war; Napoleon nannte dies die Komödie oder die Tragödie besuchen. Endlich legte er sich, so spät er nur konnte, nieder, da er, wenn er früh zu Bett ging, mitten in der Nacht aufwachte und nicht mehr schlafen konnte.

In der Tat, welcher von Dantes Verdammten hätte seine Strafe gegen die schlaflosen Nächte Napoleons vertauschen wollen?

Nach Verlauf von einigen Tagen fühlte er sich müde und krank. Man hatte drei Pferde zu seiner Verfügung gestellt, und er verabredete, in der Hoffnung, daß ihm ein Spazierritt gut tun würde, mit den Generalen Gourgaud und Montholon auf den folgenden Tag einen Ausflug zu Pferd. Selbentags erfuhr er aber, daß ein englischer Offizier Befehl hatte, ihn nicht aus dem Auge zu verlieren. Sogleich schickte er die Pferde zurück, mit der Bemerkung, alles, was man im Leben tue, beruhe auf Erwägung. Sei das Übel, seinen Kerkermeister zu sehen, größer als der Gewinn aus der körperlichen Bewegung, so sei es offenbar vorteilhafter, zu Hause zu bleiben.

Anstatt dessen suchte der Kaiser hinfort Zerstreuung in nächtlichen Spaziergängen, die manchmal bis morgens zwei Uhr dauerten.

Endlich, am Sonntag den 10. Dezember, ließ der Admiral Napoleon benachrichtigen, daß sein Haus zu Longwood bereit sei, und noch am gleichen Tage begab sich Napoleon zu Pferd dahin. Der Gegenstand, der ihn in seiner neuen Einrichtung am meisten erfreute, war eine hölzerne Badewanne, die der Admiral durch einen Tischler in der Stadt hatte verfertigen lassen, und zwar nur nach seiner Zeichnung, denn eine Badewanne war zu Longwood ein unbekanntes Gerät. Noch an demselben Tage machte Napoleon Gebrauch davon. Am folgenden Tag wurde der Dienst beim Kaiser eingerichtet. Er gliederte sich in Kammer-, Livree- und Küchendienst und wurde von elf Personen versehen.

Die Hofhaltung wurde ähnlich wie auf der Insel Elba eingerichtet. Der Großmarschall Bertrand behielt die Oberhofmeisterstelle und die allgemeine Oberaufsicht, Herr von Montholon hatte die Besorgung der häuslichen Geschäfte, dem General Gourgaud lag die Sorge für den Stall ob, und Herr von Las Cases überwachte die innere Verwaltung. Der Tag wurde ungefähr ebenso eingeteilt wie bisher. Um 10 Uhr frühstückte der Kaiser an einem Guéridon, während der Großmarschall und seine Amtsgenossen an einer Freitafel speisten, zu der sie besondere Einladung machen konnten. Da es keine bestimmte Stunde zum Spaziergang gab, weil die Hitze den Tag über sehr drückend war und es am Abend bald sehr feucht wurde, auch die Reit- und Wagenpferde, die immer vom Kap kommen sollten, nie anlangten, so arbeitete der Kaiser einen Teil des Tages bald mit Herrn von Las Cases, bald mit den Generalen Gourgaud oder Montholon. Von 8 bis 9 Uhr speiste man schnell zu Mittag, weil der Speisesaal einen für den Kaiser unerträglichen Geruch nach Farbe hatte; sodann ging man in das Gesellschaftszimmer, wo der Nachtisch bereitet stand. Hier laß man Racine, Molière oder Voltaire, wobei man Corneille immer mehr vermißte. Um 10 Uhr endlich setzte man sich zum Reversi, dem Lieblingskartenspiel des Kaisers, bei dem man in der Regel bis 1 Uhr morgens sitzenblieb.

Die ganze kleine Kolonie war in Longwood untergebracht mit Ausnahme des Marschalls Bertrand und seiner Familie, die Hut's Gate, ein schlechtes, kleines, auf der Straße nach der Stadt gelegenes Haus, bewohnte.

Die Wohnung des Kaisers bestand aus zwei Zimmern; jedes 15 Fuß lang, 12 Fuß breit, und ungefähr 7 Fuß hoch: sie waren beide mit Nankingzeug tapeziert; ein schlechter Teppich bedeckte den Boden.

In dem Schlafzimmer stand das kleine Feldbett, wo der Kaiser schlief, ein Sofa, auf dem er den größten Teil des Tages, mitten unter Büchern, die kaum noch für anderes Platz ließen, ruhte. Daneben stand ein kleiner Guéridon, auf dem er frühstückte oder allein zu Mittag speiste, und der abends einen dreiarmigen mit einem Schirm versehenen Leuchter trug.

Zwischen den beiden Fenstern, der Tür gegenüber, war eine Kommode mit der Wäsche des Kaisers, worauf auch sein großes Nécessaire stand.

Den Kamin, über dem ein sehr kleiner Spiegel angebracht war, zierten mehrere Gemälde. Rechts stand das Porträt des auf einem Lamm reitenden Königs von Rom, links hing ein anderes Porträt des Königs von Rom, wie er auf einem Kissen sitzt und einen Pantoffel anprobiert. Mitten auf dem Kamin stand wieder eine marmorne Büste des Kaiserkindes. Zwei Leuchter, zwei Flaschen und zwei vergoldete silberne Tassen aus dem Nécessaire des Kaisers vervollständigten die Ausschmückung.

Endlich hing unweit des Sofas und dem Kaiser, wenn er, wie gewöhnlich, ausgestreckt dalag, gerade vor Augen das von Isabey gemalte Porträt Marie Luises, die ihren Sohn auf den Armen hält. Überdies befand sich zur Linken des Kamins und neben den Porträts die dicke silberne Uhr Friedrichs des Großen, eine Art Weckuhr, die er von Potsdam mitgenommen hatte, und als Gegenstück die eigene Uhr des Kaisers, die die Stunde der Schlacht von Marengo und Austerlitz geschlagen hatte, auf beiden Seiten mit goldenem Deckel versehen und die Chiffre B tragend.

Die Möbel des zweiten Zimmers bestanden anfangs nur aus rohen, auf einfachen Fußgestellen ruhenden Brettern, worauf eine große Menge von Büchern und die verschiedenen den Generalen oder Sekretären vom Kaiser diktierten Abhandlungen lagen. Sodann stand zwischen den beiden Fenstern ein Büchergestell und gegenüber ein dem ersten gleichendes Bett, auf dem der Kaiser zuweilen den Tag über ausruhte und auch in der Nacht schlief, wenn er das erste wegen seiner häufigen und langen Schlaflosigkeit verlassen hatte. Endlich befand sich in der Mitte der Arbeitstisch, an dem die Plätze, wie sie der Kaiser beim Diktieren und die Herren von Montholon, Gourgaud oder Las Cases beim Schreiben gewöhnlich einnahmen, bezeichnet waren.

Dies war die Lebensweise und der Palast des Mannes, der nacheinander die Tuilerien, den Kreml und den Eskorial bewohnt hatte.

Jedoch, trotz der Hitze des Tages, trotz der Feuchtigkeit des Abends, trotz des Mangels an den zum gewöhnlichen Leben notwendigen Gegenständen hätte der Kaiser alle diese Entbehrungen mit Geduld ertragen, wäre man nicht so weit gegangen, ihn überall zu bespähen und nicht nur als Gefangenen auf der Insel, sondern sogar als Gefangenen in seinem Hause zu behandeln. Wie bereits erwähnt, hatte man verfügt, Napoleon müsse beim Ausreiten von einem Offizier begleitet werden. Infolgedessen war der Kaiser, wie gesagt, seinem Grundsatz gemäß nie mehr ausgeritten. Durch diese Beharrlichkeit hatte er es erreicht, daß seine Kerkermeister diese Beschränkung aufhoben, wenn er sich nur in bestimmten Grenzen halten wollte. Aber in diesen Grenzen war er von einem Kreise Schildwachen eingeschlossen, und eines Tags legte eine dieser Wachen schon auf den Kaiser an, als General Gourgaud ihr das Gewehr in dem Augenblicke, wo sie wahrscheinlich abdrücken wollte, entriß. Übrigens gestatteten diese Schranken nur einen halbstündigen Ritt, und da der Kaiser sie nicht überschreiten wollte, um der Begleitung seines Wächters enthoben zu bleiben, so stieg er ab und setzte seinen Ausflug zu Fuß auf kaum gebahnten Wegen an tiefen Schluchten hin fort, wo es ein Wunder ist, daß er nicht zehnmal hinabstürzte.

Trotz dieses Wechsels in seinen Gewohnheiten blieb die Gesundheit des Kaisers während der ersten sechs Monate ziemlich gut. Aber im folgenden Winter, als die Witterung andauernd schlecht war, als Feuchtigkeit und Regen in die Zimmer des Schachtelhauses, das er bewohnte eindrang, fing er an, sich häufig unwohl zu fühlen, was sich in Anfällen von Betäubung und Erstarrung äußerte. Zudem wußte Napoleon wohl, daß die Luft sehr ungesund war, und daß eine fünfzig Jahre alte Person auf der Insel als Seltenheit galt.

Inzwischen kam ein neuer Gouverneur und wurde dem Kaiser durch den Admiral vorgestellt. Es war ein Mann von etwa 45 Jahren, von unangenehmer Gestalt, dünn, mager, ausgetrocknet, mit rotem Gesicht und rotem Haar, von Sommersprossen bedeckt, mit schielenden Augen, die nur verstohlen um sich schauten, nur selten jemand ins Gesicht sahen und unter feuerroten, dichten und stark hervorragenden Augenbrauen lagen; er hieß Sir Hudson Lowe.

Mit dem Tage seiner Ankunft begannen neue Quälereien, die immer unerträglicher wurden. Er führte sich dadurch ein, daß er dem Kaiser zwei gegen ihn geschriebene Flugschriften zuschickte. Dann unterwarf er die ganze Dienerschaft einem Verhör, um von ihnen zu erfahren, ob es ihr freier und fester Wille sei, beim Kaiser zu bleiben. Infolge dieser neuen Widerwärtigkeiten verfiel Napoleon bald wieder in einen krankhaften Zustand, wie er immer häufiger bei ihm eintrat. Er dauerte fünf Tage, während deren er nicht ausging, aber doch fortfuhr, seinen italienischen Feldzug zu diktieren.

Bald steigerten sich die Quälereien des Gouverneurs; geflissentlich setzte er die einfachsten Schicklichkeitsregeln so sehr beiseite, daß er den »General Bonaparte« zum Mittagessen bei sich einlud, um ihn einer Engländerin von hohem Stande, die auf St. Helena gelandet war, vorzustellen. Napoleon antwortete nicht einmal auf die Einladung, worauf die Verfolgung noch schlimmer wurde.

Jeder Brief mußte vor der Beförderung dem Gouverneur mitgeteilt werden, und jedes Schreiben, das Napoleon den Titel Kaiser gab, wurde vernichtet.

Man ließ den General Bonaparte wissen, der Aufwand, den er machte, sei zu groß. Die Regierung könne ihm nur eine tägliche Tafel von höchstens vier Personen, für jede Person eine Flasche Wein täglich und wöchentlich ein Gastessen gestatten; weitere Aufwendungen sollten General Bonaparte und die Personen seines Gefolges selbst bezahlen.

Der Kaiser ließ sein Silbergerät zerbrechen und schickte es in die Stadt; aber der Gouverneur ließ ihm sagen, es dürfte nach seiner Ansicht nur an den von ihm bezeichneten Käufer verkauft werden. Dieser Käufer des Gouverneurs gab 6000 Franken für die erste Lieferung, was den einfachen Metallwert dieses Silbergeräts kaum zu zwei Dritteln deckte. Der Kaiser nahm alle Tage ein Bad, man ließ ihm sagen, er müsse sich mit einem Bad wöchentlich begnügen, da in Longwood kein Überfluß an Wasser sei. Es standen in der Nähe ein paar Bäume, unter denen er zuweilen spazierenging, und die den einzigen Schatten auf dem ihm erlaubten Spaziergang gewährten. Der Gouverneur ließ sie abhauen; und als der Kaiser sich über diese Grausamkeit beklagte, antwortete er, er habe nicht gewußt, daß diese Bäume dem General Bonaparte angenehm seien, man werde aber, wenn er sie vermisse, andere dafür pflanzen.

Damals erfaßte Napoleon manchmal ein erhabener Grimm, und dies war auch bei der erwähnten Antwort des Gouverneurs der Fall.

»Das Ärgste, was mir die englischen Minister angetan haben,« rief er, »ist nicht mehr, daß sie mich hierher geschickt, sondern daß sie mich in Ihre Hände geliefert haben. Ich beklagte mich über den Admiral; aber dieser hatte doch wenigstens noch ein Herz, Sie entehren Ihre Nation, und Ihr Name wird ein Schandfleck bleiben.«

Endlich merkte man an der Beschaffenheit des Fleisches, daß man für die Tafel des Kaisers tote und nicht getötete Tiere liefere. Man ließ bitten, sie lebendig zu liefern, aber die Bitte wurde abgeschlagen.

Von nun an ist Napoleons Dasein nur ein langsamer und schmerzlicher Todeskampf, der aber fünf Jahre lang dauerte. Die fünf langen Jahre bleibt der neue Prometheus auf den Felsen angekettet, wo ihm Hudson Lowe das Herz zerfleischt.Nach dem Urteil der vertrauenswertesten Geschichtsforscher entsprach der Gouverneur Lowe in Wahrheit durchaus nicht dem üblen Bild, das Napoleon und seine Getreuen geflissentlich von ihm entworfen haben. A. d. Ü. Endlich am 20. März 1821, dem glorreichen Jahrestage der Rückkehr Napoleons nach Paris, empfand er vom Morgen an einen starken Druck im Magen und ein äußerst beschwerliches Gefühl der Erstickung in der Brust. Bald machte sich ein schneidender Schmerz über dem Magen und in der linken Milz fühlbar und verbreitete sich über die Brust bis zur linken Schulter. Trotz der augenblicklich angewandten Gegenmittel hörte das Fieber nicht auf, der Unterleib war bei Berührung schmerzhaft, und der Magen dehnte sich aus. Nachmittags gegen 5 Uhr verdoppelten sich die Schmerzen; zugleich beklagte sich der Kranke über einen eiskalten Schauer und über Krämpfe besonders an den unteren Extremitäten. In diesem Augenblicke war die Gemahlin des Großmarschalls Bertrand gekommen, um einen Besuch abzustatten. Napoleon zwang sich, weniger angegriffen zu erscheinen, und suchte, sich sogar heiter zu stellen, aber bald gewann wieder seine melancholische Stimmung die Oberhand: »Wir beide,« sagte er, »müssen uns auf den Spruch des Schicksals gefaßt machen; Sie, HortenseDie Tochter des Grafen Bertrand. A. d. Ü. und ich sind bestimmt, ihm auf diesem elenden Felsen zu erliegen. Ich werde vorangehen, Sie werden nachkommen, und Hortense Ihnen folgen. Aber alle drei werden wir uns da oben wiederfinden.« Dann fügte er folgende vier Zeilen aus Zaïre bei:

»Doch nimmermehr darf ich Paris zu sehen hoffen.
Ich bin zu gehn gefaßt, es steht die Gruft mir offen.
Noch heute tret' ich vor den Herrn der Herren hin
Und fordre Lohn für alles, was ich litt für ihn.«

Die darauf folgende Nacht war unruhig, die Symptome wurden immer bedenklicher. Ein Brechmittel ließ sie auf einen Augenblick verschwinden, aber sie zeigten sich bald wieder. Fast gegen den Willen des Kaisers hielten Dr. Antomarchi und Herr Arnott, Chirurg bei dem auf der Insel in Garnison liegenden zwanzigsten Regimente, Beratungen. Diese Herren erkannten bald die Notwendigkeit, ein großes Zugpflaster auf den Unterleib zu legen, ein Abführmittel zu verordnen und von Stunde zu Stunde Essig über die Stirn des Kranken zu gießen. Nichtsdestoweniger machte die Krankheit reißende Fortschritte.

Eines Abends sagte ein Bedienter von Longwood, er habe einen Kometen gesehen; Napoleon hörte es, und dieses Vorzeichen machte tiefen Eindruck auf ihn. »Ein Komet,« rief er aus. »dieses Zeichen war der Vorläufer von Cäsars Tode.«

Am 11. April nahm die Kälte an seinen Füßen sehr zu. Der Arzt versuchte warme Umschläge, um sie zu zerteilen. »Das alles ist unnütz,« sagte Napoleon zu ihm, »nicht hier, im Magen, in der Leber sitzt das Übel. Sie haben kein Mittel gegen die Glut, die mich verbrennt, keine Medizin vermag das Feuer, von dem ich verzehrt werde, zu löschen.«

Um 15. April fing er an, sein Testament aufzusetzen, und an diesem Tage durfte niemand sein Zimmer betreten außer Marchand und dem General Montholon, die von 1½ Uhr bis 6 Uhr abends bei ihm blieben.

Um 6 Uhr trat der Arzt ein. Napoleon zeigte ihm sein angefangenes Testament und jedes mit dem Namen der Person, für die es bestimmt war, bezeichnete Stück seines Nécessaires. »Sie sehen,« sagte er zu ihm, »ich rüste mich, von dannen zu gehen.« Der Arzt wollte ihn beruhigen, Napoleon unterbrach ihn: »Keine Täuschung mehr,« setzte er hinzu, »ich weiß, wie es steht, und ich bin gefaßt.«

Der 19. brachte eine fühlbare Besserung, die bei allen die Hoffnung wiederbelebte außer bei Napoleon, und allgemein beglückwünschte man sich zu diesem Wechsel. Napoleon ließ sie reden, dann sagte er lächelnd: »Ihr täuscht euch nicht, ich befinde mich heute besser, aber ich fühle nichtsdestoweniger, daß mein Ende naht. Wenn ich gestorben bin, so werdet ihr alle den süßen Trost haben, nach Europa zurückzukehren. Ihr werdet eure Eltern und eure Freunde wiedersehen, und auch ich werde meine Tapfern im Himmel wiederfinden. Ja, ja,« setzte er, sich belebend und die Stimme begeistert erhebend, hinzu. »Kleber, Desaix, Bessières, Duroc, Ney, Murat, Massena, Berthier werden mir entgegenkommen. Sie werden zu mir von unsern gemeinschaftlichen Taten sprechen, und ich werde ihnen die letzten Ereignisse meines Lebens erzählen. Wenn sie mich wiedersehen, werden sie vor Begeisterung und Ruhmesseligkeit ganz verzückt sein. Wir werden mit Scipio, Cäsar, Hannibal von unsern Kriegen sprechen, es wird eine Wonne sein . . . Vorausgesetzt,« fuhr er lächelnd fort, »daß man da oben nicht erschrickt, so viele Krieger beieinander zu sehen.«

Einige Tage nachher ließ er seinen Kaplan Vignali rufen. »Ich bin in der katholischen Religion geboren,« sagte er zu ihm, »ich will die Pflichten, die sie auferlegt, erfüllen und die Sakramente, die sie austeilt, empfangen. Sie werden alle Tage eine Messe in der nahen Kapelle lesen und das heilige Sakrament vierzig Stunden lang aufstellen. Wenn ich gestorben bin, so werden Sie Ihren Altar neben mein Haupt in die Sterbekammer stellen und dann die Messe lesen. Sie werden alle üblichen Zeremonien beobachten und damit nicht aufhören, bis ich begraben bin.«

Nach dem Priester kam die Reihe an den Arzt. »Mein lieber Doktor,« sagte er zu diesem, »nach meinem Tode, der bald eintreten wird, will ich, daß Sie die Öffnung meines Leichnams vornehmen, aber ich verlange, daß kein englischer Arzt Hand an mich lege. Ich wünsche, daß Sie mein Herz herausnehmen, es in Weingeist legen und meiner teuren Marie Luise überbringen. Sie werden ihr sagen, daß ich sie zärtlich geliebt habe und niemals aufhörte, sie zu lieben; Sie werden ihr all meine Leiden erzählen; Sie werden ihr alles sagen, was Sie gesehen haben; Sie werden ihr genau über meinen Tod berichten. Ich empfehle Ihnen besonders, meinen Magen gut zu untersuchen und einen genauen und ins einzelne gehenden Bericht darüber meinem Sohne zuzustellen. Dann werden Sie sich von Wien nach Rom begeben; Sie werden meine Mutter, meine Familie aufsuchen; Sie werden ihnen mitteilen, was Sie von mir hier gesehen haben. Sie werden ihnen sagen, daß ebenderselbe Napoleon, den die Welt den Großen genannt hat, wie Karl den Großen und wie Pompejus, in dem beklagenswertesten Zustande, an allem Mangel leidend, mit sich selbst und seinem Ruhme alleingelassen, gestorben sei. Sie werden ihnen sagen, daß er sterbend allen regierenden Familien den Abscheu und den Schimpf seiner letzten Augenblicke vermacht.«

Am zweiten Mai erreichte das Fieber den höchsten Grad, der Puls schlug in der Minute hundertmal, und der Kaiser verfiel in ein Delirium. Das war der Anfang des Todeskampfes, der aber auf Augenblicke unterbrochen wurde. In diesen kurzen Augenblicken des Bewußtseins kam Napoleon unaufhörlich auf die Weisung zurück, die er dem Arzte Antomarchi gegeben hatte: »Nehmen Sie sorgfältig,« sagte er zu ihm, »die anatomische Untersuchung meines Körpers vor und namentlich des Magens. Die Ärzte in Montpellier haben mir mitgeteilt, daß die Krankheit am Magenpförtner in meiner Familie erblich sei, ihr Bericht ist, wie ich glaube, in Ludwigs Händen. Fordern Sie ihn, vergleichen Sie ihn mit dem, was Sie selbst beobachtet haben; möchte ich wenigstens mein Kind vor dieser fürchterlichen Krankheit bewahren können! . . .«

Die Nacht war ziemlich gut; aber am folgenden Morgen zeigte sich das Delirium mit erneuter Gewalt. Gegen 8 Uhr jedoch verlor es ein wenig an Kraft; gegen 3 Uhr kam der Kranke wieder zur Besinnung. Er benutzte sie, um seine Testamentsvollstrecker zu berufen, und empfahl ihnen, falls er vollständig das Bewußtsein verlieren sollte, keinen andern englischen Arzt sich ihm nähern zu lassen als den Doktor Arnott. Dann fügte er bei ganz klarem Bewußtsein und mit der ganzen Stärke seines Geistes hinzu:

»Mein Tod ist nahe; ihr werdet nach Europa zurückgehen; ich muß euch einige Ratschläge darüber geben, wie ihr euch verhalten sollt. Ihr habt meine Verbannung geteilt, ihr werdet meinem Andenken treu sein, ihr werdet nichts tun, um es zu verletzen. Alle Grundsätze (einer freien Staatsverfassung) habe ich angenommen und habe sie meinen Gesetzen, meinen Werken eingeprägt, es gibt keinen, den ich nicht heilig gehalten hätte. Unglücklicherweise waren die Umstände ungünstig; ich war gezwungen, mit Strenge zu verfahren und zu vertagen. Da kam das Unglück; ich habe den Bogen nicht entspannen können, und Frankreich ist um die freiheitlichen Einrichtungen, die ich ihm geben wollte, gekommen. Es beurteilt mich mit Nachsicht, es legt meine guten Absichten in die Wagschale, mein Name, meine Siege sind ihm teuer. Folgen Sie seinem Beispiel! Bleiben Sie den Ansichten treu, die Sie verteidigt, wie dem Ruhme, den wir erworben haben! Sonst gibt es nur Schande und Verwirrung!«

Am Morgen des fünften hatte das Übel den höchsten Grad erreicht, das Leben des Kranken war nur noch ein keuchendes und schmerzhaftes Hinsiechen; das Atmen wurde immer schwächer, die weitgeöffneten Augen waren starr und glanzlos, und einige unbestimmte Worte, das letzte Aufwallen seines verwirrten Geistes, erstarben von Zeit zu Zeit auf seinen Lippen. Das Letzte, was man vernehmen konnte, war: »Tête!« und »Armée!« Dann erstickte die Stimme, aller Geist schien erstorben, und der Arzt selbst glaubte, daß die Lebenskraft gewichen sei. Indessen hob sich der Puls gegen acht Uhr wieder, der Todesbann, der den Mund des Sterbenden schloß, schien zu weichen, und einige tiefe und hohle Seufzer entstiegen seiner Brust. Aber um halb elf Uhr war der Puls verschwunden, und einige Minuten nach elf Uhr hatte der Kaiser aufgehört zu leben . . .

Zwanzig Stunden nach dem Tode seines erlauchten Kranken schritt der Arzt Antomarchi zur Öffnung des Leichnams, wie es ihm Napoleon oft empfohlen hatte. Dann nahm er das Herz heraus, das er den erhaltenen Weisungen gemäß in Weingeist legte, um es Marie Luise zu übergeben. Aber in demselben Augenblicke stellten sich unvermutet die Testamentsvollstrecker ein, mit der Erklärung Sir Hudson Lowes, daß er weder den ganzen Körper noch einen Teil davon von St. Helena entfernen lassen werde, er müßte auf der Insel bleiben. So wurde der Leichnam an das Schafott genagelt. Jetzt wandte man sich der Wahl eines Begräbnisplatzes für den Kaiser zu und entschied sich für einen Ort, den Napoleon nur einmal gesehen hatte, von dem er aber immer mit Wohlgefallen redete. Sir Hudson Lowe gab seine Zustimmung dazu, das Grab an diesem Orte anzulegen.

Nach der Sektion nähte Doktor Antomarchi die zerschnittenen Teile wieder zusammen, wusch den Körper und übergab ihn dem Kammerdiener, der ihn mit dem gewöhnlichen Anzug des Kaisers bekleidete, das heißt mit Beinkleidern von weißem Kaschmir, weißseidenen Strümpfen, langen steifen Stiefeln mit kleinen Sporen, weißer Weste, weißer Halsbinde, die mit einer schwarzen überzogen und hinten zugeschnallt war, mit dem Rock eines Obersten der Gardejäger, geziert mit den Orden der Ehrenlegion und der Eisernen Krone, endlich mit dem dreieckigen Hute. So angetan, wurde Napoleon am 6. Mai 5¾ Uhr aus dem Saale weggebracht und in dem kleinen Schlafzimmer, das man in einen Katafalk verwandelt hatte, zur Schau gestellt. Der Leichnam hatte die Hände frei; er lag auf seinem Feldbette ausgestreckt, seinen Degen an der Seite; ein Kruzifix ruhte auf seiner Brust, und der blaue Mantel von Marengo war über seine Füße hergeworfen. So blieb er zwei Tage lang ausgestellt.

Am Morgen des achten wurde der Leichnam des Kaisers, der unter der Vendômesäule ruhen, und das Herz, das Marie Luise zugesandt werden sollte, in einen gußeisernen, ausgepolsterten Sarg mit einem von weißem Atlas überzogenen Kopfkissen gelegt; der Hut, der aus Mangel an Raum nicht auf dem Haupte des Toten bleiben konnte, wurde ihm zu Füßen gelegt. Um ihn streute man Adler und alle Arten von Münzen, die mit seinem Bilde während der Dauer seiner Regierung geprägt worden waren. Dazu legte man sein Tischgerät, sein Messer und einen Teller mit seinem Wappen. Dieser erste Sarg wurde in einen zweiten von Zedernholz, den man in einen dritten bleiernen legte, eingeschlossen, und letzterer in einen vierten von Zedernholz, ähnlich dem zweiten, aber von größerem Umfang, gestellt. Dann setzte man den Sarg in demselben Raum, wo der Körper ausgestellt war, zur Schau aus.

Um halb ein Uhr wurde der Sarg von den Soldaten der Garnison in die große Pappelallee, wo der Leichenwagen wartete, gebracht. Man bedeckte ihn mit einem violetten Samt, auf den man den Mantel von Marengo legte. Darauf setzte sich das Leichengefolge in folgender Ordnung in Bewegung:

Der Abbé Vignali, angetan mit seinem Priesterschmucke, und neben ihm der junge Heinrich Bertrand, der einen silbernen Weihkessel mit dem Weihwedel trug.

Die Doktoren Antomarchi und Arnott.

Die Wächter des Leichenwagens, der von vier durch Bediente an der Hand geführte Pferde gezogen und zu jeder Seite von 12 Grenadieren ohne Waffen begleitet wurde; diese sollten den Sarg auf ihren Schultern tragen, sobald der schlechte Zustand des Weges das Weiterfahren des Wagens verhinderte.

Der junge Napoleon Bertrand und Marchand, beide zu Fuß und neben dem Leichenwagen.

Die Grafen Bertrand und Montholon zu Pferd unmittelbar hinter dem Leichenwagen.

Ein Teil vom Gefolge des Kaisers.

Die Gräfin Bertrand mit ihrer Tochter Hortense in einem mit zwei Pferden bespannten Wagen, an der Hand geführt von den Bedienten, die neben dem abschüssigen Abfall hergingen.

Das Grab war ungefähr eine Viertelstunde von Hut's-Gate entfernt gegraben, der Leichenwagen hielt nahe am Grabe, und die Kanonen begannen, fünf Schüsse in der Minute zu tun.

Der Leichnam wurde in das Grab hinabgelassen, während der Abbé Vignali das Gebet verrichtete. Napoleons Füße waren nach dem Orient, den er erobert hatte, gewendet; sein Haupt dem Westen zu, wo er einst regierte. Darüber versiegelte ein ungeheurer Stein seine letzte Wohnung und bildete den Übergang von der Zeit zur Ewigkeit.

Endlich brachte man eine silberne Platte mit, auf der folgende Inschrift eingegraben war:

Napoleon.

geboren zu Ajaccio, den 15. August 1769,
Gestorben zu St. Helena am 5. Mai 1821.

Aber in dem Augenblicke, wo man die Inschrift auf dem Stein befestigen wollte, stürzte Sir Hudson Lowe vor und erklärte im Namen seiner Regierung, daß man auf das Grab keine andere Aufschrift setzen dürfe als:

Der General Buonaparte.

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