Alexander Dumas d. Ätere
Napoleon Bonaparte
Alexander Dumas d. Ätere

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Napoleon Kaiser.

Die letzten Augenblicke des Konsuls dienten dazu, mit Hinrichtungen oder Gnadenerweisen die Wege zum Thron zu ebnen. Einmal auf den Kaiserthron gelangt, machte sich Napoleon an eine neue Organisation des Reiches.

Der alte Lehnsadel war verschwunden, Napoleon schuf einen neuen volkstümlichen. Die verschiedenen Ritterorden waren in Mißachtung gesunken. Napoleon setzte die Ehrenlegion ein. Seit zwölf Jahren war der Generalsrang die höchste militärische Auszeichnung, Napoleon setzte zwölf Marschälle ein.

Diese zwölf Marschälle waren die Gefährten seiner Mühen, Geburt und Gunst hatten keine Stimme bei ihrer Wahl. Alle hatten ihre Tapferkeit zur Mutter und den Sieg zum Vater. Die Auserkorenen waren Berthier, Murat, Moncey, Jourdan, Massena, Augereau, Bernadotte, Soult, Brune, Lannes, Mortier, Ney, Davoust, Bessières, Kellermann, Lefèvre, Pérignon und Serrurier.Ich kann nichts dafür, aber wenn man diese »zwölf« zählt, so kommen achtzehn heraus. Es wurden zunächst 14 Marschälle ernannt, und zwar die oben zuerst genannten 14. Zwei Marschallstäbe wurden zur Belohnung für tüchtige Dienste aufbewahrt, und die 4 oben zuletzt genannten alten Generale empfingen den Titel Ehrenmarschall. A. d. Ü.

Heute, nach 39 Jahren, leben noch drei, die die Sonne der Republik aufgehen und den Stern des Kaiserreichs sinken sahen; der erste ist zur Stunde, wo wir diese Zeilen schreiben, Gouverneur der Invaliden (Moncey), der zweite Präsident des Ministerrats (Soult) und der dritte König von Schweden (Bernadotte), als die einzigen und letzten Reste der kaiserlichen Plejaden; die beiden ersten haben sich auf ihrer Höhe gehalten, und der dritte ist noch höher gestiegen.

Am 2. Dezember 1804 fand die Salbung in der Kirche Notre-Dame statt; der Papst Pius VII. war ausdrücklich von Rom gekommen, um die Krone auf das Haupt des neuen Kaisers zu setzen. Von seiner Garde begleitet, in einem achtspännigen Wagen, Josephine neben ihm, begab sich Napoleon in die Hauptkirche. Der Papst, die Kardinäle und die Erzbischöfe, die Bischöfe und alle großen Staatskörperschaften erwarteten ihn in der Kathedrale, auf deren Stufen er einige Augenblicke stillhielt, um eine Anrede anzuhören und darauf zu antworten. Sodann trat er in die Kirche ein und stieg, die Krone auf dem Haupt und das Szepter in der Hand, auf den für ihn bereiteten Thron. In dem durch das Zeremoniell bezeichneten Augenblick kam ein Kardinal, der Groß-Almosenier, und ein Bischof, um ihn abzuholen, und geleiteten ihn zum Fuße des Altars; jetzt nahte sich ihm der Papst und sprach, indem er ihm auf Haupt und beide Hände die dreifache Salbung erteilte, mit lauter Stimme folgende Worte:

»Gott, Allmächtiger, der du Hasael gesetzt hast, Syrien zu regieren, der du Jehu gemacht hast zum König in Israel und ihnen geoffenbaret deinen Willen durch den Mund des Propheten Elias, du, der gleichermaßen ausgegossen hat die heilige Ölung der Könige auf das Haupt von Saul und David durch die Hand des Propheten Samuel, gieße durch meine Hände die Schätze deiner Gnade und deiner Segnungen über deinen Knecht Napoleon aus, den wir trotz unserer persönlichen Unwürdigkeit heute in deinem Namen zum Kaiser weihen.«

Darauf stieg der Papst langsam und majestätisch wieder auf seinen Thron. Man brachte dem neuen Kaiser die heiligen Evangelien: er streckte die Hand darüber aus und leistet den durch die Konstitution vorgeschriebenen Eid. Nach Leistung des Eides rief der Oberste der Wappenherolde mit starker Stimme:

»Der sehr glorreiche und sehr erhabene Kaiser der Franzosen ist gekrönt und auf den Thron gesetzt. – Es lebe der Kaiser!«

Sofort ertönte die Kirche von demselben Rufe; eine Artilleriesalve erwiderte ihn mit eherner Stimme, und der Papst stimmte das Te Deum an.

Ganz aus war es von dieser Stunde an mit der Republik; die Revolution hatte sich verkörpert.

Aber an einer Krone genügte es nicht; der Riese mit den hundert Armen des Geryon hatte, schien es, auch dessen drei Köpfe. Am 17. März 1805 kam Herr von Melzi, Vizepräsident per Staatskonsulta der Zisalpinischen Republik, ihm die Vereinigung des Königreichs Italien mit dem französischen Kaiserreiche anzubieten, und am 26. Mai empfing er zu Mailand in dem Dome, dessen Stein Galeas Visconti gelegt hatte, und dessen letzte Verzierungen er selbst meißeln lassen sollte, die eiserne Krone der alten Lombardenkönige, die Karl der Große getragen hatte, und die er nun auf sein Haupt setzte, mit den Worten: »Gott hat sie mir gegeben, wehe dem, der sie berührt!«

Von Mailand, wo er Eugen mit dem Titel eines Vizekönigs zurückläßt, begibt sich Napoleon nach Genua, das seiner Souveränität entsagt, und dessen mit dem Kaiserreich vereintes Gebiet fortan die drei Departements Genua, Montenotte und Apenninen bilden. Bei dieser Gelegenheit machte er auch die Republik Lukka zum Fürstentum Piombino. Napoleon, der aus seinem Stiefsohn einen Vizekönig und aus seiner Schwester eine Prinzessin macht, schickt sich an, aus seinen Brüdern Könige zu machen.

Mitten in dieser Neugestaltung von Ruinen erfährt Napoleon, daß England, um der ihm angedrohten Landung zu entgehen, Österreich abermals zu dem Entschluß bewogen hat, Frankreich mit Krieg zu überziehen. Nicht genug! Paul I., unser ritterlicher Bundesgenosse, war ermordet worden; Alexander hat des Vaters Doppelkrone als Hoherpriester und Kaiser geerbt. Eine seiner ersten Regierungshandlungen war der Abschluß eines Allianzvertrages mit dem britischen Ministerium am 11. April 1805 gewesen; und eben diesem Vertrag, der Europa zu einer dritten Koalition aufbietet, ist Österreich am 9. August beigetreten.

Diesmal sind es wiederum die verbündeten Monarchen, die den Kaiser zwingen das Szepter niederzulegen, und den General, wieder zum Degen zu greifen. Napoleon begibt sich am 25. September in den Senat, erwirkt eine Aushebung von 80 000 Mann, reist am folgenden Tag ab, geht am 1. Oktober über den Rhein, betritt am 6. Bayern, entsetzt München am 12., nimmt Ulm am 20. und bemächtigt sich Wiens am 13. November. Am 29. d. M. vereinigt er sich mit der italienischen Armee und steht am 2. Dezember, dem Jahrestag seiner Krönung, den Russen und Österreichern in den Ebenen von Austerlitz gegenüber.

Am Abend zuvor hatte Napoleon den Fehler entdeckt, den seine Feinde begingen, indem sie alle ihre Streitkräfte um das Dorf Austerlitz zusammenzogen, um den linkenDen rechten Flügel. A. d. Ü. Flügel der Franzosen zu umgehen.

Gegen Mittag war er mit den Marschällen Soult, Bernadotte und Bessières zu Pferde gestiegen, durch die Reihen der Gardeinfanterie und -kavallerie, die auf der Ebene von Schlapanitz unter den Waffen standen, geritten und hatte sich dabei bis auf die Vorpostenlinie von Murats Reiterei, die einige Karabinerschüsse mit dem Feinde wechselte, hinausgewagt. Von da hatte er mitten in dem Kugelregen die Bewegungen der verschiedenen Kolonnen beobachtet und, von einem plötzlichen Geistesblitz erleuchtet, wie sie seinem Genie eigen waren, Kutusoffs ganzen Plan geahnt. Von diesem Augenblick an war Kutusoff in seiner Vorstellung geschlagen, und als er in seine Baracke, die er sich inmitten seiner Garde auf einer die ganze Ebene beherrschenden Plattform hatte aufschlagen lassen, zurückkehrte, sagte er, sein Roß umwendend, mit einem letzten Blick auf den Feind: »Bevor morgen die Sonne untergeht, wird diese ganze Armee mein sein.«

Gegen 5 Uhr nachmittags wurde der Armee folgender Tagesbefehl bekanntgegeben:

»Soldaten, die russische Armee steht vor euch, um den Unfall der Österreicher bei Ulm zu rächen. Es sind dieselben Bataillone, die ihr bei Hollabrunn geschlagen und seither ununterbrochen verfolgt habt.

Unsere Stellungen sind furchtbar, und während der Feind versuchen wird, meinen rechten Flügel zu umgehen, wird er mir seine Flanke preisgeben.

Soldaten, ich selbst werde eure Bataillone führen; ich werde weit vom Feuer bleiben, wenn ihr mit eurer gewohnten Tapferkeit Verderben und Verwirrung in den feindlichen Reihen verbreitet; sollte aber der Sieg nur einen Augenblick zweifelhaft sein, so würdet ihr sehen, wie sich euer Kaiser den ersten Streichen aussetzt; denn der Sieg darf nicht ungewiß sein, am wenigsten an einem Tage, wo es sich um die Ehre der französischen Infanterie handelt, die so viel zur Ehre der ganzen Nation beiträgt.

Keiner verlasse unter dem Vorwand, die Verwundeten fortzubringen, die Reihen, und jeder durchdringe sich mit dem Gedanken, daß diese Söldlinge Englands überwunden werden müssen, die von so großem Hasse gegen unsere Nation beseelt sind.

Dieser Sieg wird unserm Feldzug ein Ende machen, und wir werden Winterquartiere beziehen können, wo die neuen Armeen, die sich in Frankreich bilden, zu uns stoßen, und dann werde ich einen Frieden schließen, der meines Volkes, euer und meiner würdig ist.«

Lassen wir jetzt Napoleon selbst reden; hören wir, wie Cäsar von Pharsalus erzählt!

»Den 30. bezogen die Feinde ein Biwak bei Hogieditz. Diesen ganzen Tag über durchritt ich die Gegend; ich sah, daß es bloß von mir abhing, meinem rechten Flügel einen guten Stützpunkt zu verschaffen und das Vorhaben des Feindes zu vereiteln, wenn ich nämlich die Hochebene von Pratzen, vom Santon an bis Kresenowitz, mit starker Macht besetzte, um ihn in der Front aufzuhalten. Dadurch wäre aber bloß ein Zusammenstoß mit gleichen Aussichten für beide Teile herbeigeführt worden, und ich wollte etwas Besseres. Die Absicht der Verbündeten, sich um meine rechte Flanke zu ziehen, lag zutage; ich glaubte, einen ganz sicheren Streich führen zu können, wenn ich sie ungestört ihren linken Flügel ausdehnen ließ, und stellte nur eine Reiterabteilung auf den Höhen von Pratzen auf.

Am 1. Dezember rückte der Feind aus Austerlitz vor und stellte sich uns gegenüber in der Stellung von Pratzen auf, indem er seinen linken Flügel bis Aujest ausdehnte. Bernadotte, der aus Böhmen zurückkam, rückte in die Linie ein, und Davoust erreichte mit einer seiner Divisionen die Abtei Raigern, Gudins Division biwakierte bei Nikolsburg.

Die von allen Seiten über den Marsch der feindlichen Kolonnen einlaufenden Berichte bestätigten mich in meiner Meinung. Um 9 Uhr abends durchritt ich meine Linie, sowohl um die Richtung der feindlichen Feuer zu erkennen, als um meine Truppen anzufeuern. Ich hatte ihnen eben erst einen Tagesbefehl verlesen lassen, der ihnen nicht nur den Sieg verhieß, sondern auch mitteilte, welches Manöver ihn uns verschaffen sollte. Es war dies wohl das erstemal, daß ein General seiner ganzen Armee den Plan kundgab, wodurch er den Sieg zu erreichen hoffte. Ich befürchtete nicht, daß der Feind davon Kenntnis erhalte; er würde auch nicht daran geglaubt haben. Dieser Ritt war die Veranlassung zu einer der rührendsten Begebenheiten, die ich je erlebt habe. Meine Anwesenheit vor der Front der Armeekorps teilte ihnen einen elektrischen Schwung mit, der, von einem zum andern fortschwingend, mit Blitzesschnelle zum äußersten Ende der Linie gelangte; in unwillkürlicher Bewegung schwangen alle Infanteriedivisionen brennende Strohbunde an langen Stangen in die Höhe und bereiteten mir so ein Feuerwerk, dessen erhabener und sonderbarer Anblick etwas Majestätisches hatte. Es war der erste Jahrestag meiner Krönung!!

Der Anblick dieser Feuer erinnerte mich an die Reisigbüschel, durch die Hannibal die Römer täuschte, und an die Biwaks bei Liegnitz, wo Daun und Laudon sich dadurch anführen ließen und Friedrichs Armee gerettet wurde. Bei meinem Vorüberreiten erschallt der Ruf: »Es lebe der Kaiser!«, und dieser Ruf, den jedes Korps, dem ich mich näherte, immerfort wiederholt, trägt den lauten Beweis von der Begeisterung meiner Soldaten ins feindliche Lager hinüber. Nie machte ein kriegerischer Auftritt einen feierlicheren Eindruck, und jeder Soldat teilte das Vertrauen, das eine solche Ergebenheit mir einflößen mußte.

Es erstreckte sich diese von mir bis Mitternacht durchrittene Linie von Kobelnitz bis an den Santon. Soults Korps bildete deren rechten Flügel; zwischen Sokelnitz und Puntowitz aufgestellt, befand er sich demnach dem feindlichen Zentrum gerade gegenüber. Bernadotte biwakierte hinter Girskowitz, Murat links von diesem Dorfe und Lannes auf beiden Seiten der Straße nach Brünn; meine Reserven stellten sich hinter Soult und Bernadotte auf.

Dadurch, daß ich meinen rechten Flügel unter Soult dem Zentrum des Feindes gegenüberstellte, mußte die schwerste Aufgabe der Schlacht natürlich ihm zuteil werden. Damit aber seiner Begegnung der von mir gehoffte Erfolg nicht fehle, mußte man damit anfangen, die feindlichen Truppen, die sich auf Blasowitz zu und über die Austerlitzer Heerstraße entwickelten, von ihm abzuhalten. Wahrscheinlich befanden sich die Kaiser und das Hauptquartier in Austerlitz, vor allem mußte daher ein Streich dorthin geführt werden, um sich sodann mit einer Frontveränderung gegen ihren linken Flügel wenden zu können: auch wurde hierdurch jener linke Flügel von der Olmützer Straße abgeschnitten.

Ich faßte daher den Entschluß, zuerst die Bewegung von Bernadottes Korps auf Blasowitz mit meinen Garden und der Grenadierreserve zu unterstützen, um den feindlichen rechten Flügel zurückzutreiben und mich dann gegen seinen linken zu wenden, der, je weiter er über Telnitz herausrückte, um so mehr preisgegeben war.

Schon den Abend vorher war mein Plan gefaßt, den ich ja auch meinen Soldaten mitgeteilt hatte. Nun kam es aber hauptsächlich darauf an, den rechten Augenblick zu treffen. Die Nacht hatte ich im Biwak zugebracht, und die Marschälle hatten sich bei mir eingefunden, um meine letzten Befehle einzuholen.

Um vier Uhr morgens stieg ich zu Pferde; der Mond war untergegangen, die Nacht kalt und ziemlich dunkel, das Wetter jedoch heiter. Es lag mir daran zu erfahren, ob der Feind keine nächtliche Bewegung gemacht habe, die meinen Plan hätte stören können. Die Berichte der Feldwachen kamen darin überein, daß sich alles Geräusch vom rechten Flügel des Feindes nach dem linken hingezogen habe, die Feuer schienen mehr gegen Aujest zu ausgedehnt. Mit Tagesanbruch verdunkelte ein leichter Nebel den Horizont ein wenig, besonders in den Gründen. Plötzlich fällt dieser Nebel, die Sonne beginnt mit ihren Strahlen die Gipfel der Berge zu vergolden, während ein dunstiges Gewölk noch auf den Tälern liegt. Wir erkennen ganz deutlich die Höhen von Pratzen. Unlängst noch mit Truppen bedeckt, sind sie jetzt vom linken Flügel des Feindes verlassen; es ist klar, daß er seinen Vorsatz, seine Linie bis jenseits Telnitz auszudehnen, verfolgt hat. Jedoch zugleich entdecke ich eine andere Masse, die sich vom Zentrum aus gegen den rechten Flügel in der Richtung nach Holubitz bewegt. Nun ist es zweifellos, daß der Feind sein entblößtes Zentrum allen Streichen, die ich dagegen führen will, selbst preisgibt. Es war 8 Uhr morgens; Soults Truppen waren im Hintergrunde von Puntowitz auf zwei Linien, in Bataillonsangriffskolonnen zusammengedrängt. Ich frage den Marschall, wieviel Zeit er bedürfe, um die Höhen von Pratzen zu erreichen; er verspricht mir, in weniger als 20 Minuten dort zu sein. – Wir wollen noch warten, antwortete ich ihm . . . solange der Feind eine falsche Bewegung macht, muß man sich wohl hüten, ihn darin zu unterbrechen.

Bald wird das Kleingewehrfeuer gegen Sokelnitz und Telnitz zu lebhafter; ein Adjutant meldet mir, daß der Feind mit drohender Macht daraus hervorbreche. Darauf hatte ich gewartet; ich gebe das Zeichen, und im Augenblick sprengen Murat, Lannes, Bernadotte und Soult davon. Auch ich steige zu Pferde, um mich zum Zentrum zu begeben; beim Vorüberreiten bei meinen Truppen feuere ich sie aufs neue mit den Worten an: Der Feind stellt sich in seiner Unklugheit euren Streichen selbst bloß; beendigt den Feldzug durch einen Donnerstreich! Der Ruf: Es lebe der Kaiser! bezeugt, daß man mich verstanden habe, und gibt die eigentliche Losung zum Angriffe; bevor ich aber diesen schildere, wollen wir sehen, was bei der Armee der Verbündeten vorgegangen ist.

Wenn man dem von Weyrother stammenden Entwurfe Glauben schenken darf, so war ihre Absicht, nach demselben Plane, den sie anfänglich durch strategische Manöver ausführen wollten, nun taktisch zu verfahren, das heißt, sie wollten durch ihren verstärkten linken Flügel meinen rechten zu fassen suchen, mir die Straße nach Wien abschneiden und mich, geschlagen, auf Brünn zurückwerfen. Obwohl mein Schicksal nicht an jene Straße gebannt war und ich, wie schon früher bemerkt, die Straße nach Böhmen vorgezogen hätte, so ist es doch gewiß, daß jener Plan den Verbündeten mehrfach günstige Aussichten bot. Sollte er aber gelingen, so mußte man den hauptsächlich zum Handeln bestimmten linken Flügel nicht abtrennen, sondern es war im Gegenteil wesentlich, ihm nach und nach das Zentrum und den rechten Flügel, die sich in derselben Richtung hätten ausdehnen müssen, folgen zu lassen. Weyrother manövrierte, wie früher bei Rivoli, mit beiden Flügeln, oder, wenn dies nicht seine Absicht war, so verfuhr er wenigstens so, daß man es glauben mußte.

Der linke Flügel, unter Buxhövden, bestand aus Kienmayers Vorhut und den drei russischen Divisionen Doktoroff, Langeron und Pribischefsky, alles in allem 30 000 Mann: er sollte von den Höhen von Pratzen in drei Kolonnen über Aujest auf Telnitz und Sokelnitz vorrücken, den Bach, der links zwei Seen bildet, überschreiten und sich auf Turas zuwenden.

Die vierte Kolonne, unter Kollowrats Befehlen, bei der sich das Hauptquartier befand, bildete das Zentrum; sie sollte etwas hinter der dritten Kolonne über Pratzen auf Kobelnitz vorrücken: sie bestand aus 12 schwachen russischen Bataillonen von der letzten Aushebung.

»Die fünfte, aus 80 Schwadronen unter dem Fürsten Johann Liechtenstein bestehend, sollte das Zentrum, hinter dem sie die Nacht über gestanden hatte, verlassen und den rechten Flügel durch ihre Bewegung gegen die Brünner Straße zu unterstützen.

Die sechste, am äußersten rechten Flügel, begriff Bagrations Vorhut in sich und bestand aus 12 Bataillonen und 40 Schwadronen, die dazu bestimmt waren, von der großen Brünner Straße her die Höhen des Santon und die von Bosenitz anzugreifen.

Die siebente enthielt die Garden unter dem Großfürsten Konstantin; sie sollte als Reserve des rechten Flügels auf der Brünner Straße verbleiben.

Man sieht, daß der Feind meine rechte Flanke überflügeln wollte, die er bis Melnitz ausgedehnt glaubte, während meine Armee, für jeden Fall gerüstet, zwischen Schlapanitz und der Brünner Straße in Massen beisammen stand.

Dieser Disposition gemäß hatte sich Buxhövden, der ohnedies schon der übrigen Armee voraus war, noch vor den andern Kolonnen in Bewegung gesetzt; auch war Liechtensteins Reiterei vom Zentrum nach dem rechten Flügel abmarschiert, so daß die Höhen von Pratzen, der Schlüssel des ganzen Schlachtfeldes, gänzlich entblößt waren.

Im Augenblicke, wo ich das Zeichen dazu gebe, brechen alle meine Kolonnen auf. Bernadotte geht durch den Engpaß von Girskowitz und rückt, in seiner linken Flanke durch Murat gedeckt, auf Blasowitz vor; in gleicher Höhe marschiert Lannes zu beiden Seiten der Brünner Straße: meine Garde und meine Reserven folgen in einiger Entfernung Bernadottes Korps; sie sind bestimmt, über das Zentrum des Feindes herzufallen, sowie er dieses wieder verstärken will.

Wie ein Wetterstrahl bricht Soult aus der Schlucht bei Kobelnitz und Puntowitz mit den Divisionen St. Hilaire und Vandamme hervor; die Brigade Levasseur unterstützt ihn. Zwei andere Brigaden von der Division Legrand bleiben, in Plänklerketten aufgelöst, zurück, um Buxhövden die Engpässe von Telnitz und Sokelnitz zu verdecken und streitig zu machen. Da mit Gewißheit angenommen werden kann, daß er sie erstürmen wird, so erhält Marschall Davoust den Befehl, mit der Division Friant und Bourciers Dragonerdivision von Raygern aufzubrechen und die Spitzen der russischen Kolonnen so lange im Schach zu halten, bis der passende Augenblick zum ernstlicheren Angriffe gekommen ist.

Kaum hat Soult die Höhen von Pratzen erklommen, als er unvermutet auf Kollowrats Kolonne (die vierte) stößt, die hinter der dritten im Zentrum marschiert und, in der Meinung, durch diese gesichert zu sein, sich in Marschkolonne mit Zügen vorwärts bewegt. Kaiser Alexander, Kutusoff und sein Generalstab befinden sich bei ihr. Alles, was unerwartet in einem Hauptquartier selbst vorfällt, erregt Staunen und Bestürzung. Miloradovich, der an der Spitze marschiert, gewinnt kaum Zeit, seine Bataillone nacheinander zu formieren und ins Gefecht zu führen, er wird über den Haufen geworfen, und ein gleiches widerfährt den auf ihn folgenden Österreichern. Kaiser Alexander gibt Beweise von Kaltblütigkeit und setzt sich persönlicher Gefahr aus, um die Truppen wieder zu sammeln: allein er hat, dank Weyrothers lächerlichen Dispositionen, keine einzige zur Reserve verwendbare Division zur Hand. Die verbündeten Truppen werden bis Hostiradek gejagt: die zur dritten Kolonne gehörige Brigade Kamensky, in ihrer rechten Flanke angegriffen, vereinigt ihre Anstrengungen mit Kutusoff und stellt auf einen Augenblick die Ordnung wieder her. Aber diese Unterstützung ist St. Hilaires, Vandammes und Levasseurs vereinigten Angriffen gegenüber nur von kurzer Dauer. Kollowrats Kolonne, die befürchtet, in das sumpfige Tal bei Birnbaum hinabgeworfen zu werden, zieht sich nach Vorschrift der Disposition auf Wischau zurück, wobei die ganze Artillerie dieser Kolonne, die tief in den halbgefrornen Lehmboden eingesunken ist, uns zur Beute wird, und die ihrer Kanonen und Reiterei beraubte Infanterie vermag nichts mehr gegen den siegreichen Soult.

Zu gleicher Zeit, als dieser entscheidende Schlag geschah, hatten sich die Kolonnen des rechten Flügels unter Buxhövden gekreuzt und sich bei Sokelnitz den Weg versperrt: dessenungeachtet und trotz der Anstrengungen der Division Legrand gelang es ihnen durch Sokelnitz vorzubrechen. Buxhövden selbst entwickelte sich über Telnitz, und die vier ihm entgegengestellten Bataillone waren nicht imstande, ihn aufzuhalten.

In diesem Augenblicke traf Davoust von Raygern ein, und die Division Friant warf die feindliche Vorhut auf Telnitz zurück. Da aber das Gefecht bei Sokelnitz eine ernstlichere Wendung zu nehmen droht, läßt Davoust nur Bourciers Dragoner vor Telnitz stehen und zieht sich mit der Division Friant den Bach hinauf. Hier entspinnt sich ein äußerst hitziges Gefecht; Sokelnitz, genommen und wieder genommen, verbleibt einen Augenblick in den Händen der Russen. Langeron und Pribischefsky brechen sogar gegen die Marxdorfer Höhen vor, wogegen unsere in einem Halbmond aufgestellten Truppen mehrere Flankenangriffe mit Vorteil gegen sie ausführen. Aber dieser ganze, wenn auch blutige Kampf war nur Nebensache, es genügte, den Feind festzuhalten, ohne ihn gerade zurückzuwerfen: es hätte nicht einmal was getan, wenn man ihn noch etwas weiter vorgelassen hätte.

Während so die Dinge auf unserm rechten Flügel eine günstige Wendung nahmen, machten wir auch im Zentrum und auf dem linken Flügel keine geringeren Fortschritte. Hier widerfuhr dem Großfürsten Konstantin und den russischen Garden genau das gleiche, was kurz vorher dem Hauptquartier und der vierten Kolonne widerfahren war: sie sollten die Reserven bilden und waren die zuerst Angegriffenen.

Bagration verlängerte seinen rechten Flügel gegen Dwaroschena zu, um die Stellung am Santon zu umfassen und anzugreifen. Liechtensteins Reiterei, zu seiner Unterstützung vom Zentrum herbeigerufen, hatte sich auf ihrem Marsche mit den übrigen Kolonnen gekreuzt, so daß der Großfürst, der vor ihr mit seinen Garden bei Krug anlangte, sich in dem Augenblicke in erster Linie befand, wo Bernadotte auf Blasomitz und Lannes zu beiden Seiten der Brünner Straße vorrückten; sogleich entspann sich ein lebhaftes Gefecht.

Fürst Liechtenstein, der nach einem langen Spazierritt endlich auf dem rechten Flügel des Großfürsten eintraf, war im Begriffe aufzumarschieren, als die russischen Gardeulanen, von unzeitiger Kampflust hingerissen, sich zwischen Bernadottes und Lannes' Divisionen warfen, um Kellermanns leichte Reiterei, die sich vor ihnen zurückzog, einzuholen. Sie wurden ein Opfer ihrer Hitze; Murats Reserven hieben auf sie ein, warfen sie und jagten sie unter das Feuer unserer beiden Infanterielinien zurück, wodurch die Hälfte zu Boden gestreckt wurde.

Unterdessen hatte sich Kutusoff durch unsere Fortschritte bei Pratzen genötigt gesehen, Liechtenstein zur Unterstützung des Zentrums zurückzurufen, und dieser, rechts und links gleich stark bedroht, wußte nicht, auf wen er hören und wohin er zuerst zu Hilfe eilen sollte; zunächst entsandte er vier Reiterregimenter, die gerade noch ankamen, um Zeugen von Kollowrats Niederlage zu sein. General Uwarroff wurde mit 30 Schwadronen zwischen Bagration und dem Großfürsten aufgestellt, und die übrige Reiterei nahm ihre Stellung auf dessen linkem Flügel.

Wie aber der Großfürst die französische Infanteriekolonnen nach Blasowitz eindringen und daraus sich entwickeln sieht, faßt er den Entschluß, sich von den Höhen herabzuziehen und ihnen die Hälfte des Wegs zu ersparen. Es scheint ihm diese Bewegung zu seiner eigenen Sicherheit ebenso notwendig, wie um dem Zentrum, dessen Lage Anlaß zur Beunruhigung gibt, Luft zu verschaffen.

Während sich nun ein wütendes Infanteriegefecht zwischen den russischen Garden und der Division Erlon entspann, befiehlt der Großfürst dem Gardekürassierregiment, in die rechte Flanke der letzteren einzuhauen, wo das vierte Linienregiment zur Deckung des Abstandes von der Division Vandamme aufgestellt war. Auf dieses Regiment warfen sich die russischen Kürassiere und sprengten das eine Bataillon: allein mit dem Leben ihrer Tapfersten bezahlen sie die Ehre, diesem Bataillon seinen Adler genommen zu haben. Gefährlich war dieses abgesonderte Scharmützel an sich nicht, da ich jedoch nicht wußte, ob es der Feind nicht fortsetzen würde, so hielt ich für nötig, den Marschall Bessières mit meiner Gardereiterei dorthin zu senden. Es mußte dem Dinge ein Ende gemacht werden, und so erteilte ich ihm den Befehl zum Angriffe. Nach der ehrenvollsten Verteidigung sieht sich die russische Linie genötigt, Bernadottes und Bessières' vereinten Anstrengungen zu weichen. Die Gardeinfanterie, deren Widerstandskraft erschöpft ist, zieht sich auf Krzenowitz zurück. Die Reitergarden, die in diesem Augenblicke von Austerlitz hier eintrafen, schmeichelten sich vergeblich, eine günstige Wendung herbeizuführen. Es war diesem Musterregiment unmöglich, noch etwas auszurichten: meine Grenadiere zu Pferde, die ich unter Rapps Befehlen dagegen ansprengen lasse, werfen es, und nun schlägt das ganze Zentrum den Weg nach Austerlitz ein.

Mittlerweile hatten Murat und Lannes Bagrations Korps und Uwaroffs Reiterei mit Erfolg angegriffen, und unsere Kürassiere waren in die linke Flanke dieses durch die Divisionen Suchet und Caffarelli hart gedrängten Flügels eingebrochen. Auf allen Seiten krönte der Sieg unsere Schritte.

In der Überzeugung, daß Bernadotte, Lannes und Murat mehr als genügten, um mit dem Feinde auf dieser Seite vollends fertigzuwerden, wendete ich mich mit meinen Garden und Oudinots Reserve rechts, um Soult bei der Bedrängung des im Rücken gefaßten und mitten zwischen Seen schwer bloßgestellten linken Flügels hilfreiche Hand zu leisten. Es war 2 Uhr; Soult, durch unsere Annäherung neu belebt, zog die Divisionen St. Hilaire und Legrand zusammen, um Sokelnitz von hinten anzugreifen, während Davousts Truppen von vorn darauf einstürmen sollten, Vandamme seinerseits wirft sich auf Aujest und meine Garde und die Grenadiere folgen, um bei diesen Angriffen im Notfälle beistehen zu können.

Die in Sokelnitz eingeschlossene Division Pribischefsky streckt das Gewehr; nur einige Flüchtlinge überbringen die Kunde von diesem Unfalle. Langeron, den nunmehr die Reihe trifft, ist nicht viel glücklicher, und nur der Hälfte seiner Mannschaft gelingt es, zu Buxhövden zu entkommen. Dieser, der 5-6 Stunden mit unnötigen Scharmützeln bei Telnitz verloren hatte, statt sich schon um 10 Uhr auf Sokelnitz zurückzuziehen, glaubt endlich, es sei Zeit, auf sein eigenes Heil bedacht zu nehmen. Zwischen 2 und 3 Uhr beginnt er seinen Marsch zurück nach Aujest und sucht, indem er sich längs des Grundes zwischen den Höhen und den Seen fortzieht, aus der Mausefalle, in die er geraten war, zu entkommen. Seine Kolonne bricht aus dem Dorfe hervor, als Vandamme sich mit Ungestüm auf seine Flanke wirft, nach Aujest eindringt und die Kolonne durchbricht. Buxhövden, nicht mehr imstande umzukehren, setzt mit den vordersten zwei Bataillonen seinen Weg zu Kutusoff fort; dagegen sehen sich Doctoroff und Langeron nun mit den übrigen 28 Bataillonen in den Schlund zwischen den Seen und den von St. Hilaire, Vandamme und meinen Reserven besetzten Höhen eingezwängt. Die Spitze der nach Aujest marschierenden Kolonne, die das Geschütz geleitete, will über die nach der Austrocknung des Sees verbliebenen Kanäle flüchten, aber unter der Last der Kanonen stürzt die Brücke ein. Nun suchen die wackern Leute, um ihr Geschütz zu retten, über das äußerste Ende des gefrornen Sees wegzukommen, allein das von unseren Kanonenkugeln durchfurchte Eis bricht unter dem Gewichte jener Masse ein. so daß Mann und Pferd und Kanonen versinken und mehr als 200 Mann ihren Tod finden. Nur ein Ausweg bleibt Doctoroff übrig, nämlich der, sich unter unserem Feuer längs des Seeufers bis nach Telnitz zu ziehen und einen Damm, der den Telnitzer See vom Melnitzer scheidet, zu erreichen. Mit ungeheurem Verluste gelang es ihm so, nach Satschann zu entkommen, das durch Kienmayers Reiterei gedeckt war: es zeichnete sich diese hierbei sehr vorteilhaft aus. Von dort schlugen sie miteinander den Weg über die Gebirge nach Czeitsch ein, wobei sie von den unsrigen lebhaft verfolgt wurden. Die wenige Artillerie, die der Feind vom Zentrum und von dem linken Flügel gerettet hatte, ging bei diesem Rückzuge verloren, der über furchtbare, vom Regen des vergangenen Tages und durch Tauwetter unfahrbar gewordene Wege führte.

Des Feindes Lage war schrecklich; ich hatte ihm die Straße nach Wischau verlegt, die er aber sowieso nicht hätte benützen können, da sie schon völlig zerstört war, und die Trümmer seines linken Flügels nicht mehr imstande waren, sie noch zu erreichen. Er war daher gezwungen, den Weg nach Ungarn einzuschlagen: allein Davoust, dessen eine Division nach Nikolsburg kam, konnte durch einen Flankenmarsch vor ihm nach Göding gelangen, während wir ihn von hinten lebhaft bedrängten. Die ganze, durch einen Verlust von 180 Kanonen und 25 000 Toten, Verwundeten und Gefangenen, ohne die zahlreichen Versprengten, sehr geschwächte Armee befand sich in der größten Unordnung.«

So lautet Napoleons eigener Bericht. Er ist klar, einfach und ernst, wie es sich für eine solche Tat schickt; seine Voraussicht hatte ihn keinen Augenblick getäuscht, die Schlacht entwickelte sich wie auf einem Schachbrett, und ein einziger Donnerschlag zerblitzte, wie er sich ausgedrückt hatte, die dritte Koalition.

Am dritten Tag erschien der Kaiser von Österreich in Person, um wieder den Frieden zu begehren, den er gebrochen hatte. Die Zusammenkunft der beiden Kaiser fand bei einer Mühle, neben der Heerstraße und unter freiem Himmel statt.

»Sire,« sagte Napoleon, Franz II. entgegengehend, »ich empfange Sie in dem einzigen Palast, den ich seit zwei Monaten bewohne.«

»Sie ziehen aus ihrer Wohnung solchen Nutzen, daß sie Ihnen gefallen muß,« erwiderte Franz.

Bei dieser Besprechung kam man über einen Waffenstillstand überein, und die Hauptbedingungen des Friedens wurden festgesetzt. Die Russen, die man bis auf den letzten Mann hätte vertilgen können, durften an dem Waffenstillstand teilnehmen auf die Bitte des Kaisers Franz und das einfache Versprechen des Kaisers Alexander, daß er Deutschland sowie das österreichische und preußische Polen räumen werde. Die Vereinbarungen wurden eingehalten, und er zog sich in Tagesmärschen zurück.

Der Sieg von Austerlitz war für das Kaiserreich, was der von Marengo für das Konsulat gewesen war, Bestätigung für die Vergangenheit, Verheißung für die Zukunft.

König Ferdinand von Neapel wurde, weil er im Laufe des letzten Krieges den Friedensvertrag mit Frankreich gebrochen hatte, seiner Königswürde über die beiden Sizilien für verlustig erklärt, und Joseph, des Kaisers ältester Bruder, als sein Nachfolger eingesetzt. Die Batavische Republik, zum Königreich erhoben, kam an Ludwig. Murat erhielt das Großherzogtum Berg; Marschall Berthier wurde Fürst von Neufchâtel und Herr von Talleyrand Fürst von Benevent. Dalmatien, Istrien, Friaul, Cadore, Conegliano, Belluno, Tréviso, Feltre, Bassano, Vicenza, Padua und Rovigo stiegen zu Herzogtümern empor, und das große Kaiserreich mit den abhängigen Königreichen, den Lehen, dem RheinbundDer Rheinbund wurde 1806 unter Napoleons Protektorat geschlossen. A. d. Ü. und seiner Schweizer Mediation erreichte in weniger als zwei Jahren den Umfang dessen, was einst Karl der Große beherrschte.

Nicht mehr ein Szepter, sondern eine Weltkugel hielt Napoleon in der Hand.

Der Friede von Preßburg dauerte ungefähr ein Jahr. In dessen Verlaufe gründete Napoleon die Kaiserliche Universität und ließ den Code civil samt der Prozeßordnung veröffentlichen. Mitten in seiner Verwaltungstätigkeit durch die feindliche Haltung Preußens unterbrochen, dessen Streitkräfte infolge der in den letzten Kriegen beobachteten Neutralität verschont geblieben waren, ist Napoleon in kurzem genötigt, einer vierten Koalition gegenüberzutreten. Die Königin Luise hat den Kaiser Alexander daran erinnert, daß sie über dem Grabe des großen Friedrich sich eine unauflösliche Allianz gegen Frankreich zugeschworen haben, Kaiser Alexander vergißt über sein erstes sein zweites Gelöbnis, und Napoleon erhält, bei Strafe der Kriegserklärung, den Befehl, seine Soldaten über den Rhein zurückgehen zu lassen.

Napoleon läßt seinen Kriegsminister Berthier kommen und zeigt ihm Preußens Ultimatum.

»Man ladet uns,« sagte er, »zu einem Ehrenstelldichein; nie hat ein Franzose so etwas ausgeschlagen; und weil eine schöne Königin Kampfzeugin sein will, wollen wir höflich sein und, damit sie nicht zu warten braucht, ohne zu rasten, bis nach Sachsen marschieren!«

Und diesmal erneut er und übertrifft aus Galanterie an reißender Schnelle noch den letzten Feldzug. Der preußische wird am 7. Oktober 1806 durch die Korps Murat, Bernadotte und Davoust eröffnet, dauert während der folgenden Tage in den Kämpfen von Schleiz und Saalfeld fort und endigt am 14. mit der Schlacht von Jena und Auerstädt. Am 16. strecken 14 000 Preußen bei Erfurt die Waffen, und am 25. zieht die französische Armee in Berlin ein. Sieben Tage haben hingereicht, die Monarchie Friedrichs des Großen dem großen Errichter und Vernichter von Thronen in die Hände zu liefern, der Bayern, Württemberg und Holland Könige gegeben, der die Bourbonen aus Neapel und das Haus Lothringen aus Italien und Deutschland vertrieben hat.

Am 27. richtet Napoleon von seinem Hauptquartier in Potsdam an seine Soldaten folgenden Tagesbefehl, der den ganzen Feldzug zusammenfaßt:

»Soldaten,

Ihr habt meine Erwartung gerechtfertigt und dem Vertrauen des französischen Volks auf würdige Weise entsprochen. Ihr habt die Entbehrungen und Mühen mit ebensovielem Mute ertragen, wie ihr im Kampf Unerschrockenheit und kaltes Blut bewahrt habt; solange dieser Geist euch beseelt, wird nichts euch widerstehen können. Die Reiterei hat mit Fußvolk und Artillerie so gewetteifert, daß ich fortan nicht weiß, welcher Waffe ich den Vorzug geben soll: alle seid ihr gute Soldaten. Hört die Erfolge unserer Anstrengungen: Eine der ersten Mächte Europas, die eben noch wagte, uns eine schmähliche Kapitulation vorzulegen, ist vernichtet: die Wälder, die Engpässe Frankens, die Saale, die Elbe, über die unsere Väter nicht in sieben Jahren gedrungen wären, – wir haben sie in sieben Tagen bezwungen und in der Zwischenzeit noch vier Gefechte und eine große Schlacht geliefert. Nach Potsdam und Berlin sind wir dem Ruhm unserer Siege vorausgeeilt: wir haben 60 000 Gefangene gemacht, 65 Fahnen, darunter die der Garden des Königs von Preußen, 600 Kanonen, drei Festungen genommen und mehr als 20 Generale gefangen. Und doch bedauert über die Hälfte von euch, daß sie noch keinen Flintenschuß getan hat! Alle Provinzen der preußischen Monarchie bis zur Oder sind in unserer Gewalt. Soldaten! Die Russen brüsten sich, zu uns zu kommen; wir werden ihnen entgegengehen und die Hälfte des Weges ersparen. Mitten in Preußen werden sie noch einmal ein Austerlitz finden. Eine Nation, die sogleich die Großmut vergaß, die wir nach dieser Schlacht gegen sie geübt, wo ihr Kaiser, ihr Hof, die Trümmer ihrer Armee nur der ihnen von uns gewährten Kapitulation ihre Rettung verdankten, – eine solche Nation kann nicht mit Erfolg gegen uns kämpfen. Übrigens werden noch, während wir den Russen entgegenmarschieren, neue im Innern des Kaiserreichs gebildete Armeen an unsern Platz treten, um unsere Eroberungen zu hüten. Mein ganzes Volk hat sich voll Entrüstung über die schmähliche Kapitulation, die die preußischen Minister in ihrem Wahnsinn uns vorschlugen, erhoben: unsere Straßen und Grenzstädte wimmeln von Ausgehobenen, die darauf brennen, euren Fußtapfen zu folgen. Fortan werden wir nicht mehr einem verräterischen Frieden preisgegeben sein und die Waffen nicht eher niederlegen, als bis wir die Engländer, diese ewigen Feinde unserer Nation, gezwungen haben, ihren Anschlägen auf die Ruhe des Kontinents und ihrer angemaßten Herrschaft über die Meere zu entsagen. Soldaten, ich kann euch meine Gesinnungen nicht besser ausdrücken, als indem ich euch versichere, daß ich für euch die Liebe im Herzen trage, die ihr mir alle Tage beweist.«

Während der König von Preußen auf Grund des am 16. November unterzeichneten Waffenstillstandes den Franzosen alle ihm noch gebliebenen festen Plätze übergibt, macht Napoleon halt, wendet sich gegen England zurück und schlägt es in Ermanglung anderer Waffen mit einem Erlaß. Großbritannien wird in Blockadezustand erklärt, jeder Handel und jeder Briefwechsel mit den britischen Inseln werden untersagt, kein Brief in englischer Sprache darf durch die Post befördert werden. Jeder Untertan des Königs Georg, der in Frankreich oder in den von unsern Truppen und den von unsern Verbündeten besetzten Ländern betroffen wird, soll Gefangener sein; jedes Geschäft, jeder Grundbesitz, jede Ware, die einem Engländer gehören, soll dem Staate verfallen sein; der Handel mit Waren, die einem Engländer angehören oder aus dessen Fabriken oder Kolonien stammen, wird verboten; endlich darf kein Schiff, das aus England oder den englischen Kolonien kommt, in irgendeinem Hafen einlaufen.

Nachdem er so wie ein politischer Papst über ein ganzes Königreich den Bann verhängt hat, ernennt er den General Hullin zum Gouverneur von Berlin, beläßt den Fürsten Hatzfeld in seinem Zivilkommando und zieht den Russen entgegen, die, wie bei Austerlitz, ihren Verbündeten zu Hilfe eilen und, wie bei Austerlitz, eintreffen, wenn jene vernichtet sind.Bei Austerlitz wurden die vereinigten Russen und Österreicher geschlagen. A. d. Ü. Napoleon nimmt sich nur noch Zeit, den Degen Friedrichs des Großen, sein Ordensband vom Schwarzen Adler, seine Generalsschärpe und die Fahne, die seine Garde in dem weltberühmten Siebenjährigen Krieg trug, nach Paris zu schicken, und eilt am 25. November von Berlin aus dem Feinde entgegen.

Vor Warschau stoßen Murat, Davoust und Lannes auf die Russen. Nach einem kurzen Scharmützel räumt Bennigsen die Hauptstadt Polens, in die die Franzosen einziehen: das polnische Volk erhebt sich wie ein Mann für die Franzosen, bietet sein Gut, sein Blut, sein Leben an und verlangt nur seine Selbständigkeit dafür. Napoleon erfährt diesen ersten Erfolg in Posen, wo er haltgemacht hat, um einen König zu machen, es ist der alte Kurfürst von Sachsen, dessen Krone er befestigt.Der 56jährige Kurfürst von Sachsen, Friedrich August der Gerechte, wird 1806 von Napoleon als »König« in den Rheinbund aufgenommen. A. d. Ü.

Das Jahr 1806 endigte mit den Kämpfen von Pultusk und Golymin und das von 1807 begann mit der Schlacht von Eylau, einer seltsamen, unentschiedenen Schlacht, in der die Russen 8000 und die Franzosen 10 000 Mann verloren, wobei jede der beiden Parteien sich den Sieg zuschrieb, und infolge deren der Zar ein Te Deum dafür singen ließ, daß er 15 000 Gefangene, 40 Kanonen und 7 Fahnen in unsern Händen zurückgelassen hatte. Indessen war dies das erstemal, daß er sich wirklich mit Napoleon gemessen hatte: er war dabei aufrecht geblieben und darum schon Sieger.

Dieses stolze Bewußtsein dauerte übrigens kurze Zeit. Am 26. Mai wird Danzig genommen: einige Tage darauf wurden die Russen bei Spanden, bei Lomitten, bei Altkirchen, bei Deppen, bei Guttstadt, bei Heilsberg geschlagen. Endlich am 13. Juni abends stehen sich beide Armeen in Schlachtordnung vor Friedland gegenüber. Am folgenden Morgen beginnt die Kanonade, und Napoleon marschiert dem Feind entgegen mit dem Ausruf: »Heute ist ein Glückstag, es ist der Jahrestag von Marengo!« In der Tat brachte die Schlacht, wie bei Marengo, die Entscheidung. Die Russen wurden zermalmt. Alexander ließ 60 000 MannDie Russen zählten überhaupt nur rund 50 000 Mann. A. d. Ü. auf dem Schlachtfelde, ertränkt in der Alle oder gefangen, zurück: 120 Kanonen und 25 Fahnen waren die Trophäen des Sieges, und die Trümmer der überwundenen Armee liefen, ohne auch nur an die Möglichkeit eines Widerstandes zu denken, fliehenden Fußes, um sich jenseits des Pregels zu decken, dessen sämtliche Brücken sie zerstörten.

Trotz dieser Vorsicht gingen die Franzosen am 16. über den Fluß und marschierten sogleich auf den Niemen zu, die letzte Schranke, die Napoleon noch zu durchbrechen hatte, um den Krieg auf das eigene Gebiet des Kaisers von Rußland zu tragen. Da erschrak der Zar: der Zauber der britischen Verführungen verschwindet. Er befindet sich in gleicher Lage wie nach Austerlitz, ohne Hoffnung auf Beistand; zum zweitenmal beschließt er, sich zu demütigen. Diesen Frieden, den er so hartnäckig zurückgewiesen hat, solange er dessen Bedingungen diktieren konnte, den muß er sich nun erbitten und in der von seinem Überwinder befohlenen Form entgegennehmen. Am 21. Juni wird ein Waffenstillstand unterzeichnet, und am 22. folgender Tagesbefehl erlassen:

»Soldaten!

Am 5. Juni wurden wir in unsern Kantonierungen von der russischen Armee angegriffen. Der Feind hatte sich aber in den Ursachen unserer Untätigkeit verrechnet; zu spät hat er erfahren, daß unsere Ruhe die Ruhe des Löwen ist; er bereut nun, daß er dies vergessen.

In den Tagen von Guttstadt, von Heilsberg und an jenem ewig denkwürdigen von Friedland, kurz in den zehn Tagen des Feldzugs, haben wir 120 Kanonen, 70 Fahnen genommen, 60 000 Russen getötet, verwundet oder gefangen und der feindlichen Armee alle ihre Vorräte, Spitäler, Feldlazarette, die Festung Königsberg und die mit Munition aller Art und mit 160 000 von England unsern Feinden geschickten Gewehren beladenen Schiffe in dessen Hafen abgenommen.

Mit Adlersflug sind wir von den Ufern der Weichsel an die des Niemen geeilt. Ihr feiertet bei Austerlitz den Jahrestag der Krönung, dieses Jahr habt ihr den von Marengo, der dem Krieg der zweiten Koalition ein Ziel setzte, festlich begangen. Franzosen, ihr waret euer und meiner würdig. Ihr werdet mit Lorbeeren bedeckt und nach Erringung eines Friedens, der die Gewähr seiner Dauer in sich trägt, nach Frankreich zurückkehren. Es ist Zeit, daß unser Vaterland in Ruhe und vor dem bösartigen Einflusse Englands behütet lebe. Meine Wohltaten werden euch meine Dankbarkeit und den ganzen Umfang der Zuneigung, die ich zu euch hege, beweisen!«

Am 24. Juni ließ der Artilleriegeneral La Riboissière ein Floß auf dem Niemen erbauen und darauf ein zum Empfang der beiden Kaiser bestimmtes Zelt errichten. Jeder sollte sich von dem Ufer, das er besetzt hielt, darauf begeben.

Am 25. um 1 Uhr nachmittags verließ der Kaiser Napoleon in Begleitung Murats, des Großherzogs von Berg, der Marschälle Berthier und Bessières, des Generals Duroc und des Großstallmeisters Caulaincourt das linke Ufer des Flusses und begab sich nach dem bereitgehaltenen Zelt. Zu gleicher Zeit brach der Kaiser Alexander in Begleitung des Großfürsten Konstantin, des Obergenerals Bennigsen, des Fürsten Lobanoff, des Generals Uwaroff und des Generaladjutanten Grafen von Lieven vom rechten Ufer auf.

Die beiden Fahrzeuge legten zu gleicher Zeit an. Als sie auf die Flöße traten, umarmten sich die beiden Kaiser.

Diese Umarmung war das Vorspiel des Friedens von Tilsit, der am 9. Juli 1807 unterzeichnet wurde.

Preußen zahlte die Kriegskosten; die Königreiche Sachsen und Westfalen wurden wie zwei Festungen zu seiner Überwachung errichtet. Alexander und Friedrich Wilhelm ernannten feierlich Joseph, Ludwig und Jérôme als ihre gekrönten Brüder an. Der Erste Konsul Bonaparte hatte Republiken geschaffen, der Kaiser Napoleon verwandelte sie in Lehen. Als Erbe der drei Dynastien, die über Frankreich geherrscht hatten, wollte er die Hinterlassenschaft Karls des Großen noch vermehren, und Europa war genötigt, ihn gewähren zu lassen.

Am 27. Juli desselben Jahres kehrte Napoleon, nachdem er diesen glanzvollen Feldzug mit einem Zug der Milde beschlossen, nach Paris zurück. Kein Feind blieb ihm mehr übrig als England, das allerdings an den Niederlagen seiner Verbündeten blutete und furchtbar litt, aber immer noch an den beiden Enden des Festlandes, in Schweden und Portugal, aufrecht stand.

Durch die Verfügung der Kontinentalsperre von Berlin aus war England, wie gesagt, von Europa in den Bann getan. Rußland und Dänemark hatten ihm in den Nordmeeren, Frankreich, Holland und Spanien im Ozean und Mittelmeer ihre Häfen verschlossen und sich feierlich verpflichtet, keinen Handel mit ihm zu treiben. Es blieben also nur noch Schweden und Portugal übrig. Napoleon nahm Portugal, Alexander Schweden auf sich. Napoleon entschied durch eine Verfügung vom 27. Oktober 1807, daß das Haus Braganza aufgehört habe zu regieren, und Alexander verpflichtete sich am 27. Oktober 1808, gegen Gustav von Schweden ins Feld zu ziehen.

Einen Monat später waren die Franzosen in Lissabon.

Die Besetzung Portugals war nur die Einleitung zur Eroberung Spaniens, wo Karl IV. zwischen dem Kreuzfeuer zweier entgegengesetzter Machthaber, des Günstlings Godoy und Ferdinands, des Prinzen von Asturien, regierte. Durch eine ungeschickte, von Godoy veranlaßte Schilderhebung zur Zeit des preußischen Krieges vor den Kopf gestoßen, hatte Napoleon nur einen Blick auf Spanien geworfen, einen kurzen, unbemerkten Blick, der aber genügt hatte, ihm die Aussicht auf Neubesetzung eines bald erledigten Thrones zu eröffnen. Kaum waren daher seine Truppen im Besitze Portugals, als sie in die Iberische Halbinsel vordrangen. Hier besetzten sie unter dem Vorwand des Seekriegs und der Blockade zuerst die Küsten, sodann die Hauptplätze und bildeten endlich rings um Madrid einen Kreis, den sie nur enger zu ziehen brauchten, um in drei Tagen Herren der Hauptstadt zu sein. Unterdessen brach gegen den spanischen Minister ein Aufstand aus, und der Prinz von Asturien wurde unter dem Namen Ferdinand VII. an seines Vaters Stelle zum König ausgerufen. Weiter hatte Napoleon nichts gewünscht.

Sogleich ziehen die Franzosen in Madrid ein. Der Kaiser eilt nach Bayonne, beruft die spanischen Fürsten zu sich, zwingt Ferdinand VII., die Krone seinem Vater zurückzugeben, und schickt ihn gefangen nach Valençan. Unmittelbar darauf dankt der alte Karl IV. zugunsten Napoleons ab und zieht sich nach Compiègne zurück. Karls V. Krone wird Napoleons ältestem Bruder Joseph zugesprochen. Durch diese Veränderung wird der Thron von Neapel frei, den Napoleon seinem Schwager Murat zuspricht, so daß nun außer seiner eigenen fünf Kronen im Besitz seiner Familie sind.

Aber indem Napoleon den Kreis seiner Macht erweiterte, erweitert er seinen Kampfplatz. Die durch die Blockade geschädigten Interessen Hollands, das durch die Erschaffung der Königreiche Bayern und Württemberg erniedrigte Österreich, das in seinen Hoffnungen getäuschte Rom, dem die Rückgabe der von dem Direktorium mit der Zisalpinischen Republik vereinigten Provinzen an den heiligen Stuhl verweigert wird, endlich Spanien und Portugal, deren nationale Gefühle schrecklich vergewaltigt werden, bilden ebenso viele Echos, die Englands unaufhörlichen Kriegsruf widerhallen lassen.

Von allen Seiten bildete sich mit einem Male ein gewaltiger Gegenstoß, wenn er auch zu verschiedenen Zeiten losbrach.

Rom ging voran. Am 3. April verließ der Legat des Papstes Paris, und sofort erhielt der General Miollis den Befehl, Rom militärisch zu besetzen. Der Papst bedrohte unsere Truppen mit Exkommunikation, unsere Truppen antworteten ihm mit der Einnahme von Ankona, Urbino, Macerata und Camerino.

Spanien folgt. Sevilla erkannte durch eine Provinizialjunta Ferdinand VII. als König an und rief alle unbesetzten spanischen Provinzen unter die Waffen; die Provinzen erhoben sich, General Dupont mußte die Waffen strecken, und Joseph wurde gezwungen, Madrid zu verlassen.

Dann kam Portugal. Die Portugiesen standen am 16. Juni zu Oporto auf; Junot, dem es zur Behauptung seiner Eroberung an Truppen mangelte, mußte das Land gemäß dem Vertrag von Cintra räumen, und hinter ihm besetzte es Wellington mit 25 000 Mann.

Napoleon erachtete die Sachlage für ernst genug, um seine Gegenwart zu erheischen. Wohl wußte er, daß Österreich im geheimen waffne, aber vor Jahresfrist konnte es nicht gerüstet sein; wohl wußte er, daß Holland den Ruin seines Handels beklage, aber solange es sich mit Klagen begnügte, war er entschlossen, es unbeachtet zu lassen. So blieb ihm mehr als genug Zeit übrig, um Portugal und Spanien wiederzuerobern.

Napoleon erschien an den Grenzen Navarras und Biscayas mit 80 000 deutschen Veteranen, die Erstürmung von Burgos war das Signal seiner Ankunft. Ihr folgte der Sieg von Tudela. Darauf wurden die Linien der Somosierra mit dem Bajonette genommen, und am 4. Dezember hielt Napoleon seinen feierlichen Einzug in Madrid, wohin ihm folgende Kundgebung vorausgegangen war:

»Spanier!

Ich komme nicht zu euch als Gebieter, sondern als Befreier, ich habe das Inquisitionstribunal, gegen das unser Jahrhundert und Europa laut ihre Stimme erhoben, abgeschafft, die Priester sollen die Gewissen leiten, aber keine äußerliche und körperliche Gerichtsbarkeit über die Bürger ausüben. Ich habe die Lehensrechte unterdrückt, und jeder kann fortan Herbergen, Bäckereien, Mühlen, Thunfischfänge und Fischereien errichten, überhaupt seine Betriebsamkeit betätigen.

Die Selbstsucht, der Reichtum und das Glück einer kleinen Zahl von Leuten schadeten eurem Ackerbau mehr als der Brand der Hundstagssonne. Wie es nur einen Gott gibt, so soll auch im Staat nur eine Gerechtigkeit sein: alle besonderen Gerichtsbarkeiten waren von Anfang an ein Machtraub und den Rechten der Völker zuwider; ich habe sie zerstört. Das lebende Geschlecht mag verschiedener Ansicht sein, allzu viele Leidenschaften sind erregt; aber eure Enkel werden mich segnen als den zweiten Vater eures Vaterlandes; als denkwürdige Tage werden sie die zählen, wo ich unter euch erschienen bin, und von diesen Tagen wird sich Spaniens Wohlergehen herschreiben.«

Das eroberte Spanien war stumm, und die Inquisition antwortete mit folgendem Katechismus:

»Sage mir, mein Kind, wer bist du?« »Ein Spanier durch Gottes Gnade.« »Wer ist der Feind unseres Glückes?« »Der Kaiser der Franzosen.« »Wie viele Naturen hat er?« »Zwei, die menschliche und die teuflische.« »Wie viele Kaiser der Franzosen gibt es?« »Einen wirklichen in drei trügenden Personen.« »Wie heißen sie?« »Napoleon, Murat und Manuel Godoy.« »Welcher von den dreien ist der schlimmste?« »Sie sind alle drei gleich.« »Von wem stammt Napoleon?« »Von der Sünde.« »Murat?« »Von Napoleon.« »Und Godoy?« »Aus der Kreuzung beider.« »Was ist der Geist des ersten?« »Stolz und Despotismus.« »Des zweiten?« »Raubsucht und Grausamkeit.« »Des dritten?« »Wollust, Verräterei und Unwissenheit.« »Was sind die Franzosen?« »Verketzerte Christen.« »Ist es eine Sünde, einen Franzosen zu ermorden?« »Nein, mein Vater, man verdient den Himmel, wenn man einen dieser ketzerischen Hunde totschlägt.« »Welche Strafe verdient der Spanier, der seinen Pflichten nicht nachkommt?« »Den Tod und die Schmach der Verräter.« »Wer wird uns von unseren Feinden befreien?« »Das gegenseitige Vertrauen auf uns selbst und die Waffen!«

Indessen ruhte Spanien scheinbar im Frieden und fügte sich fast ganz seinem neuen Könige; zudem riefen die feindlichen Rüstungen Österreichs Napoleon nach Paris zurück. Dort am 23. Januar 1809 angekommen, ließ er sogleich den österreichischen Gesandten um Erklärungen ersuchen. Was dieser vorbrachte, schien ihm unzulänglich, und nach einigen Tagen erfuhr er, daß das österreichische Heer am 9. April über den Inn gesetzt sei und Bayern überfallen habe. Diesmal kam uns Österreich zuvor und war eher in Bereitschaft als Frankreich. Napoleon wendet sich an den Senat.

Am 14. entsprach der Senat seinem Ansuchen durch ein Gesetz, das die Aushebung von 40 000 Mann verordnete, am 17. war Napoleon in Donauwörth mitten unter seiner Armee: am 20. hatte er die Schlacht bei Thann, am 21. die bei Abensberg, am 22. die bei Eckmühl, am 23. die bei Regensburg gewonnen und am 24. richtete er nachstehenden Tagesbefehl an seine Armee:

»Soldaten!

Ihr habt meine Erwartung gerechtfertigt, die geringere Zahl habt ihr durch eure Tapferkeit wettgemacht, glorreich habt ihr den Unterschied gezeigt zwischen den Legionen eines Cäsar und den bewaffneten Kohorten eines Xerxes. Im Laufe von vier Tagen haben wir in den Schlachten von Thann, Abensberg und Eckmühl, in den Gefechten von Landshut und Regensburg triumphiert. 100 Kanonen, 40 Fahnen, 50 000 Gefangene sind die Erfolge eurer schnellen Bewegungen und eures Mutes. Der durch ein meineidiges Kabinett betörte Feind schien nicht mehr zu wissen, wer ihr seid. Furchtbar schnell ist er aus seinem Wahn erwacht, ihr seid ihm entsetzlicher erschienen als je. Eben erst ist er über den Inn gesetzt und hat das Gebiet unserer Verbündeten überfallen, und heute flieht er geschlagen in tödlicher Angst und ohne Ordnung. Schon hat meine Vorhut den Inn überschritten; bevor ein Monat vergeht, werden wir in Wien sein.«

Am 27. waren Bayern und die Pfalz geräumt: am 3. Mai verlieren die Österreicher das Treffen bei Ebersberg, am 9. war Napoleon unter den Mauern Wiens, am 9. öffnete es seine Tore, und am 13. hielt Napoleon seinen Einzug.

Man sieht, Prophezeiungen galten damals noch mit Recht etwas. 10 000 Mann, unter den Befehlen des Prinzen Karl, hatten sich auf das linke Ufer der Donau zurückgezogen. Napoleon verfolgt sie und holt sie den 21. bei Eßling ein, wo Massena seinen Herzogstitel mit dem eines Fürsten vertauscht.In der blutigen Schlacht bei Aspern-Eßling brachte der Erzherzog Karl seinem großen Gegner zum erstenmal eine schwere Niederlage bei. A. d. Ü. Während des Kampfes werden die Brücken der Donau durch das plötzliche Anschwellen des Stromes fortgerissen, aber in vierzehn Tagen schlägt Bertrand drei neue Brücken darüber, die erste mit 60 Jochen, auf der drei Wagen nebeneinander passieren können, die zweite auf Pfählen ist acht Fuß breit: die dritte endlich ruht auf Kähnen. Und der Tagesbefehl vom 3. Juli aus Wien meldet, daß es hinfort keine Donau mehr gebe, wie Ludwig XIV. das gleiche von den Pyrenäen erklärt hatte.

Wirklich wurde am 4. Juli die Donau überschritten, den 5. die Schlacht bei Engersdorff gewonnen, am 7. endlich lassen die Österreicher 4000 Tote und 9000 Verwundete auf dem Schlachtfeld von Wagram und 20 000 Gefangene, 10 Fahnen, 40 Kanonen in den Händen ihrer Besieger.Der Gesamtverlust von 50 000 Mann verteilte sich fast gleichmäßig auf beide Seiten. A. d. Ü.

Den 11. zeigte sich der Fürst von Liechtenstein bei den Vorposten, um einen Waffenstillstand zu verlangen; er war kein Unbekannter: am Tag nach der Schlacht von Marengo hatte er sich schon mit der gleichen Botschaft eingestellt. Den 12. wurde der Stillstand zu Znaim geschlossen. Alsbald begannen die Verhandlungen: sie dauerten drei Monate, während deren Napoleon Schönbrunn bewohnte, wo er wie ein Wunder dem Dolche des Thüringer Pfarrerssohnes Staps entging. Endlich wurde am 14. Oktober der Friede unterzeichnet.

Österreich trat an Frankreich alle auf dem rechten Ufer der Save gelegenen Länder, das Gebiet von Görz und von Montefeltro, Triest, die Krain und den Kreis Villach ab. Es erkannte die Vereinigung der illyrischen Provinzen mit dem französischen Reiche an sowie jede künftige Einverleibung italienischen, portugiesischen und spanischen Gebiets, die Eroberung oder diplomatische Kombinationen mit sich bringen konnten, und verzichtete unwiderruflich auf das Bündnis mit England, um dem Kontinentalsystem mit allen seinen Anforderungen beizutreten.

Man sieht, alles begann Napoleon entgegenzuwirken, aber noch vermochte ihm nichts zu widerstehen. Portugal hatte mit den Engländern gemeinschaftliche Sache gemacht. Er überschwemmte Portugal mit Truppen. Die Spanier hatten durch eine ungeschickte Schilderhebung ihre feindselige Gesinnung an den Tag gelegt: er nötigte Karl IV. abzudanken.Vergl. oben S. 146 Der Papst hatte Rom zum allgemeinen Stelldichein der Sendboten Englands gemacht; er behandelte den Papst wie einen weltlichen Souverän und setzte ihn ab. Die Natur verweigerte Josephine aus ihrer Ehe mit Napoleon Kinder: er heiratete die Tochter des österreichischen Kaisers, Marie Luise und erhielt von ihr einen Sohn. Holland war, trotz seiner Zusagen, ein Stapelplatz für englische Waren geworden: er setzte Ludwig ab und schlug dessen Königreich zu Frankreich.

Jetzt zählte der Kaiserstaat 130 Departements: er erstreckte sich vom britischen Ozean bis zu den Meeren Griechenlands, vom Tajo bis zur Elbe, und 120 Millionen Menschen einem einzigen Willen gehorsam, einer einzigen Gewalt unterworfen und auf ein und demselben Wege gefühlt, riefen in acht verschiedenen Sprachen: Es lebe Napoleon!

Der General ist im Zenit seines Ruhmes und der Kaiser auf dem Gipfel seines Glückes. Bisher haben wir ihn ohne Unterlaß emporsteigen sehen. Jetzt macht er halt und bleibt ein Jahr auf der Höhe seiner Herrlichkeit stehen; denn er muß ja wohl Atem schöpfen zum Abstieg.

Am 1. April 1810 heiratete Napoleon Marie Luise, die Erzherzogin von Österreich: elf Monate später verkündeten 101 Kanonenschüsse der Welt die Geburt eines Thronerben.

Eine der ersten Wirkungen von Napoleons Verbindung mit dem Hause Habsburg-Lothringen war eine Abkühlung zwischen ihm und dem Kaiser von Rußland, der ihm, wenn man Dr. O'Meara glauben darf, seine Schwester, die Großfürstin Anna, hatte anbieten lassen. Seit 1810 hatte Alexander, der Napoleons Kaiserreich wie einen schwellenden Ozean näher und näher auf sich zufluten sah, seine Armeen vermehrt und aufs neue Verbindungen mit Großbritannien angeknüpft. Das ganze Jahr 1811 verstrich mit fruchtlosen Unterhandlungen, die nach der Art, wie sie scheiterten, den neuen Ausbruch eines Krieges immer wahrscheinlicher machten. Daher begannen beide Teile zu rüsten, noch ehe er erklärt war. Preußen stellte nach dem Vertrag vom 24. Februar Napoleon 20 000 und Österreich nach dem vom 14. März 30 000 Mann. Italien und der Rheinbund trugen zu dem geplanten Unternehmen 25 000 und 80 000 Streiter bei. Endlich schied ein Senatsbeschluß die Nationalgarde für den inneren Dienst in drei Banne: davon stellte der erste zum aktiven Dienst bestimmte außer der Riesenarmee, die an den Niemen rückte, 100 Kohorten von je 1000 Mann zur Verfügung des Kaisers.

Am 9. März reiste Napoleon von Paris ab, indem er den Herzog von Bassano beauftragte, dem Gesandten des Zaren, Fürsten Kurakin, seine Pässe so lange als möglich vorzuenthalten. Dieser Befehl, der dem Anschein nach eine Friedenshoffnung übrigließ, hatte tatsächlich keinen andern Zweck, als Alexander über die wahren Gesinnungen seines Feindes so lange wie möglich in Ungewißheit zu lassen, damit dieser unversehens über die russische Armee herfallen und ihn überrumpeln könne. Napoleon hatte gewöhnlich diese Taktik verfolgt, die ihm, wie immer, so auch diesmal gelang. Daher begnügte sich der Moniteur anzuzeigen, daß der Kaiser Paris verlasse, um die große, an der Weichsel Vereinigte Armee zu besichtigen, und daß ihn die Kaiserin bis Dresden zum Zweck eines Besuchs bei ihrer erlauchten Familie begleiten würde.

Nachdem er dort vierzehn Tage verweilt und Talma und Fräulein Mars, wie er ihnen in Paris versprochen, vor einem Parterre von Königen hatte spielen lassen, verließ Napoleon Dresden und langte am 2. Juni in Thorn an. Am 22. verkündete er seine Rückkehr nach Polen durch folgenden Tagesbefehl aus dem Hauptquartier von Wilkowski:

»Soldaten, Rußland hat Frankreich ein ewiges Bündnis und England Krieg geschworen: es bricht heute seinen Eid und will keine Erklärung seines befremdenden Verhaltens geben, bevor nicht die französischen Adler über den Rhein zurückgegangen und damit unsere Verbündeten seiner Willkür überantwortet wären. So meint es denn, wir seien entartet? Sollten wir nicht mehr die Soldaten von Austerlitz sein? Es stellt uns die Wahl zwischen Schande und Krieg, und diese kann nicht zweifelhaft sein. Vorwärts! Laßt uns den Niemen überschreiten, tragen wir den Krieg auf Rußlands Boden! Die französische Armee wird dort Ruhm ernten. Der Friede, den wir schließen werden, soll dem unheilvollen Einflusse ein Ziel setzen, den das moskowitische Kabinett seit einem halben Jahrhundert auf die Angelegenheiten Europas ausübt.«

Die Armee, an die Napoleon diese Worte richtete, war die schönste, die zahlreichste und zugleich die stärkste, die er je befehligt hatte. Sie war in 15 Korps geteilt, jedes von einem Herzog, Fürsten oder Könige geführt, und bildete eine Masse von 400 000 Mann Infanterie, 70 000 Mann Kavallerie und von 1000 Feuerschlünden.Der Gesamtbestand der großen Armee belief sich mit Einschluß der 50 000 Österreicher und Preußen auf 650 000 Mann.

Drei Tage waren zum Übergang über den Niemen erforderlich: man wählte dazu den 23., 24. und 25. Juni.

Napoleon stand einen Augenblick still, gedankenvoll und unbeweglich auf dem linken Ufer dieses Flusses, wo ihm Kaiser Alexander drei Jahre vorher ewige Freundschaft geschworen hatte. Dann sagte er hinüberschreitend: »Das Verhängnis zieht die Russen hinab; mögen die Lose in Erfüllung gehen!«

Mit Riesenschritten begann er, wie immer, seinen Lauf; nach zweitägigem, wohl berechnetem Marsche war die völlig ahnungslose russische Armee auseinander gesprengt und ein ganzes Armeekorps von ihr abgetrennt.Die Teilung des russischen Heeres entsprach dem Feldzugsplan der russischen Armeeleitung. A. d. Ü.

Da ließ Alexander, der an den furchtbaren und entscheidenden Schlägen aufs neue die Gefährlichkeit dieses Gegners erkannte, diesem sagen, er sei zu Unterhandlungen bereit, wenn er das von seinen Truppen überschwemmte Gebiet räumen und an den Niemen zurückgehen wolle. Napoleon fand diesen Schritt so befremdend, daß er darauf nur mit seinem am andern Tag erfolgenden Einzug in Wilna antwortete. Hier blieb er 20 Tage, errichtete eine vorläufige Regierung, während ein Reichstag in Warschau zusammentrat, um sich mit der Wiederherstellung des Königreichs Polen zu beschäftigen, worauf er sich wieder zur Verfolgung der russischen Armee anschickte.

Am zweiten Marschtage wurde er sich mit Entsetzen über das von Alexander angenommene Verteidigungssystem klar. Die Russen hatten auf ihrem Rückzuge alles zerstört. Ernten, Schlösser und Hütten. Eine Armee von 500 000 Mann rückte in Wüsten vor, die ehemals nicht einmal Karl XII. und seine 20 000 Schweden hatten ernähren können.

Vom Niemen bis zur Wilna marschierte man beim Leuchten der Feuersbrünste, über Leichen und Trümmer. In den letzten Tagen des Juli langte die Armee zu Witebsk an, voll Erstaunen über einen Krieg, der keinem andern glich, in dem man auf keine Feinde stieß, und wo man, wie es schien, nur mit Dämonen der Vernichtung zu tun hatte. Napoleon selbst war, wie gesagt, ganz erstarrt über einen solchen Feldzugsplan, den er in seine Berechnungen nicht hatte aufnehmen können; er sah vor sich nichts als unermeßliche Wüsten, deren Ende er erst in einem Jahre erreicht hätte, und wo jeder Schritt, den er tat, ihn von Frankreich, von seinen Verbündeten, von allen seinen Hilfsquellen entfernte. In Witebsk angelangt, warf er sich niedergeschlagen auf einen Sessel, ließ sofort den Grafen Daru rufen und sagte ihm: »Ich bleibe hier, ich will mich hier wieder finden, hier meine Armee zusammenziehen, hier ihr Ruhe gönnen und Polen organisieren. Der Feldzug von 1812 ist beendigt, der von 1813 wird das übrige tun. Was Sie betrifft, mein Herr, sorgen Sie dafür, daß wir hier leben können, denn wir werden nicht die Torheit Karls XII. begehen.« – Dann fügte er, zu Murat gewendet, hinzu: »Pflanzen wir hier unsere Adler auf! Das Jahr 1813 wird uns in Moskau sehen. 1814 zu St. Petersburg, der Krieg mit Rußland dauert drei Jahre.«

Dies war wirklich der Entschluß, den Napoleon gefaßt zu haben schien. Aber jetzt stellte ihm Alexander, der seinerseits über die Untätigkeit erschreckt, endlich die Russen vor Augen, die ihm bisher wie Gespenster entschwunden waren. Wie ein Spieler durch den Klang des Goldes gelockt, kann sich Napoleon nicht länger halten und jagt ihnen auf der Ferse nach. Am 14. August ereilt und schlägt er sie bei Krasnoi; am 18. vertreibt er sie aus Smolensk, das er brennend zurückläßt, und am 30. bemächtigt er sich Wjasmas, wo er sämtliche Magazine zerstört findet. Seitdem er den Fuß auf russischen Boden gesetzt hat, deutet alles auf den Ausbruch eines großen Volkskrieges.

Endlich erfährt Napoleon in dieser Stadt, daß die russische Armee ihren Befehlshaber gewechselt hat und sich anschickt, eine Schlacht in einer Stellung zu liefern, die sie in der Eile verschanzt. Kaiser Alexander hat soeben aus Rücksicht auf die öffentliche Stimmung, die die Unfälle des Krieges der schlechten Wahl seiner Generale beimißt, den Oberbefehl dem General Kutusoff, dem Besieger der Türken, übertragen. Wenn man dem allgemeinen Gerüchte glauben darf, so hat der Preuße Pfuel die ersten Unfälle des Feldzugs veranlaßt, und der Ausländer Barclay-de-Tolly hat sie mit seinem ewigen Rückzugssystem, das den reinen Moskowitern verdächtig erscheint, noch schlimmer gemacht. In einem Volkskriege kann nur ein Russe das Vaterland retten, und alle stimmen darin überein, vom Zaren bis zum letzten Sklaven, daß der Sieger von Rustschuck und der Friedensdiktator von Bucharest allein imstande ist, Rußland zu retten. Der neue General, seinerseits überzeugt, daß er, um sich die Gunst der Armee und der Nation zu erhalten, eher eine Schlacht liefern als uns nach Moskau vorrücken lassen muß, ist entschlossen, die Feinde in der Stellung, die er nahe bei Borodino innehatte, anzunehmen, nachdem er dort den 4. September 10 000 kaum organisierte Milizen aus Moskau an sich gezogen hat.

Am gleichen Tage stößt Murat zwischen Gjatsk und Borodino auf den General Konowitzin, der von Kutusoff beauftragt war, eine breite, von einer Schlucht gedeckte Hochebene zu behaupten. Konowitzin befolgt wörtlich den gegebenen Befehl und hält stand, bis die den seinen doppelt überlegenen Massen ihn rückwärts stoßen oder vielmehr hinabgleiten lassen; man folgt seiner Blutspur bis zu dem befestigten Kloster Kolostkoi. Dort sucht er noch einen Augenblick standzuhalten: aber von allen Seiten überflutet, ist er genötigt, sich wieder auf Golowino zurückzuziehen, das er indes nur flüchtigen Fußes durcheilen kann, denn unsere Vorhut dringt fast zugleich mit der russischen Nachhut in dieses Dorf ein. Einen Augenblick darauf erscheint Napoleon zu Pferd und überschaut von der Höhe, worauf er steht, die ganze Ebene. Die in Aschenhaufen verwandelten Dörfer, die zertretenen Fruchtfelder, die mit Kosaken gespickten Gehölze beweisen ihm, daß die Ebene, die sich vor ihm ausdehnt, von Kutusoff zu seinem Schlachtfelde gewählt ist. Hinter dieser ersten Linie befinden sich drei Dörfer auf einer stundenlangen Linie; ihre durch Verhaue gehemmten, durch Baumstämme unzugänglich gemachten Zwischenräume wimmeln von Soldaten; die ganze russische Armee wartet hier; der letzte Beweis wird dadurch erbracht, daß sie vor ihrem linken Flügel nahe bei dem Dorfe Schwardino eine Schanze aufgeworfen hat.

Napoleon überschaut den ganzen Umkreis mit einem Blicke. Seit einigen Stunden folgt er auf beiden Ufern der Kaluga; er weiß, daß dieser Fluß bei Borodino eine Krümmung links hin bildet, und obgleich er die Höhen, die ihn zu dieser Abweichung zwingen, nicht sieht, vermutet er sie doch und begreift, daß sich hier die Hauptstellungen der russischen Armee befinden. Aber der Fluß, der die äußerste Rechte des Feindes deckt, läßt sein Zentrum und seinen linken Flügel offen: hier allein ist er verwundbar, hier also muß man ihn fassen. Aber zunächst gilt es, ihn von der Schanze zu vertreiben, die seinen linken Flügel wie mit einem Vorwerk deckt; von da aus wird man imstande sein, seine Stellung besser zu erkennen. Der General Compans erhält den Befehl, die Schanze zu nehmen: dreimal erstürmt er sie, dreimal wird er wieder hinausgeworfen: endlich dringt er ein viertes Mal ein und nimmt Stellung darin. Von hier aus kann endlich Napoleon ungefähr zwei Drittel des gesamten Schlachtfeldes überblicken. Der Rest des Tages vom 5. wird mit gegenseitigen Beobachtungen zugebracht. Von beiden Seiten bereitet man sich auf eine entscheidende Schlacht vor: die Russen bringen ihn einzig mit den Feierlichkeiten des griechischen Kultus hin und rufen in ihren Gesängen den heiligen Niewsky und seine allmächtige Hilfe an. Die Franzosen, an das Te Deum und nicht an Gebete gewöhnt, ziehen ihre Vorposten an sich, schließen ihre Massen zusammen, setzen ihre Waffen instand und verteilen ihre Artillerieparke an die bestimmten Plätze. Von beiden Seiten halten sich die Streitkräfte der Zahl nach das Gleichgewicht; die Russen haben 230 000 Mann und wir 225 000 Mann.Die Russen waren etwa 110 000 Mann, die Franzosen etwa 125 000 Mann stark. A. d. Ü.

Des Kaisers Zelt steht hinter der italienischen Armee links von der großen Straße; die alte Garde stellt sich in Vierecken um sein Zelt auf; die Feuer werden angezündet; die der Russen bilden einen weiten regelmäßigen Halbkreis, die der Franzosen sind schwach, ungleich und zerstreut; den verschiedenen Korps ist noch keine eigene Lagerstelle angewiesen, und es fehlt an Holz. Während der ganzen Nacht fällt ein kalter und feiner Regen; der Herbst meldet sich. Napoleon läßt den Fürsten von Neufchâtel elfmal wecken, um ihm Befehle zu erteilen, und jedesmal fragt er ihn, ob der Feind noch geneigt scheine standzuhalten; mehrmals hat ihn die Besorgnis, die Russen möchten ihm entrinnen, plötzlich aus dem Schlafe aufgestört, weil er das Geräusch ihres Aufbruches zu hören vermeinte; er hat sich getäuscht, und erst die Helle des Tages läßt den Feuerschein der feindlichen Biwaks erbleichen. Um 5 Uhr morgens steigt Napoleon zu Pferd und reitet, von der Dämmerung geschützt, mit einer schwachen Bedeckung auf halbe Schußweite die ganze feindliche Linie entlang.

Die Russen haben alle Höhen besetzt, sie kreuzen senkrecht die Moskauer Straße und den Hohlweg von Gorka, in dessen Grund ein kleiner Waldbach fließt, und sind zwischen der alten Smolensker Straße und der Moskwa eingeschlossen. Barclay de Tolly bildet mit 3 Infanterie- und 1 Kavalleriekorps den rechten Flügel, von der großen mit Bastionen versehenen Schanze bis zur Moskwa hin, Bagration mit dem siebenten und achten Korps den linken, von der großen Schanze bis an den Holzschlag, der sich zwischen Semenowskoë und Ustiza ausdehnt. So stark diese Stellung auch war, so war sie doch mangelhaft; der Fehler lag an dem General Bennigsen, der als Generalquartiermeister der Armee alle seine Aufmerksamkeit auf die von der Natur verteidigte Rechte verwendet und die Linke vernachlässigt hatte, während doch diese die schwache Seite war; zwar war sie von drei Schanzen gedeckt, aber zwischen diesen und der alten Straße von Moskau lag nur ein von einer Anzahl Jäger behaupteter Zwischenraum von 500 Ellen (an 1000 Meter).

Napoleons Plan ist folgender:

Er gewinnt mit seiner äußersten Rechten unter Poniatowskys Befehlen die Moskauer Straße, schneidet die feindliche Armee entzwei, und während Ney, Davoust und Eugen deren linken Flügel im Zaum halten, will er das ganze Zentrum und den rechten Flügel in die Moskwa zurückwerfen. Es ist dies der nämliche Plan wie bei Friedland: nur daß sich bei Friedland der Fluß im Rücken des Feindes befand und ihm allen Rückzug abschnitt, während hier die Moskwa an seiner Rechten vorbeifließt, und er, wenn er sich zurückziehen will, hinter sich ein günstiges Terrain findet. Dieser Schlachtplan erlitt im Laufe des Tages eine Abänderung. Nicht mehr Bernadotte, sondern Eugen soll das Zentrum angreifen; Poniatowsky soll sich mit seiner ganzen Kavallerie zwischen den Holzschlag und die große Straße schieben und zu gleicher Zeit den äußersten linken Flügel angreifen, während ihn Davoust und Ney von vorn anfallen; Poniatowsky erhält zu diesem Zwecke außer seiner Kavallerie zwei Divisionen vom Korps Davoust. Diese Entziehung eines Teils seiner Truppen bringt die üble Laune des Marschalls auf den höchsten Grad, denn er hatte einen ihm unfehlbar scheinenden Schlachtplan vorgeschlagen und ihn verwerfen sehen müssen. Dieser Plan bestand darin, vor dem Angriff auf die Schanzen die Stellung zu umgehen und sich senkrecht am äußersten Ende des Feindes aufzustellen. Das Manöver war gut, aber gewagt, weil die Russen, wenn sie merken, daß sie abgeschnitten zu werden drohen, und im Fall der Niederlage keinen Ausweg haben, während der Nacht ihr Lager auf der Straße von Mosaisk verlassen und uns am andern Tag nichts als ein ödes, verlassenes Schlachtfeld und leere Schanzen hinterlassen können; dies fürchtete aber Napoleon gerade so sehr wie eine Niederlage.

Um 3 Uhr reitet Napoleon noch einmal aus, um sich zu versichern, daß nichts sich geändert hat; er kommt auf den Höhen von Borodino an und wiederholt dort, das Glas in der Hand, seine Beobachtungen. Obgleich ihn nur wenige Personen begleiten, wird er doch erkannt: ein Kanonenschuß, der einzige, der während dieses ganzen Tages gelöst wurde, fährt aus den russischen Linien, und die Kugel schlägt einige Schritte vom Kaiser nieder.

Um 4½ Uhr kehrt der Kaiser nach seinem Feldlager zurück, er trifft dort Herrn v. Bausset, der ihm Briefe von Marie Luise und das Porträt des Königs von Rom von Gérard überbringt. Das Porträt ist vor dem Zelt aufgestellt, und darum hat sich ein Kreis von Marschällen, Generalen und Offizieren gebildet.

»Nehmt dieses Porträt weg,« sagt Napoleon, »das hieße ihm allzufrüh ein Schlachtfeld zeigen.« In sein Zelt zurückgekehrt, diktiert Napoleon folgende Befehle:

»Während der Nacht sind zwei Schanzen gegenüber den vom Feind erbauten und im Laufe des Tags erkundeten aufzuwerfen.

Die Schanze links wird mit 42 Feuerschlünden und die rechts mit 72 besetzt.

Mit Tagesanbruch wird die rechte Schanze zu feuern anfangen, die linke wird anfangen, sobald sie auf der rechten schießen gehört hat.

Der Vizekönig läßt dann eine größere Zahl Plänkler, die ein wohlgenährtes Gewehrfeuer unterhalten, vorrücken. Das dritte und das achte Korps unter den Befehlen des Marschalls Ney werden ebenfalls einige Plänkler vorsenden.

Der Fürst von Eckmühl wird in seiner Stellung verbleiben.

Der Fürst Poniatowsky wird mit dem fünften Korps vor Tagesanbruch aufbrechen, so daß er die Linke des Feindes vor 6 Uhr morgens umgangen hat.

Ist die Schlacht begonnen, so wird der Kaiser seine Befehle nach den Erfordernissen der Lage erteilen.«

Nach Feststellung dieses Planes verteilt Napoleon seine Truppen derart, daß die Aufmerksamkeit des Feindes nicht zu sehr erweckt wird. Jeder erhält seine Verhaltungsbefehle, die Schanzen steigen empor, die Artillerie setzt sich in Stellung; mit Tagesanbruch sollen 120 Feuerschlünde mit Kugeln und Haubitzen die Werke überschütten, deren Wegnahme dem rechten Flügel aufgetragen ist.

Kaum kann Napoleon eine Stunde schlafen; jeden Augenblick läßt er fragen, ob der Feind noch da sei; verschiedene Bewegungen, die er ausführt, lassen zwei-, dreimal seinen Rückzug vermuten. Es ist aber nicht an dem; er macht nur seinen Fehler wieder gut, auf den Napoleon seinen ganzen Schlachtplan gebaut hat, indem er auf seine Linke das ganze Korps von Tutschkoff, das alle schwachen Punkte besetzt, hinüberbringt.

Um 4 Uhr tritt Rapp in das Zelt des Kaisers und trifft ihn die Stirn auf beide Hände stützend; er blickt auf.

»Nun? Rapp!« fragt er.

»Sire, sie sind noch da.«

»Das wird eine schreckliche Schlacht werden! Rapp, glauben Sie an den Sieg?«

»Ja, Sire, aber an einen blutigen.«

»Ich weiß das,« antwortete Napoleon: »aber ich habe 80 000 Mann, 20 000 werde ich verlieren und mit 60 000 in Moskau einziehen; die Nachzügler werden sich dort wieder anschließen, desgleichen die Marschbataillone, und wir werden stärker sein als vor der Schlacht.«

Man sieht, Napoleon hatte bei der Zahl seiner Streiter weder seine Garde noch seine Kavallerie mitgezählt: er ist fest entschlossen, die Schlacht ohne sie zu gewinnen, es soll ein Artilleriekampf sein.

In diesem Augenblick erschallt allgemeines Freudengeschrei: der Ruf: »Es lebe der Kaiser« durchfliegt die ganze Linie: bei den ersten Strahlen der Sonne hat man den Soldaten folgenden Tagesbefehl, einen der schönsten, offensten und gedrängtesten Napoleons, vorgelesen:

»Soldaten!

Da ist endlich diese Schlacht, nach der ihr so sehr verlangt habt: von nun an hängt der Sieg nur von euch ab; er ist notwendig; er wird uns Überfluß verschaffen und gute Winterquartiere und eine schnelle Rückkehr ins Vaterland sichern. Seid die Soldaten von Austerlitz, Friedland, Witebsk und Smolensk, und die späteste Nachwelt soll von euch sagen, wenn sie von einem unter uns redet:

Er ist bei der großen Schlacht unter den Mauern Moskaus gewesen.«

Kaum hört das Rufen auf, so läßt Ney, der immer Ungeduldige, um die Erlaubnis bitten, den Kampf eröffnen zu dürfen. Alles greift sogleich zu den Waffen; jeder bereitet sich zu dem großen Schauspiel vor, das über das Schicksal Europas entscheiden soll. Die Adjutanten fliegen wie Pfeile nach allen Richtungen. Compans, der schon vor zwei Tagen so gut eingeleitet hat, soll sich längs dem Holzschlag einschieben, das Gefecht mit Wegnahme der Schanze, die der äußersten Linken der Russen zum Schutze dient, beginnen, und Davoust soll ihn unterstützen, indem er im Holzschlag selbst ungesehen vorwärts geht, während die Division Friant in Reserve bleibt. Sobald sich Davoust der Schanze bemächtigt hat, soll Ney staffelförmig vorrücken, um Semenowskoë zu erstürmen; seine Divisionen haben bei Valutina sehr gelitten und zählen kaum 15 000 Streiter; 10 000 Westfalen sollen sie verstärken und die zweite Linie bilden, die junge und alte Garde die dritte und vierte. Murat hat seine Reiterei zu teilen. Links von Ney, dem feindlichen Zentrum gegenüber, wird Montbruns Korps stehen. Nansouti und Latour-Maubourg werden eine Stellung einnehmen, die ihnen gestattet, den Bewegungen unsers rechten Flügels zu folgen. Grouchy endlich soll den Vizekönig unterstützen, der, durch die von Davoust abgetrennten Divisionen Morand und Gérard verstärkt, zuerst Borodino wegnehmen, dort die Division Delzons zurücklassen und mit den drei übrigen, die Kaluga auf den in der Frühe geschlagenen drei Brücken überschreitend, die große, auf ihrem rechten Ufer angebrachte Schanze des Zentrums angreifen wird. Eine halbe Stunde reicht hin, diese Befehle zu überbringen; es ist 5;½ Uhr morgens; die Schanze rechts eröffnet ihr Feuer, die links erwidert es, alles setzt sich in Bewegung, alles marschiert, alles geht vorwärts.Napoleon selbst hat diesen Plan folgendermaßen kritisiert.
»Diese erste Disposition war ein schwerer Fehler und Ursache der unentschiedenen Wendung, die die Schlacht nahm; man hätte Davoust mit vier von seinen Divisionen in das Loch zwischen der Schanze des linken Flügels und dem Gehölz von Ustiza werfen, ihm Murat mit seiner ganzen Kavallerie folgen, ihn durch Ney und seine Westfalen, die man gegen Semenowskoë führen mußte, unterstützen lassen sollen, während die junge Garde im Zentrum der beiden Angriffskolonnen staffelförmig vorgedrungen wäre und Poniatowsky, mit Davoust vereint, Tutschkoffs rechten Flügel in dem Gehölz von Ustiza umgangen hätte. Wir hätten gleich anfangs den linken Flügel des Feindes umzingelt und mit einer unwiderstehlichen Masse niedergeworfen, wir hätten ihn zu einer mit der großen Straße von Moskau und der Moskawa, die er im Rücken gehabt hätte, parallelen Frontveränderung gezwungen. In jenem Loche befanden sich nur vier schwache, im Verhau versteckte Jägerregimenter, so daß der Erfolg durchaus nicht zweifelhaft gewesen wäre usw.« (Jomini, Politisches und militärisches Leben Napoleons.)

Davoust stürzt mit seinen beiden Divisionen vorwärts in den Kampf. Eugens linker Flügel, aus der Brigade Plausonne gebildet, der auf Beobachtung hätte stehenbleiben und mit dem Besitz von Borodino sich begnügen sollen, läßt sich, trotz dem Gegenbefehl seines Generals von blinder Hitze hinreißen, geht über das Dorf hinaus und stößt sich an den Höhen von Gorki, wo ihn die Russen von vorn und von der Seite zusammenschmettern. Da eilt das 92. Regiment dem 106. zu Hilfe, sammelt dessen Trümmer und führt es heraus, aber halbvernichtet und infolge des Falls seines Generals führerlos.

In diesem Augenblick wirft Napoleon, in der Voraussetzung, daß Poniatowsky Zeit gehabt hat, seine Bewegung auszuführen, Davoust auf die erste Schanze: die Divisionen Compans und Desaix folgen ihm, 30 Kanonen mit sich schleppend. Die ganze feindliche Linie blitzt auf gleich einer angezündeten Pulvermine.

Unser Fußvolk rückt vor, ohne einen Schuß zu tun, es eilt, das Feuer des Feindes zu überfallen und es ist zu ersticken. Compans wird verwundet; Rapp eilt an seine Stelle; er stürmt im Sturmschritt mit gefälltem Bajonett daher; im Augenblick, wo er die Schanze erreicht, fällt er, von einer Kugel getroffen, es ist seine zweiundzwanzigste Wunde. Ein dritter nimmt seinen Platz ein und wird gleichfalls getroffen, Davousts Pferd fällt von einer Kanonenkugel, der Fürst von Eckmühl rollt in den Kot, man glaubt, er sei getötet, aber er steht wieder auf, steigt auf ein anderes Pferd und kommt mit einer Quetschung weg.

Rapp läßt sich vor den Kaiser tragen.

»Wie? Rapp,« ruft Napoleon, »schon wieder verwundet!«

»Immer, Sire,! Sie wissen, das ist meine Gewohnheit.«

»Was tut man da oben?«

»Wunder! Aber um fertigzumachen, bedürfte man der Garde.«

»Ich werde mich wohl hüten,« entgegnet Napoleon mit einer Bewegung, als schauderte ihn, »ich mag sie nicht zugrunde richten lassen; ich werde die Schlacht ohne sie gewinnen.«

Jetzt wirft sich Ney mit seinen 3 Divisionen in die Ebene und rückt, staffelförmig vordringend, an der Spitze der Division Ledru auf jene verhängnisvolle Schanze, die die Division Compans bereits ihre drei Generale gekostet hat: er nimmt sie von der linken Seite, während die Tapfern, die den Angriff begonnen, sie von der rechten ersteigen.

Ney und Murat werfen die Division Razout auf die beiden andern Schanzen; eben ist sie auf dem Punkt, sich ihrer zu bemächtigen, als sie von den russischen Kürassieren angefallen wird. Ein Augenblick erwartungsvoller Ungewißheit! Das Fußvolk macht halt, aber weicht nicht zurück: Bruyères Reiterei kommt ihm zu Hilfe; die russischen Kürassiere werden geworfen: Murat und Razout dringen vor, und die Verschanzungen sind erstürmt.

Zwei Stunden sind während dieser Angriffe verflossen; Napoleon wundert sich, Poniatowskys Kanonen nicht zu hören und keine durch dessen Angriff hervorgerufene Bewegung zu bemerken. Inzwischen hat Kutusoff, der die gegen seinen linken Flügel bereitstehenden dichten Massen leicht zu entdecken vermocht, Bagawuts Korps dahin entsendet; eine seiner Divisionen marschiert nach Ustiza, die andere wirft sich in das Gehölz. In diesem Augenblick kommt Poniatowsky zurück, der den Weg durch den Wald nicht hat finden können und nun von Napoleon auf die äußerste Rechte Davousts entsendet wird.

Übrigens ist die linke Seite der russischen Linie überwältigt und die Ebene offen, die drei Schanzen sind in Neys, Murats und Davousts Händen, aber Bagration beharrt in drohender Haltung und erhält Verstärkung über Verstärkung: man muß ihn schleunigst hinter die Schlucht von Semenowskoë werfen, oder er kann wieder zum Angriff schreiten.

Was nur von grobem Geschütz in die Schanzen geschleppt werden kann, wird herbeigeführt, um ihre Bewegung zu unterstützen. Ney stürzt sich vorwärts, 15–20 000 Mann ihm nach.

Statt ihn aber zu erwarten, fliegt Bagration, der durch den Stoß überworfen zu werden fürchtet, an die Spitze seiner Linie und marschiert ihm mit gefälltem Bajonett entgegen. Die beiden Massen begegnen sich, das Handgemenge beginnt, man ficht Mann gegen Mann; es ist ein Duell zwischen 40 000 Soldaten. Bagration wird schwer verwundet, und die russischen Truppen, einen Augenblick ohne Führer, wenden sich zur Flucht. Da tritt Konownitzin an ihre Spitze, führt sie hinter die Schlucht von Semenowskoë zurück und zwingt durch eine gut aufgestellte Artillerie unsere heranstürmenden Kolonnen zum Stillstand. Murat und Ney sind erschöpft; beide haben übermenschliche Anstrengungen gemacht und lassen Napoleon um Verstärkung bitten. Der Kaiser läßt die junge Garde aufbrechen: aber fast in demselben Augenblick glaubt er, als er sein Augenmerk auf Borodino richtet und einige Regimenter von Eugens Soldaten durch Uwaroffs Kavallerie zurückgedrängt sieht, das ganze Korps des Vizekönigs sei auf dem Rückzug, und befiehlt der jungen Garde zu halten. Statt der jungen Garde schickt er Ney und Murat die ganze Reserveartillerie: 100 Kanonen enteilen im Galopp, um auf den eroberten Höhen Aufstellung zu nehmen.

Folgendes war der Verlauf der Dinge auf dem Flügel Eugens.

Nachdem er gegen eine Stunde durch das Gefecht der Brigade Plausonne aufgehalten worden war, überschritt der Vizekönig die Kaluga auf vier kleinen, vom Geniekorps geschlagenen Brücken. Auf dem andern Ufer rückt er eiligst in schräger Linie nach rechts hin, um die große zwischen Borodino und Semenowskoë befindliche Schanze, die das feindliche Zentrum deckt, zu nehmen. Die Division Morand, die zuerst die Hochebene erreichte, schickt das 30. Regiment gegen die Schanze vor und rückt in tiefen Kolonnen zu seiner Unterstützung nach. Es sind alte Soldaten, die diese Kolonnen bilden, ruhig im Feuer wie auf der Parade, sie marschieren Gewehr im Arm und dringen, ohne einen Schuß zu tun, in die Schanze trotz des fürchterlichen Feuers der ersten Linie von Paskewitsch. Aber dieser hat den Fall vorausgesehen und wirft sich mit der zweiten Linie auf die Flanken der Kolonnen, während Jermanoff mit einer Brigade der Garden zu seiner Unterstützung nachrückt. Wie sie den neuen Feind sieht, wendet die erste Linie ihre Front, und die Division Morand steht so mitten in einem Feuerdreieck. Sie macht kehrt und läßt den General Bonami und das 30. Regiment in der Schanze, wo Bonami fällt und die Hälfte des 30sten um ihn her. In diesem Augenblick hatte Napoleon einige Regimenter über die Kaluga zurückgehen sehen, darum seine Rückzugslinie bedroht geglaubt und seine junge Garde zurückgehalten.

Inzwischen hat Kutusoff den Moment benutzt, wo er Ney und Murat schwanken sieht. Während sie bemüht sind, ihre Stellungen zu halten, ruft der feindliche General alle seine Reserven und selbst die russische Garde seiner Linien zu Hilfe. Mit allen diesen Verstärkungen stellt Konownitzin, der den verwundeten Begration ersetzt, seine Linien wieder her. Sein rechter Flügel lehnt an der großen, von Eugen angegriffenen Schanze, sein linker berührt das Gehölz: 50 000 Mann scharen sich keilförmig und drücken vor, um uns zurückzudrängen: ihre Artillerie donnert, ihr Pelotonfeuer zischt, Stücke und Kugeln zerreißen unsere Reihen; Friants Soldaten, die in erster Linie stehen und von einem Kartätschenhagel überschüttet werden, zaudern, verwirren sich, ein Oberst reißt sein Pferd herum und befiehlt den Rückzug: aber Murat, der allgegenwärtige, ist hinter ihm, hält ihn an, faßt ihn am Kragen und fragt ihn mit dem Auge durchbohrend:

»Was machen Sie da?«

»Sie sehen ja, daß man hier nicht stehenbleiben kann!« antwortete ihm der Oberst, auf den von seinen Leuten bedeckten Boden weisend.

»Ei, zum Henker! Ich bleibe da, ich,« entgegnet Murat.

»Gut,« sagt der Oberst. »Soldaten, rechts um! Lassen wir uns totschießen!«

Und er nimmt mit seinem Regiment unter den Kartätschenkugeln seine Stellung wieder ein.

In diesem Augenblick entflammen sich unsere Schanzen, 80 neue Feuerschlünde speien auf einmal, die von Murat und Ney erwartete Verstärkung ist angelangt, zwar in anderer Gestalt, aber nur um so furchtbarer.

Nichtsdestoweniger setzen die dichten und tiefen in Bewegung gesetzten Massen des Feindes ihren Marsch fort. Wohl sieht man unsere Kugeln in ihren Reihen tiefe Furchen ziehen, ganz gleich, sie gehen vorwärts. Aber den Kugeln folgt die Kartätsche; von diesem eisernen Orkan zermalmt, suchen sich die feindlichen Reihen wieder zu bilden, aber doppelt fällt der Todesregen. Da halten sie, wagen nicht weiterzugehen und wollen doch keinen Schritt rückwärts tun. Entweder hören sie die Kommandostimme ihrer Generale nicht mehr, oder ihre Generale sind unfähig, mit so großen Massen zu manövrieren, und verlieren den Kopf. Wie dem auch sei, 40 000 Mann stehen zwei lange Stunden da und lassen sich vom Blitze zerschmettern: es ist ein schauderhaftes Gemetzel, eine endlose Zerfleischung. Endlich meldet man Ney und Murat, daß die Munition ausgeht. Die Sieger sind es, die zuerst müde werden.

Ney stürmt wieder vorwärts, seine rechte Linie dehnt sich, um die Linke des Feindes zu umgarnen. Murat und Davoust unterstützen diese Bewegung; Bajonett und Flinte zerstören, was der Artillerie entronnen ist, und die russische Armee hat keinen linken Flügel mehr. Die Sieger, die mit lauten Rufen nach der Garde verlangen, wenden sich nach dem Zentrum und eilen Eugen zu Hilfe, alles rüstet sich zum Angriff auf die große Schanze.

Montbrun, dessen Korps dem feindlichen Zentrum gerade gegenüber steht, drängt im Sturmschritt dagegen vor. Kaum hat er ein Viertel des Weges zurückgelegt, als ihn eine Kugel mitten entzweireißt. Caulaincourt ersetzt ihn; er stellt sich an die Spitze des fünften Kürassierregiments und stürzt sich auf die Schanze, indes zu gleicher Zeit die Divisionen Morand, Gérard und Bourcier, von den Weichsellegionen unterstützt, auf drei Seiten zumal angreifen. Im Augenblick, wo er eindringt, fällt er tödlich verwundet; im gleichen Augenblick ist sein tapferes Regiment, das durch die hinter dem Werke aufgestellte Infanterie Ostermanns und der russischen Garde zusammengeschossen wird, zum Weichen gezwungen und zieht sich zurück, um, von unsern Kolonnen geschützt, sich wieder zu bilden. Aber jetzt stürmt auch Eugen an der Spitze seiner drei Divisionen auf die Schanze ein, nimmt sie und fängt den General Lichatscheff. Während er sich noch darin festsetzt, wirft er Grouchys Korps auf die Trümmer der Bataillone Doktoroffs. Die russische Garde und die Gardereiter dringen gegen die unsrigen vor, und Grouchy wird zu einer rückgängigen Bewegung gezwungen. Aber diese Bewegung hat Belliard Zeit gegeben, 20 Kanonen zusammenzubringen, die bereits als Batterie in der Schanze stehen.

Da schließen sich die Russen mit schon bewiesener Hartnäckigkeit aufs neue zusammen, ihre Generale führen sie in den Kampf zurück, und sie rücken in geschlossenen Kolonnen an, um die Schanze, für deren Erwerb sie uns so teuer zahlen ließen, wiederzunehmen. Eugen läßt sie auf Schußweite kommen, dann enthüllt er seine 30 Stücke, die sich alle auf einmal entflammen. Die Russen wirbeln einen Augenblick, schließen ihre Reihen nochmals, und diesmal dringen sie bis zur Mündung der Kanonen vor und lassen sich zerschmettern. Eugen, Murat und Ney schicken Kurier auf Kurier an Napoleon; sie verlangen heftig nach der Garde. Die ganze feindliche Armee ist vernichtet, wenn Napoleon sie ihnen bewilligt. Auch Belliard, Daru, Berthier dringen in ihn.

»Und wenn es morgen eine zweite Schlacht gibt, mit wem soll ich sie liefern?«

Sieg und Schlachtfeld ist unser; aber wir können den Feind nicht verfolgen, der sich unter unserm Feuer zurückzieht, ohne das seine zu unterbrechen, und bald darauf haltmacht, um sich in einer zweiten Stellung zu verschanzen.

Jetzt steigt Napoleon zu Pferde, reitet nach Semenowskoë zu und besucht das ganze Schlachtfeld, wo noch von Zeit zu Zeit einige verlorene Kugeln einschlagen. Endlich ruft er Mortier und befiehlt ihm, die junge Garde vorzuschieben, aber den neuen Verhau, der ihn von dem Feinde trennt, nicht zu überschreiten; dann kehrt er unter sein Zelt zurück.

Um 10 Uhr nachts reitet Murat, der sich seit 6 Uhr morgens schlägt, herbei und meldet, daß der Feind in Unordnung über die Moskwa geht und ihm aufs neue zu entrinnen droht. Nochmals verlangt er die Garde, die kein Tagewerk getan hat, und mit der er die Russen einzuholen und ihnen den Rest zu geben verspricht. Aber Napoleon weigert sich diesmal, wie vorher, und läßt die Armee, die er so eilig aufgesucht hatte, entweichen. Am folgenden Tag war sie gänzlich verschwunden, und Napoleon war unbestrittener Herr des entsetzlichsten Schlachtfeldes, das vielleicht, solange die Welt steht, existiert hat. 60 000 Mann, davon ein Drittel Franzosen,Die Verluste beider Heere sind auf je etwa 40 000 Mann zu schätzen. A. d. Ü. lagen darauf; 9 Generale waren uns getötet und 34 verwundet worden. Unsere Verluste waren unermeßlich und ohne entsprechende Erfolge.

Am 14. September zog die Armee in Moskau ein. Aber alles sollte in diesem Kriege düster sein, selbst unsere Triumphe. Unsere Soldaten waren gewöhnt, in Hauptstädte und nicht in Totenstädte einzuziehen; Moskau schien ein unermeßliches Grab, überall öde und überall schweigend. Napoleon nahm seine Wohnung im Kreml, und die Armee verbreitete sich in der Stadt. Dann brach die Nacht herein.

Um Mitternacht wurde Napoleon durch den Feuerlärm aufgeweckt; blutrotes Leuchten drang bis zu seinem Bett. Er stürzte an sein Fenster; Moskau stand in Flammen; ein edler Herostrat – hatte Rostopschin seinen Namen verewigt und zugleich sein Vaterland gerettet.

Diesem Flammenozean, der wie die Flut heranschwoll, galt es zu entrinnen. Am 16. war Napoleon, von Trümmern umringt und vom Brand umschlungen, genötigt, den Kreml zu verlassen und sich auf das Schloß Petrowskoi zurückzuziehen. Hier beginnt sein Kampf mit den Generalen, die ihm raten, sich, solange es noch Zeit ist, zurückzuziehen und seine unheilbringende Eroberung aufzugeben. Bei dieser ihm fremden und ungewohnten Sprache wird er bedenklich und wendet seine Blicke abwechselnd nach Paris und St. Petersburg. Nur 150 Stunden trennen ihn von diesem, 800 von jenem; auf Petersburg marschieren, heißt seinen Sieg erweisen, nach Paris umlenken, seine Niederlage bekennen.

Währenddessen rückt der Winter heran, der nicht mehr rät, sondern befiehlt. Am 15., 16., 17. und 18. Oktober werden die Kranken über Mosaisk und Smolensk abgeführt, am 22. verläßt Napoleon Moskau, und am 23. fliegt der Kreml in die Luft. Elf Tage lang geht der Rückzug ohne allzu große Unfälle vor sich, als auf einmal am 7. November der Thermometer von fünf bis auf achtzehn Grad unter den Gefrierpunkt fällt, und die 29. Kriegsdepesche vom 14. überbringt Paris die Nachricht von unerhörten, entsetzlichen Schrecknissen, denen die Franzosen keinen Glauben beimessen würden, hätte sie nicht ihr Kaiser selbst erzählt.

Von diesem Tage an geht ein Unstern auf, der den Glanz unserer größten Siege überbietet; man wird an einen Kambyses erinnert, der im Wüstensande versinkt, an einen Xerxes, der auf einer Barke über den Hellespont zurückflieht, an einen Varro, der die Trümmer des Heeres von Cannä nach Rom zurückführt. Von den 70 000 Reitern, die über den Niemen gesetzt hatten, kann man kaum 4 Kompagnien, jede zu 150 Pferden, bilden, um Napoleon als Begleitung zu dienen. Das ist die heilige Schar; die Offiziere nehmen darin den Rang gemeiner Soldaten ein, die Obersten sind Unteroffiziere. Generale Hauptleute. Sie hat einen Marschall zum Obersten, einen König zum General; und das Unterpfand, das ihr anvertraut ist, das Palladium, das sie bewahrt, ist ein Kaiser.

Und wollt ihr wissen, was aus dem Rest der Armee in diesen unermeßlichen grundlosen Steppen, zwischen Himmel und Schnee, der auf ihr Haupt fällt, und auf diesen beeisten Seen, die unter ihr brechen, geworden ist, so vernehmt:

»Generale, Offiziere und Soldaten, – alle marschierten in einem Haufen wirr durcheinander, das Übermaß des Elends ließ jeden Rang verschwinden, und Reiterei, Artillerie, Fußvolk, alles war nur eine unentwirrbare Masse.

Die meisten hatten einen Sack voll Mehl auf den Schultern und trugen an der Seite einen Napf an einer Schnur; andere schleppten am Zügel Schatten von Pferden, die mit Kochgeschirren und armseligen Vorräten beladen waren.

Diese Pferde bildeten selbst Mundvorräte, und zwar um so bessere, als man sie nicht zu tragen brauchte und sie, wenn sie fielen, sofort zur Nahrung bereiten konnte. Um sie zu zerstückeln, wartete man nicht einmal ihren letzten Hauch ab; kaum lagen sie am Boden, so warf man sich darauf, um alle fleischigen Teile abzuziehen.

Die Mehrzahl der Armeekorps war aufgelöst: aus ihren Trümmern hatte sich eine Menge kleiner, aus 8 bis 10 Köpfen bestehender Körperschaften gebildet, die zu gemeinsamem Marsche verbunden waren und sich in allem gegenseitig halfen.

Manche dieser Abteilungen besaßen ein Pferd, das ihr Gepäck, die Küchengeräte und den Mundbedarf trug; sonst war jedes Mitglied mit einem zu diesem Gebrauch bestimmten Quersack versehen.

Diese kleinen, vom Ganzen völlig gelösten Gemeinschaften führten ein Sonderdasein und stießen alles, was nicht zu ihnen gehörte, von ihrem Kreise zurück. Alle Individuen einer solchen Schutzfamilie marschierten enge aneinander und hüteten sich ängstlich vor jeder Trennung in der Masse. Wehe dem, der seine Abteilung verloren hatte: nirgends fand er einen Menschen, der sich im geringsten um ihn gekümmert und ihm irgendwie Beistand geleistet hätte. Überall wurde er mißhandelt und verfolgt: erbarmungslos verjagte man ihn von allen Feuern, auf die er kein Recht hatte, von allen Orten, wo er Zuflucht suchte. Und diese Hetze hörte nicht auf, bis es ihm gelungen war, die seinigen wiederzufinden. Napoleon sah mit eigenen Augen diese wahrhaft unglaubliche Masse von Flüchtlingen und zuchtlosen Menschen.

Man stelle sich, soweit dies möglich ist, 100 000 Unglückliche vor, die Schultern mit einem Quersack beladen und auf lange Stäbe gestützt, aufs absonderlichste mit Lumpen behangen, von Ungeziefer wimmelnd und allen Schrecknissen des Hungers preisgegeben. Man denke sich zu diesem Menschenhaufen, schon an sich einem Beweise des gräßlichsten Elends, noch die von so vielen Leiden zeugenden Gesichter hinzu: man vergegenwärtige sich diese blassen, von dem Kot der Biwaks bedeckten, von Rauch geschwärzten Menschengestalten mit hohlen erloschenen Augen, verworrenen Haaren, langem und stinkendem Bart: und doch wird man nur einen schwachen Schattenriß des Bildes haben, das die Armee darbietet.

Wir krochen mühsam, uns selber überlassen, in der Schneewüste auf kaum bemerkbaren Wegen durch Steppen hindurch und unendliche Fichtenwälder.

Hier unterlagen Unglückliche, an denen Krankheit und Hunger schon lange gezehrt, der Last ihrer Leiden und verendeten unter Folterqualen, eine Beute der grimmigsten Verzweiflung. Dort warf man sich mit Wut über den her, bei dem man Lebensmittel vermutete, und entriß sie ihm trotz seinem hartnäckigsten Widerstand und seinen gräßlichen Flüchen.

An einer Stelle hörte man das Geräusch der von den Pferden unter die Füße getretenen oder von den Wagenrädern zerquetschten Leichname, an einer andern das Schreien und Stöhnen der Opfer, denen die Kraft ausgegangen war, und die, auf dem Wege liegend und mit letzter Anstrengung gegen diesen entsetzlichen Tod ankämpfend, in Erwartung des Sterbens doppelt starben.

Dort wieder schlugen sich um das Aas eines Pferdes gierige Gruppen bei der Verteilung der Fetzen. Während die einen die äußeren fleischigen Teile abschnitten, gruben sich die andern bis zum Gürtel in die Eingeweide ein, um Herz und Leber herauszureißen.

Auf allen Seiten Unheil verkündende, entsetzte, durch Frostbeulen verstümmelte Gesichter! Mit einem Wort, überall Bestürzung, Schrecken, Hunger und Tod!

Um den Andrang dieser entsetzlichen Leiden, die auf unserem Haupte lasteten, auszuhalten, mußte man mit einer kraftvollen Seele und einem unerschütterlichen Mute ausgerüstet sein. Die unerläßliche Bedingung war, daß die moralische Kraft im selben Maße wuchs wie die Gefährlichkeit der Umstände. Sich durch den Anblick der beklagenswerten Szenen, deren Zeuge man war, angreifen lassen, hieß sich selbst verurteilen: man mußte sein Herz jedem Gefühl des Mitleids verschließen. Wer glücklich genug war, in seinem Innern eine hinlängliche Widerstandskraft gegen so viele Übel zu finden, der entwickelte die kälteste Fühllosigkeit und die unzerstörbarste Festigkeit.

Man sah solche Männer mitten unter dem Grausen, das sie umgab, ruhig und unerschrocken alle Wechsel ihrer Lage ertragen, alle Gefahren verachten und durch den ununterbrochenen Anblick des Todes, der sich ihnen unter den abscheulichsten Gestalten aufwies, sich daran gewöhnen, ihm ohne Schaudern wahrhaft ins Auge zu schauen.

Taub gegen die Schmerzensrufe, die von allen Seiten in ihr Ohr tönten, wendeten sie sich, wenn solch ein Unglücklicher neben ihnen zusammensank, kalt ab und setzten ohne die geringste Gemütsbewegung ihren Weg fort.

So blieben diese unglücklichen Opfer verlassen auf den Schneemassen; solange sie die Kraft hatten, hielten sie sich aufrecht, dann sanken sie allmählich zurück, ohne von irgendeinem menschlichen Wesen ein Trosteswort zu hören, ohne daß jemand die Pflicht gefühlt hätte, ihnen auch nur den geringsten Beistand zu leisten. Unaufhörlich marschierten wir mit großen Schlitten, stumm, zu Boden starrend, vorwärts und machten nur mit sinkender Nacht halt.

Von Ermattung und Hunger überwältigt, hatten wir auch dann noch keine Ruhe. Es galt, unter allen Umständen, wenn auch keine Wohnung, so doch wenigstens Schutz gegen die Härte des eisigen Windes zu finden. Man stürzte sich in die Häuser, in die Scheunen, die Gehöfte und jeden Bau, den man erblicken konnte. In wenigen Augenblicken war man dermaßen darin eingepfropft, daß niemand mehr herein noch hinaus konnte. Wer inwendig keinen Platz mehr gewinnen konnte, machte sich vor der Tür, hinter den Mauern und in der Nähe zurecht. Die erste Sorge war, sich Holz und Stroh zu besorgen. Zu diesem Ende erkletterte man die benachbarten Häuser und nahm zuerst das Strohdach weg und wenn dies nicht zureichte, riß man Bretter und Balken von den Giebeln und am Ende zerstörte man Stück für Stück das ganze Haus bis es dem Erdboden gleich war, trotz des Widerstands derer, die sich darein geflüchtet hatten und es nach Leibeskräften verteidigten. Wurde man nicht auf diese Weise aus den Hütten verjagt, wo man ein Asyl suchte, so riskierte man, darin von den Flammen verzehrt zu werden: denn oft warfen die, die nicht in das Haus eindringen konnten, Feuer hinein, um die darin Befindlichen zu vertreiben. Besonders geschah dies immer, wenn höhere Offiziere sich eines solchen nach der Vertreibung früherer Besitznehmer bemächtigt hatten.

So mußte man sich denn entschließen, die Nacht über zu kampieren. Zu dem Ende pflegte man oft, statt sich in die Häuser einzuquartieren, sie vom Giebel bis zum Grundstein zu schleifen und ihre Bestandteile mitten im Freien zu zerstreuen, um sich abseits Zufluchtsstätten zu bereiten. Hatte man sich solche, wie die Gelegenheit sie bot, verschafft, so zündete man Feuer an, und jedes Mitglied der kleinen Abteilung beeilte sich, bei der Bereitung des Nachtmahls zu helfen.

Während die einen Brei kochten, kneteten die andern Teig, den man in der Asche buk. Jeder zog aus seinem Zwerchsack gesammelte Pferdefleischschnitten und warf sie zum Braten unter die Kohlen.

Brei war die gewöhnlichste Nahrung. Aber was war das für ein Brei! Da man unmöglich Wasser herbeischaffen konnte, weil alle Quellen und Sümpfe bedeckt waren, ließ man in einem Kessel so viel Schnee zergehen, als man Wasser gewinnen wollte. Sodann rührte man in dieses Wasser, das schwarz und kotig war, eine Portion mehr oder minder grobes Mehl und ließ diese Mischung so lange einkochen, bis sie von breiiger Beschaffenheit war. Hierauf würzte man sie mit Salz oder warf in Ermangelung dessen 2–3 Patronen hinein, die ihm durch den Pulvergeschmack die abscheuliche Fadheit benahmen und ein dunkles Kolorit gaben, wodurch er nicht wenig an die schwarze Suppe der Spartaner erinnerte.

Während man diesen Kleister bereitete, legte man in schmale Streifen geschnittenes Pferdefleisch auf die Kohlen, das man gleichfalls mit Kanonenpulver würzte. Nach dem Genuß dieses Mahles schlief jeder, von Strapazen ermüdet und unter der Last seiner Leiden erliegend, fast augenblicklich ein, um am folgenden Morgen das gleiche Leben wieder zu beginnen.

Mit Tagesanbruch erhob sich, ohne daß irgendein Signal das Zeichen zum Aufbruch gegeben hätte, die ganze Masse von freien Stücken aus ihrem Biwak und bewegte sich weiter . . .Bericht des René Bourgeois.

So verflossen zwanzig Tage. In ihrem Verlaufe hinterließ die Armee auf ihrem Pfade 200 000 Menschen und Kanonen. Dann mündete sie in die Beresina, wie ein Waldstrom in einen Abgrund.

Am 5. Dezember, während die Reste der Armee sterbend in Wilna lagen, reiste Napoleon auf die dringenden Bitten des Königs von Neapel, des Vizekönigs von Italien und seiner bedeutendsten Heerführer im Schlitten von Smorgoni nach Frankreich. Damals war die Kälte auf 27 Grad unter Null gestiegen.

Am 18. abends traf Napoleon in einem Gefährt am Tor der Tuilerien ein, das man ihm anfangs gar nicht öffnen wollte, weil ihn alle noch in Wilna vermuteten.

Am dritten Tage brachten die höchsten Behörden und Körperschaften des Reiches ihre Glückwünsche zu seiner Ankunft dar.

Am 12. Januar 1813 stellte ein Senatsbericht dem Kriegsminister 350 000 Rekruten zur Verfügung.

Am 10. März erfuhr man den Abfall Preußens.

Vier Monate lang war ganz Frankreich nur ein Waffenplatz.

Am 15. April verließ Napoleon Paris von neuem an der Spitze seiner jungen Legionen.

Am 1. Mai stand er bei Lützen, bereit, mit 250 000 Mann die verbündete russisch-preußische Armee anzugreifen. 200 000 Franzosen und 50 000 Sachsen, Bayern, Westfalen und Württemberger folgten wieder seinen Fahnen. Der Riese, den man niedergeschmettert glaubte, hatte sich wieder erhoben; Antäus war von der Mutter Erde wieder mit neuer Kraft begabt.

Wie immer, waren seine ersten Schläge furchtbar und entscheidend. Die verbündeten Armeen ließen auf dem Schlachtfelde von Lützen 13 000 Tote oder Verwundete und in den Händen der Sieger 2000 Gefangene.Die Verluste an Toten und Verwundeten beliefen sich auf je 10 000. Gefangene ließen die Verbündeten in den Händen der Feinde fast gar keine, dagegen die Franzosen 800 zurück. A. d. Ü. Die jungen Rekruten hatten sich mit dem ersten Schlage zu Veteranen erhoben und Napoleon sich ausgesetzt wie ein Unterleutnant.

Am folgenden Tag erließ er nachstehenden Tagesbefehl an seine Armee:

»Soldaten!

Ich bin mit euch zufrieden, ihr habt meine Erwartung erfüllt. Die Schlacht von Lützen wird man über die Schlachten von Austerlitz, von Jena, von Friedland und über die an der Moskwa setzen. An einem einzigen Tage habt ihr die verräterischen Komplotte eurer Feinde zunichte gemacht. Wir werden die Tataren in ihre scheußlichen Himmelsstriche, die sie nicht verlassen sollen, zurückwerfen! In ihren eisigen Wüsten, dem Sitz der Sklaverei, der Barbarei und schnöder Verderbnis, wo der Mensch zum Tiere herabgewürdigt ist, sollen sie bleiben! Groß ist euer Verdienst um das gesittete Europa! Soldaten! Frankreich, Italien und Deutschland erstatten euch ihren Dank!«

Der Sieg bei Lützen öffnet dem sächsischen Könige wieder die Tore von Dresden. Am 8. Mai geht ihm die französische Armee dahin voraus, am 9. läßt der Kaiser eine Brücke über die Elbe schlagen, hinter die sich der Feind zurückgezogen hat. Am 20. erreicht und überwältigt er ihn in der verschanzten Stellung von Bautzen, am 21. setzt er den Sieg des vorigen Tages fort, und in diesen beiden Tagen, wo Napoleon die geschicktesten Manöver der Kriegskunst ausführt, verlieren die Russen und Preußen 18 000 Mann an Verwundeten und Toten und 3000 Gefangene.Auch bei Bautzen machen die Franzosen keine Gefangenen. Ihre Verluste sind erheblich größer als die der Verbündeten. A. d. Ü.

Tags darauf werden in einem unglücklichen Gefecht der Nachhut dem General Bruyère beide Beine weggerissen, und zwei andere Generale fallen durch die gleiche Kanonenkugel.

Die verbündete Armee ist in vollem Rückzug, sie hat über die Neiße, den Queiß und den Bober gesetzt, durch das Gefecht bei Sprottau, wo ihr Sebastiani 22 Kanonen, 80 Artilleriewagen und 500 Gefangene abnimmt, noch zu größerer Eile getrieben. Napoleon folgt ihr auf der Ferse und gönnt ihr keinen Augenblick Ruhe; wo sie gestern lagerte, da lagern wir heute.

Am 29. erschienen der Graf Schuwalow, Adjutant des Kaisers von Rußland, und der preußische General Kleist bei den Vorposten, um einen Waffenstillstand zu verlangen.

Am 30. findet eine neue Zusammenkunft auf dem Schlosse von Liegnitz statt, jedoch ohne Erfolg.

Schon sinnt Österreich auf einen Wechsel in seiner Bündnisstellung. Um so lange als möglich neutral zu bleiben, hat es sich zum Vermittler angeboten und ist angenommen worden. Das Ergebnis seiner Vermittlung war ein zu Pläswitz am 4. Juni abgeschlossener Waffenstillstand.

Sofort versammelte sich ein Kongreß zu Prag, um über den Frieden zu unterhandeln: aber der Friede war unmöglich. Die verbündeten Mächte forderten eine Beschränkung des Kaiserreichs auf die Rhein-, Alpen- und Maasgrenze. Napoleon betrachtete dieses Ansinnen als eine Verhöhnung. Die Verhandlungen wurden abgebrochen, Österreich ging zur Koalition über, und der Krieg, der allein zu einer endgültigen Entscheidung führen konnte, begann aufs neue.

Abermals erschienen die Gegner auf dem Schlachtfelde. Die Franzosen standen mit 300 000 Mann,Die Franzosen nebst den Rheinbundtruppen waren 440 000 Mann stark. A. d. Ü. darunter 40 000 Reiter, auf dem rechten Ufer der Elbe, im Herzen Sachsens, die verbündeten Souveräne mit 500 000 Mann mit Einschluß von 100 000 Reitern, so daß sie sich sofort nach drei Richtungen, Berlin, Schlesien und Böhmen, wenden konnten.Die Verbündeten hatten drei Heere, das Böhmische, das Schlesische und das Nordheer, aufgestellt. A. d. Ü.

Ohne sich durch diesen ungeheuren Zahlenunterschied beirren zu lassen, ergreift Napoleon mit gewohnter Blitzesschnelle die Offensive wieder. Er teilt seine Armee in drei Heerhaufen: der eine soll auf Berlin marschieren und gegen die Preußen und Schweden operieren, der zweite die Stellung bei Dresden behaupten, um die russische Armee in Böhmen zu beobachten, und mit der dritten marschiert er in Person gegen Blücher.

Blücher wird erreicht und geworfen: aber mitten im Treibjagen auf seine Feinde erfährt Napoleon, daß die 60 000 Franzosen, die er in Dresden gelassen hat, von 180 000 Alliierten angegriffen sind: er nimmt von seinem Armeekorps 35 000 Mann: während man ihn in der Verfolgung Blüchers begriffen glaubt, naht er mit Blitzesschnelle, tödlich wie der Blitz.

Am 29. August greifen die Alliierten Dresden von neuem an und werden geworfen. Am folgenden Tag wiederholen sie mit allen ihren Massen den Angriff, und ihre Massen werden gebrochen, zerrissen, vernichtet. Die ganze Armee, die unter den Augen des Kaisers Alexander ficht, ist einen Augenblick mit völliger Auflösung bedroht und vermag sich nur zu retten, indem sie 40 000 Mann auf dem Schlachtfelde zurückläßt.

In dieser Schlacht verliert Moreau beide Beine durch eine der ersten Kugeln, die von der Kaisergarde abgeschossen wurden, Napoleon selbst hatte das Geschütz gerichtet.

Jetzt tritt die gewöhnliche Rückwirkung ein. Am Tage nach dieser fürchterlichen Metzelei meldet sich ein österreichischer Agent in Dresden, der freundliche Worte überbringt. Aber indes man in den ersten Verhandlungen begriffen ist, erfährt man, daß die Schlesische Armee, die auf der Verfolgung Blüchers begriffen war, 25 000 Mann verloren hat, daß die gegen Berlin gesandte von BernadotteOudinot wird am 23. Juli bei Großbeeren von den Preußen unter Bülow geschlagen. A. d. Ü. geschlagen ist, daß endlich beinahe das ganze Korps des Generals Vandamme, der die Russen und Österreicher mit einem kaum zwei Drittel des Feindes zählenden Heere verfolgt, von dieser Masse, die in einem Augenblick des Anhaltens auf ihrer Flucht ihre Überlegenheit bemerkt hat, zurückgeworfen worden ist.

So beginnt der weltberühmte Feldzug von 1814, in dem Napoleon überall siegt, wo er persönlich ist, und überall besiegt wird, wo er nicht ist, schon im Jahre 1813. – Auf diese Nachrichten hin werden die Unterhandlungen abgebrochen.

Kaum von einem Krankheitsunfall, als dessen Anlaß man Gift vermutete, wiederhergestellt, marschiert Napoleon sogleich gegen Magdeburg. Seine Absicht ist, einen Seitensprung nach Berlin zu tun und sich der Stadt, nach dem Übergang über die Elbe, zu bemächtigen. Schon sind mehrere Korps bis Wittenberg gelangt, als ein Brief des Königs von Württemberg berichtet, daß Bayern die Partei gewechselt und ohne Kriegserklärung, ohne jede vorherige Mitteilung, seine Armee mit der österreichischen am Inn vereinigt habe, daß 80 000 Mann unter den Befehlen des Generals Wrede nach dem Rhein marschierten, daß endlich Württemberg, wenn auch fortwährend im Herzen seiner Allianz getreu, durch die Übermacht gezwungen worden ist, sein Kontingent dazu stoßen zu lassen. Innerhalb 14 Tagen werden 100 000 Mann Mainz einschließen.

Österreich hat das Beispiel des Abfalls gegeben, und das Beispiel ist eifrig befolgt worden.

Napoleons zwei Monate lang durchdachter Plan, auf den schon alles eingerichtet war, Festungen und Magazine, ist damit in einer Stunde verändert. Statt unter dem Schutze der festen Plätze und Magazine von Torgau, Magdeburg, Wittenberg und Hamburg die Alliierten zwischen die Elbe und Saale zurückzuwerfen, statt den Krieg zwischen Elbe und Oder zu spielen, wo die französische Armee Glogau, Küstrin und Stettin besitzt, entschließt sich Napoleon zum Rückzug an den Rhein. Aber zuvor muß er die Verbündeten schlagen, um sie außerstand zu setzen, ihn auf seinem Rückzug zu verfolgen. Darum rückt er, statt vor ihnen zu fliehen, gegen sie an und trifft sie am 16. Oktober bei Leipzig. Franzosen und Alliierte stehen einander wieder gegenüber, die Franzosen mit 157 000 Streitern und 600 Kanonen, die Alliierten mit 350 000 MannDie Streitkräfte der Verbündeten zählten nur 255 000 Mann. A. d. Ü. und einer doppelt so starken Artillerie als die unsrige.

An demselben Tage noch finden acht Stunden lang Kämpfe statt. Die französische Armee ist siegreich, aber ein Armeekorps, das von Dresden erwartet, um die Niederlage der Feinde zu vervollständigen, langt nicht an. Nichtsdestoweniger übernachten wir auf dem Schlachtfelde.

Am 17. erhält die russische und österreichische Armee Verstärkung, und am 18. greift sie nun ihrerseits an.

Vier Stunden lang wird der Kampf von den Franzosen ohne Nachteil ausgehalten, plötzlich aber gehen 30 000 Sachsen, die eine der wichtigsten Stellungen in der Schlachtlinie einnehmen, zu dem Feinde über und wenden 60 Feuerschlünde geradezu gegen uns. Alles scheint verloren, so unerhört ist dieser Abfall, so schrecklich diese Veränderung.

Napoleon eilt mit der Hälfte seiner Garde herbei, greift die Sachsen an, jagt sie vor sich her, nimmt ihnen einen Teil seiner Artillerie wieder ab und zerschmettert sie mit den von ihnen selbst geladenen Kanonen. Die Alliierten machen eine rückgängige Bewegung: sie haben in diesen zwei Tagen 150 000 Mann ihrer besten Truppen verloren.Die Gesamtverluste der Verbündeten werden auf 50 000 Mann geschätzt. A. d. Ü. Auch diese Nacht noch schlafen wir auf dem Schlachtfelde.

Das grobe Geschütz hat, wenn auch nicht das Gleichgewicht ganz wiederhergestellt, doch wenigstens das große Mißverhältnis aufgehoben, und eine dritte Schlacht bietet sich unter günstigen Aussichten dar, als man Napoleon meldet, daß nur noch zu 16 000 Schüssen Munition vorhanden ist, nachdem man während der zwei letzten Schlachten 220 000 Schüsse abgefeuert hat. Da tut es not, an den Rückzug zu denken. Der Erfolg beider Siege ist verloren: 50 000 Mann sind unnütz geopfert worden.

Um zwei Uhr morgens beginnt die rückgängige Bewegung in der Richtung nach Leipzig. Die Armee will sich hinter die Elster zurückziehen, um mit Erfurt, woher sie die notwendige Munition erwartet, in Verbindung zu stehen. Aber der Rückzug wird nicht so geheim ausgeführt, daß die verbündete Armee nicht darüber erwachte. Anfangs glaubt sie, es stehe ihr ein Angriff bevor, und setzt sich in Bereitschaft; doch bald erfährt sie die Wahrheit. Die siegreichen Franzosen ziehen sich zurück; sie weiß nicht warum, aber sie benutzt ihren Rückzug. Mit Tagesanbruch greifen die Alliierten unsere Nachhut an und dringen mit ihr in Leipzig ein. Unsere Soldaten kehren um, machen Front gegen den Feind, kämpfen Schritt für Schritt, um der Armee zum Übergang über die einzige Elsterbrücke, auf der der Rückzug stattfinden kann, Zeit zu verschaffen. Plötzlich hört man eine schreckliche Explosion; man stutzt, man erkundigt sich und erfährt, daß ein Sergeant ohne Befehl von seinem Chef die Brücke in die Luft gesprengt hat. 40 000 Franzosen, verfolgt von 200 000 Russen und Österreichern, sind durch einen reißenden Fluß von der Armee getrennt; sie müssen sich ergeben oder abschlachten lassen. Ein Teil ertrinkt, der andere begräbt sich unter den Trümmern der Ranstädter Vorstadt.

Am 20. gelangt die französische Armee nach Weißenfels und fängt an, sich ihrer Verluste bewußt zu werden. Der Fürst Poniatowsky, die Generale Vial, Dumoutier und Rochambeau sind ertrunken oder gefallen, der Fürst von der Moskwa, der Herzog von Ragusa, die Generale Souham, Campans, Latour-Maubourg und Friedrichs verwundet, der Prinz Emil von Darmstadt, der Graf Hochberg, die Generale Lauriston, Delmas, Rozniecki, Krasinski, Valory, Bertrand, Dorsenne, d'Etzko, Colomy, Bronikowski, Siwowitz, Malachowski, Rautenstrauch und Stockhorn in Gefangenschaft geraten. Wir haben in der Elster und in den Vorstädten 10 000 Tote, 15 000 Gefangene, 150 Kanonen und 500 Munitionswagen gelassen.

Was von Rheinbundstruppen noch übriggeblieben, das war auf dem Weg von Leipzig nach Weißenfels ausgerissen. – Zu Erfurt, wo sie am 25. anlangte, zählte die französische Armee, auf ihre eigenen Kräfte beschränkt, nur noch ungefähr 80 000 Mann.

Am 28. erhält Napoleon in Schlüchtern genaue Aufschlüsse über die Bewegungen der österreichisch-bayrischen Armee; sie hat Eilmärsche gemacht und ist an den Main vorgerückt.

Am 30. steht sie vor Hanau in Schlachtordnung, uns den Weg nach Frankfurt zu verrammeln. Die französische Armee stößt auf sie, rückt ihr auf den Leib, tötet ihr 6000 Mann und setzt am 5., 6. und 7. November über den Rhein.

Am 9. ist Napoleon wieder in Paris.

Hier verfolgt ihn Abfall auf Abfall, der sich von außen immer mehr nach innen ausdehnt: nach Rußland Deutschland, nach Deutschland Italien, nach Italien Frankreich.

Die Schlacht von Hanau hatte zu neuen Konferenzen Veranlassung gegeben. Der Baron von St. Aignan, der Fürst von Metternich, der Graf Nesselrode und Lord Aberdeen waren in Frankfurt zusammengetreten. Napoleon sollte den Frieden erhalten, wenn er den Rheinbund aufgebe, Polen und den Elbdepartements entsage. Frankreich solle innerhalb seiner natürlichen Grenzen, der Alpen und des Rheins bleiben. Man werde dann in Italien eine Grenze ausmitteln, die uns vom Hause Österreich absondere.

Napoleon willigte in diese Grundlagen und ließ dem Senat und Gesetzgebenden Körper die Verhandlungsprotokolle vorlegen, mit der Erklärung, daß er bereit sei, die verlangten Opfer zu bringen. Der Gesetzgebende Körper, der damit unzufrieden war, daß ihm Napoleon einen Präsidenten gesetzt, ohne ihm vorher Kandidaten vorgeschlagen zu haben, ernannte eine Kommission von fünf Mitgliedern zur Prüfung dieser Protokolle. Diese fünf durch ihre Opposition gegen das kaiserliche System bekannten Berichterstatter waren die Herren Lainé, Galloig, Flaugergues, Raynouard und Maine de Biran. Sie verfaßten ein Schriftstück, in dem sie das seit elf Jahren vergessene Wort »Freiheit« wieder anwandten. Napoleon zerriß das Schriftstück und entließ den Gesetzgebenden Körper. Während dieser Zeit enthüllten sich die wahren Absichten der verbündeten Herrscher trotz aller täuschenden Protokolle. Wie bei Prag hatten sie nur Zeit gewinnen wollen; von neuem brachen sie die Konferenzen ab, mit der Vertröstung auf einen baldigen Kongreß zu Châtillon an der Seine. Das war eine Herausforderung und ein Hohn zugleich. Napoleon nahm die erstere an und rüstete sich, den zweiten zu rächen. Am 25. Januar 1814 verließ er Paris und übergab Gemahlin und Sohn dem Schutz der Offiziere der Nationalgarde.

An allen Enden wurde das Kaiserreich angegriffen. Die Österreicher drangen in Italien vor, die Engländer hatten die Bidassoa überschritte und zeigten sich auf dem Kamm der Pyrenäen. Schwarzenberg drang mit der großen, 150 000 Mann starken Armee durch die Schweiz ein, Blücher hatte mit 130 000 Preußen Frankfurt besetzt;Blücher war am 1. Januar 1814 mit 60 000 Mann über den Rhein gegangen. A. d. Ü. Bernadotte überzog Holland und nahm Belgien mit 100 000 Schweden und Sachsen. 700 000 Krieger, die durch ihre Niederlagen in der großen napoleonischen Kriegsschule ausgebildet waren, schritten, alle festen Plätze umgehend, gegen das Herz Frankreichs vor mit der einzigen Losung: Paris! Paris!

Napoleon steht allein gegen eine ganze Welt. – Diesen zahllosen Massen hat er kaum 150 000 Mann entgegenzustellen. Aber er hat, wenn auch nicht das Vertrauen, so doch das Genie seiner jungen Jahre wiedergefunden; der Feldzug von 1814 soll sein strategisches Meisterstück sein.

Mit einem Blicke hat er alles gesehen, alles umfaßt und, soweit es in der Macht eines Menschen steht, für alles gesorgt. Maison ist beauftragt, Bernadotte in Belgien aufzuhalten, Augereau soll den Österreichern nach Lyon entgegenziehen, Soult die Engländer hinter der Loire festhalten, Eugen Italien verteidigen; er selbst will Blücher und Schwarzenberg auf sich nehmen.

Er wirft sich zwischen beide mit 60 000 Mann, fliegt von einer Armee zur andern, zerschmettert Blücher bei Champaubert, Montmirail, bei Château-Thierry und bei Montereau.Bei Monterau schlägt Napoleon am 18. Februar das Hauptheer. A. d. Ü. In zehn Tagen hat Napoleon fünf Siege davongetragen, und die Alliierten haben 90 000 Mann verloren.Blücher hatte 15 000 Mann, das Hauptheer schwerlich mehr verloren. A. d. Ü.

Jetzt werden neue Unterhandlungen zu Châtillon an der Seine angeknüpft; aber die verbündeten Souveräne steigern ihre Forderungen mehr und mehr und schlagen unannehmbare Bedingungen vor. Nicht nur Napoleons Eroberungen sollen aufgegeben, sondern die Grenzen der Republik mit denen der alten Monarchie vertauscht werden.

Napoleon antwortete mit einem jener Löwensprünge, die ihm eigen waren. Er schwang sich von Mery an der Seine nach Craonne, von Craonne nach Rheims, von Rheims nach St. Dizier. Wo immer er den Feind trifft, da jagt er ihn, da wirft er ihn, da zerschmettert er ihn. Aber in seinem Rücken schlicht sich der Feind wieder zusammen, und immer geschlagen dringt er immerfort vor.

Überall, wo Napoleon nicht ist, fehlt auch sein Glück. Die Engländer sind in Bordeaux eingezogen, die Österreicher besetzen Lyon, die mit den Trümmern der Blücherschen vereinigte belgische Armee erscheint wieder in seinem Rücken. Seine Generale sind ohne Tatkraft, müde und matt. Mit Ordensbändern verbrämt, von Titeln erdrückt, von Gold erstickt, mögen sie sich nicht mehr schlagen. Dreimal entrinnen ihm die Preußen, die er in seiner Gewalt zu haben vermeint; das erstemal auf dem linken Ufer der Marne infolge eines plötzlichen Frostes, der die Moräste, in denen sie zugrunde gehen sollten, festmacht; das zweitemal an der Aisne infolge der Übergabe von Soissons, die ihnen einen Ausweg nach vorn öffnet, in demselben Augenblick, wo sie nicht mehr zurückweichen können; endlich zu Craonne infolge der Nachlässigkeit des Herzogs von Ragusa, der sich durch einen nächtlichen Überfall einen Teil seines Heergerätes wegnehmen läßt. Diese düstern Vorzeichen entgehen Napoleon nicht; er fühlt, daß Frankreich – trotz seiner Anstrengungen – seinen Händen entgleitet. Ohne Hoffnung, einen Thron darin zu behaupten, will er mindestens ein Grab darin erringen und tut, aber vergeblich, alles mögliche, um sich bei Arcis an der Aube und St. Dizier erschießen zu lassen. Kugeln und Geschosse sind mit ihm im Bunde.

Am 29. März meldet man ihm zu Troyes, wohin er Winzingerode verfolgt hat, daß die Preußen und Russen in geschlossenen Kolonnen auf Paris marschieren.

Augenblicklich bricht er auf, langt am 1. April zu Fontainebleau an und erfährt, daß Marmont am Tage zuvor, abends fünf Uhr, kapituliert hat. und die Verbündeten seit dem Morgen die Hauptstadt besetzen.

Drei Wege blieben ihm übrig.

Er hat noch 50 000 Soldaten, die tapfersten und ergebensten auf der Welt, unter seinen Befehlen. Um ihrer Treue sicher zu sein, brauchte er nur die alten Generale, die alles zu verlieren hatten, durch die jungen Obersten, die alles zu gewinnen hatten, zu ersetzen. Auf seinen noch immer machtvollen Ruf konnte die Bevölkerung aufstehen, aber dann – war Paris geopfert; denn die Verbündeten hätten es bei ihrem Rückzug verbrannt; aber nur ein Volk wie die Russen läßt sich durch ein solches Mittel retten.

Der zweite Weg war, Italien zu gewinnen, indem er die 25𔇖000 Mann Augereaus, die 18 000 des Generals Grenier, die 15 000 des Marschalls Sujet und die 40 000 des Marschalls Soult an sich zog. Aber dieser Ausweg führte zu keinem Erfolg. Frankreich blieb von dem Feinde besetzt, und es konnte ihm daraus das größte Unheil entstehen.

Als drittes blieb die Möglichkeit, sich hinter die Loire zurückzuziehen und einen Guerillakrieg zu führen.

Die Verbündeten kamen seiner Unentschlossenheit durch die Erklärung zu Hilfe, daß der Kaiser Napoleon das einzige Hindernis des allgemeinen Friedens sei.

Diese Erklärung ließ ihm nur die beiden Wege offen, wie Hannibal aus dem Leben zu scheiden oder wie Sulla vom Throne zu steigen.

Er versuchte, heißt es, den ersten; aber Tabanis' GiftDer berühmte französische Physiologe Tabanis war bereits 1808 gestorben. A. d. Ü. war kraftlos.

Da entschloß er sich zum zweiten und schrieb auf einen heute verlorenen Papierstreifen vielleicht die bedeutsamsten Linien, die je eine Menschenhand gezogen hat:

»Da die verbündeten Mächte verkündet haben, daß der Kaiser Napoleon das einzige Hindernis zur Wiederherstellung des Friedens in Europa sei, so erklärt der Kaiser Napoleon, seinem Eide getreu, daß er für sich und seine Erben dem Throne Frankreichs und Italiens entsagt, weil es kein persönliches Opfer, und wäre es das Opfer des Lebens selbst, gibt, das er nicht für Frankreich zu bringen bereit wäre.«

Ein Jahr lang schien die Welt verwaist.

*


 << zurück weiter >>