Alexander Dumas d. Ä.
Der Graf von Monte Christo. Zweiter Band.
Alexander Dumas d. Ä.

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Erwachen.

Als Franz wieder zu sich kam, schien seine Umgebung den Traum fortzusetzen; er glaubte, in einem Grabe zu sein, in das kaum ein Sonnenstrahl wie ein Blick des Mitleids drang; er streckte die Hand aus und fühlte Stein, er setzte sich auf und fand, daß er in seinem Burnus auf getrocknetem Heidekraut gelegen hatte. Jede Vision war verschwunden, und die Statuen hatten, als wären sie nur während seines Traumes aus ihren Gräbern hervorgegangen, bei seinem Erwachen die Flucht ergriffen. Er machte einige Schritte nach dem Punkt zu, woher das Licht kam; auf die ganze Aufregung des Traumes folgten die Ruhe und die Wirklichkeit. Er sah sich in einer Grotte, schritt auf die Öffnung zu und erblickte durch die gewölbte Tür einen blauen Himmel und ein Azurmeer. Luft und Wasser erglänzten in den Strahlen der Morgensonne, auf dem Ufer saßen plaudernd und lachend die Matrosen, zehn Schritte in der See schaukelte sich anmutig die Barke an ihrem Anker.

Da kostete er eine Zeitlang den frischen, gelinden Wind, der seine Stirn umspielte; er horchte auf das geschwächte Geräusch der Welle, die am Strand erstarb und auf den Felsen eine Spitze von silberweißem Schaum zurückließ; er überließ sich ganz und ohne Rückhalt dem göttlichen Zauber, der in den Dingen der Natur liegt, besonders wenn man aus einem phantastischen Traume erwacht. Dann brachte ihm die stille, ungetrübte, großartige Umgebung allmählich die Unwahrscheinlichkeit eines Traumes zum Bewußtsein, und die Erinnerungen fingen an, in sein Gedächtnis wiederzukehren. Er erinnerte sich seiner Ankunft auf der Insel, seiner Vorstellung bei einem Anführer von Schmugglern, eines unterirdischen Palastes voll Pracht und Herrlichkeit, eines vortrefflichen Abendbrotes und eines Löffels voll Haschisch. Nur kam es ihm der Wirklichkeit des lichten Tages gegenüber vor, als sei dies alles schon vor einem Jahre gewesen, so lebendig war der Traum in seinem Geiste, so gewaltig hatte er sich seinem Innern eingeprägt. Von Zeit zu Zeit ließ auch seine Einbildungskraft einen von den Schatten, deren Blicke und Küsse seine Nacht durchleuchtet hatten, mitten unter den Matrosen erscheinen, oder über einen Felsen hinschreiten, oder auf der Barke sich wiegen. Im übrigen war sein Kopf völlig frei, sein Körper ganz ausgeruht; keine Schwerfälligkeit belastete das Gehirn, sondern im Gegenteil ein gewisses Wohlbehagen verlieh eine größere Fähigkeit als je, Luft und Licht einzusaugen. Er näherte sich daher heiter seinen Matrosen. Sobald sie ihn erblickten, standen sie auf, und der Patron kam ihm entgegen.

Herr Simbad, sagte er zu ihm, hat uns mit Empfehlungen für Eure Exzellenz beauftragt; wir sollen sein Bedauern ausdrücken, daß er nicht habe Abschied nehmen können; doch er hoffe, Sie werden ihn entschuldigen, wenn Sie erfahren, daß ihn eine sehr dringende Angelegenheit nach Malaga rufe.

Ah! mein lieber Gaetano, sagte Franz, dies alles ist also Wirklichkeit? Es hat mich jemand auf der Insel empfangen, mir königliche Gastfreundschaft gewährt, und ist während meines Schlafes abgereist!

Es ist so sehr Wahrheit, daß Sie dort seine kleine Jacht mit vollen Segeln hinfahren sehen können.

Franz zog sein Fernglas aus der Tasche, hielt es vor sein Auge und richtete es nach dem bezeichneten Punkte. Gaetano täuschte sich nicht. Auf dem Hinterteile des Schiffes stand der geheimnisvolle Fremde, nach der Insel gekehrt und ebenfalls ein Fernglas in der Hand haltend. Er war ganz so gekleidet, wie er sich am Abend vorher vor seinem Gaste gezeigt hatte, und schwenkte zum Zeichen des Abschieds ein Tuch in der Luft. Franz zog auch sein Taschentuch, ließ es flattern und erwiderte den Gruß. Nach einer Sekunde erschien eine leichte Rauchwolke auf dem Hinterteil des Schiffes, machte sich leicht vom Verdeck los und stieg langsam zum Himmel empor; dann traf ein schwacher Knall Franzens Ohr. Hören Sie? rief Gaetano, er nimmt von Ihnen Abschied. Der junge Mann ergriff seine Büchse und schoß sie in die Luft.

Was befiehlt nun Eure Exzellenz? fragte Gaetano.

Zündet mir vor allem eine Fackel an.

Ah! ja, ich begreife, um den Eingang in die Zaubergemächer zu suchen. Viel Vergnügen dabei, Exzellenz; die Fackel will ich Ihnen geben. Auch mich hat der Gedanke erfaßt, der Sie jetzt beschäftigt, drei- oder viermal habe ich gesucht, aber am Ende gab ich jede weitere Nachforschung auf. Giovanni, fügte er hinzu, zünde eine Fackel an und bringe sie Seiner Exzellenz! Giovanni gehorchte. Franz nahm die Fackel und trat mit Gaetano in den unterirdischen Raum.

Er erkannte den Platz, wo er erwacht war, an dem noch ganz zerdrückten Lager von Heidekraut; doch wenn er auch mit der Fackel die ganze äußere Oberfläche der Grotte ableuchtete, er sah nichts und erkannte nur an Spuren von Rauchschwärze, daß bereits andere vor ihm vergeblich in gleicher Weise gesucht hatten. Er ließ indessen keinen Fuß dieser undurchdringlichen Granitmauer ungeprüft. Er sah keine Spalte, in die er nicht die Klinge seines Jagdmessers stieß. Er bemerkte keinen hervorspringenden Punkt, auf den er nicht drückte, in der Hoffnung, er würde nachgeben; aber alles war umsonst, und nachdem er zwei Stunden vergeblich aufgewendet hatte, leistete er Verzicht. Gaetano triumphierte.

Franz hielt nichts mehr auf Monte Christo zurück; er hatte jede Hoffnung verloren, das Geheimnis der Grotte zu entdecken, beeilte sich zu frühstücken, und eine halbe Stunde nachher befand er sich an Bord seiner Barke. Er warf einen letzten Blick auf die Jacht, die im Begriff war, im Golf von Porto-Vecchio zu verschwinden, und gab nun das Signal zur Abfahrt. In der Sekunde, wo die Barke sich in Bewegung setzte, verschwand die Jacht; mit ihr erlosch die letzte Wirklichkeit der vorhergehenden Nacht: Abendessen, Simbad, Haschisch und Statuen, alles fing an, sich für Franz im gleichen Traume zu vermengen.

Die Barke segelte den Tag und die ganze Nacht, und am Morgen bei Sonnenaufgang war die Insel Monte Christo ebenfalls verschwunden. Sobald Franz die Erde berührte, vergaß er, wenigstens für den Augenblick, die erlebten Ereignisse, um seine Angelegenheiten in Florenz abzumachen. Dann reiste er ab, seinen Gefährten in Rom aufzusuchen, wo bereits die ersten Karnevalsfestlichkeiten begonnen hatten.

Franz mußte sich durch die bereits in gehobener Feststimmung die Straßen Roms passierende Menge – es war der Sonnabend vor Beginn des Festes – drängen und kam endlich zu Pastrinis berühmtem Hotel zur Stadt London, wo er mit seinem ihn erwartenden Freunde Albert von Morcerf zusammentraf.


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