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Erziehung des Kronprinzen Joseph.

Musterhaft war Maria Theresia als Gattin und Mutter; die Zärtlichkeit, mit welcher sie ihren Gemahl liebte, nahm mit den Jahren nur noch mehr zu, und wurde, bei dessen anspruchslosem Charakter, durch die Selbstherrschaft nicht getrübt, zu welcher sie ihre geistige Ueberlegenheit vor ihm und der Beistand bedeutender Männer, denen sie ihr Vertrauen schenkte, bei dem aufrichtigen Bestreben ihre Völker glücklich zu machen, bestimmten. Kaiser Franz I. wirkte in seinem bescheidenen Kreise, in dem er sich behaglich fühlte, gab sich seinen Liebhabereien hin, von denen allerdings seine Goldmacherversuche und seine Diamantenschmelzexperimente erkleckliches Geld kosteten, was er dann wieder durch Finanzspekulationen hereinzubringen suchte; unterstützte Gelehrte und Künstler, beschäftigte sich mit Sammlungen für Kunst und Wissenschaft (Naturalien- und Münzkabinet in Wien), ließ keinen Armen ungetröstet, unbegabt von sich gehen, und genoß mit Recht durch diese Eigenschaften allgemeine Achtung und Liebe.

Maria Theresia hatte ihrem Gemahl bis zum Jahr 1756 folgende damals lebende Kinder geboren: am 6. Oktober 1738 die Erzherzogin Maria Anna, am 13. März 1741 den Erzherzog Joseph, am 13. Mai 1742 die Erzherzogin Maria Christina, am 13. August 1743 die Erzherzogin Maria Elisabeth, am 1. Februar 1745 den Erzherzog Karl, am 26. Februar 1746 die Erzherzogin Maria Amalia, am 5. Mai 1747 den Erzherzog Leopold, am 13. August 1752 die Erzherzogin Maria Carolina, am 1. Juni 1754 den Erzherzog Ferdinand, am 2. November 1755 die Erzherzogin Maria Antonia und am 8. Dezember 1756 den Erzherzog Maximilian. In früher Jugend starben Maria Elisabeth (geb. 5. Febr. 1737, gest. 2. Juni 1740), Maria Carolina (geb. 12. Januar 1739, gest. 25. Januar 1741), eine Prinzessin (geb. und gest. am 17. September 1748), Johanna Gabriele (geb. 4. Febr. 1750, gest. 23. Dezember 1762), Josepha Gabriele (geb. 19. März 1751, gest. 15. Oktober 1767).

Die Erziehung der zahlreichen Kinder war für Marien Theresien und Franz I. ein Gegenstand der größten Sorgfalt; insbesondere die des Kronprinzen Joseph. Auch hier wieder waren Marien Theresiens Ansichten und Verfügungen vorherrschend, wenn gleich der Einfluß des Vaters nicht so gänzlich ausgeschlossen war wie bei Regierungsangelegenheiten.

Pflicht der Dankbarkeit gegen die treuen Ungarn und nicht minder Klugheit bestimmten Marien Theresien, dem Kronprinzen Joseph einen Ungar, den Feldmarschall Fürsten Karl Batthiany zum obersten Hofmeister zu geben, wie sie denn den Knaben auch frühzeitig die ungarische Sprache erlernen ließ, ja sogar ihn in ungarische Nationaltracht kleidete. Zu Lehrern erhielt der Kronprinz den Jesuiten Pater Franz, einen gelehrten Orientalisten (dessen bereits bei Gelegenheit der Errichtung der orientalischen Akademie gedacht worden ist) für den Religionsunterricht, den Ingenieur Brequin für die mathematischen Wissenschaften, Martini für die juristischen, Leporini für die Geschichte, Beck für deutsches Staatsrecht.

Joseph faßte rasch, ohne eben so gut zu behalten wie seine jüngeren Brüder Karl und Leopold; bei seinem lebhaften Temperament konnte er sich in die schwerfällige und ermüdende Art des Unterrichts nicht finden, und die pedantische Methode, die strenge Orthodoxie, die Härte, womit die Aufwallungen seines frischen Jugendmuthes gedämpft, die Lichtblicke seines kräftigen Geistes mit dem Halbdunkel der alten Ordnung ausgeglichen werden sollten, trugen nur dazu bei, daß er ein um so regeres Innenleben ausbildete und selbstständige Ueberzeugungen festigte. Daß sich frühzeitig eine Vorliebe für Feldmesserei und Kriegsbaukunst bei ihm zeigte, war wohl Folge der ersten Eindrücke, welche die Persönlichkeit Batthiany's, des entschiedenen Kriegsmanns, und die stürmischen Ereignisse hervorbrachten, die seine Kindheit umrauschten. Dazwischen tönte die sanfte Stimme der Musik, welcher sich der Fürstenknabe gern hingab und sein ganzes Leben hindurch treu blieb; er spielte mehrere Instrumente mit Fertigkeit. »Ich lehre meinen Sohn die Musik lieben«, sagte seine Mutter, »damit er milder werde, denn er ist störrisch.« So mochte allerdings anfangs sein früher Trieb nach Selbstständigkeit der besorgten Mutter erscheinen, wenn Joseph dem Zwange, den die Lehrer über ihn verhängten, seinen Eigenwillen entgegenstellte.

Eine bedeutende Rolle bei Josephs Erziehung spielte Bartenstein. Schon im Jahre 1751 ertheilte ihm Maria Theresia den Auftrag, einen Plan für Josephs Unterricht in Geschichte, Politik, Natur- und Völkerrecht auszuarbeiten. Hiezu schrieb Franz I. eigenhändig folgenden Befehl: »Es soll meinem Sohne Joseph die Historie so tradirt werden, daß die Fehler und die bösen Thaten der Regenten so wenig als ihre Tugenden und das Gute, so sie gethan haben, verschwiegen werden. Diese Geschichten sollen immer meinem Sohne so appliciret werden, daß er gute Anmerkungen und nach und nach gute principia sich machen lerne, durch welche er die Fehler der vorherigen Regierungen zu vermeiden frühzeitig angewöhnt werde; welches gewiß von guter Wirkung sein wird.« Diesem Auftrag gemäß arbeitete Bartenstein, welcher nach seinem Austritt aus dem Kabinet einen größeren Antheil an Josephs Erziehung erhielt, seine Vorträge über Geschichte, Natur- und Völkerrecht aus. Sein Werk über Geschichte war aus archivalischen Quellen geschöpft und in freisinnigem Geiste abgefaßt; »er machte darin den Prinzen aufmerksam auf die Klippen, die ein österreichischer Regent vorzüglich zu vermeiden hat; zeigte ihm, wie die Nationen, die Oesterreichs Regenten gehorchten, von so ungleichen Sitten, Sprachen, Gesetzen und Verfassungen wären, und wie die Eifersucht unter diesen selbst bisweilen so hoch steige, daß man kaum einer Recht thun könne, ohne die andere; machte ihn aufmerksam auf die Hausverträge, Friedensschlüsse, geheimen Unterhandlungen, auf die dabei üblichen Kunstgriffe, auf alte und neue Ansprüche, auf das Verhältniß der Kirche und des Staates gegeneinander u. dgl. m. Und diese allerdings sehr pragmatische Methode verlor er am wenigsten von Maximilians I. Zeiten aus den Augen, weil gerade von dieser Periode die Geschichte des österreichischen Hauses an Umfang und Bedeutung am meisten gewonnen hat. Burckhardt, Kaiser Joseph II. Besonders hervorzuheben ist hiebei unter anderm die Art, wie das Verhältnis des römischen Stuhles zu den weltlichen Mächten dargestellt wurde, und welche sich von der beim habsburgischen Hause bis dahin vorherrschenden durch schroffe Rücksichtslosigkeit scharf unterschied; nahe genug liegt hier ein muthmaßlicher Schluß auf Josephs spätere energische Vertretung der Interessen des Staats und der Monarchie gegenüber der Kirche. Was Bartenstein's Arbeit über Natur- und Völkerrecht betrifft, so erfahren wir davon, daß sie nicht sowohl »ein eigentliches System dieser Wissenschaft im strengsten Sinne des Wortes« war, als vielmehr ein Buch, »bei welchem sich überall natürlicher Zusammenhang der Theile findet, überall eine zweckmäßige Auswahl dessen, was für einen solchen Prinzen Interesse haben konnte, unverkennbar war«; es war »kein Naturrecht aus der Luft gegriffen, oder mit faden Fragen ausstaffirt, wie es damals besonders unter den Katholiken noch Mode war, ebenso wenig ein Naturrecht bloß von Wilden für künftige Wilde abstrahirt, sondern er schöpfte aus dem Menschen, aus der Geschichte der Staaten und verband damit die damals gangbaren philosophischen Prinzipien und gab den Letzteren durch die Geschichte der Menschheit und der Staaten in der Seele des Prinzen ihre Haltbarkeit.« Burckhardt a. a. O. Nicht ohne Einfluß auf Joseph blieb bei dem einen wie bei dem andern Werk die Methode Bartenstein's, seinen Zögling durch Auszüge auf die Quellen aufmerksam zu machen. Joseph, der überall selbst schauen, selbst prüfen wollte, erhielt dadurch in seinen geschichtlichen Kenntnissen Gründlichkeit, in seinen natur- und völkerrechtlichen, durch das Zeugenverhör der größten Geister über die wichtigsten Fragen eine vorurtheilsfreie Stellung über den Partheiansichten, und wenn er selbst später gleichwohl mit wahrem Feuereifer Parthei ergriff, nämlich für alles, was ihm edel und der Freiheit, der Würde des Menschen angemessen schien, so konnte ihn in seiner eigenen Ueberzeugung die Uebereinstimmung der Größten und Besten nur bestärken. Wie mit dem geschichtlichen Unterricht auch der philosophische gleichen Schritt hielt, ist es begreiflich, daß Joseph in der Folge, als er selbsthandelnd auftrat, von idealen Voraussetzungen ausging, indem er der Verwirklichung eines großartigen Regentenideals zustrebte. Alle Redlichkeit des Wollens und alles Feuer eines edlen Gemüths, wie er sie späterhin als Regent an den Tag legte, offenbarten sich schon in dem Jüngling, und charakteristisch ist in dieser Beziehung der durch Cornova aufbewahrte Zug, daß Joseph, als ihm sein Lehrer in der Logik ein Kapitel über Selbsterkenntniß und Menschenkenntniß aus Bellegarde vorgelesen hatte, jenem die Hand drückte und das Kapitel nochmal zu hören verlangte, »weil er, wenn er einst zur Regierung kommen würde, Selbstkenntniß und Kenntniß der Menschen sehr nöthig haben werde.«

So wuchs denn der lebhafte, für alles Schöne, Wahre und Große empfängliche, vom inneren Drange, ein vollkommener Mensch zu werden und dereinst Menschenwohl zu begründen, Menschenrecht zu verwirklichen, begeisterte Joseph heran, unter Lehrern, deren Grundsätze zwei entgegengesetzten Weltanschauungen, einer veralteten und der Ahnung einer neuen, entsprachen; das Bild von Aeltern vor Augen, die er als Sohn zärtlich liebte und verehrte; Angesichts einer Mutter, an welcher er, mit seinem schon frühzeitig scharf durchdringenden Blick, die Lauterkeit des Strebens: ihre Völker zu beglücken, erkannte und nicht minder wahrnahm, wie der Geist der Zeit sie nicht sowohl überwältigte und fortriß, als daß sie vielmehr denselben zu erfassen, zu ergründen, zu würdigen suchte. Anderseits konnte es dem geistvollen Jüngling nicht entgehen, welche Hebel, und mit wieviel Leidenschaft und Ausdauer, die reaktionäre Parthei in Bewegung setzte, um die Einleitung eines heilbringenden Verständnisses zu erschweren und womöglich zu vereiteln, und wie sehr dieselbe gerade den Nimbus der Religion, wie sehr die aufrichtige Religiosität Marien Theresiens zu mißbrauchen suchte, ja sogar nicht selten wirklich mißbrauchen konnte, um den wahren Bedürfnissen des Volkes und der Dynastie, wie sie – im innigen Wechselverhältnisse – den Forderungen der Zeit entsprachen, entgegenzuarbeiten. Gewiß: eine ernste Schule der Beobachtung für den genialen Jüngling, welcher sich schon damals gestehen mochte, daß er, als Nachfolger seiner Mutter auf den habsburgischen Thronen, eine große Aufgabe zu übernehmen und durchzuführen haben würde!

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