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Von Regensburg bis Deggendorf

Die nächste Rast, die wir, die Donaufahrt fortsetzend, erzielen, ist nun Straubing. Sobald das Schiff an den Ruinen von Donaustauf und an der Walhalla vorübergetrieben ist, zeigt sich uns auf demselben Ufer Sulzbach, dann, wie wir die Krümme des Stroms zurücklegten, Demling und Bach, am rechten Ufer gewahren wir die Dörfer Sarching, Friesheim und Ilkofen. Hierauf schiffen wir zwischen Frenkhofen und Auburg und den Auen, die den in vielen Windungen dahinrollenden Strom zu beiden Seiten umgeben, bis wir das Dorf Pfatter, wo einst ein Römerlager gewesen ist, erreichen. Nicht weit von Pfatter erblicken wir auf dem rechten Ufer Gmünd und nahe dabei Irling, während sich auf dem entgegengesetzten die Dörfer Tiefenthal, Hofdorf, Stadeldorf und Heiligenblut zeigen, dessen Wallfahrtskirche, von der Anhöhe niederblickend, einige Tropfen vom Blut Christi bewahrt, wie die Frommen glauben.

Rechts schwinden jetzt in der Donauebene Aholfing, die beiden Motzing (zwischen denen die Große Laaber der Donau zueilt), Breitenfeld, Eberau, Kagers; links am Abhang des Höhenzugs Zeitdorf, Weihern, Kirchroth, Pfaffenmünster – das alte Stift, näher dem Strom zu – Biechsee, Pittrich, Neidau, Kößnach, Hartzeilern, Eberau und Sossau an uns vorüber. Zu der Muttergottes in Sossau wird viel gewallfahrt, denn zur Zeit der Reformation, so erzählt die Legende, flüchteten Engel aus einer lutherisch gewordenen Gemeinde aus einer Kirche mit dem Gnadenbild in einer Nacht gen Sossau. Da ist auch das große »Beschlacht« (so heißt das Volk den Dammbau), über dem das überflüssige Wasser der sogenannten Alten Donau zufließt, seitdem die Straubinger (1477) den Strom durch einen Kanalbau an ihre Mauern geleitet haben.

Vor Straubing, der freundlichen Stadt, landen wir jetzt, die in reicher, gesegneter, gegen Norden von sanften Berghöhen begrenzter Ebene vor unseren Blicken liegt.

Straubing wird in der Geschichte schon früh erwähnt; nicht weit von dem unfern vor der Stadt gelegenen Atzelburg weist man eine Römerschanze. Im 10. Jahrhundert wird Straubing als königlicher Hof genannt, der durch Heinrich des Heiligen Schenkung und durch das Vermächtnis dessen Bruders, des Augsburger Bischofs Otto, ein Eigentum des Augsburger Domkapitels wurde, das einen Vizedomus dahin setzte. Neu-Straubing (die jüngere Hälfte der Stadt) stammt aus dem 13. Jahrhundert und wurde damals meist von Juden bewohnt. Friedrich der Schöne eroberte Straubing 1319, Ludwig der Bayer nach vierzigtägiger Belagerung 1332. Nach Kaiser Ludwigs Tod erhielten dessen Söhne Albrecht und Wilhelm Straubing und damit die Herrschaft über einen Landesteil Bayerns mit 31 Städten, Burgen und Flecken. Als Wilhelm gen Holland fuhr, hielt Albrecht zu Straubing hof; von da an begann die Herrschaft der Linie Bayern-Holland; Herzog Wilhelm I. erbaute 1356 zu Straubing das Schloß. Nach dem Erlöschen des Straubing-Holländischen Zweiges erhielten Ernst und Wilhelm von München den Straubinger Anteil.

Ernsts Sohn ist Albrecht, der Gatte der schönen Baderstochter von Augsburg, Agnes Bernauer, der als Statthalter seines Vaters zu Straubing hofhielt. Zu Augsburg, wohin er zum Speerbrechen gekommen war, sah der achtundzwanzigjährige Herzog die holde Jungfrau, die von alt und jung wegen ihrer Schönheit und Tugend nur »der Engel« genannt wurde; er gewann ihr Herz und gelobte ihr die Ehe. Zu Vohburg gab der Priester, vor keinem anderen Zeugen als dem Allwissenden, dem Bund der Liebenden den Segen der Kirche. Als aber Albrechts Vater von dessen Liebe erfuhr, entbrannte er in fürstlichem Stolz und Zorn, und beim Speerbrechen zu Regensburg fand Albrecht auf des strengen Vaters Betrieb die Schranken vor sich verschlossen, als unehrlich, weil er mit einer Jungfrau in wildem Bund lebe. Umsonst beschwor er, daß Agnes sein eheliches Gemahl sei; und erbittert durch des Vaters unbeugsamen Starrsinn, sprach er ihr nun alle Ehren zu, die einer Herzogin gebühren, und gab ihr die Burg zu Straubing zu ihrem Fürstensitz; die fromme Frau stiftete sich dort, von trüber Ahnung bewegt, im Kreuzgang der Karmeliter ihr Grab.

Und bald wurde ihre Ahnung zur Wirklichkeit. In Albrechts Abwesenheit wurde sie auf Herzog Ernsts Geheiß gefangen, unerhörter Verbrechen bezichtigt und in Eile zum Tode verurteilt. Henkersknechte schleppten sie auf die Donaubrücke und warfen sie in den Strom, der barmherziger als ihre Richter schien. Schon erreichte sie schwimmend das Ufer und rief um Hilfe, da ergriff sie der Henker an ihren blonden Locken und stieß sie aufs neue in die Fluten hinaus. Dies geschah am 12. Oktober 1435.

Doch hören wir nun, wie das naive alte Volkslied diese Liebestragödie berichtet:

Es reiten drei Reiter zu München heraus,
Sie reiten wohl vor der Bernauer ihr Haus,
»Bernauerin, bist du drinnen?
                               Ja drinnen?

Bist du drinnen, so tritt heraus.«
Der Herzog ist draußen vor ihrem Haus,
Mit all seinem Hofgesinde,
                              Ja Gesinde.


Sobald die Bernauerin die Stimme vernahm,
Ein schneeweißes Hemd zog sie gar bald an,
Wohl vor den Herzog zu treten,
                               Ja treten.

Sobald die Bernauerin vors Tor 'nauskam,
Drei Herren gleich die Bernauerin vernahm,
»Bernauerin, was willst du machen?
                                  Ja machen?

Ei willst du lassen den Herzog entweg'n,
Oder willst du lassen dein jung, frisches Leb'n,
Ertrinken im Donauwasser?
                              Ja Wasser?«

»Und als ich will lassen mein' Herzog entweg'n,
So will ich lassen mein jung, frisches Leb'n,
Ertrinken im Donauwasser,
                               Ja Wasser.

Der Herzog ist mein
Und ich bin sein,
Sind wir gar treu versprochen,
                                  Ja versprochen.«

Bernauerin auf dem Wasser schwamm,
Maria, Mutter Gottes, hat sie gerufet an,
Sollt' ihr aus dieser Not helfen,
                                    Ja helfen.

»Hilf mir, Maria, aus dem Wasser heraus,
Mein Herzog läßt dir bauen ein neues Haus,
Von Marmelstein ein Altar,
                               Ja Altar.«

Sobald sie dieses gesprochen aus,
Maria, Mutter Gottes, hat geholfen aus
Und von dem Tod sie errettet,
                              Ja errettet.

Sobald die Bernauerin auf die Brucken kam,
Ein Henkersknecht zur Bernauerin kam,
»Bernauerin, was willst du machen?
                                  Ja machen?

Ei, willst du werden ein Henkersweib,
Oder willst du lassen dein' jung, stolzen Leib
Ertrinken im Donauwasser?
                            Ja Wasser?«

»
Und eh' ich will werden ein Henkersweib,
So will ich lassen mein' jung, stolzen Leib
Ertrinken im Donauwasser,
                              Ja Wasser.«

Es stund kaum an den dritten Tag,
Dem Herzog kam eine traurige Klag':
»Bernauerin ist ertrunken,
                                  Ja ertrunken.«

»Auf, rufet mir alle Fischer daher,
Sie sollen fischen bis in das Rote Meer,
Daß sie mein feines Lieb suchen,
                                  Ja suchen.«

Es kommen gleich alle Fischer daher,
Sie haben gefischt bis ins Rote Meer,
Bernauerin haben sie gefunden,
                                 Ja gefunden.

Sie legen s' dem Herzog wohl auf den Schoß,
Der Herzog wohl vieltausend Tränen vergoß,
Er tat gar herzlich weinen,
                                  Ja weinen.

»So rufet mir her fünftausend Mann,
Einen neuen Krieg will ich nun fangen an,
Mit meinem Herrn Vater eben,
                              Ja eben.

Und wär' mein Herr Vater mir nicht so lieb,
So ließ' ich ihn aufhenken als wie einen Dieb,
Wär' aber mir eine große Schande,
                                 Ja Schande.«

Es stund kaum an den dritten Tag,
Dem Herzog kam eine traurige Klag:
Sein Herr Vater ist gestorben,
                                  Ja gestorben.

»Die mir helfen meinen Herrn Vater begrab'n,
Rote Mäntel müssen sie hab'n,
Rot müssen sie sich tragen,
                                  Ja tragen.

Und die mir helfen mein feines Lieb begrab'n,
Schwarze Mäntel müsse sie hab'n,
Und schwarz müssen sie sich tragen,
                               Ja tragen.


So wollen wir stiften eine ewige Mess',
Daß man die Bernauerin nicht vergeß',
Man wolle für sie beten,
                               Ja beten.«

Karl V. weilte gern in Straubing und schickte den jungen Straubinger Ulrich Schmidl mit Peter Mendoza nach der Neuen Welt, wo jener Buenos Aires gründen half. Im Dreißigjährigen Krieg eroberte Bernhard von Weimar und im Jahre 1704 die kaiserliche Heeresmacht die Stadt; 1780 sank sie zur Hälfte in Asche.

Von den Gebäuden Straubings regen nur die Kirche zu St. Jakob (mit Bildern von Michael Wohlgemuth), der alte Stadtturm inmitten der Stadt, das Rathaus und das Schloß unsere Aufmerksamkeit an; je länger wir in den freundlichen Straßen Straubings weilen, um so rascher schwindet der Zauber der Romantik, der uns diese durch die Liebestragödie Albrechts und Agnes' geweihte Stätte zu umdämmern schien, vor der Behäbigkeit und dem Materialismus des Lebens der Straubinger. Dadurch kündet sich Straubing sogleich als echt altbayerische Stadt an. Hier wie in ganz Altbayern entfaltet der Genuß als unumschränkter Herrscher sein lockendes Panier, und freudig gehorcht ihm das Volk und folgt ihm, wohin er es führt. Das magst du, Fremder, an dir selbst am besten erfahren und erproben. Auf jedem Schritt begegnet dir der Genuß, und du wärst ein Tor, wolltest du ihm ausweichen; warum willst du es also dem Volk verargen, wenn es ein Gleiches tut? Der Genuß gehört hier gewissermaßen zur Geschichte, er ist Fleisch und Blut mit dem Volk geworden; es ist stolz auf ihn, und diesen Stolz siehst du auf jedem Gesicht leuchten; Besitz und Genuß sind hier eins. Es ist nichts Raffiniertes darin, so wenig wie im Charakter des ganzen Volkes, den ihr immerhin für eine unverdorbene, kompakte, derbe Masse halten dürft, aus der noch viel zu erzielen und zu gewinnen ist, wie aus wenig anderen deutschen Stammcharakteren mehr, an denen schon so viel experimentiert worden ist, daß oft kaum ein dürftiger Niederschlag unter einem Berg von Schlacken als Rest liegenblieb. Der Charakter der Altbayern ist ein Bergwerk voll rohen, aber edlen Erzes, dem der Hammer nicht so leicht etwas anhaben kann, das aber dem unverdrossenen Bergmann nach langen Mühen um so reicher lohnt.

Doch jetzt wieder zu Straubing! So recht behaglich liegt es, ungeachtet häufiger Wassernöte, mitten im sogenannten »Dunkelboden« (so heißt das fruchtbare Erdreich auf der großen Ebene, die sich von Regensburg an bis tief gen Pleinting hinabzieht). »Dieser Dunkelboden«, so berichtet Schultes, »ist in seiner ganzen Pracht hier in den südlichen Umgebungen von Straubing und stellenweise auch über und unter dieser Stadt am rechten Ufer der Donau. Weizenanbau wird in diesen Gegenden mehr als irgend anderswo in Bayern betrieben und öfter mit 12-20fachem Saatkorn selbst in jenen Gegenden, wo ein Jahr wie das andere Weizen gebaut wird. – In manchen Gegenden wird nur alle 6-9 Jahre gedüngt, weil die Rindviehzucht beinahe überall vernachlässigt ist, während mit der Pferdezucht Luxus getrieben wird. Gewöhnlich fahren hier die Bauern mit 4 Pferden, und mancher, der 6-14 stattliche Rappen im Stall hat, hat nicht ein Paar Ochsen; Knechte und Bauern schämen sich hier, mit Ochsen zu pflügen.« Im Wechselverhältnis mit der Fruchtbarkeit des Bodens stehen denn auch die Körperkraft, die Wohlhabenheit, der Aufwand, die Lebenslust und Sinnlichkeit der Bewohner.

Wir scheiden von Straubing, doch nicht ohne Joseph Fraunhofers zu gedenken, der hier das Licht der Welt erblickte, dem Eduard von Schenck die schönen Worte nachrief:

Die Sterne folgten seinem mächt'gen Ruf,
Dem zaubervollen Glase, das er schuf;
Entrissen hat er sie der alten Nacht,
Geteilt, verdoppelt und uns nah gebracht.
Der hinter Sternen ruh'nde Nebelflor
Erhellte sich, gehorchend seinem Rohr,
Und ließ in jenen Flammenschoß ihn sehn,
Wie Sonnen dort sich bilden und entstehn.
Er beugte, maß und spaltet den Strahl,
Verband, zerstreut' ihn nach Gesetz und Wahl,
Er hielt das Licht des Sirius gebannt,
Der Wega Schimmer spielt' in seiner Hand.

Schon lange bevor wir Straubing erreichten, sahen wir gen Osten fern den Bogenberg; jetzt, nachdem wir Straubing wieder verlassen, steuern wir, an Atzelburg, Parkstetten, Kleinau, Reibersdorf vorüber, demselben zu.

Da zeigt sich uns unfern vom Bogenberg, am Abhang der Bergkette, welche sich am linken Ufer malerisch dahinzieht, Oberalteich, das weiland reiche und berühmte Benediktinerstift, eines der ältesten Bayerns. Einst soll, so berichtet die Überlieferung, hier ein heiliger Hain und Altar gestanden sein und, wo später der Altar sich erhob, eine heilige Eiche, die Sankt Pirmin gefällt hat. Dem Herzog Odilo II. wird die Stiftung des Klosters (731) zugeschrieben, das später durch die Heiden zerstört wurde und bis zum Anfang des 12. Jahrhunderts in Schutt lag; um jene Zeit erbaute es Graf Friedrich von Bogen aus den Trümmern, und das mächtige Geschlecht bedachte es seither reichlich. Weit genannt wurden die seltsamen Reliquien, auf deren Besitz das Kloster nicht wenig stolz war, und die Spottgemälde auf die Reformation. Im Dreißigjährigen Krieg steckten die Schweden Oberalteich in Brand, aber stattlicher als früher erhob es sich alsbald aus der Asche.

Doch aller Reichtum und alle Reliquien des Klosters vermochten die Kunde nicht verstummen zu machen, die 1775 hier aus einer Kerkerzelle über ganz Bayern hin scholl: die Kunde vom Tod des frommen und aufgeklärten Paters Nonnos Gschall, der wegen beider Eigenschaften seinen Klosterbrüdern verhaßt wurde und diesen Haß schwer büßen mußte. Verdacht der Ketzerei gab ihnen scheinbaren Grund, Gschall durch den Kettenhund des Klosters in einen scheußlichen Kerker zu hetzen. Und als er, seiner Haft wieder entlassen, entfernt lebenden Freunden sein trauriges Los und den Sittenverfall des Stiftes vertraute, wurden seine Briefe abgefangen, wurde er aufs neue ins Gefängnis geschleppt und so unmenschlich gepeinigt, daß er sich in Verzweiflung den Tod gab.

Laßt uns jetzt anlegen und den steil am Strom hinaufragenden Bogenberg hinan zu den Trümmern des Schlosses steigen, in dem einst die mächtigen Grafen von Bogen hausten, deren letzter, Albert, 1242 zu Oberalteich begraben wurde. Welche entzückende Aussicht über das gesegnete Flachland Bayerns bis zu den im blauen Duft schwimmenden Bergen, die den Horizont säumen, tut sich von der Höhe des Berges vor uns auf, der aus dem Höhenzug gegen das Ufer zu hervortritt! Ein Kranz von Trümmern schlingt sich um die uralte Wallfahrtskirche, die Aswin, Graf von Bogen, 1104 einem wundertätigen steinernen Muttergottesbild erbaute, das stromauf bis gen Bogen geschwommen war und auf einem Felsen standhielt. Die Salvatorkirche in dem »Hölzlein« auf dem Berg wurde 1413 dem entweihten Fronleichnam zu Sühne und Ehre erbaut; neun Jungfrauen ergaben sich dem beschaulichen Leben auf ebendiesem Berg, dessen Herren, die streitlustigen Grafen, oft ganz Bayernland durch Raub, Brand und Fehde in Schrecken setzten; so gut vertrugen sich frommer Wahn und Verbrechen! Auch der Marktflecken Bogen am Fuß des Berges besaß ein wundertätiges Heiligtum: einen Zahn Sankt Sebastians, über dem das gläubige Volk Wasser trank und dadurch ein Jahr lang vor aller Pestilenz gesichert zu sein wähnte.

Wir besteigen das Schiff wieder und steuern nun an den Dörfern Hermannsdorf, Ainbrach, Entau, Irlbach, welche wir am rechten Ufer erblicken, und an den Ortschaften Holzkirch, Hofweinzier, Anning, Pfelling, Lenzing, Albertskirchen, Waltendorf, hinter denen am linken Ufer die Berge emporsteigen, vorbei. Bei Wischelburg, das sich uns nun am rechten Ufer zeigt, sind alte Schanzen, die von einigen für Römerwerk gehalten werden; Wischelburg gegenüber gewahren wir Ferndorf. Dann schiffen wir zwischen Mariaposching (am linken) und Stephansposching (am rechten Ufer) durch, zwischen Hundeldorf und Steinkirchen, zwischen Sommersdorf und Bergheim, an Klein-Schwarzach und Zeideldorf vorüber, und erblicken auf den Höhen des linken Ufers Offenberg, Wolfstein, Neuhausen, Himmelberg und Kloster Metten, während am rechten vor uns, 300 Fuß hoch, der gewaltige Natternberg emporsteigt, auf dessen Gipfel noch die Trümmer des trotzigen Schlosses der Grafen von Bogen stehen, in dem Herzog Heinrich der Jüngere von Landshut, der Natternberger zubenannt, erzogen wurde.

Von diesem mitten aus der Ebene emporragenden Felsen erzählt das Volk, daß es ein Berg aus Welschland sei, den der Böse durch die Luft herbeigetragen habe, um die Donau zu dämmen und die Bürger von Deggendorf, wegen ihrer Gottesfurcht ihm verhaßt, durch Überschwemmung zu vertilgen. Schon war er nahe an Deggendorf, da klang das Ave-Glöcklein drüben im Kloster Metten, und ohnmächtig ließ der Böse den Felsen ins flache Land hinabfallen.

Über Kloster Mettens Ursprung erzählt die Legende, deren Spuren hier an der Donau fast jedes Dorf bewahrt, folgendes: Ein frommer Hirte zu Michaelsbuch, Gamelbert mit Namen, fand einst, unter einem Baum erwachend, ein Buch auf seinem Herzen, und nachdem der darin heiligen Unterricht gefunden hatte, wurde er Priester und weidete die geistliche Herde. Er pilgerte später nach Rom und taufte unterwegs einen Knaben Utto, der, als er herangewachsen war, zu ihm kam und von ihm zum geistlichen Hirten geweiht wurde. Später ging der fromme Utto über die Donau und diente Gott als Einsiedler an einer Quelle im Wald, die noch heute der Uttosbrunnen heißt. Dort traf ihn Kaiser Karl der Große, der sich im Weidwerk verirrt hatte, und gab ihm, andächtig betroffen von einem Wunder des Einsiedlers, eine Bitte frei. Utto bat, der Kaiser möge hier ein Kloster gründen, und Karl tat nach dem Wunsch des Siedlers. Das Stift starb 1134 durch die Pest aus und brannte 1236 nieder. Herzog Heinrich erneuerte es 1157, Herzog Otto 1264.

Zwischen Metten und dem Natternberg zeigt sich uns jetzt Deggendorf in einem lieblichen Tal, von sanften Hügeln umgeben, im Hintergrund durch einen höheren, mächtigen Bergwall geschützt; im breiten Bett rauscht die Donau stolz und majestätisch vorbei, und gern vergißt man bei diesem Anblick des harmonisch abgerundeten Landschaftsgemäldes, im Vollgenuß jener ruhigen Stimmung, die alles Vollendete in uns hervorbringt, die Schande des Judenmordes, der auf dieser freundlichen Stadt haftet und die, außer ihrer Eroberung durch Bernhard von Weimar (1633), Karl von Lothringen (1743) und Bathyany (1744) und außer den Greueln der Panduren, ihre ganze Geschichte ausmacht.

Jenes große Judenwürgen geschah 1337. Wie allenthalben im Mittelalter jede Seuche den vermeintlichen Brunnenvergiftungen durch Juden, jede Landplage dem Zorn Gottes über ihre erdichteten Frevel zugeschrieben wurde und der Pöbel, der sie um ihrer Reichtümer willen haßte, die uralte Anklage, daß sie Christenkinder kauften und mordeten und das Sakrament entweihten und höhnten, zu Vorwand und Anlaß nahm, sie zu verfolgen, zu plündern und zu vertreiben, so auch damals in Deggendorf. Ein altes Lied berichtet die Sage von diesem Greuel. Ein altes Christenweib hätte auf Betreiben eines Juden das Sakrament aus der Kirche gestohlen und jenem verkauft, der darauf die Hostie mit einer Ahle durchstochen, während ein anderer sie mit einem Hagedorn geritzt habe, aber der Hostie sei Blut entronnen, und daraus habe sich ein Knäblein entwunden. Darauf hätten die Juden das Sakrament in einen heißen Ofen geworfen, ohne daß die Flamme demselben zu schaden vermocht hätte; dann

... legt ein Jud es in seinen Mund
Das sacrament, die himel speis;
Gott in eines Kindleins weis'
Auf dem brot stund hindan.

Auch hätten, heißt es ferner, die Juden die Hostie, wiewohl gleichfalls vergebens, auf einem Amboß zerhämmern wollen und hätten in die Brunnen ihr »ketzerliches Gift« gelegt. Aber

Maria kam mit großem Leid,
Sie sprach: »Ihr falschen Juden blind,
Wie martert ihr mir mein liebes Kind?«
Mit ihr so kam der Engel Schar,
Ein Licht viel lauter und auch klar.
Der Juden Mord, das brach da aus.

Denn ein Wächter hörte Marias Klage und sagte den Herren vom Rat die Kunde. Alsbald verschworen sich die Bürger auf das Kruzifix, alle Juden zu vertilgen, und der Pfleger Hartmann von Degenberg kam vom Natternberg herab mit seinen Reisigen und half bei dem Blutwerk fleißig mit. Es war am Tage nach St. Michaels Fest. Alle Juden in der Stadt – Männer und Weiber, Greise und Kinder – wurden niedergemetzelt. Ihre Häuser flammten auf, und aus dem Feuer flog das Sakrament empor und ließ sich in eines alten, frommen Schmiedes Schoß nieder. Ein Priester von Niederalteich brachte es in die Kirche. Papst Innozenz VIII. verlieh den Wallfahrern zu den heiligen Hostien in Deggendorf vollständigen Ablaß, und seither strömten alljährlich zu Michaeli Tausende bis Zehntausende, ja Fünfzigtausende nach Deggendorf. Auch wurde das Ereignis alljährlich durch eine geistliche Komödie gefeiert; erst 1800 war die letzte! Dieser Judenmord zu Deggendorf entzündete auch zu Straubing, auch in Österreich die Häupter des fanatischen Pöbels. Weshalb die Erinnerung dieser Greuel in unseren Tagen wieder anregen – fragt ihr –, im Zeitalter der Humanität, da das Volk ja vernünftiger geworden sei? Wie? – Wähnt ihr, alle alten Schäden seien schon geheilt, weil sie zu vernarben anfangen? Und glaubt ihr weniger grausam und verrückt zu sein als eure Pöbelahnen, weil ihr, eine vornehm-gnädige Miene annehmend, den Juden, deren Geld ihr wie jene braucht, keine Scheiterhaufen mehr baut und – zu leben erlaubt? Auch sogar gegen ihre Emanzipation hättet ihr nicht soviel einzuwenden, wenn sie ihrerseits euch nur die unbedeutende Konzession machen wollten und aufhörten – Juden zu sein! Oder ist vielleicht die Rasse der Volksdummhalter ausgestorben, welche damals die Masse bearbeiteten und entflammten? Geht nur in Hütten und Häuser, und ihr werdet sie noch so eifrig und geschäftig wie jemals finden. Aber weil ihr euch gerne reden hört, haltet ihr eure Worte schon für Taten und vergeßt, leichtsinnig zu wachen und zu wirken. Geht, ihr seid Kinder und betrügt euch selbst. Humanität will nicht bloß gepredigt, gepriesen und erhofft – unermüdlich erwirkt will sie sein, dann kommt sie auf Erden!

Anderthalb Stunden nordwestlich von Deggendorf, zwischen Freienwalde, dem Kloster Metten und dem Burgstall Degenberg, steht in einer Lichtung des Waldes, auf einem Hügel Schloß Egg, eines der schönsten in Bayern; ein Abstecher nach diesem fast völlig erhaltenen Schloß, durch herrliche Waldeinsamkeit, lohnt die Mühe. Da stehen noch die Vorwerke, die Kemenaten, der Turm, in dessen tiefstem Grund man bei der Wiedereröffnung Menschengerippe in Ketten fand. Einst war Schloß Egg wohl ein Besitztum der gewaltigen Grafen von Bogen, denen von der Mündung des Regen bis zur Ilz alles untertänig war und die wahrscheinlich dessen Burghut lehnsweise den Eggern von Egg vertrauten. Von diesen hebt die Überlieferung vornehmlich Peter Egger, den Vizedomus zu Straubing, hervor. Dieser hatte im Zorn sich vermessen, den Schimpf seines Sohnes, der wider seinen Befehl gegen die Feinde anrannte und nach verzweiflungsvoller Gegenwehr feldflüchtig wurde, in dessen Blut zu tilgen; sein Wort zu halten, ließ er den Henker kommen, sprach dem Sohn das Urteil und rief, des Vaterherzens Regung bezwingend, dem Henker zu: »Verrichte dein Amt.« Da fiel ihm des Sohnes Haupt vor die Füße. Ein anderer Peter von Egg, der jungen Bayernfürsten Hofmeister, spielt in Bayerns Geschichte eine wichtige Rolle. Allezeit aber galt von den Eggern, was der Ehrenhold Johann Holland von ihnen schrieb:

Die Ekker von Ekk
Haben guet pfenning sekk
Gelert an alle schandt
Nach ern in dem lannt.

Gleich unterhalb Deggendorfs strebt die Isar mit zahlreichen Armen der Donau zu. Unserem Plan zufolge unterbrechen wir denn auch hier die Donaureise, um an der Isar stromaufwärts zu wandern, die herrliche Königsstadt, die sich an deren Ufern ausbreitet, zu betreten und weiter hinauf abermals bis ins Hochland zu dringen, dem sie entspringt.

Von Deggendorf nach München

Drei altbayerische Städte von geschichtlicher Bedeutung fordern uns auf dem Weg von Deggendorf nach München zu Rast und Betrachtung auf, jede von eigentümlichem Charakter: Landshut, Moosburg und Freising; Landau und Dingolfing, beide am rechten Ufer der Isar, liegen von unserer Richtung ab. Die Uferanwohner des blauen, rasch dahinbrausenden Alpenflusses sind frischer, kerniger, rüstiger als ihre Stammesnachbarn an der Donau, eifrig im Glauben und Aberglauben der Väter wie diese, dabei aber manierlicher von Worten und Wesen. Die Isargegenden erfreuen uns erst in Landshuts Nähe durch landschaftliche Reize; der Anblick dieser Stadt überrascht uns aufs angenehmste.

In heiterer, fruchtbarer Fläche breitet sie sich aus, von den Armen der Isar umschmiegt, an den Saum der Höhen gelehnt, von deren einer die alte Fürstenburg Trausnitz gar stattlich auf die lachenden Rebenhügel und bunten Triften in die reinlichen, freundlichen Straßen, aus denen der schlanke, zierliche Martinsturm 422 Fuß hoch emporragt, auf den schimmernden Strom und auf die Vorstadt »zwischen den Brücken« herabblickt. Fürwahr: wenige Städte gibt es im Vaterland, die wie Landshut eine so bestimmt ausgeprägte und doch so heitere historische Physiognomie tragen und wo der Charakter der Landschaft so harmonisch zu dem monumentalen stimmt, wo der Eindruck der Vergangenheit so wenig verwischt ist und sich doch so gut mit dem frischbewegten Leben der Gegenwart verträgt. Wohl mochten jene reichen und prachtliebenden Bayernfürsten sich hier gefallen, ihre Residenz nach den höchsten Begriffen des Zeitalters zu verschönern und zu dem alten Bergschloß, wo ihre Ahnen frohe Tage verlebten, den »Neubau« in der Stadt selber erhöhen, inmitten des lebenslustigen Volkes freudig zu wohnen; die Geschichte der Stadt und des Volkes hängt mit der der Fürsten innig zusammen. – Hier eine kurze Skizze derselben:

Herzog Ludwig, der Gatte der schönen und klugen Ludmilla von Bogen, erbaute die Stadt »zu des Landes Hut«, die wohl schon sein Vater Otto begonnen hatte; sein Sohn Otto der Erlauchte erbaute den schönen Fürstensitz auf der Bergeshöhe. Als Ottos Söhne Ludwig und Heinrich das Land teilten, erhielt Heinrich Niederbayern und wählte Landshut zur Residenz. Ludwig der Bayer gab der getreuen Stadt, deren Bürger am heißen Tag von Gammelsdorf so ritterlich gegen den stolzen Adel gefochten hatten, statt der Pickelhauben drei Ritterhelme ins Wappen und, als er die deutsche Krone trug, kostbare Privilegien. Nach seinem Tod teilten die Söhne das reiche Erbe; da empfing Stephan, »mit der Haft« zubenannt, Landshut; bei der Teilung des Landes unter seine drei Söhne gewann es Friedrich.

Nach dessen Tod herrschte zu Landshut sein Sohn, der junge Heinrich, in verschwenderischer Pracht, und böse Räte, welche seinen Leichtsinn nährten, besteuerten, alle Freibriefe der Stadt mißachtend, die Bürger so unerträglich, daß diese sich im geheimen Bund verschworen, die argen Räte zu vertreiben und dem Herzog bessere zu geben. Durch den Verrat der Bürgersfrau Susanne Röckl, die mit Ebran von Wildenberg, einem Höfling des Herzogs, Buhlschaft pflog, mißglückte der Plan, und blutig rächten sich die Räte. Aber dem jungen Fürsten fiel endlich die Binde vom Auge, er vertrieb die Ungetreuen, ordnete durch kluge Sparsamkeit seinen Haushalt und stellte auf Straßen und Wegen die Sicherheit her, daß es zum Sprichwort wurde, in seinem Lande könne ein Kind mit vollem Geldsäckel allenthalben wandern. Unter ihm wurde die Martinskirche gegründet, die sein Sohn Ludwig der Reiche, der Sieger bei Giengen, 1478 vollendete, der auch das neue Rathaus erbaute.

1475 wurde zu Landshut die Hochzeit Herzog Georgs, seines Sohnes, mit Hedwig von Polen mit unerhörter Pracht begangen; der zeitgenössische Klosterschreiber von Seligental weiß nicht genug davon zu erzählen, wie viele edle Herren, geistliche und weltliche, aus Polen und Bayern, Schwaben, Franken und Österreich dazu gekommen waren, wie der römische Kaiser Friedrich III. mit seinem Sohn, dem ritterlichen Max, wie Albrecht Achilles, der Markgraf von Brandenburg, wie die drei Herzöge von München, die Pfalzgrafen, der Württemberger und viele andere als Gäste erschienen, wie der Kaiser selbst die Braut zum Altar und zum ersten Tanz geführt und wie beim Turnier Herzog Christoph den stolzen Polen in den Sand geworfen habe; wie acht Tage lang Gastereien gegeben worden sind und die Feste 70 766 Dukaten gekostet haben.

Als die Landshuter Linie mit diesem Georg dem Reichen 1503 erloschen war, entbrannte furchtbarer Zwist um das Erbe, bis Albrecht IV. alle lang auseinandergerissenen Teile Bayerns wieder vereinigte und für ewige Zeiten mit dem Recht der Erstgeburt die Untrennbarkeit Bayerns stiftete. Von da an tritt Landshut mehr in den Hintergrund, obwohl manche Bayernfürsten auf kürzere oder längere Zeit zu Landshut im Neubau oder auf der Trausnitz Hof hielten. – Den Dreißigjährigen wie den Spanischen und den österreichischen Erbfolgekrieg und die Kriegsnöte unseres Jahrhunderts empfand Landshut schwer genug. Die nun nach München übergesiedelte Universität wurde im Jahre 1800 von Ingolstadt provisorisch nach Landshut verlegt.

siehe Bildunterschrift

Landshut

Von alten Bauten in Landshut erregt vor allen die Stiftskirche Zum Heiligen Martin mit ihrem herrlichen Turm die Aufmerksamkeit des Kunstfreundes; eine durchaus heitere Stimmung ist's, die der Anblick dieses kühn strebenden alten Bauwerks in uns hervorbringt; sind die Türme an den Domen zu Wien und Straßburg den Stämmen von Riesenbäumen zu vergleichen, so darf man den Martinsturm zu Landshut den schlanken Schaft Wunderblume nennen, von dem du in jedem Augenblick erwartest, daß Blüten aus ihm treiben. Die Kirche mißt 254 Fuß in der Länge, 78 in der Breite, 99½ in der Höhe. – Ein anderer schöner Kirchenbau ist der zu St. Jodokus in der Neustadt, gegründet 1338; der Turm dieses Gotteshauses verjüngt sich gleichfalls pyramidalisch. Die Heiliggeistkirche wurde im Jahre 1412 begonnen und 1461 vollendet. Der fürstliche »Neubau« wurde von 1536 bis 1543 durch Herzog Ludwig, Wilhelms IV. Bruder, erbaut, 1780 durch Karl Theodor teilweise erneuert. Das Nonnenkloster Seligental in der Vorstadt zwischen den Brücken stiftete Ludmilla, Ludwigs I. Witwe, nach der Ermordung ihres Gatten auf der Kelheimer Brücke; in diesem Kloster fanden von 1259 bis 1579 29 Fürstenleichen ihre Ruhestätte. »Als 1729 die Kirche neu erbaut wurde, so geschah auf Einraten des dortzeitigen Beichtvaters Augustin Hochholzer, daß die zinnernen Särge alle ausgeleert wurden, aus denselben wurden Leuchter auf die Altäre gegossen; ein einziger wurde aufbehalten, mit einigen Schädeln und Knochen angefüllt, und dieser steht noch wirklich unter dem Mausoleum, die ganze Gruft aber wurde eingeworfen«, schrieb 1783 der Pater Balduin Wurzer. Siehe Hormayers »Historisches Taschenbuch für 1830«.

Zwei Stunden Weges von Landshut liegen die Trümmer der Burg Wolfstein und unfern davon die Gretelmühle. Auf jener Burg saß einst Herzog Otto, der Sohn Kaiser Ludwigs des Bayern, der die Mark Brandenburg um eine Summe, mit der (nach des Volkes Witz) kaum die Glockenseile der märkischen Kirchen bezahlt waren – um 200 000 ungarische Gulden –, an Kaiser Karl IV. verkauft hatte. Vom Wolfstein ging er oft herab zur schönen Margarete in die Mühle, und als sie einen anderen freite, da bepflanzte der Herzog den Weg dahin mit Bäumen und Rosensträuchern.

Unser Weg führt uns, sobald wir Landshut verlassen und gen Moosburg südwestwärts weiterziehen, an der Burg Kronwinkel, der Wiege der Grafen von Preising, vorbei, und bald erreichen wir Moosburg, das Aventin für die älteste Stadt in Bayern (nach Regensburg) erklärt; bereits im achten Jahrhundert war hier ein Kloster, und Kaiser Arnulf erhob die Stadt zu einer königlichen. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stiftete Bischof Otto der Große von Freising in der Münsterschule zu Moosburg eine gelehrte Gesellschaft. Von Moosburg schrieben sich eigene Grafen, deren Stamm 1284 ausstarb. 1468 wurde die Kirche des heiligen Kastulus vergrößert, dessen Reliquien um 826 von Rom nach Moosburg gebracht worden waren; das Chorstift wurde durch Max I., Herzog von Bayern, 1599 nach Landshut verlegt. – Eine Meile von Moosburg liegt das Schlachtfeld Gamelsdorf, auf dem Ludwig der Bayer am 9. November 1313 gegen Friedrich den Schönen und die trotzigen Ritter von Niederbayern den entscheidenden Sieg gewann; Ludwig gab zum Andenken desselben der Stadt Moosburg die drei Rosen des erloschenen Geschlechts der Grafen von Moosburg ins Wappen (wie Straubing die bayerischen Rauten, Ingolstadt den blauen Panther und Landshut die drei Ritterhelme). Eine Stunde von Moosburg, an der Mündung der Amper in die Isar, jenseits des erstgenannten Flusses, steht das Schloß Isareck.

Über Marzling nähern wir uns jetzt der alten Bischofsstadt Freising. Aus der weiten Ebene, deren Saum in duftiger Ferne die Alpen des Hochlands begrenzen, erheben sich zwei Berge, auf deren einem sich Weihenstephan zeigt; der Scheitel des anderen trägt als herrliche Turmkrone den Dom, das Schloß, die Benediktuskirche; am Fuß beider Berge liegt die Stadt, und zwischen beiden durch öffnet sich die Aussicht auf München, das sich durch die beiden Liebfrauentürme uns ankündigt. Der Anblick Freisings im großen wie in allen Details erinnert uns, daß hier einst der Krummstab mächtig herrschte. Das weiland geistliche Fürstentum Freising umfing auf 15 Quadratmeilen das Hochstift mit der Stadt, die Herrschaft Burgrain und die Grafschaft Ismaning und Werdenfels, dazu 12 Hofmärkte und Güter in Österreich, Steiermark, Tirol und Krain; des Fürstbischofs Hofstaat bestand aus den vier Erbämtern des Hochstifts, seine geistliche Gerichtsbarkeit reichte bis an die von Salzburg und Passau, von Brixen, von Augsburg und von Regensburg. Das Bistum führte einen Mohrenkopf im Wappen (ursprünglich das Haupt des heiligen Korbinian), die Stadt Freising einen braunen Bären im goldenen Feld, der rotes Gepäck auf dem Rücken trägt.

Die Legende vom Ursprung dieses Wappens charakterisiert Freisings Bedeutung für die Gesittung Bayerns auf naiv-humoristische Weise. Als der heilige Korbinian, so erzählt die Legende, nach Rom reiste, wurde bei seiner nächtlichen Rast sein weidendes Packpferd von einem Bären angefallen; Korbinians Gefährte, Bruder Anseridus, berichtete voll Angst dem Heiligen die Gefahr; dieser aber gebot ihm im festen Vertrauen, den Bären zu peitschen und demselben das Gepäck aufzuladen; und – siehe da! – das wilde Tier tat zur Stelle gehorsam nach des Heiligen Willen. – Wohl waren jene Glaubensboten, die aus fernen Landen kamen und Deutschlands Christianisierung und Kultivierung vollbrachten, jenen Heroen des klassischen Mythos zu vergleichen, deren Gesang die reißenden Tiere bändigte und Steine bewegte, daß sie sich zu Mauern zusammenfügten.

Schon im dritten Jahrhundert soll auf dem Berg zu Freising ein Gotteshaus gestanden sein; im achten war Freising bereits eine Stadt, die Residenz des Herzogs Grimoald vom Geschlecht der Agilolfinger, der sich hier mit Pilitrudis, der Witwe seines Bruders Theobald, vermählte. Da kam Korbinian, der Heilige, der schon früher an den Höfen zu Regensburg und Freising gewesen war, von einer Pilgerfahrt gen Rom zu Grimoald, der ihn bat, die Kirche in Freising zu verwalten; der fromme Mann weigerte sich dessen, solange der Fürst in jenem blutschänderischen Ehebund lebe. Darum haßte und verfolgte ihn Pilitrudis, daß er vor ihrem Zorn gen Maies in Tirol flüchten mußte. Als aber Grimoald 725 meuchlerisch ermordet, Pilitrudis durch Karl Martell nach Frankreich gebracht und durch eben denselben der fromme Hugibert als Herzog eingesetzt worden war, kam Korbinian wieder und blieb als Bischof in Freising bis an sein Ende; sein Bruder Erimbert folgte ihm im geistlichen Amt. Der berühmteste der Bischöfe Freisings ist Otto der Große, der Sohn Leopolds des Heiligen, Markgrafen von Österreich, der voll frommen Eifers die Kirchenzucht in den Klöstern reformierte, zuerst die Werke des Aristoteles aus Paris nach Deutschland brachte und ein Jahrbuch der Welt sowie die Geschichte Friedrich Rotbarts, seines Neffen, schrieb, die der Chorherr Radevicus fortsetzte.

Der Dom zu Freising soll über einem Heidentempel erbaut sein, wo noch heute das auf dicken, kurzen, uralten Säulen ruhende Gewölbe der Krypta gewiesen wird, über der sich nun der Chor befindet. Der älteste Bau dieses Gotteshauses brannte 903 nieder, wurde durch Bischof Waldo, dem Ludwig das Kind zur Bestreitung der Baukosten Föhring schenkte, wiederhergestellt, blieb aber 955 beim Brand der Stadt (durch die Ungarn) unversehrt. Bischof Abraham erbaute 992 einen zweiten Turm; Bischof Mauritius stellte 1564 den 1563 ausgebrannten Turm wieder her; die Bischöfe Veit Adam und Johann Franz gaben der Kirche ihre gegenwärtige Vollendung; der Dom bewahrt das Andenken des frommen Torwarts Seemoser, der den Armen häufig Brot verteilte und, als er einst von seinem Bischof mit der Frage, was er unterm Kleid verberge, überrascht wurde, drei Brote, die er darunter trug, für Steine ausgab; als er sie zeigen sollte, siehe, da waren sie wirklich zu Stein geworden.

Nahe dem Dom wurde, wie die Tradition versichert, die durch Otto von Maxlrein im 14. Jahrhundert erneuerte Benediktinerkirche erbaut. Zwischen dem Dom und dem Residenzschloß der geistlichen Fürsten stand deren Hofkapelle, die durch Bischof Konrad III. mit einem Chorstift begabte Johanniskirche. Reich war, wie man sieht, in dieser Bischofsstadt das Seelenheil der Gläubigen bedacht worden; denn noch ein anderes Chorstift, das zu St. Andreas, erhob sich am Abhang des Berges, nordwärts vom Schloß gegen die Stadt; in der Niederung zwischen den beiden Bergen wurde die St.-Georgen-Pfarrkirche besucht, weiter hinauf am Abhang des zweiten Berges stand das Chorstift Sankt Veit, über demselben auf dem Gipfel des Berges Weihenstephan, wo der Sage zufolge früher eine Burg war, in der Pippin herrschte, und eine Kapelle; an der Straße nach Moosburg aber gründete Bischof Otto der Große das Neustift für Prämonstratenser; mehrere andere Kirchen und Klöster, die seit den ältesten Zeiten in Freising gestanden haben, verschwinden in diesem Wald geistlicher Institute.

Von Moosburg an, neben Freising, längs der Isar hin, bis Erding im Osten und Ismaning im Süden breitet sich die öde Fläche des Erdinger Mooses aus. Wer sollte in dieser trostlosen Gegend, wo die Natur sich in einem traurigen Mittelzustand wie zwischen Schlafen und Wachen, wie zwischen Leben und Sterben befindet, die Nähe einer Königsstadt vermuten, deren Straßen von einer doppelten Bevölkerung wimmeln: von der eingeborenen, die ihren überkommenen nationalen Charakter treu und fest behauptet, und von einer fremden, deren eine Hälfte durch zahllose Kunstwerke das alte München für ewige Zeiten verjüngt, während die andere Hälfte aus Gästen besteht, die aus allen Ländern nach diesem jungen München herbeiströmen, um die Triumphe der aus langem Todesschlaf zu neuem Leben wiedererwachten deutschen Kunst zu bewundern.

Zwei Stündchen, bevor wir München erreichen, gewahren wir rechts vom Wege ab das Schloß Schleißheim, das die früher weit genannte Galerie enthält, deren kostbarste Schätze, vor allen die Boisseréesche Sammlung, jetzt in der Pinakothek mit den früher im Hofgartengebäude aufbewahrten Gemälden vereinigt sind, die jedoch in 47 Sälen noch immer eine ungeheure Menge interessanter älterer und die früher in den königlichen Galerien verteilten Gemälde neuerer Meister enthält; Kurfürst Max Emanuel ließ dem älteren Schloß gegenüber das prachtvolle neue mit 205 Gemächern von 1684 bis 1700 durch Heinrich Zuccali erbauen.

München

München ist ein wahres Glückskind unter Deutschlands Städten, und ein Rätsel zugleich. Ein Glückskind – denn aus allen Nöten und Gefahren, schnell wie langsam wirkenden, ging es stets nur um so frischer, gesünder und gefesteter hervor. Ein Rätsel, was seinen Charakter betrifft; denn nirgend anderswo stehen sich die schroffsten Extreme so duldsam nahe wie in München; nirgendwo anders wie hier erhält sich der alte, der historische Typus so stattlich neben den alles ausgleichenden, weil alles versöhnenden, alles im Brennpunkt der menschheitlichen Einigung und Einheit zusammenfassenden Ideen der sich selbst klargewordenen Gegenwart, denen eben in München die Grundbedingungen eines großen Sieges allmählich heranwachsen, während jener mittelalterliche Partikularismus, der mit der heiligen Frage der Nationalität gar zu gern gemeinschaftliche Sache macht, andererseits München als chemischen Herd sich zu erhalten strebt. Glyptothek und Allerheiligenkirche – Görres und Kaulbachs Narrenhaus: welche Gegensätze! Und doch nur scheinbare – nur Gegensätze für den Moment. Wir kommen auf die Kontraste einer »Weltkunst« (der Vorläuferin einer Weltliteratur) zur Ausschließlichkeit der Nationalität (und nicht der bloß bayerischen, sondern der deutschen) zurück! Hier ist der Schlüssel zu dem Rätsel. Denn die Kunst, die lang auf irren Wegen gegangen ist, fand an dem Begriff »Vaterland« den ersten Halt, die feste Marksäule; und von den großen, weltgestaltenden Charakteren, die sie im Vaterland vorfand, von den Elementen des deutschen Nationalcharakters, in denen sie wie in einem Flammenbad ihre Wiedergeburt gewann, schritt sie, ihrer selbst sich bewußt geworden, der Erfüllung ihrer großen, über die Marken des Vaterlands hinausreichenden Mission entgegen. Das begriffen anfangs die Münchner selbst, das begriffen die übrigen Deutschen nicht so bald. Wie der deutsche Norden für alle Entwicklungsphasen der Wissenschaft, so wurde München der Schoß für alle der deutschen Kunst; die widerstreitendsten Elemente verbinden sich unter der Aufsicht eines Meisters, mit dem trotz alles Eifers kein irdischer eine Konkurrenz aushalten kann, zur Hervorbringung einer neuen Welt, die Romantik der Malerei und die Klassizität der Baukunst – Mystik und Rationalismus, Konservatismus und Liberalismus. Die urweltlichen Giganten des Cornelius, die Heiligen des Heinrich von Heß, die Fürsten Schwanthalers wirken einander zur Vollbringung eines großen, neuen, unentdeckten Ziels in die Hände, und überall ist es nicht die Rücksicht auf Form und Mode, sondern die Begeisterung für die Idee, wodurch in jedem Kreis Vollendetes wird. Alle Richtungen aber, sowenige dies auch ahnen, treffen zusammen in der Ahnung einer Kunst, die weder klassisch noch romantisch, sondern das sein wird, was die Kunst stets in den Epochen ihrer Blüte für ihre Zeit war und sein muß – nämlich eine durchaus moderne, eine solche (fügen wir, um nicht mißverstanden zu werden, hinzu), die, auf dem Gipfel der Ideenhöhe der Zeitgenossen stehend, den ganzen menschheitlichen Gehalt der Epoche zusammenfaßt und dadurch für alle Zeiten bleibt, daß sie in der Gegenwart das geistige Miteigentum eines jeden ist.

Wir wiederholen es geflissentlich, daß wir die Anfänge einer solchen Kunst nur auf dem Boden der Nationalität, wenn auch nicht auf dem feudalistischen, sehen, daß wir darin die einfache und natürliche Lösung aller Widersprüche erkennen, die jenen, die bloß einseitig bewundern oder verdammen oder verzweifeln, zur Zeit noch unvermittelbar erscheinen. Und gewiß wird, so wie in München allein sich die moderne Kunst in voller Bedeutung dieses Wortes aus den bereits abgeschlossenen Bestrebungen und Richtungen entwickeln wird, auch der Volkscharakter mit dem artistischen Charakter der Stadt einst noch zum schönen Ganzen verschmelzen, so schroff sich auch noch zur Zeit beide entgegenstehen mögen. Darum rede man von keiner bloß bayerischen Kunst; die Kunst der europäischen Menschheit ist's, die hier ihren Anfang genommen hat, aus Geschichte, Religion und – was das Wichtigste ist – aus dem Bewußtsein. Die Entwicklung des Menschengeschlechts schreitet leise und unmerklich, aber um so sicherer stets voran, und keine Macht auf Erden vermag sie aufzuhalten oder rückgängig zu machen; sie verwandelt selbst das Widerstrebende in Fördernisse, und das Tote benützt sie nur als Dammerde; das ist unsere Hoffnung und unser Glaubensbekenntnis, wenn irgend jemandem daran gelegen sein sollte, es zu erfahren: wir glauben an den Heiligen Geist! Doch laßt uns jetzt einen Blick auf Münchens Geschicke vom Ursprung bis in die neueste Zeit werfen und dann bei einer Rundschau sämtlicher dort entstandener Kunstschöpfungen im Detail wieder auf die oben ausgesprochenen Hoffnungen zurückkehren, so wird sich das Charakterbild der merkwürdigen Stadt in voller Klarheit vor uns entwickeln.

Mit Bestimmtheit wird München erst zur Zeit Heinrichs des Löwen in der Geschichte genannt. Schon früher erwähnten wir, wie Ludwig das Kind dem Bischof Waldo von Freising zur Bestreitung der Baukosten des abgebrannten Freisinger Doms den Hof Föhring geschenkt hat. Die günstige Lage Föhrings bestimmte die Freisinger Bischöfe, dort eine Brücke, eine Münzstätte, ein Zollhaus und eine Salzniederlage anzulegen; Otto der Große, Bischof von Freising, erhielt von seinem Stiefbruder, Kaiser Konrad, 1140 für Salzhandel und Münzstätte einen ausschließlichen Freibrief, wodurch das Herzogtum nicht unbedeutend benachteiligt wurde. Heinrich den Löwen verdroß dieser Zwang auf eigenem Boden, und so überfiel er 1158 Föhring, zerstörte den Flecken und die Brücke und brachte das Salz eine Stunde aufwärts an der Isar nach dem Dörflein »Munichen«, wo er Zollhaus, Brücke, Münzstätte und Salzniederlage gründete. Auf die Klage des Bischofs Otto erfolgte der Bescheid, daß der Herzog ihm den dritten Teil der Einkünfte überlassen sollte. Bald danach wuchs der kleine Ort heran; schon im Jahre 1164 hatte München eine bürgerliche Verfassung. Unter Herzog Otto dem Erlauchten traten 1134 zu München alle Bischöfe Bayerns zusammen; 1259 beging dessen Tochter Elisabeth, die Witwe des deutschen Königs Konrad, die Mutter Konradins, hier ihre Hochzeit mit Meinhard, dem mächtigen Grafen von Görz und Tirol. Als nach dem Tod Ottos des Erlauchten Bayern unter dessen Söhnen geteilt wurde, wählte Ludwig der Strenge, der Gatte der unglücklichen Maria von Brabant, München, wo er sich eine Burg – den »Alten Hof« – zu seinem Fürstensitz erbaute. Da wuchs die Stadt schön heran; noch schöner in den Tagen Ludwigs des Bayern, der es den wackeren Bürgern dankbar vergalt, wie treu sie, die Sauerbäcker vor allem, in der Ampfinger Schlacht für ihn gestritten hatten. Von ihm stammen der Schrannenplatz und ein neuer Bau der Burg; er gab der Stadt den wichtigen Salzzoll und – ein treuer Pfleger der jungen Blüte des deutschen Volkstums – Rechte und Gesetze, auf deren guter Grundfeste sich, fester als die neuen Ringmauern, die die erweiterte Stadt umgürteten, der Bau der bürgerlichen Freiheit erhob.

siehe Bildunterschrift

München

Unter des edlen Kaisers Nachfahren nahm München immerfort zu. Herzog Siegmund, von dem die Chronik erzählt, wie wohl ihm war »mit schönen Frauen und weißen Tauben, Pfaffen und Meerschweinlein«, baute von 1468 bis 1488 statt der kleineren alten die große neue Liebfrauenkirche. Unter Albrecht V. begann für München eine neue Ära, ein Vorspiel der gegenwärtigen, eine Ära des geistigen Lebens – Kunst und Wissenschaft begannen an seiner Seite zu herrschen, die Bibliothek, die Schatzkammer, der Antikensaal, die Galerie sind Albrechts V. Stiftungen, die Wilhelm V. treulich pflegte, unter dessen Herrschaft das Kolleg und die bewunderte Kirche der Jesuiten 1583-1591 und die Maxburg entstanden. Maximilian (der erste Kurfürst) erbaute die weitläufige Residenz, auf sein Geheiß schuf Peter Candid allenthalben Denkmäler, welche die Bewunderung der Zeitgenossen erregten und noch heute dem Meister unsere Achtung erhalten.

Wohl litt auch München unter den Drangsalen des Dreißigjährigen Krieges – 1632 zog der Hort der deutschen Glaubensfreiheit, Schwedens Heldenkönig Gustav Adolf, als Sieger in die Hauptstadt jenes Fürsten ein, der mit der glühendsten Begeisterung wie mit eherner Treue und Ausdauer für die Existenz des Katholizismus in Deutschland focht. Maximilian I. stellte, bis zum letzten Augenblick an seinem frommen Werk schaffend, Altbayerns historisch-religiösen Charakter für immer fest, der in München wie im Brennpunkt zu erkennen ist und selbst durch die durchgreifende Maßregel der Klösteraufhebung weder in Wesen noch Form verändert werden konnte.

Nirgends anderswo in Deutschland entfaltet der Katholizismus seine ganze imposante Pracht und Majestät wie in München; der heitere Boden der Sinnlichkeit, den er überwölbt, war fruchtbar, daß in unseren Tagen die Wunderwerke der Kunst daraus keimen, blühen und reifen konnten. Wie die Religion mit der Geschichte des Volkes zusammenwuchs, wurde diesem die Geschichte zugleich heilig, und sein Stolz verteilt sich auf die unbefleckte Reinheit seines von den Vätern ererbten Glaubens und auf die Erhaltung der Sitten und Bräuche der Väter, auf den Namen Altbayern; wenige deutsche Volksstämme haben sich so unvermischt behauptet, und wenige wachen so eifrig darüber, es zu bleiben. Die ursprüngliche Derbheit und Tüchtigkeit des Charakters aber, die sich nie und nirgends verleugnet, hat das Volk vor den Krebsschäden des Mystizismus und Pietismus bewahrt, die sonst so häufig unterm Verband der Religiosität fortwuchern; im Münchner Volk gedeiht die Pflanze Muckertum nicht, es kennt sie nicht einmal dem Namen nach.

Doch zurück zu unserer historischen Skizze, die – wie man sieht – weniger das Verhältnis der Geschichte der Stadt zu jener des Landes umfassen, als vielmehr das allmähliche Wachstum der ersteren verfolgen sollte. Unter Ludwig dem Strengen war die bereits in vier Viertel geteilte Stadt noch auf dem engen Raum zwischen dem Talbrucktor (wo jetzt die Passage des Rathauses) und dem Oberen Tor (wo jetzt der Gasthof Zum Schwarzen Adler), zwischen dem Schwabinger Tor (wo jetzt der Gasthof Zum Goldenen Hahn steht) und dem Sendlinger Tor (damals am Anfang der Sendlinger Straße, wo später der Ruffiniturm war) beschränkt. Vierhundert Jahre später hatte sie fast den völligen Umfang wie zu Anfang dieses Jahrhunderts, bevor die schönen neuen Quartiere sich erhoben. Kurfürst Ferdinand Maria erbaute die Hofkirche der Theatiner Zum Heiligen Kajetan, Maximilian Joseph III. gründete die Akademie der Wissenschaften, Karl Theodor erbaute die Alte Galerie im Hofgarten und ließ durch Rumford den Englischen Garten anlegen. Von Maximilian Joseph IV. (nachher König Max I.) datiert die neue freundliche Physiognomie Münchens; was er für München gewirkt hat, lebt noch in allen Herzen; die frischen Kränze, mit denen ihr sein Standbild geschmückt findet, bekunden ausdrucksvoller als alle Worte, was er seinem Volk, was er seinem München gewesen ist – ein Vater, der seinen Kindern echte Liebe nicht durch Verzärtelung, der sie ihnen durch die kostbarsten Palladien, die er ihnen übergeben konnte, durch die Verfassung und durch die Aufklärung, beweisen wollte. Ihm war die Majestät, deren Pflichten er treu erfüllte, das süße Recht des Vertrauens, und dieses wohlverdiente Recht genoß er in vollem Maße. – Was München dem jetzt herrschenden König verdankt, steht euch vor Augen, wie ihr die prachtvollen neuen Straßen durchwandelt und vor den Tempeln sinnend verweilt, die er der Kunst, der Wissenschaft und der Religion erbaut hat.

Laßt uns, da wir Münchens Kunstdenkmäler beschauen wollen, zuerst die der Vergangenheit angehörigen betrachten und uns dann erst zu jenen wenden, auf deren Schöpfung die Neuzeit mit Recht stolz sein darf.

Zuerst besuchen wir die Frauenkirche, deren Erbauungszeit wir bereits erwähnten; eingeweiht wurde sie am 14. April 1494. Dieses Gotteshaus ist ganz aus doppelt gebrannten Backsteinen im späteren altdeutschen Stil erbaut und entbehrt in seinen Außenseiten all jenen Zierat, den wir sonst bei deutschen Kirchenbauwerken antreffen, und der aus denselben den Eindruck von Leichtigkeit, Kühnheit und Majestät für uns erwirkt. Die Kirche mißt 336 Fuß in der Länge, 180 in der Breite, 230 in der Höhe bis zum First des Daches; die beiden viereckigen Türme, die sich an der westlichen Seite der Kirche erheben und oben durch geschmacklose Kuppeln geschlossen werden, sind ebenso hoch, als die Kirche lang ist. Das Innere enthält drei Schiffe mit 22 Pfeilern, die Kapellen stehen in gleicher Höhe mit den Schiffen; dreißig Fenster, jedes 70 Fuß in der Höhe messend, prangen mit Glasmalerien aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Des Baumeisters Name ist unbekannt, den Namen des Meisters, der die Maurerarbeit leitete, bewahrt eine Schrift unter seinem Bild am südlichen Pfeiler des Orgelchors: Jörg Gankoffer von Hasibach († 1488); ein anderes Bild stellt den Zimmermeister vor, der den Dachstuhl der Kirche so kunstvoll fertigte, daß er einen gezimmerten Balken hinterließ, der dort noch fehle, ohne daß zu gewahren sei, wo. Ein anderes Wahrzeichen ist die marmorne Fußstapfe im Pflaster unter dem Orgelchor; von diesem Standpunkt aus ist keines der dreißig Fenster zu sehen. Die Kirche bewahrt die Gebeine des heiligen Benno, den München als Schutzpatron verehrt, den Kardinalshut des bekannten Wiener Bischofs Melchior Kiesel (eines Bürgersohns aus München), die Türkenfahne, die der Kurfürst Max Emanuel bei Griechisch-Weißenburg gewann, alte Chorstühle (vom Ende des 15. Jahrhunderts) und mehrere Gemälde, deren Kunstwert im Durchschnitt nicht hoch angeschlagen werden kann.

Das interessanteste Kunstwerk im Innern der Kirche ist Kaiser Ludwigs des Bayern Monument, das sich unter dem durch den Kurfürsten Max I. erbauten Triumphbogen erhebt. Ebenderselbe ließ jenes Monument, dessen Errichtung schon Albrecht V. und Wilhelm V. beschlossen hatten, nach dem Entwurf seines Hofmalers Peter Candid von Brügge durch den Bildhauer und Erzgießer Johann Krumpter von Weilheim 1622 ausführen. Vier bewaffnete Hüter aus Erzguß umgeben kniend einen Sarg von dunkelrotem Marmor; zwischen ihnen stehen die Erzbilder Albrechts V. und Wilhelms V.; auf einem Kissen liegt die Krone, zwei sitzende weibliche Gestalten tragen Szepter und Reichsapfel, Schild und Schwert. Auf dem oberen Sims steht die Inschrift: »Ludovico. Quarto. Imperatori. Augusto. Maximiiianus. Bavariae. Dux. Sac. Rom. Imp. Elector. Jubentibus. Alberto. Quinto. Avo. Guilielmo. Quinto. Parente. Posuit. Anno. Sal. M. D. C. XXII.«

Durch Öffnungen, die im Marmor ausgehauen sind, sieht man einen Stein mit Hochreliefs, der einst wohl die Fürstengruft bedeckte. Die Hochreliefs stellen den Kaiser Ludwig im Krönungsornat auf dem Thron unter einem von Engeln gehaltenen Baldachin, einen älteren Mann und einen Jüngling dar, welche sich die Hände reichen; beide Gestalten, die gemeinhin als die der Kaiserin Beatrix und Stephans mit der Haft gelten, hält E. Förster in seiner Beschreibung Münchens »München. Ein Handbuch für Fremde und Einheimische etc.« von Dr. Ernst Förster. München, in der literarisch-artistischen Anstalt. für Bildnisse des Herzogs Ernst und dessen Sohnes Albrecht (des Vaters Siegmunds, der die Frauenkirche erbaute) und bezieht die Bedeutung der Darstellung auf deren Versöhnung nach dem durch den Mord der Bernauerin entbrannten Krieg. Die irdischen Reste des großen Kaisers ruhen mit jenen seiner Gattin Beatrix, Stephans mit der Haft, Ernsts und seiner Gattin Elisabeth, Siegmunds, des Kirchenerbauers, Albrechts IV. und Kunigundes, Ernsts II. (Erzbischof zu Salzburg) und Wilhelms IV., die Kurfürst Max I. 1622 in einem großen Sarg vereinigte, in der alten Fürstengruft (vor dem Chorgitter), in der auch Albrecht V., Ferdinand, seine Tochter, Johann Franz, Albrechts VI. Sohn, dessen Tochter Maria Renata und Kardinal Philipp, Wilhelms V. Sohn, beigesetzt wurden.

Wir verlassen jetzt die Frauenkirche und besuchen die ehemals den Jesuiten gehörige Hofkirche zu St. Michael. Wolfgang Müller erbaute sie mit aller Pracht der Dimensionen und Ornamente, die damals auf Kosten des guten Geschmacks herrschte, unter Herzog Wilhelm V. 1583-91. Der Umstand, daß der Turm noch während des Baues (1509) einstürzte, mag wohl später die Sage veranlaßt haben, die man noch heute dem Fremden erzählt, wenn dieser über die Breite des kühn gesprengten Gewölbes staunt, daß nämlich der Meister, nachdem sein Werk vollendet war, in der Kirche eines Morgens ein fürchterliches Krachen gehört habe und, in Verzweiflung besorgt, daß der ganze Bau einstürzen werde, heimlich entflohen sei. Die Fassade der Kirche ist von oben bis unten mit marmornen Fürstenstatuen und zwischen den Toren mit einer Erzgruppe, »St. Michael, den Fürsten der Hölle besiegend«, geschmückt. Im Inneren der Kirche überrascht den Kunstfreund ein herrliches Werk Thorwaldsens, das marmorne Monument Herzog Eugens von Leuchtenberg. Auf dem hohen Sockel sieht man zwei Genien (von Mayer), die eine Tafel mit folgender Inschrift tragen:

HEIC. PLACIDE. OSSA. CVBANT.
EVGENII. NAPOLEONIS.
REGIS. ITALIAE. VICES. QVONDAM. GERENTIS.
NAT. LVTET. PARISIOR. D. III. SEPT. MDCCLXXXI.
DEF. MONACHII. D. XXI. FEBR. MDCCCXXIV.
MONVMENTVM. POSVIT. VIDVA. MOERENS.
AVGVSTA. AMALIA.
MAX. IOSEPH. BAV. REGIS. FILIA.

Auf diesem Sockel steht vor der Pforte des Grabes der Herzog als Heros, nackt, nur die Toga auf der Schulter und um die Lenden, den Lorbeerkranz in der gesenkten Rechten, die Linke auf dem Herzen, zu seinen Füßen die Waffen. Seines Lebens Wahlspruch, den Schlüssel zu seinem Charakter, verkünden die Worte über seinem Haupt: »Honneur et fidélité!« Klio, zu seiner Rechten sitzend, schreibt seine Taten auf ihre Tafel, zu seiner Linken umschmiegen sich traut die Genien des Todes und des Lebens (der Unsterblichkeit). – Unter dem Chor befindet sich die zweite Fürstengruft, in die geheime Treppen von den ersten Seitenaltären hinabführen. In dem Totensaal ruhen außer mehreren anderen fürstlichen Personen Wilhelm V. und seine Gattin Renata, Maximilian I. und seine beiden Gemahlinnen, Maximilian Philipp und seine Gattin.

Die Michaelikirche scheint uns von allen älteren Kirchenbauten Münchens insofern die interessanteste, als der Charakter ihrer Struktur und ihrer Ornamente uns lebhaft in die Zeit ihrer Erbauung zurückversetzt, deren Einfluß im Volk, wie wir bereits früher erwähnten, noch immer nicht zu verkennen ist. Die verschwenderische Pracht und das blendende Schaugepränge, womit die klugen Jesuiten den Ritus umgaben, dessen Herren sie mehr als Diener waren, Bei der Einweihung der Kirche 1597 ließen die Jesuiten vor derselben eine geistliche Komödie aufrühren: »Die Besiegung der höllischen Heerscharen durch die himmlischen«, wobei nicht weniger als 900 Studenten mitspielten. könnt ihr auch heute noch in jener Kirche gewahren, bei den Hochämtern sowohl als vorzüglich am Abend in der Karwoche, wenn das große, im Sonnenschimmer zahlloser Lampen glühende Kreuz wie ein Meteor vor dem Hochaltar vom Gewölbe herniederschwebt, während die erschütternden Gesänge Palestrinas und Pergolesis wie Stimmen aus einer anderen Welt in den weiten Räumen schallen.

Die Hofkirche der Theatiner Zum heiligen Kajetan wurde unter Ferdinand Maria durch den italienischen Meister Agostino Barella erbaut, 1675 eingeweiht und 1767 insofern vollendet, als die Fassade bis dahin ihres Ausbaus geharrt hatte. Der Baustil ist jener der geschmacklosen Verschnörkelung aller antiken Ordnungen. Unter dem Musikchor (hinter dem Hochaltar) befindet sich die dritte Fürstengruft, in der Ferdinand Maria und seine Gemahlin Adelheid, Max Emanuel, Kaiser Karl VII. und seine Gattin Amalia, Maximilian Joseph (III.), Karl Theodor und die Familien jener erlauchten Toten ruhen. In der Kirche interessiert den Kunstfreund ein schönes Relief von dem frommen Bildner Konrad Eberhard (ein Monument der 1821 verstorbenen Prinzessin Josepha), in der Sakristei eine Grablegung von Heinrich Hess.

Die älteste Kirche Münchens, die Peterskirche, verdankt ihre jetzige geschmacklose Gestalt der Renovierung vom Jahre 1607; ebensowenig bieten die übrigen älteren Kirchen Münchens, fast nur mit Ausnahme der dem griechischen Ritus eingeräumten St.-Salvator-Kirche, in bezug auf die Architektur Interesse, die kaum über das 17. Jahrhundert hinausreicht. Dem Altar der Stiftung nach reihen sich an die der Peterskirche jene der Heiliggeistkirche, der Jakobskirche (welche einst den Klarissinnen gehörte), der Salvatorkirche, der Herzog-Spitalkirche und der Hofkapelle in der Maxburg.

Indem wir uns jetzt den übrigen Gebäuden aus Münchens Vorzeit zuwenden, begrüßen wir zuerst das seit 1833 wiederhergestellte, mit Fresken und Bildsäulen gezierte alte Isartor. Nur die Grundformen desselben sind uns aus der Vergangenheit übriggeblieben. Nunmehr steht es als ein Gedächtnismal Ludwigs des Bayern, der es gegründet haben soll; ein dreifach getürmter, nach allen Seiten hin offener Bau. Auf dem Fries über den östlichen Eingängen hat Bernhard Neher den Einzug Ludwigs des Bayern in München nach seinem Sieg über Friedrich den Schönen bei Ampfing al fresco dargestellt. Über den Seiteneingängen zeigen sich die heilige Maria (»patrona Bavariae«) und der heilige Benno (gleichfalls Fresken von Neher) und zwei Steinbilder St. Georgs und St. Michaels von Konrad Eberhard.

Von dem »Alten Hof«, den Ludwig der Strenge 1253 erbaute und Ludwig der Bayer 1327 aus der Asche erhob, sind nur noch wenige Reste übrig. – Die »Herzog-Max-Burg« erbaute Wilhelm V. 1579. Die jetzt so genannte »Alte Residenz« stammt aus den Tagen des großen Kurfürsten Maximilian I., der den weitläufigen und im Zeitalter des Erbauers weit gepriesenen Gustav Adolf drückte seine Bewunderung dieser Residenz durch den Wunsch aus, wär's möglich, sie auf Walzen nach Stockholm versetzen zu können, wie er München in bezug auf den öden Boden einen goldenen Sattel auf einem mageren Pferd nannte. Bau noch als Herzog begann und durch Peter Candid (von dem auch die zum Gedächtnis der Prager Schlacht am Weißen Berg errichtete Mariensäule auf den Schrannenplatz stammt) ausführen ließ. Die Alte Residenz, die nun von dem neuen Königsbau und der Neuen Residenz am Hofgarten umschlossen ist, hat ihre mit allegorischen Standbildern und Löwen geschmückte Fassade gegen die Residenz- und die Schwabinger Straße zu und umfängt vier große Höfe: den Kaiserhof, den Küchenhof, den Kapellenhof und den Brunnenhof, in dem sich der schöne Brunnen mit dem Erzbild Ottos von Wittelsbach, umgeben von den vier Elementen, den vier Hauptflüssen Bayerns und Tritonen und Seegeschöpfen – ein Werk Peter Candids – befindet. In der Halle zwischen dem Brunnen- und dem Kapellenhof wird der an einer Kette befestigte Stein gezeigt, dessen Gewicht die Inschrift auf 364 Pfund angibt, den Herzog Christoph mit Leichtigkeit von der Erde aufhob und schleuderte; desgleichen seht ihr an der Wand die drei Nägel (den höchsten 12 Schuh von der Erde), die derselbe Fürst im Sprung »mit seinem Fuss herab thet schlagen«. In dem »Grottenhof«, dessen bizarre Dekorierung durch Muscheln uns lebhaft in die Zeit zurückversetzt, da hier das Residenzgärtchen war, sehen wir einen Perseus in Erzguß.

Die inneren Räume der Alten Residenz umfassen die prachtvoll eingerichteten Kaiserzimmer Karls VII. und seiner Witwe Amalie (den Thronsaal, den Audienzsaal für die Gesandten, die grüne Galerie, das Schlafkabinett, das Napoleon bewohnte, das Spiegelkabinett und das Miniaturenkabinett), ferner die »schönen Zimmer« (von König Max eingerichtet), dann die einst von Kurfürst Karl Theodor bewohnten Fürstenzimmer, den Herkulessaal, die kölnischen Zimmer (die Pius VI. 1782 bewohnte), den Schwarzen Saal, die »reiche Kapelle« (welche Kurfürst Max I. 1607 erbaute und alle seine Nachfahren bereicherten; es ist dies der Aufbewahrungsort zahlreicher Reliquien und Schätze, darunter die rechte Hand Johannes des Täufers und der Hausaltar der Königin Maria Stuart), das gleichfalls vom Kurfürsten Max erbaute Antiquarium (ein 336 Fuß langer und 45 Fuß breiter Prachtsaal) und die von Albrecht V. gegründete Schatzkammer (worin die Kronen des Kaisers Heinrich des Heiligen und seiner Gemahlin Kunigunde, des Kaisers Karl VII. und Amaliens, des Königs und der Königin aufbewahrt werden).

Vor der Alten Residenz wenden wir uns zunächst zu dem neuen Königsbau, mit dessen Anblick wir wohl mit Fug die Betrachtung der durch König Ludwig entstandenen neuen Münchner Kunstwelt eröffnen. Leo von Klenze vollendete diesen Bau, dessen Außenseite ebensosehr durch großartige Einfachheit und Wirkung der Masse imponiert, als das Innere durch Bedeutsamkeit und Mannigfaltigkeit überrascht, im Jahre 1835. 430 Fuß in der Länge, 105 in der Höhe mißt die dem Max-Joseph-Platz zugekehrte, dem neuen Postgebäude gegenüberliegende Fassade; die Bekleidung derselben in Quadern gibt ihr den Charakter der edelsten Solidität, über dem im Rustikostil erbauten Erdgeschoß erhebt sich das erste Stockwerk mit einer ionischen Pilasterordnung, über der Mitte desselben – in einer Länge von nur 220 Fuß – das zweite in korinthischer Ordnung, auf diesem sind Terrassen; drei Tore führen von der Front in den herrlichen Bau.

Im Erdgeschoß betreten wir links die mit Fresken Julius Schnorrs aus dem Nibelungenlied geschmückten Säle, von denen zwei fast vollendet sind: der Eingangssaal, in dem Schnorr den Dichter selbst, die Hauptpersonen und die vier Hauptmomente der Dichtung darstellte, und der Saal der Hochzeit, worin er die wichtigsten Momente aus Siegfrieds Leben, hauptsächlich jene, die sich auf Kriemhild beziehen, ausführte. Den dritten Saal wird ein Bilderzyklus, dessen Kern der Verrat ist, den vierten die Darstellung der Rache schmücken, das fünfte Zimmer endlich eine Reihe von Gemälden enthalten, durch die sich das künstlerische Ganze vollständig abschließen und in sich abrunden soll. – Die im rechten Flügel des Erdgeschosses befindlichen Zimmer sind für Zwecke der Haus- und Hofhaltung reserviert. Das erste Stockwerk, zu dem zwei Marmortreppen hinanführen (das Stiegenhaus schmücken die allegorischen Gestalten der acht Kreise Bayerns von Schwanthaler), enthält die Gemächer des Königs und der Königin. Wir beginnen mit der Betrachtung jener des Königs.

Das Vorzimmer des Königs behüten Nike Apteros und Nemesis (Karyatiden von Schwanthaler). Der Zyklus des Argonautenzugs (nach Kompositionen Schwanthalers) schmückt es in Enkaustik; das zweite Vorzimmer ein Zyklus enkaustischer Malereien (nach Schwanthaler von Hiltensperger und Streidel) nach Hesiods Theogonie. Der Servicesaal enthält Decken- und Wandgemälde (die ersteren al fresco, die letzteren enkaustisch) zu Homers Hymnen nach Zeichnungen Schnorrs von Hiltensperger, Fr. v. Olivier, Streidel und L. Schulz. Für die Pracht eines Thronsaals eignet sich kein würdigerer, herrlicherer Stoff als die Gesänge Pindars – diese Aufgabe auszuführen kein geringerer Meister als Schwanthaler, von dem sich ohne Übertreibung sagen läßt, daß der Geist des Altertums aus dem seinigen lebendig wirkt; die Reliefs des Frieses stellen die olympischen, pythischen, isthmischen und nemeischen Spiele dar, jene an den Wänden die Mythen des Herkules, Achilles, Jason und der Dioskuren. Der Speisesaal prangt mit lieblichen Darstellungen zu Anakreon (nach Zeichnungen C. Zimmermanns, al fresco und enkaustisch ausgeführt von Anschütz und Nilson). Das Empfangszimmer enthält 24 Darstellungen aus Aeschylos (nach Schwanthalers Kompositionen von Schilgen), das Arbeitszimmer 21 aus Sophokles (nach Schwanthalers Kompositionen von Röckel und Hanson), das Ankleidezimmer 27 aus Aristophanes (abermals nach Schwanthalers Entwürfen von Hiltensperger), das Schlafzimmer Freskenbilder und enkaustische Wandmalereien zu Theokrit von L. Schulz, Röckel und Bruckmann.

siehe Bildunterschrift

Der Maxplatz in München

Wie in den Gemächern des Königs die klassische Poesie der Hellenen, so hat die vaterländische in jenen der Königin ihre Apotheose durch die bildende Kunst erhalten – die beiden Vorzimmer der Königin enthalten Darstellungen aus den Gedichten des Minnesängers Walther von der Vogelweide (Fresken von Gassen) und aus dem wunderbaren Parzival Wolframs von Eschenbach (Fresken von Hermann). Im Servicezimmer begegnen wir unserem wackeren Bürger, dessen Gedichte Stoff zu 20 enkaustischen Bildern (von Philipp Foltz) gegeben haben. Für den Thronsaal der Königin wurde (in bedeutsamem Gegensatz zu Pindar) Klopstock gewählt, aus dessen Oden der geniale Wilhelm Kaulbach Stoff für die vier Deckenfresken wie aus der Hermannsschlacht und aus Hermanns Tod für die enkaustischen Wandgemälde nahm. Den Salon der Königin schmücken ein nach Klenzes Entwurf von Eugen Neureuther enkaustisch gemalter Fries aus Wielands Oberon und enkaustische Malereien von E. Förster nach Kaulbachs Entwürfen aus anderen Gedichten Wielands. Der Schlafsaal, dessen Decke mit vier plastischen Allegorien von L. Schaller verziert ist, prangt mit 36 teils al fresco, teils enkaustisch gemalten Bildern zu Goethe von W. Kaulbach, das Schreibzimmer mit 22 Darstellungen aus Schillers Werken von Foltz und Lindenschmitt, die Bibliothek der Königin endlich mit reizenden Bildern zu Tieck von Moritz von Schwind.

Die Räume des zweiten Stockwerks sind für die geselligen Freuden des Hofs bestimmt. Da sind der Tanzsaal mit enkaustischen Malereien (dem Chor der Musen und tanzenden Figuren) von Hiltensperger und Anschütz, daneben ein Zimmer mit landschaftlichen Genrebildern von Rottmann, aus dem Volksleben der alten Hellenen, der Konversationssaal mit einem Fries aus dem Mythos der Aphrodite (in Gips, von Schwanthaler) und der Gartensaal.

Wir verlassen jetzt den Königsbau und wenden uns zur Neuen Residenz im Hofgarten, deren Front ebendiesem letzteren zugekehrt ist; der Zweck dieses von Klenze ausgeführten Baus ist, für die höchsten Festlichkeiten, Audienzen, Aufzüge würdige Räume zu bieten, daher hat der Charakter desselben durchaus wahrhaft königliche Pracht. In der Mitte der Front tritt das dreifache Portal mit Vorhalle und Säulenbalkon imposant hervor; kolossale allegorische Figuren der acht Kreise Bayerns und zwei Löwen an den Ecken sollen dasselbe schmücken. Für die Säle des Erdgeschosses sind Bilder aus der Odyssee bestimmt; im ersten Stockwerk wird Peter Hess einen »Siegessaal« mit Schlachtbildern aus der Kriegsgeschichte der Bayern verzieren. Drei große Säle sind der künstlerischen Verherrlichung Karls des Großen, Friedrich Rotbarts und Rudolfs von Habsburg gewidmet; Julius Schnorr, der Meister der Nibelungen, hat dieses echt nationale Werk begonnen und in den bereits vollendeten Fresken und Kartons die ganze Fülle seiner Kernnatur betätigt, die in kühner und weiser Bewältigung großer und massenhafter Geschichtsstoffe ihren Beruf noch deutlicher bewährt als im Feld der Romantik, in dem sie bisher bereits ohne Widerspruch anerkannt worden sind. In dem Thronsaal, dem größten von allen (er mißt 75 Fuß in der Breite, 57 in der Höhe und 112 in der Länge, eine auf 20 Säulen ruhende Galerie umgibt ihn), werden die vierzehn kolossalen, vergoldeten Erzstandbilder der Ahnen prangen, Bayernfürsten, Pfälzer und zwei Schwedenkönige aus Pfalz-Zweibrücker Blut; Schwanthaler modelliert sie, der wohlerfahrene Stiegelmaier leitet Guß, Vergoldung und Vollendung.

So nahe den Arkaden des Hofgartens, den Kurfürst Maximilian I. anlegte, der aber seine ursprüngliche Gestalt schon seit 1776 verlor, dürfen wir nicht versäumen, die historischen und landschaftlichen Fresken in denselben zu betrachten, von denen die ersteren von 1827 bis 1829 unter Cornelius' Leitung durch jüngere Künstler ausgeführt wurden; die Stoffe hatte der König selbst gewählt. Die erste Freske (von Ernst Förster) zeigt uns Otto von Wittelsbach, im Engpaß von Chiusa das deutsche Heer von dem Überfall der Veroneser befreiend und die Reichsfahne entfaltend (1155); die zweite (von C. Zimmermann) Ottos des Erlauchten Vermählung mit Agnes von der Pfalz (1225); die vierte (von C. Stürmer) den Einsturz der Innbrücke bei Mühldorf mit den darüber fliehenden Böhmen unter Ottokar (1258); die fünfte (von C. Hermann) den Sieg Ludwigs des Bayern über Friedrich den Schönen bei Ampfing (1322); die sechste (von Stilke) Ludwigs des Bayern Kaiserkrönung in Rom (1328); die siebente (von Hiltensperger) Herzog Albrecht III. (den Gatten der Bernauerin), wie er die ihm angetragene Krone Böhmens ablehnt (1440); die achte (von Lindenschmitt) des Landshuter Herzogs Heinrich des Reichen Sieg über Albrecht Achilles von Brandenburg bei Giengen (1462); die neunte (von Schilgen) die Gründung des Rechts der Primogenitur für Bayern durch Herzog Albrecht IV. (1506); die zehnte (von Gassen) die Erstürmung Godesbergs durch die Bayern (1583); die elfte (von Eberle) Herzog Maximilians I. Erhebung zur Kurwürde (1623); die zwölfte (von Stürmer) Max Emanuel beim Sturm Belgrads (1688).

Vier kleinere Fresken über den Eingängen stellen die Erstürmung einer türkischen Verschanzung bei Belgrad durch die Bayern (1717), gemalt von Monten; die Stiftung der Akademie der Wissenschaften durch Maximilian Joseph III. (1759), gemalt von Foltz; die Bayern in der Schlacht bei Arcis sur Aube (1814) und die Erteilung der Verfassungsurkunde durch König Maximilian Joseph I. (1818), die beiden letzteren gemalt von Monten, vor; Kaulbach hat die kolossalen Gestalten des Danubius und des Rhenus, der Isara und des Moenus sowie der Bavaria über den Toren der Hallen, Neureuther die Waffen, Sippmann die Blumen- und Fruchtstücke gemalt.

Ein eigentümliches Gefühl übermannt uns, da wir vor diesen geschichtlichen Fresken stehen, indessen der schlichte Landmann neben uns mühsam die Devise an der Decke buchstabiert: »Ohne Geschichte des Vaterlands gibt es keine Vaterlandsliebe!« und die andere, die echt königlichen Worte: »Die Liebe meines Volkes ist das Glück meines Herzens und soll der Ruhm meines Thrones sein« – der Begriff »Bayern« verschwindet uns in dem großen Gedanken »Deutschland«, und wir möchten jenen ersten Wahlspruch also umstürzen: »Ohne Vaterlandsliebe gibt es keine Geschichte des Vaterlandes«, und Liebe ist nur, wo wechselseitiges Verständnis, wo wechselseitiges Vertrauen, Liebe ist die höchste Toleranz, die Verklärung der im kräftigen Bewußtsein emporgeflügelten Freiheit; die Liebe-Freiheit gibt sich hin und in den Tod, wie jener Göttliche, der für alle am Kreuz starb. O daß das deutsche Volk solcher Vaterlandsliebe immer klarer bewußt werde!

An jene geschichtlichen Fresken reihen sich in den Arkaden des Hofgartens die landschaftlichen Rottmanns – Ansichten von Trient, der Veroneser Klause, von Florenz, Perugia, Aqua acetosa, Rom, Roms Ruinen, der Campagna di Roma, des Monte Cavo, des Lago di Nemi, von Tivoli, des Monte Serone, von Terracina, des Lago d'Averno, des Golfs von Bajae, der Insel Ischia, von Palermo, Selinunt, des Tempels der Juno Lucina, von Girgenti und Syrakus, des Ätna, der Zyklopenfelsen und des Theaters von Taormina, von Messina, Reggio, der Scylla und Charybdis und von Cefalù.

Unmerklich sind wir an diesen landschaftlichen Fresken vorüber zu dem Lokal des Kunstvereins und somit auf einen Standpunkt gekommen, von dem sich die Kunst frei und selbständig aus dem Hintergrund bestimmter Zwecke hervortretend zeigt. Hier in dem Kunstverein sind es vorzüglich das Genre und die Landschaft, die sich uns bemerkbar machen; indessen tragen auch diese beiden noch immer so deutlich den Charakter der Münchner Schule (wenn es überhaupt erlaubt ist, eine bestimmte Geistesrichtung mit dem Wort Schule zu bezeichnen) an sich, daß wir nicht umhin können, diese hier mit ein paar Strichen zu skizzieren. Durchwegs ist es bei den Werken der Münchner Künstler die Idee, deren Herrschaft sich auf das Gewaltigste kundgibt und geltend macht und demzufolge der Charakter, welcher neben der Schönheit nicht selten über sie triumphiert, die einheitliche Vollendung der Komposition, die erstrebt wird. Man sieht, daß nach diesen Prämissen hier an keinen Stillstand, geschweige gar an Rückschritte zu denken ist, wie solche alsbald sich einstellen, wenn irgendeine einseitige Manier bewußt oder unbewußt sich als Norm festgestellt hat. In München behaupten sich die Individualitäten der Künstlernaturen, behauptet jede Natur, ob sie auch in Auftrag schafft, ihre Selbständigkeit auf eine Weise, vor der ihr Respekt haben müßt, und obwohl sich so viele bedeutende und hervorragende Meister in München nebeneinander finden, so ist doch von einer Nachahmung derselben durch die heranwachsende Generation um so weniger die Rede, als jenen unter derselben bereits Ebenbürtige heranstrebten. Man braucht hier nur einen Namen zu nennen, der zwar nicht so alt wie der eines Cornelius ist, aber diesen fast schon erreichte, den Namen Wilhelm Kaulbachs, dessen Genius man als einen der originellsten in dem großen, noch keineswegs abgeschlossenen Entwicklungsprozeß der neuesten deutschen Kunst bezeichnen darf. Nur bei solch unbeschränkter Freiheit, in der jede Individualität die Kreise ihres Schaffens immer weiter um sich ausdehnen kann, ist die Vollendung erklärbar, welche jede der verschiedenartigsten Richtungen, die streng religiöse wie die streng historische, die romantische wie die landschaftliche, erreicht.

Wir eilen jetzt zu den zwei Tempeln, die der König der älteren Kunst erbaute und durch Werke der neuesten würdig ausschmücken ließ: zu der Glyptothek und zu der Pinakothek.

Die Glyptothek steht auf dem Königsplatz; drei breite Stufen führen zu dem von 8 ionischen Säulen getragenen, mit einem Giebelfeld gekrönten Portikus hinan, an dem zu beiden Seiten die Front des im Viereck gebauten Kunsttempels sich fortsetzt. Jede Seite derselben enthält statt der Fenster drei Nischen, für welche Statuen bestimmt sind; den Zweck und die Bedeutung des Gebäudes spricht die kolossale Gruppe im Giebelfeld aus, Pallas Ergane, umgeben von den personifizierten Zweigen der Skulptur (nach Klenzes Angabe und Wagners Entwurf von mehreren Bildhauern ausgeführt). Zwei Inschriften im Vestibül verkünden die Jahre, in denen der Bau begonnen (1816) und vollendet wurde (1830), und die Namen der Meister, welche auf des Königs Befehl (der noch als Kronprinz das Werk anfing) die Architektur und die Ausschmückung der Räume durch Fresken übernahmen (Leo von Klenze das erste, Peter von Cornelius das letztere); von Schwanthaler sind die Reliefs.

Aus dem Vestibül treten wir in den Ägyptischen Saal, in dem Werke altägyptischer Kunst und römische Nachbildungen derselben wie mehrere indische Bildwerke aufgestellt sind; aus diesem in den Inkunabelsaal, der Reliquien der ältesten griechischen und etruskischen Kunst enthält. An diesen reiht sich der Äginetensaal, wo wir die von einer Gesellschaft deutscher und englischer Kunst- und Altertumsfreunde 1811 auf Ägina gefundenen Skulpturen sehen, die, aus der Zeit vor Phidias stammend, die Giebelfelder des dem Zeus Panhellenios geweihten Tempels schmückten; die Restaurierung dieser Marmorbilder verdankt man Thorwaldsen.

Der Apollosaal enthält nebst mehreren anderen Kunstwerken die früher unter dem Namen der barberinischen Muse bekannte kolossale Statue des Apollo Citharödus aus pentelischem Marmor; der Bacchussaal den berühmten barberinischen Faun, die Leukothea, den Faun Winckelmanns, den Faun mit dem Flecken, eine Venus, eine Ceres usw.; der Niobidensaal den herrlichen, bewundernswerten Torso des Niobiden, den sterbenden Niobiden, die Medusa Rondanini, eine Venus von Knidos und die zwei kolossalen Büsten Minerva und Roma.

Aus dem Niobidensaal treten wir in den Göttersaal, den Cornelius mit seinen gewaltigen Fresken schmückte. Der ganze Göttermythos jenes Jünglingsvolks, das sich die höchste Vollkommenheit seiner Götter nur in der vollkommensten Menschlichkeit denken konnte, umgibt uns hier, beherrscht von dem ältesten Eros, dem Ordner des Chaos, dem Bändiger und Bildner der rohen Elementarkräfte zu Gesittung. – Eine Vorhalle mit Fresken (nach Cornelius) aus dem Mythos des Prometheus führt in den Trojanischen Saal, wo Cornelius die Hauptmomente und die reichen Verzweigungen des Sagenzyklus vom Trojanischen Krieg in wahrhaft italienischen Fresken dargestellt hat.

Aus dem Trojanischen Saal treten wir in den Heroensaal, in dessen Mitte stehen die Statue Jasons, dann die ikonischen Alexanders des Großen und Neros. Im Römersaal sind ausschließlich Werke römischer Kunst (eine reiche Sammlung von Büsten, Kandelabern, Altären, Sarkophagen usw.) aufgestellt. Der Saal der farbigen Bildwerke enthält eine schöne Mosaik, eine Ceresstatue aus weißem und schwarzem Marmor, die Büste eines Athleten, eine kolossale Büste Marc Aurels aus Peperino usw. – Der letzte Saal, der der Neueren, enthält Werke von Algardi, de Carli, Christen, Rauch, Georg und Rudolph Schadow (von letzterem die Sandalenbinderin), Canovas Venus und Paris, Thorwaldsens Büste von König Ludwig als Kronprinz und Adonis.

Hinter der Glyptothek liegt die Pinakothek, deren Bau – gleichfalls durch Klenze – im Jahre 1826 begonnen und 1836 vollendet wurde. Das Hauptgebäude mißt 520 Fuß in der Länge, 92 in Breite und Höhe, jeder Flügel, die sich an dasselbe schließen, 42 Fuß in der Breite und Länge, 72 in der Höhe. Das Äußere dieses herrlichen Baus imponiert durch den Eindruck der Solidität und Würde, da Stylobat, Säulen, Gesimse aus Quadern, die geraden Flächen aus hellgelbem unbeworfenem Ziegelmauerwerk konstruiert sind. Die im Prachtstil aufgeführte Vorderseite wird ihren schönsten Schmuck durch die 25 überlebensgroßen Statuen berühmter älterer Künstler erhalten, die nach Schwanthalers Ideen von Mayer, Schaller, Leeb und Sanguinetti ausgeführt werden. Im Erdgeschoß, das die Säle der Kupferstiche, Handzeichnungen, Vasen und Wandgemälde, ein großes Malerstudium, Registraturen usw. enthält, betreten wir eine große Säulenvorhalle, im ersten Stockwerk 9 große Säle und 23 Kabinette, in denen die kostbarsten Gemälde aus allen Sammlungen Bayerns aufbewahrt werden.

Im Eingangssaal begrüßen uns die Bildnisse der Stifter und Mehrer des Gemäldeschatzes und 14 Reliefs in Gips von Mayer nach Schwanthalers Ideen, Darstellungen von Hauptmomenten aus Bayerns Geschichte, von der Christianisierung Garibaldis des Agilolfingers an (555) bis zur Gründung der Walhalla durch König Ludwig 1830). Der erste Saal, in den wir jetzt treten, bewahrt die Werke der oberdeutschen Malerschule aus dem 15. und 16. Jahrhundert (darunter Bilder von van Eyck, Michel Wohlgemuth, dem älteren Holbein, Burgmaier, Dürer, Cranach, Quintin Messys u. a.); der zweite Werke aus der späteren oberdeutschen und niederdeutschen Schule (darunter auch Bilder von Angelika Kaufmann, Raphael Mengs u. a. Neueren); die Decken beider Säle hat Ludwig Schaller mit Reliefdarstellungen aus dem Leben van Eycks, Holbeins und Dürers verziert. Der dritte und der fünfte Saal enthalten Werke späterer Niederländer (van Dyck, Rembrandt, Ruysdael, van der Heist, Teniers, Everdingen, C. de Crayer, Weenix, Champagne, Therburg, Snyers u a.); der vierte und das daranstoßende Kabinett neunzig Gemälde von Rubens; der sechste die der Spanier (Murillo, Velasquez usw.) und der Franzosen (N. Poussin, le Brun, Claude Lorrain, Vernet usw.). Der siebente, der achte und der neunte Saal bewahren Bilder italienischer Maler (Ghirlandajo, Filippo Lippi, Perugino, Raffael, Giulio Romano, Leonardo da Vinci, Paolo Veronese, Andrea del Sarto, Guercino, Dominichino, Fr. Francia, Coreggio, Giam-Bellino, Tizian, Tintoretto, Cignani usw.). In den Kabinetten befinden sich die Bilder der kostbaren, früher den Herren Boisseree und Bertram gehörigen Sammlung von Meister Wilhelm von Köln, Israel von Meckenen, van Eyck, Lucas von Leyden, Hans Hemling, Schoreel, Lucas Cranach, Albrecht Dürer usw.; ferner Genrebilder meist von Niederländern, endlich abermals altitalienische Gemälde deren eines (eine Kreuzigung) Giotto zugeschrieben wird –, Bilder von Fiesole, dann von Raffael, Giulio Romano, Tizian, Sasso Ferrato usw.

Nicht minder interessant als diese herrliche Sammlung älterer Kunstwerke sind die kunstgeschichtlichen Fresken (nach den Entwürfen des Ritters von Cornelius, von Gassen, Zimmermann, Hiltensperger u. a.), womit die Loggien des Korridors geschmückt sind. In der ersten ist der Bund der Kirche mit den Künsten dargestellt; in den Lünetten seht ihr den Genius der Menschheit, wie er die Kunst zu den Unsterblichen hinanträgt, und den Gründer der Pinakothek, den sein Genius zu den Dichtern führt. In den übrigen bis jetzt vollendeten 12 Loggien sind die Hauptmomente der Geschichte der italienischen Kunst dargestellt, und zwar in der zweiten die Gründung des Campo Santo zu Pisa, dessen uralte Malereien gleichsam als Beginn der neueren Kunstgeschichte angenommen werden, Klio, das Rad der Zeit im Lauf hemmend, und zwei Bilder aus der Zeit der Kreuzzüge (die Predigt Bernhards von Clairvaux und Barbarossas Sieg bei Iconium); in der dritten Szenen aus dem Leben des Cimabue (* 1240, † 1300), welcher als der älteste florentinische Meister gilt; in der vierten vier Momente aus dem Leben Giottos di Bondone (* 1276, † 1336), des Dädalus der christlichen Malerei. Die fünfte Loggia erfüllt die reiche Verherrlichung des kindlich frommen Klosterbruders und Malers Angelico da Fiesole (1387-1455), dessen Seligsprechung die durch ihn erwirkte Vergeistigung der christlichen Kunst symbolisiert. Masaccio di San Giovanni (1401-45), dem die sechste Loggia geweiht ist, steht als Vorläufer der Blüteepochen der italienischen Kunst da, »Ahnung und Anschauung« (in der Lünette der Loggia) weist auf Masaccios Wichtigkeit für die Kunstgeschichte durch seine Verdienste um die Gesetze der Beleuchtung hin. Raffaels Lehrer, Pietro Vanucci della Piere, genannt Perugino (1446-1524), verdiente wohl mit Recht eine eigene Loggia, die siebente. Raffaels Vorgänger und Zeitgenossen (1430-1530) Andrea Mantegna, Domenico Ghirlandajo, Luca Signorelli und Andrea del Sarto, erhielten die achte Loggia; Szenen aus dem Leben Leonardo da Vincis (1452-1519) und die Bilder seiner Schüler Luini und Marco d'Oggione schmücken die neunte. In der zehnten herrscht Antonio Allegri da Correggio (1494–1534) mit seinen Schülern. Die elfte Loggia ist der Verherrlichung der venezianischen Schule geweiht, deren Geist durch Tiziano Vecelli repräsentiert wird. Die Erhabenheit des Michelangelo Buonarotti (1474-1563), der als Maler, Bildhauer und Baumeister gleich groß und gewaltig war, hat Cornelius, dessen Genius dem des Florentiners verwandt ist, in der zwölften Loggia verherrlicht. Die dreizehnte gehört dem ewigen Jüngling Raphael Sanzio von Urbino (1483-1520), aus dessen Leben vier Momente und dessen Tod Stoff zu Bildern gaben. Die anderen 12 Loggien sind der Geschichte der deutschen und der niederländischen Kunst geweiht.

Die schönsten Triumphe feiert in München die kirchliche Kunst. Architektur, Malerei und Skulptur wetteifern im Bund mit der Kirche; jene Allegorie, welche Cornelius in der ersten Loggia der Pinakothek malte, ist in München lebendig geworden. Keine andere Stadt im katholischen Deutschland kann sich rühmen, solche Monumente der modernen kirchlichen Kunst zu besitzen wie München, das die Allerheiligen-Hofkapelle, die Ludwigskirche, die Aukirche aufzuweisen hat. In jeder dieser Kirchen ist eine bestimmte Richtung ausgesprochen, übermannt dich zur Stelle ein bestimmter künstlerischer Eindruck.

Die Allerheiligenkirche am östlichen Ende der Residenz trägt das Gepräge der sogenannten byzantinischen Bauform; Leo von Klenze schuf dieses schöne Werk, das Heinrich Hess, unterstützt von mehreren anderen Künstlern, mit Fresken auf Goldgrund schmückte, deren Bedeutung die ganze beziehungsreiche Mystik des Katholizismus auf die einfachste und doch prächtigste Weise ausdrückt. In der ersten Kuppel und ihren Seitenlogen entdecken wir die prophetisch-traditionelle Basis des Christentums, Jehova, den starken Gott des alten Bundes, den Weltschöpfer, den Rächer der Sünde durch Flut, den erbarmungsreich Verheißungsvollen, der das Volk aus Abrahams Sohn niedersenkte und die Propheten als dessen Vorläufer weckte. In der zweiten Kuppel und deren Seitenlogen sehen wir den Zyklus der historischen Entfaltung der geheimnisreichen Menschheitssühne durch Christus Jesus, den Gottmenschen. Die Chornische umfaßt die Symbolik der Kirche als des Instituts, in dem der von dem Erlöser verheißene Paraklet unsichtbar fort und fort wirkt, den Inbegriff der Mysterien, deren Bewahrung mit der Schlüsselgewalt zugleich an den sichtbaren Stellvertreter des unsichtbaren Oberhauptes der Kirche verliehen worden ist. In der Altarnische ist durch eine großartige Symbolik der Begriff der triumphierenden Kirche durch Maria und der Mittelpunkt des ganzen katholischen Dogmas durch die Darstellung der Dreieinigkeit ausgedrückt. In dem Orgelchor gewahren wir die Repräsentanten der kirchlichen Kunst: Salomo (für die Architektur), David und Gregor (für den Gesang), Lukas (für die Malerei). Die Bilder der Seitenaltäre drücken die Beziehungen der Kapelle zu dem Stifter aus, sie stellen St. Georg und St. Hubert (die Patrone der königlichen Hausorden) vor Christus, St. Ludwig und Sta. Theresia (die Patrone des Königs und der Königin) vor der Gottesmutter kniend dar. Die Bildwerke an dem Portal (das Relief Salvator mundi mit Maria und Johannes und die Statuen der Heiligen Petrus und Paulus) sind von Konrad Eberhard.

Professor Gärtners Werk ist der auf Anregung des Königs von der Stadt bestrittene, am 25. August 1829 begonnene Bau der Ludwigskirche in der Ludwigsstraße. Die Fassade der Kirche, welche in mittelalterlich-italienischem Stil erbaut ist, erhebt sich bis zu einer Höhe von 110 Fuß und vertieft sich zu einer Vorhalle, über der in 5 Nischen die überlebensgroßen Statuen des Erlösers und der vier Evangelisten (von Schwanthaler) stehen; den Giebel, der die Mitte der Fassade schließt, krönt ein Kreuz und schmücken zu beiden Seiten die Statuen der Apostel Petrus und Paulus (gleichfalls von Schwanthaler). An das Portal reihen sich die beiden pyramidalischen Türme. Das Dach der Kirche prangt im Farbenschmuck einer musivischen Ziegelbekleidung. Das Innere der Kirche wird von Cornelius mit Fresken geschmückt, auf die schon bei dem Plan des Gebäudes und demzufolge bei der Anlegung der drei Chöre des Mittel- und Querschiffs Rücksicht genommen worden war. Die Hauptmomente des christkatholischen Dogmas: Dreieinigkeit, Erlösung, Kirche, Gemeinschaft der Heiligen und Jüngstes Gericht bilden die Vorwürfe, die Cornelius im Geist Michelangelos auffaßt. Über dem hohen Chor werdet ihr Gott Vater als Schöpfer und Erhalter, als Herrn der Heerscharen erblicken; im rechten Seitenchor die Verkündigung der Welterlösung, die vier Verkündiger der frohen Botschaft und die Menschwerdung des Erlösers; im linken die Vollendung des Erlösungswerkes, die Auferstehung und die vier Kirchenväter; im Kreuzgewölbe die Wirkung des Heiligen Geistes, die Gemeinschaft der Heiligen und die Glorie der Kirche; über dem Hauptaltar endlich die Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht, eine Komposition, die an Großartigkeit vielleicht von keiner anderen, welche die neuere Kunst reifte, überboten wird und die jene altkirchliche Anschauung der moralischen Weltordnung in der ganzen erschütternden Furchtbarkeit des Gesanges »dies irae, dies illa« wie mit der vollen Erhebung und Tröstung, die in dem christlichen Begriff eines Wiedersehens nach dem Tod liegt, ausspricht. Wie in den Fresken des H. Hess (in der Allerheiligenkapelle) die Fülle der Bedeutung in den einfachsten Konzeptionen, so drückt sie sich in diesen des Cornelius durch die überwältigende Schöpferkraft der Phantasie aus; dort beten wir in tiefer Feierruhe an, die alle Gestalten magisch um uns schließen, hier bebend in jener Aufregung, welche der Anblick der freigegebenen Leidenschaften hervorbringt; dort schweben die Gestalten, Träger der göttlichen Geheimnisse, im Goldgrund, ohne ihre ideale Sphäre zu verlassen; hier ringen sie sich titanisch daraus los, und wir fühlen, daß sie mitten unter uns sich ihr Schlachtfeld gewählt und unsere eigenen Kämpfe im Großen durchfechten.

Einen ganz anderen Eindruck macht die von Ohlmüller erbaute Mariahilfkirche in der Vorstadt Au, welche im Jahre 1831 gegründet wurde. Die Abgeschlossenheit bei der Andeutung der Unendlichkeit – eine Stimmung, die uns in alten, im reinen altdeutschen Stil erbauten Kirchen überkommt – regt zur Innigkeit der Andacht an, und der Zauber der Glasmalerei schenkt Frieden. Die Aukirche mißt 235 Fuß in der Länge, 81 in der Breite, 85 in der Höhe; der Turm, der über dem reich ornamentierten Portal pyramidalisch verjüngt emporsteigt, 270 Fuß. Das Innere umfaßt drei Schiffe und einen erhöhten Chor. Neunzehn Fenster, jedes 52 Fuß hoch und 11–13 breit, werden mit Glasmalereien prangen, deren Stoffe, da die Kirche der jungfräulichen Mutter des Erlösers geweiht ist, den »Freuden und Leiden Mariä« entnommen sind; die Kompositionen liefern (unter der Leitung von H. Hess) Schraudolph, Rüben und Fischer, die Ornamente Ainmüller, die technische Ausführung wird von Röckel und mehreren anderen besorgt. Ainmüller gebührt die Anerkennung, für die Vervollkommnung der Technik der Glasmalerei nach Sigmund Frank aus Nürnberg, der das erste Fenster für den Regensburger Dom fertigte und durch die Anwendung des kossischen Goldpurpurs auf Glas jene verloren geglaubte Kunst wiederherstellte, und mit Herrn Wehrsdorfer das meiste beigetragen zu haben; die Professoren Gärtner und Hess förderten durch wackeren Rat das schöne Streben. Höchst interessant sind die Glasmalereien im Besitz der Herren Bertram und Boisserée, Kopien der bedeutendsten Gemälde aus der ihnen früher gehörigen berühmten Sammlung.

Einen interessanten Kontrast zu der ausgebildeten deutschen Bauform der Aukirche wird jene der Bonifaziuskirche in der Karlsstraße bilden, die der König 1835 gründete und Ziebland im Stil römischer Basiliken ausführt (64 Säulen sollen das Innere derselben in 5 Schiffe abscheiden); Heinrich Hess wird dieselbe mit religiösen Darstellungen schmücken.

Die neue protestantische Pfarrkirche vor dem Karlstor (ein Bauwerk von Pertsch von 1827 bis 1832) drückt, was die architektonische Konstruktion betrifft, den religiösen Charakter nicht in gleicher Bestimmtheit, Würde und Schönheit aus wie die früher genannten Gotteshäuser; dagegen verdient die (von Hermann) al fresco gemalte Decke »Die Himmelfahrt Christi« die Aufmerksamkeit des Kunstfreunds. –

Den Totaleindruck des durch König Ludwig geschaffenen neuen München resümiert die breite, schnurgerade Ludwigsstraße; fast alle Bauteile finden sich hier den verschiedenartigen Bestimmungen der Bauwerke glücklich akkommodiert, und die Verschiedenheit der Formen gleicht wieder die Einheit des Charakters der Pracht und Solidität aus, den überdies ein projekturiertes Triumphtor am Schluß der Straße auf das deutlichste und passendste ausdrücken wird; da ist die Ludwigskirche, neben derselben das von Gärtner im altitalienischen Palaststil aufgeführte Gebäude der Hof- und Zentralbibliothek (nebst dem Reichsarchiv), dessen Fassade sich in einer Länge von 520 Fuß hinzieht; an dasselbe reiht sich das im florentinischen Geschmack durch Leo von Klenze und Häring aufgeführte Gebäude des Kriegsministeriums; auf der entgegengesetzten Seite zeigen sich der Palast des Herzogs Max von Birkenfeld (dessen Inneres mit Wandgemälden von Kaulbach geschmückt ist); dann der Bibliothek gegenüber das im mittelalterlich italienischen Stil durch Gärtner erbaute Blindeninstitut (dessen 220 Fuß lange Fassade mit zwei schönen Portalen und Statuen von Konrad Eberhard und Sanguinetti – nach Eberhard – prangt) und weiterhin der herrliche Neubau der Universität (ein Werk Gärtners), dem gegenüber das Priesterseminar (gleichfalls durch Gärtner) ein Gebäude erhält. Gegen die Theatinerstraße und die Residenz zu öffnet sich der Odeonsplatz mit dem auf Befehl des Königs durch Klenze 1826 aufgeführten, für Bälle und Konzerte bestimmten Odeon (dessen großer Saal drei Deckenfresken von Kaulbach, Eberle und Anschütz enthält) und mit dem Leuchtenbergschen Palast, in dem der Kunstfreund eine Galerie auserlesener Gemälde von französischen, spanischen, italienischen und niederländischen Meistern und mehrere plastische Kunstwerke (von Thorwaldsen, Canova, Algardi, Bozzio, Chaudet) findet; diesem Palast und dem Odeon gegenüber breitet sich die Fassade des Bazars aus.

An diesem, an dem Tor des Hofgartens und der Alten Residenz vorbeiwandelnd, kommen wir auf den Max-Josephs-Platz, dessen Mitte das kolossale, eherne Bild des Vaters Max schmückt. Schon 1824 hatte die Bürgerschaft Münchens für dasselbe votiert; erst nach dem Tode des Königs wurde es ausgeführt, Rauch in Berlin modellierte die 12 Fuß hohe ikonische Statue des Verewigten, der, auf dem Thron sitzend, seinem Volk das Unterpfand des Heils, die Verfassung, beschwörend, dargestellt ist; Stiglmaier besorgte den Erzguß, vier kolossale Löwen tragen das mit Hochreliefs verzierte Postament. Von drei Seiten umgeben den Platz der neue Königsbau, diesem gegenüber das durch Klenze 1835/36 aufgeführte neue Postgebäude, dessen von toskanischen Säulen getragene Vorhalle enkaustisch bemalt ist, und das nach dem Brand von 1823 bereits 1825 wieder neu erbaute Theater im römischen Stil mit einer auf 8 korinthischen Säulen ruhenden Vorhalle.

Nun noch einen Gang zu dem den dreißigtausend Bayern, die im russischen Krieg 1812 den Tod fanden, von König Ludwig errichteten ehernen Obelisk auf dem Karolinenplatz, der am 18. Oktober 1833 feierlich enthüllt wurde; Stiglmaier goß dieses nach Klenzes Zeichnung konstruierte Denkmal, das 100 Fuß in der Höhe mißt. Hier beschließen wir unsere raschen Wanderungen in Münchens neuer Kunstwelt.

Jetzt werfen wir uns ins dichteste Menschengewühl und belauschen Sitten und Bräuche, Freuden und Feste des Volkes und soziales Leben.

Der echte altbayerische Charakter, wie wir ihn schon früher andeuteten, tritt uns derb und entschieden, frischbäckig und handfest gegenüber; im altherkömmlichen »Schäfflertanz«, dessen Ursprung nach der großen Pest 1517 datieren soll, der noch in jedem siebenten Jahr begangen wird, im »Metzgersprung«, der in jedem Karneval stattfindet, begrüßt er uns in der alten Jacke des lustigen Eulenspiegel, dessen Freibrief noch nicht erloschen ist. Den Schäfflertanz führen die Böttcher nach eigenen alten Gesetzen aus; es sei uns erlaubt, einen Bericht über diese Sitte von dem fleißigen Forscher vaterländischer Sittengeschichte, H.F. Massmann, Siehe Spindlers »Zeitspiegel«, 1831, Bd. 5, S. 37 ff. hier einzuschalten. »Der Reifentanz«, erzählt Massmann, »kehrt jetzt nur alle sieben Jahre wieder. Um so mehr will er, besonders sein Reifenschwingen, was ganz dem Fahnenschwingen gleicht, mit den jedesmal neuen festlichen Gewändern neu eingeübt sein, darum aber auch nicht wie ein derber Metzgersprung in flüchtiger Stunde zu Ende gehen. Deshalb wird 14 Tage vorgeübt, und 14 Tage (früher sogar volle 4 Wochen) währt alsdann der Tanz vom Morgen bis zum Abend, vom Hof der königlichen Residenz bis zum letzten Münchner Großbräu. Der Zug schreitet, sinnig geordnet (Beweis treuer älterer Überlieferung), in heiterem Schmuck unter beständiger Musik einher. Voran der ›Vortänzer‹ oder ›Vorreigner‹ mit vergoldetem, bändergeschmücktem Szepterstab; ihm zur Seite die Umfrager, die nach jedem Tanz, sobald sie dem Haus nahen, dem sie den nächsten Auftanz zugedacht haben, vorauseilen und anfragen, ob der Tanz aufgeführt werden dürfe. Ihm folgen die beiden ›Reifenschwinger‹, denen die Kreisreifen über Achsel und Üchse hängen. Hinter ihnen schreitet der ›Nachtänzer‹, dem zwanzig Gesellenpaare, je zwei und zwei, folgen. Diese Paare tragen alle nach hinten zu in zwei Kettenreihen großbogige, mit Buchs dicht bewundene Halbreifen, welche den Reigen ketten und retten; so zwar, daß den Reifenzug ein mit blauen und weißen Bändern ausgezeichneter Buchsbogen eröffnet, jener Anreifen aber obendrein mit einem schwebenden Apfel in der Mitte versehen ist. Dieser Reifen tanzt nie mit, sondern bildet das Tor des An- und Abzugs, ebenso das Merkzeichen des Anfangs, der nicht aus den Augen gelassen werden darf. Alle Reigner oder Reifer sind fein und zierlich in rote Rundjäckchen mit ganz kleinen Schößchen gekleidet, dazu ein weißes Westchen, schwarze manchesterne Beinkleider bis zum Knie, weiße Strümpfe und Schuhe mit silbernen Schnallen. Von der linken Hüfte greift über den Latz und den rechten Schenkel ein feines gelbes Vor- oder Schurzfell. Den Kopf ziert eine grüne Kappe mit einer weißen und einer blauen Feder über dem linken Ohr.

In jene Farben erscheinen auch die beiden ›Hanswurste‹ gekleidet, deren einer den Zug führt, der andere schließt, als die natürlichen Gendarmen. So ist in ihnen, daß sie nicht fehlen, der altherkömmliche Zug sinnig geschlossen, denn der deutsche Hanswurst wie der deutsche Lebensphilosoph Eulenspiegel ist ein Allerweltsspiegel für jedermann, der ihm zuschaut und dem er eins aufhaut oder auswischt. Er ist der Hauptordner, die beste Festpolizei; er verkehrt den sauren Ernst in heiteren Scherz und spiegelt im Scherz die schiefe Wirklichkeit oder den inneren Ernst der Dinge. So ist er Narr und König im Fest, ein Doppelgänger, wie die Narren einst der Könige Begleiter waren.

Auch hier im Münchner Schäfflertanz drängt sich der Wursthans bald unter die zuschauende Menge, bald unter die Laubenrose des Reigens, läßt sich darunter krönen und huldigen, wird aber plötzlich unter dem rasch zum Kessel umgekehrten grünen Bogen begraben, so daß man von ihm mit Jacob Balde sagen könnte:

Gestern war Kuntz zum Szepter g'lockt,
Muß heut den Kolben tragen;

er schlüpft jedoch unverwüstlich hervor und tanzt, als wäre ihm kein Scheitern seines Königstraums widerfahren, siegreich über die langgestaltete, hoffnungsgrüne Hohlgasse fort, springt bald mit einem herbeigehaschten Mädchen im Bannkreis der Bogenreifen, bald mit dem blauen, silberreifigen Fäßchen außer dem Tanz der übrigen umher, ganz in sich versunken oder vielmehr mit dem hölzernen Schäfflerbrüderchen reigend, das auf jenem Fäßchen sitzt, und zecht zur Selbstbelohnung aus den vielerlei Wein schenkenden Zapfen; bald tanzt er mit seinem scheckigen Wurstbruder, und sie pritschen sich brüderlich herzhaft; bald endlich schwärzt er einen kecken Buben oder ein Schelmengesicht unter der Ringelhaube. So ist er der Nimmerstill und der Immermuntere und hält alles rege.

Bis zum Jahre 1802 erschien auch noch beim Tanz die ›Gretel in der Butten‹, ein Lustigmacher mit einem großen, vierfach aufgeschlagenen Hut, von einem ausgeschoppten oder ausgestopften alten Weib scheinbar in der Butte auf dem Rücken getragen, in der Hand eine lange Wurst zum Necken der Nachfolger oder des Volkes tragend. So schritt die Gretel unter Trommeln und Pfeifen nach dem Maße vor:

›Gretel in der Butten,
Wieviel gibst du Oar?‹ etc.

Wir blicken aber jetzt auf die Tänzer selber, die unter immer unermüdlichem Schirm und Scherz weiterziehen und reigen. Sobald der Zug haltmacht, ordnet sich der Reigen Bogen an Bogen zum Reif, wobei die beiden gleich großen, gar nicht niedrigen Bögen das rechte Maß abgeben, indem nun jeder in jeder Hand des Nebenbogens eines Ende faßt. Ist der Kreis so geordnet, so beginnt der ›Reigen‹ oder der ›Große Achter‹. Alle senken zum Gruß zugleich die Bögen erdwärts, und nun führt der Vorreigner an, anfangs zu einfachen Kreisumgängen und Kreiswendungen in gleicher Zwiehaltung der Bögen, wobei, wie bei allen ferneren Bewegungen und Biegungen, der hüpfende Vierschritt bewahrt werden muß, der, erst rechts angetreten, dann ebenso links wiederholt, ein sanftes, auch die verschlungenere Bogenführung nie hemmendes Herüber- und Hinüberwogen oder Schweben des einzelnen und des Ganzen veranlaßt. Den einfacheren Bewegungen folgen bald Durchwindungen aller nie losgelassenen Bögen durch einen; bald werden Laubengänge gebildet, durch die Hanswurst, die schattende Gelegenheit belauschend, einzeln behaglich durchschlängelt und, am Ende angekommen, beim letzten anfassend und rücktanzend, die Laube wieder auflöst; bald wickelt sich die Bogenkette zum Knäuel auf, bildet sich dadurch zur grünen Kronlaube, indem die Reifen, richtig berechnet auf die Krongestalt und fernere Wiederablösung, immer höher übereinander gekreuzt werden. – Nachdem sich diese und andere Ketten, Gewinde, Lauben, Kronen, Rosen, Brücken oder Bahnen ausgebildet und gelöst haben, steht der vollkommene Kreis still, die Vorreigner oder Reifenschwinger treten in das Mittel und vollführen unter dem Takt der raschen, fröhlichen Musik den ›Schwung des Reifens‹ und der in ihm stehenden gefüllten Gläser um Haupt, Hals und Hüften und unter den Beinen weg so rüstig, rasch und rein, so meister- und musterhaft, daß in den Gläsern nichts mangelt, wenn sie zum Lebehoch ausgetrunken werden, nach dem das Ehrenglas, aus dem kein anderer Trunk wieder getan werden darf, häuptlings oder rücklings in die Luft geschleudert wird; aber Hanswurst, der sonst mit Zeit und Ware ziemlich unbesorgt ist, der harmlos und mutwillig Verschwenderische, fängt, wie ein guter knickriger Philisterbruder jenes wegwerfenden Renommisten, das arme Glas, um das es schade wäre, in seinem Spitzhut geschickt und sicher wieder auf.« –

Die Metzger (die sich von Jahr zu Jahr aufs neue um die Erlaubnis zur Übung ihres seit unvordenklichen Zeiten üblichen Festbrauchs bewerben) halten ihren »Sprung« am Fastnachtsmontag. Schon vierzehn Tage vor Fastnacht kommen sie zur Beratung wie zur Wahl der guten Gesellen aus ihrer Mitte, die den silbernen Becher und die Kanne tragen sollen, in ihrer Herberge zusammen. Am Vorabend des Festtages tanzen die sogenannten »Hochzeitbitter« mit ihren Mädchen den »Büscheltanz« und nehmen Becher und Kanne nach Hause, wo sie diese schmücken. Am Festtag selbst gehen die Metzger im feierlichen Zug zur Peterskirche, wo sie dem Gottesdienst beiwohnen, und nach demselben von Straße zu Straße – Meisterkinder und Lehrlinge reiten auf zierlich aufgeschmückten Pferden, Musikanten spielen ihnen lustige Weisen auf, die Metzgersknechte, der Altgeselle, die Kannen- und Becherträger und die Beilmeister folgen; in der Residenz wird dem König der »Willkommen« gebracht; dann ziehen alle zu dem Fischbrunnen auf dem Schrannenplatz. Dort schlüpfen die Lehrlinge in Hosen und Jacken, die über und über mit Kälberschwänzen ausstaffiert sind, und der Altgeselle spricht sie, indem er die üblichen Ehrenbecher ausbringt und ihnen die Freisagungsschläge auf den Rücken gibt, von der Lehrzeit frei. Nun springen sie in das Bassin des Brunnens und treiben mit allen in der Runde Schabernack. Hierauf erhalten sie weiße Binden und silberne Denkmünzen an blauen Bändern, und die Zunftfeierlichkeit ist vorbei.

Wollt ihr jedoch des Münchner Volkes Lusttreiben im großen sehen, so müßt ihr an einem ersten Montag im September auf den Keferloher Markt eilen; den Ursprung desselben weist die Überlieferung in die Zeiten der Heidenschlachten zurück, da alles deutsche Land des Schreckens vor dem Zentaurenvolk der Ungarn voll war. Damals seien Kaiser Otto dem Großen im rechten Augenblick die Bayern wohlberitten herbeigeeilt, und voll Freude habe er ihre Hauptleute – einige in Bauernkitteln – zu Rittern geschlagen und die großen Pferdemärkte gestiftet, die jetzt in Keferlohe (2½ Stunden vor München) und in München gehalten werden. Zu jenem Markt strömt das Münchner Volk, jung und alt, hoch und niedrig, reich und arm, als wären alle verzaubert; das ist ein Rennen, Jagen und Treiben, in dem euch schwindelt; da wird gezecht und gejubelt; nehmt eure Arme, eure Rücken, vor allem nehmt eure Worte wohl in acht! Der Wiener Brigittenkirchtag ist ein Gentleman gegen diesen ungeschlachten Goliath, den Keferloher Markt.

Einen schönen Kontrast zu solch wildem Treiben bietet das Oktoberfest auf der Theresienwiese, das zur Feier der Vermählung König Ludwigs und der Königin Therese gestiftet wurde und alljährlich am ersten Sonntag im Oktober beginnt. Hier hat die Volksfreude an dem Wetteifer der Kultur einen erfreulichen Hintergrund und erhält dadurch eine edlere Bedeutung. Aus allen Gegenden Bayerns eilen Wetteifernde zur Verteilung der Preise, zu dem Pferderennen herbei; in freien Kampfspielen erprobt und stählt sich des Volkes Kraft.

Übrigens dreht sich das Sinnenleben des Münchner Volkes, wie allbekannt, vornehmlich um jenen Zaubertrank des fabelhaften Königs von Flandern und Brabant, Gambrinus; das Bier spielt im Münchner Festkalender eine bedeutende Rolle. Was dem Rheinländer im Wonnemonat der Maitrank, das ist dem Münchner in jener Zeit das berühmte Doppelbier, genannt der »Bock«. Der Bock ist ihm eine Art von historischer Reliquie, deren Ursprung ins mythische Zeitalter hinaufreicht, und wird ihm als solche heilig bleiben, ob auch die ehrwürdigen finsteren Hallen des uralten Bockkellers eingestürzt sind. Der Bock gleicht alle Unterschiede von Rang und Stand aus, der Bock stößt den Edelmann wie den armen Schlucker, der ihm die letzten paar Kreuzer in den Opferstock wirft; und der ehrlichste Mann von der Welt, der Haufen fremden Goldes unberührt läßt, macht sich keine Gewissen draus, ein gestohlenes Bockglas mit nach Hause zu nehmen; wehe seinen geraden Gliedern, wenn er entdeckt wird; ein Glück für ihn, daß der Bock die Brillen außer Kurs setzt. Eine Vorfreude der Bockzeit gibt die kurze Frist, in der der Zacherl-Bräu in der Au das süße »Salvatoröl« schenkt.

Hier ist der Ort, von der Vorstadt Au zu sprechen, die sich zu der neuen Ludwigsstraße wie Böotien zu Attika verhält. Wir wollen übrigens durch diesen Vergleich der Au nicht Unrecht tun; in aller Roheit der Auer steckt so viel Unverdorbenheit, daß wir uns über die letztere gewiß freuen dürfen; nur raten wir auch: macht einen Umweg, wenn ihr von fern zwei Auer einander bedrohlich messen seht, und besucht das Lipperltheater, das von dem schönen, freundlichen Karlsplatz hierher verbannt worden ist, ja nicht abends, sondern nachmittags – ihr müßt nämlich wissen, daß in diesem Volkstheater ein und dasselbe Stück zweimal, am Tag und bei Nacht, gespielt wird. Übrigens werdet ihr es nicht bereuen, wenn ihr euch entschließt, dem »Lipperl« einen Besuch in seiner Hütte abzustatten. Erwartet von ihm weder Originalität noch Humor, noch Höflichkeit; sein Humor ist die Grobheit, und wenn ihr, den Kopf voll Erinnerungen an die liebenswürdigen Drolerien der Leopoldstädter Bühne in Wien, bei dem Münchner Lipperl eintretet, so wird euch die plumpe, täppische Manier, mit der er den leichtfüßigen Wiener Humor nachtragiert, keineswegs für ihn einnehmen. Aber ihr werdet erstaunen über die ungeheure Höhe und Breite, in der die Dummheit sich auszudehnen vermag, ihr werdet über die nicht geringere Naivität des Publikums staunen, das sich an jenen kolossalen Dimensionen wie eine Schar von Kindern erfreut, und am Ende wird euch der ganze Tempel des »Lipperl«, dieses Kalibans von Volkswitz, mit allen seinen Priestern, mit seiner ganzen Gemeinde, mit seinem ganzen unschuldigen Apparat als das erscheinen, was er wirklich ist, nämlich als die beißendste Parodie unserer wohlorganisierten Hoftheater, an der Hunderttausende verschwendet werden, um – »Kunstgenüsse« zu erzielen, während in jenen von Goldglanz schimmernden Räumen doch nur raffinierter Sinnenkitzel ausgebrütet wird.

Da ist unser Lipperl ein ganz anderer Mann; er geniert sich nicht, es zu sagen, wenn er ein Bedürfnis der Natur befriedigt; in seiner Bude schminkt sich das Elend wenigstens nicht, und für einen hausbackenen Magen sind seine Späße leichter verdaulich als das Zuckerwerk unserer süßen Hofverse-Konditors, das man auf gut deutsch Wind nennt. Wollte Gott, es käme einmal der rechte Ariel in die Höhle dieses Kalibans Lipperl, dessen intimster Freund bis jetzt – Trinculo ist! Die Geschichte des Lipperl gäbe ein eigenes Kapitel in der Geschichte Münchens, und nicht das uninteressanteste, wenn alle Traditionen von der alten extemporierten Komödie unter dem Ahnherrn Schweiger, dem ersten Lipperl, aufgezeichnet würden; freilich sog das weiland Isartortheater (dessen Direktor Carl, der Staberl par excellence, war) die besten Säfte von der Wurzel weg. Auch dieser Staberl ist für München jetzt tot, und der alte Lipperl schleicht am Krückenstab in seiner Bude auf und ab und schüttelt die Schellen an der Narrenkappe – um Brot! – Hängt dem Volkswitz einen Brotkorb an, ihr guten Leute! Du aber schelle trotzdem lauter, alter Bettler, Lipperl, der du doch wenigstens deine Nationalität nicht verlorst; schelle lauter, damit der fröhliche Wanderer keine jener Stimmen höre, von denen er glauben könnte, sie schallten aus Dantes Hölle; nicht allzuweit stehen die hohen Mauern des Strafarbeitshauses und in Untergiesing die der Irrenanstalt.

Auf dem Gasteigberg gedenkt des Ewigen Juden, der hier vor dem Kreuze gelegen habe, wie die Sage uns meldet, »anno 1721 den 22. Juli ist bei dem Isartor der ewige Jud oder der bis an zu Endt der Welt lauffende Schuester ankhommen, ist aber nicht in die Stadt gelassen worden, derowegen er sich zu Heidthausen ein Zeit aufgehalten, und mit denen zuelauffenden Personen geredet und gesagt, dass die Familia von denen Juden, so Christo den Backenstreich gegeben, allen die rechte Hand zweymal länger als die linke seye, von diesem Geschlecht aber, so Jesum angespiben, solche speiben sich allezeit selbst an; er sagte weiters, dass er sey schon siebenmal die ganze Welt aussgangen; auf dem Gasteigberg betrachtete und betete er vor dem Cruzifix. Als er dessen gefragt wurde, gab er zur Antwort, dieses sei die rechte Abbildung unsers Herrn, und die länge und in allen gleich; er handelte auch mit geschmuck und Perlein.«

Diese Sage vom ewigen Juden, der nicht sterben kann, geleitet uns auf das Leichenfeld Münchens, eines der schönsten in Süddeutschland, das die Kunst zum heiteren, wahrhaften Friedhof gestaltet, das Saatfeld für jenen großen Ostermorgen zum lieblichen Garten. Die Halbrotunde mit dem Leichenhaus wurde 1818 erbaut. Das schönste Monument, das diesen Ort des Friedens schmückt, ist der im reinen deutschen Stil ausgeführte Weihbrunnen von Erzguß, der »den im Jahre 1705 am heil. Christtage den 25. Dezember im Kampfe für Fürst und Vaterland gefallenen Oberländer Bauern« errichtet wurde. Am Allerheiligenfest 1831 wurde jener Weihbrunnen auf dem Friedhof enthüllt; am Allerheiligentag müßt ihr den Münchner Friedhof besuchen, wenn ihr auch die erhebende religiöse Richtung des Münchner Volkslebens kennenlernen wollt. Da entfaltet der Katholizismus alle seine Tröstungen, da öffnet sich das Jenseits, da ist jeder Gedanke an Trennung verschwunden und dem Tod sein Stachel genommen; da wird auf den Gräbern in freudiger Vorahnung das Fest des ewigen Lebens begangen, und die Schmerzenstränen der Überlebenden um ihre Toten sind schon Freudetränen, dem Wiedersehen geweint, das der religiöse Glaube so nahe rückt wie die Zeit, die zwei Liebenden von einem Kuß zum anderen verrinnt.

Zu diesem religiösen Fest bei Winteranfang bildet das Fronleichnamsfest im Frühling einen schönen Kontrast, der eigentlich auf einer inneren Harmonie beruht. Das Fronleichnamsfest ist in allen katholischen Städten ein rechtes Frühlingsfreudenfest; nirgends aber wird es (nach Wien) mit größerem Pomp begangen als in München, wo die heitere Sinnlichkeit auch von dem Ritus sich nicht ausschließen läßt. So bildet auch die Christnacht mit der Mette einen nicht unwichtigen Abschnitt in dem Festkalender Münchens, wie auch der Besuch der heiligen Gräber in der Karwoche und die Ernteprozession am ersten Sonntag im September.

Das soziale Leben der mittleren Stände wird durch zahlreiche »Gesellschaften« mit dem öffentlichen vermittelt, vornehmlich durch jene, deren Hauptzweck Tanz und Schießen sind – der Münchner liebste Freuden; in größerer Entfernung vom öffentlichen Leben bewegt sich das soziale der höheren Stände, das in dem Museum, das nicht ganz ohne aristokratische Färbung ist, seinen Mittelpunkt findet. Auffallend ist allenthalben die fast zunftartige Absonderung der verschiedenen Klassen in verschiedenen Vereinen und Gesellschaften; die Gesellschaft zum Frohsinn allein bietet das Terrain der allgemeinen Vermittlung. Welche Rolle die Künstler im Münchner sozialen Leben spielen, sollte man – nach dem großartigen Kunsttreiben zu schließen – wohl kaum vermuten. Die artistische Bevölkerung Münchens hat es bei der eingeborenen noch zu keinem Verständnis bringen können; wir müssen hinzufügen, daß die Schuld auf seiten der Eingeborenen ist, die von alters her alles Fremde mißtrauisch zu betrachten und zu messen gewohnt sind. Und so zeigt sich die Künstlerschaft als solche nur bei seltenen besonderen Anlässen im öffentlichen Leben, und ihr soziales reduziert sich am Ende auf kollegialische Abendzusammenkünfte in vielen kleinen Kreisen; wir brauchen wohl nicht erst aufmerksam zu machen, daß wir dabei vorzugsweise die jüngeren Künstler im Auge haben. Das Salonleben macht sich in München weniger bemerkbar als in anderen großen Städten; der Grund davon ist, weil sich die Masse der Bildung zwischen den verschiedenen Ständen noch zu ungleich verteilt findet, und so gehört der Salon dort nur einem kleineren, aber erlesenen Kreis geistiger Notabilitäten an.

Bevor wir uns München näherten, fiel uns die Öde der Gegend auf, in der es liegt; als wir es durchwanderten, machte uns die unerschöpfliche Zauberin Kunst aller Stiefmütterlichkeit der Natur vergessen. Gleichwohl entdecken wir jetzt, da wir nochmals den Hofgarten durchschritten, eine wunderherrliche Anlage, die wir in dem Sandboden Münchens nicht vermutet hätten; es ist der unter Karl Theodor durch den Grafen Rumford 1789 angelegte Englische Garten, der sich in einer Länge von anderthalb Stunden vor uns auftut. Das Palais des Prinzen Karl eröffnet am Eingang des Gartens eine Reihe anmutiger Landhäuser, die sich längs des Gartens hinzieht. Für Graf Rumford und für Skell, den Vollender der Anlagen, stehen im Englischen Garten Monumente; auf einem Hügel, wo sich eine Aussicht bietet, erbaute Klenze einen Tempel (Monopteros). Um den Englischen Garten gruppieren sich, gleichsam wie Fortsetzungen desselben, die Anlagen des der verwitweten Königin gehörigen Schlosses Biederstein, das alte Dorf Schwabing, auf den Anhöhen des rechten Isarufers Bogenhausen und Neuberghausen.

Von Münchens näheren und ferneren Umgebungen besuchen wir zuerst die durch das blutige Weihnachtsfest von 1705 dem bayerischen Volk teuer gewordene Stätte von Sendling, wo die heldenmütigen Bauern des Oberlands für die Existenz des Vaterlands gegen des Kaisers Übermacht fielen. »Lieber bayerisch sterben als kaiserlich verderben«, war in jenen Tagen der Knechtschaft Bayerns, da das Land als eine eroberte Provinz Österreichs galt, jedes Vaterlandsfreundes Morgen- und Abendgebet. Das Volk stand an der Schwarza und an der Vils, am Inn und an der Isar auf, die unerträgliche Tyrannei zu zerbrechen; Sebastian Plinganser, Meindel, Franz Dalmay, Xaver Oertel, Christian Jäger führten die ersten todesmutigen Scharen. Doch Verräterei vernichtete das große Befreiungswerk. Indessen das Hauptheer der Befreier vom Inn her gen München zog, rückten dreitausend Schützen aus den Tälern des Hochlands, von Miesbach und Tegernsee, von Tölz, aus der Jachenau, vom Wallersee und vom Kochelsee an der Isar herab auf die Wiese beim Kloster Schäftlarn. Dort wurden die Fahnen ausgeteilt. In München harrten die Freunde des Vaterlands schon auf das Zeichen zum Aufbruch. Der Verrat des Pflegekommissärs zu Starnberg, Joh. Joseph Oettlinger, verhinderte die Vereinigung des hochländischen Heeres, und der entscheidende Schlag fiel um zwei Tage zu früh.

Am Morgen des Heiligen Abends traf ein Rittmeister mit 80 Dragonern im Fürstenrieder Holz die Vorhut der Landesverteidiger, die durch die Wälder gen Sendling zogen, Sendling selbst wurde von den Bauern besetzt, die Straße verschanzt. In der Au standen die Zimmerleute schon zur Hilfe bereit. Bald hatten die Bauern den Roten Turm und die anderen Werke, welche die Isarbrücke decken sollten, erstürmt. Der starke Schmiedbalthes von Kochel, 61jährig, ein Riese von 8 Schuh und 3 Zoll, riß das halbe Tor aus den Angeln. Schon war die Brücke unter dem Feldgeschrei: »Die Kinder erretten!« Die Furcht, daß die Kinder des Kurfürsten nach Österreich geschleppt würden, lag diesem Ausruf zugrunde. erobert, der kaiserliche Oberfeldwachtmeister Kriechbaum von der Besatzung Münchens abgeschnitten – doch durch Oettlingers Verrat gingen den Befreiern sechs Stunden des Morgens verloren; Kriechbaum und Wendt, der kaiserliche Oberst, entdeckend, daß die Brücke unbesetzt war, gewannen neuen Mut, machten beim Sendlinger und beim Isarangertor Ausfälle und trieben die tapferen Bauern zwischen zwei Feuern bis in ihre Verhaue bei Sendling zurück. Da hielten sie stand; doch das feindliche Fußvolk erstürmte die Verhaue, und nun entstand ein gräßliches Gemetzel, Mann an Mann. Der Kirchhof wurde den Landesverteidigern zum letzten Asyl, dessen Mauer zur Brustwehr. Ihr Führer, Gautier, schlug sich mit ungefähr 500 bis gegen das Fürstenrieder Gehölz durch, auf dem Zug endete eine Kugel das Leben des kriegserfahrenen, heldenmütigen Mannes.

Auf dem Kirchhof aber fiel indessen Mann an Mann, bis zum letzten Atemzug für des Vaterlands Befreiung kämpfend. Vierunddreißig Zimmerleute aus der Au sanken nebeneinander. »Als den letzten nennt die Sage«, berichtet Hormayr, »Die Mordweihnachten von Sendling.« Aus »Historisches Taschenbuch für 1835« »den alten bayerischen Riesengrenadier, den starken Schmiedbalthes von Kochel, der schon am rechten Isarufer achtzehn Österreicher mit seiner Stachelkeule niederschlug. Neben ihm sanken zwei junge Söhne, es fiel sein Vetter, der schöne junge Zimmermann Reifenstuhl von Gmünd, wackere Männer von Egern und Tegernsee, von Lenggries und Warngau. Wohl mag das Erstaunen des Feindes über diese Erscheinung aus der alten Fabelzeit des starken Schmiedbalthes Leben etwas länger gefristet haben. Endlich streckte der zweite Lanzenstoß eines Husaren diesen Pförtner gewaltigerer Tage auf den befleckten und zerfleischten vaterländischen Boden hin.«

siehe Bildunterschrift

Das Isartor

Auf der äußeren Kirchenwand zu Untersendling hat Wilhelm Lindenschmitt die Todesweihe des treuen Fahnenträgers, des Schmiedbalthes, mit seinen Genossen al fresco dargestellt. Über 1500 Tote lagen auf der Walstatt; über 600 Verwundete brachten die Sieger nach München.

Von Sendling führt uns der Weg an Neuhofen vorüber nach Großhesselohe, dem Ziel mancher Abstecher aus der Königsstadt; weiterhin liegen Grünwald am rechten, Ebenhausen und Schäftlarn am linken Ufer der Isar in anmutigen Gründen.

Ein anderer beliebter Ausflug ist jener nach dem eine Stunde von München gelegenen Schloß Nymphenburg, dessen Bau die Kurfürstin Adelheid 1663 begann und Maximilian III. vollendete. In den Kaiserzimmern des rechten Flügels wohnten Napoleon, Alexander und Franz I.; in den ausgedehnten Anlagen des Schloßgartens stehen die Magdalenakapelle, in der eine wunderkräftige Quelle sprudelt und die Pagodenburg, die Badenburg und die Amalienburg. Der Hirschgarten ist durch eine Allee mit den Anlagen von Nymphenburg verbunden. Unfern ist Blutenburg, wo Herzog Ernst von München infolge eines Gelübdes während der Allinger Schlacht eine Kapelle gründete, die Albrechts Söhne, Johann und Siegismund, mit schönen Glasmalereien und Wappenschildern schmückten; der letztere vollendete den Bau des Schlosses, wo er lange Jahre in heiterer Abgeschiedenheit zubrachte.

So nahe an Alling, wollen wir nicht versäumen, das Schlachtfeld zwischen Alling und Hoflach zu besuchen, auf dem am 19. und 20. September 1422 die Bürger und Bauern für ihre Herzöge, Ernst und Albrecht von München, gegen den Adel stritten, der dem Ingolstädter Herzog Ludwig im Bart und seinem Sohn, dem Buckel, beistand. Ludwig im Bart, den Münchner Herzögen zürnend, weil sie es mit seinem Todfeind Heinrich von Landshut hielten, wollte durch einen unvermuteten Hauptstreich auf München die Fehde beendigen; mit seinem Sohn und dem Kern des Adels hielt er zwischen der Ammer und der Würm; Hans Wessenacker war mit seinen Reisigen bis Gauting gezogen, das diese in Brand steckten, die Flammen wurden von den Türmern in München bemerkt, die Kunde vom Anschlag des Gebarteten alsbald dort ruchbar, die Münchner Herzöge schworen, nach gehörter Frühmesse die Unbill zu rächen, die »Marien, der reinen Maid«, an ihrem Festtag durch den Kriegsanfall widerfahren war; »Maria, reine Maid!« galt als Feldgeschrei; in den Münchnern regte sich, da sie wehrhaft und schlachtlustig zu ihren Fürsten standen, das stolze Bewußtsein des freien Bürgertums gegen den eitlen Trotz und tyrannischen Übermut des Adels.

Zwei Tage währte die Schlacht der Bürger und Adeligen; Albrecht, Ernsts Sohn, der sich tollkühn in die dichtesten Feindesscharen warf, schwebte in Todesgefahr; schon hatte eine starke Faust ihn erfaßt, als der Vater sich mit dem Streitkolben zu ihm Bahn brach und ihn rettete; da war's, daß Ernst das vor dem Auszug getane Gelübde, eine Kapelle zu bauen, wiederholte; die zu Blutenburg und zu Hoflach bewahren das Gedächtnis des Gelübdes. Am tüchtigsten walkten in dieser Schlacht die Münchner Tuchmacher die Wappen der Herren von Adel. Und als der Sieg errungen war, trieben die Bürger an die dreihundert Ritter als stattliche Herde in die Stadt. Ein altes Volkslied von dieser Schlacht ist uns geblieben.

Nicht weit von Alling liegt Fürstenfeldbruck; das Kloster Fürstenfeld stiftete Ludwig der Strenge in fruchtloser Reue um die in blinder Eifersucht verübte Ermordung seiner Gattin Maria von Brabant.

Talkirchen, am linken Isarufer, eine Stunde südlich von München, wird von da aus gleichfalls häufig besucht. Dort steht eine Wallfahrtskapelle, welche die Brüder Christian und Wilhelm Frauenberger zum Hag erbauten, die, von den Augsburgern von Friedberg bis an die hoch angeschwollene Isar verfolgt, in diese hineinsprangen und später ein in dieser Todesnot getanes Gelübde durch den Bau der Kapelle einlösten.

Bevor wir von München scheiden, laßt uns zu nochmaliger Betrachtung einen Standpunkt wählen, von dem aus es jener große Meister Claude Lorrain, der wie kein anderer die Lichtpulsschläge der Natur belauschte, gern überblickte; am Kirchlein zu Harlaching genießen wir die Rundschau. Hier erbaute sich der Maler das Schlößchen, das er nicht allzulange bewohnte, der südliche Himmel lockte ihn zu mächtig; es ist bekannt, daß er, wie er München verlassen hatte, nach kurzem Aufenthalt zu Nancy wieder nach Rom zog und dort, wohin er einst als Pastetenbäckerjunge eingewandert und zum Künstler herangereift war, den Rest seiner Tage verlebte.

Auch wir greifen jetzt zum Wanderstab und beginnen unsere Ausflüge ins Hochland.

Wanderungen im Hochland

Mehrere Routen liegen vor uns, die von München aus in die verschiedenen Partien des bayerischen Hochlands führen; zuerst die Tiroler nach Mittenwald, wo die Isar für Flöße schiffbar wird, in drei Verzweigungen: in der über Starnberg, Weilheim, Murnau, Partenkirchen oder in der über Wolfratshausen, Benediktbeuern und Walchensee oder endlich in der über Tölz und Lenggries durch die Jachenau – dieser letzten dient der Silberfaden der Isar, die in dem nahen Tirol aus zwei Quellen sich bildet, deren eine dem See oberhalb Seefelds sich entwindet, während die andere aus dem Holleranger vom Heisenkopf fällt –; diese Route hängt mit jener nach Hohenschwangau zusammen. Die andere (die sich übrigens mit der eben angegebenen ganz wohl verbinden läßt) führt von München nach Tegernsee und Kreuth, Schliersee, Miesbach und Rosenheim; eine dritte über Rosenheim an den Chiemsee, nach Traunstein, Reichenhall und Berchtesgaden; diese letzte, innerhalb der Stromgebiete des Inns und der Salzach, schieben wir für jetzt noch auf.

Wie der Rhein an manchen Stellen, wo die Uferberge seine Krümmen umdämmen, einem lieblichen See gleicht, so scheint uns der Starnberger oder Würmsee, wenn wir, von München kommend, seiner ansichtig werden, ein ruhig und majestätisch ausgebreiteter Strom, und nur die ernsten Alpenhäupter, die am Rande des Horizonts über die Waldberge herüberschauen, mahnen uns an die Nähe des Hochlands; nur die kunstlosen und gefährlich aussehenden »Einbäume« am Ufer erinnern uns, daß es kein Strom, sondern ein langgestreckter See ist, der uns zur Fahrt einlädt. Über die kräuselnden Wogen hin rauscht die Sage von Karls des Großen Geburt in jener Reismühle, die am rechten Ufer des Würmflusses steht; die Tradition von Karls Geburt in dieser Gegend bewahrten auch die einstigen Trümmer der Karlsburg. Die anmutigen Ufer des Sees tragen freundliche Schlößlein, Villen und Dörfer: Starnberg, durch Herzog Wilhelm III. 1541 erbaut, an der nördlichen, Seeshaupt an der südlichen Spitze, den 5½ Stunden langen Flutenspiegel beherrschend, dann Possenhofen, Berg (durch den Kurfürsten Ferdinand Maria erneut) und Bernried, das Graf Otto von Valey und seine Hausfrau Adelheid als Kloster gestiftet haben. Aus alten Zeiten haben sich hier Gerechtsame und Bräuche der Fischer erhalten, die uns eigentümlich genug erscheinen. Der Fang ist, was Zeit und Art betrifft, genau geregelt. Im Mai sagen die Fischer, daß der See »verblüht«, da beginnen sie »in die Rohlen zu fahren«, das sind die »Bodenzüge«; in windstillen Nächten, bei Neumond oder trübem Himmel, machen sie die »Abendzüge«, das geschieht vom Sonntag nach Ostern bis in den Mai. Bei den Bodenzügen ist ihnen gestattet, zwei »Trümmer« (45 Klafter) weit von den Stangen am Ufer in die Breite des Sees zu fahren – bei den Abendzügen drei Trümmer weit –, die Renken und Lachsfelchen nur vom ersten Fastensonntag bis St. Gallus zu fangen, die Rutten von Martini bis zum ersten Sonntag nach Ostern, Karpfen, Hechte und Waller zu jeder Zeit. Zum Hegen der Speisefische (die den Hechten und andern Raubfischen überlassen werden) und Krebse wenden sie »Fischbaitzen« an – abgeästete Baumstämme, die in den Seegrund eingerammt werden –, zum Fang der Hechte und anderer Raubfische die »Hechtstangen«, die auf dem Wasserspiegel schwimmen und an denen eine mit einem Widerhaken verbundene Schnur, die hinabgelassen wird, befestigt ist; die Rutten werden in »Reusen«, die Karpfen, Lachsfelchen und Renken in »Segen« (einer Art von Netzen) gefangen, die Karpfen wohl auch gestochen.

Verlassen wir nun den Starnberger See und wandern wir von Starnberg über Pöcking und Traubing in das Ammertal. Das uralte Weilheim, Dießen (das weiland Kloster) und der Ammersee liegen vor unseren Blicken, und in der Ferne begrüßt uns der Hohe Peißenberg, ein alter Bekannter von unserer Lechufer-Wanderung her. Der ganze Ammergau ist seit uralten Zeiten ein fruchtbarer Klosterboden, im Volksmund hieß die Gegend von jeher der Pfaffenwinkel. Da findet ihr Wessobrunn, das Herzog Tassilo II. (wie die Legende uns meldet) infolge eines wunderbaren Nachtgesichts stiftete; er hatte im Traum eine Leiter gesehen, die bis in den Himmel reichte, Engel wandelten auf derselben auf und nieder, und auf der höchsten Sprosse stand der Apostelfürst Petrus, der den bei Einweihung der Kirchen üblichen Hymnus anstimmte; am anderen Morgen entdeckte sein Jäger Wesso mehrere Quellen in der Gestalt eines Kreuzes. Der Name Wessobrunn ist euch durch das »Wessobrunner Gebet« aus der Entwicklungsgeschichte der deutschen Sprache bekannt – minder bekannt vielleicht der Name der Nonne Diemode vom nahen Nonnenkloster, die durch ihre Kunstfertigkeit im Kopieren geistlicher Bücher wie durch ihre Freundschaft mit der Prophetin Herluka von Bernried in Ruf und Ansehen war.

In jenen Klosterzyklus gehörten auch die Erbpropstei Polling in der Ebene vor dem Peißenberg, gleichfalls eine Stiftung Tassilos II., auf jener Stelle, wo durch das Scharren eines Wildes drei große Kreuze mit Reliquien entdeckt worden waren, und Dießen, auf der Stelle, wo das Damasia der Römer gestanden sein soll; alle diese Klöster wurden in den Zeiten der Ungarnkriege verwüstet, später aber schöner als zuvor wieder erbaut.

Vor allen berühmt ist aber der Heilige Berg zu Andechs. Zu Andechs stand die Wiege des mächtigen Grafengeschlechts aus Wittelsbacher Blut. Nach der Ermordung Philipps von Schwaben durch Otto von Wittelsbach ließ Herzog Ludwig I. des Reiches Spruch auch an den Genossen des Frevels vollstrecken und die alte Herrenburg zu Andechs zerstören; Ludwig II. stellte die bei dieser Gelegenheit gleichfalls geschleifte Nikolauskapelle, die Graf Berthold I. 1027 erbaut hatte, wieder her. Der Heilige Berg kam im vierzehnten Jahrhundert in großen Ruf. Ein Mönch, Jakob Dachauer, gewahrte, als er zu Andechs am Hochaltar Messe las, eine Maus, die ein Verzeichnis der in den Ungarnkriegen vergrabenen Heiligtümer brachte. Als man nachgrub, wurden nicht weniger als 288 Reliquien gefunden; von allen Seiten eilten nun fromme Pilger zu dem Gnadenberg; die Kirche zu Andechs konnte ihre Scharen nicht fassen. Da ließ Herzog Stephan der Knäufel die kostbaren Heiligtümer nach München bringen, und der Papst verlieh – gegen Ablieferung der Hälfte der Einkünfte – auf jene einen großen Ablaß. Und so wurde zu München 1392 fünf Monate hindurch das große Gnadenfest begangen, zu dem an 60 000 Pilger kamen, was zu den »Dulten« (Indulten) Münchens, die noch heutzutage abgehalten werden, Anlaß gab. Herzog Ernst ließ die Heiligtümer nach Andechs zurückbringen und gründete dort ein Stift für sieben regulierte Chorherren; sein Sohn Albrecht III. übergab es den Mönchen von St. Benedikts Orden.

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Partenkirchen

Unsere Wanderung fortsetzend, gelangen wir nach Murnau, wo die Straßen sich teilen. Die eine führt über Saulgrub und Steingaden nach Füssen; die andere nach Schwaiganger, Eschenlohe, wo einst Grafen saßen, und Oberau, wo Gipsbrüche sich befinden. Bald haben wir wieder Partenkirchen und Garmisch an der Loisach erreicht. In die Loisach mündet die Partnach, deren Lauf stromaufwärts bis zum Ursprung zu verfolgen die Mühe des Weges lohnt. An Wasser- und Bergstürzen vorbei kommt ihr an die Eisbrücke, unter der die Partnach mit Ungestüm aus den Felsen hervorbricht. Die Natur will euch in diesen Felsgründen ein heimliches Grausen abtrotzen, aber mächtiger als sie, überwältigt ihr all ihren Stolz, und die gedankenweckende Melancholie, der ihr euch auf dem unfernen Eibsee in süßer Ermattung überliefert, entschädigt euch reich.

Von Mittenwald, dem gewerbereichen Flecken, dessen Bewohner einen eigenen Trieb zur Fertigung von Musikinstrumenten haben, erreicht ihr sehr bald die Tiroler Grenze und drüben die Scharnitz, einst das Tor (die Porta Claudia) gen Italien. Nicht weit davon ist's, daß die junge Isar aus den Felsen hervorspringt, dem Karwendeltal und der Scharnitz zueilend.

Wir wenden uns jetzt wieder nordwärts dem Auslauf der zweiten Verzweigung der ersten Route zu, über Krün und Wallgau nach dem »Katzenkopf« und nach dem Walchensee. Da werden wir des Waller- oder Walchensees, des ernstesten und originellsten von allen Seen im bayerischen Hochland, ansichtig. Ihr, die ihr von der Natur verlangt, daß sie euch ein ewig lächelndes Antlitz zeigt, wie ihr dergleichen von euren Salons her gewohnt seid, daß sie euch wie eine Grisette stets willkommen heiße, daß sie euch über die matten Herzen hin lind küsse – bleibt daheim; ihr könnt, wie der Brustkranke die reine Bergluft nicht, die Erhabenheit dieser Gegend nicht aushalten, denn auch zum Genuß gehört Kraft, und wer der Natur, diesem üppig-verzehrenden Gottweib, als Eunuch naht, den erdrückt, erstickt sie mit dem Übermaß ihrer geheimnisvollen Wonnen, die er ahnen, aber nicht befriedigen kann. Hier ist eine ungeheure Mönchszelle, vom Grund der Wasser bis zu den Bergwänden ringsum, voll wollüstiger Mystik; die Ruhe hier regt eure ganze Tatzeugungskraft auf, und weckt ihr die Echos, so donnert sie den leisesten Fragen eures Selbst Antworten zu. Diesem furchtbaren Ernst entspricht das Tosen des mächtigen Wassersturzes vom Kesselberg.

Von diesem aus mögt ihr in die Abflachung des Landes gen Norden und auf den Kochelsee hinabblicken, an dessen Ufer das Dorf Kochel, wo in alten Tagen ein Nonnenkloster stand, euch aufnimmt; weiter gen Norden eilend erreicht ihr das im Jahre 740 gestiftete, oftmals zerstörte und wiederhergestellte, in eine Fabrik verwandelte und nun den Mönchen von St. Benedikts Orden zurückgegebene Kloster Benediktbeuern, wo sich die Ebene vor euch auftut.

Von Bichl aus lädt euch eine Straße nach dem durch sein Bier berühmten, herrlich an der Isar gelegenen Marktflecken Tölz ein, eine andere über Königsdorf, Beuerberg und Eurasburg nach dem alten Markt Wolfratshausen, der einst als Sitz eines den Grafen von Andechs verzweigten Dynastengeschlechts blühte; Herzog Rudolf, Ludwigs des Bayern Bruder, bewohnte einst das ursprünglich von einem Grafen Wolfbert erbaute Schloß, flüchtete aber vor Ludwig, als dieser ihn, der mit Habsburg im Bunde war, hier bedrohte. Von Wolfratshausen gen München eilend, könnt ihr das weiland Kloster Schäftlarn berühren, das Baltrich, ein Priester zu Deining, 780 gestiftet hat, die Ungarn zerstört und Herzog Heinrich und sein Bruder Otto von Freising wiederhergestellt haben; Konrad von Baierbrunn, aus der Schlacht bei Mühldorf um die deutsche Krone wohlbekannt, dem die nahe Hofmark gehörte, wurde 1333 hier begraben. Bei Baierbrunn schreitet ihr über die quer vor euch liegende Römerstraße und wandelt gen München.

Nun zurück nach Tölz, von wo aus der Kern der Hochlandsbauern in jenem verhängnisvollen Jahre 1705 zum Sturz der österreichischen Tyrannei gen München zog! Am rechten Ufer der blauen tosenden Isar blickt der stattliche Markt so recht trotzig in den schönen Talgrund hinab; rüstig wie der Strom sind die Menschen, in Sturm und Drang tüchtig wie ihre Altvorderen, die im Dreißigjährigen Krieg die Schweden erschlugen, wie ihre Urgroßväter, die bei Sendling verbluteten. Dem Lauf der Isar stromaufwärts folgend, erreichen wir bald das marmorreiche Lenggries, wo der schmale Bergweg sich in das eingefriedete Tal verliert; im Grunde desselben liegt die Hohenburg. Ungeduldig eilen wir einem der reizendsten Täler im Hochland zu, der Jachenau; die Jachen, die aus dem Krater des Walchensees überschäumend in dieses Tal niederrieselt, fließt an zerstreut liegenden Hütten vorbei, deren Bauart und Bewohner uns an die Schweiz erinnern, der Isar zu. Weiter dringen wir an der Isar hinauf, deren Tal sich immer enger als ungeheure Klause schließt; immer seltener wird in diesen Gründen das Menschenantlitz, nur hie und da blickt eine Sennerin von der Alm auf uns herab, und nur der Klang der Herdenglocken unterbricht die Stille dieser Einsamkeit. Versäumen wir den Fall nicht, vor dem der Flößer scheut. Wie ein edles junges Roß, das die Zügel gesprengt hat, stürzt sich die Isar aus zwei Felswänden hervor, die eng aneinandergedrängt sie mit Macht in die Mitte nehmen; aber mit gewaltigem Sprung und schäumend wie vor Hast und Zorn setzt sie über die Felsen hinweg und hinab. –

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Benediktbeuern

Das Ziel unseres nunmehrigen Ausflugs ist Tegernsee. Bei Holzkirchen trifft die von München von Norden gen Süden laufende Straße mit der von Tölz in nordöstlicher Richtung herreichenden zusammen; dort gewahren wir den von der Isar östlich an die Mangfall hinab eingefurchten Graben, der im Volksmund die Teufelsgrube heißt. Über Warngau (in alten Zeiten Mittelpunkt einer Herrschaft und im Besitz des Klosters Tegernsee) kommen wir nach Gmund, wo die Mangfall aus dem Tegernsee stürzt. Ein herrlicher Anblick, der sich jetzt uns bietet! Der heitere See liegt gen Süden vor uns; im Spiegel seiner klaren Fluten wallen die grünen Vorberge, kaum können wir gewahren, wo die Ufer sich abscheiden.

Am östlichen Ufer des Sees hinwandelnd, erreichen wir den Ort, wo St. Quirins Leiche, als sie von Rom kam, eine Weile niedergesetzt wurde; das Bergöl, das am gegenüberliegenden Ufer quillt, nennt das Volk, das es für eine wunderbare Gabe des Heiligen hält, St.-Quirins-Öl. Auf einer lieblichen Uferfläche prangt das stattliche Gebäude des einst mächtigen Klosters Tegernsee, die größte Breite des Sees beherrschend; gen Südwesten das freundliche Kirchdorf Egern überschauend, in dessen Kirche die Namen aller Bauern von Egern und Tegernsee, die 1705 gen München zogen, unter einem Gemälde der Sendlinger Schlacht aufgezeichnet worden sind. Tegernsee wurde 746 durch zwei adelige Brüder, Adalbert und Ottokar, gestiftet, die Stiftung durch Herzog Odilo vermehrt; die erste Klosterkirche soll 754 eingeweiht worden sein, die Stifter nahmen selbst das Ordenskleid Benedikts an, und Adalbert wurde des Klosters erster Abt. König Konrad I. bestätigte 919 Tegernsees Freibriefe; Arnulf dagegen, der in den klösterlichen Überlieferungen der Böse genannt wird, gab die Klostergüter seinen Treuen zu Lehen. Kaiser Otto II. stellte das Kloster wieder her und setzte Hartwig von St. Maximin bei Trier demselben als Abt vor; Tegernsee war nun eine königliche Abtei, und die geistlichen Fürsten derselben umgaben sich mit Hofämtern, deren Würdenträger im Laufe der Zeiten die Klostergüter sich aneigneten, daß der Abtei Verarmung drohte. Der energische Abt Kaspar machte dem Unwesen ein Ende, gab wie den fürstlichen Rang, so auch den unnützen Prunk der Hofämter auf und zog die von den Würdenträgern besessenen Güter wieder ein; das schuf ihm von diesen solchen Haß, daß er nicht anders als im Panzerhemd ausgehen konnte. Sein Nachfahre Konrad umgab das Kloster (von 1476 bis 1485) mit einem Wall und mit Gräben.

In den Zeiten der Kirchenspaltung sandte Tegernsee rüstige Streiter zum Kampf gegen die neue Lehre, den Doktor Johannes Kech, der beim Baseler, den Doktor Wolfgang Sedel, der beim Trienter Konzil mitsaß. Der Abt Quirin Rest legte 1573 in Tegernsee eine Buchdruckerei an, der man die Herausgabe der Göttweiher Chronik, des Codex Laurisheimensis und mehrerer anderer wichtiger Werke verdankt. Überhaupt muß diesem Kloster nachgerühmt werden, daß es die Wissenschaft eifrig pflegte; seine Bibliothek war reich an sorgfältig bewahrten alten Handschriften und Druckerstlingen, sein physikalisches Kabinett an Apparaten, seine Naturaliensammlung an Seltenheiten.

Nach der Säkularisation wurde der größte Teil der Gebäulichkeiten Privateigentum und der für die Aufnahme von Gästen bestimmte Anbau abgetragen. König Max, der es liebte, hier – von allem Glanz des Hofes entlastet – unter seinen Kindern, den frischen Söhnen des Hochlands, zu wohnen, verwandelte die Klostergebäude in sein Schloß. Die freundliche, ruhig abgeschlossene Gegend wie der heitere, herzliche, gerade Sinn der Alpensöhne entsprach seinem innersten Wesen. Fragt noch heute in Tegernsee wie in allen Talgründen der Gegend und auf jeder Alm nach dem guten Vater Max, und in jeder Brust werdet ihr sein Andenken treu gehegt und gepflegt finden, in jeder Sennhütte werdet ihr Worte der Liebe über ihn hören.

Anderthalb Stunden von Tegernsee, gegenüber von Enterbach, versäumt nicht, die reichen Marmorbrüche voll der mannigfachsten Arten und Zeichnungen zu beschauen; seid ihr rüstige Bergsteiger, so wandelt die Giedelalpe hinan, von der aus ihr köstliche Fernsichten aufs Bayerland hinab genießt. Auch laßt euch eine dreistündige Wanderung nach Kreuth nicht gereuen; könnt ihr euch entschließen, auf all jene noblen Badepassionen zu verzichten, deren Befriedigung ihr in Wiesbaden oder Baden-Baden findet, auf die ganze Jämmerlichkeit eurer Salons und Reunionen, in denen ihr nur schöne Frauen, Worte des Leichtsinns und der Nichtigkeit und eine prunkende Diplomatie genießt; sehnt ihr euch aus jenen im feenhaften Kerzenschimmer strahlenden Höhlen oder Höllen, wo jeder Blick eines Croupiers ein Diebswunsch auf eure Börsen und auf euren Frieden ist, in das unentweihte Heiligtum der Natur – so kommt nach Kreuth, trinkt, wenn ihr krank seid, die balsamischen Lüfte des stillen Alpentals, begrabt eure Sorgen in grüner Waldesnacht, lernt groß und kräftig werden wie die Natur und ihre frohgemuten Söhne, bei deren Anblick euch das Herz im Leibe lacht.

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Tegernsee

Mühevoll, aber reich belohnend ist die Bergwanderung von Tegernsee nach dem kleineren, aber zauberhaft schönen Schliersee, an dessen Ufer, hoch auf Felsen, einst das Herrenhaus der reichen und frommen Waldecker und der Maxlreiner und das Chorstift Westenhofen, das durch Albrecht IV. – mit Ilmmünster vereinigt – ins neue Chorstift an der Frauenkirche verwandelt wurde, standen. Die herrlichste Aussicht über den See bietet sich von jener Anhöhe im Osten, wo das Kirchlein auf der Stelle einer früheren Burg erbaut wurde. Die Häupter des Hagebergs, des Wendelsteins und der Brechspitz blicken gleich Hütern in dieses liebliche Tal herein. Von dem Maxlreiner und der schönen Amelei geht am Schliersee eine schaurige Sage, wie letztere, die um des Maxlreiners Liebe willen ihrem Vater heimlich entflohen war, im Wahn, daß ihr Gatte sie treulos verlassen, sich verzweiflungsvoll in den See gestürzt habe; wie ein Fischer sie vom Tod gerettet, in sein Haus aufgenommen und, ihre Abkunft nicht kennend, zu seiner Hausfrau gemacht habe. Drei Jahre darnach sei der wilde Wulf von Maxlrein wieder in die Gegend gekommen und bei demselben Fischer eingekehrt; da habe er seine Gattin als dessen Weib und habe ihr und des Fischers Kind gesehen, den Hergang erfahren und voll Wut im Herzen Rache beschlossen.

Üppig lockt der Tafel Freude,
Und der Tisch ist blank gedeckt,
Daß der Anblick Lust erweckt.
Und in seinem besten Kleide
Sitzt der Graf, der lang im Leide
Tief erbleicht, im Festgeschmeide
Jetzt mit einem Blick am Mahl,
Wie in Nacht des Wetters Strahl.

Zu dem Vogt, dem altersgrauen,
Ruft er: »Füll den Becher an,
Einsam bin ich, alter Mann,
Heute will ich Gäste schauen,
Tapfre Männer, schöne Frauen,
Doch in allen deutschen Gauen
Blüht kein Weib, das mir gefällt,
Dem gleich, so ich jetzt bestellt. –

Knechte, bringt mir doch die Gäste!«
Rasend flammt des Auges Wut,
Als er näßt in goldner Flut
Seinen Bart beim Maienfeste.
»Immer mangelt noch das Beste,
Denn ein Band, das stärkste, größte,
Möcht' ich schlingen mir zur Lust,
Wie's beschlossen in der Brust.«

Da brachten die Knechte die schöne Amelei, ihren Mann, den Fischer, und beider Kind in Ketten herein; und der Maxlreiner rief ihnen hohnlachend zu:

»Seht ihr die drei Klippen ragen
Auf der Alpe höchstem Stein?
Dort nehmt eure Mahlzeit ein.
Sturm mag euch die Speise tragen,
Sturm nach euren Lüsten fragen.
Gäste, wollt ihr schon verzagen?
Seht! die Rache sättigt treu
Und den Durst stillt sie dabei.«

Und nach seinem Befehl wurden die drei Unglückseligen hoch auf der Alpe Gipfel angeschmiedet; aber nicht lange darnach erwachte ihm Reue im Herzen über den unmenschlichen Richterspruch. Als er jedoch seine Knechte hinaufsandte, die Gefesselten wieder zu lösen, waren sie schon verschmachtet, und in Verzweiflung gab er nun sich selber – durch einen raschen Sprung – den Tod.

Herrliche Seitentäler laden euch zum Besuch ein, das Direnbacher und das Auracher; versäumt auch nicht, die Stockeralpe und die Spitzingalpe zu besteigen; in einem hochgelegenen Bergkessel überrascht euch dann der Anblick des Spitzingsees; ihr dringt höher und weiter, an der Rotwand und am Hohen Stümpfing vorbei, bis ihr den Totengraben erreicht und das mächtige Schleusenwerk der Kaiserklause. Von da zurückkehrend durchmeßt ihr ein langgestrecktes Seitental, das sich gen Bayrischzell öffnet, und nun wandelt ihr, wo das Tal am breitesten ist, auf Fischbachau zu, wo Haziga, die Witwe des Pfalzgrafen Otto von Scheyern, 1086 das von ihr gegründete Benediktinerstift von Zell hinversetzte und 1087 eine Kirche zu Ehren der Mutter Gottes und ein Kloster baute; 1103 versetzte Pfalzgraf Otto III. das Stift auf den Petersberg, wo die Glonn in die Ammer mündet, 3 Meilen von Scheyern. Von Fischbachau aus wandert ihr weiter nach Elbach, und mächtiges Verlangen faßt euch, den Wendelstein zu erklimmen.

Frischauf denn; den Schwindel unten gelassen, die Alpenstöcke eingesetzt! Zur Fischbacher Alpe geht's hinan, da ist die erste Rast; dann zur Reindlalpe empor, da sondert sich erst der Leib des Wendelsteins aus dem Gewühl der über seinen Fuß geschichteten Vorberge. Immer rüstig voran auf dem mühevollen, unsicheren Pfad; hakt euch ein in die Felsen, faßt Fuß im Geröll, wie ihr könnt, pfui der Schande, wenn ihr vor den jähen Gründen erschreckt, die sich dicht vor euch unabsehbar hinabsenken, wenn ihr, so nah dem Gipfel, noch umkehren wollt. Lieber klettert mit Händen und Füßen über die Felsbrocken hinweg, der Genuß am Ziel lohnt euch jegliche Mühe. So von den Stürmen umtobt, die seit Jahrtausenden über das Haupt des steinernen Riesen dahinfahren, dünkt ihr euch nicht größer denn er? So vom Morgenrot angeglüht schallt aller Klang, den dieser ungeheure Memnon gibt, auf dessen Scheitel ihr steht, seine steinernen Locken umfassend, in euch hinein, und jede Empfindung, Wonne und Schauer im Genuß der Schönheit der Natur wird Anbetung. Tief unter euch die Felsgipfel und Abgründe, die grünen Triften und die tief eingesenkten Täler, aus denen leise, kaum vernehmlich, die Töne der Kirchenglocken heraufzittern; weiter hin gen Süden die Felshörner, leuchtend im Glanz ewigen Schnees; gen Norden der Breitenstein, weiterhin die unabsehbare Ebene Bayerns, geschlossen von den Waldbergen, die jenseits der Donau im blauen Duft schwimmen; gen Osten das Tal des Inns, der aus dem Wunderland Tirol hervoreilt und Altbayern durchströmt.

Von Elbach aus besuchen wir den Auer Berg, von dem sich eine Aussicht – wenn auch nicht so weit und herrlich wie vom Wendelstein, doch lieblich – auf den Wendelstein und Irschenberg und auf den Inn bietet. Von dem Dorf Au wenden wir uns nach Miesbach. Am rechten Ufer der Schlierach ist dieser durch Feuersbrünste oft verheerte Markt, den ein Bergbach durchzieht und den fleißige Menschen bewohnen, malerisch hingebaut. In der Nähe steht Schloß Wallenburg, einst der Waldecker und Maxlreiner Grafen Besitz; unter Wolf und seinem Sohn Wolf Dietrich von Maxlrein verbreitete sich von hier aus die Reformation in der Umgegend.

Und nun treten wir unsere Rückreise nach München an; unser Weg führt uns zunächst über Pienzenau – ein Name, der uns das Andenken des tapferen Hans Pienzenauer, des Verteidigers von Kufstein, ins Gedächtnis zurückruft – nach Weyarn; hier hatte Graf Sigiboth von Falkenstein zur Sühne zwiefacher Blutschuld 1130 ein Kloster gebaut, das er den Chorherren nach St. Augustins Regel übergab. Wir sind jetzt im Gebiet der ehemaligen Grafschaft Valey, von deren Herren, die dem Stamm der Wittelsbacher blutsverwandt waren, der letzte, Graf Otto, ohne Erben 1238 starb. Otto der Erlauchte zog damals die Grafschaft an sich; zu Anfang des 15. Jahrhunderts belehnten die Münchner Herzöge Ernst und Wilhelm ihren Kammermeister Veit Aheimer damit; 1599 kam sie lehnsweise an die Seyboltsdorfer, dann an die Maxlreiner und endlich an den Grafen Kurz, der sie an die Jesuiten in München vererbte, welche sie an die Grafen von Tättenbach verkauften. Wir passieren nun die Teufelsgrube und die Römerstraße und setzen unsere Rückreise nach München über Höhenkirchen, wo die Straße nach Rosenheim abfällt, fort.


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