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Drittes Kapitel

Als der kleine Eduard Lemberger nach Hause kam, war die Familie des Polizeirats schon am Mittagstische versammelt.

Sie bestand lediglich aus dem Herrn Polizeirat selbst, seiner Frau Gemahlin und der Tochter Blanka.

Als Haupt der Familie saß der Polizeirat, wie es sich gehört, oben am Tische.

Er hatte das Tageblatt neben sich liegen, da seine Zeit, wie er ständig hervorzuheben die Gewohnheit hatte, sehr gemessen war und er jede Minute ausnützen mußte.

Er war von mäßiger Größe, aber ziemlich wohlbeleibt, hatte ein dickes rundes Gesicht und eine starke Glatze.

Von Grund aus war er harmlos und gutmütig, solange ihm nicht etwas über den Weg lief, das seine Bequemlichkeit störte.

Da das aber heute der Fall war und man das Mittagessen des Jungen wegen, der viel zu spät nach Hause kam, schon über Gebühr hinausgeschoben hatte, ließ er die Mundwinkel hängen, wie immer, wenn er übler Laune war, und starrte verdrießlich vor sich nieder.

Seine Frau war eine geborene von Grimay und eine vornehme Dame. Sie war größer als ihr Mann, hager, und saß am unteren Ende des Tisches.

Die nervösen Finger ihrer schlanken weißen Hand spielten mit dem Griffe eines Messers, und eine Wolke lag auf der hohen Stirne, obwohl sie sich den Anschein gab, als ob sie die herabhängenden Mundwinkel ihres Gemahls nicht bemerkte.

Ihre Ausdrucksweise war fest und bestimmt und sie sah mit hoheitsvollen Blicken, denen er gerne auswich, um sich.

»Es ist spät, ungewöhnlich spät,« sagte sie in einem Tone, der auszudrücken schien, daß sie nicht abgeneigt sei, dem Polizeirat die Schuld dieser Verspätung zuzumessen.

Dieser gab einen grunzenden mißvergnügten Ton von sich, der eine Zustimmung bedeuten konnte, je nachdem man ihn auslegte.

Darauf sagte Blanka, während sie horchend ihr zierliches Köpfchen neigte: »Ich glaube, er kommt!«

Sie war ein hübsches Kind im Alter von zwanzig Jahren, hatte ein weiches, träumerisches Gesicht und sah weder dem Vater noch der Mutter ähnlich.

»Ja, ja, gewiß, er kommt, es ist Eduard,« wiederholte sie mit einer sehr sanften Stimme.

In die herabhängenden Mundwinkel des Vaters kam einige Bewegung. »Ich glaube, ich werde den Burschen einmal ordentlich durchhauen,« sagte er.

Frau Agathe geborene von Grimay richtete sich noch höher auf. »Ich bitte dich, nur keine Szene. Du weißt, daß ich Nerven habe.«

Der Polizeirat gab wieder jenen grunzenden Ton von sich, dessen er sich bediente, wenn er keine bestimmte Antwort geben wollte, und offenbar verbesserte dieser Appell seiner Frau, auf ihre Nerven Rücksicht zu nehmen, seine Laune keineswegs.

Die hübsche Blanka aber ging zur Tür und öffnete sie, weil sich der Erwartete immer noch nicht zeigte.

Darauf schien der Missetäter nur gewartet zu haben, denn alsbald begann draußen im Flur ein klägliches Geheul, und Blanka zog den Burschen mit sanfter Gewalt in das Zimmer.

Er trollte sich sogleich zur Mutter und schmiegte sich an sie, indem er sein Geheul wesentlich verstärkte.

»Aber, Eduard,« sagte Frau Agathe mit umflorter Stimme, »was hast du? Was soll das heißen? Ich hoffe nicht, daß dir irgend jemand etwas getan hat?«

Der Polizeirat schnaubte vor Ärger. »Der Bursche bringt mich noch zur Verzweiflung. Willst du ruhig sein oder ...?«

Frau Agathe geborene von Grimay sah indigniert von dem schluchzenden Knaben auf. »Ich denke, diese Tonart ist nicht angebracht. Ich bitte dich, mein Lieber, laß solche Drohungen. Ich bin sie nicht gewöhnt.«

Dann wandte sie ihre Sorge wieder dem Kinde zu.

Die sanfte Blanka aber nahm ihr Taschentuch und wischte dem kleinen Bruder die Tränen ab, die nicht vorhanden waren.

»Er hat mich geschlagen,« heulte der junge Strolch in jammervollen langgezogenen Tönen.

Darauf allgemeine Stille.

»Geschlagen?« Frau Agathe geborene von Grimay brachte das Wort kaum über die Lippen. »Wer?«

»Der Lieberich!« brüllte der Bursche.

Darauf ließen alle drei, Vater, Mutter und Tochter, einen Laut des Erstaunens hören.

»Da hört sich doch alles auf,« sagte der Polizeirat. Wie kommt der Mensch dazu, meinen Sohn zu schlagen, während ich doch der Polizeirat Lemberger bin, und er ist ein junger Mann und ein ganz gewöhnlicher Schulmann, wenn er sich auch zehnmal Doktor schimpfen läßt. Das ist eine unerhörte Anmaßung, denkt er und ballt zornig die Faust, als wollte er auf den Tisch schlagen. Er vergißt sogar die Mundwinkel hängen zu lassen in seinem grimmigen Erstaunen.

Ganz anders benimmt sich die geborene von Grimay. »Man sagt: Herr Doktor Lieberich, Eduard! Das mußt du dir merken!« bemerkte sie mit stolzem, aber zärtlichem Vorwurf. Und zu ihrem Gemahl gewendet fügte sie hinzu: »Es ist ein ganz gewöhnlicher Mensch, dieser Lieberich.«

Die süße Blanka sagt gar nichts, aber sie heftet ihre großen entsetzten Augen auf den Jungen und schiebt plötzlich das Taschentuch wieder ein, sie rückt sogar etwas weg von dem ungezogenen kleinen Bruder und sieht ganz verwirrt aus.

Selbstverständlich faßte sich Frau Agathe zuerst. Sie ist Herrin der Situation, sie tröstet mit einigen Worten den Märtyrer und läutet die Tischglocke, damit das Essen aufgetragen wird. »Nachher sprechen wir noch mehr davon,« sagte sie zu ihrem Gemahl.

Sobald die Suppe auf dem Tische stand, beruhigte sich der kleine Eduard auffällig rasch. Dennoch blieb während des ganzen Essens die Stimmung schwül und es wurde wenig gesprochen. Es lag wie ein Gewitter in der Luft.

Der Polizeirat kam nicht aus der Entrüstung heraus und Frau Agathe geborene von Grimay schwankte zwischen Empörung und Schmerz.

Als das Essen abgetragen war, ging es an.

»Weshalb hat dich dieser ... Herr Doktor Lieberich geschlagen, Eduard?«

Eduardchen begann in der Erinnerung an die erlittene Unbill aufs neue zu schluchzen.

»Weil mich Fritz Ehret gestoßen hat.«

Frau Agathe sah um sich, als wollte sie sich von den Anwesenden bestätigen lassen, daß sie nie etwas andres erwartete.

»Unerhört!« Ihre Stimme nahm einen tiefen Klang an. »Eduard wird geschlagen, weil ihn ein anderer stößt.« Dann faßte sie einen plötzlichen Entschluß. »Eduard,« sagte sie mit großer Bestimmtheit, »du kannst gehen.«

Sofort verschwand er mit beträchtlicher Eile und mit einem triumphierenden, boshaften Blick. Weil er ganz genau weiß, daß er der Gefahr entgangen ist und Papa ihn nicht mehr prügeln wird und daß er dem Lieberich eine böse Suppe eingebrockt hat. Also zwei Mücken auf einen Schlag. Das hat er gut gemacht.

Und Eduard hat recht, denn Frau Agathe macht sofort einen Vorstoß. »Ein ordinärer Mensch! Ein Prügelmeister! ... Aber es ist gut, daß es noch jemand gibt, der über ihm steht ... Du wirst den Herrn Rektor aufsuchen, lieber Mann!«

Der Polizeirat grunzte.

Ihre Stimme gewann an Schärfe. »Oder willst du dir auch das gefallen lassen?«

Sie sagt »auch das«. Ihr Gemahl hat es wohl gehört und er weiß ganz genau, was das bedeutet. Es ist der ständige Vorwurf seiner Frau, der geborenen von Grimay, daß er zu schwach ist, daß er nicht genügend Energie entwickelt, weil er seine Ruhe zu sehr liebt, daß er sich insbesondere alles gefallen läßt und daß alle auf ihm herumtreten, daß er deshalb auch niemals zur Geltung kommt ... Es ist immer derselbe Vorwurf, der ihn nur aufreizt und stets das Gegenteil bewirkt. Sonderbar, daß Frau Agathe dies nicht einsieht.

Darum stieß er seinen grunzenden Ton aus.

»Du willst also nicht hingehen, um dich zu beschweren?«

Nun richtete er sich auch auf, fast so hoch, wie Frau Agathe. »Nein, ich werde es nicht tun.«

»Und warum nicht, wenn man fragen darf?«

»Weil ich dem Burschen, dem Eduard nicht glaube.«

»Und ich glaube ihm auch nicht,« sagte plötzlich die süße Blanka mit fester Stimme, bevor noch Frau Agathe eine Einwendung erheben konnte.

Das wirkte wie ein Donnerschlag. Es ist das erste Mal, daß sich Blanka etwas Derartiges erlaubt, daß sie sich mit einer eigenen Ansicht hervorwagt, daß sie in eine Auseinandersetzung der Eltern – die gar nicht selten ist – eingreift.

Beide Eltern richten entsetzte Blicke auf ihre Tochter. Er, der Polizeirat, weiß gar nicht, was heute los ist, heute ist alles wie verschworen, heute gibt es sicher noch etwas recht Unangenehmes.

Und Frau Agathe kann sich kaum mehr fassen. Was soll das heißen, daß das Kind sich derartiges herausnimmt? Aber vielleicht ist es harmlos. Vielleicht ist es nur die Weisheit des Hühnchens, das klüger sein will, als die Henne.

»Und warum glaubst du es nicht?« sagte Frau Agathe und betonte das Wort du stark und mit einer kleinen Verachtung.

»Weil der Doktor den Eduard nie geschlagen hätte, wenn nicht etwas ganz Besonderes vorgefallen wäre,« gab Blanka zur Antwort. Zuerst versucht sie, fest und gleichgültig zu sprechen, aber bald zittert ihre Stimme und plötzlich wendet sie sich ab, bricht in Tränen aus und verläßt schnell das Zimmer.

Sprachlos sehen sich die Eltern an, aber sie werfen einander einen Blick zu, der mehr sagt als viele Worte.

Blanka? ... Der Lieberich! – Das Kind und dieser Mensch, der so frech ist – der so roh ist – den Sohn eines Polizeirats zu schlagen – den süßen Eduard zu mißhandeln!

»Da haben wir die Geschichte!« sagte Herr Lemberger.

Auch das versteht Frau Agathe sofort. Sie weiß, was er damit meint. »Nein, nein,« entgegnete sie, viel lebhafter, als sonst ihre Art ist, »soweit ist es noch nicht.«

»Glaubst du?«

»Dafür bin ich Bürge. Die Mutter kennt das Herz ihres Kindes. Es ist keine Gefahr. Er hat im letzten Winter einigemal mit ihr getanzt, das ist alles. Blanka ist ein unschuldiges Kind, und so hat er es verstanden, einigen Eindruck auf sie zu machen.«

»Dieser Lieberich,« sagte der Polizeirat mit Ingrimm, »der wäre mir gerade recht. Ich muß gestehen, der Mann hat mir niemals einen günstigen Eindruck gemacht. Ich will nicht sagen, daß ich ihn für einen Verbrecher halte, denn ich will nicht ungerecht sein. Aber er ist ein sonderbarer Mensch.«

»Ein Rohling –«

»Der mir durch sein scheues Benehmen gegen mich des öfteren aufgefallen ist. Der Mann war mir immer verdächtig ... Der Lieberich und Blanka, niemals!«

»Niemals! Ich werde ein scharfes Auge auf das Kind haben!«

»Ich will ihn beobachten!«

»Wenn er wenigstens ernste Absichten hätte,« sagt Frau Agathe nach einer Pause.

Das ist weibliche Inkonsequenz.

Nachher ging der Herr Polizeirat aus dem Zimmer, um sich ein wenig auf das Ohr zu legen, weil er dies besonders nach jeder Gemütsaufregung dringend benötigte, während Frau Agathe desgleichen hocherhobenen Hauptes das Zimmer verließ, um erst einmal nach Eduardchen zu sehen.

Da sie ihn eifrig lernend über seiner lateinischen Grammatik sitzen sah – er hat nämlich in der Zwischenzeit bei dem Versuch eine selbstverfertigte Zigarette zu rauchen, sich ein Loch in die Hose gebrannt – ging ihr Herz auf in mütterlicher Freude und sie entfernte sich behutsam, um jede weitere Störung zu vermeiden und demnächst nach Blanka zu sehen.

Es zeigte sich, daß sie verschwunden war, und bei dem Bestreben, die Vermißte aufzusuchen, wurde sie plötzlich durch den Besuch der verwitweten Frau Hofrat Beierlein unterbrochen; sie kam nur auf eine Minute herüber, um ein ausgezeichnetes Rezept zur Herstellung einer Süßspeise, die im letzten Damenkranze allgemeine Bewunderung erregte, abzuschreiben.

Es läßt sich leicht einsehen, daß Frau Agathe über dieser wichtigen Angelegenheit Eduardchen, Blanka und selbst den Herrn Gemahl vergaß, und als die Dame eine Stunde später nach einem herzlichen Abschiede das Haus verließ, traf sie ihren Mann schon im bequemen, mit Schnüren reich verzierten Hausrocke an seinem Schreibtische sitzend, wie er das Tageblatt studierte.

Es ist hier absichtlich das Wort studieren gebraucht, denn Herr Polizeirat Lemberger las die Zeitung nicht, sondern er studierte sie.

Damit soll nicht etwa angedeutet sein, daß er sich außergewöhnlich lange und mit übermäßiger Behaglichkeit in die Zeitung vertiefte, sondern daß er arbeitete. Es ist zweierlei, ob ein Rentner nach einem guten Mittagsmahl bei einer Tasse Kaffee und einer angenehmen Zigarre die Zeitung nach Neuigkeiten durchstöbert oder ob ein Polizeirat die Zeitung liest. Denn was für den einen ausschließlich eine Quelle des Vergnügens ist, ein liebgewordenes Mittel, der tödlichen Langeweile Herr zu werden, ist für ihn ernsthaftes Forschen. Mit kritischem Sichten entnimmt er den Spalten der Zeitung wertvolles Material, sucht er Fingerzeige, findet er Spuren, entdeckt er Anzeichen eines Verbrechens, die Lösung eines verschlungenen Knotens.

Die Zeitung ist ihm also eine Fundgrube, fast so wertvoll wie ein Aktenbündel.

Entweder mußte der Herr Polizeirat schlecht geschlafen haben oder er war der vorausgegangenen Gemütsbewegung immer noch nicht Herr geworden, denn er ließ erneut die Mundwinkel auf eine bedenkliche Weise herabhängen und sah dabei unverwandt, indem er die Zeitung sinken ließ, gedankenschwer durch das offene Fenster.

Man würde sich indes täuschen, wollte man annehmen, daß der Herr Polizeirat über die Verfolgung irgend eines Verbrechens nachgesonnen hätte. Diesmal galt sein Nachdenken vielmehr einer rein persönlichen Angelegenheit. Denn er las soeben die Dekorierung seines einstigen Schulfreundes und jetzigen Kollegen Meinfelder in Frankfurt mit dem Ehrenkreuze des Hausordens der – doch der Name tut nichts zur Sache, genug, daß er es hatte, und Polizeirat Lemberger besaß es nicht, er besaß überhaupt noch keine Auszeichnung und die linke Seite seines Uniformrockes war ebenso leer als fein Knopfloch.

Das drückte ihn, denn er war ehrgeizig. –

Fette wohlbeleibte Menschen sind selten ehrgeizig, darum wollte schon Julius Cäsar nur Leute mit dicken runden Köpfen um sich sehen.

Polizeirat Lemberger war wohlbeleibt und doch ehrgeizig.

Wenn man seine Pflicht tut, will man auch seine Anerkennung haben, das ist menschlich und verständlich. Umgekehrt, der Gedanke, sein Verdienst unbeachtet zu wissen, wirkt verstimmend, lähmend, niederdrückend.

Ein schwerer Seufzer löste sich aus seiner Brust.

Da nun in diesem Augenblicke mit hoheitsvollem Wesen und abgemessenem Schritte Frau Agathe geborene von Grimay das Zimmer betrat, hörte sie diesen Seufzer und erkundigte sich sogleich nach dem Grunde.

Herr Lemberger nahm die Zeitung und wies schweigend mit dem Finger darauf.

Und nun muß die Wahrheit gesagt werden. Der Ehrgeiz des Herrn Lemberger war kein natürlicher, angeborener, sondern ein angelernter, eingepflanzt von Frau Agathe. Sie war die Triebfeder. Frau Agathe war der Ansicht, daß ein Polizeimann, der die leitende Stelle eines Rates einnimmt, unbedingt auch äußerlich erkennbar sein müßte und nicht zum mindesten durch den Besitz der beliebten bunten seidenen Bändchen im Knopfloche.

Da sie aber das Fehlen jeglicher Auszeichnung bei ihrem Herrn Gemahl weniger auf Mißgunst oder Neid zurückführte, als auf den Mangel an Energie und hervortretender Betätigung des Herrn Lemberger, so pflegte sie ihn mit wohlgemeinten und anspornenden Reden, durch Vorstellung guter Beispiele und Vorbilder, durch Hinweis auf diesen oder jenen Amtsgenossen aufzumuntern, so daß er zuweilen in eine gelinde Verzweiflung geriet und gerne Vorbilder und Beispiele, Amtsgenossen und Ordensbänder zum Kuckuck gewünscht hätte.

Aus dieser Nachhilfe durch Frau Agathe geborene von Grimay entstand also jener bei einem Manne von seinem Äußeren immerhin auffällige Ehrgeiz.

Und auch jetzt wieder wußte Herr Lemberger ganz genau, daß die Auszeichnung seines lieben Jugendfreundes Meinfelder nunmehr den Anlaß geben würde, ihn aufzumuntern und anzufeuern, wie Frau Agathe meinte.

Darum war er sehr kleinlaut, da er ihr die Stelle zeigte.

Sie beugte sich über das Blatt. »Ah, Meinfelder,« sagte sie.

»Meinfelder! Es ist scheußlich, eine Gemeinheit ...«

Frau Agathe ordnete flüchtig am Schreibtische, legte den Brieföffner in Gestalt eines kleinen Zierdegens zurecht, den Tintenwischer, das Schreibzeug. »Laß Meinfelder seine Freude,« sagte sie leichthin. »Ich gönne ihm seinen Erfolg. Ich würde nur gerne auch dir einen solchen Erfolg gönnen.«

Das war der erste Stich.

»Ja, Glück muß man haben.«

»Gewiß, man muß Glück haben, daß sich ein Fall bietet, der die Möglichkeit gibt, sich auszuzeichnen. Aber man muß auch den Verstand haben, einen solchen Fall zu erkennen.« Das war der zweite Stich, schon bedeutend kräftiger als der erste. »Bietet sich aber die Gelegenheit,« fuhr Frau Agathe fort und wandte sich aufrecht und mit hoheitsvollem Blick gegen ihren Herrn Gemahl, »dann darf man keine Schlafhaube sein. Man darf nicht im bequemen Hausrock sitzen« – Frau Agathe haßte dieses Kleidungsstück bei einem Manne – »sondern muß seine Tatkraft entfalten. Drauf wie Blücher, heißt es dann ...«

Herr Lemberger räusperte sich hörbar. »Erlaube mir, Agathe!«

»Bitte, mein Herr Gemahl?«

Das klang, wie sich kreuzende Degenklingen.

So pflegten sich jedesmal jene Auseinandersetzungen anzuspinnen, aus denen Frau Agathe unausbleiblich als Sieger, Herr Lemberger gehorsam, gedemütigt – und ehrgeiziger als je hervorging.

»Agathe, ich hoffe nicht,« sagte er, schon bedeutend gemäßigter als bei dem ersten Versuche zur Opposition, »daß du mir Vorwürfe irgend welcher Art zuteil werden lassen willst?«

»Gewiß nicht,« gab Frau Agathe zur Antwort.

Da er nach der Art ihrer Erwiderung und dem Tone ihrer Stimme stark im Zweifel über die Ernstlichkeit ihrer Worte war, sah er schon nahezu demütig zu ihr auf. »Es wäre sehr unrecht von dir, Agathe, mir in dieser Hinsicht Vorwürfe zu machen, da ich tue, was in meinen Kräften steht. Es ist doch gewissermaßen auch ein Ruhm, daß in unsrer Stadt Ruhe und Frieden herrscht.«

»O gewiß, ein großer Ruhm,« gab Frau Agathe zur Antwort.

»Ich bitte dich, du weißt, ich kann diese Art von Spott nicht ausstehen!«

»Sagte ich etwas?« gab Frau Agathe zur Antwort.

»Ei, so wollte ich doch,« rief der geplagte Manu in Verzweiflung aus, »es passierte nächstdem Mord und Totschlag ...«

»So könntest du deine Tatkraft beweisen,« gab Frau Agathe zur Antwort.

Darauf stand Herr Polizeirat Lemberger in großer Erregung auf, kleidete sich hastig um, nahm Stock und Hut und machte sich spornstreichs auf den Weg nach seinem Amte, um sich unter den Akten zu vergraben.


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