Max Dreyer
Lautes und Leises
Max Dreyer

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Eva.

Wir sollten die Kinder doch nicht so viel allein lassen!«

»Aber Hedwig!«

»Eva wird vierzehn.«

»Nun ja – aber sie ist ein Kind! Und ein ebenso großes Kind ist mein Junge mit seinen fünfzehn. Was macht er nun da wieder?«

Sie hielt die Hand über die Augen zum Schutz gegen das Geflimmer der Nachmittagssonnenglut und blickte forschend den Kindern nach, die über die Heide dem Meere zustrebten. Eben machten sie halt, den Müttern noch einen Gruß zu winken. Doch war das Hergebrachte dem Jungen nicht recht: er stellte sich vielmehr 115 zum Hochstand auf die Hände, dann nahm das Mädchen seinen Hut – ihr behäbiges Lachen fühlten die Mütter in sanft ausschwingenden Wellen herüberzittern – und setzte die Kopfbedeckung dem Jungen auf den einen Fuß, der also gekrönt den Zurückgebliebenen lebhaft zunickte.

Seine Mutter lachte zu diesem Spiel aus ihren hellen, frohmütigen Augen.

Frau Hedwig aber meinte besorgt: »Dein Kurt wird sich noch einmal Schaden thun.«

»Das wollen wir nicht hoffen. Keinenfalls aber möchte ich ihm hineinreden in seine Freude an körperlichen Übungen. Nichts schützt ihn mehr vor Frühreife und Thorheiten.«

»Er hat Eva auch schon zur halben Akrobatin gemacht.«

»Ist ihr sehr gesund.«

»Ich sag' dir, Luise, heute morgen beim Baden hab' ich mich wieder mal halbtot um sie geängstigt. So weit ist sie hinausgeschwommen. Und dann all' die Kunststücke – das Tauchen und unter dem Wasser Schwimmen. Das Mädel ist wie ein Junge.«

In Frau Luisens klaren, sonnigen Zügen meldete sich der Schalk. »Nun also! Was hat es denn da für Gefahr mit den beiden!«

Und ernster fügte sie hinzu: »Wir dürfen ihnen einfach dieses Zusammensein nicht schmälern. 116 Wir würden ihnen damit ihre Ahnungslosigkeit nehmen, und das wär' das Dümmste, was wir thun könnten. Ich bleibe dabei, die beiden sind ganz kindlich und harmlos. Von meinem Jungen könnt' ich dir Geschichten erzählen! Er weiß kaum, daß es zweierlei Menschen giebt. Ich mach' mir über das Spielen der beiden nicht die geringsten Gedanken, und du brauchst das auch nicht. Und jetzt komm' aus der Hitze und leg' dich eine Stunde aufs Ohr, daß dein Mann heut abend Freude an dir hat.«

Sie nahm die Freundin bei der Hand und führte sie ins Hotel.

Seit etwa acht Tagen waren sie hier in Bornholm auf der Sommerfrische. Ihre Männer, Studienfreunde und Berufsgenossen, die früher in derselben Stadt als Richter gewirkt hatten, jetzt aber an verschiedenen Orten, der eine in Thüringen, der andere in Schleswig thätig waren, pflegten seit altersher, wenn immer es anging, ihre große Ferienreise zusammen zu machen. Diesmal hatten sich auch die Familien zusammengethan. Frauen und Kinder hatten den größeren Teil der Ferien auf Rügen zugebracht, während die Männer auf einer Nordlandsfahrt durch Norwegen und Schweden unterwegs waren. Dann waren die Familien nach Bornholm vorgerückt, wo die Väter heute auf der Heimreise einzutreffen gedachten. 117

Von diesem Aufenthalt auf Bornholm war Frau Landgerichtsrat Hedwig Melzer ihrerseits nichts weniger als erbaut. Sie war eine zarte Natur mit weichen Nerven und mattem Kreuz, ein »liegsamer Mensch« wie Frau Luise Kämmerer es nannte. Und wie hart lag es sich hier! Für sie war der weiche, wohlige Seesand das Richtige – hier aber durch das struppige Heidekraut fühlte man überall den unbarmherzigen Granit hindurch. Dazu verursachte die Höhe über dem Meere ihr ein unbehaglich-schwindeliges Gefühl und die schroffen, zerklüfteten Felsabhänge, die sie am Rande wußte, ängstigten ihre Vorstellung. Selbst die Romantik der vom Abendschein übergossenen oder von Seenebeln umbrauten Schloßruine Hammershus kam ihrer Seele nicht näher, weil das Wilde und Kühne mit seinem Unbehagen sich dazwischendrängte.

Und nun erst das Baden an diesem rauhen Felsgestade! Das hatte etwas geradezu Vorzeitliches, Urmenschliches! Die Anstalten, die allerdings nicht günstig lagen, wurden verachtet. Männlein und Weiblein suchte sich jedes für sich eine Felskluft, einen »Ofen«, wie man hier zu Lande sagte, entkleidete sich unter freiem Himmel und warf sich in reinem Naturzustande dem ewigen Meer in die Arme.

All dies Große, Freie und Kulturüberlegene 118 wirkte beklemmend auf sie ein. Um so mehr Freude aber gab es den anderen dreien, Frau Luise und den Kindern.

Weiter über die Heide zogen jetzt die Kinder ihres Wegs, der See entgegen. Sie achteten der Sonnenglut nicht, die die heiße Luft, als wäre sie müde und fluglahm, auf die Erde hinuntertaumeln und über den Boden hinkriechen ließ – über den Boden und weiterhin über die See, deren Farben die Hitze mit den verbrannten Tinten des Himmels zu einem toten bleiernen Blaugrau zusammenschmolz. Sie waren ganz in ihre Gedanken versenkt und von ihren Träumen befangen, sie wandelten nicht in der Hundstagshitze der trockenen Gegenwärtigkeit – die nordische Sage trug sie davon durch luftige Höhen, zurück in die Vorzeit heldenhaften Seins, und es überliefen sie die Schauer so erhabener, weltentrückter Versonnenheit.

»Du bist Ragnild, des grimmen Wegard blondlockige Tochter. König Hakon Eisenhand war dein Gemahl – ich hab' ihn erschlagen, ich Sigurd, Guthorms des Seefahrers Sproß. Und dich, des Königs Weib hab' ich entführt. Die ersten Verfolger hab' ich niedergeworfen. Nun sprengen wir über die Heide dem Meere zu. Du auf dem Rappen des Königs, ich auf meinem 119 Schecken, der Odins Roß entstammt. Am Meer wartet unser meines Bruders Schiff, das uns nach Island tragen soll. Aber vorher noch – dort drüben wo die Felsblöcke ragen – schneiden uns Mannen des Königs den Weg ab. Da kommt es zu einem furchtbar schweren Kampf, und wer weiß, ob ich dieser Feinde Herr werde!«

Das war spannend. Und in den großen blauen Augen des jungen Übelthäters, der Männermord und Frauenentführung auf dem Gewissen hatte, leuchtete freudige Erregung.

Die »blondlockige Ragnild« aber strich das glatte dunkelbraune Haar aus der schmalen Stirn, um zu ihrem Begleiter, dem sie voll Hingabe zuhörte, mit ihren runden, schwarzgrauen, ein wenig dummeligen Augen besser aufschauen zu können. Er gefiel ihr. Die Regsamkeit und schöpferische Phantasie, an der es ihr gebrach, imponierte ihr bei ihm unbändig. So kam es, daß sie ihre angeborene Bequemlichkeit, die sich namentlich nach Tisch bei ihr geltend machte, in seiner Gesellschaft ganz verleugnen konnte.

Sie hatte etwas Rundes, etwas Pummeliges und Animalisches, das nichts von Gedankenblässe wußte. Dabei gab eine geruhsame, behagliche und gleichmäßige Liebenswürdigkeit ihrem Wesen einen besonderen Reiz. Sie war nicht hübsch, 120 aber in ihrer Haltung und ihren Bewegungen von einer eigentümlichen lässigen Anmut, die von sich selbst nichts ahnte. Wie denn überhaupt das Unbewußte, das Instinktive in ihrer ganzen Art vorwaltete.

»Dein Rappe wird müde! Gieb ihm die Sporen! Die Mannen im Schiff harren unser!« so ermahnte Kurt die Gefährtin.

Und gehorsam trabte sie in der sengenden Glut neben dem großen blonden Jungen her, dessen Träume sie mit verzaubert hielten.

Jetzt kamen sie an eine Thalsenkung, in der ein kleiner Binnensee glitzerte.

»Hier tränken wir die Rosse! Die Wegfahrt war lang!« Sie hielten kurze Rast. Dann ging es den andern Abhang hinauf.

Und jetzt kamen sie auf das Stück Heide, von dem ihnen schon vorhin die mächtigen Felsblöcke zugewinkt hatten. Gleich dahinter stieß das Meer an das schroffe, hochragende Gestade.

Trotz des blendenden Sonnenglanzes hatte diese Landschaft, die übersäet war von gewaltigen, schwarzgrauen, dunkelbemoosten, phantastisch-wild geformten Steinen, etwas Düster-heroisches, Sagenbeschattetes. Dies war der Haupttummelplatz für die beiden, zu dem jeder einzelne Tag sie führte. 121

Und jetzt stand hier der große Kampf bevor mit den Reisigen des toten Königs, die ihnen den Weg verlegt hatten! Ja, wenn der Rappe mit dem edlen Schecken hätte Schritt halten können – kein Erdensohn wäre ihnen zuvorgekommen. Aber so –

Nun um so besser! Da gab es einen Strauß, so schwer, so blutig, so wild, wie er noch keinen bestanden!

»Siehst du! Da kommen sie angesprengt – der schwarze Iwar an der Spitze. Hoiho! Jetzt gilt's!«

In gewaltigen Sprüngen stürzte der Held vorwärts – mächtige Streiche führte er, so unheimlich-wild, daß sie ihn oft um seine eigene Achse wirbelten – und immer, wenn er einen Feind niedergeworfen, schmetterte er ein jubelndes »Hoiho!« in die Lüfte.

Da – was ist das! Er schwankt – er taumelt – er weicht zurück – er sinkt in die Kniee – aber schon hat er sich wieder emporgerafft – drauf mit ungebrochenem Mut, mit ungeschwächter Kraft! – ein neuer gewaltiger Hieb, und der Letzte der Gegner liegt am Boden.

Keuchend steht er da, als sie an seine Seite tritt.

»Das war Dagfinn, der Speerwerfer, mein 122 alter grimmiger Widerpart. Er hat's mir am schwersten gemacht. Nun sind sie alle dahin! Hoiho!«

Jetzt läßt er sich hochatmend nieder aufs Heidekraut. »Pfleg' meiner Wunden!« ruft er der Gefährtin zu.

Sie setzt sich zu ihm und bindet ihr Taschentuch um sein schweißdurchnäßtes Haar.

»Wir ruhn jetzt eine Weile. Alle Gefahr ist überstanden. Und bis zur Stelle, wo das Schiff angelegt hat, ist es noch weit.«

Das war ihr ganz nach dem Herzen. Die Sonnenglut hatte schließlich doch mehr Gewalt über sie gewonnen, als seine Phantasie. Von dem Laufen war es ihr unerträglich heiß geworden. Sie sehnte sich danach, ganz still zu liegen. Im Schatten eines Felsblocks streckten sie sich hin. Auch bei ihm hatte sich ein Ruhebedürfnis eingestellt, das seiner regsamen Vorstellung Halt gebot. So lag er denn, einen Grashalm im Mund, und blickte ziemlich gedankenlos zu dem dunstigen Himmel auf.

Es war, als sei die Luft da oben voll Rauch. Keine Wolke war zu sehen, aber ein dumpfer gleichmäßig schwälender Brodem nahm dem Himmel sein Blau, und ein staubiges Grau lag selbst auf den Sonnenstrahlen. 123

Vom Meere kam kein Laut. Es war so tot wie die Luft. Nichts Lebendiges ließ sich rings herum hören oder sehen, kein Vogel, kein Insekt. Durch die Welt ging der Schlaf.

Er drusselte eine Weile vor sich hin – da vernahm er von der Seite, wo »Ragnild« lag, ein leises regelmäßiges Geräusch – er richtete sich auf und sah sich nach ihr um: sie war fest eingeschlafen.

Erst kam ihm der Gedanke, mit seinem Grashalm ihre kleine stumpfe Nase, die sie beim tiefen Atmen ein wenig kraus zog, zu kitzeln, aber seine Gutmütigkeit wehrte ihm das, und er blickte sie ruhig an.

Sie hatte die Hände unter den Kopf gelegt. Die Ärmel ihres dünnen fast durchsichtigen Waschkleides hatten sich zurückgeschoben und zeigten ihren weißen, weichgeformten Unterarm. Durch ihren Hals sah man die blaßblauen Adern schimmern. Das Kleid stremmte sich über ihrer hochatmenden Brust, als sei es ihr zu eng geworden. Den linken Fuß hatte sie unter das rechte Knie gezogen: so kam es, daß das linke unter dem Kleidersaum neugierig hervorlugte.

Den Mund hielt sie halb geöffnet. Die kleinen Zähne blinkten hervor. Die tiefroten Lippen 124 hatten etwas Durstendes, Trinklustiges, etwas Schlürfendes.

»Sie sieht dumm aus mit dem offnen Mund,« sagte sich Kurt. »Einfach dumm. Was sie ja wohl auch ist. Und ein Mädel ist sie ja doch auch bloß so wie so. Aber man hat hier ja doch sonst Niemanden zum Verkehr.«

Er wandte geringschätzig die Blicke von ihr. Aber sie kehrten dann wieder zu ihr um und überflogen ihre ganze Gestalt.

Auf ihrem Kleid kroch ein Marienkäfer. Er war nach dem Saume zu unterwegs, dorthin, wo dieser sich mit dem linken Knie berührte. Jetzt hatte er den Rand erreicht und überschritt die Grenze. Er spazierte auf ihrem Knie weiter. Sollte er ihn wegnehmen? Sie rührte sich nicht. Sie bemerkte den Käfer gar nicht. Und was ging ihn das schließlich an?

Seine Blicke begaben sich wieder zu ihrem offenen Munde.

»Wie dumm sie aussieht!«

Es war ihm bei alledem doch nicht behaglich zu Mute. Etwas Unklares war über ihn gekommen. Er wollte fort und mochte doch bleiben. Es war, als ob ihn zugleich etwas stieß und zog. Dieses Wirrsal quälte ihn.

Er reckte die Arme und sprang auf die Füße. 125

Das that er mit solcher Wucht, daß sie zusammenfuhr und erwachte.

»Ha–ah!« sie dehnte die Glieder. »Ich glaub', ich habe geschlafen.«

»Ja, das hast du.«

»Wie heiß es ist!«

»Pah! heiß!« Er sagte es in rauh-verächtlichem Ton.

»Was ist denn? Bist du mir böse, daß ich geschlafen habe?«

»Nein, ich bin dir nicht böse.«

Es drängte ihn, das Spiel von vorhin aufzunehmen. Aber er brachte es nicht fertig, Ragnild in ihr zu sehen. Immer war es Eva Melzer, die da vor ihm im Heidekraut saß.

Hielt ihn die Hitze so eingeschlossen, ihn und seine Phantasie? Was hätte er darum gegeben, wenn jetzt ein Sturm in diese tote, leere Stille eingebrochen wäre – wenn er sich der Windsbraut entgegenwerfen könnte mit flatterndem Haar! Einem Schneesturm am liebsten, der die Stirne kühlt mit eisigem Brausen!

Unheimlich diese schwüle Lautlosigkeit, die wie eine Wüste war, in welcher man sich verirrt.

»Sag' doch was, Eva!«

»Was soll ich sagen! Sag' du doch was!«

Wie dumm sie war! Aber ihm fiel ja auch 126 nichts ein. Hatte sie ihn angesteckt mit ihrer Einfalt?

Er blickte über die See. Dort im Norden, wo die schwedische Küste liegt, zeigte sich ein dunkler Streifen am Horizont, schmal und kaum erkennbar durch den dunstigen Glutnebel. Und jetzt war es ihm, als ob von fernher ein Grummeln an sein Ohr zitterte.

»Ich glaub', wir bekommen ein Gewitter.«

»Das wär' eine Wohlthat. Weißt du, Kurt, was ich möchte?«

»Nun?«

»Ich möcht' heut' noch einmal baden.«

»Das ist ein Gedanke!« Sie konnte wirklich Gedanken, selbständige Gedanken haben. Und sehr selbständig war dieser sogar. »Aber wenn das deine Mutter erfährt –« fügte er hinzu.

»Das ist doch nicht notwendig,« antwortete sie mit größter Gemütsruhe. Und als er sie mit seinen großen Augen forschend ansah, erklärte sie ebenso gelassen: »Seine Mutter soll man doch auch nicht ängstigen.«

Kurt trat ganz verblüfft einen Schritt zurück. Das war eine Anschauung – eine Auffassung! Wo hatte das Mädel die her! Wie sollte man das überhaupt verstehen!? War sie so ganz göttliche weltüberlegene Harmlosigkeit? Oder 127 war sie dermaßen raffiniert? Oder war es bei ihr eine Mischung von heiliger Einfalt und wissender Verschmitztheit?

Zum erstenmal that sich so etwas wie das große Weltenrätsel: Weib vor ihm auf. Aber er fand sich in seiner Art schnell mit ihm ab.

Was kümmert's mich? Ihre Mutter ist nicht meine Mutter. Wenn ich bade, heute zum zweitenmal, was allerdings noch nicht dagewesen ist, so kann ich das nachher meiner Mutter ruhig erzählen. Ob sie es kann oder nicht kann, ob sie es nicht thut oder doch thut, überhaupt, was sie macht, ist doch ganz ihre Sache.

Und baden – ja! Das war wie eine Erlösung! Da kam man heraus aus der lähmenden Schwüle! Ins klare, frische Wasser! Und die Glieder geregt, bis sie schmerzen!

»Ich bade!« erklärte er mit überlegenem Tone und wandte sich zum Gestade. Wäre sie eitel gewesen, hätte sie ihm zu Gemüte geführt, daß der Gedanke doch eigentlich von ihr stamme, und daß sein hoheitsvolles Gehabe in diesem Falle nicht so ganz selbstverständlich sei. So aber folgte sie ihm gelassen.

Wie es der Brauch war, suchten sie sich am Ufer jedes einen passenden Badeplatz. Und wie es morgens geschah, wenn auch die Mütter 128 dabei waren, meldete, wer eine geeignete Stelle gefunden, dieses durch einen lauten Signalschrei, zugleich den andern über den Ort unterrichtend, wo er in die Fluten sich stürzen wollte.

Eva war die erste, die das Zeichen gab. Dann fand auch Kurt, etwa fünfzig Schritt weiter, sein Unterkommen.

Es waren zwei prächtige Nischen, wie zu Badezellen geschaffen, die sich die beiden ausgesucht hatten. Besonderes Glück hatte Eva gehabt. Sie saß in einer großen, zu beiden Seiten wohl verwahrten Halle. Den Boden hatte das Meer tadellos glatt gehobelt, nur in der Mitte war eine muldenartige Vertiefung, die zum Liegen geradezu einlud. Als sie sich entkleidet hatte, legte sie sich denn auch hinein. Sie füllte den Raum nicht aus, so groß war die steinerne Bettstatt. Der Felsen war ein wenig kühler als die Luft, aber doch warm genug, so daß sie mit vollem Behagen sich in der glatt ausgeschliffenen Höhlung wiegen und wälzen konnte. Beinahe weich lag es sich hier. Sie hätte hier schlafen können.

Die Luft deckte sie so warm zu mit ihrer flaumigen Schwüle. An den Felsen raunte und rieselte der leise Atemzug der See in kaum hörbarem Wispern. Das machte so müde. Und 129 faul rollte sie die rundlichen Glieder in der Mulde herum, an deren Politur ihre blanke Haut sich wohlig rieb.

Sie dachte nicht mehr an Kurt und kaum noch ans Baden. Da weckte sie deutlich vernehmbarer Donner aus ihrer schläfrigen Versunkenheit.

Als sie sich aufrichtete, sah sie, daß sich im Norden eine drohende Wetterwand erhoben hatte. Jetzt fing auch das Wetter an, unruhig zu werden, obwohl in der Luft noch immer sich auch nicht der leiseste Hauch regte. Es gab freilich keine Wellen, nur ein Zittern und Flimmern und Flackern war es, aber man merkte doch, daß in der Natur etwas am Werke sei.

Wenn du noch baden willst, ist es Zeit – sagte sie sich; sonst kommt euch das Gewitter über den Hals.

Sie stand auf und ging bis an den Rand ihrer Grotte. Als sie übers Wasser blickte, sah sie abseits zur Rechten einen Schwimmer in den Fluten sich tummeln. Das war Kurt. Jetzt hatte er sie offenbar bemerkt.

»Eva! Wo bleibst du denn!« rief er herüber.

»Ich komme!« gab sie zurück, und dann 130 untersuchte sie den Ausgang der Halle, die den einen Übelstand hatte, daß sie verhältnismäßig hoch, in halber Manneshöhe etwa, über dem Meeresspiegel lag. Gleich von dem Rande ins Wasser springen konnte man nicht, denn es ragten überall Felsen bis an die Oberfläche auf. Zu einer Seite aber war in schräger, nach dem Meere abfallender Stellung eine Platte vorgelagert, deren oberes Ende bis auf einen Fuß dem Rande der Nische sich näherte. Und wo dieses steinerne Brett unter dem Wasser zu Ende ging, da begann – das sah man genau – tiefer Grund und schwimmfreie Bahn.

So setzte sie sich auf die Platte und rutschte gemächlich ins Wasser hinein.

»Halloh!« Damit meldete sie sich zur Stelle. Und dann schwamm sie mit kräftigen Stößen vorwärts.

Erst gab sie noch eine Weile acht auf den Grund. Einzelne Felsenriffe waren in der Nähe des Ufers nichts seltenes. Als aber das Wasser andauernd tief und klippenfrei blieb, wußte sie, daß kein Hindernis mehr zu befürchten sei, und nun konnte sie sich ganz ihrer Schwimmkunst überlassen.

Sie warf sich auf den Rücken und schwamm so eine Strecke weiter. Dann überschlug sie 131 sich, wie ein Delphin, blieb eine Weile unter Wasser, kam dann in die Höhe, richtete sich hoch auf und tauchte mit kräftigem Stoß.

Kurt, der in gemessener Entfernung gleichem Thun ergeben war, hatte seine Freude an ihrer Fertigkeit. Allerdings war seine Kunst der ihren hundertfach überlegen. Dafür war sie ja auch bloß ein Mädel. Aber bei einem Mädel war das, was sie konnte, aller Ehren wert. Sonst, wenn sie nicht so gut hätte schwimmen können, würde er sie auch schwerlich seines Umganges gewürdigt haben.

Zur Belohnung planschte er ihr mit den Beinen seine Grüße zu. Sie sah es und grüßte planschend wieder.

Danach streckte sie die Hände weit über den Kopf zurück und legte sich so auf den Rücken zur Ruhe. In dieser Haltung konnte sie liegen bleiben so lange sie wollte. Sie meinte, sie würde sogar schlafen können in dieser Lage.

Und müde war sie noch immer. Das laue Wasser brachte kaum eine Erfrischung. Die Luft war noch immer so dick und dunstig und tot. Der Sonnenschein glanzlos und wie flüssiger Schwefel.

Wieder rollte der Donner. Diesmal klang es schon näher. Aber die Wetterwand schien 132 sich kaum weiter geschoben zu haben. Und sie sandte auch keine Wolken aus, die Sonne zu verhüllen, daß ihre Blitze heller leuchteten.

Eva blieb ruhig wie sie lag und schloß sogar die Augen. Wie lange sie sich so vom Wasser tragen ließ, wußte sie selber nicht. Dann war es ihr, als finge die Flut an, sie leise zu wiegen. Das machte sie noch müder, noch vergessener und verlorener.

Ein neues, lauter und näher rollendes, fast drohendes Donnergrollen störte sie nicht weiter. Über ihr war ja Sonnenschein. Und das stärkere Wiegen des Wassers empfand sie als Wohlthat.

Da war es ihr, als töne ihr Name an ihr Ohr – »Eva«, von Kurt gerufen. Oder war es nur ein Necken der Meergeister?

Und lauter und dringlicher klang es: »Eva!« Und da – ein prasselnder, knatternder Donnerschlag – und ein Brausen über ihr – und ein Wogen um sie her – und dann, als sie sich umdrehte, brach eine schäumende Welle über sie nieder, daß ihr Hören und Sehen verging, und sie Nase und Mund voll Wasser bekam. Und ehe sie sich von diesem Überfall erholt, schlug eine zweite Welle ihren Kamm ihr um die Ohren.

Ans Land! Das war ihr erster 133 Gedanke. Das Meer war plötzlich in wilder Erregung. Ganz in der Nähe mußte das Unwetter niedergegangen sein. Wer hätte sich solcher Tücke versehen können!

Jetzt bemerkte sie, daß sie viel weiter vom Ufer entfernt war, als sie geglaubt hatte. Und sie fühlte, daß sie immer weiter abgetrieben wurde. Eine mächtige Strömung hatte eingesetzt. Deren Vorläufer waren schon vorher am Werke gewesen, sie, als sie so auf dem Rücken lag, in sanft schaukelnder Bewegung von der Küste fortzuspülen.

Ans Land!

Schräg an der Insel vorbei ins offene Meer hinaus ging der Strom. In der Nähe des Ufers war ruhiges Wasser. Nur hier draußen toste die reißende Flut. Heraus aus ihrem drängenden, wirbelnden Schwall!

Gradaus warf sie sich den Wellen entgegen, daß sie sie nicht von der Seite fassen sollten. Aber so kräftig sie stieß, sie kam nicht von der Stelle. Und da packte sie die Angst.

Heraus! Heraus aus dem wilden Strom! Solange ihre Kräfte noch reichten! Was sollte sonst werden! Weit war es ja nicht bis zu dem ruhigen Wasser! Da war sie gerettet! Heraus aus dem Strom mit aller Kraft! 134

Aber was sie der einen Welle abgerungen, nahm ihr die andere mit ihrer packenden, schlagenden, stoßenden Wucht. Und da kam eine Woge, gewaltiger als die andere, und wie sie sich zum Kampfe gegen die Riesin aufrichtete, wurde sie über den Haufen geworfen. Gurgelnd rollten die Wasser über sie her und drängten sich ihr stickend in Mund, Nase und Ohren.

Mühsam hob sie den Kopf – wie Blei waren ihre Glieder – ihr Atem stockte – Todesnot griff ihr ans Herz – und da wälzte sich tosend ein neuer drohender Wasserberg heran – aufschreien wollte sie – aber es war nur ein glucksendes Wimmern –»Kurt,« stieß sie hervor – aber sie hörte selbst keinen Laut – und dann überschlug sie sich in dem Wirbel der niederbrechenden Welle.

Kurt hatte es gleich bemerkt, wie ihr die Strömung zu schaffen machte. Nun, als sie ihn rief, war er schon nahe an ihrer Seite. Und jetzt, wo sie aus dem Gischt wieder auftauchte, betäubt, hilflos, mit schwindender Besinnung, umfaßte er sie mit dem linken Arm und zog sie an sich. Sie spürte den Halt und umklammerte ihn halb bewußtlos.

»Meinen rechten Arm laß frei! Und den Kopf halt' höher!« keuchte er ins Ohr. 135

Sie that es nicht. Sie klammerte sich nur fester an ihn. Eine neue Woge brauste über die beiden nieder, und der Strudel wirbelte sie herum.

Da raffte Kurt sich mächtig empor, mit wildem Ruck riß er den rechten Arm aus der Umschlingung, fest drückte er Eva mit dem linken an sich, und mit gewaltigem Vorstoß arbeitete er dem wogenden Strom entgegen.

Vorwärts! Vorwärts! Noch war seine Kraft den Wellen überlegen. Würde sie aber reichen bis zum Ufer?

Schwerer und schwerer zog ihn die Last zur linken. Höher mußte er sie halten, daß ihr das Wasser nicht ständig über den Kopf ging. So mußte sie ja ertrinken, trotz seiner Hilfe.

Die Angst, sie könnte ihm im Arm sterben, spornte ihn zu immer wilderem Kampf. Hätten sie nur erst das ruhige Wasser erreicht! Aber Welle auf Welle galt es noch zu durchbrechen. Und jede stürzte sich ungestümer auf die vermessenen Menschenkinder.

In seinen Ohren war ein Brausen und Tosen, als müßte der Kopf ihm in Stücke gehen. Und im rechten, dem schwimmenden Arm, zuckte ein krampfartiger Schmerz – 136

Nur das nicht! Dann mußten sie beide elend vergehen – – nur das nicht!

Und ein neuer, mächtiger Stoß – und noch einer – und ein neuer Wogenberg überwunden – und durch einen neuen, wild zugreifenden Wellenkamm sich hindurchgeworfen – – sanfter wird das Gewoge, schwächer der Strom, und hier unter dem Schutz des Gestades wird das Wasser stiller und stiller.

Er hebt ihren Kopf – ihre Augen sind geschlossen – ihre Arme halten nicht mehr fest – ist es schon zu spät?

Eilig – eilig ans Land! Er nimmt sie jetzt in den rechten Arm, um mit dem ungeschwächten linken zu schwimmen – welk will ihr Kopf zur Seite sinken – sorgsam hält er sie so, daß Mund und Nase das Wasser nicht berührt. Und so schnell er vermag, schwimmt er ans Ufer.

Er entdeckt ihre Halle. Sie ist der nächste Landungsplatz. Auf der Steinplatte schiebt er sie in die Höhe. Dann klettert er nach und beugt das Ohr zu ihrem Herzen und horcht auf den Schlag. Nur leise ist er vernehmlich. Aber sie lebt! Gott sei Dank, sie lebt.

Jetzt gilt es, sie ohne Säumen ins Bewußtsein zurückzuführen. Als Sohn der schleswigschen 137 Hafenstadt weiß er aus den öffentlichen Anweisungstafeln genau, wie er zu verfahren hat. Er hält ihren Kopf und Oberkörper vornüber und öffnet ihren Mund mit den Fingern, damit dieser das Seewasser, das sie in Unmasse geschluckt hat, wieder von sich giebt.

Als nichts mehr heraussickert, trägt er sie weiter in die Nische hinein. In der Mulde bettet er sie nieder, sodaß der Oberkörper höher liegt. Dann kniet er zu ihren Häupten und sucht durch entsprechende Bewegung der Arme ihre Atmungsthätigkeit zu befördern, das Auge auf ihre geschlossenen Lider gebannt.

Er hört nichts von den Donnerschlägen. die jäh aufeinander folgen, merkt nichts von dem Unwetter, das draußen vorüberjagt. Jetzt hat die Sonne sich doch verfinstert. Und über die See rast der Sturm. Doch kein Tropfen Regen fällt.

Hier in der Halle ist es geschützt. Kein Windhauch dringt herein. Und die Felsen strahlen von Wärme.

Unablässig hebt und senkt er ihre Arme. Zwischendurch lauscht er auf ihren Herzschlag. Ihm ist es, als ob er kräftiger klingt. Und jetzt – jetzt zuckt es in dem einen ihrer Lider – und dann in den beiden – und nun blinzelt sie und schlägt die Augen auf. 138

Sie starrt ihm ins Gesicht. Und dann richtet sie sich in die Höhe. Sie macht Schmeck-, Kau- und Schluckbewegungen und sagt: »äks!« Und dann hustet sie und spuckt kräftig aus. »Pfui Teufel!« sagt sie mit thränenden Augen.

Aber nun ist ihr ganz wohl und leicht, und sie blickt ihm lächelnd in die Augen.

Sie sitzen sich gegenüber. Und jetzt sehen sie an einander hinunter – und mit großen, weiten Blicken starren sie auf einander hin.

Jetzt erst sehen sie, daß sie unbekleidet sind. Jetzt erst fühlen sie die Nacktheit – die des andern und die eigene.

Ein betäubendes Donnerkrachen – sie rühren sich nicht. Wie versteinert sitzen sie da. Sie atmen kaum. Die Regungslosigkeit ist ihr Schutz. Sie fürchten die Bewegung. Als machte die erst ihre Nacktheit lebendig.

Und wieder ein schmetternder Donnerschlag. Vor ihren Augen, vor ihren Seelen ist etwas zerrissen.

Vorüber tost das Unwetter. Die Sonne leuchtet wieder hervor. Und jetzt in klarem, frischem, strahlendem Glanz.

Wie die Helle in die Grotte hineinflutet, steigt den Beiden plötzlich die Schamröte ins Gesicht. Und sie drehen sich einander den Rücken zu. 139

»Du bist ja nackt, Eva!« stieß Kurt hervor, rauh und zornig und hart. Im Tone des Vorwurfs war es gesprochen. Und die Forderung klang daraus, daß sie schleunigst zu ihren Kleidern, die dicht dabei lagen, sich begeben sollte.

Sie aber blieb auf ihrem Platz und gab ein gleichmütiges: »Du ja auch!« zur Antwort.

In diesen Worten war etwas, was sich ihm ganz eigentümlich auf die Seele warf. So eine Selbstverständlichkeit lag darin – eine Sicherheit und damit eine Art Rechtfertigung. Als wäre nichts Besonderes dabei. Als wäre es nicht schlimm – als wäre es vielleicht sogar ganz gut – –

Die Empfindung, die er gehabt hatte, als sie vorhin schlafend im Heidekraut neben ihm lag, kam mit heißerer und tieferer Kraft über ihn. Bleiben wollte er – näher zu ihr noch zog es ihn hin – und doch riß es ihn fort mit rauher Gewalt. Er fühlte, daß ihn etwas knechten wollte – eine sanfte, unterjochende, betäubende und schwächende Macht spann sich um ihn herum – er wollte sich nicht einspinnen lassen, nicht eingelullt werden von diesem weichlichen, berauschenden, entkräftenden Duft, der mit weichem Streicheln über seine Sinne hinkoste – fort! fort! Heraus aus der Schwüle! Hinein in den Kampf! 140

Und er raffte sich empor und eilte an den Rand der Grotte und in mächtigem Kopfsprung warf er sich über die Platte hinweg ins Meer. Mit der linken Schulter flog er an die Kante eines unterseeischen Felsenriffs, daß ein wilder Schmerz ihn durchzuckte. Hei! Das that ihm wohl! Und als er heraufgekommen war und sah, daß er sich eine blutende Wunde gerissen hatte, jauchzte er voll Freude.

Eva hatte sich umgewandt, als er aufsprang und forteilte. Ein leises Bedauern, als sähe sie den Grund nicht ein, malte sich auf ihren behäbigen Zügen. Dann zog sie sich gemächlich an.

Kurt schwamm mit kräftigen Schlägen nach seiner Nische. Schnell war er in den Kleidern. Und einsam machte er sich auf den Weg nach Hause.

Heute abend kam der Vater. Wie freute er sich auf männlichen Umgang! Hoffentlich blieb der Vater so lange, bis sie selber abfuhren.

Als er im Hotel eintraf, fand er den Erwarteten bereits vor. Herzlich zog der große breitbrüstige blondbärtige Mann den Jungen in seine Arme. Und dann ging ihm der nicht von der Seite.

»Wo hast du denn Eva gelassen?« war Kurt gefragt worden. 141

»Sie muß gleich kommen,« hatte er erwidert. Und bald darauf erschien sie denn auch in strahlendem Gleichmut und Behagen, als sei nichts geschehen.

Zärtlich war auch ihre Begrüßung mit ihrem Vater. Allen weiteren Fragen, wo sie gewesen seien, überhob die Kinder die Rückkehr der Familienväter, die von ihrer Reise nicht genug erzählen konnten. Und sie selbst kamen heute nicht mehr mit einander in Berührung.

Am andern Morgen erklärte Kurts Vater, daß er den nächsten Tag reisen müsse. Ihm sei der Vorsitz in einem Prozeß übertragen, der sich auf einem gewaltigen, ihm noch unbekannten Aktenmaterial aufbaue. Ihm bliebe nichts anderes übrig, als die letzten Tage seines Urlaubs zu opfern.

Als Kurt das hörte, bat er den Vater:

»Laß mich mitfahren.«

»Aber Junge! Du hast doch noch fünf Tage Ferien! Und hier ist es doch wundervoll!«

»Ja – weißt du Vater – ich habe doch noch verschiedene Ferienarbeiten zu machen. Hier komme ich nicht recht dazu. Und dann möchte ich doch auch wieder lieber mehr mit Männern zusammen sein!«

»Na, du bist günstig!« warf die Mutter 142 lächelnd ein. »Aber wenn du so willst – ich würde doch nur deinetwegen hierbleiben. Dann fahren wir natürlich alle zusammen.«

So wurde es denn beschlossen. Sie wollten morgen über Kopenhagen reisen. Melzers, die über Rügen die Heimfahrt machen wollten, gedachten noch bis zum Sonntag, wo der Saßnitzer Dampfer kam, zu bleiben.

Kurt hatte ein Buch vorgenommen und sich mit ihm im Hotelgarten hingesetzt.

Nach eine Weile tauchte Eva vor ihm auf.

»Hast du zu arbeiten?«

»Ja.«

»Da stör' ich wohl?«

»Ich habe sehr viel zu thun.«

»Aber heut' nachmittag arbeitest du doch nicht? Da spielen wir wieder, nicht wahr?«

»Da werd' ich mit Vater ausgehen.«

»Das kannst du ja noch so oft.«

»Nicht hier.«

»Aber zu Hause doch. Morgen fährst du nun doch schon fort.«

»Ja.«

»Nun also! Nicht wahr, heut' nachmittag spielen wir noch einmal zusammen!«

Sie nickte ihm mit ruhiger Bestimmtheit zu und wandte sich zum Gehen. 143

Sein Herz fing an zu klopfen. Er stürzte sich in die Weisheit der mathematischen Formeln, mit denen das Buch ihm aufwartete. Aber er fand darin nicht das Heil. Und erst, als der Vater mit ihm zum Baden ging, hatte er sich ganz wieder.

Am Nachmittag machte er mit dem Vater einen längeren Ausflug, von dem sie erst am Abend zurückkehrten.

»Wo bist du gewesen?« Mit dieser Frage trat Eva, als die Großen sich entfernt hatten, auf ihn zu. Die Hände hielt sie auf dem Rücken.

»Mit Vater. Ich sagte es dir doch.«

»Ich bin allein auf der Heide herumgelaufen.« Das klang leise und beinahe traurig. Dann fuhr sie fort: »Ich hab' mich noch gar nicht bei dir bedankt!«

»Wofür?«

»Du hast mir doch das Leben gerettet.«

»O – das ist sehr gern geschehen.«

»Das sollst du haben – als Dank. Und zum Abschied.«

Sie holte hinter dem Rücken einen Kranz von Heidekraut hervor – die Knospen hatten schon einen leichten Blütenschimmer.

Er nahm ihn mit unsicherer Hand.

»Vielen Dank.« 144

»Ich hab' ihn geflochten, als du nicht kamst!«

Das Herz schlug ihm laut. Da riß er sich los.

»Ich will ihn hineintragen! Und Mutter zeigen!«

Sie blieb allein. –

Am andern Morgen fuhren sie alle zum Hafen. Es gab einen herzlichen und frohmütigen Abschied. Nur Kurt war ohne Freude und ohne Freundlichkeit. Doch empfand das niemand außer Eva.

Er hatte ihre Hand beim Lebewohlsagen erst gedrückt und dann schroff fallen gelassen – beinahe von sich gestoßen.

Hatte sie ihm was gethan? Hatte sie ihm was zu leide gethan? Sie wußte es nicht. Und sicher hatte sie so etwas nicht gewollt.

Das ging ihr auf dem Heimweg mehrfach durch den Kopf. Und erst beim Frühstück fand sie ihren Gleichmut wieder. 145

 

 


 


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