Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Kein Zeichen bewies den Gefangenen während des weiteren Marsches, daß sie nicht auf derselben Stelle waren, wo sie bei Sonnenuntergang des vorigen Abends gehalten hatten. Die Gegend der phantastischen schwarzen Felsen und des orangefarbigen Sandes, die dem Flusse zunächst lag, hatten sie längst verlassen, und von allen Seiten umgab sie dieselbe wellige, braune und steinige Ebene, die Grunddünung mit denselben glänzenden abgerundeten Kieseln auf der Oberfläche, die nur hie und da von kleinen Büscheln salbeigrünen Kamelgrases unterbrochen wurde. Hinter und vor ihnen erstreckte sie sich, bis sie in weiter Ferne zu einer Reihe violetter Hügel anstieg. Die Sonne stand noch nicht so hoch, daß sie das tropische Flimmern erzeugt hätte, und die braune Landschaft mit ihrem violetten Rahmen war in der reinen, trockenen Luft von einer harten Klarheit. So zog die lange Karawane dahin, deren Gangart durch die der Packkamele bestimmt wurde. Weit draußen in den Flanken ritten die Späher, die auf jeder Bodenerhebung anhielten und nach rückwärts schauten, wobei sie sich die Augen mit den Händen beschatteten, und aus der Ferne sah es aus, als ob ihre Flinten und Lanzen aus ihnen hervorragten, wie Nadeln aus einem Strickzeug.

»Wie groß schätzen Sie unsre Entfernung vom Nil?« fragte Cochrane, der mit halb umgewandtem Kopfe dahinritt und die östliche Himmelslinie gedankenvoll musterte.

»Gute fünfzig Meilen,« antwortete Belmont.

»So viel doch wohl nicht,« meinte der Oberst. »Wir sind nicht mehr als fünfzehn bis sechzehn Stunden auf dem Marsche gewesen, und ein Kamel legt nicht mehr als zwei und eine halbe Meile in der Stunde zurück, wenn es nicht trabt. Das würde etwa vierzig Meilen ergeben, aber selbst das ist, wie ich fürchte, zu weit für die Hilfe. Ich weiß nicht, ob wir durch diesen Aufschub viel gewinnen, denn worauf können wir hoffen? Wir werden wohl in den sauren Apfel beißen müssen.«

»Man darf niemals die Hoffnung aufgeben,« entgegnete der vertrauensvolle Irländer. »Bis Mittag ist noch viel Zeit. Hamilton und Hedley vom Kamelcorps sind brave Jungen, die hinter uns her sein werden wie der Blitz, und sie haben keine Packkamele bei sich, die sie aufhalten, darauf können Sie den Hals verwetten. Wie wenig dachte ich daran, als ich neulich abends bei ihnen in ihrer Messe speiste und sie mir alle ihre Vorsichtsmaßregeln gegen einen Ueberfall erklärten, daß unser Leben von ihnen abhängen könne.«

»Gut, wir wollen das Spiel durchführen, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen,« erwiderte Cochrane. »Natürlich müssen wir den Frauen gegenüber eine möglichst sorglose Miene zur Schau tragen. Ich sehe, daß Tippy Tilly es ehrlich meint, denn diese fünf Nigger und die zwei braunen Hanswurste müssen die Leute sein, von denen er sprach. Sie reiten alle zusammen, aber auf welche Weise sie uns helfen können, ist mir ganz unklar.«

»Ich habe meine Pistole wieder,« flüsterte Belmont, wobei sein eckiges Kinn und sein kräftiger Mund aussahen wie aus Granit gemeißelt. »Wenn sie die Frauen quälen, habe ich mir vorgenommen, sie alle drei mit eigener Hand niederzuschießen, und dann können wir beruhigten Herzens sterben.«

»Sie sind ein braver Mann,« antwortete Cochrane, und dann ritten die beiden schweigend weiter. Ueberhaupt sprach niemand viel, denn aller hatte sich ein träumerisches, verantwortungsloses Gefühl bemächtigt, als ob sie einen narkotischen Trank genommen hätten – das barmherzige Linderungsmittel, dessen sich die Natur bedient, wenn eine langandauernde Spannung die Nerven über Gebühr angegriffen hat. In der alles überschauenden Weise, worin man etwas betrachtet, das abgethan ist, dachten sie an ihr vergangenes Leben und an ihre Freunde, und eine weiche Süßigkeit mischte sich mit der Trauer über ihr Geschick, und die ruhige Heiterkeit der Hoffnungslosigkeit erfüllte sie.

»Es ist verflucht hübsch hier,« sagte der Oberst, sich umschauend. »Ich habe immer das Gefühl gehabt, daß ich am liebsten in einem richtigen, guten, gelben Londoner Nebel sterben möchte. Dann macht man beim Tode keinen schlechten Tausch.«

»Ich wäre gern im Schlafe gestorben,« meinte Sadie. »Wie schön muß es sein, wenn man sich beim Erwachen in der andern Welt findet! Hetty Smith führte in der Schule immer einen Spruch an: ›Sag' nicht gute Nacht, sondern wünsche mir in einer bessern Welt guten Morgen.‹«

Ueber diesen Gedanken schüttelte die puritanische Tante den Kopf.

»Unvorbereitet vor seinen Schöpfer zu treten, ist etwas Furchtbares,« mahnte sie.

»Die Einsamkeit des Todes macht ihn so schrecklich,« entgegnete Mrs. Belmont. »Wenn wir und die, die wir lieben, gleichzeitig hinübergingen, würde es nicht mehr für uns bedeuten, als ein Umzug aus einem Hause in ein andres.«

»Sollte das Schlimmste zum Schlimmen kommen, so werden wir nicht allein sein,« antwortete ihr Mann. »Wir werden alle zusammen durchs finstere Thal gehen und Brown, Headingly und Stuart uns erwartend auf der andern Seite finden.«

Der Franzose zuckte die Achseln. Wenn er auch nicht an das Leben nach dem Tode glaubte, so beneidete er doch die beiden Katholiken um die ruhige Art, wie sie alles als feststehend ansahen, und er lachte leise vor sich hin, als ihm der Gedanke kam, was seine Freunde im Café Cubat wohl bei der Nachricht sagen würden, daß er sein Leben für den christlichen Glauben hingegeben habe. Manchmal belustigte ihn seine Lage, und manchmal machte sie ihn rasend, und er ritt, bald in lautes Lachen, bald in Wut ausbrechend, weiter und hätschelte seine verwundete Hand die ganze Zeit, wie eine Mutter ihren kranken Säugling.

Seit einiger Zeit war in der harten, steinigen Wüste ein langer, schmaler gelber Streifen sichtbar, der sich, so weit das Auge reichte, von Norden nach Süden erstreckte. Es war ein Band von Sand, nicht breiter als einige hundert Schritt, und am höchsten Punkte etwa zehn Fuß hoch, allein die Gefangenen waren sehr erstaunt, als sie bemerkten, daß sich die Araber mit dem Ausdruck der größten Besorgnis darauf aufmerksam machten. Als sie den Rand des Streifens erreicht hatten, machten sie Halt, wie am Ufer eines undurchfurtbaren Flusses. Der Streifen bestand aus sehr leichtem, staubartigem Sand, der beim leisesten Windhauch in der Luft tanzte, wie ein Mückenschwarm. Der Emir Abderrahman versuchte, sein Kamel zu zwingen, hineinzutreten, allein nach ein paar Schritten blieb das Tier, vor Angst an allen Gliedern zitternd, stehen, worauf die beiden Führer kurze Zeit miteinander berieten. Dann wandte sich die Karawane nach Norden und zog in dieser Richtung weiter, so daß der Streifen zu ihrer Linken blieb.

»Was ist denn das?« fragte Belmont den an seiner Seite reitenden Dragoman. »Warum schlagen wir eine andre Richtung ein?«

»Triebsand,« antwortete Mansoor. »Manchmal häuft ihn der Wind in einem langen Streifen an, wie hier. Wenn sich morgen ein Sturm erhebt, bleibt vielleicht nicht ein Körnchen davon übrig, sondern alles wird wieder in die Luft getragen. Zuweilen muß ein Araber einen Umweg von fünfzig bis hundert Meilen machen, um eine Sandtrift zu umgehen. Wenn er versucht, sie zu überschreiten, bricht sein Kamel die Beine, und er selbst wird eingesogen und verschlungen.«

»Wie lang mag denn diese sein?«

»Das kann niemand wissen.«

»Nun, Cochrane, das ist alles günstig für uns. Je länger die Jagd, um so größer die Aussichten für frische Kamele,« und wohl zum hundertstenmal schaute er nach der langen, harten Himmelslinie hinter sich zurück. Eine große, leere braune Wüste lag da, aber wo blieb das Blitzen von Stahl, wo das Schimmern eines weißen Helmes, wonach er sich sehnte?

Bald hatten sie das Ende des vor ihnen liegenden Hindernisses erreicht. Allmählich schrumpfte es zu nichts zusammen, wie ein Streifen von Staub, der in ein leeres Zimmer geweht worden ist, aber einen seltsamen Eindruck machte es, daß die Araber, als es bereits schmal genug zum Ueberspringen geworden war, doch vorzogen, noch viele hundert Schritte weiter zu gehen, statt ein Überschreiten zu wagen. Dann, als wieder guter, fester Boden unter ihnen lag, wurden die müden Tiere angetrieben, so daß sie in ihrem eigentümlichen Paßgang dahintrabten und die Reiter in einer Weise nickten und schwankten, die die Unglücklichen trotz ihres Elends zum Lachen reizte. Anfangs war es auch ein Spaß, und sie lächelten einander zu, aber bald wurde aus dem Spaß ein schreckliches Trauerspiel, als das fürchterliche Kamelweh sie in Rückgrat und Leib ergriff, das aus einem matten Pochen allmählich zur unerträglichsten Pein wird.

»Ich kann's nicht mehr aushalten, Sadie,« rief Miß Adams. »Ich habe mein Möglichstes gethan, aber jetzt falle ich hinunter.«

»Nein, nein, Tantchen, du wirst ein Glied brechen, wenn du das thust. Halt' es noch ein wenig aus, und vielleicht geht's bald wieder langsamer.«

»Lehnen Sie sich zurück und halten Sie sich hinten am Sattel,« riet der Oberst. »Sie werden finden, daß das die Anstrengung geringer macht.«

Bei diesen Worten nahm er den Schleier von seinem Hute und schlang ihn um den Sattelknopf der alten Dame. »Stellen Sie Ihren linken Fuß in diese Schlinge,« sagte er hierauf. »Das wird Sie stützen, wie ein Steigbügel.«

Die Erleichterung machte sich sofort fühlbar, so daß Stephens dasselbe für Sadie that, aber gleich darauf stürzte eins der schweren Packkamele mit einem lauten Krachen zusammen, streckte alle viere von sich, und die Karawane mußte eine langsamere Gangart annehmen.

»Ist das wieder ein Streifen von Triebsand?« fragte der Oberst nach einer Weile.

»Nein, dies sieht weiß aus,« antwortete Belmont. »Heda, Mansoor, was ist denn das da vor uns?«

»Ich weiß nicht, was es ist, Herr,« entgegnete der Dragoman kopfschüttelnd, »das habe ich noch nie im Leben gesehen.«

Quer über die Wüste zog sich von Norden nach Süden eine weiße Linie, so gerade und scharf, als ob sie mit Kreide auf einen braunen Tisch gezeichnet wäre. Sie war sehr schmal, erstreckte sich jedoch ohne Unterbrechung von Gesichtskreis zu Gesichtskreis. Tippy Tilly flüsterte dem Dragoman etwas zu.

»Es ist die große Karawanenstraße,« erklärte Mansoor darauf.

»Was macht sie denn so weiß?«

»Die Gebeine.«

So unglaublich es erschien, so war es doch richtig, denn als die Reisenden näher kamen, sahen sie, daß es wirklich eine festgetretene Straße über die Wüste war, die von tausendjährigem Gebrauche ausgehöhlt und so mit Knochen bedeckt war, daß sie den Eindruck eines zusammenhängenden weißen Bandes machte. Lange, zugespitzte Schädel waren überall zerstreut, und Rippen lagen so dicht beisammen, daß es stellenweise aussah wie das Gerippe einer riesigen Schlange. Der endlose Weg glänzte in der Sonne, als ob er mit Elfenbein gepflastert wäre, denn dies war seit Tausenden von Jahren die Heerstraße über die Wüste, und die trockene, die Fäulnis verhindernde Luft hatte die Gebeine der Tiere, die während dieser ganzen Zeit bei den zahllosen Karawanen verendet waren, welche über diesen Weg gezogen, bis auf die Gegenwart erhalten. Kein Wunder, daß es jetzt nicht möglich war, diese Straße zu bereisen, ohne auf Gerippe zu treten.

»Dies muß die Straße sein, wovon ich gesprochen habe,« sagte Stephens. »Ich entsinne mich, sie auf der kleinen Karte, die ich für Sie angefertigt hatte, eingezeichnet zu haben, Miß Adams. Bädeker sagt, sie werde gegenwärtig nicht mehr benützt, weil seit der Erhebung der Derwische jeder Handelsverkehr aufgehört habe, daß sie aber früher der Hauptweg zur Beförderung der Erzeugnisse von Darfur – vornehmlich Häute und Gummi – nach Unterägypten gewesen sei.«

Mit teilnahmloser Neugier – denn es gab in ihrem eigenen Schicksal genug, um ihre Gedanken in Anspruch zu nehmen – betrachteten sie den alten Wüstenpfad, auf dem die Karawane eine südliche Richtung einschlug, und dieses Golgatha von einer Straße schien ein passender Zugangsweg zu dem Golgatha zu sein, das sie am andern Ende erwartete. Müde Kamele und ermattete Reisende schleppten sich zusammen einem elenden Ziele zu.

Jetzt, wo sich der bedenkliche Augenblick nahte, der ihr Schicksal entscheiden sollte, steckte Oberst Cochrane, der von der Furcht bedrückt wurde, daß den Frauen etwas Entsetzliches zustoßen könne, seinen Stolz soweit in die Tasche, daß er sich herabließ, den verräterischen Dragoman um Rat zu fragen. Der Mensch war ja ein Schurke und ein Feigling, aber er war auch ein Orientale und verstand die Anschauungsweise der Araber. Auch hatte ihn sein Religionswechsel in engere Berührung mit den Derwischen gebracht, und er hatte deren vertraute Unterhaltungen belauscht. Cochranes unbeugsame, vornehme Natur mußte einen harten Kampf kämpfen, ehe er sich dazu verstand, sich an einen solchen Menschen um Rat zu wenden, und als er es endlich that, geschah es in der verdrossensten und unversöhnlichsten Weise.

»Sie kennen ja die Halunken, und Sie haben dieselbe Weise, die Dinge zu betrachten,« sagte er. »Unser Zweck ist, die Sache noch vierundzwanzig Stunden in der Schwebe zu halten. Danach kommt nicht viel mehr darauf an, was aus uns wird, denn wir werden außerhalb des Bereiches jeder Hilfe sein. Aber wie können wir die Menschen noch einen Tag hinhalten?«

»Sie kennen ja meinen Rat, und ich habe Ihre Frage schon beantwortet. Wenn Sie alle thun wollten, was ich Ihnen vorgeschlagen habe, würden Sie ganz bestimmt lebend nach Khartum gebracht werden. Wenn nicht, können Sie versichert sein, daß Sie unsern nächsten Ruheplatz nicht lebendig verlassen werden.«

Des Obersten schön geschwungene Nase richtete sich in die Höhe, und eine ärgerliche Röte erschien in seinen hagern Wangen. Schweigend ritt er eine Weile weiter, denn sein Dienst in Indien hatte seine Stimmung sehr reizbar gemacht, und durch seine letzten Erfahrungen war diese Reizbarkeit noch erheblich gesteigert worden. Es dauerte einige Minuten, bevor er sich zu antworten getraute.

»Das wollen wir für jetzt einmal beiseite lassen,« sagte er endlich. »Manche Dinge sind möglich, manche nicht; dies ist nicht möglich.«

»Sie brauchen ja nur so zu thun.«

»Genug,« antwortete der Oberst kurz.

»Was kann es nützen, daß Sie mich fragen,« entgegnete Mansoor die Achseln zuckend, »wenn Sie ärgerlich werden, sowie ich Ihnen antworte? Paßt Ihnen das nicht, was ich Ihnen vorschlage, so versuchen Sie es doch auf Ihre eigene Weise, aber Sie können nicht sagen, daß ich nicht mein Möglichstes gethan hätte, euch zu retten.«

»Ich bin nicht ärgerlich,« erwiderte der Oberst nach einer Pause in etwas versöhnlicherem Tone, »aber das heißt etwas tiefer hinabsteigen, als in unsrer Absicht liegt. Ich meine, wir könnten etwa folgendermaßen verfahren: Sie geben, wenn sich eine Gelegenheit dazu bietet, diesem Priester oder Mulah, den der Emir zu uns schicken will, eine Andeutung, daß wir wirklich anfangen, schwankend zu werden, und angesichts der Klemme, worin wir stecken, glaube ich nicht, daß sich dagegen viel einwenden läßt. Wenn er dann kommt, thun wir so, als ob wir großes Interesse an der Frage nähmen, und auf diese Weise halten wir die Sache einen oder zwei Tage hin. Meinen Sie nicht, daß das das Beste wäre?«

»Sie können thun, was Ihnen beliebt,« antwortete Mansoor. »Ich habe Ihnen ein für allemal gesagt, was ich denke. Falls Sie wünschen, daß ich mit dem Mulah rede, so will ich das wohl thun. Der dicke kleine Mann mit dem grauen Barte auf dem braunen Kamel da vorn, das ist er. Ich will Ihnen auch sagen, daß er wegen seiner Geschicklichkeit, die Ungläubigen zu bekehren, einen großen Ruf bei seinen Stammesgenossen hat, und er ist sehr stolz darauf, so daß er sich gewiß bemühen wird, euch vor jedem Leid zu bewahren, solange er die Hoffnung hat, euch dem Islam zuzuführen.«

»Dann sagen Sie ihm, wir seien bereit,« entgegnete der Oberst. »Zwar glaube ich nicht, daß der Padre soweit gegangen wäre, allein jetzt, wo er tot ist, können wir, denke ich, fünf gerade sein lassen. Gehen Sie nur zu dem Mulah, Mansoor, und wenn Sie Ihre Sache gut machen, wollen wir vergessen, was geschehen ist. Nebenbei bemerkt, hat Tippy Tilly noch etwas gesagt?«

»Nein, Herr Oberst, er hat seine Leute zusammengehalten, aber er weiß noch nicht, auf welche Weise er euch helfen kann.«

»Ich auch nicht. Na, gehen Sie nur zu dem Mulah, und ich will den andern mitteilen, was wir verabredet haben.«

Mit Ausnahme der alten Dame von New England, die sich rundweg weigerte, auch nur das geringste Interesse für den mohammedanischen Glauben an den Tag zu legen, stimmten die Gefangenen dem Plane des Obersten zu.

»Ich glaube, ich bin zu alt, meine Kniee noch vor Baal zu beugen,« sagte Miß Adams, und das Aeußerste, was sie zugestehen wollte, war, daß sie sich bereit erklärte, keine offene Einsprache gegen irgend etwas, was ihre Unglücksgenossen sagen oder thun würden, zu erheben.

»Wer soll denn mit dem Priester verhandeln?« fragte Fardet, als sie die Sache beim Weiterreiten besprachen. »Es ist von großer Wichtigkeit, daß das in vollkommen natürlicher Weise geschieht, denn wenn er merkte, daß wir nur versuchen, Zeit zu gewinnen, würde er die Verhandlungen einfach abbrechen.«

»Meiner Ansicht nach müßte Cochrane das thun, da der Vorschlag von ihm ausgeht,« meinte Belmont.

»Bitte sehr um Verzeihung,« rief der Franzose; »ich möchte unserm Freunde, dem Oberst, mit keinem Worte zu nahe treten, aber ein Mann kann doch unmöglich in allen Sätteln gerecht sein. Wenn er es versucht, ist die Sache von vornherein verloren, denn den Oberst wird der Priester sofort durchschauen.«

»So?« fragte der alte Offizier würdevoll.

»Ja, mein Freund, denn, wie den meisten Ihrer Landsleute, fehlt es Ihnen sehr an Duldsamkeit für die Anschauungen andrer, und das ist der schwerste Vorwurf, den ich euch als Nation mache.«

»Ach, lassen Sie doch die leidige Politik in Ruhe!« rief Belmont ärgerlich.

»Ich spreche nicht von Politik, und was ich sage, ist sehr praktisch. Wie kann der Oberst Cochrane diesem Priester gegenüber so thun, als ob er sich wirklich für seine Religion interessiere, wenn es in Wahrheit keine Religion in der Welt für ihn gibt, außer der der kleinen Kirche, worin er geboren und auferzogen ist? Ich muß dem Oberst nachrühmen, daß auch nicht die geringste Spur von Heuchelei in ihm steckt, aber gerade deshalb ist er auch nicht Schauspieler genug, einen Menschen, wie diesen Priester, zu täuschen.«

Mit sehr steifem Rücken und dem ausdruckslosen Gesicht eines Mannes, der nicht genau weiß, ob man ihm schmeichelt, oder ihn beleidigt, saß der Oberst auf seinem Kamel.

»Dann können Sie ja selbst das Wort führen,« sagte er endlich. »Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mit dieser Aufgabe verschont bliebe.«

»Da ich an allen Religionen ein gleiches Interesse nehme, halte ich mich auch in der That für den dazu geeignetsten von uns,« entgegnete Fardet. »Wenn ich um Unterweisung bitte, so geschieht das, weil ich wirklich danach verlange, und nicht, weil ich eine Rolle spiele.«

»Ich bin entschieden der Ansicht, daß es am besten wäre, wenn Monsieur Fardet die Verhandlungen übernähme,« sagte Mrs. Belmont in bestimmtem Tone, und so wurde es denn auch beschlossen.

Jetzt stand die Sonne hoch und schien mit blendender Helligkeit auf die Gebeine, die die Straße bedeckten. Wieder überfielen die Qualen des Durstes den kleinen Trupp der Ueberlebenden, und wieder tanzte, als sie mit ausgedörrten Zungen und aufgesprungenen Lippen weiterritten, das Bild des Salons des »Korosko« wie eine Luftspiegelung vor ihren Augen, und sie sahen das weiße Tischzeug, die Weinkarten neben den Tellern, die langhalsigen Flaschen und die Siphons auf dem Büffett. Sadie, die sich bisher so brav gehalten hatte, bekam plötzlich einen Anfall von Lachkrämpfen, und ihr lautes sinnloses Lachen fiel den andern furchtbar auf die Nerven. Ihre Tante und Mr. Stephens, zwischen denen sie ritt, thaten ihr Möglichstes, sie zu beruhigen, und endlich verfiel das ermattete und überreizte Mädchen in ein Mittelding zwischen Schlaf und Ohnmacht und hing schlaff auf ihrem Sattel, so daß sie nur durch die Nähe ihrer beiden Freunde vor dem Fallen bewahrt wurde. Die Packkamele waren ebenso müde als ihre Reiter, und diese mußten immer wieder an den die Zügel vertretenden Nasenstricken zupfen, um die Tiere davon abzuhalten, sich niederzulegen. Von Gesichtskreis zu Gesichtskreis erstreckte sich das ungeheure fleckenlose blaue Gewölbe über ihnen, und darunter zog die unerbittliche Sonne ihre Kreisbahn, wie eine strahlende, aber erbarmungslose Gottheit, die einen Zoll in Gestalt von menschlichen Leiden als ihr seit undenklichen Zeiten angeerbtes Recht verlangte.

Noch immer folgte der Zug der alten Handelsstraße, aber er kam nur sehr langsam vom Fleck, und mehr als einmal ritten die beiden Emire zurück und schüttelten die Köpfe beim Anblick der müden Packkamele, auf denen die Gefangenen saßen. Eins der ermattetsten von diesen ritt einer der verwundeten sudanesischen Soldaten. Infolge einer Sehnenzerrung lahmte es sehr stark und konnte nur durch beständiges Antreiben dazu gebracht werben, mit den andern einigermaßen Schritt zu halten. Als das Tier an ihm vorüberhumpelte, erhob der Emir Wad Ibrahim sein Remingtongewehr und jagte ihm eine Kugel durchs Hirn. Der Verwundete flog in hohem Bogen aus dem Sattel und fiel schwer auf den harten Weg, und als seine Unglücksgefährten zurückschauten, sahen sie, wie er sich mit verstörtem Gesicht aufraffte. In demselben Augenblick glitt ein Baggara von seinem Kamel und zog seinen Säbel.

»Seht nicht zurück! Seht nicht zurück!« rief Belmont den Damen zu, und alle ritten, die Augen nach Süden gerichtet, weiter. Kein Laut drang zu ihnen, aber nach einigen Minuten kam der Baggara an ihnen vorüber. Mit einem boshaften Blick auf die Gefangenen und einem teuflischen Grinsen, das alle seine Zähne sehen ließ, wischte er seinen Säbel am haarigen Halse seines Kamels ab, aber Leute, die die tiefste Tiefe menschlichen Elends erreicht haben, sind wenigstens sicher, daß es nicht noch schlimmer werden kann, und dieses hämische, drohende Lächeln, das sie früher vielleicht erschreckt haben würde, ließ sie jetzt kalt, oder erweckte höchstens ein unbestimmtes Gefühl der Entrüstung in ihnen.

Die alte Handelsstraße wies manches auf, was sie für die Reisenden interessant gemacht haben würde, wenn diese in einem Zustande gewesen wären, wo sie solchen Dingen hätten Aufmerksamkeit schenken können. Hie und da stießen sie, zum Beispiel, auf verfallene Reste alter Gebäude, so alt, daß es unmöglich war, ihre Entstehungszeit zu erraten, die aber in einem unendlich weit zurückliegenden Abschnitt der Kultur errichtet worden waren, um den Reisenden Schutz vor den Strahlen der Sonne oder den gesetzlosen Kindern der Wüste zu gewähren. Die Lehmsteine, die zur Erbauung dieser Zufluchtsstätten gedient hatten, zeigten, daß sie vom fernen Nil herbeigeschafft worden waren. Einmal fanden sie auch auf der Spitze eines kleinen Hügels die Sockelplatte einer aus dem roten Granit von Assuan hergestellten Säule mit der weitgeflügelten Scheibe, dem Sinnbilde des ägyptischen Gottes, und der Cartouche des zweiten Ramses darauf. So stößt man noch nach dreitausend Jahren auf die unvertilgbaren Spuren dieses kriegerischen Königs, und es ist wohl eine der wunderbarsten Erscheinungen der Geschichte, daß wir noch heute im stande sind, sein gebieterisches Antlitz mit der kühn geschwungenen Nase zu sehen, wie er mit den über der Brust gekreuzten gewaltigen Armen, selbst im Verfall noch majestätisch, im Museum von Gizeh liegt. Den Gefangenen brachte jedoch die Cartouche eine Botschaft der Hoffnung, denn sie war ein Zeichen, daß sie noch nicht aus dem Bereiche von Aegypten waren.

»Die Aegypter haben ihre Karte schon einmal hier abgegeben und können das wieder thun,« sagte Belmont, worauf sie alle zu lächeln versuchten.

Bald aber erhob sich vor ihnen eins der willkommensten Bilder, worauf das menschliche Auge fallen kann. In den Bodenvertiefungen neben der Straße zeigte sich hie und da leichter Pflanzenwuchs, und das bedeutete, daß in geringer Entfernung unter der Oberfläche Wasser sein mußte, und dann senkte sich der Weg plötzlich in ein kesselförmiges Thal, auf dessen Grunde sich eine zierliche Palmengruppe erhob, während die Erde mit lieblichem grünen Grase bedeckt war. Auf diesen glänzenden Fleck klarer, Ruhe atmender Farbe, der von der düsteren Glut der kahlen Wüste umgeben war, schien die Sonne, und unter ihren Strahlen funkelte er, wie der reinste Smaragd in einer Fassung von poliertem Kupfer. Aber nicht allein diese Schönheit war es, die die Reisenden mit freudigen Gefühlen erfüllte, sondern auch das, was sie für die nahe Zukunft verhieß: Wasser und Schatten, alles, was müde Wanderer verlangen können. Selbst Sadie wurde durch das freundliche Bild neu belebt, und die erschöpften Kamele schnaubten und schritten mit ausgestreckten Hälsen, die balsamische Luft einziehend, rascher aus. Nach der häßlichen Rauheit der Wüste kam es allen vor, als ob sie niemals etwas Schöneres gesehen hätten als dieses. Sie schauten auf den Rasen hinab, worauf sich die dunkeln Schatten der Palmenkronen wie schwarze Sterne abzeichneten, und dann erhoben sie die Augen zu den tiefgrünen Blättern, die scharf umrissen vor dem blauen Himmel standen, und über die Schönheit der Natur, an deren Busen zurückzukehren sie im Begriffe waren, vergaßen sie, daß ihnen der Tod drohte.

Die Quellen inmitten des Palmenhaines bestanden aus sieben großen und zwei kleinen muldenartigen Vertiefungen, die mit torffarbigem Wasser in solcher Menge gefüllt waren, daß sie auch für die größte Karawane einen reichlichen Vorrat liefern konnten. Kamele und Menschen tranken gierig, obgleich das Wasser nach dem überall vorherrschenden Natron schmeckte. Die Kamele wurden nun an eingeschlagenen Pfählen festgemacht, die Araber warfen ihre Schlafmatten in den Schatten, und den Gefangenen wurde, nachdem Datteln und Dura unter ihnen ausgeteilt worden waren, eröffnet, daß sie während der heißen Stunden des Tages thun könnten, was ihnen beliebte, und daß der Mulah vor Sonnenuntergang zu ihnen kommen werde. Den Damen wurde der dichtere Schatten einer Akazie überlassen, während die Männer sich unter den Palmen lagerten. Die großen grünen Blätter schwangen langsam über ihnen hin und her, sie hörten das leise Summen des Gesprächs der Araber und das träge Kauen der Kamele, und dann versetzte das geheimnisvolle und am schwersten zu begreifende aller Wunder im Augenblick den einen in ein grünes Thal in Irland, indes eine andre die lange gerade Linie von Commonwealth Avenue erblickte; ein dritter speiste an einem kleinen runden Tische unter der Büste Nelsons im Army and Navy Club, und für ihn verwandelte sich das Säuseln der Palmen in das langgezogene Brausen von Pall Mall. So folgten die Geister verschiedenen Wegen und wanderten auf seltsamen Pfaden des Gedächtnisses in die Vergangenheit zurück, während die müden Körper wie bewußtlos unter den Palmen einer Oase der Libyschen Wüste lagen.


 << zurück weiter >>