Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

»Was soll denn das bedeuten, Mansoor?« rief Belmont rauh. »Was für Leute sind denn das, und warum starren Sie sie an, als ob Sie den Verstand verloren hätten?«

Der Dragoman versuchte, sich zu fassen, und befeuchtete seine trockenen Lippen, bevor er antwortete.

»Ich weiß nicht, was das für Leute sind,« sagte er mit bebender Stimme.

»Was das für Leute sind?« rief der Franzose. »Das können Sie doch sehen. Es sind Bewaffnete auf Kamelen, Ababdeh, Bishareen – kurz, Beduinen, wie sie die Regierung an der Grenze verwendet.«

»Wahrhaftig, da kann er recht haben, Cochrane,« meinte Belmont, mit einem fragenden Blick auf den Oberst. »Warum sollte es nicht so sein, wie er sagt? Warum sollten diese Leute nicht freundlich gesinnt sein?«

»Auf dieser Seite des Flusses gibt es keine freundlich gesinnten Araber,« entgegnete der Oberst kurz, »dessen bin ich sicher. Sich etwas weis zu machen, kann gar nichts nützen; wir müssen uns aufs Schlimmste vorbereiten.«

Aber trotz seiner Worte blieben die Reisenden in einer wirren Gruppe stehen und starrten über die Ebene hinaus. Ihre Nerven waren durch den plötzlichen Schreck wie betäubt, und allen kam es wie ein Traumbild vor, unklar und unwillkürlich, als ob es sie persönlich nichts angehe. Die Kamelreiter waren aus einer Schlucht hervorgekommen, die etwa eine Meile entfernt lag, und zwar nach der Richtung zu, aus der die Europäer angelangt waren, so daß ihnen der Rückzug vollkommen abgeschnitten war. Nach dem Staube und der Länge des Zuges zu urteilen, schien es eine kleine Armee zu sein, die aus den Bergen hervorgequollen war, denn siebzig Mann auf Kamelen nehmen einen beträchtlichen Raum ein. Nachdem die Reiter die Ebene erreicht hatten, entwickelten sie sich in aller Ruhe und trabten sodann nach einem schrillen Trompetensignal in Linie vor, wobei die bunten Gestalten schwankten und der Staub sich in Wolken wie Rauch unter den Hufen ihrer Kamele erhob. In demselben Augenblick kamen die sechs Soldaten im Laufschritt zurück, indem sie ihre Martinigewehre hinter sich herschleiften. Wie gut ausgebildete Plänkler nisteten sie sich hinter den Felsen am Abfalle der Höhe ein, und dann hörte man das Klappern der Verschlüsse, nachdem der Unteroffizier den Befehl zum Laden gegeben hatte.

Jetzt machte die erste Betäubung der Reisenden plötzlich einer krampfhaften und ohnmächtigen Thatkraft Platz. Wie erschreckte Hühner in einem Geflügelhofe liefen sie auf der Fläche des Felsens in einer zwecklosen und thörichten Aufregung hin und her. Wieder und wieder eilten sie an den Rand der großen Klippe, die vom Flusse aufstieg, aber auch der Jüngste und der Kühnste hätte niemals gewagt, dort hinabzuklettern. Mit einem Gefühle, als ob dieser für ihre Sicherheit verantwortlich sei, klammerten sich die beiden Frauen an den zitternden Mansoor, der in solcher Verzweiflung auf und ab rannte, daß seine und ihre Röcke zusammenflatterten. Stephens, der junge Rechtsanwalt, blieb dicht an Sadies Seite.

»Fürchten Sie nichts, Miß Sadie, fürchten Sie nichts,« murmelte er wie unbewußt, aber dabei zuckten seine eigenen Glieder vor Aufregung.

Monsieur Fardet stampfte umher und schnarrte etwas zwischen den Zähnen, wobei er seine Reisegefährten wütend ansah, als ob er sie irgend eines Verrates beschuldigte, während der dicke Geistliche mit aufgespanntem Schirme dastand und mit vor Furcht weit aufgerissenen Augen die Kamelreiter dumm anglotzte. Cecil Brown sah sehr blaß aus, aber er drehte seinen kleinen, zierlichen Schnurrbart mit verächtlicher Miene. Der Oberst, Belmont und der junge Harvarder Student waren die drei kaltblütigsten und am wenigsten ratlosen Glieder der Gesellschaft.

»Vor allen Dingen müssen wir zusammenhalten,« sagte der Oberst. »An Entrinnen ist nicht zu denken, und deshalb ist es am besten, wenn wir vereint bleiben.«

»Jetzt haben sie Halt gemacht,« sagte Belmont.

»Ja, sie suchen sich Aufklärung über uns zu verschaffen. Daß wir ihnen nicht entgehen können, wissen sie sehr wohl, und deshalb nehmen sie sich die Zeit. Ich weiß nicht, was wir machen können.«

»Wie wär's, wenn wir die Frauen versteckten,« schlug Headingly vor. »Wie viele unser sind, ist ihnen natürlich unbekannt, und wenn sie uns abgeführt haben, können die Frauen aus ihrem Versteck hervorkommen und nach dem Boote zurückkehren.«

»Ausgezeichnet!« rief Oberst Cochrane, »ausgezeichnet! Kommen Sie hierher, Miß Adams. Bringen Sie die Damen, Mansoor. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren.«

Ein Teil der Hochfläche war von der Ebene aus nicht zu sehen, und hier errichteten die Herren in aller Eile eine Art von Versteck. Viele dünne Steinplatten lagen umher, und es kostete nicht allzu viel Mühe, die größten davon schräg gegen einen senkrechten Felsblock zu stellen, so daß ein Unterschlupf entstand, dessen Seitenöffnungen ebenfalls durch Platten geschlossen werden konnten. Diese hatten dieselbe Farbe wie die Felsen, so daß man hoffen durfte, oberflächliche Beobachter würden das Versteck übersehen. Hier wurden die beiden Damen untergebracht: sie kauerten sich hinein, und Sadie legte den Arm um ihre Tante. Nachdem sie hierauf das Versteck geschlossen hatten, wandten sich die Herren mit etwas erleichtertem Herzen ab, um zu sehen, was weiter geschah. Als sie das thaten, ertönte der scharfe Knall eines Gewehrschusses von der Bedeckungsmannschaft, dem rasch ein zweiter und dritter folgten, aber diese vereinzelten Schüsse wurden bald durch das anhaltende Knattern einer unregelmäßigen Salve von der Ebene her übertönt. Die Luft war vom unheimlichen Schwirren der Kugeln erfüllt, und mit Ausnahme des Franzosen, der noch immer ärgerlich umherging und mit der Hand auf seinen Hut schlug, kauerten sich die Reisenden hinter die Felsblöcke. Belmont und Cochrane schlichen sich an die Stelle hinab, wo die Sudanesen langsam und ruhig feuerten, wobei sie ihre Gewehre auf die Steine auflegten, hinter denen sie Deckung gesucht hatten.

Jetzt waren die Araber bis auf etwa fünfhundert Schritt herangekommen, und aus ihren gemächlichen Bewegungen ging klar hervor, daß sie wußten, ihre Beute könne ihnen nicht entgehen. Nur um sich über deren Zahl zu vergewissern, ehe sie zum eigentlichen Angriff übergingen, hatten sie angehalten. Die meisten von ihnen schossen von ihren Kamelen, aber einige, die abgestiegen waren, knieten hie und da und bildeten kleine schimmernde weiße Flecken auf dem goldgelben Hintergrund. Zuweilen kamen ihre Schüsse vereinzelt und in unregelmäßigen Pausen, zuweilen in rollenden Salven, die knatterten, wie wenn ein Knabe mit einem Stocke über ein eisernes Gitter streicht. Die Kugeln summten wie ein Bienenschwarm um den Hügel und schlugen mit einem scharfen Klatschen gegen die Felsen.

»Daß Sie sich so bloßstellen, kann gar nichts nützen.« sagte Belmont, indem er den Oberst hinter einen großen Stein zog, der schon drei von den Sudanesen Schutz gewährte.

»Eine Kugel ist noch das Beste, was wir erhoffen können,« antwortete der Oberst düster. »Was für ein unglaublicher Dummkopf bin ich gewesen, daß ich nicht entschiedeneren Einspruch gegen diese lächerliche Unternehmung erhoben habe! Mir geschieht ganz recht, was mir auch zustoßen mag, aber es ist hart für diese armen Menschen, die nicht im entferntesten an Gefahr dachten.«

»Aussicht auf Rettung ist wohl nicht vorhanden?«

»Nicht die geringste.«

»Meinen Sie nicht, daß dieses Schießen die Truppen in Halfa herbeirufen könnte?«

»Sie hören es nicht. Von hier bis zum Dampfer sind gute sechs Meilen und von da bis Halfa noch einmal fünf.«

»Aber wenn wir nicht zurückkehren, wird der Dampfer Lärm schlagen.«

»Ja, aber wo werden wir dann sein?«

»Meine arme Norah! Meine arme kleine Norah!« murmelte Belmont hinter seinem grauen Schnurrbarte. »Was meinen Sie denn, daß sie mit uns anfangen werden, Cochrane?« fragte er nach einer Pause.

»Sie werden uns den Hals abschneiden oder uns als Sklaven nach Khartum schleppen, und ich weiß nicht, was das Schlimmste von beiden Möglichkeiten ist. Da – einer von uns ist jedenfalls vor fernerem Leiden bewahrt.«

Der ihnen zunächst sitzende Soldat setzte sich plötzlich hin und sank dann nach vorn. Dabei waren seine Bewegungen und seine Haltung so natürlich, daß man schwer an einen tödlichen Schuß durch den Kopf glauben konnte, denn weder bewegte er sich, noch stieß er einen Laut aus. Seine Kameraden beugten sich einen Augenblick über ihn, zuckten die Achseln und wandten dann ihre dunkeln Gesichter wieder den Arabern zu. Belmont ergriff das Gewehr und die Patrontasche des Toten.

»Nur noch drei Patronen, Cochrane,« sagte er, indem er die kleinen Messingcylinder in seiner offenen Hand zeigte. »Wir haben sie zu früh mit dem Schießen anfangen lassen, und sie haben zu rasch gefeuert. Es wäre besser gewesen, wenn wir gewartet hätten, bis der Ansturm kommt.«

»Sie sind ja ein berühmter Schütze, Belmont,« rief Cochrane. »einer von den besten, wie ich gehört habe. Meinen Sie nicht, daß Sie ihnen den Führer wegputzen könnten?«

»Welcher ist denn der Führer?«

»Soweit ich es beurteilen kann, ist es der auf dem weißen Kamel dort vor dem rechten Flügel; ich meine den Kerl, der jetzt seine beiden Hände über die Augen hält und nach uns hinsieht.«

Belmont schob eine Patrone in den Lauf und stellte das Visier anders.

»Das Licht ist niederträchtig schlecht zum Schätzen der Entfernung,« sagte er. »Das sind Umstände, wo einem die flache Flugbahn des Lee-Metford zu statten käme. Na, ich will es einmal mit fünfhundert versuchen.«

Er drückte los, aber weder das weiße Kamel, noch der spähende Reiter »zeichneten«.

»Haben Sie keinen Sand fliegen sehen?«

»Nein, ich habe gar nichts gesehen.«

»Wahrscheinlich habe ich etwas zu voll Korn genommen.«

»Versuchen Sie's noch einmal.«

Mann, Gewehr und Fels schienen eine feste Masse zu sein, aber wieder blieben Kamel und Reiter unverletzt. Der dritte Schuß war allem Anscheine nach näher am Ziele eingeschlagen, denn der Reiter bewegte sich einige Schritte nach rechts, als ob er unruhig würde. Mit einem ärgerlichen Ausrufe warf Belmont das leere Gewehr fort.

»Es liegt an diesem elenden Lichte,« rief er mit vor Verdruß geröteten Wangen. »Drei Patronen auf eine solche Weise zu verschwenden! Wenn ich ihn in Bisley hätte, wollte ich ihm den Turban vom Kopfe schießen, aber dieses Flimmern bewirkt eine Strahlenbrechung, die man nicht in Rechnung ziehen kann. Was hat denn aber der Franzose?«

Mit dem Gebaren eines Mannes, der von einer Wespe gestochen worden ist, stampfte Monsieur Fardet auf der Hochfläche umher.

» S'cré nom! S'cré nom!« schrie er, wobei er die kräftigen weißen Zähne unter seinem gewichsten Schnurrbarte zeigte und eine Hand heftig schüttelte, von deren Fingerspitzen Blut tropfte. Eine Kugel hatte sein Handgelenk gestreift. Headingly lief aus der Deckung hervor, hinter der er gekauert hatte, in der Absicht, den sinnlosen Franzosen an einen sicheren Platz zu ziehen, aber er hatte kaum drei Schritte gethan, als er selbst in die Lende getroffen wurde und mit einem fürchterlichen Krachen zwischen den Steinen zu Boden fiel. Schwankend richtete er sich wieder auf, stürzte aber an derselben Stelle zum zweitenmal nieder und versuchte mehrmals, sich zu erheben, wie ein Pferd, das das Kreuz gebrochen hat.

»Mit mir ist's vorbei!« flüsterte er, als ihm der Oberst zu Hilfe eilte, und dann lag er still, so daß sich sein kreideweißes Gesicht geisterhaft von den schwarzen Steinen abhob. Als er vor einem Jahre unter den Ulmen von Cambridge umhergewandert war, hatte er sich gewiß nicht träumen lassen, daß sein letztes Geschick sein werde, durch die Kugel eines fanatischen Mohammedaners in der wilden Libyschen Wüste den Tod zu finden.

Inzwischen hatte das Schießen der Bedeckungsmannschaft aufgehört, da sie ihre letzte Patrone verfeuert hatte. Ein zweiter Sudanese war gefallen, und ein dritter – der den Befehl führende Unteroffizier – hatte eine Kugel in die Hüfte erhalten. Jetzt saß er auf einem Steine und verband seine Wunde mit einem ernsten, nachdenklichen Blick in seinem gerunzelten, schwarzen Gesicht, wie ein altes Weib, das die Stücke eines zerbrochenen Tellers zusammenfügt. Die drei andern pflanzten mit der Miene von Männern, die entschlossen sind, ihr Leben teuer zu verkaufen, die Bajonette auf.

»Sie kommen!« rief Belmont, über die Ebene blickend.

»Meinetwegen,« entgegnete der Oberst, indem er seine Hände in die Hosentaschen steckte. Plötzlich aber riß er die eine Faust wieder heraus und schwenkte sie wütend in der Luft.

»O, diese Lumpenhunde! Diese erbärmlichen Lumpenhunde!« schrie er, wobei seine Augen vor Wut aus den Höhlen traten.

Das Schicksal der armen Eseljungen war es, das den sonst so gelassenen Soldaten aus seiner Ruhe aufgerüttelt hatte. Während des Schießens hatten sich diese Jungen wie ein Häufchen Unglück zwischen den Felsen am Fuße der Anhöhe verkrochen; jetzt aber waren sie, in der Ueberzeugung, daß der Angriff der Derwische zuerst sie treffen werde, auf ihre Tiere gesprungen und jagten mit wildem Angstgeheul über die Wüste. Aber eine kleine Seitenabteilung von zehn Kamelreitern, die während des Feuergefechts eine Umgehungsbewegung ausgeführt hatte, stürzte sich auf die fliehenden Eseljungen und hieb mit kaltblütiger Wildheit auf sie ein. Ein kleiner Bursch in einer flatternden Galabeeah war seinen Verfolgern eine Zeitlang weit voraus, aber die Kamele mit ihrem weit ausgreifenden Trab überholten ihn schließlich, und ein Araber stieß ihm den Speer mitten in den gebeugten Rücken. Die kleinen, weiß gekleideten Leichen sahen aus wie eine über die Wüste zerstreute Schafherde.

Aber die Leute auf den Felsen hatten keine Zeit, sich um das grausame Geschick der Eseljungen zu kümmern, und selbst der Oberst dachte nach seinem ersten Ausbruch der Entrüstung nicht mehr daran. Die vordringenden Kamelreiter waren bis an den Fuß der Anhöhe getrabt, dort abgestiegen und stürmten nun, ihre Kamele, die niedergekniet waren, sich selbst überlassend, wütend vor. Fünfzig von ihnen kletterten gleichzeitig den Pfad und über die Felsen hinan, wobei ihre roten Turbane abwechselnd über den Steinen erschienen und verschwanden. Ohne einen Schuß abzugeben und ohne innezuhalten, sprangen sie über die drei schwarzen Soldaten, wobei sie noch einen von diesen niedermachten, während die beiden andern unter die eilenden Füße getreten wurden. So fielen sie über die Hochfläche her, wo ein unerwarteter Widerstand sie einen Augenblick aufhielt.

Die Reisenden hatten sich zusammengedrängt und erwarteten, jeder auf seine Art, den Ansturm der Araber. Der Oberst hatte die Hände in die Taschen gesteckt und versuchte, mit seinen vertrockneten Lippen zu pfeifen. Belmont kreuzte die Arme und lehnte sich mit einem verdrießlichen Stirnrunzeln in seinem düsteren Gesicht gegen einen Felsen. So seltsam arbeitet unser Geist, daß seine drei Fehlschüsse und der Makel, den sein Ruf als Schütze dadurch erlitten hatte, ihn mehr beunruhigten, als das ihm bevorstehende Geschick. Cecil Brown stand hoch aufgerichtet da und zerrte nervös an den Spitzen seines in die Höhe gedrehten kecken Schnurrbärtchens, Monsieur Fardet stöhnte über seine verwundete Hand, und Mr. Stephens schüttelte in finsterer Ohnmacht langsam den Kopf, die lebendige Verkörperung prosaischer Ruhe, Ordnung und Gesetzlichkeit. Mr. Stuart hielt den aufgespannten Schirm noch immer über den Kopf, aber in seinem plumpen Gesicht und seinen starren Augen lag nicht der mindeste Ausdruck. Headingly ruhte mit seinen weißen Wangen regungslos auf den Steinen. Der Hut war ihm vom Kopfe gefallen, und er sah mit seinem lockigen Haar und dem noch unfertigen, aber klar gezeichneten Gesicht aus wie ein Knabe. Der Dragoman saß auf einem Steine und spielte nervös mit seiner Peitsche. So fanden die Araber, als sie den Gipfel des Berges erreichten, die Reisenden.

Und gerade in diesem Augenblick, als die vordersten sich anschickten, Hand an ihre Beute zu legen, hielt sie ein ganz unerwarteter Zwischenfall auf. Vom ersten Augenblick des Erscheinens der Derwische an hatte der dicke Geistliche aus Birmingham ausgesehen wie hypnotisiert. Er hatte sich weder bewegt, noch gesprochen; jetzt aber erwachte er jäh zu kühner, heldenhafter Thatkraft. Vielleicht war es der Wahnsinn der Furcht, oder vielleicht regte sich plötzlich das Blut eines Berserker-Vorfahren in ihm, kurz, er brach in ein wildes Geschrei aus, ergriff einen am Boden liegenden Knüttel und schlug blindlings und mit einer Wut, die wilder war als ihre eigene, auf die Araber los. Jemand, der bei Aufzeichnung dieser Erzählung geholfen, hat erklärt, daß von all den Bildern, die sich ihm ins Hirn gebrannt haben, keins so klar vor seinem geistigen Auge stehe, als das, wie die große Gestalt mit unbeholfener Gewandtheit, wenn dieser Widerspruch erlaubt ist, umhergesprungen sei und auf die stutzenden, wutschnaubenden Wilden losgeschlagen habe. Bald aber fuhr mit einem raschen, boshaften Stoß nach oben eine Lanzenspitze hinter einem Steine hervor, und der Geistliche fiel auf Hände und Kniee, worauf die Horde über ihn weg auf ihre widerstandlosen Opfer losstürzte. Messer funkelten vor deren Augen, rohe Fäuste umklammerten ihre Hände und Kehlen, und dann wurden sie mit einer tierischen und überflüssigen Heftigkeit den steilen, gewundenen Pfad nach dem Orte hinabgezerrt und -gestoßen, wo die Kamele warteten.

» Vive le Khalifa! Vive le Mahdi!« schrie der Franzose, indem er beim Gehen seine unverletzte Hand schwenkte, bis ihn ein Kolbenstoß zum Schweigen brachte.

Wie eine Herde wurde dieser kleine Trupp moderner Menschen, die in die rauhen Hände des siebenten Jahrhunderts gefallen waren, am Fuße des Felsens Abousir zusammengetrieben, denn in allem, mit Ausnahme der Hinterlader, die sie in den Händen hielten, unterschieden sich diese Derwische in nichts vor den Wüstenkriegern, die zuerst den Halbmond aus Arabien in die Welt getragen haben. Der Orient ändert sich nicht, und die umherschweifenden Derwische waren nicht weniger tapfer, nicht weniger grausam oder weniger fanatisch als ihre Vorfahren. Auf ihre Gewehre und Lanzen gestützt, standen sie im Halbkreis umher und sahen mit frohlockenden Blicken ihre Gefangenen an. Ihre Kleidung hatte etwas Uniformartiges. Rote Turbane umgaben den Hals, wie den Kopf, so daß ihre wilden Gesichter wie aus einem feurigen Rahmen hervorschauten. Dazu trugen sie gelbe Schuhe von ungegerbtem Leder und weiße Kaftane, worin einige braune viereckige Stücke eingesetzt waren. Alle hatten Gewehre, und einem hing ein kleines mißfarbiges Signalhorn um die Schulter. Die Hälfte von ihnen bestand aus Negern, schönen, kräftigen Männern mit Muskeln, wie die eines Herkules von Jet, und die andern waren Baggaraaraber, kleine braune, sehnige Kerle mit schmalen, boshaften Augen und dünnen, grausamen Lippen. Auch der Führer war ein Baggara, aber er war größer als die andern, und hatte einen schwarzen Bart, der ihm bis auf die Brust herabwallte, und harte, kalte Augen, die wie Glas unter seinen buschigen, schwarzen Brauen hervorglänzten. Jetzt ruhten sie mit ernstem und nachdenklichem Ausdruck auf seinen Gefangenen. Auch Mr. Stuart wurde heruntergebracht. Sein Hut war verschwunden, und sein Gesicht war noch von Zorn gerötet, während seine Hosen an einem Teile seines Beines festklebten. Die beiden noch lebenden Sudanesen standen schweigend, aber in strammer soldatischer Haltung neben dieser traurigen Schar von Schiffbrüchigen, und ihre Gesichter, wie ihre hellblauen Jacken waren mit Blut befleckt.

Seinen Bart streichend, blieb der Führer einen Augenblick stehen, während seine wilden Augen von einem Gesicht zum andern an der Reihe seiner traurigen Gefangenen entlang wanderten. Hierauf sprach er etwas mit seiner rauhen, gebieterischen Stimme, was Mansoor, den Dragoman veranlaßte, mit gekrümmtem Rücken und flehend ausgestreckten Händen vorzutreten. In seinen flatternden Weiberröcken war er den Reisenden immer etwas komisch vorgekommen, aber jetzt im blendenden Lichte der Mittagssonne und gegenüber den wilden Gesichtern, die sie umgaben, war es, als ob seine Erscheinung einen neuen, schrecklichen Zug in das Bild bringe. Wie eine häßliche automatische Puppe machte der Dragoman einen Salaam nach dem andern, und als der Führer ein kurzes Wort ausstieß, fiel er plötzlich aufs Gesicht, rieb seine Stirn im Sande und klopfte mit den Händen darauf.

»Was hat das zu bedeuten, Cochrane?« fragte Belmont. »Warum benimmt er sich so?«

»Soviel ich verstehe, ist es aus mit uns,« antwortete der Oberst.

»Aber das ist ja doch ganz unverständig!« rief der Franzose aufgeregt. »Warum sollten mir diese Leute etwas Böses zufügen? Ich habe ihnen nie etwas zuleide gethan, sondern bin stets ihr Freund gewesen. Wenn ich nur mit ihnen sprechen könnte, würde ich ihnen das bald begreiflich machen. Heda, Dragoman Mansoor!«

Monsieur Fardets aufgeregtes Wesen lenkte die Blicke des Führers auf ihn, und er stellte wieder eine Frage, die der vor ihm knieende Mansoor beantwortete.

»Sagen Sie ihm, daß ich Franzose bin, Dragoman. Sagen Sie ihm, ich sei ein Freund des Khalifen, und meine Landsleute hätten niemals etwas Feindseliges gegen ihn unternommen, sondern seine Feinde seien stets auch unsre Feinde.«

»Der Führer fragt, zu welcher Religion Sie sich bekennen,« entgegnete Mansoor. »Der Khalif, so behauptet er, bedürfe der Freundschaft der Ungläubigen nicht.«

»Teilen Sie ihm mit, daß wir in Frankreich alle Religionen gleich achten.«

»Der Führer sagt, daß niemand als ein lästernder Hund und der Sohn eines Hundes alle Religionen gleich achten könne. Er meint, daß, wenn Sie wirklich ein Freund des Khalifen seien, Sie den Koran annehmen und auf der Stelle ein Gläubiger werden würden. Wenn Sie das thun wollen, so verspricht er, Sie lebendig nach Khartum zu schicken.«

»Dann können Sie dem Herrn Chef mit meiner Empfehlung bestellen, daß es nicht die Gewohnheit der Franzosen sei, ihre Religion gezwungen zu wechseln.«

Hierauf sprach der Führer wieder einige Worte und wandte sich dann ab, um sich mit einem neben ihm stehenden kleinen, kräftigen Araber zu beraten.

»Er sagt, Monsieur Fardet, wenn Sie den Mund noch einmal aufthäten, wolle er sie den Hunden zum Fraß vorwerfen. Sprechen Sie nichts, was ihn ärgern könnte, Herr, denn er berät jetzt darüber, was mit uns geschehen soll.«

»Wer ist er denn?«

»Es ist Ali Wad Ibrahim, derselbe, der im vorigen Jahre bei einem Streifzug alle Bewohner eines nubischen Dorfes niedergemetzelt hat.«

»Von dem habe ich gehört,« entgegnete der Oberst. »Er steht im Rufe, einer der kühnsten und fanatischsten Anhänger des Khalifen zu sein. Gott sei Dank, daß die Frauen nicht in seinen Krallen sind!«

Die beiden Araber hatten eine Weile in der ernsten, gehaltenen Weise miteinander gesprochen, die einer südlichen Rasse so seltsam ansteht. Jetzt wandten sie sich beide nach dem Dragoman um, der noch immer auf dem Sande kniete, und begannen ihn auszufragen, wobei sie auf einen der Gefangenen nach dem andern wiesen. Dann sprachen sie wieder miteinander und sagten endlich etwas zu Mansoor, indem sie ihn mit einer verächtlichen Bewegung der Hand bedeuteten, er solle es den andern übersetzen.

»Dem Himmel sei Dank, meine Herrn. Ich glaube, wir sind für jetzt gerettet,« sagte Mansoor, indem er den Sand abwischte, der an seiner schwitzenden Stirn hängen geblieben war. »Ali Wad Ibrahim meint, obgleich ein Ungläubiger nur die Schärfe des Schwertes von den Söhnen des Propheten verdiene, sei es doch von größerem Nutzen für den Beit-al-mal in Omdurman, wenn er das Gold erhalte, das eure Leute für euch bezahlen werden. Bis dieses anlangt, sollt ihr als Sklaven für den Khalifen arbeiten, es sei denn, daß dieser euch zum Tode verurteile. Ihr sollt die leeren Kamele besteigen und mit der Abteilung reiten.«

Der Führer hatte das Ende der Erklärung abgewartet. Nun gab er einen kurzen Befehl, worauf ein Neger mit einem langen Schwerte in der Hand vortrat. Der Dragoman schrie wie ein Kaninchen, das ein Wiesel sieht, und warf sich dann wie wahnsinnig wieder auf den Sand.

»Was ist denn nun wieder los, Cochrane?« fragte Cecil Brown, denn der Oberst hatte im Orient gedient und war der Einzige von der Gesellschaft, der ein wenig arabisch verstand.

»Soweit ich ihn verstehe,« entgegnete der Oberst, »sagt er, es könne nichts nützen, den Dragoman mitzuschleppen, da niemand Lösegeld für ihn bezahlen werde und er für einen brauchbaren Sklaven zu dick sei.«

»Der arme Teufel!« rief Brown. »Cochrane, sagen Sie doch den Leuten, sie sollten ihn laufen lassen. Wir können doch nicht ruhig mitansehen, wie er vor unsern Augen abgeschlachtet wird. Teilen Sie dem Führer mit, wir wollten das Lösegeld für ihn unter uns aufbringen. Ich verpflichte mich zu jedem vernünftigen Betrage.«

»Auch ich will so viel beitragen, als meine Mittel erlauben,« stimmte Belmont zu.

»Wir wollen eine gemeinsame Bürgschaftsurkunde unterschreiben,« sagte der Rechtsanwalt. »Wenn ich ein Stück Papier und einen Bleistift hätte, könnte ich sie im Augenblick aufsetzen, und der Führer dürfte sich darauf verlassen, daß sie ordnungsmäßig und bindend wäre.«

Allein dazu reichte Cochranes Arabisch nicht aus, und Mansoor selbst war vor Angst wie wahnsinnig, so daß er das Anerbieten, das für ihn gemacht wurde, nicht verstand. Der Neger sah den Führer fragend an, und dann hob er seinen langen schwarzen Arm, so daß das über seine Schulter schwingende Schwert in der Lust zischte. Allein der Dragoman hatte etwas geschrieen, was den Schlag hemmte und was den Führer und seinen Stellvertreter mit einem neuen Interesse in ihren dunkeln Gesichtern an seine Seite brachte. Auch die andern drängten sich heran und umstanden den kriechenden, um sein Leben bettelnden Mann, in dichtem Kreise.

Dem Oberst war diese plötzliche Aenderung unverständlich, ebensowenig erkannten die andern deren Grund, aber Stephens' entsetzter Geist wurde instinktmäßig wie von einem Blitze des Verständnisses erleuchtet.

»O, du Schurke!« schrie er wütend. »Halt den Mund, du erbärmliches Geschöpf! Schweig! Stirb! Es ist tausendmal besser, daß du stirbst!«

Aber es war zu spät, und schon konnten alle den erbärmlichen Plan erkennen, durch den der Feigling sein eigenes Leben zu retten hoffte: er war im Begriffe, die Frauen zu verraten! Sie sahen, wie der Führer mit dem Ausdruck der Verachtung eines tapferen Mannes im Gesicht ein Zeichen hochmütiger Zustimmung machte, und dann sprach Mansoor rasch und ernst, wobei er nach der Höhe hinaufwies. Auf ein Wort des Baggara eilte ein Dutzend der Leute den Pfad hinan und verschwand oben. Dann ertönte ein schriller Schrei, ein entsetzliches heftiges Kreischen der Ueberraschung und des Schreckens, und gleich darauf kam der Trupp, die beiden Damen mit sich schleppend, wieder in Sicht. Sadie konnte in ihrer jugendlichen Gewandtheit mit den andern Schritt halten, als sie am Abhang hinabsprangen, wobei sie, den Kopf wendend, ihrer Tante ermutigende Worte zurief, während die ältere Dame, als sie offenen Mundes sich mit ihren mageren Gliedern gegen die weißen Gestalten der Araber sträubte, ein wahres Jammerbild darbot.

Auf Miß Adams ruhten die Augen des Führers mit gleichgültigem Ausdruck, aber ein düsteres Feuer erschien in ihnen, als sie auf das junge Mädchen fielen. Dann gab er einen kurzen Befehl, und die Gefangenen wurden wie ein hoffnungsloses, verlorenes Häuflein zu den knieenden Kamelen getrieben. Ihre Taschen waren schon vorher durchsucht und deren Inhalt in einen Futterbeutel geworfen worden, den Ali Wad Ibrahim eigenhändig zuband.

»Hören Sie, Cochrane,« flüsterte Belmont, während er den elenden Mansoor wütend ansah, »ich habe einen kleinen Revolver, den sie nicht gefunden haben. Soll ich diesen verfluchten Dragoman nicht niederschießen, dafür, daß er die Frauen verraten hat?«

Der Oberst schüttelte den Kopf.

»Heben Sie die Waffe lieber auf,« antwortete er mit finsterem Gesicht. »Die Frauen finden vielleicht Gelegenheit, einen andern Gebrauch davon zu machen, ehe alles vorbei ist.«


 << zurück weiter >>