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Wie der Brigadier in England Triumphe feierte.

Sie wissen, mes amis, wie ich die Engländer auf der Fuchsjagd geschlagen habe, als ich das Tier so ungestüm verfolgte, daß selbst die Meute der trainierten Hunde nicht mehr mitkonnte, und es dann mit einem einzigen Säbelhieb in zwei Teile zerlegte. Sie glauben vielleicht, daß ich diesem kleinen Abenteuer zu viel Bedeutung beilege, aber ich kann Ihnen die Versicherung geben, meine Herren, der Sieger im Sport empfindet noch mehr als der Sieger in einer Schlacht, denn im Feld teilen Sie Ihre Erfolge mit Ihrem Regiment und Ihrer Armee, aber im Sport ernten Sie Ihre Lorbeeren ganz allein, weil Sie sie auch ganz allein erworben haben. Die Engländer sind uns darin voraus, daß sich alle Bevölkerungsklassen für Sport in jeder Form interessieren. Mag es nun daher kommen, daß sie mehr Geld oder weniger zu arbeiten haben, ich war jedenfalls überrascht, als ich als Gefangener drüben war, wie kolossal verbreitet dieser Hang war, und wie er das ganze Tun und Denken der Leute in hohem Maße erfüllte. Um ein Pferd, das laufen soll, um einen Hahn, der kämpfen soll, um einen Hund, der Ratten fangen soll, zu sehen, werden sie ruhig den Kaiser mit all' seinem Ruhm stehen lassen, und sich jenen zuwenden.

Ich könnte Ihnen viele Sportgeschichten aus England erzählen, meine Freunde, denn ich habe ein gut Teil gesehen, als ich nach meiner Freilassung bei dem Lord Rufton zu Besuch weilte. Es dauerte nämlich Monate, ehe ich nach Frankreich zurückkonnte, und die ganze Zeit verbrachte ich bei dem biederen Lord auf seiner herrlichen Besitzung High Combe im nördlichen Dartmoor. Er war dabei gewesen, als mich die Polizei verfolgt hatte, und war, als ich überwältigt wurde, von dem gleichen Gefühl erfüllt, das auch ich gehabt haben würde, wenn ich in meinem Vaterlande einen tapferen und schneidigen Soldaten ohne Freund und ohne jede Hilfe gesehen hätte. Kurzum, er nahm mich bei sich auf, kleidete mich, verköstigte mich und behandelte mich wie einen Bruder. Das muß ich den Engländern nachsagen, sie waren stets großmütige Gegner und Leute, gegen die zu fechten eine Lust war. Auf der Pyrenäenhalbinsel pflegten uns die spanischen Vorposten ihre Musketen unter die Nase zu halten, die englischen dagegen ihre Feldflaschen. Und von all' diesen edelgesinnten Menschen war dieser wunderbare Lord, der einen in Not geratenen Feind so warm beschützte, der edelmütigste.

Oh, was für prächtige Sporterinnerungen ruft der Name High Combe in mir wach! Ich seh 's jetzt noch vor mir, das lange, niedrige Backsteingebäude mit den weißen Sandsteinsäulen vor dem Eingang. Er war ein bedeutender Sportsmann vor dem Herrn, dieser Lord Rufton, und seine ganze Umgebung bestand aus Gleichgesinnten. Aber Sie werden sich wundern, Messieurs, wenn ich Ihnen sage, daß es nur wenige Sportarten gab, in denen ich ihnen nicht ebenbürtig war, und daß ich sie in verschiedenen sogar übertraf. Hinter dem Haus war ein Wäldchen mit Fasanen, und Lord Rufton hatte die Liebhaberei, diese Tiere zu schießen, wenn sie, von Treibern aufgescheucht, herauskamen. Ich für meine Person fing die Sache geschickter an, ich studierte die Lebensgewohnheiten dieser Vögel und erlegte sie in Mengen, als sie nachts auf den Bäumen saßen und schliefen Also die denkbar sportwidrigste Art, Fasanen zu erlegen, wie Gerard überhaupt gerade das Regelwidrige, ja das als infam Verpönte fälschlich für das Wesentliche oder doch Erlaubte bei Ausübung des Sports hält.. Ich tat fast keinen Schuß daneben, aber der Aufseher eilte herbei und erklärte mir in seiner rauhen englischen Weise, ich möchte doch die übrigen schonen und aufhören. Ich war in der angenehmen Lage, meinem edeln Lord zwölf Stück an jenem Abend auf den Tisch legen zu können. Er lachte und war bei ihrem Anblick so erfreut, daß er mir zurief: »Gütiger Gott, Gerard, Sie werden noch mein Tod sein!« Diese Schmeichelei sagte er mir noch oft, denn ich setzte ihn bei jeder Gelegenheit in Staunen über die Art, wie ich mich an den englischen Sports beteiligte.

Sie haben ein Spiel, das sie Kricket nennen und im Sommer spielen, und das ich ebenfalls erlernte. Der Obergärtner Rudd war ein famoser Spieler, und der Lord gleichfalls. Vor dem Haus war ein Rasenplatz, auf dem mich Rudd das Spiel lehrte. Es ist ein angenehmer Zeitvertreib, hauptsächlich für Soldaten, denn man versucht sich gegenseitig einen Ball zuzuschlagen, und hat nur ein kleines Stöckchen zum Parieren. Die Grenze, über die man nicht zurückweichen darf, ist auch durch drei Stöcke abgesteckt. Ich kann Ihnen versichern, Messieurs, daß es kein Kinderspiel ist, und ich will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich trotz meiner neun Feldzüge erbleichte, als der Ball zum erstenmal mir dicht am Ohr verbeisauste. Es ging so schnell, daß ich gar keine Zeit hatte, meinen Stock zum Parieren aufzuheben, aber zum Glück traf er nicht mich, sondern knickte die hölzernen Grenzstäbchen um. Dann war Rudd an der Reihe, sich zu verteidigen, während ich angreifen mußte. Als Junge in der Gascogne hatte ich gelernt, weit und gerade zu schleudern, sodaß ich sicher glaubte, diesen braven Engländer treffen zu können. Mit einem Jubelschrei stürzte ich vor und schlug den Ball. Er flog schnell wie eine Kugel gerade auf ihn los, aber Rudd schwang lautlos seinen Stock und versetzte dem Ball einen Schlag, sodaß er hoch in die Luft ging. Lord Rufton klatschte laut Beifall. Ich bekam den Ball wieder, und mußte wieder attackieren. Diesesmal sauste er ihm am Kopf vorbei, und es schien mir, daß er nun erbleichte. Aber er war ein unerschrockener Mann, dieser Gärtner, und er forderte mich zum dritten Male auf. Ah, mes amis, jetzt hatte die Stunde meines Triumphs geschlagen! Er hatte eine rote Weste an, und die benutzte ich nun als Zielscheibe. Sie würden mich für einen Schützen, nicht für einen Husaren, gehalten haben, denn noch nie hat's einen so guten Treffer gegeben. Mit einem verzweifelten Aufschrei – dem Schrei eines tapferen Mannes, der besiegt ist – fiel er hinten über auf die hölzernen Pflöcke, sodaß sie alle auf den Boden rollten. Er war grausam, dieser englische Milord, und er lachte dermaßen, daß er seinem Untergebenen nicht zu Hilfe kommen konnte. So mußte ich denn als Sieger hinzueilen, und diesem wackeren Spieler auf die Beine helfen, indem ich ihm Lob, Mut und Hoffnung zusprach. Er hatte Schmerzen und konnte nicht gerade stehen, und doch behauptete der ehrliche Kerl, daß ihm weiter nichts passiert wäre. »Er tat's absichtlich! Er tat's absichtlich!« sagte er immer wieder. Jawohl, es ist ein großartiges Spiel, dieses Kricket, und ich hätte gerne noch 'mal wieder mitgespielt, aber der Lord meinte, es sei schon spät im Jahre, und so wollten sie nicht mehr spielen.

Wie komisch ist's von mir, daß ich als alter gebrochener Mann noch so gerne bei diesen Erfolgen verweile, und doch muß ich zugeben, daß mir die Erinnerung an die Frauen, die mich geliebt haben, und die Männer, die ich geschlagen habe, meine alten Tage noch versüßt und erträglicher gestaltet. Es berührt mich heute noch angenehm, wenn ich daran denke, daß mir fünf Jahre später, als er nach dem Friedensschluß nach Paris kam, der gute Lord noch versichern konnte, daß mein Name in Nord-Devonshire wegen meiner feinen Streiche immer noch sehr berühmt sei. Besonders, sagte er, hätten sie mich wegen meiner Partie Boxen mit dem Baron Baldock noch in gutem Andenken. Diese Sache trug sich so zu. Eines schönen Abends kamen eine Menge Sportsleute zu Lord Rufton zu Besuch. Sie tranken viel Wein, machten verwegene Wetten und sprachen von ihren Pferden und Füchsen. Ich kann sie mir noch alle vorstellen, diese wunderlichen Kunden, den Grafen Barrington, Jack Lupton aus Barnstaple, Oberst Adison, Johnny Miller, Lord Sadler und meinen Feind, den Baron Baldock. Sie waren alle vom selben Schlag, Trinker, Fechter, Spieler, tolle Burschen voll seltsamer Einfälle und merkwürdiger Scherze. Aber trotzdem waren sie in ihrer rauhen Manier gute Kerle mit alleiniger Ausnahme dieses Baldock, eines dicken Mannes, der mit seiner Fertigkeit und Gewandtheit im Boxen renommierte. Als er sich über die Franzosen wegen ihrer Unkenntnis in Sportsachen lustig machte, forderte ich ihn auf den Sport heraus, womit er sich groß tat. Sie werden vielleicht einwerfen, mes amis, daß es töricht war, aber der Becher hatte schon vielmals gekreist, und mein jugendliches Blut war erhitzt. Ich wollte mit ihm boxen, mit diesem Prahlhans, ich wollte ihm zeigen, daß, wenn wir auch keine Geschicklichkeit in solchen Dingen hätten, es uns doch nicht an Mut gebrach. Lord Rufton wollte es nicht zugeben, aber ich bestand darauf. Die anderen spornten mich an und klopften mich aufmunternd auf die Schultern. »Nein, lass' es, Baldock, er ist unser Gast,« rief Rufton. »Es ist seine eigene Schuld,« antwortete dieser. »Sieh, Rufton,« schrie Lord Sadler, »sie können sich ja nicht verletzen, wenn sie die Mawleys tragen.« Und unter dieser Bedingung gab Rufton seine Zustimmung.

Ich hatte keine Ahnung, was Mawleys waren; aber gleich brachten sie vier wüste lederne Ungetüme angeschleppt, die so ähnlich wie Fechthandschuhe aussahen, aber bedeutend größer waren. Diese mußten wir über die Hände stülpen, nachdem wir Rock und Weste ausgezogen hatten. Dann wurde der Tisch mit den Gläsern und Flaschen in eine Ecke geschoben, und wir beide standen uns gegenüber von Angesicht zu Angesicht! Lord Sadler setzte sich in einen Lehnstuhl und hielt die Uhr in der Hand. »Los!« sagte er.

Mes amis, ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich in diesem Moment gezittert habe, was bei keinem meiner zahlreichen anderen Duelle der Fall war. Auf Säbel und Pistole verstehe ich mich; aber hier wußte ich nur, daß ich mit diesem dicken Engländer ringen sollte und mich bemühen mußte, ihn trotz der riesigen Dinger an meinen Händen unterzukriegen. Und gleich im Anfang wurde mir der Gebrauch der besten Waffe, die ich noch besaß, untersagt. »Aber keinen Fußkampf, lieber Gerard!« flüsterte mir mein Gastgeber ins Ohr. Ich hatte zwar nur ein Paar leichte Tanzschuhe an, aber einige wohlgezielte Bauchtritte würden mir bei der Korpulenz meines Gegners doch den Sieg erleichtert haben. Aber es bestehen dabei gerade so gut Vorschriften wie beim Fechten, und ich mußte also verzichten. Ich betrachtete mir diesen Engländer und überlegte, wie ich ihn angreifen sollte. Er hatte große, abstehende Ohren. Wenn ich die erwischen konnte, war es vielleicht möglich, ihn daran zu Boden zu zerren. Ich griff hin, aber die ungelenken Handschuhe waren mir im Wege, und zweimal mußte ich ihn wieder loslassen. Er schlug auf mich ein, aber ich kümmerte mich den Teufel um seine Püffe, sondern faßte ihn wieder am Ohr. Er fiel, und ich stürzte auf ihn und stieß seinen Kopf auf den Boden. Wie sie mir zujubelten und sich freuten, die wackeren Engländer, und wie sie mich auf den Rücken klopften!

»Ich setze Geld auf den Franzosen,« rief Lord Sadler.

»Er kämpft unfair,« schrie mein Gegner und rieb sich seine roten Ohren. »Er hat mich zu Boden geworfen.«

»Damit mußt du rechnen,« sagte Lord Rufton kühl.

»Los!« rief Lord Sadler, und wir nahmen wieder Angriffsstellung ein.

Er war rot vor Zorn, und seine kleinen Augen waren falsch wie die einer Bulldogge. In seinen Blicken zeigte sich Haß. Ich meinesteils war aufgeräumt und lustig. Ein französischer Kavalier kämpft, aber er haßt nicht. Ich machte meine Verbeugung, wie ich's in jedem Duell getan hatte. Sie kann graziös, höflich und verächtlich sein. Ich legte von jedem dieser Attribute etwas hinein und begleitete sie noch mit einer etwas ironischen Bewegung der Schulter. In diesem Augenblick versetzte er mir einen Stoß. Das Zimmer drehte sich mit mir im Kreis herum, ich stürzte hinten über. Aber im Moment war ich wieder auf und wurde nun mit ihm handgemein. Ohren, Haar, Nase, alles benutzte ich als Angriffspunkte. Das wilde Kampfblut regte sich in meinen Adern. Der alte Siegesruf entrang sich meinen Lippen. »Es lebe der Kaiser!« jauchzte ich laut, als ich mit meinem Kopf gegen seinen Bauch anrannte. Er faßte mich mit der einen Hand im Nacken und boxte mich mit der anderen. Da biß ich ihn in den Arm, sodaß er vor Schmerz aufschrie. »Reiß' ihn los, Rufton!« rief er. »Reiß' ihn doch los, Mensch! Er zerfleischt mich!« Sie zogen mich von ihm weg. Doch das Gelächter werde ich nie vergessen – diesen Jubel, diese Beglückwünschungen! Selbst mein Gegner ließ sich's nicht nehmen und schüttelte mir die Hand. Ich meinesteils küßte ihn auf beide Wangen. Fünf Jahre später erfuhr ich von Lord Rufton, daß mein ritterliches Betragen an jenem Abend noch immer bei meinen englischen Freunden in frischer Erinnerung sei.

Aber ich wollte Ihnen ja nicht von meinen Sporttaten heute abend erzählen, mes amis, sondern von der Gräfin Jane Dacre und dem seltsamen Abenteuer, zu dem sie Veranlassung gab. Die Gräfin Jane Dacre war die Schwester Lord Ruftons und stand seiner Haushaltung vor. Ich fürchte, daß sie sich bis zu meiner Ankunft sehr einsam gefühlt hat, denn sie war eine schöne, vornehme Dame und hatte nichts mit ihrer Umgebung gemeinsam. Tatsächlich kann ich dies von vielen englischen Frauen jener Zeit sagen, denn während die Männer roh und rauh waren, mit bäuerischen Manieren und wenig Bildung, gehörten die Damen zu den liebreizendsten und zärtlichsten Wesen, die mir je vorgekommen sind. Wir schlossen enge Freundschaft, die Gräfin Dacre und ich, denn weil ich beim besten Willen keine drei Flaschen Portwein nach dem Essen trinken konnte, pflegte ich in ihrem Salon Zuflucht zu suchen, wo sie Abend für Abend auf der Harfe spielte, und ich heimische Lieder dazu sang. In jenen stillen Stunden fand ich Trost in dem Unglück, das mich überkam, wenn ich an mein Regiment dachte, das nun dem Feinde gegenüberstand ohne den Führer, den es zu lieben und dem es zu folgen gelernt hatte. Wahrhaftig, ich hätte mir die Haare ausraufen mögen, als ich in den Zeitungen von den schönen Schlachten in Portugal und Spanien las, an denen ich nicht teilnehmen konnte, weil ich unglückseligerweise dem Lord Wellington in die Hände gefallen war.

Nach dem, was ich Ihnen von der Gräfin erzählt habe, Messieurs, werden Sie sich schon denken können, wie's kam. Etienne Gerard in der Gesellschaft eines schönen, jugendlichen Weibes! Was bedeutete das für sie, was für mich? Es kam mir, dem Gast, dem Gefangenen, nicht zu, um die Liebe der Schwester meines Gastgebers zu werben. So verhielt ich mich reserviert und diskret, versuchte meine eigenen Gefühle zu verbergen und ihre niederzuhalten. Was mich betraf, so glaube ich mich doch verraten zu haben, denn je verschwiegener der Mund ist, um so beredter sind die Augen. Das Zittern meiner Finger, wenn ich die Noten umblätterte, enthüllte ihr mein Geheimnis. Aber sie – sie benahm sich wunderbar. In der Kunst der Verstellung in Liebesangelegenheiten sind Weiber überhaupt großartig. Wenn ich ihre innersten Gefühle nicht gekannt hätte, so hätte ich manchmal denken können, daß sie meine Existenz im Hause ganz und gar vergessen hätte. Stundenlang saß sie zuweilen da, in schwermütige Träumerei versunken, während ich ihre blassen Züge und ihre Locken im Lampenschein bewunderte, und ein eigenartiges Erzittern durch meine Glieder ging bei dem Gedanken, daß ich sie so tief bewegt hatte. Wenn ich sie dann schließlich anredete, pflegte sie vom Stuhle aufzuspringen, und so zu tun, als ob sie meine Anwesenheit im Zimmer vollkommen überraschte. Ach! wie gerne hätte ich mich ihr zu Füßen geworfen, ihre zarte, weiße Hand geküßt und ihr erklärt, daß ich ihr Geheimnis kannte, und daß ich ihr Vertrauen nicht mißbrauchen würde. Aber nein, ich war nicht ihresgleichen, ich war nur ein verbannter Feind, der ihre Gastfreundschaft genoß. Mein Mund blieb stumm. Ich bemühte mich, ebenso wunderbar wie sie selbst Gleichgültigkeit zu simulieren, aber, wie Sie sich denken können, Messieurs, wartete ich sehnsüchtig auf eine günstige Gelegenheit, ihr dienen zu können.

Eines Morgens war Lady Jane in ihrem Wagen nach Okehampton gefahren, und ich wanderte dieselbe Straße, um ihr vielleicht auf dem Rückweg zu begegnen. Es war im Spätherbst, und absterbende Farrenkräuter neigten sich von beiden Seiten hernieder auf die gewundene Chaussee. Es ist 'ne öde Gegend, dieses Dartmoor, wild und felsig – ein Land der Winde und Nebel. Als ich so dahinschlenderte, überkam mich das Gefühl, daß der Spleen der Engländer eine durchaus begreifliche Erscheinung ist. Ich selbst war schwermütig und trübsinnig. Ich setzte mich auf einen großen Stein etwas abseits vom Wege und schaute auf die melancholische Landschaft; beunruhigende Gedanken und schlimme Ahnungen durchzogen mein Gemüt. Da, während ich noch saß und auf den Weg hinunterstarrte, bot sich meinem Auge plötzlich ein Anblick, der alle anderen Gedanken verscheuchte und mich mit einem Schrei des Staunens und Aergers aufspringen ließ.

Um eine Kurve herum und bergab kam ein Phaeton, und der Pony davor sauste in rasendem Galopp. In der Chaise saß die Dame, der ich so gern einen Dienst erwiesen hätte. Sie hieb auf das Tier ein wie jemand, der einer dringenden Gefahr entrinnen will, und drehte sich alle Augenblicke um. Infolge der Krümmung des Weges konnte ich nicht sehen, was sie so sehr beunruhigte. Ich lief vorwärts, ohne zu wissen, was meiner wartete. Im nächsten Moment zeigte sich mir der Verfolger, und meine Ueberraschung wurde noch größer, als ich auf einem hohen Schimmel den roten Rock eines englischen Fuchsjägers erblickte. Er galoppierte wie auf einem Rennen, und das hochbeinige Vollblut, das er ritt, hatte bald das fliehende Fuhrwerk eingeholt. Ich sah, wie er anhielt, dem Pony in die Zügel fiel und ihn zum Stehen brachte. Gleich darauf befand er sich in erregtem Gespräch mit der Dame. Er beugte sich im Sattel nach ihr hin und redete eifrig auf sie ein, während sie sich zurückbog, als ob sie sich vor ihm fürchtete und nichts von ihm wissen wollte.

Sie können sich vorstellen, mes chers amis, daß ich nicht die Natur war, eine solche Szene ruhig anzusehen. Oh, wie schlug mir das Herz bei der Aussicht, jetzt einmal die Gelegenheit zu haben, der Lady Jane einen Dienst leisten zu können! Ich rannte – oh, heiliger Himmel, wie ich rannte! Endlich erreichte ich, außer Atem und ohne ein Wort sprechen zu können, den Schauplatz. Der Reiter warf mir aus seinen blauen englischen Augen einen Blick zu, schenkte mir aber sonst keine Beachtung weiter, weil er zu tief in seine Unterhaltung interessiert war, und auch die Lady sagte keinen Ton zu mir. Sie saß immer noch zurückgelehnt und schaute mit ihrem schönen blassen Gesicht zu ihm auf. Er war ein wohlgestalteter Herr – groß und kräftig und von bräunlichem Teint; eine gewisse Eifersucht erfaßte mich, als ich ihn ansah. Er sprach leise und rasch, wie's die Engländer zu tun pflegen, wenn sie eine ernste Angelegenheit behandeln.

»Ich versichere dir, Jinny, daß ich dich, dich ganz allein liebe,« sagte er. »Sei mir nicht böse, Jinny. Laß das Vergangene vergangen sein. Komm her, sag', daß alles vorbei ist.«

»Nein, George, nie, niemals!« rief sie.

Ein tiefes Rot trat auf sein schönes Gesicht. Er wurde wütend.

»Warum kannst du mir nicht vergeben, Jinny?«

»Ich kann das Geschehene nicht vergessen.«

»Zum Teufel, du mußt! Ich habe genug gebeten. Es ist Zeit, nun zu befehlen. Ich verlange jetzt mein Recht. Hörst du?« Er faßte sie an der Hand.

Endlich war ich wieder zu Atem gekommen.

»Gnädige Frau,« sagte ich und zog meinen Hut, »störe ich, oder kann ich Ihnen in irgendwelcher Weise zu Diensten sein?«

Aber keins von beiden beachtete mich mehr, als wenn eine Fliege dazwischen gesummt hätte. Sie starrten sich in einem fort in die Augen.

»Ich verlange mein Recht, sag' ich dir. Ich hab' lang genug gewartet.«

»Dein Ueberfall hat keinen Zweck, George.«

»Du verzeihst mir nicht?«

»Nein, nie!«

»Ist das dein letztes Wort?«

»Jawohl, das letzte.«

Er stieß einen bitteren Fluch aus und stieß ihre Hand weg.

»Gut, meine Gnädige, wir werden weiter sehen.«

»Entschuldigen Sie, mein Herr,« redete ich ihn fest und würdevoll an.

»Scheren Sie sich zum Teufel!« schrie er wütend zurück, gab dem Pferd die Sporen und galoppierte davon.

Die Gräfin blickte ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war. Zu meiner Ueberraschung machte sie nicht etwa ein böses, sondern ein ganz verzweifeltes Gesicht. Dann wandte sie sich mir zu und reichte mir die Hand.

»Sie sind sehr freundlich, Herr Oberst. Sie meinten es sehr gut, davon bin ich fest überzeugt.«

» Madame,« erwiderte ich, »wenn Sie die Güte haben wollen, mir den Namen und die Adresse des Herrn mitzuteilen, so werde ich dafür sorgen, daß er Sie nie im Leben wieder belästigt.«

»Um Gottes willen, keinen Skandal,« gab sie mir zurück, »ich bitte Sie um alles in der Welt!«

»Gnädige Frau,« sagte ich, »ich würde mich nie soweit vergessen. Seien Sie versichert, daß ich in einem solchen Handel nie den Namen einer Dame nennen würde. Dadurch, daß mich der Herr zur Hölle zu gehen geheißen hat, hat er mich der Verlegenheit überhoben, eine Veranlassung zu einem Duell zu suchen.«

»Herr Oberst,« sagte sie ernst, »Sie müssen mir Ihr Ehrenwort als Offizier und Gentleman geben, diese Angelegenheit ruhen zu lassen und auch meinem Bruder nichts von dem zu sagen, was Sie gesehen haben. Versprechen Sie mir's!«

»Wenn Sie's verlangen.«

»Ich halte Sie beim Wort. Nun fahren Sie mit mir nach High Combe, und ich werde Ihnen unterwegs die Sache erzählen.«

Ihre ersten Worte gaben mir einen Stich ins Herz.

»Dieser Herr,« begann sie, »ist mein Gemahl.«

»Ihr Gemahl!«

»Sie haben doch gewußt, daß ich verheiratet war?« Meine Erregung schien sie zu überraschen.

»Das wußte ich nicht.«

»Er ist der Lord George Dacre. Wir sind zwei Jahre verheiratet. Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, daß er mich schlecht behandelt hat. Kurz und gut, ich verließ ihn und suchte Zuflucht im Hause meines Bruders. Bis zum heutigen Tag hat er mich hier in Ruhe gelassen. Ich muß nun unter allen Umständen ein Duell zwischen meinem Mann und meinem Bruder vermeiden. Es ist mir schrecklich, wenn ich daran denke. Deshalb darf Lord Rufton auch von dem heutigen Vorfall nichts erfahren.«

»Wenn Sie meine Pistole von seinen Unbilden befreien könnte –«

»Nein, nein, daran ist nicht zu denken. Erinnern Sie sich an Ihr Versprechen, Herr Oberst Gerard. Und kein Wort in High Combe von dem, dessen Zeuge Sie eben gewesen sind!«

Ihr Gatte! Ich hatte mir eingebildet, sie sei eine junge Witwe. Dieser brutale Kerl mit dem braunen Gesicht und seinem »Scheren Sie sich zum Teufel« war der Gatte dieses zarten, sanften Weibchens. Oh, wenn sie mir nur erlauben wollte, sie von dieser häßlichen Last zu befreien! Es gibt keine so rasche und sichere Ehescheidung als die, welche ich ihr hätte arrangieren können. Aber ein Versprechen ist ein Versprechen, und ich hielt es voll und ganz. Es kam kein Wort über meine Lippen. In einer Woche sollte ich von Plymouth nach St. Malo zurückgeschickt werden, und ich glaubte, den weiteren Verlauf dieser Geschichte nie zu hören. Und doch sollte ich die Fortsetzung erfahren und sogar eine sehr dankbare und ehrenvolle Rolle dabei spielen.

 

Drei Tage nach dem Vorfall, den ich eben geschildert habe, kam Lord Rufton plötzlich in mein Zimmer gestürzt. Er sah ganz bleich aus und befand sich offenbar in größter Aufregung.

»Gerard,« rief er, »haben Sie Frau Dacre gesehen?«

Ich hatte sie nach dem Frühstück gesehen, und nun war's Mittag.

»Um Gottes willen, da ist ein Unglück passiert!« schrie mein armer Freund und lief wie wahnsinnig im Zimmer umher. »Der Amtsvorsteher war eben hier und hat erzählt, daß er eine Chaise mit einem Paar die Straße nach Tavistock hat hinunterfahren sehen. Der Schmied hat eine Frau jammern hören, als sie an seiner Werkstatt vorbeigekommen sind. Jane ist verschwunden. Bei Gott, ich glaube, dieser elende Dacre hat sie entführt.« Er klingelte wie toll. »Auf der Stelle zwei Pferde!« schrie er. »Oberst Gerard, Ihre Pistolen! Jane kehrt heute nacht von Gravel Hanger mit mir zurück, oder High Combe bekommt einen neuen Herrn.«

Innerhalb einer Viertelstunde waren wir bereits draußen auf der Landstraße und folgten wie zwei Reiter aus alten Zeiten der Spur dieser unglücklichen Frau. Lord Dacre wohnte in der Nähe von Tavistock, und an jedem Haus und Zolltor auf unserem Weg hörten wir die Neuigkeit von dem flüchtigen Wagen vor uns; es konnte also kein Zweifel sein, wo sie hin waren. Als wir zusammen hinterher ritten, entwarf mir Lord Rufton ein Bild von dem Mann, den wir verfolgten. Sein Name schien in ganz England als der Inbegriff alles Schlechten bekannt zu sein. Wein, Weiber, Würfel, Karten, Rennen – in allen Leidenschaften hatte er sich berüchtigt gemacht. Er stammte aus einer alten, angesehenen Familie, und man hatte gehofft, daß er sich die Hörner abgestoßen und seine wilden Neigungen abgelegt habe, als er die schöne Lady Jane Rufton heiratete. Ein paar Monate hatte er wirklich gut getan, dann hatte er aber ihr Gefühl an der empfindlichsten Stelle verletzt, indem er eine sehr unwürdige Liaison einging. Sie war von ihm geflohen und hatte bei ihrem Bruder Zuflucht gesucht, aus dessen Obhut sie nun mit Gewalt entführt worden war. Können Sie sich nun einen ritterlicheren Auftrag denken als unseren, mes amis?

»Dort liegt Gravel Hanger,« rief Rufton mir endlich zu und deutete mit der Reitpeitsche auf einen grünen Hügel, an dem sich ein altes Gebäude aus Holz und Stein erhob, so schön wie nur ein englischer Herrensitz sein kann. »Am Eingang zum Park ist eine Wirtschaft, wo wir unsere Pferde lassen werden,« fügte er hinzu.

Mir persönlich schien es bei unserer gerechten Sache am besten, stolz an sein Tor zu reiten und ihn aufzufordern, die Dame freizugeben. Aber das war nicht angängig. Denn das einzige, was jeder Engländer fürchtet, sind die Gesetze. Er macht sie selbst, und wenn er sie 'mal gemacht hat, sind sie für ihn ein schrecklicher Tyrann, dem sich auch der Tapferste unterwirft. Er lacht dazu, wenn er den Hals bricht, aber er erblaßt, wenn er das Gesetz verletzt, und nach dem, was ich von Lord Rufton hörte, als wir durch den Park schritten, handelten wir in dieser Sache ungesetzlich, während Lord Dacre das Recht hatte, seine Frau zu holen, weil sie ihm gehörte; wir befanden uns also auf gleicher Stufe mit Einbrechern und Räubern. Als solche durften wir nicht den Vordereingang benutzen. Wir konnten die Dame durch List oder Gewalt mitnehmen, aber das Gesetz war nicht auf unserer Seite. Diese Ansicht äußerte mein Freund, als wir in eine schützende Remise krochen, die nahe an den Fenstern des Wohnhauses stand. Von da aus konnten wir die Festung in Augenschein nehmen, sehen, ob wir eindringen konnten, und, vor allen Dingen, eine Verbindung mit der schönen Gefangenen drin herzustellen versuchen.

Da standen wir nun in der Wagenhalle, Lord Rufton und ich, jeder mit der Pistole in der Tasche und fest entschlossen, nicht ohne die Dame zurückzukehren. Eifrig spähten wir nach den verschiedenen Fenstern des weiten Gebäudes. Wir konnten weder von der Gefangenen noch von sonst jemandem eine Spur entdecken; aber auf dem Kiesweg, der nach dem Haupteingang führte, sahen wir noch die tiefen Einschnitte der Wagenräder. Zweifelsohne waren sie also angekommen. Wir schlichen uns unter die Lorbeerbüsche und hielten leise einen Kriegsrat, aber durch einen eigenartigen Zwischenfall wurde er jählings unterbrochen.

Aus dem Haus kam ein blondhaariger Mann heraus, eine Gestalt, wie man sie zum Flügelmann bei einer Kompagnie Grenadiere aussucht. Als er uns sein braunes Gesicht und seine blauen Augen zukehrte, erkannte ich in ihm den Lord Dacre. Er schritt auf dem Sandweg direkt auf unser Versteck zu.

»Komm nur vor, Ned!« rief er laut: »sonst schießt dir der Parkwärter womöglich eine Ladung Schrote in den Leib. Kommen Sie 'raus, Mann, und verstecken Sie sich nicht unter den Büschen!«

Wir befanden uns in einer nicht gerade sehr heroischen Situation. Mein armer Freund stand mit rotem Kopf auf. Ich sprang ebenfalls in die Höhe und machte eine möglichst würdevolle Verbeugung.

»Halloh! es ist der Franzose, wahrhaftig!« sagte er, ohne meine Verbeugung zu erwidern. »Mit dem hab' ich so schon ein Hühnchen zu rupfen. Was dich betrifft, Ned, so wußte ich, daß du rasch auf dem Posten sein würdest, und deshalb sah ich mich nach dir um. Ich sah euch durch den Park kommen und in die Remise gehen. Kommt 'rein, wir wollen d'rin weiter verhandeln.«

Er schien Herr der Situation zu sein, dieser hübsche Riese von einem Mann, der gemächlich auf seinem Grund und Boden stand, während wir aus unserem Versteck hervorkrochen. Lord Rufton hatte noch kein Wort erwidert, aber ich merkte an seiner Stirn und seinen Augen, daß sich ein Gewitter zusammenzog. Lord Dacre ging uns ins Haus voran, und wir folgten ihm auf den Fersen. Er führte uns in ein Empfangszimmer und schloß die Türe hinter uns zu. Dann musterte er mich mit frechen Blicken von Kopf bis zu Fuß.

»Nun, Ned,« sagte er, »es gab eine Zeit, wo eine englische Familie ihre Angelegenheiten unter sich ordnete, wie's ihr beliebte. Was hat dieser fremde Kerl hier mit deiner Schwester und meiner Frau zu schaffen?«

»Mein Herr,« sagte ich, »gestatten Sie, daß ich Sie darauf aufmerksam mache, daß es sich in diesem Fall nicht allein um Schwester und Frau handelt, daß ich mit der Dame befreundet bin und das Recht habe, das jedem Ehrenmann zusteht, ein Weib gegen Brutalität zu beschützen. Ich kann Ihnen nur durch eine Handgreiflichkeit zu verstehen geben, was ich von Ihnen halte.« Ich hatte meinen Reithandschuh in der Hand, und schlug ihn damit ins Gesicht. Er bog sich bitter lächelnd zurück, und seine Augen blickten hart wie Stein.

»Du hast also einen Eisenfresser mitgebracht, Ned?« sagte er zu seinem Schwager. »Du hättest wenigstens den Kampf selbst aufnehmen können, wenn's durchaus dazu kommen muß.«

»Das werde ich auch,« schrie Lord Rufton. »Gleich hier auf dieser Stelle.«

»Sobald ich diesem großsprecherischen Franzosen das Maul gestopft habe,« antwortete Lord Dacre. Er ging an einen Seitentisch und öffnete eine Schublade. »Bei Gott,« sagte er dann, »entweder kommt dieser Mann lebendig aus diesem Zimmer heraus oder ich. Ich meinte 's gut mit dir, Ned; wahrhaftig, aber ich will deinen Wortführer hier totschießen, so wahr ich George Dacre heiße.« Er wandte sich zu mir: »Wählen Sie eine von diesen Pistolen, und schießen Sie über den Tisch. Zielen Sie aber gut und töten Sie mich, wenn Sie können, denn, bei Gott, wenn Sie's nicht tun, ist's um Sie geschehen.«

Lord Rufton versuchte vergeblich, die Sache auf sich zu nehmen. Zwei Dinge waren mir vollkommen klar – erstens, daß Lady Jane eine ungeheuere Angst vor einem Duell zwischen ihrem Mann und ihrem Bruder gehabt hatte, und zweitens, daß, wenn ich nur diesen kolossalen Milord ordentlich träfe, die ganze Geschichte auf die einfachste Weise und für ewige Zeiten erledigt sei. Lady Jane mochte ihn nicht und Lord Rufton mochte ihn nicht. Also würde ich, Etienne Gerard, ihr Freund, nur die beiden schuldige Dankespflicht erfüllen, wenn ich sie von dieser Bürde befreite. Aber abgesehen davon, hatte ich gar keine andere Wahl, weil Lord Dacre ebenso stark den Wunsch hegte, mir eine Kugel in die Brust zu jagen, wie ich ihm diesen Dienst erweisen wollte. Alles Reden und Schimpfen des Lord Rufton war umsonst. Die Sache mußte ihren Fortgang nehmen.

»Nun, wenn du dich mit aller Gewalt mit meinem Gast anstatt mit mir duellieren willst, so tu's morgen früh mit zwei Zeugen,« rief er endlich; »dies Schießen über den Tisch weg ist ja der reine Mord.«

»Aber mir gefällt's nun gerade, Ned,« entgegnete Lord Dacre.

»Und mir gleichfalls,« warf ich ein.

»Dann will ich aber nichts damit zu schaffen haben,« rief Lord Rufton. »Ich sage dir, George, wenn du den Oberst Gerard unter diesen Umständen erschieß't, wirst du dich unweigerlich ins Zuchthaus bringen. Ich gebe mich nicht zum Sekundanten her, und damit gut.«

»Sir,« sagte ich, »ich bin durchaus bereit, auch ohne Sekundanten anzutreten.«

»Das geht nicht, das ist ungesetzlich.« rief Lord Dacre. »Komm', Ned, sei kein Narr. Du siehst, wir sind beide einverstanden. Zum Teufel auch, Mensch, ich verlange ja weiter nichts von dir, als daß du ein Taschentuch fallen läßt.«

»Ich will aber nichts damit zu tun haben.«

»Dann muß ich mich nach einem andern umsehen,« sagte Lord Dacre. Er warf ein Tuch über die Pistolen, die auf dem Tisch lagen, und klingelte. Ein Diener erschien. »Bitten Sie den Oberst Berkeley, 'mal hierher zu kommen. Er ist im Billardzimmer.«

Kurz darauf trat ein langer, hagerer Engländer herein. Er trug einen starken Schnurrbart, was bei diesem glattrasierten Volk eine große Seltenheit ist. Ich habe mir sagen lassen, daß das nur bei den Husaren und der Garde Mode ist. Dieser Oberst Berkeley war Gardeoffizier. Er machte einen eigentümlichen, müden, langweiligen, blasierten Eindruck mit der langen, schwarzen Zigarre, die unter dem mächtigen Schnurrbart wie eine Stange aus einer Hecke hervorragte. Er betrachtete uns nacheinander mit dem bekannten englischen Phlegma und zeigte auch nicht die geringste Ueberraschung, als er unsere Absicht erfuhr.

» All right,« sagte er, »ganz recht.«

»Ich lehne jede Beteiligung ab, Oberst Berkeley,« rief Lord Rufton erregt. »Bedenken Sie, daß dieses Duell ohne Sie nicht stattfinden kann, und ich mache Sie persönlich für alle Eventualitäten verantwortlich.«

Oberst Berkeley schien eine Autorität auf diesem Gebiet zu sein. Er nahm die Zigarre aus dem Mund und legte in seiner eigenen, langsamen, phlegmatischen Weise die gesetzlichen Bedenken klar.

»Die Umstände sind ja ungewöhnlich, Lord Rufton,« sagte er, »aber doch nicht gesetzwidrig. Dieser Herr ist tätlich geworden, und dieser Herr hat einen Schlag ins Gesicht bekommen. Das ist eine Tatsache. Die Zeit und die Bedingungen hat der Beleidigte zu bestimmen, der Satisfaktion fordert. Also gut. Er verlangt, daß die Sache sofort hier im Zimmer und über den Tisch ausgetragen wird. Er handelt vollkommen korrekt. Ich bin bereit, die Verantwortung auf mich zu nehmen.«

Diese Erklärung erübrigte jedes weitere Wort. Lord Rufton saß traurig in seiner Ecke, er hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt und die Hände in den Taschen seiner Reithosen vergraben. Oberst Berkeley untersuchte die Pistolen und legte beide in die Mitte des Tisches. Lord Dacre stand am einen Ende und ich am anderen, zwischen uns war ein Abstand von acht Fuß fein polierten Mahagoniholzes. Auf dem Teppich, mit dem Rücken nach dem Kamin, stand der lange Oberst, in der linken Hand das Taschentuch und in der rechten seine Zigarre.

»Wenn ich das Taschentuch fallen lasse,« sagte er, »ergreifen Sie Ihre Pistolen und schießen nach Belieben los. Sind Sie fertig?«

»Ja,« riefen wir beide.

Er machte die Hand auf, und das Taschentuch fiel zu Boden. Ich beugte mich rasch vor und faßte nach einer Pistole, aber die Tischplatte war, wie ich erwähnt habe, acht Fuß lang, und so konnte der Milord mit seinen langen Armen die Pistolen leichter erreichen als ich. Ich hatte mich noch nicht in die Höhe gerichtet, so knallte er schon los, und diesem Umstand verdanke ich mein Leben. Seine Kugel würde mir mitten durchs Gehirn gegangen sein, wenn ich aufrecht gestanden hätte. Aber so pfiff sie durch meine Locken. Im Moment, als ich nun auf ihn anlegte, flog die Tür auf, und ich wurde von zwei Armen umschlungen.

»Sie sollen nicht schießen! Oberst Gerard, um meinetwillen schießen Sie nicht!« rief sie. »Es ist ein Mißverständnis, ich sag' Ihnen – ein Mißverständnis, ein Mißverständnis! Er ist der beste und liebste Gatte von der Welt. Niemals werde ich ihn wieder verlassen.« Sie zog meinen Arm herunter und hielt meine Pistole fest.

»Jane, Jane!« rief Lord Rufton; »komm' mit mir. Du sollst nicht hier bleiben. Komm' mit.«

»Das ist ja alles verdammt komisch,« sagte Oberst Berkeley.

»Herr Oberst Gerald, Sie schießen doch nicht, nicht wahr, nein? Sie würden mir das Herz brechen, wenn Sie ihn verletzten.«

»Zum Teufel, Jinny, laß' dem Kerl freies Spiel,« schrie Lord Dacre. »Er hat sich wie ein Mann betragen und ich will nicht, daß er unterbrochen wird. Wie's auch kommen mag, ich kann höchstens meinen verdienten Lohn kriegen.«

Aber schon hatte ich der Gräfin durch einen flüchtigen Blick das Nötige zu verstehen gegeben. Sie ließ meinen Arm los. »Ich lege das Leben meines Gatten und mein eigenes Glück in die Hände des Herrn Oberst Gerard,« sagte sie.

Wie richtig sie mich beurteilte, dieses wunderbare Weib! Einen Moment stand ich unschlüssig da mit dem Finger am Drücker der Pistole. Mein Gegner blickte mir mutig ins Gesicht, er zuckte mit keiner Wimper, und seine trotzigen blauen Augen zeigten keinerlei Furcht.

»Machen Sie, machen Sie, Sie haben noch Ihren Schuß!« rief der Oberst auf seinem Teppich.

»Schießen Sie also los!« sagte Lord Dacre.

Ich wollte ihnen wenigstens beweisen, daß sein Leben ganz in meiner Hand lag, und ihnen eine kleine Probe von meiner Geschicklichkeit geben. Das war ich mir schließlich selbst schuldig. Ich sah mich nach einem passenden Ziel um. Der Oberst hatte den Blick auf meinen Gegner gerichtet und war darauf gefaßt, ihn im nächsten Moment niedersinken zu sehen. Er stand seitwärts von mir, seine lange Zigarre ragte aus seinem Mund hervor, und an der Spitze war ein etwa zollanges Stück Asche. Rasch wie der Blitz nahm ich die Pistole hoch und gab Feuer.

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen die Asche von Ihrer Zigarre abstreiche,« sagte ich und machte eine so elegante Verbeugung, wie sie diese Insulaner gar nicht kennen.

Ich bin fest überzeugt, Messieurs, daß es an der Pistole und nicht an mir lag. Ich vermochte es kaum zu glauben, als ich sah, daß ich ihm die Zigarre kaum einen halben Zoll weit von seinen Lippen abgeschossen hatte. Er stand ganz starr da mit dem Rest der Zigarre, der unter seinem versengten Schnurrbart hervorragte. Ich sehe ihn jetzt noch vor mir mit seinen erstaunten, wütenden Augen und dem langen, schmalen, bestürzten Gesicht. Endlich fand er Worte. Ich habe stets gesagt, daß die Engländer in Wirklichkeit gar nicht so phlegmatisch und wortkarg sind, wenn man sie erst aufgerüttelt hat. Kein Mensch hätte lebhafter reden können als dieser Oberst. Lady Jane hielt sich die Ohren zu.

»Hören Sie auf, hören Sie auf, Oberst Berkeley!« sagte Lord Dacre, »Sie vergessen sich. Es ist 'ne Dame im Zimmer.«

Der Oberst machte eine steife Verbeugung.

»Würden gnädige Frau so freundlich sein, einen Augenblick hinauszugehen,« fuhr er fort, »ich möchte diesem verfluchten kleinen Franzosen sagen, was ich von ihm und seinen elenden Scherzen halte.«

Ich fühlte mich erhaben in jenem Moment, ich ignorierte seine Worte und achtete nur auf seine grenzenlose Wut.

»Sir,« sagte ich dann, »ich bitte Sie freimütig um Entschuldigung wegen dieses unglücklichen Zufalls. Ich hatte das Gefühl, daß ich, wenn ich meinen Schuß nicht abgäbe, der Ehre des Lord Dacre zu nahe treten würde, und ich konnte doch unmöglich nach den Bitten dieser Dame auf ihren Gemahl zielen. Ich sah mich also nach einem anderen Ziel um und hatte das furchtbare Mißgeschick, Ihre Zigarre abzuschießen, während ich die Absicht hatte, nur die Asche abzustreichen. Die Schuld liegt an der Pistole. Das ist der Sachverhalt. Sollten Sie aber trotzdem noch weitere Genugtuung von mir wünschen, so werde ich Ihre Forderung selbstverständlich nicht abschlagen.«

Ich hatte entschieden eine großartige Haltung angenommen und gewann aller Herzen. Lord Dacre kam auf mich zu und schüttelte mir die Hand. »Bei Gott,« sagte er, »ich hätte nie geglaubt, einen Franzosen so schätzen zu können, wie ich Sie schätze. Sie sind ein Mann und ein Ehrenmann, das muß ich sagen.« Lord Rufton sprach kein Wort, aber sein Händedruck sagte mir, was er dachte. Selbst Oberst Berkeley machte mir sein Kompliment und erklärte, nicht weiter an die unglückliche Zigarre denken zu wollen. Und sie – ach, wenn Sie diesen Blick gesehen hätten, mes amis, welchen sie mir zuwarf, die erröteten Wangen, die feuchten Augen, die zitternden Lippen! So oft ich an meine Lady Jane denke, stelle ich sie mir in diesem Moment vor. Sie hätten mich gerne zum Essen dabehalten, aber Sie werden einsehen, Messieurs, daß es nicht die geeignete Zeit war für Lord Rufton und mich, in Gravel Hanger länger zu verweilen. Wir ließen das wiederversöhnte Paar allein. Im Wagen unterwegs hatte er sie von seiner aufrichtigen Reue überzeugt, und sie waren wieder ein glücklich liebend Ehepaar. Damit sie das blieben, war's am besten, daß ich ging. Warum hätte ich ihren häuslichen Frieden stören sollen? Selbst ohne es zu wollen, würde ich durch meine bloße Anwesenheit und meine Erscheinung der Frau das Herz schwergemacht haben. Nein, nein, ich mußte mich losreißen – selbst ihre Ueberredungskunst konnte meinen Vorsatz nicht abändern. Nach Jahren habe ich erfahren, daß die Dacres eins der glücklichsten Familienleben rundum geführt haben, und daß keine Wolke wieder ihren Frieden gestört hat. Und doch möchte ich behaupten, wenn er seiner Frau hätte ins Herz sehen können – doch, ich will lieber schweigen! Ein Weib hat seine Geheimnisse, und ich fürchte, daß sie mit ihnen schon lange Jahre auf irgend einem Devonshirer Kirchhof ruht. Vielleicht ist schon der ganze fröhliche Kreis dahingegangen, und die Lady Jane lebt nur noch in der Erinnerung eines alten französischen Brigadiers. Aber der wenigstens wird sie nie vergessen.


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