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Wie der Brigadier nach der Schreckensburg kam.

Sie erfüllen lediglich eine Pflicht der Gerechtigkeit, meine Freunde, wenn Sie mich mit Hochachtung behandeln: tritt Ihnen doch in meiner Person nicht nur ein alter, graubärtiger Offizier entgegen, der in Frieden sein Glas leert und sein Pfeifchen dazu schmaucht, sondern die ganze große französische Nation, zu der Sie sich ja auch rechnen. Der Mann, der hier zu Ihnen spricht, ist einer jener großen Helden, welche als Jünglinge schon Veteranen waren, das Schwert früher zu handhaben verstanden als das Rasiermesser und in hundert Schlachten dem Feinde nie die Farbe ihres Tornisters zeigten. Zwanzig Jahre hindurch haben wir Europa fechten gelehrt, und selbst als es die Lektion inne hatte, wurde die grande armée nicht durch das Bajonett, nein, nur durch das Thermometer bezwungen. Berlin, Neapel, Wien, Madrid, Lissabon, Moskau – sie alle sahen unsere Fahnen. Ja, meine Freunde, Sie tun recht daran, wenn Sie Ihren Kindern meinen Namen nennen und sie mit Blumen zu mir senden, denn diese Ohren haben die Siegesfanfaren Frankreichs gehört, diese Augen haben seine Fahnen in Ländern gesehen, wo man sie vielleicht nie wieder erblicken wird.

Wie sie an mir vorüberziehen, jene tapfern Helden, wenn ich, ein Greis jetzt, in meinem Lehnstuhl sitze und träume! Siehe da! Die Jäger in ihrer grünen Uniform, die riesigen Kürassiere, Poniatowskys Lanzenreiter, die Dragoner in ihren weißen Mänteln! Dumpf wirbeln die Trommeln, Rauch- und Staubwolken wälzen sich heran, in denen lange Reihen gebräunter Gesichter, hoher Mützen und wehender Federbüsche sichtbar werden. Da reitet Ney mit seinem roten Haar, Lefèbre mit seinem Bulldoggengesicht und Lannes, der Gascogner – aber dort taucht zwischen den blitzenden Rüstungen und den wallenden Bannern Er auf, der Mann mit dem kalten Lächeln auf den Lippen, den runden Schultern und den Augen, die in weite Fernen zu blicken scheinen. Da ist es aus mit meinem Traum, liebe Freunde; ich springe auf, strecke die welken Hände aus und rufe mit zitternder Stimme. Aber Madame Titaux lacht über den alten Burschen, der zwischen Schatten lebt.

Als der Krieg sich seinem Ende näherte, war ich bereits Brigadekommandeur und durfte sogar hoffen, bis zum Divisionsgeneral zu gelangen: und doch kehre ich am liebsten zu früheren Tagen zurück, wenn ich von Ruhm und Beschwerden des Soldatenlebens erzählen will. Denn der Offizier, der viele Mannschaften und Pferde unter sich hat, hat den Kopf voll von seinen Rekruten und Remonten, von Proviant, Hufschmieden und Quartieren und sieht das Leben von der ernsten Seite an. Ist er aber noch ein junger Leutnant, nun, dann hat er noch keine schwerere Last zu tragen, als die Epauletten auf seinen Schultern: dann klirren die Sporen, der Dolman fliegt, er leert sein Glas, küßt sein Mädchen – kurz, sein Sinnen geht auf nichts anderes, als ein lustiges Leben zu führen. Das ist die Zeit, wo er die meisten Abenteuer erlebt, und zu jenen Tagen werde ich oft zurückkehren, wenn ich von meinem Leben erzähle, ja, heute schon, wo Sie hören sollen von meinem Besuche auf der Schreckensburg, von der seltsamen Mission des Unterleutnants Duroc und von der entsetzlichen Geschichte des Mannes, der erst als Jean Carabin und später als der Baron Straubenthal bekannt war.

Unmittelbar nach der Einnahme von Danzig, im Februar des Jahres 1807, erhielten Major Legendre und ich Befehl, 400 Remonten aus Preußen nach dem östlichen Polen zu bringen.

Das harte Wetter, besonders aber die große Schlacht von Eylau, hatten so viele von den Pferden vernichtet, daß unser schönes zehntes Husarenregiment in großer Gefahr stand, in ein Bataillon leichte Infanterie umgewandelt zu werden, und deshalb wußten wir wohl, daß unsere braven Soldaten uns mit großer Sehnsucht erwarteten. Trotzdem konnten wir nur langsam vorwärts kommen, da der Schnee sehr tief und die Wege in abscheulichem Zustande waren; außerdem hatten wir nur zwanzig eben aus dem Hospital entlassene Soldaten, die uns halfen, und die Pferde ließen sich bei der schlechten Verpflegung fast nicht schneller als im Schritt vorwärts bringen. Ich weiß wohl, daß in Geschichtenbüchern die Kavallerie im tollsten Galopp vorbeifliegt – ich meinesteils würde nach den Erfahrungen von zwanzig Feldzügen schon zufrieden sein, von meiner Brigade zu lesen, daß sie auf Märschen immer im Schritt gehen und vor dem Feinde traben konnte. Und bedenken Sie, daß ich jetzt von Husaren und Jägern rede: wie viel unwahrscheinlicher klingt es erst, wenn es sich um Kürassiere und Dragoner handelt.

Ich bin ein leidenschaftlicher Liebhaber von Pferden, und es machte mir deshalb großes Vergnügen, vierhundert derselben von jeder Farbe, jedem Alter und Charakter unter mir zu haben. Sie stammten zum großen Teil aus Pommern, einige auch aus der Normandie und aus dem Elsaß: es war interessant, zu beobachten, wie sie in ihren Eigenschaften ebenso voneinander abwichen, wie die Bewohner jener Länder, und wie die ganze Natur des Pferdes abhängig ist von seiner Farbe. Die letztere Beobachtung habe ich in meinem späteren Leben oft bestätigt gefunden, mochte es sich nun um die leicht erregbare, kokette Falbe, oder den ruhigeren Dunkelbraunen, den gelehrigen Fuchs oder den dickköpfigen Rappen handeln. Das alles hat freilich mit meiner eigentlichen Geschichte durchaus nichts zu tun, aber, mes amis, Ihr werdet gewiß einem passionierten Reiteroffizier, der mit Leib und Seele bei seinem Berufe war, diese Abschweifung gerne verzeihen.

Marienwerder gegenüber setzten wir über die Weichsel und waren bis Riesenberg gekommen, als Major Legendre mit einem Schreiben in der Hand in mein Zimmer trat.

»Ein Befehl vom General Lasalle!« verkündete er mit verzweiflungsvollem Gesichte. »Sie sollen mich verlassen, sollen sich sofort nach Rossel begeben und im Hauptquartier des Regimentes melden.«

Diese Nachricht war mir höchst willkommen. Denn erstens war mein Vorgesetzter, Legendre, durchaus nicht der Mann, von dem ich mich ungern trennte, und dann sah ich aus der Ordre, daß ich höheren Ortes gut angeschrieben stand. Höchstwahrscheinlich sollte mein Regiment wieder ausrücken, und Lasalle fand, daß ich bei meiner Schwadron unentbehrlich war. Freilich, so ganz gelegen kam mir die Sache jetzt nicht; denn der Postmeister hatte eine Tochter, eine jener schwarzhaarigen, glutäugigen Polinnen, mit der ich gerne noch manch heiteres Gespräch gehabt hätte. Aber es ist nicht Sache der Figur im Schachspiel, mit den Fingern des Spielers zu rechten, wenn sie ihm ein anderes Feld anweisen, und so machte ich mich auf, sattelte mein großes, schwarzes Schlachtenroß, Rataplan, und begab mich auf meine einsame Reise.

Meiner Treu, das war ein Schauspiel für jene armseligen Polen und Juden, deren ödes Leben so selten durch eine Abwechslung erheitert wird! Die gewaltigen, pechschwarzen Hinterbacken Rataplans und die schönen Linien des Rückens und der Flanken glänzten und schimmerten bei jeder Bewegung in der frostigen Morgenluft. Mir wenigstens jagt heute noch das Blut schneller durch die Adern, wenn draußen auf der Landstraße rascher Hufschlag ertönt, wenn leichtes Kettengeklirr jede Bewegung des trotzigen Kopfes verrät! Dann können Sie sich denken, wie ich in meinem 25. Jahre zu Pferde saß – ich, Etienne Gerard, der verwegenste Reiter und kühnste Degen im zehnten Husarenregiment. Himmelblau mit Scharlach war die Farbe unserer Uniform, und man sagte, daß unser Anblick die ganze Bevölkerung eines Dorfes ins Laufen versetzen könnte – insofern nämlich, als die Männer vor uns flohen, während die Frauen herbeieilten, um uns zu bewundern! An jenem Morgen gab es in den Fenstern Riesenbergs manch blitzendes Auge, welches mich zum Verweilen einlud; aber was bleibt dem Soldaten in solchen Fällen übrig, als lächelnd ein Kußhändchen hinaufzuwerfen und vorüberzureiten?

Ein wolkenloser, blauer Himmel wölbte sich über diesem ärmsten und reizlosesten aller Länder Europas, und blendende, kalte Sonnenstrahlen lagen auf den ungeheuren Schneefeldern. Mein Atem rauchte in der eisigen Luft, und auch Rataplans Nüstern entstiegen Dampfwolken, während an den Seiten seines Gebisses die Eiszapfen niederhingen. Um ihn zu erwärmen, ließ ich ihn im Trab gehen, aber ich selbst war zu tief in Gedanken versunken, um auf die Kälte zu achten. Rings um mich her nichts als die unendliche Ebene, die nur hier und da von Gruppen düsterer Tannen oder lichterer Lärchen unterbrochen wurde. Zwar tauchten von Zeit zu Zeit einige Hütten auf, aber es waren erst drei Monate her, seit die grande armée desselben Wegs gezogen war, und was das sagen will, wißt Ihr alle. Allerdings waren die Polen unsre Verbündeten; aber von den 100 000 Mann unserer Armee besaß nur die Garde Proviantwagen, während die übrigen zusehen mußten, wo sie blieben. Was Wunder daher, daß nirgends ein Stück Vieh zu sehen war, und keine Rauchsäule aus den schweigsamen Gehöften emporstieg! Bittre Not bezeichnete die Stätte, die das große Heer betreten hatte, ja, man sagte, daß da, wo der Kaiser mit seinen Soldaten vorübergezogen war, sogar die Ratten verhungern müßten.

Gegen Mittag gelangte ich nach dem Städtchen Saalfeld: der Weg führte mich nun auf der Landstraße nach Osterode entlang, wo der Kaiser überwinterte und wo das Hauptquartier der sieben Divisionen Infanterie war. Natürlich konnte nun von einem schnellen Vorwärtskommen nicht mehr die Rede sein, denn die Straße wimmelte von Wagen, Karren und Kanonen, von Rekruten und Maroden. Nachdem ich mir eine Zeitlang mühsam einen Weg durch das Gedränge gebahnt hatte, entdeckte ich zu meiner großen Freude einen sich abzweigenden Seitenweg, der durch dunklen Tannenwald ebenfalls nach Norden zu führte. An der Kreuzung stand ein kleines Gasthaus, und vor demselben hielt eben eine Patrouille von den dritten Husaren – dem Regimente, dem ich später als Oberst angehörte – im Begriff, zu Pferde zu steigen; der Offizier, ein schmächtiger, blasser junger Mann, in dem man weit eher einen Priester frisch vom Seminar weg, als den Anführer jener Teufelskerle vermutet hätte, stand noch in der Tür.

»Guten Tag, Herr Kamerad!« lautete sein Gruß, als er bemerkte, daß ich Miene machte, abzusteigen.

»Guten Tag!« war mein Gegengruß. »Leutnant Etienne Gerard, vom zehnten.«

Ich sah an seinem Gesicht, daß er mich dem Namen nach kannte. Natürlich, jedermann kannte mich von meinem Kampf mit den sechs Fechtmeistern her, aber ich war bemüht, ihm durch mein ganzes Auftreten sofort die Scheu vor mir zu benehmen, und er stellte sich ohne Verlegenheit vor:

»Unterleutnant Duroc vom dritten.«

»Neu eingetreten?«

»Vergangene Woche.«

Das hatte ich mir nach seinem Milchgesicht und der nachlässigen Art und Weise, wie seine Soldaten zu Pferde saßen, schon gedacht. Aber ich hatte ja selbst vor gar nicht langer Zeit erfahren, was es heißt, wenn ein Schulknabe Veteranen unter sich hat; ich war rot geworden, so oft ich Männern Befehle zurufen mußte, die mehr Schlachten gesehen hatten, als ich Jahre zählte, und es wäre mir viel leichter gefallen, zu sagen: »Mit Eurer Erlaubnis wollen wir uns in Reih' und Glied stellen«, oder »Haltet Ihr es nicht für besser, wenn wir jetzt Trab reiten?« Ich dachte deshalb nicht schlechter von dem Jünglinge, als ich bemerkte, daß seine Leute nicht die rechte Zucht hatten: aber ich warf ihnen einen Blick zu, bei dem sie sich in ihren Sätteln gehörig aufrichteten, bevor ich Duroc fragte:

»Darf ich fragen, ob Ihr auf diesem Wege nach Norden reitet?«

»Ja, ich habe Ordre, bis Arensdorf zu patrouillieren,« antwortete er.

»Dann erlaubt Ihr mir wohl, bis dahin mit Euch zu reiten,« sagte ich. »Mich dünkt, in diesem Falle wird der weitere Weg der kürzere sein.«

Und so war es auch. Der Pfad führte abseits von der Armee in eine Gegend, die man den Kosaken und Marodeuren überlassen hatte, und die deshalb ganz verödet war. Duroc und ich ritten voran, und unsere sechs Mann bildeten den Nachtrab. Ich fand bald Wohlgefallen an meinem Gefährten. Allerdings steckte dem guten Jungen der Kopf noch voll von dem Unsinn, mit dem man ihn in St. Cyr vollgepfropft hatte, und er verstand besser, von Alexanders oder Pompejus' Taten zu erzählen, als des Pferdes Futter zu mischen oder sich um dessen Hufe zu bekümmern. Aber er war noch völlig unberührt von den Lastern des Soldatenlebens und plauderte munter darauf los von allerlei, was ihm am Herzen lag, von seiner Schwester Marie und seiner Mutter in Amiens. Bald erreichten wir das Dorf Haynau; Duroc ritt an das Posthaus und frug den Postmeister, der auf sein Klopfen in der Türe erschien:

»Könnt Ihr mir wohl sagen, Monsieur, ob jemand, der sich Baron Straubenthal nennt, hier in dieser Gegend wohnt?«

Der Mann schüttelte den Kopf, und wir ritten weiter.

Ich hatte den Zwischenfall weiter nicht beachtet; als aber mein Kamerad im nächsten Dorfe dieselbe Frage mit dem gleichen Erfolg wiederholte, wurde meine Neugier rege, und ich erkundigte mich, wer dieser Baron Straubenthal wohl wäre.

»Das ist ein Mann,« antwortete der Gefragte, indem eine jähe Blutwelle seine noch knabenhaften Züge überflutete, »dem ich eine sehr wichtige Botschaft zu überbringen habe.«

Diese Erklärung machte mich freilich auch nicht viel klüger; da ich aber aus meines Begleiters Wesen schloß, daß fernere Fragen ihm lästig sein würden, schwieg ich, während Duroc fortfuhr, jeden Bauern, auf den er stieß, nach dem Baron Straubenthal zu fragen.

Ich meinesteils, als Offizier der leichten Reiterei, widmete meine ganze Aufmerksamkeit der Gegend: ich suchte einen Ueberblick über das Terrain zu gewinnen, beobachtete den Lauf der Flüsse und stellte Vermutungen über etwaige Furten an. Mit jedem Schritt entfernten wir uns mehr von dem Lager der unserigen, nur im fernen Süden noch verrieten leichte, graue Rauchwölkchen das Quartier einiger unserer Vorposten. Aber nach Norden hin befand sich nichts zwischen uns und dem russischen Winterquartier – ja, zweimal meinten wir am Horizont das Blitzen von Stahl zu sehen und gingen wohl nicht sehr irre, wenn wir dabei an die Lanzen plündernder Kosaken dachten.

Die Sonne vergoldete eben mit ihren letzten Strahlen das weite Schneefeld, als wir eine kleine Anhöhe hinabritten und zu unserer Rechten ein kleines Dorf, zur Linken aber ein hohes, düsteres Schloß erblickten, das aus dem Tannenwalde unheimlich emporragte.

Duroc schaute sich sofort um. In geringer Entfernung von uns ging ein Bauer seines Weges, ein Bursche mit mürrischem Gesicht und wirrem Haar, in einen Schafpelz gehüllt.

»Heda!« rief ihn mein Begleiter an, »wie heißt das Dorf?«

»Arensdorf,« erwiderte der Gefragte auf Deutsch in seinem barbarischen Dialekt.

»Dann bin ich also für heute am Ziel,« bemerkte mein junger Gefährte und wendete sich dann wieder dem Bauern zu mit seiner ewigen Frage:

»Könnt Ihr mir wohl sagen, wo der Baron Straubenthal wohnt?«

»Ei, das ist ja der Besitzer von der Schreckensburg dort drüben,« antwortete der Mann und deutete nach den dunklen Türmen im Tannenwald.

Bei dieser Kunde entfuhr Durocs Lippen ein Laut, wie ihn der Jäger ausstößt, der das Wild vor sich auftauchen sieht. Der Junge schien plötzlich ganz von Sinnen zu sein – seine Augen rollten, sein Gesicht wurde leichenblaß, und ein Zug des Grimmes verzerrte seine Züge so stark, daß der Bauer erschrocken zurückwich.

»Warum nannten Sie das Schloß die Schreckensburg?« fragte ich ihn.

»Ha, weil es in der ganzen Gegend so heißt. Wird schon seine Richtigkeit haben. Sollen wüste Dinge passiert sein in den vierzehn Jahren, die der schlechteste Mann in Polen dort oben gehaust hat.«

»Ist wohl selbst ein Pole?« warf ich ein.

»Oho, solches Gesindel zieht Polen nicht groß!«

»Ein Franzose?« forschte Duroc hastig.

»Man sagt so!«

»Rotes Haar?«

»Brandrot!«

» Vraiment!«, rief da plötzlich Kamerad Duroc und zitterte am ganzen Körper. »Die Hand der Vorsehung hat mich hierher geführt: wer sagt, daß es keine Gerechtigkeit mehr gibt? Kommen Sie schnell, Monsieur Gerard, damit ich meinen Leuten erst Quartier verschaffe und dann meine eigene Angelegenheit erledige.«

Er spornte sein Pferd an, und keine zehn Minuten später hielten wir vor dem Gasthof, wo seine Leute über Nacht bleiben sollten.

Das alles ging aber mich ja eigentlich nichts an, und ich machte mir keine besonderen Gedanken darüber. Nach Rossel war es zwar noch ein gut Stück Weges, aber ich nahm mir vor, heute noch einige Meilen zu reiten: vielleicht führte mich der Zufall an irgend eine Hütte oder Scheune, wo ich mit Rataplan Schutz finden konnte. Ich stürzte also ein Glas Wein hinunter und war eben wieder aufgestiegen, als Duroc atemlos herbeieilte und seine Hand auf mein Knie legte.

»Monsieur Gerard,« keuchte er, »oh, verlassen Sie mich jetzt nicht!«

Verwundert blickte ich auf das ängstlich zu mir emporgerichtete Gesicht und entgegnete: »Lieber Kamerad, ich verstehe Sie nicht. Wollen Sie mir nicht lieber sagen, womit ich Ihnen dienen kann?«

»Oh, Monsieur Gerard,« rief er eifrig, »nach allem, was man sich von Ihnen erzählt, sind Sie gerade der Mann, den ich heute nacht an meiner Seite haben möchte!«

»Sie vergessen wohl, daß ich zu meinem Regiment reite!«

»Heute können Sie Rossel doch nicht mehr erreichen: ich beschwöre Sie, bleiben Sie und helfen Sie mir, meine eigene und meiner Familie Ehre retten! Freilich muß ich Ihnen gestehen, daß Ihrer Person dabei Gefahr drohen kann.«

Diese letzte, schlau hingeworfene Bemerkung gab bei mir den Ausschlag. Natürlich sprang ich eiligst von Rataplans Rücken herab und ließ ihn durch den Knecht in den Stall führen.

»Kommen Sie in das Wirtshaus herein,« sagte ich zu Duroc, »und lassen Sie mich genau wissen, was Sie vorhaben.«

Wir betraten eines der Gastzimmer und riegelten die Türe hinter uns zu, um ungestört zu sein. Da stand er nun vor mir, der Jüngling mit der schöngewachsenen Gestalt, und das Licht der Lampe fiel auf sein ernstes Gesicht und auf die silbergraue Uniform, die ihm vortrefflich saß. Und wenn ich auch nicht sagen kann, daß er sich ganz so stramm hielt, wie ich in seinen jungen Jahren getan hatte, so lag doch in seiner ganzen Person etwas, was mich Wohlgefallen an ihm finden ließ.

»Ich kann Ihnen alles in wenig Worten erklären,« hob er an, »und wenn ich bisher darüber geschwiegen, so geschah es nur, weil die Sache so schmerzlich für mich ist, daß es mir schwer fällt, davon zu reden. Hören Sie denn:

»Mein Vater war der wohlbekannte Bankier Christophe Duroc, der den Septembermorden zum Opfer fiel. Wie Sie wissen, erstürmte der Pöbel die Gefängnisse, ließ die Gefangenen vor drei sogenannte »Richter« stellen und riß sie in Stücke, als sie hinweggeführt wurden. Nun hatte mein Vater viele Fürsprecher, weil er Zeit seines Lebens ein Wohltäter der Armen gewesen war; überdies war er schwer krank und mußte auf einem Teppich in den Gerichtssaal gebracht werden. So kam es, daß zwei der »Richter« zu seinen Gunsten sprachen: aber der dritte, ein junger Jakobiner von gemeiner Gesinnung und ungeschlachtem Körper, zerrte ihn mit seinen eigenen Händen von der Tragbahre herunter, stieß ihn wiederholt mit seinen schweren Stiefeln und schleuderte ihn zur Türe hinaus, wo er in wenig Minuten unter Umständen, die ich nicht wiedergeben kann, von dem Volke zu Tode mißhandelt wurde. Das war Mord, wie Sie selbst sagen müssen, Mord, sogar nach ihren selbstgeschaffenen Gesetzen – denn zwei von ihren Richtern hatten für meinen Vater gesprochen.

»Als nun die Tage der Ordnung wiederkamen, stellten meine Brüder Nachforschungen nach jenem Schurken an. Obwohl ich damals noch ein Kind war, steht mir die Sache doch lebhaft vor Augen, wurde sie doch im Familienkreise oft besprochen. Der Bursche, einer der wütendsten Jakobiner, führte zur Zeit des Mordes den Namen Carabin. Einige Monate später aber befreite er eine Dame, die Baronin Straubenthal, aus den Händen seiner Parteigenossen, nachdem er ihr das Versprechen abgenommen, die Seine werden zu wollen. Er floh heimlich aus Frankreich, nahm ihren Namen und Titel an und setzte sich in den Besitz ihres Vermögens und ihrer liegenden Güter. Seitdem war er für uns verschollen. Hätte die Revolution uns nicht all unser Hab und Gut geraubt, so würde es uns ohne Zweifel leicht gelungen sein, den Schurken ausfindig zu machen, da wir Kenntnis von seinem angenommenen Namen hatten. So aber waren uns die Hände gebunden, und später, als das Kaiserreich kam, wuchsen die Schwierigkeiten, denn, wie Sie wissen, war es der Wunsch des Kaisers, daß alle vergangene Unbill mit dem Schleier des Vergessens bedeckt werden möchte. Wir aber vergaßen unsern unglücklichen Vater nicht und schmiedeten im Verborgenen Rachepläne.

»Mein Bruder trat in die Armee und begleitete sie auf ihrem Siegeszuge durch das ganze südliche Europa. In der Schlacht bei Jena ereilte ihn der Tod und machte seinen Nachforschungen nach dem Baron Straubenthal ein Ende. Nun setzte ich sein Werk fort, und mir ist das Glück hold; denn kaum bin ich vierzehn Tage im Felde, so finde ich in dem ersten polnischen Dorfe, das ich betrete, den so lange Gesuchten. Und muß ich's nicht als ein gutes Omen betrachten, daß ich mich gerade in Gesellschaft des Mannes befinde, dessen Namen man stets nur in Verbindung mit edlen und heldenhaften Taten hört?«

Das war alles ganz gut und schön, und ich hatte der Erzählung mit großem Interesse gelauscht, es war mir aber im mindesten noch nicht klar geworden, was ich nun eigentlich bei der Sache sollte.

»Was kann ich für Sie tun?« frug ich deshalb.

»Mitkommen!«

»Auf die Schreckensburg?«

»Ja.«

»Wann?«

»Sofort!«

»Aber was haben Sie vor?«

»Was ich tun werde, ist mir schon längst klar; aber doch wird es mir eine Befriedigung sein, Sie bei mir zu haben.«

Nun muß selbst mein ärgster Feind zugeben, daß ich nie ein gutes Abenteuer ausgeschlagen habe und außerdem fühlte ich lebhaft für den Kameraden. Ich ergriff deshalb seine Hand und sagte: »Der morgende Tag muß mich in Rossel sehen, aber heut' stehe ich Ihnen zur Verfügung.«

So ließen wir denn unsere Soldaten in ihren behaglichen Quartieren zurück und machten uns zu Fuß auf den Weg, da das Schloß nur gegen eine Viertelmeile entfernt war. Ein Reitersmann, der mit hochgeschnalltem Säbel zu Fuß geht und die Füße einwärts setzen muß, um sich nicht in seinen Sporen zu verfangen, gewährt freilich meiner Ansicht nach den drolligsten Anblick, den man sich nur denken kann – aber wir beide waren in einem Alter, wo man sogar so etwas wagen kann, und ich wette, daß kein Weib wenigstens die Erscheinung der beiden Husaren in ihrer hellblauen und silbergrauen Uniform an jenem Abend bemängelt haben würde. Wir trugen unsere Säbel; aber ich hatte außerdem noch ein Pistol zu mir gesteckt, denn immerhin konnte es ja diese Nacht scharf hergehen.

Der Pfad nach dem Schlosse führte durch einen stockdunkeln Tannenwald und war so verwachsen, daß nur hier und da ein Stück des gestirnten Himmels sichtbar wurde. Jetzt traten wir heraus und erblickten unmittelbar vor uns das Schloß. Es war ein augenscheinlich sehr alter, ungeheuer großer und seltsam gestalteter Bau. Jede seiner Ecken war mit Türmchen geziert, an der uns zunächst liegenden Seite aber befand sich ein großer, viereckiger Turm. Ringsum kein Laut: alles war in tiefes Dunkel gehüllt, und nur aus einem einzigen Fenster schimmerte ein Lichtstrahl. Fürwahr, das riesige, düstere Gebäude, das seinen Namen mit Recht zu tragen schien, machte einen unheimlichen Eindruck auf mich: aber mein Kamerad eilte ungestüm voran, und ich folgte ihm auf dem ungepflegten Pfade, der nach der Eingangspforte führte.

Da sich an der großen, eisenbeschlagenen Türe weder Klopfer noch Schelle befand, blieb uns weiter nichts übrig, als mit unsern Säbeln daran zu pochen. Nach geraumer Zeit öffnete ein hagerer Mann mit einer Habichtsnase und einem ungeheuren Bart, der das ganze Gesicht bedeckte, das Tor. Mit der einen Hand hielt er die Laterne hoch empor, an der andern führte er eine riesige, schwarze Dogge an der Kette. Beim Anblick unserer Uniformen und unserer Mienen stutzte der Alte, und die drohende Haltung, womit er uns zuerst entgegengetreten, wich vorsichtiger Zurückhaltung.

»Der Baron Straubenthal empfängt keinen Besuch zu so später Stunde,« sagte er in reinstem Französisch.

»Meldet nur Eurem Herrn, daß ich Hunderte von Meilen hergekommen bin, um ihn zu sehen, und daß ich mich nicht abweisen lasse,« entgegnete mein Gefährte, und ich muß gestehen, daß ich selbst diese Worte nicht mit besserer Stimme und Haltung hätte sagen können.

Der Mann schielte uns verstohlen an und zupfte verlegen an seinem schwarzen Bart.

»Wollen Sie nicht lieber morgen wiederkommen, meine Herren,« sagte er dann. »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, der Baron hat um diese Zeit gewöhnlich einige Glas Wein getrunken und ist dann schwerlich ein angenehmer Gesellschafter.«

Dabei hatte er die Türe hinter sich ein wenig geöffnet, und ich erblickte beim Schein der Lampe drei andere wüst aussehende Kerle, von denen der eine ebenfalls einen riesigen Hund hielt. Duroc mußte es ebenfalls bemerkt haben: aber er kehrte sich nicht daran, sondern schob den Mann zur Seite und sagte herrisch:

»Genug des Geschwätzes; ich will zu Eurem Herrn!«

Die selbstbewußte Haltung des jungen Offiziers flößte offenbar den Burschen Respekt ein, denn sie gaben den Weg frei. Dem einen aber klopfte Duroc auf die Schulter und befahl ihm, als ob er zu seinem eigenen Diener spräche:

»Führt mich zu dem Baron!«

Der Mann zuckte jedoch die Schultern und brummte etwas auf Polnisch. Wie es schien, war nur der, welcher uns zuerst geöffnet hatte, des Französischen mächtig, und dieser trat auch jetzt auf uns zu und sagte mit sonderbarem Lächeln:

»Nun, so sollen Sie Ihren Willen haben, Sie sollen den Baron zu sehen bekommen. Aber Sie werden an mich denken und wünschen, meinen Rat befolgt zu haben.«

Damit schritt er uns durch die lange, hohe Halle voran. Der Boden war mit Steinfliesen belegt, hier und da lagen Felle ausgebreitet, und Köpfe von wilden Tieren bedeckten die Wände. Am äußersten Ende des Ganges öffnete unser Führer eine Türe, und wir traten ein.

Das kleine Gemach war dürftig ausgestattet und zeigte überall deutlich Spuren der Vernachlässigung und des Verfalls. Die Wände waren mit verblichener Tapete bekleidet, die sich an manchen Stellen losgelöst hatte, so daß die Mauer dahinter sichtbar wurde. Uns gegenüber bemerkten wir eine zweite, mit einem Vorhang verhüllte Türe, und vor uns stand ein viereckiger Tisch, auf dem noch das benützte Geschirr, mehrere Flaschen, sowie die unappetitlichen Ueberreste eines Mahles zu sehen waren. An der Spitze des Tisches aber saß, uns zugewendet, ein riesiger Mann mit großem, grobem Gesicht, verwirrtem, strohgelbem Haar und einem ungepflegten, gleichfarbigen Bart, der große Aehnlichkeit mit der Mähne eines Pferdes zeigte. Es sind mir seltsame Gesichter genug in meinem Leben vorgekommen; aber ein so wüstes, um nicht zu sagen tierisches, sah ich nie, als dies mit den kleinen, boshaften, blauen Augen, den fahlen, schwammigen Backen und der dicken Unterlippe, die über den Bart herunterfiel. Sein Kopf schwankte unsicher hin und her und verriet mit den trüben, stierenden Augen, daß der Mann vor uns betrunken war. Trotzdem war ihm noch Verstand genug geblieben, um die Bedeutung unserer Uniform zu begreifen und er lallte mit schwerer Zunge:

»Nun, meine lieben Jungen, was gibt's denn Neues in Frankreich? Ihr habt euch doch alle von dem kleinen Aristokraten im grauen Rock und dreieckigen Hut unterkriegen lassen? Und wie ich höre, gibt's keinen rechtschaffenen ›Bürger‹ mehr drüben, nichts als › Monsieur‹ und › Madame‹? Meiner Treu! Da werden wohl noch ein paar Köpfe in den Sand rollen müssen.«

Duroc schritt schweigend vorwärts und trat an des Wütrichs Seite.

»Jean Carabin!«

Der Baron fuhr zusammen und seine Augen öffneten sich weit.

»Jean Carabin!« wiederholte Duroc.

Da setzte er sich aufrecht und umklammerte die Lehne seines Armstuhles.

»Jean Carabin, Euch habe ich lange gesucht!«

»Und wenn ich je diesen Namen getragen habe, was kümmert das Euch, junger Mann? Ihr müßt damals noch ein kleines Kind gewesen sein.«

»Ich heiße Duroc.«

»Doch nicht der Sohn von –«

»Der Sohn des Mannes, den Ihr ermordet habt!«

Der Baron versuchte zu lachen, obgleich Entsetzen aus seinen Augen sprach.

»Laßt uns die Vergangenheit begraben!« rief er aus. »Es ging in jenen Tagen allen ans Leben, Aristokraten und Volk. Euer Vater kam um, weil er Girondist war, nun, und den meisten meiner Kameraden ging's ebenso, weil sie zum Berge gehörten. Das ist Kriegsglück ... Kommt, laßt uns alles vergessen und Brüder sein!« Bei diesen Worten streckte er eine rote, zitternde Hand aus.

»Laßt das,« erwiderte der junge Mann. »Wenn ich Euch jetzt in dem Stuhle da mit meinem Säbel durchstoßen würde, so wäre das nur recht und billig. Aber Ihr seid ein Franzose, ja, Ihr habt einst unter derselben Fahne gedient, wie ich selbst: darum auf! Verteidigt Euch!«

»Sachte, sachte,« rief der Baron, »so junges Blut, wie Ihr seid, hat gut reden!«

Da riß Duroc die Geduld. Blitzschnell sauste seine geöffnete Hand durch die Luft und landete, deutlich hörbar, inmitten des groben, gelben Bartes. Ich bemerkte eine blutige Lippe und zwei boshaft funkelnde Augen.

»Den Schlag sollt Ihr mir mit dem Leben bezahlen!«

»So ist's recht!« warf Duroc ein.

»Meinen Säbel! Ihr sollt nicht lange auf mich zu warten brauchen!« rief der andere drohend und eilte aus dem Zimmer.

In demselben Augenblick sahen wir, wie sich der Vorhang, der die zweite Türe verhüllte, leise bewegte: ein schönes, junges Weib trat ein und schritt eilig und unhörbar auf uns zu. Sie beugte sich über die Hand meines Gefährten und küßte sie wiederholt, bevor es ihm gelang, sie ihm zu entziehen.

»Ich habe alles gesehen,« rief sie aus, »o, mein Herr, wie brav haben Sie gehandelt!«

»Aber, Madame, womit habe ich verdient, daß Sie mir die Hand küssen?« frug Duroc nicht ohne Verlegenheit.

»Weil Sie mit jener Hand seinen falschen, bösen Mund geschlagen haben, und weil dieselbe Hand vielleicht meine arme Mutter rächen wird, der er das Herz gebrochen hat. Er ist mein Stiefvater. Oh, wie ich ihn hasse und fürchte! St! Er kommt zurück!«

Und schnell, wie sie gekommen, war sie wieder verschwunden. Einen Augenblick später kehrte der Baron, den blanken Säbel in der Hand, zurück, und der Mann, der uns eingelassen, folgte ihm.

»Das ist mein Sekretär,« sagte er mit einem Blicke auf seinen Begleiter, »er wird mein Sekundant bei der Sache sein. Aber ich finde, hier haben wir zu wenig Spielraum; ich bitte Euch, folgt mir in ein geräumigeres Gemach!«

Der Mann hatte offenbar recht, denn der große Tisch füllte das ohnehin schon kleine Zimmer fast gänzlich aus. So folgten wir ihm denn hinaus in die spärlich beleuchtete Halle. Am anderen Ende derselben fiel heller Lichtschein durch eine halbgeöffnete Türe.

»Hier wird es besser gehen!«

Wir sahen vor uns ein großes, leeres Gemach, an dessen Wänden Fässer und Kisten aufgestapelt waren; in der Ecke aber stand eine plumpe Lampe auf einem Brette. Der Fußboden war durchaus fest und eben und wie geschaffen zu einem Duell. Duroc zog seinen Säbel und ging hinein, der Baron aber trat, sich verbeugend, zurück und lud mich mit einer Handbewegung ein, meinem Kameraden zu folgen. Kaum hatte mein Fuß die Schwelle überschritten, so fiel die schwere Türe krachend hinter uns zu, und der Schlüssel wurde im Schlosse umgedreht. Wir waren gefangen.

Wir standen wie erstarrt. Eine so unerhörte Schlechtigkeit war uns noch nicht vorgekommen. Schließlich mußten wir aber doch selbst eingestehen, daß wir sehr dumm gewesen waren, einem Manne, wie dem Baron, auch nur einen Augenblick zu trauen, und nun ergriff uns blinde Wut über seinen Schurkenstreich und unsere eigene Torheit. Wir stürzten nach der Türe und bearbeiteten sie nach Kräften mit unseren Fäusten und schweren Reiterstiefeln. Die kräftigsten Schimpfnamen, die uns nur einfallen wollten, begleiteten unsere – ach – so ohnmächtigen Bemühungen. Denn die Türe, die aus dicken, durch eiserne Bänder zusammengehaltenen Bohlen bestand, war ungeheuer stark – eine Türe, wie man sie in den Burgen des Mittelalters gewöhnlich findet – man hätte ebensogut versuchen können, unsere alte Garde zu sprengen. Und unser Rufen und Schreien schien gerade so erfolglos zu sein, wie jene Stöße, denn nur das Echo des hohen Gewölbes antwortete uns. Aber der Soldat, der bereits so manchen Feldzug mitgemacht, weiß sich ins Unvermeidliche zu fügen, und ich als solcher erlangte daher meinen Gleichmut am ersten wieder und bewog Duroc, den Raum, der unser Gefängnis geworden war, mit mir zu untersuchen.

Er besaß nur ein einziges Fenster ohne Scheiben, und das war so schmal, daß man den Kopf nicht hindurch stecken konnte. Da es sich ziemlich hoch oben befand, stieg Duroc auf ein Faß und spähte hinaus.

»Was sehen Sie?« frug ich ihn.

»Tannenwald und einen verschneiten Weg darin,« kam die Antwort zurück. »Ah!« rief er plötzlich überrascht.

Ich sprang neben ihn. Da gewahrte ich, wie auf dem von ihm bezeichneten Pfade ein Mann, sein Pferd peitschend, im tollsten Ritte dahinjagte, wie er kleiner und kleiner wurde und endlich im dunklen Walde verschwand.

»Was soll das bedeuten?« frug Duroc.

»Nichts Gutes für uns. Vermutlich holen die Schufte noch andere herbei, um uns die Hälse abzuschneiden. Kommt, laßt uns versuchen, aus der Falle zu entwischen, ehe die Katze kommt.«

Es war ein großes Glück, daß wir die schöne Lampe hatten, die, frisch mit Oel gefüllt, gut bis zum Morgen brennen konnte. Mit ihrer Hilfe machten wir uns sogleich daran, die Kisten und Fässer ringsum zu untersuchen. An manchen Stellen stand nur eine Reihe davon, während sie in der einen Ecke bis zur Decke hinauf aufgeschichtet waren. Wie es schien, befanden wir uns im Vorratsgewölbe des Schlosses, denn wir entdeckten eine große Anzahl Käse, allerhand trockene Gemüse, Kisten voll gedörrten Obstes und eine Reihe Weinfässer. In einem der letztern steckte ein Hahn, und da ich tagsüber nur wenig genossen hatte, ließ ich mir's vorläufig bei einem Becher Rotwein und einem kleinen Imbiß wohl sein. Duroc freilich war nicht dazu zu bewegen: er schritt, von Zorn und Ingrimm erfüllt, ungeduldig auf und ab und rief von Zeit zu Zeit: »Der Schurke soll mir nicht entwischen! Ich will ihn doch noch kriegen!«

Das war wohl alles sehr schön und gut, aber ich konnte doch nicht umhin, so meine eigenen Betrachtungen über den Fall anzustellen, während ich auf einem großen, runden Käse saß und vergnügt schmauste. Das junge Bürschchen da dachte wohl etwas zu viel an seine eigenen Familienangelegenheiten und vergaß darüber ganz, in welch böse Lage er mich versetzt hatte. Sein Vater war ja immerhin nun seit 14 Jahren tot, und diesen Umstand konnte nichts ungeschehen machen – aber hier saß Etienne Gerard, der kühnste Leutnant in der ganzen grande armée und befand sich in der größten Gefahr, im Beginne seiner glänzenden Karriere auf hinterlistige Art niedergemetzelt zu werden, ohne daß sein Tod weder Frankreich noch Europa zum Ruhme gereichte.

Warum hatte ich mich auch in diesen tollkühnen Handel eingelassen, wo doch jetzt ein so schöner Krieg gegen eine Viertelmillion Russen in Aussicht stand!

»Das mag alles recht gut sein,« sagte ich deshalb endlich mitten in Durocs Drohungen hinein, »und meinetwegen können Sie mit dem Kerl tun, was Sie wollen, sobald Sie ihn erst erwischt haben. Mich dünkt indessen, daß es sich jetzt darum handelt, was er mit uns tun wird.«

»Was schert mich das!« rief der Jüngling. »Ich habe eine Pflicht gegen meinen Vater!«

»Was soll das eitle Geschwätz!« versetzte ich aufgebracht. »Ich habe auch eine Pflicht, und zwar gegen meine Mutter, und das ist die, heil aus diesem verwünschten Loche herauszukommen.«

Diese Bemerkung ernüchterte ihn sofort, und fast demütig entgegnete er:

»Verzeiht, Monsieur Gerard, daß ich zu viel an mich selbst gedacht habe; ich bitte Sie, geben Sie mir Ihren Rat, was ich tun soll.«

»Hm,« begann ich, »umsonst haben uns jene Halunken nicht mitten unter den Käsen eingesperrt: sie wollen uns den Garaus machen – so viel ist sicher. Sie mögen wohl mit Recht vermuten, daß niemand von unserer Anwesenheit hier Kenntnis hat, und daß man hier auch nicht nachforschen wird, wenn wir vermißt werden. Ihre Soldaten wissen doch nicht, wohin Sie sich begeben haben?«

»Ich habe ihnen nichts gesagt.«

»Nun – aushungern können sie uns hier nicht, also müssen sie zu uns kommen, wenn sie die Absicht haben, uns zu töten. Hinter einer Barrikade von Fässern könnten wir uns aber recht gut gegen die fünf Schurken verteidigen, und deshalb haben sie wahrscheinlich jenen Boten ausgeschickt, um Verstärkung herbeizuschaffen.«

»Folglich müssen wir ausbrechen, ehe er zurückkommt.«

»Ganz recht; wenn so etwas überhaupt möglich ist.«

»Könnten wir nicht die Tür niederbrennen?« rief er eifrig.

»Nichts leichter als das, dort in der Ecke stehen mehrere Fässer mit Oel. Ich fürchte nur, wir werden dabei selbst geröstet werden, wie zwei Austerpasteten.«

Indem wir noch so hin und her überlegten, vernahmen wir plötzlich ein leises Geräusch am Fenster, und als wir hinblickten, sahen wir, wie sich ein Schatten zwischen uns und die Sterne schob, und wie eine kleine, weiße Hand sich in das Gewölbe streckte. Sie hielt etwas Glänzendes zwischen den Fingern.

»Schnell, schnell!« rief eine weiche Frauenstimme.

Im Nu standen wir auf dem Faß.

»Ihr Leben steht auf dem Spiel! Sie lassen die Kosaken holen! Ach, wehe mir, wehe mir!«

Im nämlichen Augenblicke näherten sich draußen eilige Schritte: ein heiserer Fluch, ein Schlag wurde hörbar – und wieder funkelten die Sterne durch das Fenster. Von Schreck gelähmt, standen wir auf unsren Fässern und lauschten. Nach einer Weile folgte ein unterdrückter Schrei, und eine schwere Tür fiel irgendwo krachend ins Schloß.

»Die Schurken haben sie entdeckt und werden sie töten!« rief ich entsetzt.

Duroc sprang wie ein Besessener herab und hämmerte mit bloßen Händen so wütend an der schweren Tür, daß jeder Schlag Blutspuren hinterließ.

»Hier, hier ist der Schlüssel!« rief ich plötzlich aus und hob einen solchen vom Boden auf. »Das Mädchen muß ihn in dem Augenblicke hereingeworfen haben, wo es entdeckt worden ist.«

Mit einem Freudenschrei riß ihn mir mein Gefährte aus der Hand. Aber gleich darauf warf er ihn enttäuscht zu Boden, denn es stellte sich heraus, daß er viel zu klein für das ungeheure Schloß war. Entmutigt sank er auf eine der Kisten nieder, stützte den Kopf in die Hände und schluchzte in seiner Verzweiflung.

Auch ich war außer mir, wenn ich an das Weib dachte, dem wir nicht beispringen konnten, aber ich raffte mich zusammen und überlegte.

Der Schlüssel, den das Mädchen uns mit Gefahr seines Lebens zugeworfen hatte, mußte doch wohl einen Zweck haben, und ebenso ersichtlich war es, daß es uns nicht den Schlüssel unserer Kerkertüre zuwerfen konnte, da diesen ihr Stiefvater gewiß in der eigenen Tasche verwahrte. Es wäre doch schlimm, wenn unser Scharfsinn nicht imstande wäre, dieses Rätsel zu lösen.

So begann ich denn, alle Gegenstände von der Mauer abzurücken, und Duroc, von meinem Mute angesteckt, half getreulich mit. Wir hatten saure Arbeit, denn die Fässer waren schwer: aber wir ruhten nicht eher, bis Käse, Fässer, Kisten in wüstem Durcheinander sich in der Mitte des Raumes häuften. Jetzt lag nur noch ein ungeheures Faß Branntwein in der Ecke. Wir machten uns beide daran, rollten es hinweg und siehe – wir standen vor einer schmalen, niedrigen, hölzernen Türe. In diese paßte der Schlüssel, und mit einem Jubelruf öffneten wir sie. Die Lampe in der Hand, zwängte ich mich zuerst hinein, mein Kamerad folgte mir.

Wir befanden uns im Pulvermagazin der Burg, einem ausgemauerten Keller mit Pulverfässern an den Wänden. In der Mitte stand ein einzelnes, zerschlagenes Faß; das Pulver war herausgelaufen und lag nun in einem großen, schwarzen Haufen am Boden. Der Raum hatte zwar noch einen zweiten Ausgang; aber dieser war verschlossen, ein Umstand, der Duroc von neuem alle Fassung raubte.

»Was nun?« rief er in heller Verzweiflung. »Meiner Treu, jetzt sind wir wieder auf dem alten Fleck, denn wir haben keinen Schlüssel.«

»O doch,« erwiderte ich zuversichtlich, »haben wir nicht mehr als ein Dutzend?«

»Wo denn?«

Ich deutete auf die Fässer.

»Sie wollen die Türe sprengen?«

»Nichts anderes.«

»Aber dann würde ja der ganze Keller in die Luft fliegen.«

Da hatte der gute Junge wohl recht. Diesmal war er klüger wie ich. Aber ich wußte Rat.

»Wir sprengen die Türe des Vorratsgewölbes,« rief ich triumphierend, rannte zurück und holte einen Blechkasten, in dem sich noch einige Lichter befanden. Er war groß genug, um ein Pfund Pulver zu fassen, und Duroc füllte ihn damit an, während ich ein Licht zurechtschnitt. In kurzer Zeit hatten wir die schönste Petarde fertig, die man sich wünschen kann. Wir stellten sie auf einige übereinandergeschichtete Käse, so daß sie gegen die Türe lehnte, zündeten das Licht an und liefen nun eiligst in den Pulverraum zurück, die Türe zum Speisegewölbe hinter uns schließend.

Glauben Sie mir, liebe Freunde, es war kein Spaß, mitten unter den Pulverfässern zu sitzen! Lag nicht die Gefahr sehr nahe, daß wir bei der zu erwartenden Explosion selbst mit zu grunde gingen, daß wir im nächsten Moment in Stücke zerrissen turmhoch in die Luft flogen? Wie unendlich lange Zeit das halbe Zoll Licht doch brauchte, um herunterzubrennen! Schon machte ich mich mit dem Gedanken vertraut, daß das Stümpfchen überhaupt wieder erloschen sei, da ertönte ein Knall, als wenn eine Bombe platzte: unsere Türe zerbarst, und eine Menge Aepfel, Rüben, Käsestücke, Holzsplitter regneten über uns her. Wir stürzten hinaus und bahnten uns durch Qualm und allerhand Trümmer den Weg bis zum Ausgang. Ja, die Petarde hatte ihre Pflicht getan. Wo erst die dunkle Türe gewesen war, bemerkten wir jetzt eine helle, viereckige Oeffnung.

Aber wir hatten noch mehr gewonnen, weit mehr, als wir zu hoffen gewagt. Denn es stellte sich heraus, daß unser Fleiß nicht nur das Gefängnis geöffnet, sondern auch die Gefangenenwärter vernichtet hatte. Mein erster Blick fiel auf einen Mann, der, eine Fleischeraxt in der Hand, mit klaffender Stirnwunde am Boden lag. Ihm zur Seite wälzte sich eine riesige Dogge mit zerschlagenen Beinen. Zu gleicher Zeit hörte ich einen lauten Schrei und sah, wie Duroc von einem zweiten Hunde am Halse gepackt an der Türe lehnte. Zwar drängte er ihn mit der einen Hand von sich und stich ihm mit der anderen den Säbel wiederholt durch den Körper; aber ich mußte dem Tier erst mit der Pistole den Garaus machen, ehe es seinen Hals losließ und die wilden, blutunterlaufenen Augen im Tode erstarrten.

Doch wir durften uns noch lange keine Ruhe gönnen. Erscholl von dort nicht der laute Schmerzensschrei einer Frau? – ein so entsetzlicher, angsterfüllter Schrei, daß wir fürchten mußten, zu spät zu kommen. Allerdings befanden sich noch zwei andere Männer in der Halle; die aber zogen sich feige zurück vor unseren gezückten Säbeln und den wilden Blicken. Duroc war der Wütendste von uns beiden. Obgleich das Blut von seinem Halse herunterrann und das graue Pelzwerk seines Mantels ganz rot färbte, eilte er mir doch so ungestüm voran, daß ich nur mit Mühe über seine Schultern hinweg einen Blick von der Szene erhaschen konnte, die sich nun in dem Zimmer zutrug, wo wir den Herrn der Schreckensburg zuerst erblickt hatten.

Der Barbar stand, den geschwungenen Säbel in der Hand, mit wütender Gebärde und emporgesträubten Haaren in der Mitte des Zimmers, und hinter ihm kauerte unsere Retterin furchtsam in einem Stuhle. Ueber ihren weißen Arm hinweg zog sich ein großer, roter Streifen, und die Hundepeitsche, die vor ihr auf der Erde lag, bekundete, daß wir doch zu spät gekommen waren, um die rohe Mißhandlung zu hindern. Sobald der Schurke uns gewahrte, stieß er ein Wutgeheul aus wie ein wildes Tier, hieb und stach mit seinem Säbel um sich und stieß die gräßlichsten Verwünschungen aus.

Da, wie gesagt, das Zimmer sehr klein war, füllte mein junger Freund den Raum zwischen Tisch und Mauer vollständig aus, und mir blieb nichts anderes übrig als zuzusehen. Der Jüngling war behend und wütend wie eine wilde Katze und verstand sich vortrefflich auf sein Handwerk. Sein Gegner aber schien auch ein erfahrener Fechter und war zudem mit seiner gewaltigen Größe und Stärke sehr im Vorteil, und einer seiner gewaltigen Hiebe hätte Duroc gewiß das Leben gekostet, wäre ich nicht blitzschnell dazwischen gefahren, um ihn mit dem Säbel wenigstens teilweis aufzufangen.

»Verzeihen Sie,« sagte ich zu dem Manne, »jetzt haben Sie es mit Etienne Gerard zu tun.«

Er trat einige Schritte zurück und lehnte sich atemlos gegen die Wand. Sein müßiges, üppiges Leben begann sich zu rächen.

»Was habe ich Euch getan, junger Mann?« keuchte er.

»O,« erwiderte ich gelassen, »ich möchte Ihnen doch gern danken, daß Sie mich in Ihr Vorratsgewölbe geführt haben, und außerdem genügt wohl ein Blick auf jene Dame dort!«

»Nun denn, so mögt Ihr Euren Willen haben!« schnarrte er und fiel mich an wie ein Tollhäusler. Eine Minute lang sah ich nichts als ein Paar funkelnde Augen und die glänzende Spitze eines Säbels, der nach rechts und links hieb und stets auf meine Brust und meinen Hals zielte.

Nie hätte ich es für möglich gehalten, daß die Zeit der Revolution so große Meister der Fechtkunst hervorgebracht hätte! Ja, ich glaube, in meinem ganzen Leben sind mir nicht ein halbes Dutzend Männer begegnet, die ihre Waffen besser zu führen verstanden als der Pseudobaron. Aber er wußte, daß ich ihm überlegen war, er sah seinen Tod durch meine Hand voraus – ich las es deutlich in seinem Auge. Allmählich wich die Röte der Erregung einer fahlen Blässe, und er atmete laut und schwer. Dennoch focht er weiter, selbst noch, nachdem er den Todesstoß empfangen hatte, und starb endlich, indem er immer noch um sich hieb und schlug und dazu schreckliche Flüche ausstieß. Ich, jetzt ein alter Mann, habe so viel blutige Schlachten erlebt, daß mein schwach gewordenes Gedächtnis kaum noch ihre Namen zu nennen vermag; aber die Erinnerung an jenen gelben Bart mit dem blutigroten Fleck in der Mitte, aus dem ich die Spitze meines Säbels gezogen, erfüllt mich noch heute mit Grausen. Kaum war der ungeheure Körper des Mannes zu Boden gefallen, so sprang das junge Mädchen empor und schrie vor Freude laut auf. Ich muß gestehen, daß ihr Betragen mir sehr unweiblich vorkam und höchlich mißfiel; ja, nicht einmal der Gedanke an das bittere Leid, das sie ertragen, konnte sie in meinen Augen entschuldigen. Eben wollte ich sie mit scharfer Stimme zur Ruhe vermahnen, als ein seltsamer Geruch mir plötzlich den Atem benahm, und ein grelles, gelbes Licht die Figuren auf der verblichenen Tapete hell hervorhob.

»Duroc, Duroc!« schrie ich und zerrte ihn an der Schulter, »das Schloß brennt!«

Aber der Jüngling lag besinnungslos auf dem Boden. So stürzte ich denn in die Halle, um zu sehen, woher die Gefahr kam, und fand, daß unsere Explosion die Pfosten der Türe in Brand gesteckt hatte. Im Speisegewölbe brannten bereits einige der Kisten. Ich warf einen Blick in den Raum, und in dem Augenblicke erstarrte mir vor Schreck das Blut in den Adern. Dort die Pulverfässer und der Haufen Pulver auf der Erde! In wenigen Minuten, ja vielleicht schon in einigen Sekunden mußte die Flamme dahin gelangen! O, mes amis, ich werde nie aufhören, die schwarze Masse zu erblicken und die Feuerschlange, die darauf loszüngelte, bis diese meine Augen sich im Tode geschlossen haben.

Ich erinnere mich nur unklar dessen, was nun folgte. Wie im Traume stürzte ich in das Zimmer des Todes, ergriff Duroc an einer seiner schlaffen Hände und schleifte ihn durch die Halle, während das Mädchen mit mir Schritt hielt und seinen andern Arm festhielt. Hinaus ging es in fliegender Eile durch das Tor und den verschneiten Pfad hinab, bis wir den Saum des Tannenwaldes erreichten. In dem Augenblicke hörte ich einen furchtbaren Krach hinter mir und sah beim Umschauen eine ungeheure Feuergarbe gen Himmel sprühen. Eine Sekunde später vernahm ich einen zweiten viel lauteren Knall: die Tannen und die Sterne schienen einen tollen Wirbeltanz um mich aufzuführen, und ich fiel bewußtlos über den Körper meines Kameraden.

Wochen vergingen, ehe ich im Posthause zu Arensdorf das Bewußtsein wieder erlangte, und tagelang noch dauerte es, ehe man mir erzählen durfte, was eigentlich geschehen. Duroc, der schon tapfer seine Soldaten wieder drillte, kam eines Abends und erstattete mir Bericht. Ein schwerer Balken hatte mich getroffen und meinem Leben beinahe ein Ende bereitet. Die kleine Polin war meine Retterin gewesen. Eilends war sie nach Arensdorf gelaufen, hatte unsere Husaren geholt und war gerade im rechten Augenblick zurückgekommen, um uns von den Lanzen der Kosaken zu erretten, die jener schwarzhaarige Sekretär gegen uns zu Hilfe gerufen hatte. Ueber dieses tapfere Fräulein, das unser Leben zweimal gerettet hatte, war Duroc an jenem Abend merkwürdig zugeknöpft: aber als ich ihn zwei Jahre später nach der Schlacht bei Wagram in Paris wieder traf, brauchte er mich seiner Braut nicht erst vorzustellen, denn siehe da, ich kannte sie schon! War es nicht eine wunderbare Schicksalsfügung, daß er nun das Recht hatte, Namen und Titel des Mannes zu führen, der ihm und seiner Familie einst so schweres Leid zugefügt hatte!


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