F. M. Dostojewskij
Der Idiot
F. M. Dostojewskij

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V

Um die Wahrheit zu sagen, Warwara Ardalionowna hatte in dem Gespräch mit ihrem Bruder die Zuverlässigkeit ihrer Nachrichten über die Verlobung des Fürsten mit Aglaja Jepantschina ein wenig übertrieben. Vielleicht sah sie als scharfsichtige Frau das voraus, was in naher Zukunft geschehen mußte, vielleicht hatte sie sich auch darüber geärgert, daß der schöne Zukunftstraum (an den sie übrigens, um die Wahrheit zu sagen, selbst nicht geglaubt hatte) wie ein Rausch zerflattert war, und konnte sich nun, was ja nur menschlich ist, das Vergnügen nicht versagen, durch Übertreibung des Mißgeschicks noch mehr Gift in das Herz ihres Bruders zu gießen, den sie übrigens aufrichtig liebte und bemitleidete. Aber jedenfalls hatte sie unmöglich von ihren Freundinnen, den Fräulein Jepantschin, so bestimmte Nachrichten erhalten können; es lagen nur Andeutungen, halb ausgesprochene Worte, bedeutsames Stillschweigen und rätselhafte Redewendungen vor. Vielleicht hatten Aglajas Schwestern aber auch absichtlich ein Wörtchen zuviel gesagt, um selbst etwas von Warwara Ardalionowna in Erfahrung zu bringen; möglich war schließlich auch, daß auch sie sich das echt weibliche Vergnügen nicht hatten versagen wollen, ihre Freundin, und wenn es auch eine Freundin aus der Kinderzeit war, ein klein wenig zu necken, denn in dieser ganzen Zeit hatten sie doch wenigstens ein bißchen von den Absichten der Freundin merken müssen.

Andrerseits hatte sich vielleicht auch der Fürst geirrt, als er, in der Meinung, durchaus die Wahrheit zu sagen, Herrn Lebedew versicherte, er habe ihm nichts mitzuteilen und es habe sich mit ihm gar nichts Besonderes zugetragen. Tatsächlich war mit allen etwas sehr Seltsames vorgegangen: es hatte sich nichts zugetragen und gleichzeitig doch auch gewissermaßen sehr viel zugetragen. Letzteres hatte auch Warwara Ardalionowna mit ihrem zuverlässigen weiblichen Instinkt erraten.

Wie es aber zugegangen war, daß in der Familie Jepantschin alle einmütig auf ein und denselben Gedanken gekommen waren, daß sich nämlich mit Aglaja etwas Wichtiges ereignet habe und ihr Schicksal sich nun entscheide, dies in der richtigen Ordnung darzulegen, ist sehr schwer. Aber kaum war dieser Gedanke bei allen gleichzeitig aufgeblitzt, als sofort alle zusammen behaupteten, sie hätten das alles schon längst deutlich vorhergesehen; alles sei schon seit dem »armen Ritter«, ja schon früher klar gewesen, nur hätten sie damals an eine solche Abgeschmacktheit noch nicht glauben mögen. Das versicherten die Schwestern; natürlich hatte auch Lisaweta Prokofjewna früher als alle andern alles vorhergesehen und erkannt, und es hatte ihr schon längst »das Herz weh getan«; aber mochte das nun schon längst der Fall gewesen sein oder nicht, jedenfalls war ihr der Gedanke an den Fürsten jetzt sehr unbehaglich, hauptsächlich deswegen, weil dieser Gedanke sie ganz durcheinanderbrachte. Es trat ihr hier eine Frage entgegen, die unverzüglich entschieden werden mußte; aber nicht nur die Entscheidung war unmöglich, sondern die arme Lisaweta Prokofjewna war trotz aller Bemühungen nicht einmal imstande, die Frage mit völliger Klarheit zu formulieren. Die Sache war sehr schwierig: war der Fürst akzeptabel oder nicht? War diese ganze Geschichte gut oder nicht? Wenn sie nicht gut war (und das unterlag keinem Zweifel), inwiefern war sie dann nicht gut? Wenn sie aber vielleicht doch gut war (was ebenfalls im Bereich des Möglichen lag), inwiefern war sie dann wieder gut? Das Oberhaupt der Familie selbst, Iwan Fjodorowitsch, war selbstverständlich zuerst höchst erstaunt, gestand dann aber auf einmal, daß auch ihm »bei Gott, immer schon etwas in dieser Art vorgeschwebt habe«, er habe es nicht wahrhaben wollen, aber dann habe es ihm »plötzlich doch vorgeschwebt«. Er verstummte sofort unter dem drohenden Blick seiner Gattin; aber wenn er auch am Vormittag verstummt war, so sah er sich doch am Abend, als er mit seiner Gattin unter vier Augen war, wieder genötigt zu reden und brachte mit besonderer Kühnheit einige überraschende Gedanken zum Ausdruck: »Im Grunde, wie steht die Sache denn...?« (Hier schwieg er eine Weile.) »All das ist ja gewiß sehr sonderbar, vorausgesetzt, daß es wahr ist, und ich will nicht darüber streiten, aber...« (Er schwieg von neuem.) »Andrerseits, wenn man die Dinge mit offenen Augen ansieht, ist ja der Fürst wirklich ein prächtiger Bursche, und... und, und, na, schließlich kommt auch der Name in Betracht, unser Familienname, die Heirat wird sozusagen als Hebung dieses in den Augen der Welt niedrig stehenden Namens erscheinen, das heißt, von diesem Gesichtspunkt aus, das heißt, weil... natürlich die Welt; die Welt ist eben die Welt. Der Fürst ist doch auch nicht ohne Vermögen, wenn es auch nicht sehr bedeutend ist. Er hat auch... auch... auch...« (Hier schwieg er lange und verstummte endgültig.) Nachdem Lisaweta Prokofjewna diese Äußerungen ihres Gatten angehört hatte, durchbrach ihr Affekt alle Schranken.

Ihrer Meinung nach war alles, was vorgegangen war, ein unverzeihlicher, geradezu verbrecherischer Unsinn, ein dummes, abgeschmacktes Hirngespinst. »Erstens ist dieser Jammerfürst ein kranker Idiot, zweitens ein Dummkopf; er kennt weder die Welt, noch besitzt er eine Stellung in der Welt; wem soll man ihn präsentieren, wohin mit ihm? Er hat eine ganz unerlaubte demokratische Gesinnung und nicht den geringsten Dienstrang, und... und... was wird die alte Bjelokonskaja dazu sagen? Haben wir uns etwa einen solchen Mann für Aglaja gewünscht und in Aussicht genommen?« Das letzte Argument war selbstverständlich das wichtigste. Das Herz der Mutter zitterte bei diesem Gedanken und schwamm in Blut und Tränen, obwohl gleichzeitig im Innern dieses Herzens sich etwas regte und zu ihr sagte: ›In welcher Hinsicht ist eigentlich der Fürst kein solcher Schwiegersohn, wie ihr ihn braucht?‹ Und gerade diese Erwiderungen ihres eigenen Herzens waren es, die Lisaweta Prokofjewna am meisten zu schaffen machten.

Aglajas Schwestern gefiel der Gedanke an den Fürsten nicht übel; ja, dieser Gedanke schien ihnen nicht einmal besonders seltsam; kurz, es war nicht ausgeschlossen, daß sie plötzlich auf die Seite des Fürsten traten. Aber sie entschieden sich beide zu schweigen. Man hatte in der Familie ein für allemal die Beobachtung gemacht: je eigensinniger und hartnäckiger in einer die ganze Familie betreffenden Streitfrage Lisaweta Prokofjewnas Widerspruch und Widerstand war, um so mehr konnte dies allen als ein Anzeichen dafür dienen, daß sie vielleicht schon mit ihnen in dieser Streitfrage einverstanden war. Übrigens konnte Alexandra Iwanowna sich nicht völlig schweigsam verhalten. Die Mama, von der sie schon seit langer Zeit als Ratgeberin anerkannt war, rief sie jetzt alle Augenblicke zu sich und verlangte ihre Meinung zu hören; namentlich aber mußte Alexandra ihr mit ihrem Gedächtnis aushelfen. Die Mutter fragte zum Beispiel: wie das alles gekommen sei? Warum das niemand gesehen habe? Warum sie damals nichts gesagt hätten? Was damals dieser widerwärtige »arme Ritter« zu bedeuten gehabt habe? Warum sie, Lisaweta Prokofjewna, allein dazu verurteilt sei, für alle zu sorgen, auf alles aufzupassen und alles vorauszusehen, während alle übrigen nur Maulaffen feilhielten und so weiter und so weiter. Alexandra Iwanowna war anfangs vorsichtig und bemerkte nur, sie halte Papas Ansicht für ganz richtig, daß in den Augen der Welt die Wahl des Fürsten Myschkin zum Ehemann einer der Jepantschinschen Töchter möglicherweise als eine sehr vernünftige Handlung erscheinen werde. Allmählich redete sie sich in Eifer und fügte hinzu, der Fürst sei überhaupt kein »Dummkopf« und nie ein solcher gewesen, und was die Stellung in der Gesellschaft anlange, so könne noch kein Mensch wissen, was man in einigen Jahren bei uns in Rußland für die gesellschaftliche Stellung eines anständigen Menschen als notwendig erachten werde: die Bekleidung eines höheren Amtes, wie dies bisher erforderlich war, oder irgend etwas anderes. Auf all diese Bemerkungen antwortete die Mama sofort in aller Schärfe, Alexandra sei ein »Freigeist«, und all das komme von der »verdammten Frauenfrage« her. Eine halbe Stunde darauf begab sie sich in die Stadt und von dort nach dem »Kamennyj Ostrow«, um die alte Bjelokonskaja zu besuchen, die zufällig gerade um diese Zeit nach Petersburg gekommen war, aber bald wieder abreisen wollte. Sie war Aglajas Patin.

Die »alte« Bjelokonskaja hörte Lisaweta Prokofjewnas fieberhafte, verzweifelte Bekenntnisse an, ohne sich durch die Tränen der fassungslosen Familienmutter im geringsten rühren zu lassen, ja sie blickte diese sogar recht spöttisch an. Sie war eine schreckliche Despotin; sie konnte sich nicht dazu herbeilassen, ihre Freundinnen, mochte die Freundschaft auch noch so alt sein, als ihr gleichstehende Personen zu behandeln, und auf Lisaweta Prokofjewna blickte sie, gerade wie vor dreißig Jahren, immer noch wie auf ihre protégée herab und konnte sich mit der Schroffheit und Selbständigkeit ihres Charakters nicht aussöhnen. Sie bemerkte unter anderm, sie schienen da alle nach ihrer ständigen Gewohnheit reichlich voreilig gewesen zu sein und aus einer Mücke einen Elefanten gemacht zu haben; sie habe sich trotz genauesten Zuhörens nicht davon überzeugen können, daß bei ihnen tatsächlich etwas Ernsthaftes vorgegangen sei; ob es nicht das beste sei, noch ein Weilchen zu warten, bis sich etwas ereigne; der Fürst sei nach ihrer Meinung ein anständiger junger Mann, wenn er auch krank, sonderbar und recht unbedeutend sei. Das schlimmste sei, daß er sich ganz offen eine Geliebte halte. Lisaweta Prokofjewna merkte sehr wohl, daß die alte Bjelokonskaja auf sie ein bißchen böse war, weil der von ihr warm empfohlene Jewgenij Pawlowitsch bei der Familie keinen Erfolg gehabt hatte. Ihre Stimmung war bei der Rückkehr nach Pawlowsk noch gereizter als vor dieser Fahrt, und alle bekamen sofort gehörig etwas ab, vor allem, weil sie »ganz verrückt« geworden seien. In keiner Familie gehe es so zu wie bei ihnen. »Warum habt ihr es so eilig gehabt? Was ist denn vorgegangen? Soviel ich mich umsehe, ich kann nicht finden, daß wirklich etwas vorgegangen ist! Wartet erst einmal ab, bis sich etwas ereignet! Was Iwan Fjodorowitsch nicht alles vorschwebt! Aus einer Mücke soll man nicht gleich einen Elefanten machen.« Und so weiter.

Es lief darauf hinaus, man müsse sich beruhigen, kaltblütig beobachten und abwarten. Aber leider hielt die Ruhe keine zehn Minuten vor. Den ersten Stoß erhielt die Kaltblütigkeit durch die Nachrichten über das, was sich zugetragen hatte, während die Mama auf dem Kamennyj Ostrow gewesen war. (Lisaweta Prokofjewnas Fahrt hatte an dem Tag stattgefunden, an welchem der Fürst statt um zehn Uhr um ein Uhr gekommen war.) Die Schwestern antworteten auf die ungeduldigen Fragen der Mama sehr ausführlich. Es sei in ihrer Abwesenheit absolut nichts vorgefallen. Der Fürst sei gekommen; Aglaja sei lange, wohl eine halbe Stunde lang, nicht zu ihm hereingekommen; als sie dann endlich hereingekommen sei, habe sie dem Fürsten sofort eine Partie Schach angeboten; aber vom Schachspiel verstehe der Fürst so gut wie nichts, und Aglaja habe ihn sogleich besiegt; sie sei sehr lustig geworden, habe den Fürsten wegen seiner Unkenntnis schrecklich verspottet und ihn dermaßen ausgelacht, daß er einem habe leid tun können. Dann habe sie ihm den Vorschlag gemacht, mit ihr Karten zu spielen, und zwar Schafskopf. Aber dabei sei das Resultat gerade das umgekehrte gewesen: der Fürst habe bei diesem Spiel eine solche Stärke bewiesen wie... wie ein Professor dieser Kunst und habe ganz meisterhaft gespielt; Aglaja habe sogar gemogelt und Karten vertauscht und ihm vor seinen Augen Stiche gestohlen, aber er habe sie trotzdem jedesmal zum Schafskopf gemacht, fünfmal hintereinander. Aglaja sei furchtbar wütend geworden und habe alle Selbstbeherrschung verloren; sie habe dem Fürsten solche Anzüglichkeiten und Unartigkeiten gesagt, daß er nicht mehr gelacht habe, und als sie ihm schließlich gesagt habe, sie würde sich in diesem Zimmer nicht aufhalten, solange er darin sitze, und er müsse sich eigentlich schämen, daß er nach allem Vorgefallenen noch zu ihnen gekommen sei, und noch dazu zwischen zwölf und ein Uhr nachts, da sei er ganz blaß geworden. Darauf sei sie hinausgegangen und habe die Tür hinter sich zugeschlagen. Der Fürst sei fortgegangen wie von einem Begräbnis, obwohl sie ihn auf alle Weise zu trösten gesucht hätten. Auf einmal, ungefähr eine Viertelstunde, nachdem der Fürst weggegangen sei, sei Aglaja von oben nach der Veranda heruntergelaufen gekommen, so eilig, daß sie sich nicht einmal die Augen habe trocknen können, und sie sei ganz verweint gewesen; heruntergelaufen sei sie aber deswegen, weil Kolja gekommen sei und einen Igel gebracht habe. Sie hätten sich nun alle den Igel angesehen; auf ihre Fragen habe Kolja erklärt, der Igel gehöre nicht ihm; er, Kolja, sei mit einem Kameraden, einem andern Gymnasiasten, nämlich Kostja Lebedew, zusammen ausgegangen, der jetzt auf der Straße geblieben sei und sich geniere, hereinzukommen, weil er ein Beil trage; sowohl den Igel als auch das Beil hätten sie soeben von einem ihnen entgegenkommenden Bauern gekauft. Den Igel habe der Bauer ihnen angeboten und fünfzig Kopeken dafür genommen, das Beil zu verkaufen, hätten sie ihn jedoch selbst überredet, weil es sich gerade so gut getroffen habe, und es sei wirklich ein sehr gutes Beil. Nun habe Aglaja angefangen, Kolja mit Bitten zu bestürmen, er möchte ihr sogleich den Igel verkaufen; sie sei ganz außer sich gewesen und habe ihn sogar »lieber Kolja« genannt. Kolja habe lange nicht einwilligen wollen, schließlich aber doch nicht widerstehen können und Kostja Lebedew hereingerufen, der wirklich mit dem Beil hereingekommen sei und sich sehr verlegen benommen habe. Aber nun habe sich auf einmal herausgestellt, daß der Igel überhaupt nicht ihnen gehörte, sondern einem dritten Knaben, namens Petrow, der ihnen beiden Geld gegeben hatte, damit sie für ihn Schlossers Weltgeschichte von einem vierten Knaben kauften, der sich in Geldverlegenheit befand und dieses Werk billig losschlagen wollte; sie seien nun unterwegs gewesen, um Schlossers Weltgeschichte zu kaufen, hätten aber der Verlockung nicht widerstehen können und den Igel gekauft, so daß also sowohl der Igel als auch das Beil Eigentum jenes dritten Knaben seien, dem sie diese beiden Dinge nun an Stelle von Schlossers Weltgeschichte bringen wollten. Aber Aglaja habe ihnen so zugesetzt, daß sie schließlich nachgegeben und ihr den Igel verkauft hätten. Sowie Aglaja den Igel bekommen habe, habe sie ihn sogleich mit Koljas Hilfe in ein geflochtenes Körbchen gesetzt, mit einer Serviette zugedeckt und Kolja gebeten, ihn sogleich, ohne sich unterwegs irgendwo aufzuhalten, in ihrem Namen zum Fürsten zu bringen mit der Bitte, ihn als »ein Zeichen ihrer größten Hochachtung« anzunehmen. Kolja habe freudig eingewilligt und sein Wort gegeben, daß er ihn hinbefördern werde, aber sofort durchaus von ihr wissen wollen, was ein Igel oder ein ähnliches Geschenk bedeute. Aglaja habe ihm geantwortet, das gehe ihn nichts an. Er habe erwidert; er sei überzeugt, daß eine Allegorie dahinterstecke. Aglaja sei ärgerlich geworden und habe ihm in scharfem Ton geantwortet, er sei ein dummer Junge und weiter nichts. Kolja habe ihr daraufhin sofort erwidert, wenn er nicht in ihr die Frau achtete und außerdem seine Grundsätze hätte, so würde er ihr auf der Stelle beweisen, daß er auf solche Beleidigungen sehr wohl zu antworten verstehe. Die Sache habe übrigens damit geendet, daß Kolja doch mit Begeisterung davongegangen sei, um den Igel hinzubringen, und daß Kostja Lebedew hinter ihm hergelaufen sei. Als Aglaja gesehen habe, daß Kolja mit dem Körbchen zu sehr schlenkerte, habe sie ihm von der Veranda aus nachgerufen: »Bitte, Kolja, lassen Sie ihn nicht herausfallen, mein Täubchen!«, als ob sie sich kurz vorher überhaupt nicht mit ihm gezankt hätte; Kolja sei stehengeblieben und habe, ebenfalls, als ob er sich mit ihr nicht gezankt hätte, mit der größten Dienstbeflissenheit zurückgerufen: »Ich werde ihn schon nicht herausfallen lassen, Aglaja Iwanowna, seien Sie ganz unbesorgt!« und sei wieder spornstreichs weitergelaufen. Aglaja habe hierauf furchtbar gelacht, sei höchst zufrieden auf ihr Zimmer gegangen und dann den ganzen Tag über sehr lustig gewesen.

Durch diese Nachricht wurde Lisaweta Prokofjewna geradezu betäubt. Man könnte meinen: was war denn eigentlich vorgefallen? Aber sie war nun einmal in eine solche Stimmung hineingeraten. Ihre Unruhe stieg nun auf den höchsten Grad, und die Hauptsache war der Igel; was bedeutete der Igel? Was steckte dahinter? Was hatte das für einen geheimen Sinn? Was war das für ein Zeichen, was für ein Telegramm? Dazu kam noch, daß der arme Iwan Fjodorowitsch, der zufällig bei dem Verhör zugegen war, durch eine Antwort die ganze Sache vollständig verdarb. Seiner Meinung nach konnte von einem Telegramm überhaupt nicht die Rede sein, der Igel sei einfach ein Igel, weiter nichts, und bedeute vielleicht außerdem noch Freundschaft, Vergessen der Kränkungen, Versöhnung, kurz, das Ganze sei ein mutwilliger Streich, aber jedenfalls harmlos und verzeihlich.

In Klammern bemerken wir, daß er damit durchaus das Richtige getroffen hatte. Als der Fürst, von Aglaja verhöhnt und davongejagt, nach Hause zurückgekehrt war, hatte er schon eine halbe Stunde in der düstersten Verzweiflung dagesessen, als auf einmal Kolja mit dem Igel erschien. Sofort klärte sich der Himmel auf; der Fürst erstand gleichsam wieder von den Toten, fragte Kolja aus, klammerte sich an jedes Wort, das dieser sagte, erkundigte sich zehnmal nach derselben Sache, lachte wie ein Kind und drückte den beiden lachenden und ihn vergnügt anblickenden Knaben alle Augenblicke die Hände. Es war also klar, daß Aglaja ihm verzieh und er gleich heute abend wieder zu ihr gehen konnte, und das war für ihn nicht nur die Hauptsache, sondern geradezu alles.

»Was sind wir noch für Kinder, Kolja! Und... und... wie gut, daß wir noch Kinder sind!« rief er endlich entzückt aus.

»Es ist ganz einfach: sie ist in Sie verliebt, Fürst, weiter nichts!« antwortete Kolja nachdrücklich mit der Miene eines Sachverständigen.

Der Fürst wurde dunkelrot, erwiderte aber diesmal kein Wort, während Kolja nur lachte und in die Hände klatschte; einen Augenblick darauf fing auch der Fürst an zu lachen, und dann sah er bis zum Abend alle fünf Minuten nach der Uhr, ob schon viel Zeit vergangen und wieviel noch bis zum Abend übrig sei.

Aber für Lisaweta Prokofjewna war die Erregung doch zu stark; sie konnte sich schließlich nicht mehr beherrschen und überließ sich einer hysterischen Anwandlung. Trotz aller Einwände ihres Gatten und ihrer Töchter ließ sie unverzüglich Aglaja rufen, um ihr die entscheidende Frage vorzulegen und von ihr eine klare, entscheidende Antwort zu erhalten. »Die ganze Geschichte soll mit einemmal ein Ende nehmen«, erklärte sie, »wir müssen die Last von den Schultern loswerden, so daß künftig gar nicht mehr davon gesprochen wird! Sonst erlebe ich diesen Abend nicht mehr!« Erst in diesem Augenblick merkten alle, wie unsinnig weit sie die Sache hatten kommen lassen. Aber außer gekünstelter Verwunderung und Entrüstung sowie spöttischem Lachen über den Fürsten und alle Fragenden war von Aglaja nichts zu erreichen. Lisaweta Prokofjewna legte sich ins Bett und erschien erst wieder zum Tee, zu der Zeit, als der Fürst erwartet wurde. Sie erwartete den Fürsten mit großer Unruhe, und als er erschien, bekam sie beinahe wieder einen hysterischen Anfall.

Aber auch der Fürst selbst trat schüchtern ein, sozusagen tastend; er lächelte seltsam, blickte allen in die Augen und legte allen gewissermaßen eine Frage vor, weil Aglaja wieder nicht im Zimmer war, was ihn sofort beunruhigte. An diesem Abend war kein Fremder zugegen, sondern nur die Familienmitglieder. Fürst Schtsch. war noch in Petersburg wegen der Sache mit Jewgenij Pawlowitschs Onkel. ›Wenn doch wenigstens der da wäre und etwas redete!‹ dachte Lisaweta Prokofjewna bekümmert. Iwan Fjodorowitsch saß mit sehr sorgenvoller Miene da; die Schwestern waren ernsthaft und wie absichtlich schweigsam. Lisaweta Prokofjewna wußte nicht, womit sie ein Gespräch anfangen sollte. Endlich begann sie kräftig auf die Eisenbahn zu schimpfen und sah dabei den Fürsten herausfordernd an.

O weh! Aglaja erschien immer noch nicht, und dem Fürsten sank der Mut. Stammelnd und verwirrt äußerte er die Meinung, daß Reparaturen der Strecke allerdings sehr nützlich sein würden, aber Adelaida brach plötzlich in ein Gelächter aus, und der Fürst war wieder wie vernichtet. In dem gleichen Augenblick trat Aglaja ein, ruhig und würdevoll; sie erwiderte steif die Verbeugung des Fürsten und setzte sich feierlich auf den sichtbarsten Platz an dem runden Tisch. Sie blickte den Fürsten fragend an. Alle sagten sich, daß nun alle unklaren Fragen ihre Entscheidung finden würden.

»Haben Sie meinen Igel erhalten?« fragte sie ihn mit fester Stimme und beinah zornig.

»Ja, ich habe ihn erhalten«, antwortete der Fürst errötend und in ängstlicher Spannung.

»Sagen Sie unverzüglich, was Sie darüber denken! Das ist zur Beruhigung Mamas und unserer ganzen Familie unumgänglich notwendig.«

»Hör mal, Aglaja...«, begann der General beunruhigt.

»Das überschreitet ja alle Grenzen!« rief Lisaweta Prokofjewna erschrocken.

»Von Grenzen ist hier gar nicht die Rede, maman«, antwortete die Tochter sofort in sehr ernstem Ton. »Ich habe heute dem Fürsten einen Igel geschickt und wünsche seine Meinung kennenzulernen. Nun, reden Sie, Fürst!«

»Das heißt, was für eine Meinung, Aglaja Iwanowna?«

»Ihre Meinung über den Igel.«

»Das heißt... ich glaube, Aglaja Iwanowna, daß Sie wissen wollen, wie ich... den Igel aufgenommen habe... oder, besser gesagt, was ich über diese Zusendung... des Igels denke, das heißt... in diesem Fall nehme ich an, daß Sie... mit einem Wort...«

Der Atem ging ihm aus, und er verstummte.

»Nun, viel haben Sie gerade nicht gesagt«, bemerkte Aglaja, nachdem sie etwa fünf Sekunden gewartet hatte.

»Nun gut, ich bin einverstanden, daß wir den Igel beiseite lassen, aber ich freue mich sehr, daß ich endlich all den Unklarheiten, die sich angesammelt haben, ein Ende machen kann. Erlauben Sie also, daß ich Sie jetzt endlich ganz persönlich frage: halten Sie um meine Hand an oder nicht?«

»O Gott!« entfuhr es Lisaweta Prokofjewna.

Der Fürst zuckte zusammen und fuhr zurück. Iwan Fjodorowitsch war starr; die Schwestern machten finstere Gesichter.

»Lügen Sie nicht, Fürst! Sagen Sie die Wahrheit! Man verfolgt mich Ihretwegen mit seltsamen Fragen; haben diese Fragen irgendeine Begründung? Nun?«

»Ich habe nicht um Ihre Hand angehalten, Aglaja Iwanowna«, sagte der Fürst, der plötzlich lebhaft wurde, »aber... Sie wissen selbst, wie ich Sie liebe und an Sie glaube... sogar jetzt...«

»Ich fragte Sie: halten Sie um meine Hand an oder nicht?«

»Ja, ich tue es«, erwiderte der Fürst beklommen.

Auf diese Worte folgte eine allgemeine, starke Bewegung.

»So geht das nicht, mein Kind«, sagte Iwan Fjodorowitsch in starker Erregung. »Das...das ist beinah unerhört, Glascha... Verzeihen Sie, Fürst, verzeihen Sie, mein Teuerster!... Lisaweta Prokofjewna!« wandte er sich an seine Gattin um Hilfe, »es wird nötig sein... zu überlegen...«

»Ich weigere mich, ich weigere mich!« rief Lisaweta Prokofjewna mit abwehrenden Handbewegungen.

»Gestatten Sie auch mir zu reden, maman; ich bin in einer solchen Angelegenheit doch auch von einiger Wichtigkeit: dies ist der Augenblick, in dem sich mein Schicksal entscheidet« (genau so drückte Aglaja sich aus), »und ich will selbst Bescheid wissen und freue mich außerdem, daß es in Gegenwart aller geschieht... Wenn Sie also ›ernste Absichten haben‹, Fürst, so gestatten Sie mir die Frage, wodurch Sie mich eigentlich glücklich zu machen gedenken!«

»Ich weiß wirklich nicht, Aglaja Iwanowna, was ich Ihnen antworten soll; was... was soll ich da antworten? Und dann... ist es denn notwendig?«

»Sie scheinen verlegen geworden zu sein und keine Luft zu bekommen; erholen Sie sich ein wenig und sammeln Sie neue Kraft; trinken Sie ein Glas Wasser; übrigens wird auch gleich Tee gebracht.«

»Ich liebe Sie, Aglaja Iwanowna, ich liebe Sie sehr, ich liebe nur Sie allein und... bitte treiben Sie keinen Scherz, ich liebe Sie sehr.«

»Aber das ist doch schließlich eine wichtige Sache; wir sind keine Kinder und müssen es vom praktischen Standpunkt aus ansehen... Haben Sie jetzt die Güte anzugeben, worin Ihr Vermögen besteht!«

»Aber, aber, Aglaja! Was redest du! Das ist ja ungehörig, ganz ungehörig...«, murmelte Iwan Fjodorowitsch erschrocken.

»Eine Schande!« flüsterte Lisaweta Prokofjewna laut.

»Sie ist verrückt geworden!« flüsterte Alexandra ebenso laut.

»Mein Vermögen... das heißt mein Geld?« fragte der Fürst erstaunt.

»Ganz richtig.«

»Ich besitze... ich besitze jetzt hundertfünfunddreißigtausend Rubel«, murmelte der Fürst errötend.

»Mehr nicht?« fragte Aglaja laut und in aufrichtiger Verwunderung, ohne irgendwie zu erröten. »Übrigens, das macht nichts, namentlich bei sparsamer Wirtschaft... Beabsichtigen Sie, ein Amt anzunehmen?«

»Ich wollte die Hauslehrerprüfung ablegen...«

»Sehr schön, das wird natürlich unsere Mittel vermehren. Haben Sie vor, Kammerjunker zu werden?«

»Kammerjunker? Daran habe ich nie gedacht; aber...«

Aber hier konnten sich die beiden Schwestern nicht mehr halten und prusteten vor Lachen los. Adelaida hatte schon lange in Aglajas zuckenden Gesichtsmuskeln die Vorzeichen eines eilig nahenden, unbezwinglichen Gelächters bemerkt, das Aglaja vorläufig noch mit aller Kraft unterdrückte. Aglaja wollte den lachenden Schwestern einen drohenden Blick zuwerfen, konnte sich aber selbst keine Sekunde länger beherrschen und brach ebenfalls in ein tolles, fast hysterisches Gelächter aus; schließlich sprang sie auf und lief aus dem Zimmer.

»Das habe ich doch gewußt, daß es nur ein Spaß war und weiter nichts!« rief Adelaida. »Von Anfang an, schon mit dem Igel!«

»Nein, das kann ich nicht mehr dulden, das kann ich nicht mehr dulden!« rief Lisaweta Prokofjewna, in heftigem Zorn aufbrausend, und lief schnell hinter Aglaja her. Auch die Schwestern eilten sofort der Mutter nach. Im Zimmer blieben nur der Fürst und das Oberhaupt der Familie.

»Das, das ist ja... kannst du dir so etwas vorstellen, Lew Nikolajitsch?« rief der General heftig; er wußte offenbar selbst nicht, was er sagen wollte. »Nein, im Ernst, sage im Ernst!«

»Ich sehe, daß Aglaja Iwanowna sich über mich lustig gemacht hat«, antwortete der Fürst traurig.

»Warte einen Augenblick, Bruder; ich will hingehen, und du wartest hier... denn... erkläre wenigstens du mir, Lew Nikolajitsch, wie das alles gekommen ist und was das alles sozusagen für einen Zweck verfolgt! Du mußt selbst zugeben, Bruder, ich bin schließlich der Vater, aber obwohl ich der Vater bin, verstehe ich überhaupt nichts mehr. Also gib wenigstens du mir eine Erklärung!«

»Ich liebe Aglaja Iwanowna; das weiß sie und... ich meine, sie weiß es schon lange.«

Der General zuckte mit den Achseln.

»Seltsam, seltsam... du liebst sie sehr?«

»Ja, ich liebe sie sehr.«

»Das alles kommt mir so seltsam vor, so seltsam! Ich meine, es ist eine solche Überraschung, etwas so Unerwartetes, daß... Siehst du, mein Lieber, ich will nicht von deinem Vermögen reden (obwohl ich geglaubt hatte, daß du mehr besäßest), aber... das Glück meiner Tochter muß mir... und schließlich... bist du denn imstande, sie sozusagen... glücklich zu machen? Und... und... was war das? War das von ihrer Seite Spaß oder Ernst? Ich meine nicht von deiner Seite, sondern von ihrer Seite?«

Hinter der Tür ließ sich Alexandra Iwanownas Stimme vernehmen; sie rief den Papa.

»Warte einen Augenblick, Bruder, warte! Warte und denke über die Sache nach, ich komme gleich wieder...«, sagte er hastig und leistete eilig und beinah erschrocken dem Ruf seiner Tochter Folge.

Er fand folgende Gruppe vor: seine Gattin und Aglaja lagen sich in den Armen und zerflossen in Tränen. Es waren Tränen der Glückseligkeit, der Rührung und der Versöhnung. Aglaja küßte ihrer Mutter die Hände, die Wangen, die Lippen; beide hielten sich fest umschlungen.

»Also da ist sie, sieh sie dir an, Iwan Fjodorytsch! Da hast du sie jetzt ganz, wie sie ist!« sagte Lisaweta Prokofjewna.

Aglaja wandte ihr glückseliges, verweintes Gesichtchen von der Brust der Mama weg, blickte den Papa an, lachte laut auf, sprang zu ihm hin, umarmte ihn kräftig und küßte ihn mehrmals. Dann stürzte sie wieder zur Mutter und verbarg ihr Gesicht völlig an deren Brust, so daß es niemand mehr sehen konnte, und begann gleich wieder zu weinen. Lisaweta Prokofjewna bedeckte sie mit dem Ende ihres Schals.

»Aber was in aller Welt richtest du uns denn nur an, du grausames Mädchen; denn so muß man dich nach solchem Benehmen nennen!« sagte sie, aber in freudigem Ton, als ob sie jetzt leichter atme.

»Ich bin grausam, ja, grausam!« fiel Aglaja ein. »Ich bin unartig! Verwöhnt! Sagen Sie es Papa! Ach, er ist ja hier. Papa, sind Sie hier? Hören Sie doch!« rief sie, unter Tränen lachend.

»Mein liebes Kind, mein Abgott!« rief der General und küßte ihr strahlend vor Glückseligkeit die Hand, die Aglaja ihm nicht entzog. »Also du liebst diesen jungen Mann?«

»Nein, nein, nein! Ich kann... Ihren jungen Mann nicht leiden, ich kann ihn nicht leiden!« rief Aglaja plötzlich aufbrausend und hob den Kopf. »Und wenn Sie, Papa, es noch einmal wagen... ich sage Ihnen das ganz im Ernst; hören Sie: ganz im Ernst!«

Sie sprach wirklich im Ernst: sie war sogar ganz rot geworden, und ihre Augen blitzten. Der Papa schwieg erschrocken; aber Lisaweta Prokofjewna machte ihm, ohne daß Aglaja es merkte, ein Zeichen, und er verstand, was es bedeuten sollte: ›Frage nicht weiter!‹

»Wenn es so steht, mein Engel, nun, dann wie du willst, meinetwegen, er wartet dort allein; sollen wir ihm nicht auf zarte Weise andeuten, daß er fortgehen möchte?«

Dabei zwinkerte der General seinerseits Lisaweta Prokofjewna zu.

»Nein, nein, ganz unnötig, noch dazu, wenn es ›auf zarte Weise‹ geschieht: gehen Sie selbst zu ihm hin; ich werde dann auch gleich kommen. Ich will diesen ... diesen jungen Mann um Entschuldigung bitten, denn ich habe ihn gekränkt.«

»Und sehr hast du ihn gekränkt«, bestätigte Iwan Fjodorowitsch ernst.

»Nun, dann... bleibt lieber alle hier, ich werde zuerst allein hingehen, kommt mir dann gleich nach, in einer Sekunde! So wird es das beste sein!«

Sie war schon zur Tür gegangen, drehte sich aber plötzlich wieder um.

»Ich werde loslachen! Ich werde vor Lachen sterben!« sagte sie traurig.

Aber in demselben Augenblick wandte sie sich um und lief zum Fürsten.

»Nun, was soll das alles heißen? Wie denkst du darüber?« fragte Iwan Fjodorowitsch rasch.

»Ich fürchte mich, es auszusprechen«, erwiderte Lisaweta Prokofjewna ebenso schnell. »Aber meiner Ansicht nach ist die Sache klar.«

»Auch nach meiner Ansicht ist sie klar. Klar wie der Tag. Sie liebt.«

»Sie liebt nicht nur, sie ist restlos verliebt!« erklärte Alexandra Iwanowna. »Aber in wen denn nun eigentlich?«

»Gott segne sie, wenn das nun einmal ihr Schicksal ist!« sagte Lisaweta Prokofjewna, sich fromm bekreuzigend.

»Schicksal«, bestätigte der General, »und seinem Schicksal kann man nicht entgehen!«

Alle gingen in den Salon; dort erwartete sie eine neue Überraschung.

Aglaja lachte, als sie zu dem Fürsten trat, nicht los, wie sie das befürchtet hatte, sondern sagte im Gegenteil schüchtern zu ihm:

»Verzeihen Sie einem dummen, schlechten, verzogenen Mädchen« (sie ergriff seine Hand) »und seien Sie überzeugt, daß wir alle Sie außerordentlich hochschätzen! Und wenn ich Ihre schöne... gütige Herzenseinfalt zu verspotten wagte, so bitte ich Sie, es mir zu verzeihen, wie man einem Kind eine Unart verzeiht; verzeihen Sie, daß ich so auf einer Dummheit beharrte, die natürlich nicht die geringsten Folgen haben darf...«

Die letzten Worte sprach Aglaja mit besonderem Nachdruck.

Der Vater, die Mutter und die Schwestern kamen alle noch früh genug in den Salon, um dies alles zu sehen und mit anzuhören, und waren alle überrascht von der »Dummheit, die nicht die geringsten Folgen haben dürfe«, und noch mehr von der ernsten Stimmung, in der Aglaja von dieser Dummheit sprach. Alle sahen einander fragend an, aber der Fürst schien diese Worte gar nicht verstanden zu haben und war auf dem Gipfel der Glückseligkeit.

»Warum reden Sie so?« murmelte er. »Warum bitten Sie... um Verzeihung?...«

Er wollte sogar sagen, er sei dessen nicht würdig, um Verzeihung gebeten zu werden. Wer weiß, vielleicht hatte er auch den Sinn der Worte »eine Dummheit, die nicht die geringsten Folgen haben darf«, verstanden und freute sich, ein sonderbarer Mensch, wie er nun einmal war, über diese Worte. Unstreitig bildete es für ihn schon den Gipfel der Seligkeit, daß er wieder ungehindert zu Aglaja kommen, mit ihr reden, mit ihr Spazierengehen durfte, und wer weiß, vielleicht wäre er damit sein ganzes Leben lang zufrieden gewesen! (Gerade diese Genügsamkeit war es wohl, was Lisaweta Prokofjewna im stillen fürchtete; sie erriet sie und hegte im stillen viele Befürchtungen, die sie selbst nicht deutlich auszusprechen wußte.)

Man kann sich nur schwer eine Vorstellung davon machen, wie lebhaft und munter sich der Fürst an diesem Abend zeigte. Er war so heiter, daß man bei seinem Anblick selbst heiter wurde, wie sich nachher Aglajas Schwestern ausdrückten. Er war gesprächig, und das hatte sich bei ihm seit jenem Vormittag, an dem er vor einem halben Jahre zuerst die Bekanntschaft der Familie Jepantschin gemacht hatte, nicht wiederholt; nach seiner Rückkehr nach Petersburg war er in auffälliger Weise betont schweigsam gewesen und hatte erst kürzlich in Gegenwart aller zum Fürsten Schtsch. gesagt, er müsse sich beherrschen und schweigen, da er eine Idee nicht dadurch entwürdigen dürfe, daß er sie darlege. An diesem Abend redete er fast allein und erzählte viel; auf Fragen antwortete er freudig, klar und eingehend. Aber in seinen Worten war nichts zu entdecken, was an die Sprache eines Verliebten erinnert hätte. Es waren lauter ernste, zum Teil sogar schwierige Gedanken. Der Fürst trug sogar einige eigene Ansichten, einige eigene heimliche Beobachtungen vor, so daß das alles sogar einen lächerlichen Eindruck gemacht hätte, wäre nicht die »schöne Darstellung« gewesen, wie nachher alle Zuhörer übereinstimmend erklärten. Zwar liebte der General ernste Gesprächsthemen, aber sowohl er als auch Lisaweta Prokofjewna fanden im stillen, daß das Gespräch doch gar zu gelehrt sei, so daß sie gegen Ende des Abends geradezu traurig wurden. Übrigens wurde der Fürst zuletzt so übermütig, daß er ein paar sehr komische Anekdoten erzählte, über die er selbst zuallererst lachte, so daß die andern dann schon mehr über sein fröhliches Lachen als über die Anekdoten lachten. Was Aglaja anlangte, so redete sie den ganzen Abend fast gar nicht; dafür hörte sie, wenn Lew Nikolajewitsch sprach, zu, ohne die Augen von ihm abzuwenden; es schien sogar, als wäre ihr das Ansehen noch wichtiger als das Zuhören.

»Sie sieht ihn fortwährend an und wendet kein Auge von ihm, sie hascht ordentlich nach jedem Wort von ihm und klammert sich daran fest!« sagte Lisaweta Prokofjewna nachher zu ihrem Gatten. »Aber wenn man ihr sagt, daß sie ihn liebt, dann ist der Teufel los!«

»Was ist zu machen? Es ist ihr Schicksal!« erwiderte der General achselzuckend. Noch mehrmals wiederholte er diese seine Lieblingsredensart. Wir wollen noch hinzufügen, daß ihm als Geschäftsmann an der augenblicklichen Lage der Dinge ebenfalls vieles sehr mißfiel, namentlich die herrschende Unklarheit, aber auch er entschied sich vorläufig dafür, zu schweigen und ... nach Lisaweta Prokofjewnas Augen zu blicken.

Die freudige Stimmung der Familie hielt nicht lange an. Schon am folgenden Tag zankte sich Aglaja wieder mit dem Fürsten, und das setzte sich ohne Unterbrechung an allen folgenden Tagen fort. Ganze Stunden machte sie den Fürsten lächerlich und behandelte ihn beinah wie einen Hanswurst. Allerdings saßen sie manchmal eine oder zwei Stunden lang zusammen in der Laube des Hausgärtchens, aber die andern beobachteten, daß der Fürst während dieser Zeit Aglaja fast immer aus der Zeitung oder einem Buche vorlas.

»Wissen Sie«, sagte Aglaja einmal zu ihm, indem sie ihn beim Vorlesen der Zeitung unterbrach, »ich habe bemerkt, daß Sie furchtbar ungebildet sind; wenn man Sie nach etwas fragt, nichts wissen Sie ordentlich: weder wer was getan hat, noch in welchem Jahr etwas geschehen ist, noch auf Grund welches Vertrages. Das ist kläglich.«

»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich keine große Gelehrsamkeit besitze«, erwiderte der Fürst.

»Was bleibt denn dann noch an Ihnen übrig? Wie kann ich Sie dann achten? Lesen Sie weiter; übrigens, es ist nicht nötig, hören Sie auf damit!«

Und an demselben Abend veranstaltete sie wieder ein für alle rätselhaftes Intermezzo. Fürst Schtsch. war zurückgekehrt. Aglaja benahm sich ihm gegenüber sehr freundlich und fragte ihn viel nach Jewgenij Pawlowitsch. (Fürst Lew Nikolajewitsch war noch nicht gekommen.) Auf einmal erlaubte sich Fürst Schtsch. auf »die nahe bevorstehende neue Umwälzung in der Familie« hinzudeuten, und zwar infolge einer Bemerkung, die Lisaweta Prokofjewna sich hatte entschlüpfen lassen, daß nämlich Adelaidas Hochzeit vielleicht nochmals verschoben werden müsse, damit beide Hochzeiten zusammen begangen werden könnten. Es war nicht zu fassen, in was für einen Zorn Aglaja über »all diese dummen Vermutungen« geriet, und unter anderm entfuhren ihr die Worte, sie habe »noch nicht die Absicht, die Nachfolgerin der Mätressen irgend jemandes zu werden«.

Durch diese Worte wurden alle und ganz besonders die Eltern in das höchste Erstaunen versetzt. Lisaweta Prokofjewna sprach in einer geheimen Beratung mit ihrem Mann das dringende Verlangen aus, es solle mit dem Fürsten eine endgültige Auseinandersetzung über sein Verhältnis zu Nastasja Filippowna stattfinden.

Iwan Fjodorowitsch erwiderte, er wolle darauf schwören, daß das alles nur eine durch Aglajas »Schamhaftigkeit« verursachte »Extravaganz« sei; hätte Fürst Schtsch. nicht angefangen, von der Hochzeit zu reden, so wäre es zu dieser Extravaganz gar nicht gekommen, denn Aglaja wisse selbst zuverlässig, daß das alles nur Klatsch schlechter Menschen sei und Nastasja Filippowna sich mit Rogoshin verheiraten werde; der Fürst habe, von einer Verbindung ganz zu schweigen, mit ihr überhaupt nichts zu schaffen und niemals etwas mit ihr zu schaffen gehabt, wenn man schon die reine Wahrheit sagen wolle.

Aber der Fürst ließ sich durch nichts irremachen und fuhr fort, in Seligkeit zu schwelgen. Freilich bemerkte auch er mitunter einen düsteren, ungeduldigen Ausdruck in Aglajas Blicken, aber er führte dies auf andere Gründe zurück, und der düstere Ausdruck verschwand dann auch von selbst wieder. Einmal überzeugt, ließ er sich in seiner Überzeugung durch nichts wankend machen. Vielleicht war er doch gar zu ruhig; wenigstens war Ippolit, der ihm zufällig einmal im Park begegnete, dieser Ansicht.

»Nun, habe ich Ihnen damals nicht die Wahrheit gesagt, als ich es aussprach, daß Sie verliebt seien?« begann er, indem er an den Fürsten herantrat und ihn anhielt. Dieser streckte ihm die Hand hin und beglückwünschte ihn zu seinem »guten Aussehen«. Der Kranke schien auch selbst mehr Mut zu haben, wie das Schwindsüchtigen eigen ist.

Er war auf den Fürsten mit der Absicht zugegangen, ihm eine giftige Bemerkung über seine glückselige Miene zu machen, jedoch kam er gleich wieder davon ab und begann von sich selbst zu reden. Er fing an zu klagen und klagte viel und lange und ziemlich zusammenhanglos.

»Sie glauben gar nicht«, sagte er zum Schluß, »was für reizbare, kleinliche, egoistische, eitle und gewöhnliche Menschen sie dort alle sind; können Sie sich vorstellen, daß sie mich nur unter der Bedingung aufgenommen haben, daß ich möglichst bald sterbe, und nun alle wütend sind, weil ich noch nicht sterbe, sondern mich im Gegenteil besser fühle? Es ist die reine Komödie! Ich möchte wetten, daß Sie es mir nicht glauben!«

Der Fürst mochte ihm nicht widersprechen.

»Ich denke sogar manchmal daran, wieder zu Ihnen überzusiedeln«, fügte Ippolit in lässigem Ton hinzu. »Sie halten also diese Leute doch nicht für fähig, einen Menschen unter der Bedingung aufzunehmen, daß er bestimmt und möglichst bald stirbt?«

»Ich glaubte, sie hätten Sie mit anderen Absichten zu sich eingeladen.«

»Aha! Sie sind gar nicht so einfältig, wie man von Ihnen behauptet! Ich habe jetzt nur keine Zeit, sonst würde ich Ihnen über diesen Ganja und seine Hoffnungen ein Licht aufstecken. Man wühlt gegen Sie, Fürst, wühlt gegen Sie erbarmungslos, und... es ist ordentlich zu bedauern, daß Sie dabei so ruhig sind. Aber das liegt leider in Ihrer Natur!«

»Nun sehen Sie einmal an, weswegen Sie mich bedauern!« erwiderte der Fürst lachend. »Würde ich denn etwa nach Ihrer Meinung glücklicher sein, wenn ich unruhiger wäre?«

»Es ist besser, unglücklich zu sein, aber zu wissen, als glücklich zu sein und... ein Narr zu sein. Wie es scheint, wollen Sie durchaus nicht glauben, daß Sie eine Nebenbuhlerschaft zu fürchten haben... und zwar von jener Seite?«

»Was Sie da über Nebenbuhlerschaft sagen, ist etwas zynisch, Ippolit; es tut mir leid, daß ich kein Recht habe, Ihnen darauf zu antworten. Was Gawrila Ardalionowitsch anlangt, so kann er ja nach einem so großen Verlust, wie er ihn erlitten hat, unmöglich ruhig bleiben; das werden Sie selbst zugeben müssen, selbst wenn Sie von seinen Angelegenheiten nur wenig wissen. Es scheint mir, daß man die Sache am besten von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet. Er hat noch Zeit, sich zu ändern, er hat noch ein langes Leben vor sich, und das Leben ist reich... Übrigens... übrigens« (hier geriet der Fürst in Verwirrung) »was das Wühlen betrifft... so verstehe ich nicht einmal, wovon Sie reden; lassen wir dieses Gespräch lieber, Ippolit.«

»Lassen wir es vorläufig; Sie bekommen es ja auch gar nicht fertig, sich anders als edelmütig zu benehmen. Ja, Fürst, Sie glauben so lange, bis Sie das Gegenteil mit eigenen Fingern fühlen, haha! Jetzt verachten Sie mich wohl sehr, nicht wahr?«

»Weswegen sollte ich das tun? Weil Sie mehr gelitten haben und leiden als wir?«

»Nein, weil ich meines Leidens nicht würdig bin.«

»Wer mehr hat leiden können, muß auch würdig sein, mehr zu leiden. Als Aglaja Iwanowna Ihre Beichte gelesen hatte, wünschte sie, Sie zu sehen, aber ...«

»Sie schiebt es auf ... sie darf es nicht, ich verstehe, ich verstehe ...«, unterbrach ihn Ippolit, als wäre er bemüht, das Gespräch möglichst bald von diesem Gegenstand abzulenken. »Übrigens, man sagt, Sie selbst hätten ihr dieses ganze verrückte Zeug vorgelesen, es ist wirklich im Fieberwahn geschrieben und ... fabriziert worden. Und ich verstehe nicht, was für eine, ich will nicht sagen Grausamkeit (das wäre für mich erniedrigend), aber was für eine kindische Eitelkeit und Rachsucht dazu gehört, mir diese Beichte zum Vorwurf zu machen und sie als Waffe gegen mich zu benutzen! Beunruhigen Sie sich nicht, ich sage das nicht mit Bezug auf Sie ...«

»Aber es tut mir leid, daß Sie sich von diesem Heft lossagen, Ippolit, es ist mit großer Aufrichtigkeit geschrieben, und, wissen Sie, selbst seine komischsten Stellen, und es gibt ihrer viele« (Ippolit runzelte heftig die Stirn), »sind mit Leiden erkauft, denn schon das darin Mitgeteilte zu bekennen, war ebenfalls ein Leiden und... vielleicht die größte Mannhaftigkeit. Der Gedanke, von dem Sie sich dabei leiten ließen, hatte jedenfalls eine edle Grundlage, trotz allen gegenteiligen Scheins. Ich versichere Sie: ich erkenne das um so klarer, aus je weiterer Entfernung ich es betrachte. Ich fälle über Sie kein Urteil, ich sage das nur, um mich auszusprechen, und bedaure, daß ich damals geschwiegen habe...«

Ippolit wurde dunkelrot. In seinem Kopf blitzte für einen Augenblick der Gedanke auf, daß der Fürst sich nur verstelle und ihm eine Schlinge lege, aber als er ihm genauer ins Gesicht sah, konnte er doch nicht umhin, an seine Aufrichtigkeit zu glauben, und seine Miene hellte sich auf.

»Aber sterben muß ich dennoch!« sagte er und hätte beinah hinzugefügt: ›Ein Mensch wie ich!‹ »Und denken Sie sich nur, wie mich Ihr Ganjetschka zurechtweist; er hat sich diese Entgegnung ausgedacht: es würden von denen, die damals der Vorlesung meines Heftes beigewohnt hätten, drei oder vier am Ende vielleicht noch früher sterben als ich! Was sagen Sie dazu? Er meint, das werde für mich ein Trost sein, haha! Erstens sind sie noch nicht gestorben, und selbst wenn diese Leute bald wegsterben sollten, was ist das für mich für ein Trost, sagen Sie selbst! Er urteilt nach sich; übrigens ist er sogar noch weiter gegangen: er schimpft jetzt einfach und sagt, ein ordentlicher Mensch sterbe in solchem Falle schweigend, und hinter meinem ganzen Verhalten stecke weiter nichts als Egoismus! Was sagen Sie dazu! Nein, was ist das seinerseits für ein Egoismus! Wie raffiniert oder, richtiger gesagt, gleichzeitig wie stiermäßig roh ist der Egoismus dieser Leute, den sie trotzdem an sich gar nicht wahrzunehmen vermögen!... Haben Sie, Fürst, einmal etwas vom Tod Stepan Glebows im achtzehnten Jahrhundert gelesen? Ich las zufällig gestern etwas darüber...«

»Was für ein Stepan Glebow?«

»Er wurde unter Peter dem Großen gepfählt.«

»Ach mein Gott, ja, ich weiß! Er steckte fünfzehn Stunden lang am Pfahl, in der Kälte, nur mit einem Pelz bekleidet, und starb mit außerordentlichem Heldenmut; gewiß, ich habe es gelesen... Aber was soll das?«

»Manchem beschert Gott einen solchen Tod, aber unsereinem nicht! Sie meinen vielleicht, ich sei nicht imstande, so zu sterben wie Glebow?«

»Oh, das meine ich ganz und gar nicht«, erwiderte der Fürst verlegen, »ich wollte nur sagen, daß Sie... das heißt, nicht als ob Sie es Glebow nicht gleichtun würden, sondern... daß Sie... daß Sie dann vielmehr...«

»Ich errate es: Sie meinen, ich würde ein OstermanEr wurde im Jahre 1742 zum Tode durch das Rad verurteilt; doch wurde die Strafe in lebenslängliche Verbannung nach Sibirien umgewandelt. sein und kein Glebow? Das wollten Sie sagen?«

»Was für ein Osterman?« fragte der Fürst verwundert.

»Osterman, der Diplomat Osterman, der Zeitgenosse Peters«, murmelte Ippolit, der auf einmal etwas verlegen wurde. Der Fürst verstand ihn nicht sofort.

»O n-n-nein!« sagte er dann nach einigem Stillschweigen, indem er das Wort dehnte. »Ich möchte meinen... Sie würden nie ein Osterman sein.«

Ippolit machte ein finsteres Gesicht.

»Ich behaupte das übrigens deshalb«, fuhr der Fürst, offensichtlich bemüht, sich zu verbessern, fort, »weil die damaligen Menschen (ich kann versichern, daß mir das von jeher aufgefallen ist) sozusagen nicht dieselben Menschen waren wie die jetzigen, nicht derselbe Schlag wie jetzt in unserm Jahrhundert, wirklich wie eine andere Rasse... Damals waren die Menschen von einer einzigen Idee erfüllt; jetzt sind sie nervöser, mehr entwickelt, sensitiver, mit zwei, drei Ideen gleichzeitig beschäftigt... Der jetzige Mensch ist vielseitiger, und nach meiner Überzeugung hindert ihn das, ein so einheitlicher Mensch zu sein wie in jenen Jahrhunderten... Ich... ich habe das nur in diesem Sinne gesagt und nicht...«

»Ich verstehe; Sie versuchen jetzt, mich zu trösten, um die Naivität wiedergutzumachen, mit der sie anderer Meinung waren als ich, haha! Sie sind das reine Kind, Fürst! Ich bemerke jedoch, daß Sie alle mich wie... wie eine Porzellantasse behandeln... Nun, das tut nichts, das tut nichts, ich nehme es nicht übel. Jedenfalls hat sich das Gespräch zwischen uns recht komisch gestaltet; Sie sind manchmal noch das reinste Kind, Fürst. Lassen Sie sich übrigens sagen, daß ich vielleicht gewünscht habe, noch etwas Besseres zu sein als ein Osterman; um ein Osterman zu sein, würde es sich nicht lohnen, von den Toten aufzuerstehen... Aber ich sehe ein, daß ich guttun werde, möglichst bald zu sterben, sonst werde ich selbst... Lassen Sie mich nur in Ruhe! Auf Wiedersehn! Nun gut, dann sagen Sie mir einmal selbst, wie ich nach Ihrer Meinung am besten sterben würde... damit es recht... tugendhaft aussieht, meine ich. Nun, so reden Sie!«

»Gehen Sie an uns vorüber, und verzeihen Sie uns unser Glück!« sagte der Fürst mit leiser Stimme.

»Hahaha! Hatte ich es mir doch gedacht! Ich habe erwartet, daß unfehlbar so etwas kommen würde! Aber Sie... aber Sie... Nun ja, schöne Phrasen haben diese Leute immer zur Hand! Auf Wiedersehn! Auf Wiedersehn!«


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