Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mit Steinen und Kolben hämmerten die aufrührerischen Vaqueros gegen die Tür der Hazienda. Jeden Augenblick mußten ihre Bohlen brechen.

Da plötzlich Stille da draußen . . . Was war das?

Van der Meulen eilte in eines der Gemächer, dessen Fenster zum Hofe gingen, riß einen Fensterflügel auf.

Die Szene von eben plötzlich, wie von Zauberhand gewandelt. Die Masse der Vaqueros zurückdrängend . . . davor ein freier Raum . . . dann eine Reiterschar. An ihrer Spitze ein alter Mann, der zu den Vaqueros redete.

Van der Meulen stand sprachlos. Woher diese Hilfe?

»Señor Stamford! . . . Señor Stamford!« Jubelnd kam es von Violets Lippen, die plötzlich neben van der Meulen stand.

Señor Stamford? Van der Meulen wollte fragen, doch die Stimme des Alten da draußen zwang ihn . . . dessen Stimme schallte laut über das Getümmel.

»Dummheiten, Jungens! Dummheiten! Nichts anderes! Habt euch von dem städtischen Gesindel schön beschmieren lassen! Glaubt's oder glaubt's nicht! Am Wort des alten Stamford hat noch keiner gezweifelt. Die Roten sind überall geschlagen! Ihr mögt's da draußen in den Pampas noch nicht gehört haben . . .

Was schreit ihr dahinten? . . . Geld! Der Lohn, der euch zusteht, soll jedem werden. Morgen! Mein Wort darauf. Ich denke aber, es wird sich über Nacht noch mancher besinnen, wenn der Rausch vorbei.

Also nochmals! Dummheiten sind's, die euch schlecht bekommen können.

Aber jetzt, Schluß! Öffnet das Hintertor! Und . . . wer morgen nicht an seiner Arbeitsstelle ist, ist abgemustert.«

Man konnte sehen, wie sich an dem Hintertor mehrere Gruppen heftig stritten. Dann gingen die Flügel auf. Erst einige, dann immer mehr entfernten sich.

»Verrat! Verrat! Her zu mir, Brüder!« Die Stimme des Anführers gellte über den Platz. Gleichzeitig zog der eine Waffe, legte auf den Alten an – –

Der Schuß krachte . . . ging fehl.

Im letzten Augenblick hatte sich eine Lassoschlinge um seinen Oberkörper gelegt . . . ein Ruck . . . der Fremde stürzte mit einem Fluch zu Boden.

»Bravo, Tim! Gut gemacht!« rief der Alte lachend.

Der Reiter neben ihm zog jetzt wie einen Fisch, den er geangelt, den Gefesselten näher an sich heran. Brummte dabei in schönstem Wasserkantsch vor sich hin.

»Ick will die lehrn, oll Swien, op olle Lüd to scheiten!«

Noch immer schien der Rausch bei vielen der Vaqueros stärker als die Vernunft. Man sah Messer blitzen, Revolver knacken.

»Jetzt hab' ich's satt!«

Die Stimme des Alten klang eisern streng.

»Weg mit den Dingern da! Oder . . .

Er sah sich um. Die Schar seiner Begleiter legte die Gewehre an.

». . . oder ich sage: Feuer!«

Die Näherstehenden schauten sich unschlüssig an. Sollten sie's darauf ankommen lassen? Der Zahl nach waren sie überlegen . . . doch die hatten Gewehre. Unentschlossene Gesichter. Dann senkte sich bald hier, bald dort eine Hand wieder in die Tasche. Die Letzten zuerst . . . dann auch die anderen verschwanden brummend, fluchend durch das Hoftor.

»Und der hier, Señor Stamford?« Der mit Tim Angeredete fragte es.

»Bindet ihn und hebt ihn auf bis morgen!! Dann . . . laßt ihn laufen.«

»Schall hei ok! . . . Aber vorher . . . Fiefuntwintig köhnt em woll nicks schoden!«

Tim Bröker zog mit seinem Gefangenen ab.

Die Tür der Hazienda flog auf. Die Bewohner traten auf den Hof, voran van der Meulen.

»Das war Hilfe zur rechten Zeit, Nachbar Stamford. Wie soll ich Ihnen das danken!« Er war zu dem Reiter getreten und drückte ihm die Hand. »Und wie war es möglich, daß Sie gerade jetzt hierherkamen? Doch so viele Fragen . . . Hier ist nicht der Platz . . . herunter von den Pferden, Caballeros . . . zu mir ins Haus als meine Gäste. Der weite Ritt . . . Juan, Rodrigo, Fernando«, er brauchte nicht zu rufen, sie waren schon da. »Laßt die Pferde versorgen, der Mayordomo soll rüsten, was Keller und Küche bietet . . .«

Van der Meulen faßte den alten Stamford, der vom Pferde gestiegen, unterm Arm und führte ihn ins Haus.

. . . Und dann saßen sie beim Mahle. Die Gäste von Fragen bestürmt. Ein Gewirr des Hinundherredens, bis endlich Stamford in kurzen Sätzen die Vorgänge der Nacht erzählen konnte.

»Kommt da heute nachmittag auf abgehetztem Gaul ein Vaquero zu mir auf die Hazienda gejagt . . . Tim Bröker! Deutscher dem Namen nach.

Verlangt nach mir. Wie ich ihn sah, gab ich ihm erst mal einen tüchtigen Schluck. Dann fing der an . . .

Was er sagte, klang ziemlich verworren . . . wurde lange nicht klug daraus . . . Aber schließlich hatte ich's 'raus, worauf's ankam . . .

Tim Bröker hieß er . . . ein Vaquero . . . da oben im Norden der Pampas bei den Herden . . .

Kamen da vorgestern ein paar Rote . . . Bolschewiken . . . Agenten, die irgendwo versprengt waren. Hielten abends an den Lagerfeuern große Brandreden . . .

An Schnaps fehlte es nicht . . . Na! . . . Unter so vielen gibt es immer Taugenichtse genug, die jede Gelegenheit zu einem guten Fang gern begrüßen . . . Was soll ich weiter sagen? . . . Im Verlauf der Nacht brachten diese Kerle es fertig, Ihre ganzen Vaqueros rebellisch zu machen . . . mit ihnen hierher zur Estanzia ziehen . . . Ich bin überzeugt, die meisten von der Gesellschaft waren sich gar nicht recht bewußt, um was es sich drehte, was eigentlich der Zweck war.

Unterwegs . . . dieser Tim . . . Anständiger Kerl, weiß der Deubel, wie er unter die Bande gekommen ist . . . besinnt sich . . .

Bei erster Gelegenheit schlägt er sich in die Büsche, reitet . . . reitet, als wäre der Teufel hinter ihm, zu mir nach Santa Marguerita . . .

Na, als ich's endlich aus ihm heraus hatte, da war ja mein Entschluß schnell gefaßt. Was ich von meinen Leuten gerade bei der Hand hatte, in den Sattel . . . das weitere wissen Sie ja. Wir ritten, was die Gäule laufen konnten, und kamen gerade zu rechten Zeit . . .«

»Und was halten Sie von der Zukunft? Glauben Sie nicht auch, daß es besser wäre, wenn ich mit meinen Damen nach Buenos Aires zurückkehrte?«

Stamford machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Nicht nötig, mein lieber Herr Nachbar, Sie können ruhig hierbleiben. So dumm sind die Burschen nicht, daß sie so etwas zum zweitenmal wagen würden . . . Werden morgen einen schönen Katzenjammer haben. Glaube im Gegenteil, daß die paar Roten, die sich noch hier herumtreiben, sonst was drum gäben, wenn sie meilenweit weg wären.« Er erhob sein Glas. »Trinken wir alle auf das Ende dieses schrecklichen Krieges, auf unser befreites Land!«

*

In den Straßen von Lahore herrschte wieder das gewohnte Leben und Treiben. Wohl hatten sich die blutigen Ereignisse des Krieges auch bis hierher ausgewirkt. Doch war die bolschewistische Bewegung, noch ehe sie sich ganz entfalten konnte, durch die Ereignisse in Europa und Nordamerika erstickt worden. Auf einem kleinen Platz neben der Hauptstraße eine Gruppe von Menschen, die interessiert der Vorstellung eines Gauklers folgte.

Dieser, ein älterer Mann, braunhäutig wie ein Hindu, aber mit unverkennbar mongolischem Einschlag. Er blies auf einer kleinen Flöte, während zwei Kobras mit aufgeblähtem Hals zischend ihre Körper nach den Klängen der monotonen Musik wie im Tanze hin und her wiegten. Das alte Schauspiel, das die Bewohner Lahores schon zu den Zeiten der Mogulkaiser unterhalten hatte und auch heute immer noch hinreichte, Schaulustige heranzuziehen.

Jetzt setzte er die Flöte ab, faßte mit geschickten Griffen die Schlangen und tat sie in den Bastkorb. Dann begann er von neuem zu spielen, und ein junges Mädchen, das mit einem Blechteller umherging, armselige Kupfermünzen einzusammeln, warf hastig ein paar Schleier über und begann zu tanzen. Der Kreis der Zuschauer wurde jetzt größer. Erwartungsvoll sah alles auf den Tanz. Es war keiner von denen, wie sie die Straßengauklerinnen zu zeigen pflegten. Etwas Fremdes, Ungewöhnliches lag darin. Es waren nicht die blitzschnellen, aufgelösten Bewegungen der bekannten Tänze, es war vielmehr ein feierliches Schreiten, bei dem doch der ganze Körper in ausdruckvollster Bewegung mitging. Dazu die fast starren Gesichtszüge, die Augen wie die einer Somnambule traumhaft in die Weite gerichtet.

Den meisten schien diese Art des Tanzes indes wenig zu gefallen. Der Kreis lichtete sich schnell. Noch ehe weitere sich entfernten, hörte der Inder plötzlich mit dem Spiel auf, warf der Tänzerin den Blechteller zu, um schnell noch ein paar Kupfermünzen einzuheimsen. Dann erhob er sich, schrie dem Mädchen ein paar barsche Worte zu und hieß sie ihm folgen.

Die belud sich mit den auf der Erde liegenden Gepäckstücken, nahm den Schlangenkorb in die Rechte und folgte ihrem Herrn. Bedrückt von der schweren Last, vermochte sie nicht Schritt mit ihm zu halten, blieb mehr und mehr zurück.

Während die meisten der Zuschauer sich längst zerstreut hatten, war noch ein einziger stehengeblieben. Eine hochgewachsene Gestalt. Dem Schnitt der Kleidung . . . des Gesichtes nach zweifellos kein Eingeborener. Unter dem breitrandigen Strohhut blitzten aus dem gebräunten Gesicht ein Paar graublaue Augen. Das kurzgeschnittene blonde Haar verriet den Westländer.

Mit Verwunderung hatte er das seltsame Paar schon seit geraumer Weile betrachtet. Das Mädchen trotz der zerschlissenen, verstaubten Hindukleidung unverkennbar eine Europäerin. Wie kam das junge Geschöpf . . . sie mochte höchstens achtzehn Jahre zählen . . . in die Gesellschaft dieses widerlichen Alten? Sie schien unter einem unerklärlichen Zwang zu stehen, denn sonst wäre es nicht zu begreifen gewesen, daß sie die brutale Behandlung des Inders so widerstandslos erduldete.

Das Mitleid, das er beim ersten Anblick mit ihr empfunden, verstärkte sich, als er sie jetzt so mühsam in dem glühenden Sonnenbrand unter ihrer Last dahinwanken sah.

Er wollte sich ihr nähern. Da kam der Inder, der sich jetzt nach der Zurückbleibenden umgeschaut, mit ärgerlichem Rufen und Schelten zurück. Schrie ihr ein paar häßliche Schimpfworte zu und schritt neben ihr her.

Vergeblich suchte das arme Geschöpf seine Schritte zu beschleunigen. Als sie wieder zurückblieb, versetzte ihr der Inder einen tückischen Stoß in die Seite, der sie taumeln ließ. Im selben Augenblick stand der Fremde neben ihr, nahm die schwere Last von ihren Schultern und fuhr den Inder mit barschen Worten an. Der versuchte den Fremden beiseitezustoßen. Doch da legte dieser seine Hand mit eisernem Griff auf seinen Arm.

»Wer bist du? . . . Wer ist die da? . . . Wie kommt die in deine Gesellschaft, du Schurke?«

Der wand sich vergeblich unter dem Griff, zischte unverständliche Worte.

»Ich werde die Polizei zu Hilfe rufen, wenn du mir nicht sofort Auskunft gibst!«

Bei dem Worte Polizei sank der Inder in sich zusammen. Dann plötzlich . . . der Griff des Fremden schien nachgelassen zu haben . . . machte er sich mit einer schlangengleichen Bewegung frei. Seine Hand ging blitzschnell nach dem Dolchmesser, das in seinem Gürtel stak.

Noch ehe er es gefaßt, traf ihn ein wohlgezielter Schlag, der ihn zu Boden warf.

Das Mädchen war während dieses Streites auf dem Gepäck zusammengesunken . . . brach in lautes Weinen aus. Die Vorübergehenden nahmen teils für den Inder, teils für den Fremden Partei.

Der beugte sich zu der Zusammengesunkenen nieder und sprach in englischer Sprache zu ihr. Er hatte dabei dem Inder den Rücken zugekehrt und sah nicht, wie der mit wutverzerrtem Gesicht den zur Seite stehenden Schlangenkorb ergriff und ihn von hinten her zu den Füßen des Fremden hinschleuderte. Auf dem Boden aufprallend, öffnete sich der Deckel, und die beiden Kobras fuhren wütend zischend heraus. Die Neugierigen sprangen schreiend zurück. Der Fremde, der es nicht gesehen, blieb stehen. Erst laute Zurufe aus der Menge machten ihn auf die Gefahr aufmerksam.

Er drehte sich um – zu spät – Eine der Schlangen hatte sich um sein Bein herumgeschlungen. Mit einer heftigen Bewegung versuchte er sie abzuschleudern . . . vergeblich . . . er fühlte die spitzen Zähne in sein Fleisch dringen. Die Schlange hatte sich festgebissen.

Mit einem raschen Griff packte er sie im Genick, warf sie zu Boden und zertrat sie.

»Folgen Sie mir, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist«, klang es in englischer Sprache an sein Ohr. »Die Schlange war giftig! Das Gift wirkt schnell.«

Der Beschützer des Mädchens sah einen jungen Mann in europäischer Tracht an seiner Seite, der auf ein unmittelbar hinter ihm haltendes Auto deutete.

»Schnell! Schnell! Ich bin Arzt und will versuchen, Ihnen zu helfen.«

»Nicht ohne dies Mädchen hier!« Der faßte die Gauklerin um die Hüften und trug sie zu dem Wagen, in den er selbst mit dessen Besitzer stieg. Noch ehe der Inder seine Überraschung überwunden, war der Wagen schon verschwunden.

»Streifen Sie das Beinkleid in die Höhe! Ein glücklicher Zufall will es, daß ich eine Tube mit einem erprobten Serum bei mir habe.«

Bei diesen Worten hatte er auch schon eine Spritze gefüllt, wollte sie in das Fleisch einstecken. Doch schneller noch war die Tänzerin. In dem Augenblick, wo die Wunde bloßlag, hatte sie sich darübergebückt und preßte ihre Lippen darauf, das vergiftete Blut auszusaugen.

Der Arzt ließ sie lächelnd einen Augenblick gewähren. Dann drängte er sie zur Seite und drückte den Inhalt der Spritze unmittelbar neben der Bißwunde in das Bein.

»Sie werden voraussichtlich in kurzer Zeit das Bewußtsein verlieren und es . . . ich weiß nicht, wie stark das Schlangengift war . . . vielleicht zwei bis drei Tage nicht wieder zurückgewinnen. Haben Sie vielleicht irgend etwas zu bestellen? . . . Haben Sie Freunde . . . Angehörige, denen ich Nachricht geben soll?«

Der Verwundete sah ihn erstaunt an. Zweifel malte sich in seinen Zügen. Der andere fuhr fort:

»Glauben Sie meinen Worten! Mein Name ist Stamford . . . Doktor Sidney Stamford . . . Amerikaner . . . Arzt, halte mich zu Studienzwecken hier auf. Sie können versichert sein, daß Sie mir unbedingtes Vertrauen schenken dürfen.«

Der andere drehte sich ihm voll zu. Sah ihn mit einem langen Blicke forschend an, als wolle er in ihm lesen.

»Noch eine Frage. Wohin führen Sie mich, Mr. Stamford? Ich bin selbst fremd hier, besitze kein Heim.«

»In mein Haus . . . in der westlichen Vorstadt . . .«

»Ich will Ihnen meinen Namen nennen. Nur möchte ich Sie bitten, den Namen gegen jedermann zu verschweigen, was auch kommen mag.«

Dr. Stamford drückte ihm schweigend die Hand.

»Ich heiße Gorm! – – –« Stamford unterdrückte kaum einen Ausruf der Überraschung.

»Gorm?! – – – Der Gorm?! – – – Weland Gorm, der Deutsche . . .?«

Der andere nickte.

Stamford wäre fast vom Sitz aufgesprungen, so stark war der Eindruck, den die Nennung dieses Namens auf ihn machte.

»Unmöglich, Sie sind Gorm, sind es wirklich! Fast möchte ich den Zufall begrüßen, wären die Umstände nicht so –« er unterbrach sich, sah, wie Gorm schwer in den Sitz zurücksank, sekundenlang die Augen schloß. Dann sie anscheinend mit Mühe wieder öffnete, nach Worten suchte . . . stockend sprach:

»Ah! . . . Ah! . . . Noch eins! Ich fühle schon . . . Sorg . . . sorgen Sie . . .« Gorm fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er da etwas wegwischen, das sich schwer auf sein Hirn legte. Sein Blick wurde starr. Er schien einer Ohnmacht nahe.

». . . sorgen Sie für das Mädchen!« Er deutete mit der Hand auf die Tänzerin, die mit angstvollem Gesicht vor ihnen kauerte.

»Seien Sie ohne Sorge! Ich werde es tun.«

*

Cannings Jacht berührte den Boden des Flugplatzes in Quito. Noch ehe das Flugzeug ausgerollt, war er hinausgesprungen. Stand schon neben der Tür des Pilotenraumes, als die sich öffnete.

»Unser Aufenthalt hier wird nur kurz sein. Bleiben Sie an Bord. Ich folge meinem Freunde, der schon voraus« . . . er deutete auf eine Gestalt, die sich, einen Koffer in der Hand, dem Ausgang des Platzes näherte, in der Dunkelheit kaum noch zu erkennen war. Bei den letzten Worten wandte er sich schon um und ging jenem eiligen Schrittes nach.

Eine Stunde war noch nicht vergangen, als er zurückkehrte.

»Wir fliegen auf direktem Wege nach Hause. Mein Freund bleibt hier!« – –

Gegen Mittag des nächsten Tages überflog die Jacht die Grenzen Boliviens, glitt in geringer Höhe über die weiten Pampas des Gran Chaco hin. Nicht mehr lange, dann mußte der Nordrand seiner Besitzungen erreicht sein.

Canning trat ans Fenster. Sein Auge vermochte schon die großen Herden, die da unten weideten, als die seinen zu erkennen . . . die Weizenfelder im Westen bis hin zu den letzten Ausläufern der Anden. Die Kanäle, die das Gebiet durchzogen . . . zum Vermejo führten . . . alles, so weit er schaute, sein Besitz.

Die Schatten der Nacht begannen von ihm zu weichen. Sein Herz wurde freier, je weiter das Schiff ihn trug. Ein kleines Königreich, das da unten lag . . . sein Eigentum war's . . . sein Werk auch war's!

Vor Jahren war er hierhergekommen. Die Sowjetmillionen brannten in seiner Tasche . . . beste, sicherste Anlage! . . . Nach langem Überlegen war er zu dem Entschluß gekommen, das Geld zum größten Teil in Landbesitz festzulegen. Alles Land, das hier käuflich gewesen, hatte er erworben.

Man hatte den Kopf geschüttelt über den europäischen Señor, der sein Geld in diese trostlose Einöde steckte . . . Millionen . . . denn er beließ es nicht bei dem Erwerb des wohlfeilen Landes und der hier bisher allein üblichen Vieh- und Weidewirtschaft. Auf eigenen Schiffen brachte er Maschinen und immer neue, andere Maschinen den Rio Vermejo hinauf . . . Baggermaschinen gruben Kanäle durch die Sümpfe des Geländes . . . legten sie trocken . . . verwandelten sie in fruchtbares Ackerland. Kanäle, die gleichzeitig Verkehrswege für den Abtransport der Bodenerzeugnisse zu den Flüssen . . . zur Küste bildeten.

Es dauerte nicht lange, da schwand das Wundern der Nachbarn. Wie durch Zauberhand entstanden da in kurzer Zeit fruchtbare Fluren, die in Bälde hundertfältigen Ertrag versprachen. Mitten darin das Wohngebäude, von Parkanlagen umgeben, die unter Benutzung eines Stückes prächtigen Urwaldes entstanden waren.

Die Sowjetmillionen! . . . Der Lohn für die Konstruktionen Gormscher Apparate . . . seine eigene Erfindung! . . .

Er sagte es, und man glaubte es ihm . . . man . . . das war Awaloff. Der der einzige, mit dem er in persönlichen Verkehr trat. Der der einzige Zeuge seiner Tat. Zu klug, alles auf eine Karte zu setzen, hatte Canning sich wohl gehütet, sich ganz den Bolschewiken zu verschreiben, gemeinsame Sache mit ihnen zu machen.

Jahrelang . . . ein Jahrzehnt wohl, hatte er mit allen seinen Kräften daran gearbeitet, das Problem zu lösen, dessen Lösung Gorm dann glückte.

Der Tag, an dem Gorm der Welt bekanntgab, daß der große Wurf gelungen . . . ein Tag tiefster Verzweiflung, tiefster Enttäuschung, tiefsten Sturzes für Canning. Vergeblich hatte er gearbeitet! Zerronnen die Wünsche, Hoffnungen, Träume von Reichtum, Glück . . . Ruhm.

Er hatte, an allem verzweifelnd, seinem Leben ein Ende machen wollen. In wüsten Träumen schon darüber gesonnen, welche Todesart er wählen sollte. Eine neue, unbekannte. Eine, die, noch nie dagewesen, seinen Namen wenigstens im Tode bekannt machen mußte.

Eine kleine Erfindung, die er einmal gemacht, ein Apparat, der, Strahlen größter Durchdringungskraft aussendend, verborgenste Tiefen entschleierte. In einer glücklichen Stunde war ihm die Konstruktion gelungen. Eine technische Spielerei in seinen Augen.

Geld . . . Ruhm . . . Ehre . . . das war damit nicht zu erringen! . . .

Damit sich töten! . . . Sich töten? Nein! . . . Die Todesgedanken schwanden, je länger er den Apparat betrachtete.

Diese geheimnisvollen Strahlen, vom Schicksal in glücklicher Stunde geschenkt . . . nicht den Tod . . . Glück sollen sie mir bringen . . . zur gegebenen Stunde . . . zu der Stunde, wo das Schicksal dem Glück gebeut, mir die Hand zu reichen.

Warten! . . . Warten! . . . der Tag . . . die Stunde wird kommen.

Der Gedanke hatte ihm neue Kraft gegeben, hatte ihn das Leben leichter ertragen lassen.

Fest saß die Hoffnung in seinem Herzen. Als Awaloff zu ihm kam, seine physikalischen Kenntnisse irgendwie für die Sowjetsache nutzbar machen wollte, da zweifelte Canning keinen Augenblick, daß jetzt die Stunde da sei, in der das Schicksal ihn belohnen wolle.

Er hatte den fortgeschickt, wiederzukommen nach Ablauf eines Mondes . . . Drei Tage . . . drei Nächte saß er, den Weg suchend . . . und dann wußte er ihn.

Er verließ Paris. Machte tausend Kreuz- und Querfahrten, um die Spur seiner Reise zu verwischen. Erreichte sein Ziel. – – – – –

Es gelang . . . zur verabredeten Zeit war er wieder in Paris . . .

Das Gesicht dieses Awaloff . . . unvergeßlich die Überraschung . . . die maßlose, fassungslose Überraschung in diesem Gesicht, als er ihm Waffen anbot . . . Gormsche Apparate als Waffen . . . Waffen, unbesieglich, unwiderstehlich . . . Waffen, mit denen der Sieg untrennbar verbunden. Waffen, so fürchterlich, wie sie noch nie verwendet. Schon die Überraschung mußte den Sieg bringen. Die ganze Welt mußte den Herren dieser Waffen zu Füßen liegen.

Der andere . . . es dauerte lange, bis er es begriff. Dann . . . mit heiserer Stimme hatte der geschrien:

»Was? . . . Was verlangen Sie dafür?«

»Drei Millionen Rubel!«

Die Zahl . . . unerhört groß erschien sie Canning damals . . . kam nur zögernd aus seinem Munde.

Awaloff hatte nur zustimmend genickt, ihm wortlos die Hand gedrückt. – – Später . . . wie oft hatte Canning nicht mit Ärger und Mißbehagen an diese Stunde gedacht . . . Mehr! . . . Fünf Millionen! . . . Zehn Millionen! . . . Du Tor, hättest du sie gefordert . . . er hätte sie dir auch gegeben.

Wieder hatte er Paris verlassen, die Arbeit zu beginnen. Die Furcht vor Beobachtung und Verfolgung hatte ihn gehetzt von Ort zu Ort, von Land zu Land. Bis drei Monate später die Modelle fertig – –

Zwei sich begegnende Flugschiffe in höchster Höhe. Er in dem einen, Awaloff in dem anderen. Die Helikopterenflügel ausgeworfen, eine Laufbrücke vom einen zum anderen Schiff gestreckt . . . so waren die letzten Verhandlungen vor sich gegangen.

Die Probe des Apparates hatte den Beweis gegeben . . . das Sowjetgeld war echt und gut . . .

Jeder zurück mit seinem Schatz.

Er kam damit hierhin . . . erschuf sich hier im Gran Chaco sein Reich . . .

Die anderen stürzten Throne, zerstörten die halbe Welt. Er blieb kühl und gelassen dabei. Doch, als die rote Macht immer weiter wuchs, immer weiter sich dehnte, die ganze Welt in Trümmer zu schlagen drohte, da ergriff ihn die Angst . . . die Angst um seinen Besitz.

Sein Glück . . . sollte es trügerisch ihn verlassen wollen? Die Krallen der roten Bestie griffen jetzt auch hierher . . . Zusammenbruch? . . . Es konnte nicht sein! . . .

Doch was tun, um sich zu retten?

Die lose Verbindung mit den Bolschewiken . . . mit allen Mitteln hatte er sich dagegen gewehrt, sich in die Netze ihrer Organisation mitverwickeln zu lassen . . . jetzt suchte er nach Awaloff . . . suchte durch ihn Fühlung zu bekommen . . . vorsichtig . . . wer wußte, wie der Riesenkampf ausgehen würde.

Am Bosporus waren sie zusammengekommen.

Der Ausgang der Schlacht . . . mit jedem zerstörten roten Geschwader wurde die Last, die Canning drückte, leichter. Tiefster innerlicher Jubel in ihm, als die Niederlage der Roten vollendet . . .

Doch nicht eher glaubte er sich und seinen Besitz sicher, bis des anderen Mund stumm. Der wußte zuviel . . . zuviel, als daß er leben durfte. Und als der nun gar in seiner Vertrauensseligkeit verriet, daß er die Papiere bei sich trug, da stand Cannings Entschluß fest. Und was war's schließlich? . . . Ein Roter mehr oder weniger . . . Was kam's darauf an?

Und als hätte er die letzten Grillen von sich gescheucht, sah er jetzt mit Freude sein herrliches Heim aus der Ebene winken.

Sein Auge ging weiter. Dort drüben, da hinten auf der Flußhöhe, Buena Vista, das weiße Haus van der Meulens, . . . Hortense! . . . Morgen würde er sie wiedersehen.

*

Die drückende Mittagshitze, vor der auch die breiten, dichten Blattkronen der Parkbäume nicht zu schützen vermochten, hielt die Bewohner von Buena Vista in den Räumen des Hauses fest. In einem nach Süden gehenden Zimmer, dessen Fenster dicht verhängt waren, ruhten Hortense van der Meulen und Violet Lee in bequemen Liegestühlen.

War's die Schwüle, war's die Stimmung . . . nur mühsam schleppte sich das Gespräch dahin. Eine Dienerin trat ein, brachte eine Schale eisgekühlter Früchte . . . durch die offene Tür des Nebenzimmers klang das Schrillen des Telephons. Violet sprang auf und eilte hinaus . . . war sogleich wieder da.

»Mister Canning ist am Apparat!« Hortense war bei der Nennung des Namens kurz zusammengezuckt. Sie beugte sich vor, als wolle sie sich erheben. Blieb sekundenlang starr sitzen. Die natürliche Blässe ihres Gesichtes hatte sich verstärkt. Ein nervöses Zittern lief über ihre Mienen. Dann, als hätte sie sich gefaßt, sprang sie auf, ging zum Hörer.

Der kurze Weg gab ihr die Gewalt über sich wieder. Violet biß gerade herzhaft in eine saftige Frucht, als ein Surren sie mit offenem Munde aufhorchen ließ.

»Das Postschiff!« rief die Dienerin. Da war auch Violet schon hinausgeeilt. Das Schiff schoß eben über den Hof der Hazienda, ließ in geschicktem Wurf die Post in ein aufgespanntes Netz fallen und verschwand über dem Park. Der alte Mayordomo ließ das Netz zu Boden und trug den Ledersack ins Haus. Während er den Inhalt umständlich sortierte, hatte Violet schon einen Brief mit ihrer Adresse erspäht. Mit schnellem Griff nahm sie ihn an sich, riß ihn im Weitergehen auf. Schon die Marke hatte ihr den Schreiber verraten.

Während sie langsam die Treppe hinaufstieg, überflog sie den Inhalt. War's der, war's das Treppensteigen? . . . Als sie oben war, lag helle Röte auf ihren Zügen. Doch das Lachen ihrer Augen verschwand, als sie in das Zimmer trat und Hortense sah. Die lag auf einem Diwan, das Gesicht in die Hände vergraben. Da war auch schon Violet neben ihr.

»Miß Hortense! Ich will, ich kann nicht länger schweigen . . . verzeihen Sie mir . . . aber ich selbst leide, wenn ich immer wieder sehen muß, wie Sie an diesem Verhältnis zu Robert Canning kranken, siechen. Ich kenne Ihre Gefühle für ihn nicht. Nur das eine weiß ich, sehe ich täglich, daß Sie niemals das wahre Glück an seiner Seite finden werden. Zur vollen Liebe gehört volles Vertrauen, und das . . .«

Hortense ließ die Hände sinken, starrte Violet mit zusammengezogenen Brauen an.

»Miß Violet! . . .«

Der Ton, der Ausdruck ihres Gesichts . . . Violet wandte sich verlegen ab. Tränen der Scham rollten über ihre Wangen. Wie sie so dastand in ihrer rührenden Hilflosigkeit, glätteten sich Hortenses Züge. Sie sprang auf, legte den Arm um die.

»Nicht weinen, Kleines! Ich weiß wohl, Sie meinen es gut . . . Doch ich glaube, Sie sorgen sich unnötig . . . es wird schon alles gut werden . . .

Robert Canning wird heute noch kommen. Er hat uns viel zu erzählen von den großen Ereignissen in Europa, die er zum Teil mit eigenen Augen gesehen hat . . . Aber was ist das?«

Sie bückte sich zu Boden, hob den Brief auf, der Violets Hand entglitten war. Warf einen Blick darauf, gab ihn lächelnd zurück.

»Sieh da! Die kleine Violet spricht schon aus Erfahrung.«

Sie eilte Violet, die sich errötend zum Tisch flüchtete, nach.

»Erzählen Sie doch! Was schreibt unser gemeinsamer Freund Stamford . . . In Lahore ist er, wie ich ersah. Kommt er nicht bald mal wieder hierher?«

»Ach nein, Miß Hortense! Denken Sie doch, er schreibt, daß er eine große Reise vorhabe, von der er hoffe, gesund zurückzukehren.«

»Eine große Reise? Nun, ich dächte, größere Reisen als seine jetzigen . . .«

»Damit meint er sicher eine gefährliche Reise.«

»Ach! Was heißt heute gefährliche Reise? Die großen Flugschiffe kennen keine Reisegefahren mehr.«

Van der Meulen trat in das Zimmer.

»Große Reise? . . . Wer denkt an reisen?«

»Ich, lieber Vater! Reisen möchte ich! . . . Und recht bald . . . Die Welt ist wieder ruhig geworden.

Violet hat mir so viel von ihrer englischen Heimat erzählt. Ich möchte mit ihr dort hinfliegen. Und am schönsten wäre es, du, alter Pa, kämst mit uns . . . und du wirst es tun, wenn wir dich herzlich bitten.«

Van der Meulen zuckte die Achseln.

»Hm! Von meiner Seite . . . Was wird Canning dazu sagen?«

»Ah! Er rief vorhin an. Er ist zurück. Er wird bald kommen.«

»Das ist interessant, Hortense. Er kommt aus Europa. Zweifellos wird er uns Näheres über den Verlauf der Kämpfe, den Umfang der Verwüstungen berichten können. Ich hörte von meinem Korrespondenten, daß ein Lebensmittelmangel droht. Habe schon heute morgen große Ladungen nach Europa abgehen lassen. Doch ich denke, wir gehen in den Park. Die Sonne neigt sich schon, die schlimmste Hitze ist vorbei.«

»Geh nur voraus, Pa, wir kommen gleich nach.«

Kaum hatte van der Meulen den Raum verlassen, wandte sich Hortense mit unterdrückter Erregung an Violet.

»Robert Canning wird in Kürze hier sein. Ihr werdet ihm draußen begegnen. Ich . . . bleibe hier. Sie . . . werden mich entschuldigen . . . die Schwüle, die Hitze des Tages . . . ich habe Kopfschmerzen. Unmöglich, ihn zu begrüßen.«

Violet wollte erschrocken noch eine Frage stellen, da war Hortense schon im Nebenzimmer verschwunden. Der Riegel fiel zu.

Einen Augenblick stand Violet überlegend. Dann glitt ein zufriedenes Lächeln über ihr Gesicht. »Ich glaube auch, es wird schon gut werden.«

Sie traf van der Meulen am Parktor, wo er die Straße nach Norden entlangschaute.

»Die Staubwolke da oben. Ich denke, es wird Canning sein.«

Ein paar Minuten später hielt dessen Auto vor dem Tor. Van der Meulen öffnete, schritt ihm entgegen.

»Ich begrüße Ihre glückliche Rückkunft, mein Lieber. Sie sind ein kühner Geschäftsmann, daß Sie sich in dieser Zeit in den Hexenkessel hineinwagten. Sie werden uns sicher viel erzählen können. Vielleicht waren Sie sogar Zeuge von Kämpfen . . .«

». . . Die große Schlacht über der Katalaunischen Ebene, van der Meulen! . . . Ja, ja! Sie sehen mich staunend an. Ein Zufall ließ mich Zeuge sein. Doch das später. Wo ist Hortense? Ah, guten Tag, Miß Violet. Hortense? Wo ist sie?«

»Miß Hortense läßt um Entschuldigung bitten, Mr. Canning. Die Schwüle, die Hitze dieses Tages verursachten ihr unerträgliche Kopfschmerzen. Sie . . .«

Canning warf einen schnellen Seitenblick auf van der Meulen, der mit erstauntem Gesicht zu Violet schaute.

»Ah! Ich bedauere sie außerordentlich.« Canning biß sich nervös auf die Lippen. »Ich hoffe, daß . . . das wohl bald vorübergehen wird, und ich noch Gelegenheit haben werde, Hortense zu sehen.«

Während van der Meulen und Canning in dem japanischen Lusthause saßen, das an dem Parkweiher stand, war Violet in das Haus zurückgegangen, für Erfrischungen zu sorgen. Ein paarmal klopfte sie an die verschlossene Tür Hortenses . . . umsonst . . .

Als sie zu dem Pavillon zurückkehrte, fühlte sie die dunklen Augen Cannings fragend auf sich gerichtet. Sein Besuch dehnte sich schon über Gebühr aus. Umsonst harrte der auf Hortenses Erscheinen.

Als er endlich abfuhr, suchten seine Augen vergeblich die lange Fensterreihe ab.

*

Das Herannahen starker weißer Kräfte aus Nordamerika ließ den Admiral Serrato, den Befehlshaber der verhältnismäßig schwachen südamerikanischen Luftkräfte, alles Zögern vergessen. War es ihm gelungen, das Land zu säubern, die roten Geschwader bis auf den Isthmus zu drängen, so wollte er die Frucht seiner Siege nicht zuletzt mit denen vom Norden teilen.

Setzten die Roten sich zur Wehr, mußte der Kampf schwer werden, denn sie waren ja durch die vom Norden her versprengten roten Geschwader verstärkt.

Trotzdem! . . . Er wollte es wagen. Noch am selben Abend stieß er vor.

Er hoffte, sie überraschend angreifen zu können. Die Meldungen der vorausgeschickten Patrouillenschiffe bekräftigten ihn in seiner Hoffnung.

Ein großer Teil der roten Geschwader war auf Coiba, einer kleinen Insel südlich des Isthmus, niedergegangen. Der rote Führer war dabei, Apparate und Mannschaften der schwerbeschädigten Schiffe auf andere zu nehmen, die leichter beschädigten auszubessern. Ihn dort zu überraschen, vernichtend zu überfallen, mußte das Ziel des Admirals Serrato sein.

Mit abgeblendeten Lichtern, in dichter Formation, stieß seine Flotte in weit nach West ausholendem Bogen vor.

Die roten Patrouillenschiffe merkten zu spät das Herannahen des Feindes. Noch ehe die auf der Insel sich erhoben, kampfbereit gemacht hatten, war Serrato heran.

Wohl warfen sich die ungeordneten roten Geschwader todesmutig dem Angreifer entgegen. Ein heißer, erbitterter Kampf entstand, und manches Schiff Serratos stürzte brennend ab. Doch auf die Dauer ließ der Widerstand der Roten immer mehr nach. Ihre Verluste wurden größer und größer.

Immer weiter umklammerten die Flügel der südamerikanischen Flotte den Feind . . . schlossen sich zu einem Ring, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.

Über Coiba eingekesselt, sanken die letzten roten Schiffe in die Tiefe, auf den Felsen in feuriger Glut zerschellend. Und der Brand von ihnen fraß weiter, ergriff alles Brennbare. Ein paar Bomben noch auf die anderen Schiffe, die manövrierunfähig auf der Insel lagen, vollendeten die gänzliche Vernichtung.

Die Sieger näherten sich, so weit es möglich war, der Stätte des Todes. Die Riesengluten da unten verhinderten eine Landung.

Gegen Mittag kam auch die nordamerikanische Flotte in Sicht. Fand zu ihrer Überraschung, daß die Arbeit schon getan. Es blieb dem Unionsadmiral nur übrig, die Siegesdepeschen Serratos nach Washington zu bestätigen.

Hier wirkte die Nachricht zwiespältig. Man gönnte es den lateinischen Brüdern nicht, ohne Unionshilfe mit den Roten fertig geworden zu sein. Die Bestrebungen, eine nordamerikanische Hegemonie in Südamerika zu errichten, seit so vielen Jahren teils offen, teils versteckt zäh verfolgt, sie wären durch einen Sieg, bei dem die Waffen der Union in entscheidender Weise beteiligt, so sehr unterstützt worden. Jetzt würden die Gegner dieser Bestrebungen dort unten für geraume Zeit Oberwasser haben.

In Südamerika löste der allein erkämpfte Sieg ungeheuren Jubel aus. Admiral Serrato war der Held des Tages.

Noch lange leuchtete als Siegesfackel das brennende Coiba. Als der Brand erloschen, war, wo einst schönes, grünes Eiland gewesen, eine wüste, schwarze Trümmerfläche . . . gemieden von Menschen und Tieren.

*

Sie standen zur Reise gerüstet.

»Es ist unmöglich, daß das Mädchen noch im Hause ist. Sie ist schon in der ersten Nacht entflohen, wenn es mir auch ein Rätsel ist, wie sie es bewerkstelligt hat. Wenn das Schicksal es will, werden wir ihr wieder begegnen.«

Dr. Stamford öffnete Gorm die Tür. Doch der zögerte. Seine Augen gingen wie suchend durch das Haus, als müsse die Tänzerin noch im letzten Augenblick erscheinen. Strich sich dann wie abwesend über die Augen.

»Was ist das, das alle meine Gedanken so an dieses Mädchen . . . diese Bettlerin, fesselt? . . . Schon beim ersten Erblicken ein Vibrieren innerster Nerven. Sind es Schicksalsfäden . . . Bande, die mich an dieses Geschöpf ketten? Es muß so sein! Ich fühle es, soviel ich mich auch dagegen wehre.

Sie, der Sie so lange hier gelebt, so tief in die Mysterien dieses Landes geschaut, müßten es begreifen . . . mich verstehen . . .«

Stamfords Augen hafteten auf den vom überstandenen Fieber noch bleichen Zügen Gorms. Langsam kam es von seinen Lippen:

»Das Karma nennt es der fromme Buddhajünger hier im Lande, unwandelbar jedem von Anbeginn der Zeiten bestimmt. Es kann auch das Schicksal der einzelnen Menschen untrennbar verknüpfen. Die Bande trotzen dem Wechsel der Jahrtausende. Was auch kommen mag, die das Karma bindet, werden sich immer wieder finden.«

»Ich weiß es! Fühle, daß es nicht das bloße Mitleid ist, das ich für das Schicksal der Ärmsten hege, und finde keine Ruhe. Ich fühle, wie die Last ihres traurigen Schicksals sich auf meine Schultern legt, dulde und leide mit ihr.«

Stamford nickte. »Alles, was Sie sagen, verrieten Sie mir schon in Ihren Fieberträumen. Majadevi, die Tänzerin! . . . Immer wieder kam der Name von Ihren Lippen.«

»Ich würde sie suchen über die ganze Welt, wenn mich nicht die andere, die große Aufgabe riefe.«

Der Diener Stamfords schritt mit ein paar leichten Koffern vorbei.

»Der Wagen ist da, Herr Doktor.«

»Kommen Sie, Freund! Denken Sie immer, daß das Karma nicht trügt. Vergessen Sie aber auch nicht, daß es sich nicht gegen seinen Willen meistern läßt . . . Kommen Sie! Das Postschiff wartet nicht.«

In eiliger Fahrt brachte sie der Wagen zum Flugplatz. Das Schiff stand fahrtbereit, trug sie in schnellem Flug über die schneeigen Kämme des Himalaja, landete im oberen Industale in Dargu, bevor noch die Sonne merklich gesunken.

Auf Saumtieren erreichten sie noch am Spätabend Suru, ein einsames Lamakloster in den Bergen. Nach einer kurzen Begrüßung des Abtes, der Weland Gorm als alten Freund willkommen hieß, begaben sie sich zur Ruhe.

Am nächsten Morgen setzten sie die Reise fort. Immer steiler der Pfad, an rauschenden Wassern entlang. Jetzt ein einsames Seitental, allseitig von schneeigen Gipfeln eingeschlossen.

Da lag sie vor ihnen, die Stätte, an der Gorm, vor der Welt verborgen, seit Monaten schaffte. Sie waren in seiner Werft.

*

Die Bark »Constanza« lief mit Südkurs durch den Pacific. Es war der dritte Tag ihrer Reise von San Salvador nach Buenaventura. Auf der Höhe von Coiba meldete der Koch dem Kapitän, daß der erste Süßwassertank leer, der zweite leck und zum größten Teil ausgelaufen sei. El Capitan Miguel Garcia sah den Koch erst eine Weile sprachlos an. Als er die Sprache wiedergefunden, fluchte er eine Viertelstunde lang alle Donnerwetter des Himmels auf das Schiff, den Reeder, die Fässer herunter. Dann begab er sich in die unteren Räume, besah sich den Schaden und fluchte nochmals eine Viertelstunde. Der Koch, der den Vorschlag machte, Coiba anzulaufen, rettete sich nur durch einen Seitensprung vor dem Schlag, den ihm der Kapitän zugedacht.

Langsam stieg Garcia die Treppe wieder nach oben. Auf Backbord sah er mit bloßem Auge die Umrisse der Insel. Er überlegte lange. Der nächste Hafen, der in Betracht kam, war zu weit. Der geringe Wasservorrat hielt nicht so lange vor.

»Ruder hart backbord!« brüllte er dem Rudergast zu. Er erinnerte sich dunkel einer Bucht der Insel, wo gut an Land zu kommen war.

Eine Stunde später ließ die Bark eine halbe Seemeile vom Ufer entfernt den Anker fallen. Nur ungern hatte der Kapitän sich zu diesem Manöver entschlossen. Seit der großen Bolschewikenschlacht war das kleine Eiland in Verruf gekommen.

War auch die ganze Insel durch Feuer vollkommen verwüstet, so konnte er doch hoffen, ein paar Süßwasserbrunnen zu finden, denen das Feuer nichts angetan.

Ein Boot wurde flottgemacht, stieß an Land. Kapitän Garcia war selbst dabei. Mit einer halben Flasche Rum hatte er seine Bedenken beschwichtigt, den Fuß auf die verrufene Insel zu setzen.

Die kleine Expedition hatte Glück. An der Stelle einer früheren Fischereisiedlung unweit des Strandes fand man einen Brunnen, der genügend gutes Wasser gab. Während das Boot hin und her fuhr, das Naß an Bord zu bringen, streifte Kapitän Garcia am Strande entlang. Tiefer in das Innere wagte er sich trotz der Rumflasche nicht.

Ein weißschimmernder Fleck zog ihn an. Er ging darauf las, fand große Massen geschmolzenen Aluminiums, das von den roten Schiffen herrührte, die hier in Massen vernichtet waren. Der Gedanke kam ihm, ein Stück des Metalls loszubrechen und als Andenken mitzunehmen. Während er sich bemühte, einen Brocken zu lockern, fühlte er allmählich eine intensive Wärme unter seinen Sohlen, die ihn aufmerken ließ.

Er blickte nach unten. Da war nichts zu sehen. Wo er stand, war steiniger Boden. Nach einer Weile verspürte er die Wärme immer stärker. Verwundert bückte er sich, legte die Hand auf die Erde. Das Gestein war sehr warm.

Er tastete weiter um sich. Der Boden wurde bald wärmer, bald kälter. Endlich glaubte er die Richtung gefunden zu haben. Er machte ein paar Schritte nach vorn, bückte sich wieder, fühlte mit der Hand, zog sie mit einem Schrei zurück. Blies sich auf die Finger, als hätte er glühendes Eisen angefaßt. Sprang dann hastig ein paar Schritte zurück.

Kopfschüttelnd stand er da. Wußte keinen Rat. Was konnte das sein? Er faßte sich an den Kopf, ob er träume oder wache. Lief dann, so schnell ihn die Füße trugen, zu den Matrosen, die Wasser schöpften. Hieß die alles stehen und liegen lassen und mit ihm kommen.

Die folgten ihm langsam. Schüttelten den Kopf . . . lachten. Der Brand war wohl eher im Kopf als in den Füßen des ehrenwerten Garcia. Der hatte aber ihre stichelnden Spottreden wohl gehört und dachte ingrimmig lächelnd: Werde euch schon das Lachen über euren Kapitän abgewöhnen, ihr Burschen!

Er führte sie zu der Stelle, wo der Boden am heißesten war. Kommandierte sie, zu gleicher Zeit ihre Hand auf das Gestein zu legen.

Eine Sekunde nur . . . dann sprangen die mit lautem Wehgeschrei auf, taumelten erschrocken zurück, schlenkerten ihre Hände in der Luft, tanzten, als ständen sie auf glühenden Kohlen.

Don Miguel glaubte, in seinem Leben keinen so guten Spaß vollfuhrt zu haben. Er lachte . . . lachte, daß ihm die Tränen über die runden Backen liefen.

Als endlich Ruhe geworden, standen sie in respektvoller Entfernung und sahen sich ratlos an. Keiner sprach ein Wort. Wußte doch keiner eine Erklärung.

Die Mannschaften des Bootes, das inzwischen wieder gelandet war, kamen auf den Anruf Garcias ebenfalls heran, und zur allgemeinen Freude wiederholte El Capitan denselben Scherz mit den Neuen. Dasselbe Schauspiel noch einmal.

Ein paar Ängstliche fingen an zu flüstern . . . von bösen Geistern, die auf dieser Insel weilten . . . das Wort ging von einem Ohr zum andern . . .

Ohne Kommando . . . Don Miguel an der Spitze, setzte sich die ganze Gesellschaft in beschleunigtem Schritte nach den Booten hin in Bewegung. Man vergaß in der Eile, die letzten Gefäße zu füllen, stieß ab und ging an Bord.

Dort machte das geheimnisvolle Abenteuer alsbald die Runde durch die Schiffsmannschaft. Die Anker gingen hoch, das Schiff setzte seinen Kurs nach Süden. Erst als die Insel außer Sicht gekommen, wagte man es, über den Spuk laut zu sprechen.

Drei Tage später lief die Constanza in Buenaventura ein. Garcia meldete das Erlebte dem Hafenkapitän, während die Mannschaft dafür sorgte, daß Hafen und Stadt in kurzer Zeit von dem Abenteuer erfuhren.

Die Abendzeitungen brachten schon in großer Aufmachung unter der Überschrift »Das Geheimnis von Coiba« die ersten Nachrichten. Durch Draht und Funk erfuhr es die ganze Welt. Doch nur wenige beachteten es.

Man begann erst interessiert aufzuhorchen, als einen Tag später von dem 50 000-Tonnen-Dampfer »Arkadia« die Radiodepesche in alle Welt ging und den Befund der Mannschaft von der Bark »Constanza« bestätigte.

Die »Arkadia«, auf dem Wege von Panama nach San Franzisko, machte auf Bitten des Professors Jefferson von der Universität Chikago unweit der Insel halt. Professor Jefferson wurde an Land gebracht, fand alsbald die Stelle, die durch die Aluminiumtrümmer kenntlich war. Die Entdeckung des Kapitäns Garcia wurde in jeder Weise bestätigt. Da die Dispositionen der »Arkadia« nur einen kurzen Aufenthalt gestatteten, konnte Professor Jefferson eine nähere Untersuchung nicht vornehmen. Der Bericht schloß: Es steht außer Zweifel, daß eine baldige wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens dringend erwünscht ist. Schon jetzt kann gesagt werden, daß irgendwelche vulkanischen Einwirkungen nicht in Frage kommen können.

Der nächste Tag brachte bereits Pressenachrichten in großer Zahl. Alle möglichen gelehrten und ungelehrten Leute äußerten sich zu dem Fall. Die meiste Beachtung fand eine Erklärung des Professors Körte von der Berliner Universität, dessen Gutachten in folgenden Worten gipfelte:

»Wenn es auch ohne Untersuchungen an Ort und Stelle schwer möglich ist, eine bündige Erklärung abzugeben, so liegt der Verdacht doch sehr nahe, daß es sich hier um einen Atombrand handelt. Wie Kapitän Garcia und Professor Jefferson übereinstimmend aussagen, befinden sich dicht bei der heißen Stelle große Mengen von Trümmern zerstörter Flugschiffe.

Ich nehme an, daß die Apparate dieser Schiffe, durch Bombenwurf gleichzeitig zerstört, auch gleichzeitig ihre ganze Energie in solchen Mengen entluden, daß die Materie an dieser Stelle in ihrer Atomstruktur bis zum Zerbrechen erschüttert wurde.«

. . . Doch nur die Wissenschaftler erfaßten ganz den Ernst dieser Worte. Die große Menge ging ungläubig und uninteressiert darüber hinweg.

Auch die Nachricht, daß von dem Physikalischen Institut in San Franzisko eine Expedition nach Coiba geplant sei, fand wenig Beachtung.

Erst als einzelne Stimmen auch dies Vorkommnis mit Weland Gorm in Verbindung brachten, begann sich die öffentliche Meinung zu regen. Der tiefe Groll gegen Gorm bekam neue Nahrung.

Wo war der? . . . Warum erschien er nicht vor der Öffentlichkeit, sich zu verteidigen? . . .

Der großen Menge schien sein Schweigen ein Schuldbekenntnis zu sein. Kam er nicht freiwillig, mußte man ihn suchen . . . gewaltsam vor den Richter bringen.

 

* * *

 


 << zurück weiter >>