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Drittes Kapitel.


Also ist der Welt Freud zu achten;
Wie reich, wie jung, zart, edel man in dieser Frist,
Und wie gewaltig man mag seyn,
Das ist zergänglich und nimmt schier ein Ende.

Im Hause des Herrn vom Rhein hatte das plötzliche Verschwinden Imagina's Sorge und Bestürzung verbreitet. Da man zugleich die zwei neugeworbenen Dienstboten vermißte, so traf diese ein schwerer Verdacht, in irgend einer freilich räthselhaften Absicht das Kind bei Seite geschafft zu haben. Als der Abend vorübergegangen, als Mitternacht nahe und weder von Imagina, noch dem Knechte und der Magd eine Kunde eingelaufen war, vereinigte man sich in der Vermuthung, das Kind möge von den losen Dienern, unter allerlei Vorspiegelungen und Überredungen, bewogen worden seyn, sich mit ihnen zu den Geißlern zu begeben, um in der Theilnahme an ihrer düstern Buße eine Schwermuth zu heilen, die sich ihrer sonst heitern Seele, wenn sie der frühe geschiedenen, unglücklichen Eltern gedachte, nicht selten bemächtigte. Unzählige Beispiele lehrten, daß von diesem wahnsinnigen Geiste der Zeit Männer und Frauen, deren Seelenstärke sich in vielen Wechselfällen des Lebens bewährt, plötzlich befallen worden und sich ihm sklavisch hingegeben, wie viel leichter konnte nicht ein unerfahrenes Mädchen, ein Kind, dessen Gemüth eben so reizbar und schwach, wie lebendig war, von dem Strome, dem so Wenige widerstanden, hingerissen worden seyn!

Vor Frau Gisela suchte man dieses seltsame Ereigniß zu verbergen. Wenn sie in Augenblicken, wo sie sich vorübergehend von dem innern Kampf ihrer Zweifel befreit fühlte, nach dem Kinde fragte, so wurde eine Unpäßlichkeit als Ursache von Imagina's Abwesenheit angegeben. Regina litt unsäglich unter der Besorgniß um die schwesterliche Freundin, unter der fortdauernden Gemüthskrankheit der geliebten Pflegemutter, deren traurige Selbstanklagen jetzt einen ernstern, schrecklichen, an Wahnsinn gränzenden Charakter anzunehmen droheten. Ihre Blindheit war jetzt nicht mehr ein körperliches, sie war ein Seelenleiden für sie geworden. Sie sah sie immer nur als ein strafendes Gericht Gottes, als das Zeichen seines Zornes an, über dessen Versöhnung sie jenen Kampf peinigender Zweifel bestand. Vor Salentin fürchtete sie sich. War er es nicht, dessen Streben, dessen Hoffnung, ihr den Gebrauch des zartesten Sinnes wiederzugeben, sich gegen ein Geschick, das ihr als der heilige Wille Gottes erschien, auflehnen wollte? In den Worten seiner Liebe, in den rührendsten Bemühungen, sie zu der Erkenntniß der Wahrheit zurückzuführen, glaubte sie nur die Stimme der Verführung, die Lockungen eines bösen Geistes, der die Liebe des Kindes zu seinen Gott beleidigenden Zwecken mißbrauchte, wahrzunehmen. Regina brachte die Nacht wachend an ihrem Lager zu. Welche Prüfung für ihr liebevolles, dankbares Herz, die edle Frau, eine Heilige an frommem und tugendhaftem Wandel, in Jammer und Verzweiflung ringen zu sehn, Verwünschungen zu hören, die sie gegen sich selbst ausstieß, Zeuge der Ströme von Thränen zu seyn, die sie über eine Sündenschuld, welche nur in dem traurigsten Wahne bestand, vergoß!

Den jungen Arzt rief der Morgen zu seinen Kranken, die sich seit einigen Tagen auf eine beunruhigende Weise vermehrten. Eine düstre Ahnung ergriff ihn, als er sich von Regina, die ihn zur Hausthüre begleitete, trennte.

»Das Leben,« sprach er, »treibt ein grausames Spiel mit uns. Der Wettersturm des Wahnsinns zieht auf die unglückliche Mutter heran; Imagina, die wir in kurzer Zeit alle lieb gewonnen, wie ein Kind vom Hause, ist uns auf eine unerklärliche Weise entrissen. Von dem Vater will ich nicht reden, denn seine männliche Kraft beginnt schon, sich wieder unter dem Drucke der Ereignisse, die sie niedergebeugt, zu erheben. Er ist selbst ausgegangen, Forschungen nach dem Kinde anzustellen, und dieses Geschäft wird ihn wohlthätig zerstreuen. Aber du, Regina? Wo ist jetzt das Heiligthum eines Hauses, das wir vor den Gewaltthätigkeiten jener Unseligen sicher glauben könnten, unter denen auch dir ein Verfolger droht? Ich verlasse dich mit schwerem Herzen, Regina. Möge jener wunderbare Mönch, der mit dem Geheimnisse deines Daseyns vertraut scheint, der schon einmal, als ein hülfreicher Schutzengel dich dem wüthenden Geißlermeister entriß, über dir wachen, wenn ich fern bin.«

Regina suchte den Freund zu beruhigen. Es war nicht zu glauben, daß man das Haus mit Gewalt zu erbrechen wagen würde, und gegen einen andern Versuch schützten Schloß und Riegel. Nur Hartmuth und Regina blieben bei Frau Gisela zurück. Die Treue des alten Dieners war bewährt, seit der Entfernung des fremden Lohngesindes konnte kein Argwohn eines Verrathes im Innern des Hauses mehr statt finden. Dennoch schied Salentin mit innrem Widerstreben. Er fühlte sich von unklaren Besorgnissen, von trüben, verwirrten Bildern neuer drohender Mißgeschicke erfüllt.

Erst gegen Mittag kehrte der alte Herr zurück. Seine Bemühungen, eine Kunde von der verlorenen Imagina zu erhalten, die obrigkeitlichen Behörden zu Nachforschungen nach dem Kinde und den zwei entwichenen Dienstboten zu veranlassen, waren vergeblich gewesen. Man wollte in dieser Zeit, wo eine geringfügige Ursache die Sicherheit des gesammten städtischen Wesens auf das Spiel setzen konnte, sich durchaus zurückgezogen halten und am Wenigsten gegen die Geißler, die bereits eine Besorgniß erregende Gewalt auf das Volk übten, auftreten. Dann mußte Herr Hanns auch wiederum bemerken, daß er keine Freunde bei Rath besaß. Man sah den Mann ungern, der, als kaiserlicher Vogt, eine gewisse Unabhängigkeit vor der reichsstädtischen Obrigkeit behauptete, der die oft mit Schmälerung bedroheten Rechte der kaiserlichen Kammerknechte kühn und unpartheiisch vertrat. Gern nahm man dieser Gelegenheit wahr, dem heimlich genährten Groll, unter hinlänglich scheinenden Vorwänden, ein wohlgefälliges Opfer zu bringen.

Der Herr vom Rhein fühlte sich in seinem Patricierstolze, in seiner Amtswürde gekränkt. Er glühete noch vor Unwillen, als auf sein Klopfen die Thüre seiner Wohnung geöffnet wurde, als er die Schwelle seines Hauses betrat. In diesem Augenblicke zupfte man ihn am Mantel. Er wandte sich um und erblickte einen Knaben, der ihn forschend ansah, dann einen goldnen Ring mit einem kleinen Steine darreichte und sprach:

»Ich soll Euch hinaus bescheiden zum Hof der guten Leute. Dort wartet Eurer Derjenige, der Euch diesen Ring sendet. Ihr findet ihn hinter der kleinen Kapelle am Wege, wo die Aussätzigen Almosen erbetteln. Es ist ein wunderliches Ding um den Fremdling. Vor ungefähr acht Tagen begehrte er in der Nacht bei uns Herberge, wo doch sonst nur die Aussätzigen um Gotteswillen Unterkunft und Pflege finden. Mein Vater, der Pächter vom Hofe, nahm ihn auf, weil er sich durchaus nicht fortweisen wollte lassen. Aber bei Sanct Lorenz hat der Vater geschworen, es müsse etwas Andres, etwas Vornehmeres hinter seiner Kaputze stecken, als ein bloßer Mönch von den grauen Büßenden. Gehabt Euch wohl, edler Herr! Vergeßt nicht: am Gut-Leut-Hof ist das Plätzchen, wo Ihr erwartet werdet.«

Der Knabe eilte fort; der alte Herr stand sprachlos. Er starrte den Ring an, den seine Hand hielt, er erkannte den Stein, in den die kunstfertige Hand eines Italieners einen sterbenden Löwen eingegraben hatte. Eine ferne Vergangenheit dämmerte vor ihm auf. Er sah sich wieder in Rom, wo er vor vielen Jahren diesen Ring gekauft, an der Seite seines Freundes Meinrad zum Jungen, dem er in einer vertrauten Stunde das Kleinod zum Angedenken verehrte. Und jetzt kehrte es plötzlich in seine Hand zurück! Er hatte es vergessen, es war mit tausend ähnlichen Dingen, welche die Zeit gibt und wieder nimmt, seinem Gedächtnisse entschwunden, es hatte keine Bedeutung mehr für ihn gehabt und mit einemmale trat es nun bedeutungsvoll, ernst an den verlorenen Freund erinnernd, vielleicht ihn verkündend in sein Leben! Doch nein! Der Knabe hatte von einem Mönche, von einem geweiheten Priester aus einem der strengsten Orden gesprochen. Und Meinrad – der alte Herr sah ihn noch immer vor sich im ritterlichen Schmucke, in jugendlicher Kraft, in der Blüthe seines Lebens und seiner Heiterkeit. Jenes Bild des unglücklichen, reuevollen Freundes war zu schnell an ihm vorübergegangen, um sich in seiner Seele festzusetzen; wenn er seiner gedachte, so legte er ihm das Äussere bei, unter dem ihm der Jüngling und Waffenbruder lieb geworden. Wie wenn der längst Verschollene jetzt erst gestorben wäre, und der Mönch ihm die Kunde seines Todes, den Ring als ein letztes Vermächtniß brächte? In diesen Gedanken glaubte Herr Hanns die Wahrheit getroffen zu haben. Er nahm sich nur Zeit, um Reginen durch Hartmuth von der Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen zu unterrichten, dann verließ er wiederum mit raschen Schritten das Haus und schlug den Weg nach jenem Orte ein, wohin ihn die Botschaft des Knaben, die wichtige Bedeutung des Ringes beschied.

Der Hof der guten Leute, im Munde des Volkes der Gut-Leut-Hof genannt, liegt unterhalb der Stadt am rechten Mainufer. Hier wölbt sich der Boden zu einem Hügel, der, wenn auch wenig über die ebene Umgebung hervorragend, dennoch eine offne, weite Aussicht Stromauf und abwärts bietet. Jenseits der großen fruchtbaren Ebene, die hier durch den Fluß begränzt wird, erhebt sie der waldige Taunus, mit seinen sanft gewölbten Anhöhen, mit den noch in ihrem Verfalle stolz emporstrebenden Trümmern der Festen Königstein und Falkenstein. An seinem Fuße fließt durch Wiesenauen das Flüßchen Ridda hin. Welche Erinnerungen einer großen, untergegangenen Weltherrlichkeit blühen an diesem Boden auf? Welche Trophäen, ruhmgeschmückt durch zahllose Siege, wühlt nicht oft das friedliche Werkzeug des Landmanns aus ihrem langen Grabe hervor? Die Weltgröße Roms ist verschwunden, wie ein Traum, der beängstigend auf der Geschichte der Völker lag, aber die Spuren dieser Größe drängen sich selbst in den fernsten Ländern, wohin sie reichten, mit ihrer Gruft empor und mahnen an Freiheit, Selbstständigkeit und eigene Größe. Der Hauch des Windes spielt jetzt mit der Aehre, die auf den Lagerplätzen der alten Weltherrscher wächst, der Friede ruht auf ihnen, denn sein Reich ist doch das dauerndste, weil es ein himmlisches ist.

In jener Zeit, mit der wir einige Ereignisse zu einem romantischen Bilde zusammenzustellen versuchen, bot der Hof der guten Leute noch nicht, wie jetzt, den Anblick ländlicher Ruhe und Harmlosigkeit dar. Er war mit einem breiten Laufgraben versehen, mit einer Umgebung starker Mauern, in denen sich mehrere Schießscharten zeigten und welche den Eingang nur vermittelst einer Zugbrücke, die am Abende aufgezogen wurde, gestatteten. Die Besitzer jener Ritterburgen, die damals noch unverletzt und in stolzem Trotze vom Saume des Gebirgs herüberdroheten, waren den Eigenthümern oder Pächtern solcher einsam gelegenen Höfe ebenso gefährlich, wie den Frachtwagen und Lastrossen der Kaufleute auf offener Heerstraße. Die Heerde des Landmanns galt ihnen für eine gute Beute, seine Erndte war vor dem gewaltigen Faustrechte nicht sicher. Da bedurfte es nun eigner Wehrhaftigkeit, stets fertiger Zurüstung den räuberischen Feind abzuhalten, bis die Bürger und Söldner der Stadt Hülfe brachten, die aber auch oft nicht zureichten und der Übermacht oder größern Kampffähigkeit der Raubritter weichen mußte.

Den guten Leuten, wie man die Bewohner des Hofes nannte, lag die besondere Verpflichtung ob, die am Aussatze Erkrankten, welche man für unheilbar hielt und ärger, als Pestkranke, verabscheuete, in Wohnung und Pflege zu nehmen Auch bei Straßburg und noch andern Städten, gab es solcher Höfe zu den guten Leuten, deren Bewohner dieselben Verpflichtungen gegen die Aussätzigen hatten. Hier stand eine Kapelle am Wege, der Mutter Gottes geweiht, in der kein Vorübergehender das Schärflein seiner Andacht darzubringen unterließ. An beiden Seiten der Kapelle befanden sich zwei enge Behältnisse, jedes groß genug, daß ein Mensch aufrecht darin stehn konnte. Hinter den eisernen Gitterfenstern dieser Behältnisse zeigten sich verlarvt und tief verhüllt jene unglücklichen Ausgestoßenen, mit zwei hölzernen Schalen zusammenklappernd und in diesen die Almosen, welche ihnen das Mitleid reichte, aufnehmend. Für sie gab es nicht Eltern, nicht Kinder, nicht Geschwister und andre Verwandte, nicht Freunde mehr. Die entsetzliche Krankheit trennte die heiligsten Bande des Lebens, sie schied glückliche Gatten, sie riß den Säugling von der Brust der Mutter. Was die Geselligkeit, was die bürgerliche Vereinigung den Menschen segensreich gewährte, das verlor der Aussätzige im Augenblicke der Entdeckung seines Übels. Für ihn war die Welt todt; er für sie – und dennoch fühlte er innig sich noch lebendig, dennoch sprachen in ihm alle schönen und liebevollen Empfindungen, wie sonst, dennoch blieb ihm die irdische Sehnsucht nach seinen Lieben und Freunden, dennoch trieb es ihn, sich den Menschen anzuschließen, mit ihnen zu streben, mit ihnen zu leiden, mit ihnen sich zu erfreuen. Aber nirgends eine Entgegnung dieser Stimmen in seinem Innern! Wie über Dante's Höllenpforte, so hätte auch über seinem kerkerähnlichen Aufenthalte die gräßliche Inschrift: Lasset alle Hoffnung draußen! ihre Stelle finden können.

Unfern der Muttergotteskapelle erblicken wir auf einem Steinsitze einen Mann, der uns nicht fremd ist. Freilich verbirgt ein weites graues Gewand seine Gestalt, eine tief herabhängende Kaputze seine Gesichtszüge; allein seine kräftige Haltung, das Edle seiner Bewegungen, lassen uns mit Bestimmtheit jenen Mönch in ihm erkennen, in dem Salentin den Sänger von der Ingelheimer Au ahnt, der bei jenem Bankett im Lateran Reginen süße Worte des Trostes und der Hoffnung zuflüsterte, der den bedrängten Simeon in seinen Schutz nahm und, wie ein vom Himmel gesandter Engel, zur Rettung Reginen's gegen Galeazzo auftrat. Er steht auf und schreitet unruhig auf dem Raume vor der Steinbank hin und her. Seine umherschweifenden Blicke ruhen bald auf den Wellen des Stroms, der sich hier in einer Krümmung an's Ufer drängt, bald auf den Häusern und Thürmen der Stadt, bald auf dem majestätischen Halbkreise des Waldgebirges, das mit weit ausgebreiteten Armen die reiche Ebene umschließt. Warum trübt sich da plötzlich sein Auge, warum entsteigt ein tiefer Seufzer der Brust, die gewiß schon das Grab vieler bittern Erfahrungen geworden? Ist es das fernherleuchtende Kapellchen der Hofheimer Höhe, das ihn zu Empfindungen der Andacht belebt? Ist es der Gedanke an das allgemeine Elend, das der Würgengel der Pest auch über diese gesegneten Gefilde gebracht, der ihn mit Trauer erfüllt? Folget nur der Richtung seines Blicks! Er hängt an jener schroffen Felsenspitze, auf der sich am Rande des Horizonts der stattliche Bau eines Ritterschlosses erhebt, an den Thürmen, die es krönen, an dem Himmel, der sich über ihm wölbt. Welche tief ergreifende Empfindungen, welche mächtige Erinnerungen ziehen von dort herüber und bewegen die Seele des Mönchs! Er breitet die Arme nach jener Gegend hin, sein ganzes Wesen zeigt sich von leidenschaftlichen Empfindungen hingerissen – da neigt sich sein Haupt plötzlich langsam und traurig zur Brust, seine Arme sinken nieder, er wendet sich um und nimmt seinen Platz wieder auf dem Steinsitz, das Haupt müde in die Hand stützend, sich Gedanken hingebend, die gewiß jede heitre Regung ausschließen. Und besitzest du keinen Freund, du Armer, in dessen Herzen du deinen Kummer ausschütten kannst, dessen Theilnahme ihn dir erleichtert? Ein Hund, dessen langsame Bewegungen, dessen ganzes Äußere Müdigkeit und Hinfälligkeit des Alters verkündigen, kriecht unter der Bank hervor. Er richtet sich an seinem Herrn auf, er sieht ihn mit treuherzigem Auge an, er leckt ihm wedelnd die Hände.

»Ich bin ausgezählet,
Man weisset mich Armen vor die Thür,
Untreu ich spür'
Nun zu allen Zeiten!«

singt mit halblauter, aber melodischer Stimme der Mönch klagend vor sich hin. Da vermehrt der Hund, als verstünde er den Sinn' dieser Worte, seine Liebkosungen. Er versucht, gleichsam um den Herrn zu erheitern, einige Sprünge, die ihm in den Tagen seiner Jugend besser gelungen seyn mögen, als jetzt, wo das Alter seine Glieder lähmt; er kehrt wieder zurück, er sucht erst durch leisere, dann durch lautre Töne den Herrn aus seinen düstern Träumereien zu erwecken.

Aber Herr und Hund bleiben nicht lange sich selbst überlassen. Von der Stadtseite her naht mit hastigen Schritten, mit ungeduldiger Gebehrde, ein Mann von stattlichem Ansehn. Dünne graue Locken drängen sich unter dem Barett mit der Reiherfeder hervor, aber er trägt das Haupt noch ungebeugt, sein Auge blickt lebhaft, wenn auch das Antlitz von Furchen des Alters durchzogen ist. Sein Anzug ist ein leichter ritterlicher, ohne Rüstung oder Panzer, ein kurzer Sammtmantel fällt von der Schulter herab. Die Blicke des Mannes schweifen forschend umher. Bald haben sie den Mönch gefunden. Seine Schritte beschleunigen sich, nach wenigen Augenblicken steht er vor dem grauen Büßenden. Jetzt wird dieser durch das unruhigere Bellen des Hundes, durch dessen Knurren, das die Annäherung eines Fremdlings verkündet, aus seinen Gedanken emporgerissen.

»Zurück, Probus!« ruft er und bei diesen Worten bebt der Wanderer aus der Stadt heftig zusammen, streckt mit zweifelhafter Gebehrde die Rechte gegen den Mönch hin und sieht ihn mit einem seltsamen Ausdruck, in den sich Hoffnung und Ungewißheit mischen, an. Der Mönch hat sich erhoben, doch macht er keine Bewegung, die dargebotene Rechte des Wanderers anzunehmen. Als wolle er geflissentlich jede Berührung mit ihm vermeiden, schlägt er beide Arme unter und betrachtet ihn mit einem langen, schmermüthigen Blicke.

»Ich versprach dir einst, daß du mich wiedersehn würdest;« hebt jetzt der Mönch in einem Tone an, der den Wanderer bis in die Tiefe seines Herzens erschüttert. »Viele Jahre sind seit jenem Tage hingeschwunden. Wir sind alt geworden; du in den Freuden des häuslichen Glücks, ich in Reue und Buße.«

»Meinrad!« rief Herr Hanns vom Rhein, den die Leser gewiß schon in dem Wandrer erkannt haben. »Du bist es, du stehst vor mir als ein Verlorener der Welt, in der düstern Kleidung eines schwer Büßenden!«

»Ich bin es!« antwortete schwermüthig der Mönch, indem er die Umarmung des alten Freundes mit einer verneinenden Bewegung zurückwies. »Berühre mich nicht! Sieh die Verweigerung meiner Hand nicht an, als ob das alte Wohlwollen in meiner Brust erstorben wäre. Es blüht ewig jung, ich habe es gepflegt mit Reue und Buße. Meine Gelübde sind streng. Sie verweisen mich in die Wohnung derjenigen, die die Menschheit mit Abscheu ausgestoßen, sie gestatten mir für dieses irdische Leben nur diese eine Zusammenkunft mit dir, die letzte, in der du mich wohl nicht umsonst wieder um Verzeihung betteln lässest!«

»Unglücklicher Freund,« versetzte tief gerührt Herr Hanns, »wie gern hätte ich damals schon an jenem schrecklichen Tage, als du mir dein Mißgeschick und deine Reue offenbartest, das Wort der Versöhnung gesprochen! Glaube mir, deine rasche Entfernung, die Unmöglichkeit, dich meine Gesinnungen wissen zu lassen, haben mir manche trübe Stunde verursacht. Jener Augenblick steht noch immer lebendig, entsetzlich vor meinem Geiste. Beim Haupte des heiligen Bartholomäus, es hätte auch mehr als menschlicher Kraft bedurft, in einem Sturme, der so plötzlich auf mich hereinbrach, wie dieser, die Besonnenheit zu bewahren! Aber wie oft habe ich deiner gedacht, wie oft deine Gegenwart ersehnt, wie oft gewünscht, dir auf dem einsamen Pfade deines Lebens, wie ehemals, als Freund zur Seite wandeln zu können.«

»Die Freundschaft der Menschen habe ich verscherzt,« erwiederte in einem bittern Tone der Büßende, »und ihrer Verzeihung darf ich mich nur erfreuen. Seit Jahren ist mein Leben das eines strengen Einsiedlers und der einzige Gefährte, der oft meine Trauer zu verstehn schien, war dieser Hund.«

Er beugte sich zu dem treuen Thiere hinab, er überließ ihm seine Hand zum Spiele.

»Die alte Zeit wird wieder jung;« sagte der Herr vom Rhein. »Ist dieses derselbe Hund, den du am dritten Geburtstage Salentin's von mir erhieltest?«

»Er ist es;« antwortete der Mönch. »Er besuchte noch oft mit mir Euer Haus, bis – doch du weißt ja, was uns da plötzlich trennte. Wie elend, wie arm wäre ich gewesen seitdem ohne ihn! Welche Erinnerungen frischte seine Nähe immer neu in mir auf, welche Hoffnungen, dich dereinst versöhnt wieder zu sehn! Gott ist gnädig, daß er mich nicht hat sterben lassen, ehe diese Hoffnung erfüllt worden.«

Es trat eine Stille ein, in der sich beide Männer den verschiedenartigen Betrachtungen, welche diese Stunde in ihnen erregte, hingaben. Die Jahre der Jugend, ihre kühnen und freudigen Spiele hatten sie miteinander verbunden, die des Mannes sie ernst und verhängnisvoll getrennt; den einen hatte das Schicksal in eine Laufbahn würdiger Bestrebungen, in eine glückliche Vereinigung der Liebe, in das schöne Verhältnis eines Vaters, der mit Stolz auf den zum Manne gewordenen Sohn blicken kann, geführt; der andre war einer tückischen Macht heimgefallen, die sein Herz umgarnt und es zu Verrath und Untreue an dem Freunde hingerissen, die ihn dann selbst mit den nämlichen Wunden, welche er dem Freunde geschlagen, heimgesucht, die Alles, was er geliebt, von ihm getrennt, die seine schönsten Jahre mit Reue, Buße und Entbehrung erfüllt. So standen nun die beiden, noch rüstig, aber dem Greisenalter nahe, einander gegenüber. So bedachten sie, was sie gewonnen und verloren, was dem einen die Treue gewährt, dem andern die Untreue entrissen.

»Es ruht noch ein Geheimnis auf meiner Seele,« unterbrach endlich der Mönch diese drückende Stille, »das der heutige Tag entschleiern soll. Vernarbte Wunden werden wieder bluten, alte Schmerzen in ihrer ersten frischen Kraft meine Seele zerreißen, aber der Augenblick, den ich viele Jahre hindurch ersehnt habe, wo ich endlich mich des Besitzes eines einzigen köstlichen Kleinods rühmen darf, hat auch seine Freuden, vielleicht die letzten für mich auf der irdischen Bahn des Wallers. Du hast mir dieses Kleinod erhalten, du hast seiner gepflegt mit Vaterliebe, du hast meinen Verrath mit Güte gelohnt, du hast denjenigen gesegnet, der einst das Ärgste an dir gethan.«

»Deine Worte sind mir Räthsel;« antwortete befremdet der alte Freund. »Ich sah, ich hörte nichts von dir seit so vielen Jahren, alle meine Nachforschungen blieben vergeblich – wie konnte ich, was ich so gern gewollt hätte, gegen dich üben? Wie konnte ich dir zeigen, daß ich mit dir trauerte über dein Mißgeschick, daß du mir noch werth warest, wie ehemals?«

»Der Tag ist gekommen, dem ich diese Entdeckung gelobt, und ich darf dir nun einen Theil von dem Räthsel meines Lebens offenbaren;« versetzte der graue Büßende. »Höre mich ruhig an! Ich muß von dem Tage beginnen, wo ich dich zum letztenmale sah, wo ich, von meinem Weibe verrathen und verlassen, getrennt von meinem Kinde, das die Treulose mit sich genommen, bei dir nicht die Verzeihung zu finden wähnte, nach der eine quälende Sehnsucht meine ganze Seele erfüllte. Verzweiflungsvoll stürzte ich fort, mit dem Drange zum Selbstmord, mit dem Haß gegen das Leben ringend. Ich irrte lange umher, ehe ich meiner Sinne wieder mächtig wurde, ich war oft nahe daran, diesem peinlichen Leben ein Ende zu machen, aber dann stieg das Bild meines Kindes vor meiner Seele auf, lächelnd und lieblich, wie ich es zuletzt gesehn, und Hoffnung und Vaterliebe hielten mich an das Daseyn gefesselt. Welche schwere Kämpfe zwischen dem Drucke der Schuld, dem Wahnsinn der Verzweiflung und der Liebe zu einem schuldlosen Wesen, das mich noch nicht Vater nennen konnte! Und wo weilte diese süße Frucht eines unseligen Bündnisses, dieser Engel, der sich aus einer Nacht des Verbrechens zu einem Tage voll Liebe und Unschuld emporgerungen hatte? Freund, die Liebe und die Rache sind listige Führer! Ich fand Richardis wieder; ich fand sie mit ihrem Buhlen. Er fiel als ein Opfer meiner Wuth, sie entfloh, mein Kind, das sie als eine unbequeme Last einer Bäuerin zur Pflege übergeben hatte, nahm ich mit mir. Das war zu jener Zeit, als eines Abends auf der Schwelle deines Hauses ein Mägdlein gefunden wurde, ein Kind, lieblich und reizend, wie eine kaum entfaltete Blüthe –«

»Heiliger Georg!« rief, den Mönch unterbrechend, Herr Hanns: »Regina ist dein Kind?«

»Ein ehlich Spros, aus heil'gem Band,
Regina in der Tauf genannt!«

versetzte mit den Worten jenes Pergamentes, das unter dem Haupte des Kindes gefunden worden, der graue Büßende. »Regina ist meine Tochter, aus dem alten Geschlechte der Zum Jungen, ebenbürtig den ersten Patriciertöchtern der Vaterstadt. Wo konnte ich sie besser hinlegen, als auf die Schwelle einer Wohnung, in der die Tugend und die Treue walteten, als an die Brust einer Frau, wie deine Gisela, die nur von Sanftmuth und Liebe zu der Menschheit erfüllt ist? Mich trennte der Fluch der alten, die Schuld einer neuen Sünde von dem Kinde. Jener Unglückliche, dem Richardis sich in strafwürdiger Neigung ergeben, den mein Schwerdt tödtlich getroffen, war ein Diener der heiligen Kirche gewesen. Sie hatte ihn hoch gestellt, schon reichte seine Hand nach einem Bischofshute, als sie unter meinem Schlage erkaltete für immer. Die heilige Kirche verzeiht schwer. Sie verfolgte mich mit ihren Bannstrahlen, und ich fand bald keine Stätte, wo ich sicher mein Haupt zur Ruhe legen konnte. Ich hatte den Verführer meines Weibes in seinen Sünden hingeopfert, er hatte seinen Geist aufgegeben, ohne mit seinem Gott versöhnt zu seyn. Das war ein schwerer Vorwurf, den ich mir zu machen hatte, aber wie leicht noch gegen das quälende Bewußtseyn, den Freund verrathen zu haben! Ich pilgerte nach Rom, um von dem Kirchenbanne befreit zu werden, ich sah jenes Land wieder, wo mich zuerst die unseligste Leidenschaft ergriffen, wo sie die Saat zum Verbrechen in meine Seele gelegt. Es waren schreckliche Tage, die ich dort verlebte. Alles mahnte mich an eine glückliche Zeit, ein heitres Leben ohne Schuld, und dabei trat die Gegenwart schrecklich zu mir heran und erzählte mir von gräßlichen Dingen, die dazwischen lagen, von gebrochener Treue, von Verrath, schwerem Frevel und dunkler Begründung einer ganzen Zukunft von Buße und Reue. Ich stand in einer hellen Mondnacht vor den Ruinen des Collossäum's. Da glaubte ich dich und Richardis, diese zärtlich an deine Brust geschmiegt, in einem der obern Schwibbögen zu sehen, da lächeltet ihr, beseligt durch das Glück der Liebe, herab und ich – ich war es gewesen, der dieses Glück vernichtet, der Richardis vielleicht zuerst auf einen Pfad des Verderbens und der Schwächen gelockt, den sie nun nicht mehr zu verlassen vermochte. Ich hatte gegen dich, gegen mich selbst gewüthet. In meinem Herzen brannte jetzt die Gluth, die ich treulos in das deine, wo Gottes Huld sie gelöscht, geschleudert, in mein Haupt schlug ihre Flamme empor, es zu Tollheit und Verzweiflung entzündend. Wahnsinnig stürzte ich in das Innere des Riesenbau's. Ich rief die Schatten der Fechter, die hier einst zur Ergötzung einer blutgierigen Menge unter den Rachen der Raubthiere geblutet, empor, daß sie mich vernichten sollten, ich beschwor die Geister eines Nero und Caligula die Qualen, die sie für ihre Schlachtopfer mit erfinderischer Grausamkeit ersonnen, auf mein Haupt zu häufen. Der Wahnsinn ist ein schrecklicher Teufel! Er sammelte alle jene Gestalten um mich, die ich aus der Asche, in der sie längst verfallen, hervorrief. Die Gladiatoren, der Muttermörder Nero, der entsetzliche, hohnlächelnde Caligula umgaben mich. Ich vernahm unzähliche Stimmen im wilden Gewirr, und wenn ich mich faßte und diese Stimmen zu verstehn suchte, so hörte ich meine Geschichte, die Erzählung meines Verbrechens, meines Elends. Eine ungeheuere Angst ergriff mich. »Du mußt büßen, büßen!« rief es in mir. »Wehe deinem unsterblichen Theile, wenn du ein Opfer dieser fremden Wesen wirst, deren Heimath das Heidenthum ist, ehe du eine lange Zeit mit Buße und Entbehrung erfüllt!« Außer mir stürzte ich die Stufen des Colossäum's hinan, das Gesindel hohnlachend hinter mir her. Eine tolle Jagd begann durch die öden, verfallenen Gänge, in die der Mond durch Spalten und Öffnungen bleiche Lichter warf. Ich war das Wild; gehetzt von dem wüthenden Heere der entsetzlichen Spukgestalten langte ich endlich, über verfallene Treppen, über tausend Hindernisse, auf der Zinne des ungeheuern Baues an. Da erblickte ich dich wieder. Du standest am Rande des Abgrundes, der sich in die Straßen der Weltstadt hinabsenkte, du warst allein, du sahest mich mit trauernden wehemüthigen Blicken an, du hobst warnend die Hand gegen die Tiefe hin, dann warst du verschwunden. Dein Anblick hatte mich mit wunderbarer Kraft erfüllt, ich fühlte, daß mein Schutzengel in Freundesgestalt zu mir getreten war. Ohne dich hätte mich das Heer der Gespenster, das mein Wahnwitz erweckt, in den Abgrund, in die Vernichtung getrieben. Es war ganz still, es war ganz friedlich um mich geworden. Ich knieete nieder, ich konnte zu der heiligen Mutter Gottes beten. Es war, als ob ihre Liebe mich aus Millionen Sternenaugen anblicke. Und in dieser Liebe lag zugleich eine ernste Mahnung zu strenger Buße, zu langer Reue. Da drängte es mich, diese Liebe durch ein großes Gelübde an mich zu fesseln, daß sie mir beistehe auf dem dornenvollen Pfade der Zukunft, und ich gelobte der Himmelskönigin, mein einziges Kind nicht eher wiederzusehn, als bis es dem achtzehnten Jahre nahe sey, nicht eher seine Herkunft zu offenbaren, als an dem Tage, wo es dieses erreicht haben werde. Heute ist der Tag, meine Zunge ist ihres Eids entbunden und Regina zum Jungen steht gewiß deinem Herzen nicht ferner, als Regina, der Findling.«

»Meinrad,« rief der Herr vom Rhein, den diese unerwartete Entdeckung in freudige Verwirrung versetzte, »deine Worte senden ein heitres, erquickendes Licht in eine trübe, dumpfe und schwere Zeit! Komm mit mir, komm an das Herz deiner Tochter! Glaube mir, du wirst den Segen in mein Haus bringen. Gisela, mein gutes Weib, ist von schwerem Gemüthsleiden heimgesucht, allein eine Entdeckung, wie diese, kann mit einemmale die Nacht, die ihre Seele umgibt, erhellen. Komm mit mir, Meinrad! Laß uns keinen Augenblick zögern, Reginen einen Vater, dir eine Tochter wiederzugeben. Wie wollen wir im treuen Bunde nun ein neues glückliches Leben beginnen, und ruft auch die strenge Regel deines Ordens dich aus unserm Kreise, so bleibt uns doch die Hoffnung, dich von Zeit zu Zeit wiederzusehn!«

»Mein Gesetz ist das keines Ordens;« erwiederte sehr weich der Mönch. »Zähle mich zu den Ausgestoßenen, zu den Ausgeschlossenen der Menschheit, welche die Kreise ihrer Liebe fliehen müssen, von denen der Einzelne sich mit Abscheu wendet, vor denen sogar die Pforten der Klöster sich verschließen. Meine Buße, meine Entsagung endigt nur mit meinem letzten Odemzuge. Ich lebe ein wunderbares Leben. Mein Gedanke, mein Wort geht siegreich durch die Gauen des deutschen Vaterlandes, mich kennt Niemand, mich fliehen Alle. Noch einmal: nur im Grabe finde ich das Ende meiner Leiden. Aber Regina, die unschuldig mit mir hat büßen müssen, soll nicht länger den Freuden des Lebens, den Rechten, auf welche ihre Geburt ihr Anspruch gibt, entsagen. Vor aller Welt lasse sie als meine Tochter, als das Kind Meinrad Crafft's zum Jungen auftreten. Wenn sie aber nach ihrem Vater fragt, nach ihrer Mutter, wenn das Kindesherz sich regt in Liebe und Sehnsucht, dann sprich ihr von den Eltern als von Todten, dann gedenke nur leichthin der Mutter, dann sage ihr, daß der Vater auf weiter Wallfahrt nach einem heiligen Ziel umgekommen sey.«

Der Herr vom Rhein blickte seinen Freund mit einer Gebehrde an, die das lebhafteste Erstaunen verrieth.

»Wie,« sagte er in einem schwankenden, zweifelhaften Tone, »du willst nicht selbst Reginen als dein Kind begrüßen, sie nicht nach so langer Entbehrung an dein Vaterherz drücken? Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus, dich hält auch, wie meine arme Gisela, ein trauriger Wahn in seinen Banden! Komm mit mir, Meinrad! Gib dich freudig und vertrauungsvoll dem Leben hin und es wird dich freudig aufnehmen, dich mit Vertrauen auf die Zukunft erfüllen.«

»Ich darf nicht;« war die schmerzlich lautende Antwort des grauen Büßenden. »Höre mich weiter und du wirst dich überzeugen, daß ich für mein Kind ein Todter seyn muß, bis der Tod selbst kommt und den Schein zur Wahrheit macht. Ich harrte lange in der heiligen Stadt,« fuhr er in seiner Erzählung fort, »bis ich die Bande, die mich mit Richardis strafbar vereinigten, gelöst sah, bis ich Freisprechung von der Sünde, einen Diener der Kirche getödtet zu haben, erhielt. Mir ward auferlegt, mein Leben in stiller Verborgenheit, in einem Kloster der grauen Büßenden hinzubringen und zu beschliessen. Von der schwersten Schuld aber, die meine Seele quälte, konnte mich Niemand freisprechen. Das fühlte ich, deshalb beichtete ich sie auch nur Gott, nur der heiligen Königin des Himmels. Aber keine Ruhe kam in mein Herz, ich hatte an der Liebe des Freundes gesündigt und je inniger ich selbst ihn noch immer liebte, desto verabscheuungswürdiger schien mir mein Verbrechen. Mit zerrissener Seele wandte ich meinen Schritt der Heimath zu. Die blauen Berge mit den Eisgipfeln, hinter denen das Vaterland lag, stiegen vor mir auf, ich athmete schon seine erquickende Luft, die herüberwehete, aber es dünkte mich, als kehre ich, eben so sehr mit Verbrechen beladen, heim, wie ich ausgezogen war. Da hörte ich von einem wunderbaren Einsiedler, der tief in den innern Schluchten des Gebirges wohne. Man schilderte ihn als einen Mann, der sich selbst die strengsten Bußen auferlegt habe, der wegen seines frommen Wandels von Gott begnadigt worden sey, wunderbare Heilungen an Kranken und Gelähmten zu vollbringen. In der Welt sollte er einst einen großen hochberühmten Namen geführt haben. Doch konnte Niemand mit Gewißheit Etwas hierüber sagen. Einige behaupteten, er sey der unglückliche Kaisermörder, Johann von Schwaben, der bettelnd und barfuß zu dem heiligen Grabe nach Jerusalem gewallt, dort seiner Sünden losgesprochen sey und nun in Werken der strengsten Buße und Reue sich Gott wohlgefällig mache; andre meinten, er sey ein vornehmer italienischer Kirchenfürst, der gegen die heilige Kirche sich schwer vergangen, von ihr ausgestoßen worden, aber sich bekehrt und durch diese Bekehrung die Gunst des Himmels gewonnen habe. Man sprach in jener Gegend nur von der Heiligkeit dieses Mannes, man sah ihn als ihren Schutzgeist an, man erzählte von entsetzlichen Verbrechern, die reuig zu ihm gewandert waren, um ihm zu beichten, um sich von ihm Strafe und Buße vorschreiben zu lassen. Wie, rief es plötzlich aus der Tiefe meines Innern, wenn auch du dich vor diesem Heiligen niederwürfest, wenn du deine Seele bis in ihre innerste Falten vor ihm offenbartest, wenn er dir das Gesetz einer Buße auferlegen könnte, schwer genug, deiner schweren Schuld zu genügen, kräftig versöhnend, dich vor Gott und dir selbst zu reinigen? Er kennt das Verbrechen und seine Qualen, er hat reuig mit der Schuld gekämpft und gerungen, er ist als Sieger gegangen aus diesem Kampfe, wo fände ich denjenigen, der die Macht besäße mich zu entsündigen, wie er? Ich ließ mir den Weg nach seinem einsamen Aufenthalte beschreiben. Er führte an Abgründen und schäumenden Wasserstürzen, unter überhängenden Felsen mit Schneehäuptern hin. Ich glitt in den brausenden Bergstrom hinab, die stürzende Lawine schwirrte über mein Haupt hin, aber meine Stunde war noch nicht gekommen: in den Wellen rettete mir ein herabhängender Baumzweig das Leben, der Sturm des Schneesturzes warf mich nieder, er selbst traf mich nicht. So gelangte ich endlich, nach unsäglichen Beschwerden, verwundet und blutend, erschöpft und todtmüde, in eine Einöde, wo die ganze Schöpfung erstorben schien. Kein Halmwuchs auf dem Felsengrunde, ringsum starrten nackte Klippen empor, kein rauschender Quell ließ sich vernehmen, kein Thier war zu sehen und zu hören. In der Mitte des schauerigen Thalgrundes zeigte sich ein stehendes dunkles Wasser. In ihm spiegelten sich die Felsengipfel, der Himmel, selbst die Sonne schwarz wieder. Ich mußte den See umschreiten, ich mußte einen steil aufwärts führenden Pfad erklettern. Dann stand ich neben einem Kreuze, von hohen Holzblöcken zusammengefügt, vor einer Höhle, die eher der Wohnung eines wilden Thieres, als eines Menschen, ähnlich war. Aber ich konnte nicht irren, so hatte man mir den Aufenthalt des Einsiedlers beschrieben. Der Eingang war eng. Auf Händen und Füßen kroch ich über einen schlüpfrigen Boden in das Innere der Höhle. Hier fand ich einen Raum von der Größe eines ansehnlichen Gemaches, ein dämmerndes Licht fiel durch eine Spalte in der Decke herein und ließ die Felsenwände, die allerlei seltsame Gestalten zeigten, erkennen. Wasser tropfte allenthalben herab, nirgends war irgend eine Geräthschaft, wie sie die Bequemlichkeit oder auch selbst nur das Bedürfniß des Menschen erheischt, zu bemerken. Da erhob sich hinter einem altarähnlichen Felsenblocke eine große, hagre Gestalt im dunkeln Einsiedlergewande. In das bleiche Antlitz waren tiefe Furchen gezogen, über die dunkeln, zur Erde niedergeschlagenen Augen erhob sich eine hohe Stirn, ein wild verwirrter Bart reichte dem Einsiedler zur Brust herab. Ein Wink seiner Hand deutete mir an, näher zu treten. Er betrachtete mich aufmerksam, aber er sprach nicht. Ich kann nicht sagen, welche Hoheit, welche Herrscherkraft, aber auch zugleich welche fromme Demuth aus diesen Zügen sprachen. Ich glaubte eine überirdische Gestalt vor mir zu sehen. Meine Kniee beugten sich unwillkührlich, ich sank vor ihm nieder, ich gestand ihm Alles, was meine Seele beschwerte. Niemand hatte noch je mein Herz, mein ganzes Leben durchschaut, wie dieser Mann. Er hörte mich ruhig an. Dann machte er das Zeichen des Kreuzes über mich, aber er sagte nichts, er legte den Finger auf die Lippen, woraus ich schloß, daß ihm jetzt ein Gelübde zu reden verbiete. Er wies mir eine Lagerstätte in einem Winkel der Höhle auf feuchtem Stroh an, er theilte seine kärgliche Mahlzeit, aus wenigen Waldwurzeln und Quellwasser bestehend, mit mir. Von den Mühseligkeiten der Bergwanderung ermüdet, schlief ich bald ein, aber oft erweckte mich in der Nacht sein lautes Gebet, das er vor einem altarähnlichen Stein verrichtete. Mitternacht mochte vorüber seyn, als der Mond durch die obere Felsenspalte sein Licht in unsern Aufenthalt sandte. Da erblickte ich den Mann knieend, sein Angesicht von einer wunderbaren Verzückung umflossen, empor zu'm nächtlichen Himmel schauend. »Herr,« sprach er in einem begeisterten Tone, »du vernimmst die Stimme aus dem Grabe, das Gebet dessen, der den Menschen gestorben ist. Vor dir leben Alle, die Lebendigen und die Todten und du sammelst sie zum Gerichte. Mich hast du nicht gerichtet, mich hast du begnadigt. Was wäre die Menschheit vor dem richtenden Gotte, wenn er nicht zugleich auch ein gnädiger wäre? Der Hauch deines Odems bläs't die Sünde von uns hinweg, wie ein Stäubchen von der Blume, und der Sünder, der den rechten Weg zu dir zu finden weiß, wären seine Verbrechen auch schwer, wie die That eines Vatermörders, wird Gnade finden vor deinem Auge.« Erst gegen Morgen suchte und fand er eine kurze Ruh. Ich harrte diesen und den folgenden Tag bei dem Einsiedler, ohne daß er eine Frage an mich richtete oder eine der meinigen beantwortete. Immer verwies mich jenes Zeichen des Schweigens und eine beruhigende Gebehrde zur Geduld. Nur im Gebete wurde der fromme Mann laut und dann strömten ihm Gedanken und Worte in einer Fülle, in einer Beredsamkeit zu, die mich erschütterten, mich unwiderstehlich an seine Seite hinrissen und mein Gebet mit dem seinigen vereinigen ließen. Am Morgen des dritten Tages erweckte er mich, reichte mir die Hand, um mich vom Lager zu erheben und brach zum erstenmale das Schweigen, das er seit meiner Ankunft in der Einsiedelei gegen mich beobachtet hatte. Ich erfuhr nun, daß sein Gelübde ihn sechs Tage in der Woche zum Schweigen verpflichte, daß während dieser Zeit nur das Gebet eine Ausnahme gestatte, daß aber der siebente Tag ihm erlaube, auch auf das Heil Andrer zu wirken, ihre Beichte zu hören, ihre Buße zu bestimmen. »Heiliger Mann,« rief ich, indem ich mich vor ihm niederwarf, »ein großer Sünder liegt zu deinen Füßen! Ich habe dir schon entdeckt, was mich quält, ich habe die Sündenlast vor dir geoffenbart, die mich immer tiefer zum Abgrunde der Verzweiflung drängt. Was soll ich thun, den Frieden mit Gott, mit mir selbst herzustellen?« Ich mußte die Geständnisse, die ich in der ersten Stunde meiner Ankunft gethan, wiederholen, ich war jetzt vor ihm das reuige Beichtkind, das verzweiflungsvoll nach Verzeihung, nach Versöhnung ringt. Als ich geendigt hatte, richtete er einen Blick auf mich, in dem tiefe Schwermuth, inniges Mitleiden lagen. »Du bist einen düstern Pfad gewandelt, mein Sohn!« sprach er dann in einem Tone, dessen Sanftmuth mich mehr erschütterte, als es ein Sturm des Unwillens vermocht hätte. »Das Licht der Liebe ist aus deinem Leben verschwunden und die Nacht des Hasses hat es umfangen. An der dunkeln Gluth der Leidenschaft wolltest du dich wärmen und vergaßest, daß sie von den Geistern der Hölle angefacht worden. Du hast Blut vergossen, du hast den Wehrlosen erschlagen, du hast gemordet. Aber nur vor der Welt vermag der Mensch zu morden, vor Gott stirbt Niemand. Wer tödtet, der soll wieder getödtet werden: so will es sein heiliges Gericht. Stirb vor der Welt, wie der, den du getödtet, büße vor Gott! Du hast nicht allein den Leib jenes Elenden, du hast auch die Liebe, das Vertrauen eines Freundes gemordet. Darum entsage aller Liebe auf Erden, jeder menschlichen Verbindung, die traulich einen Andern an deine Brust legte: die Liebe, das Vertrauen seyen todt für dich!« Und nun bestimmte er mit strengem Ernste, mit der Genauigkeit eines untrüglichen Richters, die Bahn, die ich wandeln sollte bis zur Gruft. Er gestattete mir diese letzte Zusammenkunft mit dir, er bestätigte jene Buße, die man mir in der heiligen Stadt auferlegt hatte und die mich dem Orden der grauen Büßenden zugesellte; aber nur eine kurze Zeit sollte ich unter den Klosterbrüdern weilen: diese leichte Buße versöhnte meine Sünde nicht. Todt für die Welt, todt für die Liebe, todt für jedes menschliche Band, bis zum Grabe, mußte ich seyn! Nun weißt du, warum Regina in mir nicht den Vater begrüßen darf, warum Meinrad zum Jungen gestorben ist und nicht wieder aufleben kann. Ich habe die entsetzliche Buße geübt, die grausame Entsagung ertragen: ich bin ruhiger in meiner Seele geworden, ich fühle, daß der versöhnte Geist Gottes sich zu mir herabneigt, daß er, vielleicht mit meinem letzten Odemzuge, sich ganz meinem unsterblichen Theile hingibt. Siehe jenen Unglücklichen, dessen von entsetzlicher Krankheit zerrissenes Angesicht die Larve verbürgt, der mit der klappernden Schale des Bettlers das Mitleid der Vorübergehenden anspricht! Auch für ihn ist Alles todt, wie für mich; auch er ist mit seiner Liebe, mit seinen Hoffnungen auf das Jenseits verwiesen. Siehe mich ganz an, als einen dieser Unglücklichen! Wende dich voll Abscheu von mir ab, bedaure mich, aber dringe nicht in mich, mehr zu erfahren!«

Der Herr vom Rheine hatte mit düstrer Gebehrde der Mittheilung des alten Freundes gelauscht. Jetzt, da dieser schwieg, blickte er sinnend auf den Boden, verharrte einige Augenblicke in dieser Stellung und sagte dann in einem traurigen Tone:

»Ich fühle, daß es eine strenge, unabwendbare Notwendigkeit seyn muß, die dich von deinem einzigen Kinde, von deinem Freunde, von einem friedlichen Glück im stillen häuslichen Kreise zu trennen vermag. Aber unterwirfst du dich in der Überzeugung, Gott und seinen Heiligen gefällig zu seyn, diesem schrecklichen Loose, so geziemt es nicht mir, dagegen zu murren oder dich von der Erfüllung deiner schweren Lebensaufgabe abhalten zu wollen. Meinrad, du hast mir ein trübes Bild der Bahn, die hinter dir liegt und die du noch zu durchwallen hast, gezeigt! Du sagst, wir müßten geschieden seyn für dieses Leben, wir sehen uns heute zum letzten Male. Und wenn ich nun frage warum, so tritt mir ein dunkles Räthsel entgegen, der Wille eines höhnenden Verhängnisses, den ich nicht durchschauen kann. – Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus, es ist oft ein schweres Ding um einen ergebungsvollen, demüthigen Sinn!«

»Frage nur Salentin, deinen Sohn,« versetzte bedeutungsvoll der Mönch, »frage ihn nach dem Meister Lukas auf der Rheininsel, und was er von dem erzählt, das nimm an, als sey es dir über mich berichtet worden! Ich theile ein und dasselbe Loos mit jenem Meister, seine Leiden, seine Beschäftigungen, seine Wünsche, seine Gesinnungen sind die meinigen.«

»Ich erinnere mich nicht, diesen Namen je vernommen zu haben;« erwiederte Herr Hanns, dem seit einer Reihe von Jahren die Bestrebungen der deutschen Meistersänger fremd geblieben waren. »Aber du kennst meinen Sohn?« fuhr er im Tone der Befremdung fort; »du sprichst von ihm, als könnest du mit Gewißheit darauf rechnen, daß er mir Auskunft über jenen Meister zu geben im Stande ist?«

»Salentin ist mir ein lieber Freund geworden,« sprach der graue Büßende, »aber frage mich nicht, wo und wann! Ihm ist es gestattet, dir Alles zu entdecken, und wenn du dann das Entsetzlichste, das Bedauernswürdigste zu wissen glaubst, dann trübe dir dein Leben nicht mit Gedanken an mich, verbanne alle Erinnerungen an Meinrad zum Jungen aus deiner Seele. Ja,« sprach er in einem erhöhetem lebhaftem Tone weiter, »ich kenne deinen Sohn, ich kenne ihn vielleicht besser als du selbst, wenigstens was die Wünsche, die Hoffnungen seines Herzens anbetrifft! Er ist ein wackrer Mann geworden, verständig und kenntnißreich, frei von den Vorurtheilen einer Zeit, die von unzählichen Vorurtheilen in Fesseln gehalten wird. Ich will dir sein heiligstes, vielleicht das einzige Geheimniß, das er vor dir hat, entdecken. Er liebt Reginen und erfreut sich ihrer Gegenliebe. Er wagte nicht seine Wünsche vor dir und der Mutter laut werden zu lassen, denn wie durfte er hoffen, die namenlose Waise, den Findling, der von Leibeignen abstammen konnte, für dessen eheliche Geburt jener Pergamentstreif eine nur unsichre Bürgschaft war, als einen Zweig auf den alten Stamm deines Geschlechts aufgenommen zu sehn? Aber nun ist Regina keine namenlose Waise mehr, kein Zweifel ruht auf ihrer Geburt, kein Fleck auf ihrer Herkunft. Nimm diese Pergamente, tritt mit ihnen vor Salentin, sprich: ›Das Mädchen, welches als eine Schwester mit dir erzogen worden, hat das Dunkel, was sie umgab, von sich abgestreift; sie ist die Tochter meines alten Freundes und ritterlichen Genossen Meinrad Crafft zum Jungen‹ – und wenn dann Salentin selbst, beseligt von der vollen Kraft einer Hoffnung, die ich einst nur leise in ihm angeregt, seine Liebe, seine Wünsche dir gesteht, dann – dann laß die Einwilligung in diesen Bund mir ein Zeichen deiner völligen Versöhnung, der Verzeihung seyn, welche du dem unglücklichen Freunde bewilligst!«

»Bei Sanct Georg und dem Haupte Sanct Bartholomäi, so soll es geschehn!« rief der Herr vom Rhein, indem er die Urkunden, welche ihm der Mönch darbot, annahm und auf seiner Brust verbarg. »Ich ahne nicht, wie diese Kenntniß von Salentin's Geheimnis zu dir gelangt ist, aber so Manches fällt mir jetzt ein, was einem aufmerksamern Beobachter, als mir, seine Neigung zu Reginen hätte verrathen können. Gott segne diesen Bund, wie ich ihn segne! Sie wird eine wackre Hausfrau werden, nach dem Beispiele meiner Gisela, er ist ein Mann, der den Werth eines edlen Weibes zu erkennen und hochzuhalten versteht.«

Der Mönch hatte die Hände gefaltet und sein Auge zum Himmel gerichtet. Er verharrte einige Zeit in der Stellung eines Betenden, dann wandte er sich wieder zu seinem alten Freunde und sagte mit gerührter Stimme:

»Mein letztes Werk, das mich noch, wie ein loses Band, an die Menschheit knüpfte, ist gethan, die Zukunft meines Kindes habe ich an das Herz eines edlen Mannes gelegt, der sie dort liebevoll pflegen wird als sein einziges Glück. Welche Gunst des Himmels, die er dem Büßenden gewährte! Und nun wollen wir scheiden: du mit dem schönen Bewußtseyn, verziehen und beglückt zu haben, ich mit der beseligenden Erinnerung an einen Freudentag, nach langer Nacht der Reue und des Elends. Segne meine Tochter und sage ihr, dieser Segen sey das Erbe ihres Vaters, das er dir für sie übertragen habe! Lebe wohl! Auf Erden sehn wir uns nicht wieder.«

»Meinrad,« versetzte tief bewegt der Herr vom Rhein und eine Thräne glänzte in seiner Wimper, »ist dieses Scheiden für immer eine Nothwendigkeit, der wir uns durchaus unterwerfen müssen? Soll ich dich, mit der bittern Überzeugung, dich nie wiederzusehn, verlassen?«

Der graue Büßende versank in ein minutenlanges Nachdenken. Der Hund sprang an ihm herauf und dann fernab, als wolle er ihn zum Aufbruche mahnen.

»Du darfst mich wiedersehn, aber ich nicht dich;« antwortete, nach einer Pause, schwermüthig seufzend der Mönch. »Es war eine entsetzliche Nacht, in der mich die Angst ergriffen hatte, der Herr möge mich aus meiner irdischen Laufbahn abrufen, ehe der Tag gekommen sey, wo ich das Dunkel, das über Reginen's Leben waltete, erhellen durfte. Ich rang mit entsetzlichen Zweifeln, mit der drohenden Schreckgestalt des Todes. Da wandte ich mich in einem Gebet, das aus dem innersten Quell meiner Empfindungen strömte, an die heilige Mutter Gottes. Ich flehete sie bei den Leiden ihres göttlichen Sohnes an, mir den Tag meines Todes zu offenbaren, mich in den Qualen des Gelübdes, das ich ihr geleistet, zu beruhigen. Ich weiß nicht, wie mir geschah, ob das, was ich nun erfuhr, ein Traum oder Wirklichkeit war, allein das weiß ich, daß es mit der Macht der Wahrheit, mit unumstößlicher Überzeugung in meine Seele einzog. Die Himmelskönigin erschien mir und erfüllte mein Gebet. Ich erhielt die Beruhigung, die ich ersehnte, mir ward die Gunst, den Tag, wo ich über das Irdische siegen, wo mich lange Buße in den Frieden des Himmels einführen würde, voraus zu wissen. Wenn diese Wiesenblumen gewelkt sind, wenn das Laub der Bäume erbleicht, wenn der Sturm über die Stoppeln der Ährenfelder zieht, wenn die Natur sich bereitet, ihr Todtenkleid anzulegen, dann wird die Ruhe einziehen in diese Brust, dann stirbt auch Meinrad zum Jungen sich selbst, wie er längst der Welt gestorben ist. Dann kannst du mich wiedersehn, mein Freund! Den Frieden des Todes darfst du auf diesem Antlitze erblicken, nicht aber den Schmerz des Lebenden. Am ersten Tage des Herbstes, wo Tag und Nacht sich gleich sind, wird das trübe Reich der Welt sich vor mir schließen und im Glanze seiner Seligkeit das des Himmels sich vor mir aufthun. Um die Mittagsstunde wird eine weiße Taube niederschweben und den entfesselten Geist auf ihren Flügeln emportragen. Laß dich und Reginen an diesem Tage von Salentin zum Meister Lukas auf der Ingelheimer Au führen. Betretet aber das Ufer des kleinen Eilands nicht eher, als bis die Sonne von ihrer Mittagshöhe nach den fernen blauen Bergen niedersteigt. Salentin weiß, wo der Meister Lukas zu finden ist. Dort findet Ihr auch meine Leiche. Schöne Hoffnung, daß der Freund meiner Jugend, daß ein geliebtes Kind, daß derjenige, dem ich das irdische Glück dieses Kindes anvertrauten konnte, ihre Thränen in mein Grab rinnen lassen werden! Dann kannst du auch Reginen Alles entdecken, nur die Schmach, die Sünde ihrer Mutter nicht. Laß sie glauben, daß diese frühe gestorben sey, nur auf mein Gedächtniß lade die Schuld, sie zur Untreue verleitet zu haben. Regina mag die Mutter beweinen, aber sie soll nicht das quälende Gefühl in sich tragen, bei der Erinnerung an ihre Mutter erröthen zu müssen. Wirst du kommen, Freund und Waffenbruder meiner Jugend, willst du der Leiche Meinrad's die letzte Ehre erweisen?«

»Ich komme;« sagte mit gepreßter Stimme Herr Hanns. »Aber, Meinrad,« fuhr er bedeutungsvoll fort, »kennst du auch Richardis weitre Schicksale, weißt du, was aus ihr geworden ist?«

»Ich weiß es;« versetzte düster der Mönch. »Ihr Leben war ein langer Irrthum, aber der Irrthum ist ihr keine Lehre geworden. Dunkel sind mir, seit ich sie verlassen, die Tage ihrer Vergangenheit; wie sie mir die Gegenwart gezeigt, so hat der Geist des Stolzes und der Eitelkeit, der sie bewohnt, die Leidenschaft, die sie ungezügelt beherrscht, nur das Gewand einer entsetzlichen Buße angelegt, nicht aber sich ihr in der Wahrheit unterworfen. Sie wüthet gegen sich und gegen Andre; durch Grausamkeit, durch Blutvergießen glaubt sie Gott zu versöhnen, indem sie mit diesen gräßlichen Versöhnungsmitteln prunkt und nicht die wahre Reue, nicht die Entsagung kennt. Eine Meisterin, eine Königin der Geißler zu heißen, dünkt ihr jetzt so viel, als wenn man sie einst als die reizendste der Ritterfräulein, als die Königin irgend eines Festes begrüßte. Ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Ihr stolzes Herz hat den Stürmen des Lebens, der Erkenntniß der Sünde sich noch nicht gebeugt. Ein Wahn umnachtet sie – Gott wird ihn lichten, wenn auch erst im Tode.«

Der Mönch winkte noch einmal zum Abschiede nach dem alten Freunde hin. Dieser breitete wiederum beide Arme gegen ihn aus, aber kopfschüttelnd, mit abwehrender Gebehrde wandte sich der graue Büßende um und stand eben im Begriff, sich hastig zu entfernen, als ein ebenso unerwartetes, als schreckliches Ereigniß eintrat und die Schritte der beiden Männer zur eiligsten Wanderung nach einem und demselben Ziele vereinigte. Über der Stadt wirbelte plötzlich ein dicker dunkler Rauch empor, Flammen zuckten zwischen den finstern Wolken auf, die Sturmglocken ertönten und zugleich stürzten mit dem Geschrei: »Feuer! Feuer!« die Bewohner des Gutleuthofs aus dem Innern des Gebäudes hervor. Um das hohe Dach der Domkirche kräuselten sich Dampfwolken und Flammen, es schien ein Brand zu seyn, der mit reißender Geschwindigkeit und unwiderstehlicher Gewalt um sich griff. Die Bewohner des Hofs eilten ängstlich und hülfreich der Stadt zu. In wenigen Augenblicken breitete sich das finstre Gewölk über viele Dächer hin und allenthalben züngelte aus den leichten Holzgebäuden jener Zeit die Flamme hervor und fand reichliche Nahrung und, wie Alles erwieß, ohnmächtigen Widerstand.

»Bei dem Haupte des heiligen Bartholomäus,« rief, aus der Starrheit der ersten Bestürzung erwachend, der Herr vom Rhein dem zurückkehrenden Freunde zu, »das ist der Geißler Werk! Sie wollen die Schrecknisse von Basel und Straßburg in unsrer Stadt wiederholen. Meinrad, der Brand wüthet bei'm Rathhause und im Judenviertel! Dort steht auch meine Wohnung. Gott sey meinem blinden Weibe gnädig!«

Jetzt erst die ganze Größe des drohenden Unheils fassend, folgte er außer sich den Leuten vom Hofe, die schon einen ansehnlichen Vorsprung gewonnen hatten, auf dem Wege nach der Stadt hin. Mit mächtigen Schritten blieb ihm der Mönch zur Seite. Die Blicke des kaiserlichen Vogts ruheten, als wollten sie den Brand beschwören, starr auf den züngelnden Flammen, auf den schweren Rauchwolken, die sich nach und nach über die ganze Stadt hindehnten. Jetzt vernahm man zwischen dem Läuten der Sturmglocken auch ein dumpfes, wüstes Geschrei. Die Männer eilten odemlos vorwärts – und dennoch schien dieser Weg sich in das Unendliche zu verlängern; alle Gedanken, alle Seelenkräfte, die Einbildungskraft mit ihren tausendgestaltigen Schrecken, waren dort, wo die Flamme wüthete, aber wo ist die körperliche Kraft, die mit ihrem Fluge wetteifern könnte, die der stürmische Drang der Seele, die Rastlosigkeit der Sehnsucht, mit sich fortzureißen vermöchten?



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