Charles Dickens
Klein-Dorrit. Erstes Buch
Charles Dickens

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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Das Marschallgefängnis wird verwaist.

Der Tag rückte heran, an dem Mr. Dorrit und seine Familie das Gefängnis für immer verlassen und die Steine seines vielbetretenen Pflasters sie nicht mehr kennen sollten. Die Zwischenzeit war von kurzer Dauer, aber er beklagte sich lebhaft über ihre Länge und ließ sich sehr hochfahrend gegen Mr. Rugg wegen der Verzögerung vernehmen. Er war überhaupt sehr stolz gegen Mr. Rugg und hatte ihm gedroht, jemanden anders mit seinen Sachen zu beauftragen. Er hatte Mr. Rugg aufgefordert, sich nichts auf den Ort hin, an dem er ihn finde, herauszunehmen, sondern seine Pflicht zu tun und sie pünktlich zu tun. Er hatte Mr. Rugg gesagt, daß er wisse, was für Leute Anwälte und Agenten seien, und daß er sich keiner Täuschung fügen werde. Als dieser Herr ihm demütig vorhielt, er strenge sich außerordentlich an, war Miß Fanny sehr kurz gegen ihn, indem sie zu wissen wünschte, was er weniger tun könnte, da man ihm doch schon ein dutzendmal gesagt, daß Geld kein Gegenstand sei, und vor ihm die Vermutung aussprach, daß er vergesse, mit wem er rede.

Gegen den Marschall, der bereits seit vielen Jahren das Amt eines Marschalls verwaltete, und mit dem er nie zuvor ein Zerwürfnis gehabt, benahm er sich sehr hart. Dieser Beamte bot ihm, als er persönlich seine Glückwünsche darbrachte, die freie Benutzung von zwei Zimmern in seinem Hause bis zu seinem Weggang an. Mr. Dorrit dankte ihm für den Augenblick und antwortete, er wolle sich die Sache überlegen; aber der Marschall war kaum fort, als er sich niedersetzte und ihm einen unfreundlichen Brief schrieb, in dem er ihm bemerkte, daß er nie und bei keiner frühern Gelegenheit die Ehre gehabt, seine Glückwünsche zu empfangen (was allerdings wahr war, obgleich auch wirklich keine besondere Gelegenheit vorhanden gewesen, bei der man ihm hätte gratulieren können), und daß er deshalb sich erlaube, für sich und seine Familie das Anerbieten des Marschalls mit all dem Dank auszuschlagen, den sein uneigennütziger Charakter und seine vollkommene Unabhängigkeit von allen weltlichen Rücksichten fordere.

Obgleich sein Bruder einen so dunklen Schimmer von Interesse an ihren veränderten Glücksumständen zeigte, daß es sehr zweifelhaft war, ob er sie überhaupt begreife, ließ ihm doch Mr. Dorrit für einen neuen Anzug das Maß von den Schnitthändlern, Schneidern, Hutmachern und Schuhmachern nehmen, die er für sich selbst hatte kommen lassen, und befahl, daß man ihm seine alten Kleider wegnehme und verbrenne. Miß Fanny und Mr. Tip brauchten keinen Wink, um sich den feinsten und elegantesten Anzug zuzulegen, und diese drei brachten die Zwischenzeit in dem besten Hotel der Nachbarschaft zu – obgleich das Beste, wie Miß Fanny sagte, kaum gut genug war. In Verbindung mit dieser Wahl einer Wohnung mietete Mr. Tip eine Equipage, nebst Pferd und Groom, ein sehr hübsches Ding, das man zu Zeiten zwei bis drei Stunden lang die Borough Hill Street, Außenseite des Marschallgefängnishofes, beehren sah. Ein bescheidener, kleiner, gemieteter Wagen mit zwei Pferden war gleichfalls häufig dort zu sehen; beim Aussteigen und Einsteigen in dieses Gefährt ärgerte Miß Fanny die Töchter des Marschalls durch Entfaltung eines unerhörten Kleiderluxus.

Eine große Menge von Geschäften wurde in dieser kurzen Periode abgemacht. Unter anderen Items wurden die HH. Peddle und Pool, Sachwalter im Monument Yard, durch ihren Klienten Edward Dorrit, Esquire, instruiert, einen Brief an Mr. Arthur Clennam mit der Summe von vierundzwanzig Pfund, neun Schillingen und acht Pence zu richten, dem Betrag des Darlehens und der Interessen von fünf Prozent pro Jahr, den ihr Klient Mr. Clennam schuldig zu sein glaubte. Bei dieser Mitteilung und Rückzahlung wurden die HH. Peddle und Pool ferner durch ihren Klienten beauftragt, Mr. Clennam zu erinnern, daß dieses gütige Darlehen, das jetzt (mit Einschluß des Schließergeldes) zurückbezahlt sei, nicht von ihm verlangt worden war, und ihm mitzuteilen, daß es auch nicht angenommen worden wäre, wenn man es ihm offen in seinem Namen angeboten hätte. Womit sie einen gestempelten Empfangschein verlangten und seine ergebenen Diener verblieben. Eine große Menge Geschäfte mußten ebenfalls in dem nun bald verwaisten Marschallgefängnis von Mr. Dorrit besorgt werden, der so lange sein Vater gewesen, und zwar hauptsächlich Gesuche, die einzelne Kollegen wegen kleiner Summen an ihn richteten. Diesen entsprach er mit der größten Liberalität und ließ es nie an Formalitäten fehlen; indem er immer zuerst schriftlich eine Zeit bestimmte, wo sie ihn in seinem Zimmer erwarten sollten, und sie dann inmitten eines großen Haufens von Dokumenten empfing und seine Schenkung (denn er sagte in jedem solchen Fall, »es ist eine Schenkung, kein Darlehen«) mit vielem guten Rat begleitete, daß er, der scheidende Vater des Marschallgefängnisses, hoffe, man werde seiner noch lange als eines Beispiels gedenken, daß ein Mann seine eigne und die allgemeine Achtung auch hier sich noch erhalten könne.

Die Kollegen waren nicht neidisch. Abgesehen von ihrer persönlichen und traditionellen Achtung vor einem Kollegen, der so lange schon im Gefängnis war, brachte das Ereignis dem Kollegium Kredit und machte viel in den Zeitungen von ihm sprechen. Vielleicht dachten auch mehrere von ihnen, ohne daß sie sich dessen wirklich bewußt waren, daß dies bei der Lotterie der Zufälle ihnen ebensogut hätte begegnen können, oder daß ihnen noch etwas der Art eines Tages passieren könnte. Sie nahmen es sehr gut auf. Nur wenige machte der Gedanke, zurückgelassen, oder arm zurückgelassen zu werden, niedergeschlagen; aber auch diese sahen den glänzenden Glückswechsel der Familie nicht mit mißgünstigen Augen an. Es wäre an vornehmen Orten sicher weit mehr Neid gewesen. Es dünkt uns wahrscheinlich, daß mittelmäßiges Vermögen weit weniger geneigt gewesen, großmütig zu sein als die Kollegen, die von der Hand in den Mund – von des Pfänderleihers Hand zum täglichen Essen – lebten.

Sie setzten eine Adresse an ihn auf, die sie ihm in hübschem Glas und Rahmen präsentierten (doch wurde sie später nicht im Familienhause aufgehängt oder unter den Familienpapieren aufbewahrt); er erließ aber eine gnädige Antwort darauf. In diesem Dokument versicherte er sie in echt königlicher Weise, daß er den Ausdruck ihrer Anhänglichkeit mit der vollen Gewißheit der Aufrichtigkeit entgegennehme, und ermahnte wiederum alle, seinem Beispiel zu folgen – welches sie, insoweit wenigstens, als es die Erlangung eines großen Vermögens betraf, sicherlich mit Freuden nachgeahmt hätten. Er ergriff zu gleicher Zeit diese Gelegenheit, sie zu einem alle umfassenden Gastmahl einzuladen, das dem ganzen Kollegium im Gefängnishofe gegeben werden sollte, und bei dem er, wie er andeutete, die Ehre haben werde, ein Abschiedsglas auf die Gesundheit und das Glück all derer zu trinken, die er zurückzulassen im Begriff stünde.

Er aß nicht in Person bei diesem öffentlichen Gastmahl mit (es fand um zwei Uhr nachmittags statt, und seine Diners kamen nun um sechs Uhr aus dem Hotel), aber sein Sohn hatte die Güte, den obersten Platz an der Haupttafel einzunehmen und sehr leutselig und liebenswürdig zu sein. Er selbst ging unter der Gesellschaft umher, unterhielt sich mit den einzelnen und sah, ob die Gerichte von der Art waren, wie er sie befohlen, und daß alle bedient würden. Im ganzen nahm er sich wie ein Baron aus der alten Zeit aus, der in selten guter Stimmung war. Am Schluß des Mahles tat er seinen Gästen mit einem vollen Glase alten Madeiras Bescheid und sagte, er hoffe, sie seien vergnügt gewesen, und was mehr, sie würden sich auch noch den übrigen Teil des Abends gut unterhalten; daß er ihnen alles Gute wünsche und ihnen herzlich Lebewohl sage. Als seine Gesundheit unter lautem Jubel getrunken wurde, war er nicht so sehr Baron, daß er nicht, als er versuchen wollte, seinen Dank auszusprechen, wie ein bloßer Knecht mit einem Herzen in seiner Brust zusammengebrochen wäre und vor ihnen allen geweint hätte. Nach diesem großen Erfolg, den er für eine Niederlage hielt, ließ er »Mr. Chivery und seine Amtsbrüder« leben, von denen er zuvor jedem zehn Pfund geschenkt, und die alle zugegen waren. Mr. Chivery antwortete auf den Toast, indem er sagte: »Was du einsperren willst, das sperre ein; aber erinnere dich, daß du nach den Worten des gefesselten Afrikaners Mensch und Bruder bist.« Nachdem die Reihe der Toaste vorüber war, hatte Mr. Dorrit die Artigkeit, eine Partie Kegel mit dem Kollegen zu machen, der der nächstälteste Bewohner des Gefängnisses nach ihm war, und überließ seine Vasallen ihren Belustigungen.

All diese Vorkommnisse gingen jedoch dem letzten Tag voraus. Nun kam der Tag, wo seine Familie das Gefängnis für immer verlassen und die Steine seines vielbetretenen Pflasters sie nicht mehr kennen sollten.

Mittag war die für das Scheiden bestimmte Stunde. Als sie heranrückte, war kein Kollege mehr innerhalb der Türen, kein Schließer abwesend. Diese letztere Klasse der Herren erschien in ihren Sonntagskleidern, und der größere Teil der Kollegen war so guter Laune, als die Umstände es erlaubten. Auch zwei bis drei Fahnen wurden entfaltet und die Kinder mit allen Arten von Bändern behängt. Mr. Dorrit selbst bewahrte bei dieser wichtigen Gelegenheit eine ernste, aber anmutsvolle Würde. Viele Aufmerksamkeit widmete er dem Bruder, wegen dessen Benehmen bei der großen Feierlichkeit er etwas besorgt war.

»Mein lieber Frederick«, sagte er, »wenn du mir deinen Arm geben willst, so werden wir zusammen durch die Reihe unserer Freunde schreiten. Ich denke, es ist das richtige, wenn wir Arm in Arm von hier weggehen, mein lieber Frederick.«

»Hah!« sagte Frederick. »Ja, ja, ja, ja.«

»Und wenn, mein lieber Frederick, – wenn du, ohne dir großen Zwang anzulegen (bitte, entschuldige mich, Frederick), etwas Schliff in dein gewöhnliches Benehmen bringen könntest –«

»William, William«, sagte der andere, seinen Kopf schüttelnd, »das ist deine Sache, all das zu tun. Ich weiß nicht, wie das machen. Alles vergessen, vergessen!«

»Aber, mein lieber Junge«, entgegnete William, »gerade aus diesem Grunde, rein aus keinem andern, mußt du wirklich versuchen, dich etwas aufzuraffen. Was du vergessen hast, mußt du wieder in dein Gedächtnis zurückzurufen beginnen, mein lieber Frederick. Deine Stellung –«

»Hm?« sagte Frederick.

»Deine Stellung, mein lieber Frederick.«

»Meine?« Er sah zuerst sich und dann seinen Bruder an, worauf er tief Atem holend ausrief: »Ha, allerdings. Ja, ja, ja!«

»Deine Stellung, mein lieber Frederick, ist jetzt eine sehr vornehme. Deine Stellung, als mein Bruder, ist jetzt eine sehr vornehme. Und ich weiß, daß es in deiner gewissenhaften Natur liegt, den Versuch zu machen, derselben würdig zu werden und zu streben, mein lieber Frederick, ihr Ehre zu machen. Ihr nicht Unehre, sondern Ehre zu machen.«

»William«, sagte der andere weich und mit einem Seufzer, »ich will alles tun, was du wünschest, vorausgesetzt, daß es in meiner Macht liegt. Bitte, erinnere dich aber daran, daß meine Macht sehr beschränkt ist. Was wünschest du, mein Bruder, daß ich heute tun soll? Sage, was du willst, sage nur, was du willst.«

»Mein liebster Frederick, nichts. Es ist nicht der Mühe wert, ein so gutes Herz wie das deine zu quälen.«

»Bitte, quäle es«, versetzte der andere. »Es ist mir keine Qual, William, wenn ich etwas für dich tun kann.«

William fuhr mit der Hand über die Augen und murmelte mit erhabener Befriedigung: »Gott segne deine Anhänglichkeit, mein armer, lieber Junge!« Dann sagte er laut: »Nun, mein lieber Frederick, wenn du nur versuchen wolltest, wenn wir weggehen, zu zeigen, daß du die Bedeutung des Augenblicks lebhaft fühlst – daß du darüber etwas denkst –«

»Was rätst du mir zu denken?« versetzte sein unterwürfiger Bruder.

»Oh, mein lieber Frederick, wie kann ich dir antworten? Ich kann dir nur sagen, was ich selbst denke, wenn ich diese guten Leute verlasse.«

»Das ist's!« rief sein Bruder. »Das wird mir helfen.«

»Ich finde, daß ich, mein lieber Frederick, mit gemischten Gefühlen, in denen ein sanftes Mitleid vorherrscht, denke: Was werden sie ohne mich anfangen?«

»Wahr«, versetzte sein Bruder, »ja, ja, ja, ja. Ich werde das denken, wenn wir weggehen. Was werden sie ohne meinen Bruder anfangen? Die armen Menschen! Was werden sie ohne ihn tun?«

Es hatte soeben zwölf geschlagen; und da man meldete, daß der Wagen im äußern Hof warte, stiegen die Brüder Arm in Arm die Treppe herab. Edward Dorrit, Esquire, (ehedem Tip) und seine Schwester Fanny folgten, gleichfalls Arm in Arm; Mr. Plornish und Maggy, denen die Wegschaffung der Familiensachen anvertraut war, die des Wegschaffens wert erachtet wurden, folgten mit Bündeln und Paketen, die in einen neuen Wagen gepackt werden sollten. Im Hof waren die Kollegen und Schließer. Im Hof waren Mr. Pancks und Mr. Rugg, die gekommen waren, um die letzte Hand an ihr Werk legen zu helfen. Im Hof war der junge John, der eine neue Grabschrift auf sein Sterben an gebrochenem Herzen machte. Im Hof war der patriarchalische Casby, der so entsetzlich wohlwollend aussah, daß viele enthusiastische Kollegen begeistert seine Hand faßten und die Frauen und weiblichen Verwandten manches andern Kollegen seine Hand küßten, fest überzeugt, daß er das alles getan hätte. Im Hof war der gewöhnliche Chor von Leuten, wie sie an solchen Orten zu sein pflegen. Im Hof war der Mann mit dem Schatten von Schmerz wegen des Fonds, den der Marschall unterschlagen hatte; er war morgens um fünf aufgestanden, um die Kopie einer vollständig unverständlichen Geschichte dieses Handels zu vollenden, die er Mr. Dorrit als ein Dokument von der äußersten Wichtigkeit übergab, das darauf berechnet war, die Regierung in Staunen zu setzen und des Marschalls Sturz herbeizuführen. Im Hof war der Insolvente, dessen äußerste Energie immer darauf bedacht war, Schulden zu kontrahieren, der mit ebensoviel Mühe ins Gefängnis hineinbrach, wie andere hinausgebrochen sind, und der immer freigelassen und bekomplimentiert wurde; während der Insolvente zu seiner Seite – ein sehr kleiner, lumpiger, strebsamer Handelsmann, halbtot vor ängstlicher Besorgnis, schuldenfrei zu bleiben, – wirklich große Mühe hatte, einen Vermittler zu finden, der ihn mit großen Vorwürfen und Zurechtweisungen frei machte. Im Hof war der Mann mit den zahlreichen Kindern und Lasten, dessen Bankerott jedermann wunderte; im Hof war der Mann, mit keinen Kindern und großen Hilfsquellen, dessen Bankerott niemand wunderte. Ferner zugegen waren die Leute, die immer schon morgen hinausgingen und es immer aufschoben; ferner die Leute, die gestern gekommen und weit eifersüchtiger und empfindlicher über diese Laune des Schicksals waren als die zahmen Vögel. Ferner solche, die aus bloßer niedriger Gesinnung sich bückten und beugten vor dem reichgewordenen Kollegen; noch andere, die dies taten, weil ihre Augen, an die Dunkelheit des Gefängnisses oder der Armut gewöhnt, das Licht solch hellen Sonnenscheins nicht ertragen konnten. Es waren manche da, deren Schillinge in seine Tasche geflossen, um ihm Speise und Trank zu kaufen; aber keine, die jetzt auf Grund dieser Unterstützung in aufdringlicher Weise den vertrauten Kameraden mit ihm spielten. Man konnte eher bemerken, daß die gefangenen Vögel etwas scheu vor dem Vogel waren, der nun so großartig frei werden sollte, und daß sie das Streben hatten, sich etwas nach dem Gitter zurückzuziehen und etwas unruhig zu sein, als er vorüberkam.

Durch diese Reihe von Zuschauern bewegte sich die kleine Prozession, an deren Spitze die beiden Brüder gingen, langsam nach dem Tor zu. Mr. Dorrit, den der große Gedanke bewegte, was die armen Geschöpfe ohne ihn anfangen sollten, war ernst und traurig, aber nicht davon völlig überwältigt. Er fand noch Gedanken dazu, die Köpfe der Kinder zu streicheln, wie Sir Roger de Coverley bei seinem Kirchgang; er redete die Leute im Hintergrund bei ihrem Taufnamen an, er benahm sich gegen alle Anwesenden äußerst herablassend und schien zu ihrem Trost bei seinem Gang von dem Spruch in goldenen Buchstaben umgeben zu sein: »Sei getrost, mein Volk! Ertrag es!«

Zuletzt kündigten drei kräftige Jubelrufe an, daß er das Tor passiert habe und daß das Marschallgefängnis verwaist sei. Ehe das Echo in den Mauern des Gefängnisses verhallt war, hatte die Familie ihren Wagen bestiegen und der Diener den Tritt in der Hand.

Dann und nicht früher rief Miß Fanny plötzlich: »Gott im Himmel! Wo ist Amy?«

Ihr Vater hatte geglaubt, sie sei bei ihrer Schwester. Ihre Schwester hatte geglaubt, sie sei irgendwo. Sie hatten alle erwartet, wie es immer der Fall gewesen, sie im rechten Moment am rechten Platz zu finden. Dies Weggehen war wirklich die erste Handlung in ihrem gemeinsamen Leben, die sie ohne sie vollbracht hatten.

Eine Minute mochte in der Vergewisserung dieser Angelegenheit verflossen sein, als Miß Fanny, die von ihrem Sitz im Wagen den langen engen Weg überschaute, der nach dem Pförtnerstübchen führte, entrüstet errötete.

»Nein, das muß ich sagen. Papa«, rief sie, »das ist schändlich!«

»Was ist schändlich, Fanny?«

»Ich sage«, wiederholte sie, »es ist wahrhaft niederträchtig! Wahrhaftig so entehrend, daß man selbst in einem Augenblick wie diesem wünschen möchte, man wäre tot! Da ist dieses Kind, diese Amy, in ihrem häßlichen und abgeschabten Anzug, wegen dessen sie so eigensinnig war, Papa, und den ich sie zu ändern unermüdlich im Bitten und Flehen war, wogegen sie Einwürfe zu machen gleichfalls unermüdlich war, den sie jedoch heute zu ändern versprach, indem sie sagte, sie wünsche ihn nur so lange noch zu tragen, als sie hier mit dir verweile – ein absolut romantischer Unsinn der geringsten Art – hier ist dieses Kind Amy, das uns bis zum letzten Moment und im letzten Moment Unehre macht, indem sie sich in diesem Anzug heraustragen läßt. Und dieser Mr. Clennam dazu!«

Das Vergehen erwies sich als richtig, sobald sie die Anklage ausgesprochen. Clennam erschien an dem Wagenschlag, die kleine bewußtlose Gestalt in seinen Armen tragend.

»Sie wurde vergessen«, sagte er in dem Ton des Mitleids, der nicht frei von Vorwurf war. »Ich eilte nach ihrem Zimmer hinauf (das Mr. Chivery mir zeigte) und fand die Tür offen und das arme Kind auf dem Boden in einer Ohnmacht liegen. Sie schien weggegangen zu sein, um ihr Kleid zu wechseln, und war, überwältigt von den Eindrücken, zusammengebrochen. Es mag der Jubel gewesen oder auch schon früher geschehen sein. Nehmen Sie die arme kalte Hand in acht, Miß Dorrit. Lassen Sie sie nicht fallen!«

»Danke Ihnen, Sir«, erwiderte Miß Dorrit in Tränen ausbrechend. »Ich glaube, ich weiß, was ich zu tun habe, wenn Sie mir's erlauben wollen. Liebe Amy, öffne deine Augen, liebes Kind! O Amy, Amy, ich bin wirklich so ärgerlich und beschämt. Ermanne dich, mein Liebling! Oh, warum fahren Sie nicht fort! Bitte, Papa, fahre fort!«

Der Diener trat mit einem schroffen: »Mit Ihrer Erlaubnis!« zwischen Clennam und den Wagenschlag, legte den Tritt zusammen, und sie fuhren fort.

 


 


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