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Vorbemerkung.

Trotz gewissenhafter Durchprüfung der durch »Babel und Bibel« veranlassten Gegenschriften und Kritiken, die ja leider nur zu einem sehr geringen Teile wissenschaftlichen Wert beanspruchen können, sehe ich mich, von kleineren Nachbesserungen abgesehen, zu Änderungen des Inhalts nicht veranlasst. Dieser bleibt vielmehr in allen Hauptsachen unantastbar zu Recht bestehen. Die dem Vortrage beigefügten Anmerkungen sollen dies für die wichtigsten meiner Aufstellungen dartun.

Charlottenburg, Januar 1905.
Friedrich Delitzsch.

1. Allgemeine Übersichtskarte.

2. Aus den deutschen Grabungen in Babylon.

Wozu diese Mühen im fernen, unwirtlichen, gefahrvollen Lande? Wozu dieses kostspielige Umwühlen viel tausendjährigen Schuttes bis hinab auf das Grundwasser, wo doch kein Gold und kein Silber zu finden? Wozu der Wetteifer der Nationen, sich je mehr je lieber von diesen öden Hügeln für die Grabung zu sichern? Und woher andererseits das immer steigende opferfreudige Interesse, das diesseits und jenseits des Ozeans den Grabungen in Babylonien-Assyrien zuteil wird?

Auf beide Fragen nennt Eine Antwort, wenn auch nicht erschöpfend, so doch zu einem guten Teil Ursache und Zweck: die Bibel. Die Namen Nineve und Babylon, die Erzählungen von Belsazar und den Weisen aus dem Morgenland umwebt von unserer Jugend auf ein geheimnisvoller Zauber, und die langen Herrscherreihen, die wir zu neuem Leben erwecken, mögen noch so bedeutungsvoll sein für Geschichte und Kultur – sie würden nicht halb die Teilnahme wachrufen, wenn nicht Amraphel und Sanherib und Nebukadnezar unter ihnen wären, die uns schon aus der Schulzeit vertraut sind. Zu diesen Erinnerungen der Jugend gesellt sich aber im reiferen Alter das gerade in unserer Zeit jeden Denkenden erfüllende Streben nach einer Vernunft wie Herz befriedigenden Weltanschauung: dieses führt aber immer wieder hin zu der Frage nach dem Ursprung und der Bedeutung der Bibel, in erster Linie des Alten Testamentes, mit welchem das Neue ja doch historisch unlösbar verknüpft ist. Es ist erstaunlich, wie eben jetzt in Deutschland, England, Amerika – diesen drei Bibelländern, wie sie nicht mit Unrecht genannt worden – das Alte Testament, diese kleine Bibliothek mannigfaltigster Bücher, von einer kaum übersehbaren Zahl christlicher Gelehrter nach allen Richtungen hin durchforscht wird. Die Welt nimmt von dieser stillen Geistesarbeit noch immer erst wenig Notiz; aber soviel steht fest, dass, wenn erst die Summa der gewonnenen neuen Erkenntnisse [Anmerkung 1] die Schranken der Studierzimmer durchbrechend, hinaustritt in das Leben: in die Kirchen und in die Schulen, das Leben der Menschen und Völker tiefer bewegt und bedeutsameren Fortschritten zugeführt werden wird, als durch die hervorragendsten Entdeckungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften. Hierbei aber bricht immer allgemeiner die Überzeugung sich Bahn, dass obenan die Ergebnisse der babylonisch-assyrischen Ausgrabungen berufen sind, eine neue Epoche, wie im Verständnis, so in der Beurteilung des Alten Testamentes herbeizuführen, und dass für alle Zukunft eng verbunden bleiben Babel und Bibel.

Wie haben sich doch die Zeiten geändert! David, Salomo 1000 vor Chr., Moses gar 1400 und noch 8 Jahrhunderte früher Abraham, und von allen diesen Männern bis ins Einzelne gehende Nachricht – das erschien so einzigartig, so übernatürlich, dass man auch Erzählungen aus den Anfängen der Welt und der Menschheit gläubig mit hinnahm – selbst grosse Geister standen unter dem Bann des das 1. Buch Mosis umgebenden Mysteriums. Jetzt, da die Pyramiden sich geöffnet und die assyrischen Paläste sich aufgetan, erscheint das Volk Israel und sein Schrifttum als der jüngsten eines unter den Nachbarn. – Bis tief in unser letztes Jahrhundert hinein bildete das Alte Testament eine Welt für sich: es sprach von Zeiten, an deren jüngste Grenzen das klassische Altertum eben noch heranreicht, und von Völkern, deren bei Griechen und Römern gar keine oder nur flüchtige Erwähnung geschieht. Die Bibel war für die vorderasiatische Welt von etwa 550 v. Chr. ab aufwärts die einzige Quelle, und da ihr Gesichtskreis sich ausdehnt über das ganze grosse Quadrat zwischen Mittelmeer und Persischem Golf und vom Ararat bis Äthiopien, so ist sie voll von Rätseln, deren Lösung vielleicht niemals geglückt wäre. Jetzt auf einmal fallen die den alttestamentlichen Schauplatz vornehmlich nach rückwärts abschliessenden Wände, und ein frischer, belebender Wind aus dem Osten, gepaart mit einer Fülle von Licht, durchweht und durchleuchtet das ganze altehrwürdige Buch und zwar um so intensiver, als das hebräische Altertum von Anfang bis zu Ende gerade mit Babylonien und Assyrien verkettet ist.

3. Trümmerhügel el-Muqajjar (Ur in Chaldäa).

Die amerikanischen Grabungen in Nippur haben die Geschäftsurkunden der dortigen Grosskaufmanns-Firma Muraschû und Söhne aus der Zeit des Artaxerxes (um 450 v. Chr.) ans Licht gebracht [Anmerkung 2]. Da lesen wir viele Namen in Babel verbliebener jüdischen Exulanten, wie Nathanael, Haggai, Benjamin, lesen aber auch in Verbindung mit der Stadt Nippur einen Kanal Kabar, womit jener durch Ezechiels Vision berühmte Kanal Kebar »im Lande der Chaldäer« (Ezech. 1, 3) wiedergefunden ist. Dieser canale grande – denn das bedeutet der Name – dürfte sogar bis auf diesen Tag existieren. – Da die babylonischen Ziegel zumeist einen Stempel tragen, der unter anderm auch den Namen der Stadt nennt, welcher das betreffende Gebäude angehört, so gelang es Sir Henry Rawlinson schon im Jahre 1849, die vielgesuchte Stadt Ur der Chaldäer, die mehrfach bezeugte Heimat Abrahams bezw. der Stammesahnen Israels (1 Mo. 11, 31. 15, 7), wiederzuentdecken, nämlich in der gewaltigen südbabylonischen Ruinenstätte el-Muqajjar auf der rechten Seite des untersten Euphratlaufes (Abb. 3). - Und die Angaben der Keilschrift-Literatur lassen in geographischen Dingen so klar sehen, dass, während man früher die Stadt Karkemisch, bei welcher Nebukadnezar 605 v. Chr. den grossen Sieg über Pharao Necho davontrug (Jer. 46, 2), da und dort am Euphratufer suchte, der englische Assyriologe George Smith im März des Jahres 1876 von Aleppo aus direkt nach der Gegend stromabwärts von Biredschik ritt, wo nach den Keilinschriften die alte hettitische Königsstadt gelegen haben musste, und die dortige Ruinenstätte Dscherâbîs, grösser denn Nineve, mit Mauern und Palasthügel, sofort und auf das Bestimmteste mit Karkemisch identifizierte, was unmittelbar hernach durch die über das Trümmerfeld verstreuten Inschriften in jener eigenartigen hettitischen Bilderschrift (Abb. 4) bestätigt wurde [Anmerkung 3].

4. Hettitische Bilderschrift aus Karkemisch.

5. König Sargon II und sein Feldmarschall.

Und gleich einer grossen Zahl von Örtlichkeiten erhalten viele in der Bibel genannte Persönlichkeiten jetzt Farbe und Leben. Das Buch des Propheten Jesaias (20, 1) erwähnt einmal einen assyrischen König namens Sargon, der seinen Feldmarschall gegen Asdod geschickt, und als der französische Konsul Emile Botta 1843 auf dem unweit von Mosul gelegenen Trümmerhügel Chorsabad zu graben begann und damit – auf eines deutschen Gelehrten Rat – die archäologischen Forschungen auf mesopotamischem Boden inaugurierte, war gleich der erste gefundene assyrische Palast der Palast dieses Sargon, des Eroberers von Samarien; ja auf einem der prächtigen Alabasterreliefs, mit welchen die Wände der Palastgemächer geschmückt waren, trat uns in eigenster Person dieser grosse Kriegsheld vor Augen, im Gespräch mit seinem Feldmarschall (Abb. 5). Das biblische Königsbuch (2 Kön. 18, 14 ff.) erzählt, dass der König Sanherib in der südpalästinensischen Stadt Lakisch den Tribut des Königs Hiskia von Jerusalem empfangen habe – ein Relief aus Sanheribs Palast zu Nineve zeigt den assyrischen Grosskönig thronend vor seinem Zelte angesichts einer eroberten Stadt, und die begleitende Inschrift besagt: »Sanherib, der König des Alls, Königvon Assur, setzte sich auf seinen Thron und musterte die Beute von Lakisch«. Und wiederum Sanheribs babylonischen Gegner, Merodach-baladan, welcher der Bibel zufolge (2 Kön. 20, 12) Freundschaftsboten an Hiskia sandte, zeigt uns ein herrliches Berliner Diorit-Relief (Abb. 6), vor dem König das Stadtoberhaupt Babylons, welchem die Huld seines königlichen Herrn grosse Ländereien als Geschenk überwiesen. Selbst der Zeitgenosse Abrahams Amraphel (1 Mo. cap. 14), der grosse König Hammurabi, ist jetzt durch Bildnisse (z. B. Abb. 7) vertreten [Anmerkung 4]. So stehen alle die Männer, welche durch drei Jahrtausende hindurch die Weltgeschichte gemacht, lebendig wieder auf, sogar ihre

6. Merodach-baladan III, König von Babylon.

Siegelcylinder sind uns erhalten geblieben: hier das Siegel des Königs Darius Hystaspis Sohn (Abb. 8): der König unter dem erhabenen Schutz Auramazda's auf der Löwenjagd, daneben die dreisprachige Inschrift: »Ich bin Darius, der grosse König« – ein wahrer Schatz des Britischen Museums, und hier das Staatssiegel [Anmerkung 5] eines der ältesten bislang bekannten babylonischen Herrscher, Sargani-šar-ali's oder Sargons I, aus dem 3., vielleicht gar 4. Jahrtausend v. Chr. (Abb. 9), jenes Königs, welchen eine Legende von sich erzählen lässt, dass er seinen Vater nicht gekannt habe, dieser also vor seiner Geburt gestorben sei, und da sich seines Vaters Bruder nicht um die verwitwete Mutter gekümmert [Anmerkung 6], so habe ihn diese in grosser Bedrängnis zur Welt gebracht: in Azupiran am Euphrat gebar sie mich heimlich, legte mich in ein Kästchen von Schilfrohr, verschloss mit Erdpech meine Tür, legte mich in den Fluss, der mich auf seinen Wellen hinabtrug zu Akki, dem Wasserträger. Der nahm mich auf in der Freundlichkeit seines Herzens, zog mich auf als sein Kind, machte mich zu seinem Gärtner – da gewann Istar, die Tochter des Himmelskönigs, mich lieb und erhob mich zum König über die Menschen.

7. König Hammurabi (Amraphel)

8. Siegel des Königs Darius Hystaspis.

Aber auch die ganzen Völker werden wieder lebendig. Wenn wir von den assyrischen Kunstdenkmälern die verschiedenen Völkertypen sammeln [Anmerkung 7] und hier (Abb. 12) die Darstellung eines Judäers aus Lakisch, und hier (Abb. 11) eines Israeliten aus der Zeit Jehus ins Auge fassen, so dürften auch die übrigen Völkertypen, z. B. der elamitische Häuptling (10), der arabische Reiter (14) und der babylonische Kaufmann (13) ebenso genau beobachtet und wiedergegeben sein. Speziell die Assyrer, welche noch vor sechs Jahrzehnten mitsamt ihrer Geschichte und Kultur untergegangen zu sein schienen im Strome der Zeiten, sind uns jetzt durch die Grabungen in Nineve bis ins Kleinste bekannt, und viele Stellen der prophetischen Bücher finden farbenprächtige Illustrierung.

9. Siegel des Königs Sargon I.

»Siehe, eilend und schnell kommen sie daher. Und ist keiner unter ihnen müde oder schwach, keiner schlummert noch schläft, keinem geht der Gürtel auf von seinen Lenden oder reisst der Riemen seiner Schuhe. Ihre Pfeile sind geschärft und alle ihre Bogen gespannt. Ihrer Rosse Huf ist wie ein Kiesel geachtet und ihre Wagenräder gleich dem Sturmwind. Sie brüllen wie ein Löwe und erhaschen den Raub, dass niemand erretten kann.« So schildert mit beredten Worten der Prophet Jesaias (5, 26 ff.) die assyrischen Truppen. Jetzt sehen wir diese assyrischen Soldaten frühmorgens aus dem Lager aufbrechen (Abb. 15) und mit Mauerbrechern die feindliche Feste berennen (Abb. 16), während in der unteren Reihe unglückliche Gefangene: Männer, Frauen und Kinder weggeführt werden; wir sehen (Abb. 17) die assyrischen Bogenschützen und Speerträger ihre Geschosse werfen nach der feindlichen Festung, und anderwärts (Abb. 18) assyrische Krieger einen von feindlichen Bogenschützen verteidigten Hügel stürmen: sie ziehen sich an den Ästen der Bäume empor oder klimmen mit Hilfe von Bergstöcken hinauf, während andere triumphierend die abgeschlagenen Häupter der Feinde zu Tal tragen.

10. Elamit. 11. Israelit. 12. Judäer. 13. Babylonier. 14. Araber.

15. Aufbruch assyrischer Truppen aus dem Lager.

16. Berennung einer Feste mit Mauerbrechern.

17. Assyrische Bogenschützen und Speerträger.

18. Ersteigung eines von Feinden besetzten Hügels.

Das Kriegswesen dieses ersten Militärstaates der Welt wird uns durch eine Menge solcher Kriegsbilder auf den Bronzetoren Salmanassars II wie auf den Alabasterreliefs der Paläste Sargons und Sanheribs bis in die Einzelheiten der Bewaffnung und Ausrüstung und deren stufenweisen Fortschritte vermittelt. Hier (Abb. 19) das Porträt eines assyrischen Offiziers vom Stabe Sargons, dessen Barttracht an Kunstfertigkeit von jener unserer heutigen Offiziere doch noch nicht erreicht ist, und hier die Pagen des königlichen Hofstaates in feierlichem Eintritt (Abb. 20), den königlichen Wagen tragend (Abb. 21), und hier (Abb. 22) den königlichen Thron. Viele schöne Reliefs zeigen uns den König Sardanapal auf der Jagd (Abb. 23), besonders bei seinem Lieblingssport, der Jagd auf den Löwen, welcher in besonderen Wildparks und in sinnig konstruierten Käfigen (Abb. 24) – vergl. Ezech. 19, 9 – für den Tag der Jagd stets in einer Menge hervorragend stattlicher Exemplare bereit gehalten wurde.

19. Assyrischer Offizier vom Stabe Sargons II.

20. Pagen in feierlichem Eintritt.

21. Pagen, den königl. Wagen tragend.

22. Pagen, den königl. Thron tragend.

23. König Sardanapal auf der Jagd.

Als der König Saul den jungen David nicht ausziehen lassen wollte zum Kampf wider Goliath, da erinnert ihn dieser, wie er als Hirt der Schafe seines Vaters gar manchmal, wenn ein Löwe oder Bär ihm ein Stück seiner Herde genommen habe, dem Raubtier nachgegangen sei, es geschlagen und seine Beute ihm wieder entrissen habe; und wenn es sich dann gegen ihn selbst gekehrt, dann habe er den Löwen bei seinem Barte gepackt und getötet. Genau so war dies Brauch in Assyrien.

24. Löwenkäfig.

25. Sardanapal jagt den Löwen, vom Pferd aus.

26. Sardanapal jagt den Löwen vom Wagen aus.

27. Sardanapal zu Fuss im Kampf mit dem Löwen.

28. 29. Vorbereitungen zur königlichen Tafel.

Darum zeigen uns die Reliefs den König Sardanapal im Kampf mit dem Löwen nicht allein zu Pferd (Abb. 25) und zu Wagen (Abb. 26), sondern wir sehen den König von Assur auch im Nahkampf zu Fuss (Abb. 27) mutig sich messen mit dem König der Wüste. Wir tun einen Einblick in die Vorbereitungen zur königlichen Tafel (Abb. 28. 29), sehen Diener mit Hasen, Rebhühnern, an Stäben befestigten Heuschrecken und einer Fülle von Kuchen und allerlei Früchten, in der einen Hand kleine frische Zweige zur Abwehr der Fliegen. Ja, wir dürfen sogar auf einem Relief aus dem Harem (Abb. 30) den König und die Königin in weinumrankter Laube an köstlichem Wein sich laben sehen: der König ruhend auf hoher Chaiselongue, die Königin ihm gegenüber sitzend auf hohem Stuhl in reichen Gewändern; Eunuchen fächeln ihnen beiden Kühlung zu, während aus der Ferne süsses Saitenspiel an ihr Ohr klingt. Es ist die einzige uns im Bild erhaltene Königin, deren in früheren Jahren noch besser erhaltenes Profil ein preussischer Oberleutnant, der nachmalige Oberst Billerbeck, 1867 durch eine Zeichnung (Abb. 31) für die Nachwelt gerettet hat: wohl möglich, dass diese Gemahlin Sardanapals eine Prinzessin arischen Geblüts ist und blondhaarig zu denken [Anmerkung 8]. Und noch vieles Andere, was uns aus dem assyrischen Altertum interessieren kann, tritt uns im Bilde vor Augen. Der Prophet Jesaias (45, 20. 46, 1) erwähnt Götterprozessionen [Anmerkung 9]; hier (Abb. 32) sehen wir eine solche: die Göttinnen voran, hinter ihnen der mit Hammer und Blitzbündel bewaffnete Donnergott; die assyrischen Soldaten sind zum Tragen der Götterbilder kommandiert.

30. König und Königin in weinumrankter Laube.

31. Gemahlin Sardanapals.

32. Götterprozession.

33. Transport eines Stierkolosses.

34. Tor des Sargonspalastes (rekonstruiert).

Wir sehen (Abb. 33), wie die schweren Stierkolosse transportiert werden, und tun dabei allerlei Einblicke in die technischen Kenntnisse der Assyrer; vor allem aber erfreuen wir uns immer von neuem an dem einfachen, edlen Stil ihrer Architektur, wie solche das von Botta ausgegrabene Tor des Sargonspalastes (Abb. 34) zeigt, nicht minder an den herrlichen Tierbildern, voll des packendsten Realismus, welche jene »Holländer des Altertums« geschaffen, wie z.B. an dem Idyll friedlich weidender Antilopen (Abb. 35) oder der kunstgeschichtlich berühmten sterbenden Löwin von Nineve (Abb. 36). Die Grabungen aber auf babylonischem Boden erschliessen uns in ganz analoger Weise die Kunst und Kultur dieses Mutterlandes der assyrischen Civilisation bis zurück in das 4. Jahrtausend, also in Zeiten, in welche jemals wieder zurückzugelangen die kühnste Phantasie sich nicht träumen liess. Wir dringen vor bis in die Zeit jenes uralten, nicht indogermanischen und ebensowenig semitischen Volkes der Sumerer, welche die Schöpfer und Urheber der grossen babylonischen Kultur sind, jener Sumerer, denen die Zahl sechzig (nicht hundert) nach der Zehn die nächsthöhere Einheit darstellte. Der sumerische Priesterfürst, dessen prachtvoll erhaltenen Kopf (Abb. 37) das Berliner Museum bewahrt, darf gewiss bezeichnet werden als ein edler Vertreter des Menschengeschlechtes aus der Morgendämmerung der Geschichte [Anmerkung 10].

35. Weidende Antilopen.

36. Die sterbende Löwin von Nineve.

37. Kopf eines sumerischen Priesterfürsten.

Indes so lehrreich und dankenswert alles dies sein mag, so sind es doch nur Einzelheiten und sozusagen Äusserlichkeiten, welche leicht überboten werden durch die Bedeutsamkeit der weiter zu meldenden Tatsachen.

Ich meine hier nicht die allerdings auch hervorhebenswerte Tatsache, dass die auf streng astronomischer Grundlage: Beobachtung von Sonnenfinsternissen u. s. w. ruhende babylonisch-assyrische Zeitrechnung jetzt auch die in dem biblischen Königsbuche erzählten Ereignisse in wissenschaftlicher Weise chronologisch eingliedern lässt, was doppelt dankenswert scheint, seitdem Robertson Smith und Wellhausen nachgewiesen haben, dass die alttestamentliche Chronologie einem System heiliger Zahlen angepasst ist: 480 Jahre vom Ende des Exils rückwärts bis zur Gründung des salomonischen Tempels und abermals 480 Jahre (siehe 1 Kön. 6, 1) von der Gründung des Tempels rückwärts bis zum Auszug der Kinder Israel aus Ägypten [Anmerkung 11]. Und auch die weittragende Bedeutung, welche die Keilschriftforschung – dank der ausserordentlich nahen Verwandtschaft der babylonischen und hebräischen Sprache und dem gewaltigen Umfang der babylonischen Literatur – für das immer bessere Verständnis des alttestamentlichen Textes gewinnt, kann hier nur an Einem Beispiel gezeigt werden. »Der Herr segne dich und behüte dich« – wie unzählige Mal wird dieser dreifach gegliederte Segen (4 Mo. 6, 24 ff.) gesprochen und gehört! Aber in seiner ganzen Tiefe ist er uns doch erst jetzt zum Bewusstsein gekommen, seitdem uns der babylonische Sprachgebrauch gelehrt hat, dass »sein Antlitz, seine Augen auf oder zu jemand erheben« eine mit besonderer Vorliebe von der Gottheit gebrauchte Redensart ist, welche einem auserwählten Menschen (oder Orte) ihr Wohlgefallen, ihre Liebe zuwendet [Anmerkung 12]. Das herrliche Segenswort wünscht also, sich steigernd, dem Menschen von Seiten Gottes Segen und Schutz, Freundlichkeit und Gnade, und endlich sogar Gottes Liebe, um dann auszuklingen in das »Friede sei mit dir«, jenen wahrhaft schönen Segensgruss des Orients, welchen Friedrich Rückert, anknüpfend an einen Vers des Koran (24, 27), mit den Worten besingt:

»Wenn ihr tretet in ein Haus,
Sprecht: Beschieden sei euch Frieden.
Wenn ihr tretet auch hinaus,
Sprechet: Friede sei beschieden.
Was der Mensch auch wünschen mag,
Schönrer Spruch bis diesen Tag
Ward noch nicht erdacht als:
Fried hienieden!«

Aber selbst die grosse Hilfe, welche Babel dem philologischen Verständnis der Bibel unverhofft bringt, muss an Wichtigkeit zurücktreten hinter den folgenden Betrachtungen.

Es ist eines der denkwürdigsten Ergebnisse der archäologischen Forschungen am Euphrat und Tigris, dass wir in jenem schon von Natur ungemein fruchtbaren, aber durch menschlichen Fleiss zu einem Treibhaus gar nicht nachzudenkender Vegetation umgestalteten babylonischen Tieflande von der Grösse etwa Italiens bereits um 2250 v. Chr. einen hochentwickelten Rechtsstaat finden mit einer etwa der unseres späteren Mittelalters wohl vergleichbaren Kultur. Nachdem es Hammurabi gelungen war, den Erbfeind Babyloniens, die Elamiten, aus dem Lande zu vertreiben und Nord und Süd des Landes zu einem Einheitsstaat zu verschmelzen mit Babylon als politischem und religiösem Zentrum, war er vor allem darauf bedacht, einheitliches Recht durch das ganze Land hin zu schaffen und veranstaltete eine grosse Gesetzessammlung, welche das bürgerliche Recht in allen seinen Zweigen fixierte [Anmerkung 13]. Da ist die Stellung des Herrn zum Sklaven und Lohnarbeiter, des Kaufmanns zum Kommis, des Feldeigentümers zum Pächter fest geregelt: der Kommis, der das Geld für verkaufte Waren an seinen Prinzipal abliefert, hat von diesem eine Quittung zu erhalten; bei Wetter- und Überschwemmungsschäden sind Ermässigungen des Pachtzinses vorgesehen, u. s. w. Gemäss den Schreiben Hammurabi's an Sin-idinnam [Anmerkung 14] nimmt der König selbst von allen wichtigeren Rechtsfällen Kenntnis und sorgt für peinlichste Handhabung von Recht und Gerechtigkeit ebenso wie für Ordnung und rastlose Tätigkeit in allen übrigen Zweigen der Verwaltung. Jeder taugliche Mann ist zum Militärdienst verpflichtet, obschon Hammurabi allzu streng gehandhabter Aushebung durch zahlreiche Rechtsentscheidungen vorbeugt, indem er die Privilegien altpriesterlicher Geschlechter achtet oder im Interesse der Viehzucht die Hirten vom Kriegsdienst befreit. Das Fischereirecht für die einzelnen an einem Kanal gelegenen Ortschaften ist genau abgegrenzt. Zu alledem führt der äusserst kursive Schriftcharakter auf weiteste Anwendung des Schriftgebrauchs. Ja, wenn wir unter den Privatbriefen, die uns aus jener alten Zeit in reicher Fülle erhalten geblieben, den Brief einer Frau an ihren auf Reisen befindlichen Mann finden, in welchem sie diesen nach der Mitteilung, dass die Kleinen wohlauf sind, in einer geringfügigen Angelegenheit um Rat fragt, oder das Schreiben eines Sohnes an seinen Vater, in welchem jener diesem mitteilt, dass ihn der und der unerträglich beleidigt habe, dass er den Wicht hauen werde, zuvor aber doch den Rat seines Vaters erkunden möchte, oder einen andern Brief, in welchem der Sohn den Vater um endliche Sendung des lange versprochenen Geldes mahnt, mit der schnöden Begründung, dass er dann wieder für seinen Vater beten könne, so weist dies alles auf einen wohlorganisierten Brief- und Postverkehr, wie denn allen Anzeichen zufolge Strassen, Brücken und Kanäle selbst über die Grenzpfähle Babyloniens hinaus in bestem Zustand sich befanden. Handel und Industrie, Viehzucht und Ackerbau standen in vollster Blüte, und die Wissenchaften, wie z. B. Geometrie, Mathematik und vor allem Astronomie waren auf dem Wege zu jener Höhe der Entwicklung, die sogar unsern modernen Astronomen immer von neuem staunende Bewunderung abringt. Nicht Paris, höchstens Rom kann sich mit Babylon in Bezug auf den Einfluss messen, welchen dieses zwei Jahrtausende hindurch auf die Welt ausgeübt. Für das Babylon Nebukadnezars bezeugen voll Unmuts die alttestamentlichen Propheten dessen alles überstrahlende Herrlichkeit und alles überwältigende Macht. »Ein goldner Becher,« ruft Jeremias aus (51, 7), »war Babel in der Hand Jahve's, der die ganze Erde trunken machte«, und bis in die Offenbarung Johannis zittert die hasserfüllte Erinnerung nach an die grosse Babel, die üppige, fröhliche Stadt, die reichtumstrotzende Handels- und Kunstmetropole, die Mutter der Buhlen und aller Greuel der Erde. Aber dieser Brennpunkt von Kultur und Wissenschaft und Literatur, das »Hirn« Vorderasiens, die alles beherrschende Macht war Babylon bereits seit dem Ausgang des 3. Jahrtausends.

Es war im Winter 1887, dass ägyptische Fellachen zwischen Theben und Memphis in El-Amarna, der Ruinenstätte der Palaststadt Amenophis' IV, nach Altertümern gruben und dort gegen 300 Tontafeln mannigfaltigsten Formats fanden. Es sind, wie sich seitdem herausgestellt hat, Briefe babylonischer, assyrischer, mesopotamischer Könige an die Pharaonen Amenophis III und IV, vor allem aber Schreiben ägyptischer Statthalter aus den grossen kanaanäischen Städten, wie Tyrus, Sidon, Akko, Askalon, an den ägyptischen Hof, und unsere Berliner Museen sind so glücklich, die einzigen Briefe aus Jerusalem zu besitzen, geschrieben noch vor der Einwanderung der Israeliten in das gelobte Land. Einem gewaltigen Scheinwerfer gleich, hat dieser Tontafelfund von El-Amarna das tiefe Dunkel, welches über den Mittelmeerländern und speziell Kanaan, über dessen politischen und Kulturzuständen um 1500, 1400 v. Chr. lagerte, in blendendes Licht verkehrt [Anmerkung 15]. Und die Tatsache allein, dass alle diese Grossen Kanaans, ja sogar Cyperns, sich der babylonischen Sprache und Schrift bedienen, den Babyloniern gleich auf Tontafeln schreiben, dass also die babylonische Sprache die offizielle diplomatische Verkehrssprache war vom Euphrat bis zum Nil, bezeugt den alles beherrschenden Einfluss der babylonischen Kultur und Literatur von 2200 bis über 1400 v. Chr. hinab.

Als die zwölf Stämme Israels in Kanaan einfielen, kamen sie hiernach in ein Land, welches vollständig eine Domäne der babylonischen Kultur war [Anmerkung 16]. Es ist ein kleiner, aber charakteristischer Zug, dass gleich bei der Eroberung und Plünderung der ersten kanaanäischen Stadt, Jericho, ein babylonischer Mantel die Habgier des Achan reizte (Jos. 7, 21) [Anmerkung 17]. Aber nicht nur Industrie, sondern auch Handel und Recht und Sitte und Wissenschaft Babyloniens waren die tonangebenden im Lande. So begreift sich mit einem Schlage, warum z. B. das alttestamentliche Münz-, Mass- und Gewichtssystem, die äussere Form der Gesetze: »wenn einer das und das tut, so soll er das und das –«, ganz die babylonische ist. Und wie der alttestamentliche Tempelkultus, das Opferwesen, das Priestertum von babylonischem Einfluss nicht unberührt ist, so ist es denkwürdig, dass die israelitische Tradition selbst über den Ursprung des Sabbattages nicht mehr sicheren Bescheid weiss (vergleiche 2 Mo. 20, 11 mit 5 Mo. 5, 15). Da aber auch die Babylonier-Assyrer einen von ihnen als » der Tag« κατ' ἐξοχήν bezeichneten Sabbattag ( šabattu) hatten, welcher der »Versöhnung« der Götter diente und diesen Zweck, wie der Name šabattu wahrscheinlich macht, durch Ruhenlassen gewisser Berufstätigkeiten zu erreichen suchte, in jenen Kalendern aber, die speziell für den König bestimmt waren, beim 7., 14, (19.), 21., 28. Monatstag in immer gleicher Ausführlichkeit die Gebote eingeschärft werden, dass an ihnen »der Hirt der grossen Völker« kein gebratenes Fleisch essen, seinen Leibrock nicht wechseln, nicht opfern, der König den Wagen nicht besteigen, keine Entscheidung fällen, der Magier nicht prophezeien, ja selbst der Arzt seine Hand an den Kranken nicht bringen solle, so dürfte ein Zweifel kaum möglich sein, dass wir die in der Sabbat- bezw. Sonntagsruhe beschlossene Segensfülle im letzten Grunde jenem alten Kulturvolk am Euphrat und Tigris verdanken [Anmerkung 18]. Aber noch mehr! Die Berliner Museen bewahren einen besonders kostbaren Schatz. Es ist eine Tontafel, eine babylonische Legende enthaltend, wie es gekommen, dass der erste Mensch der Unsterblichkeit verlustig gegangen. Der Fundort dieser Tafel, nämlich El-Amarna, und die vielen über die Tafel hin verstreuten Punkte mit roter ägyptischer Tinte, welche zeigen, wie der ägyptische Gelehrte bemüht war, sich das Verständnis des fremdsprachigen Textes zu erleichtern, beweisen ad oculos, wie eifrig die Erzeugnisse der babylonischen Literatur schon in jener alten Zeit bis hinab in das Land der Pharaonen studiert wurden. Ist es da Wunder zu nehmen, dass ein Gleiches auch in Palästina geschah, in älterer wie in jüngerer Zeit, und dass eine Reihe biblischer Erzählungen jetzt auf einmal in ihrer ursprünglichen Gestalt aus der Nacht der babylonischen Schatzhügel ans Licht treten?

Die Babylonier teilten ihre Geschichte in zwei grosse Perioden: vor und nach der Flut. Babylonien war recht eigentlich das Land der Sintfluten, wie ja die Alluvialniederungen aller in das Meer mündender grossen Ströme einer besonderen Art furchtbarster Fluten ausgesetzt sind: den von Erdbeben und unermesslichen Regengüssen begleiteten Cyklonen oder Wirbelstürmen. Wenn wir bedenken, dass noch im Jahre 1876 ein solcher Wirbelsturm aus der Bucht von Bengalen unter furchtbarem Gewitter und mit einer Gewalt, dass Schiffe auf die Entfernung von 300 km entmastet wurden, den Gangesmündungen sich näherte, die eben zurückweichende Ebbe von der schrecklich hohen und breiten Cyklonenwelle erfasst und zu einer Riesenwoge vereint wurde, also dass binnen Kurzem 141 geographische Quadratmeilen bis zu 45 Fuss hoch mit Wasser bedeckt waren und 215000 Menschen den Tod durch Ertrinken fanden, bis die Sturmflut an den höher gelegenen Gebieten zerschellte, so lässt sich ermessen, welche furchtbare Katastrophe ein solcher Cyklon in jener uralten Zeit für das babylonische Tiefland bedeutet haben muss. Es ist das Verdienst des berühmten Wiener Geologen Eduard Suess, dass er in der babylonischen Sintfluterzählung, welche auf dieser Tafel (Abb. 38) aus der Bibliothek Sardanapals zu Nineve geschrieben steht, die aber bereits vor 2000 v. Chr. schriftlich fixiert war, Zug um Zug die genaue Schilderung eines solchen Cyklons nachwies: das Meer spielt die Hauptrolle, und deshalb wird das Schiff des babylonischen Noah, Xisuthros, an die Ausläufer des armenisch-medischen Gebirges zurückgeworfen – aber im übrigen ist es die uns allen bekannte Sintfluterzählung. Xisuthros erhält vom Gott der Wassertiefe den Befehl, ein Schiff von der und der Grösse zu bauen, es gut zu verpichen, seine Familie und allen lebendigen Samen hinaufzubringen; das Schiff wird bestiegen, seine Tür verschlossen, es stösst hinaus in die alles verheerenden Wogen, bis es schliesslich auf einem Berg namens Nizir strandet. Es folgt die berühmte Stelle: »am 7. Tag nahm ich heraus eine Taube und entliess sie; die Taube flog hin und her, aber da ein Ruheort nicht vorhanden war, kehrte sie wieder zurück«.

38. Tafel mit der Sintfluterzählung.

Wir lesen dann weiter, wie die Schwalbe entlassen wurde und wieder zurückkehrte, bis endlich der Rabe die Abnahme der Wasser gewahrte und nicht wieder zum Schiff zurückkehrte; wie Xisuthros dann das Fahrzeug verlässt und auf der Spitze des Berges ein Opfer darbringt, dessen süssen Geruch die Götter rochen u. s. w. Diese ganze Erzählung, genau wie sie hier niedergeschrieben war, wanderte nach Kanaan. Aber bei den von Grund aus anderen Bodenverhältnissen vergass man, dass das Meer der Hauptfaktor gewesen, und so finden wir denn in der Bibel zwei Erzählungen von der Sintflut, die nicht allein naturwissenschaftlich unmöglich sind, sondern sich überdies völlig widersprechen, indem die eine ihr die Dauer von 365 Tagen, die andere von 40 + (3 x 7) = 61 Tagen zuspricht [Anmerkung 19]. Diese Erkenntnis, dass in der Bibel zwei grundverschiedene Sintfluterzählungen zu einer einzigen verarbeitet worden sind, verdankt die Wissenschaft dem strenggläubigen katholischen Leibchirurgen Ludwigs XIV, Jean Astruc, welcher im Jahre 1753, wie Goethe sich ausdrückt, zuerst »Messer und Sonde an den Pentateuch legte« [Anmerkung 20] und dadurch der Urheber der Pentateuchkritik wurde, das heisst: der immer klareren Erkenntnis sehr verschiedenartiger Quellenschriften, aus denen die fünf Bücher Mosis zusammengestellt sind. Es sind das Tatsachen, die wissenschaftlich unerschütterlich feststehen, mag man gleich diesseits wie jenseits des Ozeans die Augen noch gewaltsam dagegen verschliessen. Wenn wir bedenken, dass einst sogar Geistern wie Luther und Melanchthon das kopernikanische Weltsystem als anstössig galt, ja dass Kepler selbst, der die wahren Gesetze der Gestirnbewegung enthüllte, wenigstens äusserlich noch dem Glauben an die Astrologie huldigte [Anmerkung 21], so sehen wir klar, wie unendlich mühsam und langsam eine bessere Erkenntnis sich Bahn bricht. So müssen naturgemäss auch die Ergebnisse der Pentateuchkritik sich auf eine nur langsame Anerkennung gefasst machen, aber mit der Zeit wird schon Licht werden. – Auch die 10 babylonischen Könige vor der Flut haben als die 10 vorsintflutlichen Urväter und mit allerlei Übereinstimmungen im Einzelnen Aufnahme in die Bibel gefunden.

Ausser dem babylonischen Gilgamesch-Epos, dessen elfte Tafel die Sintfluterzählung bildet, besitzen wir noch eine zweite schöne babylonische Dichtung: das auf sieben Tafeln geschriebene Weltschöpfungsepos. Ihm zufolge wallte und wogte im Urbeginn aller Dinge das finstere chaotische Urwasser namens Tiâmat. Sobald aber die Götter Anstalt machten, ein geordnetes Weltganzes zu bilden, erhob sich Tiâmat, zumeist als Drache, doch auch als siebenköpfige Schlange vorgestellt, in erbitterter Feindschaft wider die Götter, gebiert aus sich heraus Ungeheuer aller Art, insonderheit riesige, giftgeschwollene Schlangen, und rüstet sich, mit diesen vereint, grollend und schnaubend zum Kampf wider die Götter. Alle Götter beben vor Angst, wie sie den furchtbaren Gegner erschauen – da erbietet sich der Gott Marduk (der Gott des Lichts, speziell des Frühlichts) zum Kampf unter der Bedingung, dass ihm der Vorrang unter den Göttern eingeräumt werde. Es folgt eine herrliche Szene: nachdem der Gott Marduk an Ost und Süd, Nord und West ein gewaltiges Netz befestigt, damit nichts von Tiâmat entwische, besteigt er, in strahlender Rüstung und in majestätischen Glanz gehüllt, seinen von vier feurigen Rossen gezogenen Wagen, bewundernd angeschaut von den Göttern ringsum. Schnurstracks fährt er dem Drachen und dessen Heeresgefolge entgegen und lässt den Ruf zum Zweikampf ergehen. Da schrie Tiâmat wild und laut, bis in die Wurzel mitten entzwei erbebte ihr Grund. Sie öffnete ihren Rachen, so weit sie vermochte, aber noch bevor sie die Lippen wieder schliessen konnte, liess der Gott Marduk den bösen Wind in ihr Inneres hineinfahren, griff dann zum Wurfspiess und zerschnitt ihr Herz, warf hin ihren Leichnam und stellte sich auf ihn, während ihre Helfershelfer in festen Gewahrsam gelegt werden. Darauf schnitt Marduk Tiâmat glatt wie einen Fisch durch, bildete aus der einen Hälfte den Himmel, durch das Himmelsgewölbe gleichzeitig die oberen Wasser von den unteren scheidend, setzte an den Himmel Mond, Sonne und Sterne, bekleidete die Erde mit Pflanzen und Tieren, bis zuletzt der erste Mensch aus der Hand des Schöpfers hervorging [Anmerkung 22].

39. Gott Marduk

Da Marduk der Stadtgott von Babel gewesen, so begreift sich leicht, dass gerade diese Erzählung in Kanaan weite Verbreitung gefunden. Ja, die alttestamentlichen Dichter und Propheten gingen sogar soweit, dass sie Marduks Heldentat unmittelbar auf Jahve übertrugen und diesen nun feierten als den, welcher in der Urzeit die Häupter des Meerungetüms ( liviathân) zerschmettert (Ps. 74, 13 f., vgl. 89, 11), als den, unter welchem zusammenbrachen die Helfershelfer des Drachen ( rahab Iob 9, 13) [Anmerkung 23]. Stellen wie Jes. 51, 9: »Wach' auf, wach' auf! wappne dich mit Kraft, Arm Jahve's! wach' auf wie in den Tagen der Vorzeit, den Geschlechtern der Urzeit! Warst du es nicht, der den Drachen zerhieb, das Ungeheuer ( tannîn) durchbohrte?« oder Iob 26, 12: »In seiner Kraft schlug er das Meer und in seiner Klugheit zerschmiss er den Drachen« lesen sich wie eine Erklärung zu jenem von unserer deutschen Expedition gefundenen kleinen Bildnis des in majestätische Glorie gekleideten Gottes Marduk mit dem gewaltigen Arm und dem weiten Auge und Ohr, dem Symbol seiner Klugheit, zu den Füssen des Gottes der bezwungene Drache des Urwassers (Abb. 39). Der priesterliche Gelehrte freilich, welcher Genesis cap. 1 verfasste, suchte möglichst alle mythologischen Züge von dieser Weltschöpfungserzählung fern zu halten. Da aber das finstere wässerige Chaos und zwar unter ebendemselben Eigennamen Tehôm (das ist Tiâmat) als existierend vorausgesetzt ist, dann zuerst die Finsternis durch das Licht und das Urwasser durch die Himmelsveste geschieden wird, worauf nach Sammlung der unteren Wasser die Erde hervortritt, der Himmel mit Sonne, Mond und Sternen, die mit Pflanzen bedeckte Erde mit Tieren ausgestattet wird, und schliesslich der Mensch aus der Hand Gottes hervorgeht, so ist der allerengste Zusammenhang zwischen der biblischen und babylonischen Weltschöpfungserzählung klar und zugleich einleuchtend, wie so ganz vergeblich alle Versuche sein mussten und für immer sein werden, unsere biblische Weltschöpfungserzählung mit den Ergebnissen der Naturwissenschaft in Einklang zu bringen [Anmerkung 24]. Interessant ist, dass dieser Kampf zwischen Marduk und Tiâmat noch fortklingt in der Offenbarung Johannis in dem Kampf zwischen dem Erzengel Michael und dem »Tiere des Abgrunds, der alten Schlange, die da heisst der Teufel und Satanas«. Dieser ganze Vorstellungskreis, welcher auch in der von den Kreuzfahrern mitgebrachten Erzählung vom Ritter St. Georg und seinem Kampf mit dem Lindwurm vorliegt, ist handgreiflich babylonisch, denn viele, viele Jahrhunderte vor der Apokalypse finden wir den mit jedem neu geschaffenen Tag, mit jedem neu anbrechenden Frühjahr sich erneuernden Kampf zwischen der Macht des Lichtes und der Macht der Finsternis an den Wänden der assyrischen Paläste in herrlichem Relief dargestellt (Abb. 40) [Anmerkung 25].

Die Erkenntnis dieser Zusammenhänge hat aber noch höhere Wichtigkeit.

40. Der Engel des Lichts im Kampf mit dem Drachen.

Unauslöschlich ist jedem menschlichen Herzen das Verbot eingeprägt, dem Nächsten dasjenige zu tun, das man sich selbst nicht angetan zu sehen wünscht. »Du sollst das Blut deines Nächsten nicht vergiessen, du sollst dem Weib deines Nächsten dich nicht nahen, du sollst das Kleid deines Nächsten nicht an dich reissen« – diese Grundforderungen des menschlichen Selbsterhaltungstriebes lesen wir bei den Babyloniern in genau der nämlichen Zusammenstellung, wie das 5., 6. und 7. Gebot des Alten Testaments. Aber der Mensch ist auch ein auf Gemeinschaftsleben angewiesenes Wesen, weshalb die Gebote der Menschlichkeit: der Hilfsbereitschaft, des Erbarmens, der Liebe ein ebenso unveräusserliches Erbe der menschlichen Natur bilden. Wenn darum der babylonische Magier zu einem Kranken gerufen wird und forscht, welche Sünde ihn auf solches Krankenlager geworfen, so bleibt er nicht stehen bei den groben Tatsünden, wie Totschlag oder Diebstahl, sondern er fragt: Hat er einen Festgenommenen nicht freigelassen? einen Gebundenen nicht gelöst? einen Gefangenen nicht sehen lassen das Licht? Selbst auf die höheren Stufen der menschlichen Sittlichkeit legt der Babylonier Wert: die Wahrheit zu sprechen, das Versprechen zu halten ist ihm ebenso heilige Pflicht, wie ihm das mit dem Mund ja sagen und mit dem Herzen Verneinen als ein strafwürdiges Vergehen erscheint [Anmerkung 26]. Es ist nicht befremdend, dass den Babyloniern genau wie den Hebräern die Vergehungen gegen jene Verbote und Gebote als Sünde erschienen: bildete doch auch für die Babylonier Recht und Religion eine unzertrennliche Einheit. Denkwürdiger ist schon, dass auch sie alles menschliche Leid, vornehmlich Krankheit und zuletzt den Tod, als Strafe der Sünde auffassen. In Babel wie Bibel ist der Begriff der Sünde die alles beherrschende Macht. Unter diesen Umständen begreift sich's, dass auch die babylonischen Denker darüber nachgesonnen, wie es möglich gewesen, dass der aus Gottes Hand hervorgegangene, nach Gottes Ebenbild geschaffene, ja sogar göttliches Blut in seinen Adern führende Mensch der Sünde und dem Tod anheimfallen konnte. Die Bibel hat jene schöne, tiefsinnige Erzählung von der Verführung des Weibes durch die Schlange – also wieder die Schlange? Das klingt ja ganz babylonisch. Etwa jene Schlange, die Urfeindin der Götter, welche Marduk besiegte (Abb. 41) und welche sich hiernach an den Göttern des Lichtes gerächt haben würde, indem sie deren höchste Kreatur ihnen abspenstig machte? oder aber jener Schlangengott, von dem einmal gesagt ist, dass »er die Wohnung des Lebens zerstörte«?

41. Die Schlange Tiâmat.

42. Der Sündenfall (?) in babylonischer Darstellung.

Die Frage nach dem Ursprung der biblischen Sündenfallerzählung ist wie keine zweite von eminenter religionsgeschichtlicher Wichtigkeit, vor allem für die neutestamentliche Theologie, welche bekanntlich dem ersten Adam, durch welchen die Sünde und der Tod in die Welt gekommen, den zweiten Adam entgegensetzt. Darf ich den Schleier vielleicht etwas lüften? hinweisen auf einen alten babylonischen Siegelcylinder (Abb. 42): in der Mitte der Baum mit herabhängenden Früchten, rechts der Mann, kenntlich durch die Hörner, das Symbol der Kraft oder vielleicht besser des göttlichen Geblüts, links das Weib, beide ausstreckend ihre Hände nach der Frucht, und hinter dem Weibe die Schlange – sollte nicht ein Zusammenhang stattfinden zwischen diesem altbabylonischen Bilde und der biblischen Sündenfallerzählung [Anmerkung 27]?

Der Mensch stirbt, und während sein Leib in das Grab gebettet wird, geht seine abgeschiedene Seele hinab in das »Land ohne Heimkehr«, die »Scheol«, den Hades, den stauberfüllten, finsteren Ort, wo die Schatten gleich Vögeln herumflattern und ein dumpfes, freudloses Dasein führen: auf Tür und Riegel liegt Staub, und alles, woran des Menschen Herz dereinst sich erfreute, ist Moder und Staub. Bei solch trostloser Aussicht begreift es sich leicht, dass den Hebräern sowohl wie den Babyloniern langes Leben hienieden als der Güter höchstes erschien, wie ja die von unserer Expedition in Babylon aufgedeckte Prozessionsstrasse Marduks mit grossen Steinplatten gepflastert ist, in deren jede ein Gebet Nebukadnezars eingegraben ist, welches mit den Worten schliesst: »O Herr Marduk, schenke lange dauerndes Leben!« Aber merkwürdig: die babylonische Vorstellung von der Unterwelt ist doch um einen Grad freundlicher als die alttestamentliche. Auf der uns bislang allerdings nur bruchstückweise überkommenen zwölften Tafel des Gilgamesch-Epos wird die babylonische Unterwelt eingehend beschrieben. Dort lesen wir unter anderem von gewissen Abgeschiedenen, dass »sie ruhen auf Ruhelagern und klares Wasser trinken«. Viele babylonische Särge sind in Warka, Nippur und Babel gefunden worden. Die Vorderasiatische Abteilung der Berliner Museen aber hat vor Kurzem einen kleinen Tonkegel erworben (Abb. 43), welcher offenbar aus einem solchen Sarge stammt und dessen Aufschrift in rührenden Worten bittet, dass derjenige, der diesen Sarg finde, ihn an seinem Ort belassen und nicht schädigen möge. Und der kleine Text schliesst mit Worten des Segens für denjenigen, der solch gutes Werk tue: »auf der Oberwelt bleibe sein Name gesegnet, in der Unterwelt trinke sein abgeschiedener Geist klare Wasser« [Anmerkung 28]. Also in der Scheol für die, welche gute Werke auf Erden getan haben und hierfür belohnt werden sollen, ein Ort, wo sie klare Wasser trinken. Hiernach die übrige Scheol doch wohl mehr für die Nicht-Frommen und nicht allein staubig, sondern zugleich wasserlos oder höchstens »trübes Wasser« darbietend, jedenfalls ein Ort des Durstes? Im Buche Hiob, welches sich mit babylonischen Anschauungen sehr vertraut zeigt, finden wir (24, 18 f.) schon den Gegensatz zwischen einer heissen, wasserlosen Wüste, welche für die Frevler, und einem Garten mit frischem klarem Wasser, welcher für die Frommen bestimmt ist [Anmerkung 29]. Und im Neuen Testamente, welches diese Anschauung in seltsamer Weise mit dem letzten Verse des Buches Jesaias verquickt [Anmerkung 30], lesen wir bereits von einer feurigen Hölle, in welcher der reiche Mann nach Wasser lechzt, und einem Garten (Paradies) voll frischen klaren Wassers für Lazarus. Und was seitdem Maler und Dichter, Kirchenlehrer und Priester und zuletzt Muhammed, der Prophet, aus dieser Hölle und diesem Paradiese gemacht, ist ja bekannt. Seht Ihr dort jenen armen Muslim, welcher krank und schwach in der Wüste von der Karawane zurückgelassen wird, weil er den Strapazen der Reise nicht mehr gewachsen? Ein Krüglein voll Wasser neben sich, gräbt er sich mit eigner Hand ein flaches Grab in den Wüstensand, gottergeben seinen Tod erwartend. Seine Augen leuchten, denn nur noch wenige Schritte und es treten ihm aus den weitgeöffheten Toren des Paradieses die Engel mit den Worten entgegen: »Selam alaika, Du bist fromm gewesen, so tritt nun für ewig herein in den Garten, den Allah den Seinen beschieden hat«. Der Garten dehnt sich gleich der Ausdehnung des Himmels und der Erde. Dichtbelaubte Gärten, überreich an Schatten und tief herabhängenden Früchten, sind nach allen Seiten durchschnitten von Bächen und Quellen, und luftige Lauben erheben sich am Rande der Paradiesesströme. Paradiesischer Glanz breitet sich über das Antlitz der Seligen, voll Glück und voll Heiterkeit. Sie tragen grüne Kleider aus feinster Seide und Brokat, an ihren Armen geschmückt mit goldenen und silbernen Spangen. Sie sind gelagert auf Ruhebetten mit hohen Polstern und weichen Kissen, zu ihren Füssen zottige Teppiche. So ruhen sie, einander gegenüber sitzend, an reich besetzten Tafeln, welche darbieten, wonach immer sie Lust haben. Ein voller Becher kreist, und mit Unsterblichkeit begabte Jünglinge, an Aussehen gleich ausgestreuten Perlen, machen die Runde mit silbernen Bechern und gläsernen Kannen, vollgefüllt mit Maïn, dem herrlichsten, klarsten Wasser aus der Quelle Tasnim, aus welcher die Erzengel trinken, duftend nach Kampher und Ingwer, und dieses Wasser wird beigemischt dem köstlichsten Firnwein, von welchem sie trinken können, soviel sie wollen, da er nicht trunken macht und kein Kopfweh verursacht. Und dazu nun gar die Paradiesesjungfrauen! Mädchen mit einer Haut so zart wie das Straussenei, mit schwellenden Brüsten und mit Augen gleich der in der Muschel verborgenen Perle, Gazellenaugen, voll keuschen und doch herzberückenden Blickes. Zweiundsiebzig von diesen Paradiesesjungfrauen darf jeder Selige sich erküren, dazu die Frauen, die er auf Erden gehabt, falls er die letzteren zu haben wünscht (und der Gute wird stets nach den guten Verlangen tragen). Aller Hass und Neid ist aus der Seligen Brust gewichen, kein Geschwätz, keine Falschheit wird im Paradiese vernommen: »Selam, selam« allüberall, und alle Reden klingen aus in die Worte: el-ḥamdu lillâhi rabbi-l-ʾ âlamîn »der Lobpreis gehört Gott, dem Herrn der Geschöpfe!« Das ist die letzte Konsequenz der schlichten babylonischen Vorstellung von dem klaren Wasser, welches als Belohnung für Guttaten in der Scheol dargereicht wird. Und diese Vorstellungen von Höllenqualen und Paradieseswonnen beherrschen noch heute ungezählte Millionen!

43. Tonkegel aus einem babylonischen Sarge.

Dass endlich auch die Vorstellung von den Boten der Gottheit, den Engeln, von welcher die Ägypter nichts wissen, babylonisch ist, dass insbesondere die Vorstellung von den Kerubim und Seraphim sowie von den Schutzengeln, die den Menschen begleiten, auf Babylonien zurückgeht, ist bekannt [Anmerkung 31]. Wie der irdische Herrscher ein Heer von Boten benötigte, seine Befehle in alle Lande zu tragen, so mussten auch die Götter eine Legion von Boten oder Engeln zu ihrer steten Dienstbereitschaft haben: Boten mit der Intelligenz des Menschen, daher menschengestaltig, jedoch gleichzeitig geflügelt, um die Befehle der Gottheit durch die Lüfte hin den Erdbewohnern zu übermitteln. Daneben gab man diesen Engelgestalten wohl auch noch die Eigenschaften des Scharfblicks und der Schnelligkeit des Adlers, und jenen Engeln, deren Hauptobliegenheit es war, den Zugang zur Gottheit zu bewahren, die unbezwingbare Kraft des Stieres oder die ehrfurchtgebietende Majestät des Löwen, also dass die babylonisch-assyrischen Engel, gleich jenen in Ezechiels Vision, sehr oft mischgestaltig erscheinen, wie z. B. die geflügelten stiergestalteten Kerubim mit dem ernst dreinschauenden Menschenantlitz (Abb. 44); doch finden wir auch Darstellungen wie diese (Abb. 45) aus dem Palast Asurnazirpals, welche unsern Engelsgestalten so gleichartig ist wie nur möglich. Wir werden diesen edlen und lichten Gestalten, welche uns durch die Kunst so lieb und vertraut geworden, stets einen freundlichen Platz in unserm Herzen bewahren. Aber die Dämonen und Teufel, mögen sie uns nun als Feinde des Menschen oder als die Urfeinde Gottes vorschweben [Anmerkung 32], sollten wir endlich, da wir uns doch nicht zum altpersischen Dualismus bekennen, für ewige Zeiten verabschieden. »Der das Licht bildet und die Finsternis schafft, das Heil wirkt und das Übel schafft, ich, Jahve, bin's, der sie wirkt alle beide« – so lehrt mit Recht des Alten Testamentes grösster Prophet (Jes. 45, 7). Dämonen, wie diese hier (Abb. 46) – das Bild ist nicht ohne Interesse für die Geschichte des Zweikampfes –, oder Fratzen wie diese (Abb. 47) mögen für immer und ewig zurücksinken in die Nacht der babylonischen Hügel, der sie entstiegen.

44. Kerub. 45. Engel.

46. Dämonen-Zweikampf

47. Teufel

Ich komme zum Schluss. Bei seinen Grabungen in Chorsabad fand Victor Place auch die Wirtschaftsräume des Sargonspalastes: ein Magazin mit Töpfergeschirr jeder Gestalt und Grösse, ein anderes mit Eisengeräten. Da lagen in schönster Ordnung grosse Vorräte an Ketten, Nägeln, Zapfen, Hacken und Doppelhauen, und das Eisen war so vortrefflich bearbeitet und gut erhalten, dass es beim Anschlagen wie eine Glocke tönte, ja einzelne von diesen 25 Jahrhunderte alten Gerätschaften von den arabischen Arbeitern sofort wieder in Gebrauch genommen werden konnten. Solch drastisches Hereinragen des assyrischen Altertums bis in unsere Zeit [Anmerkung 33] mutet uns freilich befremdend an, und doch ist ganz das Nämliche auf geistigem Gebiete der Fall. Wenn wir zwölf Zeichen des Tierkreises unterscheiden und diese Widder, Stier, Zwillinge u. s. w. benennen; wenn wir den Kreis in 360 Grade, die Stunde in 60 Minuten und die Minute in 60 Sekunden einteilen; wenn wir die 7 Wochentage nach den 7 Planeten nennen, unsern Sonntag z. B. nach dem Sonnengott, u. s. w., so wirkt in alledem die sumerisch-babylonische Kultur lebendig bis auf diesen Tag fort [Anmerkung 34]. Und so ist es mir vielleicht gelungen zu zeigen, dass auch unserm religiösen Denken durch das Medium der Bibel noch manches Babylonische anhaftet. Durch das Ausscheiden dieser zwar hochbegabten Völkern entstammenden, aber trotzdem rein menschlichen Vorstellungen und durch die Befreiung unseres Denkens von allerlei festgewurzelten Vorurteilen wird die Religion selbst, wie sie die Propheten und Dichter des Alten Testamentes und in noch ungleich erhabenerem Sinne Jesus gelehrt, wird insbesondere auch die Religiosität unseres Herzens so wenig berührt, dass beide vielmehr nur um so wahrer und verinnerlichter aus diesem Reinigungsprozesse hervorgehn. Und damit sei mir ein letztes Wort verstattet zu dem, was die weltgeschichtliche Bedeutung der Bibel ausmacht: dem Monotheismus. Auch hier hat uns Babel in der allerjüngsten Zeit einen neuen ungeahnten Ausblick eröffnet.

Seltsam! Niemand weiss mit Bestimmtheit zu sagen, was unser deutsches Wort »Gott« ursprünglich bedeutet. Die Sprachforscher schwanken zwischen »Scheu-Erregung« und »Besprechung«. [Anmerkung 35] Dagegen ist das Wort, welches die Semiten für Gott ausgeprägt haben, nicht allein klar und durchsichtig, sondern es erfasst den Begriff der Gottheit in solch überirdischer Hoheit, dass an diesem einzigen Wort schon die beliebte moderne Ansicht zerschellt, als habe sich die Religion der Semiten und damit auch die Jahve-Religion aus einer Art Fetischismus und Animismus emporgearbeitet, wie solcher den Südseekannibalen oder Feuerländern eigentümlich ist.

48 – 50. Drei Tontafeln mit dem Jahve-Namen.

Es giebt im Koran (6, 75 ff.) eine wunderschöne Stelle, so schön, dass Goethe wünschte, sie dramatisch behandelt zu sehen. Muhammed versetzt sich hier im Geiste in das Gemüt Abrahams, wie dieser wohl zum Monotheismus gekommen sei. Er sagt: Als es finstere Nacht geworden war, da trat Abraham hinaus in das Dunkel, und siehe da! ein Stern leuchtete über ihm. Da rief er freudig: »das ist mein Herr!« Als aber der Stern zu erbleichen begann, sagte er: »ich liebe nicht die erbleichenden«. Als nun der Mond glänzend am Firmament aufging, da rief er hocherfreut: »das ist mein Herr!« Als aber der Mond unterging, sagte er: »ach! ich werde wohl in der Irre gehen müssen«. Als nun am Morgen der Sonnenball leuchtend aufstrahlte, da rief er: »das ist mein Herr, der ist gar gross!« Als aber die Sonne unterging, da sprach er: »o mein Volk, ich habe nichts zu tun mit eurer Vielgötterei, ich richte mein Antlitz hin zu dem, der Himmel und Erde geschaffen«. Jenes altsemitische Wort oder vielmehr Wörtchen für Gott, uns allen wohlbekannt aus Eli Eli lama azabtani, heisst El und bedeutet das Ziel. Das Wesen, nach welchem als nach ihrem Ziele die Augen des himmelwärts schauenden Menschen sich richten, welches hoch da droben waltet, »an dessen Tun jedermanns Blicke hängen, dessen Tun der Mensch schaut von ferne« (Iob 36, 25), dieses Wesen, zu welchem der Mensch seine Hände ausbreitet, nach welchem das menschliche Herz sich sehnt, heraus aus der Unbeständigkeit und Unvollkommenheit des irdischen Lebens – dieses Wesen nannten die semitischen Nomadenstämme El oder Gott [Anmerkung 36]. Und indem ihnen die göttliche Wesenheit als eine einheitliche erschien, so finden wir bei jenen alten nordsemitischen [Anmerkung 37] Stämmen, die sich um 2500 v. Chr. in Babylonien sesshaft gemacht, Personennamen wie: »Gott ist gross« ( Iarbi-ilum), »Gott entscheidet« ( Iamlik-ilum), Gott wendet sich wieder zu« ( Iašûb-ilum), » Gott ist Gott«, »wenn Gott nicht mein Gott wäre« u. s. w [Anmerkung 38]. Aber noch mehr. Durch die Güte des Direktors der ägyptisch-assyrischen Abteilung des Britischen Museums bin ich in den Stand gesetzt, drei kleine Tontäfelchen im Bilde zu zeigen (Abb. 48–50). Was ist – wird man sagen – an diesen Tafeln zu sehen? Zerbrechlicher, zerbrochener Ton mit eingeritzten schwer lesbaren Schriftzeichen! Wohl wahr, aber sie sind wertvoll dadurch, dass sie sicher datierbar sind, nämlich aus der Zeit Hammurabis, die eine speziell aus der Regierung seines Vaters Sin-mubalit, in noch ungleich höherem Grade aber deshalb, weil sie drei Namen enthalten, welche religionsgeschichtlich von weittragendstem Interesse sind –

die Namen: Jahve ist Gott [Anmerkung 39]. Also Jahve, der Seiende, der Beständige (denn das dürfte, wie wir Grund haben zu sagen, der Name bedeuten), der allem Wechsel entnommen, der nicht, wie wir Menschen, schon morgen ein Gestern ist, sondern über dem in ewiger Gesetzmässigkeit prangenden Sternenzelt lebt und wirkt von Geschlecht zu Geschlecht, dieser Jahve-Name bereits Eigentum ebenjener Nomadenstämme, aus welchen nach einem Jahrtausend die Kinder Israel hervorgehen sollten.

51. Der Sonnengott von Sippar.

52. Siegelcylinder, erinnernd an Ezechiels Vision.

Die Religion der in Babylonien zugewanderten Semiten ging dort rasch unter in dem seit Jahrhunderten daselbst eingebürgerten Polytheismus der älteren und ältesten Landesbewohner [Anmerkung 40], einem Polytheismus übrigens, der uns, was seine Vorstellung von den Göttern betrifft, durchaus nicht unsympathisch berührt: sind doch die Götter der Babylonier lebendige, allwissende und allgegenwärtige Wesen [Anmerkung 41], die die Gebete der Menschen erhören und wenn sie gleich zürnen über die Sünden, sich doch immer wieder zur Versöhnung und zum Erbarmen bereit finden lassen. Und auch die Darstellungen, welche die Gottheiten in der babylonischen Kunst gefunden, wie z. B. jene des in seinem Allerheiligsten thronenden Sonnengottes von Sippar (Abb. 51, vgl. auch Abb. 32), halten von allem Unschönen, Unedlen, Grotesken sich fern. Ja, wenn der Prophet Ezechiel (Kap. 1) Gott schaut, wie er auf einem lebendigen Wagen einherfährt, gebildet von vier geflügelten Wesen mit dem Gesicht eines Menschen, Löwen, Stiers, Adlers, auf den Häuptern dieser Kerubim (10, 1) eine Kristallfläche ruhend und auf dieser ein saphirartiger Thron, auf welchem Gott in Menschengestalt sitzt, in wunderbarsten Lichtglanz gehüllt, so finden wir auf einem sehr alten babylonischen Siegelcylinder (Abb. 52) eine überraschend ähnliche Gotteserscheinung. Auf einem Schiffe, dessen Bug und Heck je eine sitzende Menschengestalt (als sogen. »Gallionfigur«) zeigt, stehen, die Rücken gegen einander gekehrt, das menschenförmige Antlitz aber nach vorn gewendet, zwei Kerubim, deren Stellung auf zwei andere für die Rückseite schliessen lässt. Auf ihrem Rücken ruht eine Fläche, und auf dieser steht ein Thron, auf welchem die Gottheit sitzt, bärtig, mit langem Gewande bekleidet, die Tiara auf dem Haupte, in der Rechten einen kurzen Stab und einen Ring (vgl. Abb. 51), hinter dem Thron aber ein Diener des Gottes, seines Winkes gewärtig und dem Mann in linnenem Gewande (Ez. 9, 3. 10, 2) vergleichbar, welcher ebenfalls Jahve's Befehle ausführt. Trotz alledem und trotzdem dass freie und kühne Geister lehrten, dass Nergal und Nebo, Mondgott und Sonnengott, der Donnergott Adad und alle anderen Götter, auch solche der Nachbarvölker, eins seien mit Marduk, dem Gotte Babylons [Anmerkung 42], blieb Polytheismus, krasser Polytheismus drei Jahrtausende hindurch die babylonische Staatsreligion – ein ernstes, mahnendes Beispiel für die Indolenz der Menschen und Völker in religiösen Dingen und die auf ihr beruhende ungeheure Macht einer festorganisierten Priesterschaft.

53. Das Haus der deutschen Ausgrabungs-Expedition in Babylon.

Auch der Jahve-Glaube, mit welchem einem Panier gleich Moses die Nomadenstämme Israels zur Einheit verband, war und blieb mit allerlei menschlichen Schwächen behaftet: mit jenen naiven anthropomorphischen und anthropopathischen Anschauungen von der Gottheit, wie sie der Jugendzeit des Menschengeschlechts eigentümlich sind, mit heidnischem Opferkultus und äusserlicher Gesetzlichkeit, vor allem aber mit israelitischem Partikularismus, welcher den Einen Gott Himmels und der Erde allzu einseitig für Israel als das von ihm auserwählte Volk in Anspruch nahm. Doch brach sich durch alle diese Schranken hindurch da und dort auch eine reinere religiöse Erkenntnis Bahn, bis mit Jesu Predigt, Gott, den Vater unser aller, anzubeten im Geist und in der Wahrheit, eine neue Zeit, die neutestamentliche, anbrach.

* * *

Babel und Bibel – das Gesagte stellt nur einen kleinen Ausschnitt dar aus dem, was die Ausgrabungen in Babylonien-Assyrien für Geschichte und Fortschritt der Menschheit bedeuten. Möchte es die Erkenntnis befestigen helfen, dass es für Deutschland höchste Zeit war, auch seinerseits an den palmenbekränzten Ufern des Paradiesesstromes sein Zelt aufzuschlagen! Das Bild 53 zeigt das Wohnhaus der Mitglieder der von der Deutschen Orient-Gesellschaft ausgesandten Expedition, welche drüben auf den Ruinen von Babylon vom Morgen bis zum Abend, bei Hitze und Kälte rastlos arbeiten für Deutschlands Ehre und für Deutschlands Wissenschaft.

Auch wir » bekennen uns zu dem Geschlecht, das aus dem Dunklen ins Helle strebt«. Getragen, gleich den archäologischen Unternehmungen der anderen Nationen, von der wachsenden Teilnahme unseres Volkes und der tatkräftigen Unterstützung unserer Regierung, wird die Deutsche Orient-Gesellschaft, die zuletzt – erst seit 3 Jahren – auf dem Plane erschienen, ihren Platz gewiss ruhmvoll auch an jener Sonne behaupten, die drüben im Osten aufgeht aus den geheimnisvollen Hügeln, immer von neuem von Dank beseelt für den Allerhöchsten persönlichen Schutz und die lebendige Teilnahme, welche Seine Majestät unser Kaiser und Herr ihren Bestrebungen angedeihen zu lassen andauernd huldvollst geruhen.

Zu den Abbildungen.

Die Abbildung Nr. 4 ist C. J. Ball's Light from the East, London 1899, p. 141; Nr. 7 L. W. King's The Letters and Inscriptions of Ḫammurabi, Vol. III, London 1900; Nr. 9 dem Catalogue der Collection de Clerq, Tome premier, Paris 1888, pl. V (Nr. 46); Nrr. 5, 17, 19–22, 34, 44, 47 Bottas und Flandins Monument de Ninive; Nrr. 15 und 16 den Bronze Ornaments of the Palace Gates of Balawat; Nr. 23 George Smiths The History of Assurbanipal; Nr. 51 dem V. Bande (pl. 60) des Rawlinson'schen Inschriftenwerkes entnommen. Die Nrr. 24, 25, 27, 30, 35, 36, 38, 40, 45, 46 wurden nach den photographischen Aufnahmen der Firma W. A. Mansell & Co., London, gefertigt, Nr. 42 nach einem Gipsabdruck, den Dr. Wallis Budge die Güte hatte, für mich vom Original nehmen zu lassen. Für Nr. 41 siehe Cheyne's The Book of the Prophet Isaiaẖ (in Haupts Bibelwerk), 1898, p. 206. Die photographische Aufnahme des Ruinenhügels El-Muḳajjar (Abb. 3) ist Herrn Dr. R. Koldewey zu verdanken.

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Anmerkungen.

Der vorstehend veröffentlichte Vortrag wurde am 13. Januar 1902 in der Singakademie zu Berlin im Beisein Seiner Majestät des Kaisers und Königs für die Deutsche Orient-Gesellschaft gehalten und am 1. Februar auf Allerhöchsten Wunsch im Königlichen Schloss zu Berlin wiederholt.

Aus technischen Gründen konnten die die Anmerkungen nicht in den Text eingepflegt werden, sondern werden als Faksimile wiedergegeben. Re. für Gutenberg

 

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Anmerkung 41
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Anmerkung 42
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