Richard Dehmel
Schöne wilde Welt
Richard Dehmel

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Der Feuergeist

                    Ein Jüngling, wortgewandt, und sehr fürs Volkswohl glühend,
oder galt seine Glut mehr seinem Rednerruhm?
wer weiß – denn eines Tags nach einer Wahlversammlung
sprach er zu einem Freund: welch grenzenloses Glück,
so ganz entbrannt zu sein, daß alles mitentbrennt,
so Flamme durch und durch, daß sich der Geist vesuvisch
am eignen Wort entflammt und jeden andern Geist
rings um sich her verzehrt! – der wurde selbigen Nachts
von einer Feuersbrunst jäh aus dem Schlaf geweckt.
Er sah, noch halb im Traum, durch die verkohlte Tür
den Brand nach seinem Bett mit riesiger Zunge lecken,
wollte um Hilfe schrein, sprang auf, sah rings die Wände
Rauch spein, die Dielen sprühn, schrie Gnade, stotternd Gnade,
sah nichts mehr, schrie nur, sah: alles verzehrend fraß
der glühende Atem um sich, vesuvisch. Und – o Gnade –
was war das? Luft! Er sah sich zusammenbrechen, fühlte
sich hochgerissen plötzlich, getragen, weggetragen,
durch klirrende Fenster, Wolken, Nachtwolken, Luft – o Glück –
o grenzenloses Glück – durch frische Luft getragen,
von Fäusten, Retterfäusten, hinab. So kam er zu sich,
stand unten, sah hinauf, sah rings das Volksgetümmel
vom Feuer geisterhaft beleuchtet, wollte sprechen,
Dank sagen, Dank, o Dank – und sprach, sprach nicht, schrie, schrie nur,
stotternd und lallend: Gnade! Gnade! – Die Zunge war
für immer ihm gelähmt.

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