Daniel Defoe
Bob Singleton
Daniel Defoe

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Bei den Erbeutungen, die wir nun machten, sahen wir es hauptsächlich auf Pulver, Kugeln, Flinten und Säbeln ab, und von der besiegten Mannschaft lasen wir uns stets den Wundarzt und den Zimmermann aus als Leute, die uns bei vielen Anlässen nützlich werden konnten. Oft war denselben diese Einverleibung nicht einmal unlieb, da sie ja, im Falle uns ein Ungemach betraf, sich mit der Gewalt, die man ihnen angetan hatte, entschuldigen konnten, wovon ich dem Leser sogleich ein ergötzliches Beispiel mitteilen will.

Wir kamen bei Gelegenheit des Abfangen einer nach Barbados bestimmten pennsylvanischen Schaluppe zu einem gar lustigen Burschen, einem Quäker, der William Walker hieß und Wundarzt war, weshalb wir ihn den Doktor nannten. Er war nicht der Schaluppe als ärztlicher Beistand beigegeben sondern hatte die Absicht, sich in Barbados ein Unterkommen zu suchen. Da er aber sein chirurgisches Besteck an Bord hatte, so war er uns ein willkommener Fund. Er war ein drolliger Kamerad, ein Mann von gesundem Verstand und ausgezeichnet in seiner Kunst. Was uns aber über alles ging: er war auch ein stets heiterer angenehmer Gesellschafter und ein so wagehalsiger, tatkräftiger Bursche wie nur einer unter uns.

Es schien mir, als sei William nicht sehr abgeneigt an unsern Fahrten teilzunehmen, obschon er so tat, als sei er mit Gewalt dazu gezwungen worden. Er kam daher zu mir und sagte: Freund, duDie Quäker pflegen einen jeden mit Du anzureden. erklärst, ich müsse mit dir gehen, und es steht nicht in meiner Macht, dir Widerstand zu leisten, wenn ich es auch wollte. Ich bitte dich aber, mir gegen den Herrn der Schaluppe, an deren Bord ich mich befand, zu bezeugen, daß ich mit Gewalt und wider meinen Willen weggeschleppt worden bin. Er sagte dies mit einem so heiteren Zuge im Gesicht, daß mir der Grund dieser Aufforderung nicht länger unklar sein konnte.

Sehr gern, erwiderte ich, mag es nun ohne deinen Willen geschehen oder nicht, so will ich dir doch vor ihm und allen, die bei ihm sind, dieses Zeugnis geben, und wenn sie es nicht glauben wollen, so sollen sie so lange auf den Meeren mit mir herumstreichen, bis sie sich bekehren. Ich stellte sofort ein schriftliches Zeugnis aus, daß William mit Gewalt von einem Piratenschiff zum Gefangenen gemacht worden sei, dessen Mannschaft zuerst die chirurgischen Instrumente fortgenommen und dann den Wundarzt mit gebundenen Händen in ihr Boot geschleppt habe. Dieses Zeugnis ließ ich sodann von dem Herrn der Schaluppe und der ganzen Mannschaft unterschreiben. Ich fiel nun zankend über ihn her, forderte meine Leute auf, ihm die Hände auf den Rücken zusammenzubinden, und ließ ihn sofort in unser Boot schaffen. Als ich ihn an Bord hatte, rief ich ihn zu mir und sagte zu ihm: Nun, mein Freund, ich habe dich allerdings jetzt mit Gewalt weggenommen, aber ich bin der Meinung, daß es doch nicht so ganz gegen deinen Willen geschehen ist, als sich jene wohl einbilden mögen. Doch sei dem, wie ihm wolle, du wirst uns nützlich sein können und sollst dich über schlechte Behandlung unter uns nicht zu beklagen haben. Ich löste ihm nun seine Bande und befahl, ihm all sein Eigentum zurückzuerstatten, worauf ihn Kapitän Wilmot mit Branntwein bewirtete.

Du bist freundlich gegen mich gewesen, sagte der Quäker, und so will ich denn ehrlich gegen dich verfahren, mag ich nun gern oder ungern zu dir gekommen sein. Ich will mich dir nämlich so nützlich erweisen als ich kann, aber du weißt, daß ich mich nicht in deine Händel mischen darf, wenn es zum Kampfe geht.

Nein, nein, sagte der Kapitän, damit wollen wir dich nicht behelligen, höchstens mit einem bischen von den Beutegeldern, wenn es zum teilen kommt. Etwas derartiges paßt recht gut dazu, deinen Instrumentenkasten im gehörigen Stand zu erhalten, fügte Wilmot lächelnd hinzu, aber du darfst ruhig sein, es soll nicht übermäßig ausfallen.

William war wie gesagt ein ungemein angenehmer Gesellschafter. Freilich stand ihm aber auch diese Rolle weit besser an als uns, denn wenn wir gefangen wurden, so durften wir darauf rechnen gehangen zu werden, während er des Loskommens sicher war, was er wohl wußte. Sein reger Geist hätte ihn übrigens weit mehr als irgendeinen von uns für die Stelle des Kapitäns geeignet gemacht. Ich werde im Verlaufe dieser Geschichte noch öfter Anlaß nehmen von ihm zu erzählen.

Unser Kreuzen in diesen Meeren begann allmählich so ruchbar zu werden, daß man nicht nur in England sondern auch in Frankreich und Spanien unsere Abenteuer in öffentlichen Blättern las und sich viele Geschichten erzählte, wie wir die Mannschaft der genommenen Schiffe mit kaltem Blute umbrächten, indem wir sie Rücken an Rücken bänden und in die See würfen, wovon freilich mehr als die Hälfte gelogen war, obgleich wir böse Taten genug ausübten – mehr als ich in den gegenwärtigen Blättern zu erzählen für passend erachte.

Die Folge davon war, daß mehrere englische Kreuzer mit dem Auftrage nach Westindien geschickt wurden, vorzugsweise die Bai von Mexiko, den Golf von Florida und die Bahamainseln im Auge zu behalten und uns wo möglich zu nehmen. Wir waren nicht so unklug, um nicht nach einem so langen Aufenthalt in diesen Meeren auf solche Schritte gefaßt zu sein, aber die erste zuverlässige Kunde davon erhielten wir erst bei Honduras, wo uns ein Schiff, das von Jamaika kam, mitteilte, daß zwei englische Kreuzer unmittelbar von Jamaika auf dem Wege hierher wären, um uns aufzusuchen.

Wir entschlossen uns daher, der brasilianischen Küste einen Besuch abzustatten und von da aus nach dem Kap der guten Hoffnung und nach Ostindien zu segeln. Kapitän Harris wendete indes für seine Person ein, die Brigantine wäre zu klein für eine so lange Reise, er wolle aber, wenn Kapitän Wilmot seine Zustimmung gäbe, die Gefahr eines neuen Kaperzuges auf sich nehmen und uns in dem ersten tauglichen Schiffe, das er erbeuten würde, nachfolgen. Wir bestimmten daher auf mein Anraten Madagaskar als den Ort des Zusammentreffens, weil ich wußte, daß dort Mundvorrat in Fülle zu finden war.

Harris trennte sich von uns zu einer schlimmen Stunde, denn statt ein Schiff zu nehmen und uns zu folgen, wurde er, wie wir später hörten, von einem englischen Kreuzer genommen und in Ketten gelegt. Er starb aus Gram und Verdruß, noch ehe er in England anlangte, und sein Leutnant wurde, dem Vernehmen nach, dort als Seeräuber aufgehängt. Dies war das Ende des Mannes, der mich zuerst zu diesem unseligen Gewerbe verlockt hatte. Wir verließen Tabago drei Tage später und steuerten der Küste von Brasilien zu.

Es währte lange, ehe wir eines Segels ansichtig wurden, aber als dies endlich geschah, machten wir alsbald Jagd darauf. Die gehoffte Beute segelte jedoch sehr schnell, und da sie seewärts stand, so sahen wir deutlich, daß sie sich auf ihre Fersen, vielmehr auf ihre Segel, verließ. Dessenungeachtet gewannen wir ihr, obgleich nur langsam, den Vorsprung ab und würden sie, wenn wir den Tag vor uns gehabt hätten, auch sicher genommen haben, aber da die Nacht hereinbrach, so wußten wir wohl, daß wir sie aus dem Gesicht verlieren mußten.

Als unser lustiger Quäker bemerkte, daß wir dem Schiffe in der Dunkelheit nahezukommen versuchten, obgleich wir nicht wußten, welchen Weg es nahm, so kam er auf mich zu und sagte ganz trocken: Freund Singleton, weißt du auch, was du tust?

Jawohl, entgegnete ich, wir jagen jenem Schiffe nach – oder tun wir das etwa nicht?

Wie kannst du das so genau wissen, fragte er ganz ernsthaft.

Du hast nicht Unrecht, antwortete ich, für gewiß weiß ich es freilich nicht.

Ich fürchte, fuhr er fort, du bist ein Quäker geworden und scheust dich Gewalt zu gebrauchen, oder du bist ein Hasenherz und fliehst von deinem Feind.

Was willst du damit sagen, erwiderte ich gereizt, was sollen diese Hohnworte? Du kannst es ruhig bleiben lassen deinen Spott an uns zu üben.

Ist es nicht klar genug, sagte er, daß das Schiff nur nach Osten abfällt, um uns aus dem Gesicht zu kommen? Denn sicher hat es dort nichts zu suchen. Was sollte es wohl an der afrikanischen Küste unter dieser Breite wollen, wo bekanntermaßen dort Kongo oder Angola liegt? Gewiß wird es, sobald es dunkel geworden und wir es nicht mehr sehen können, umgekehrt sein und jetzt der brasilianischen Küste und der Bai zusteuern, und laufen wir nicht jetzt gerade von ihm weg? Ich lebe sehr der Hoffnung, mein Freund, daß du ein Quäker werden willst, fügte der Spötter hinzu, denn ich sehe, du bist kein Freund von Kämpfen.

Es scheint, dann würde ich erst recht einen trefflichen Korsaren abgeben, entgegnete ich. Da aber William recht hatte, so stimmte ich ihm augenblicklich bei, und Kapitän Wilmot, der krank in der Kajüte lag und uns zuhörte, gab dem Quäker ebenfalls recht. Das beste, was wir daher vornehmen konnten, war eine Änderung unseres Kurses nach der Richtung, die uns mit größter Wahrscheinlichkeit hoffen ließ, das Schiff am nächsten Morgen wieder zu finden.

Demgemäß wandten wir unsere Fregatte um, setzten die Bramsegel bei und liefen auf die Allerheiligenbai los, in der wir, gerade außerhalb Schußweite der Befestigung, Anker warfen.

Zwei Stunden nachher sahen wir unser Wild mit vollen Segeln auf die Bai zusteuern, wobei es ganz unbefangen recht in die Schußlinie unserer Kanonen lief, denn wir blieben ruhig liegen, bis es sich uns gerade auf Schußweite genähert hatte. Sie waren so überrascht, daß sie wenig oder gar keinen Widerstand leisteten sondern sich schon nach der ersten vollen Lage ergaben.

Wir überlegten eben, was wir mit dem Fahrzeug anfangen sollten, als William zu mir kam. Höre, Freund, sagte er, du machst da ein sauberes Stück Arbeit, indem du dir das Schiff deines Nachbars gerade vor des Nachbarn Türe ausleihst, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Meinst du, es seien nicht einige Kreuzer im Hafen? Du hast hinreichend Geräusch gemacht, und verlaß dich darauf, sie werden dir noch vor Abend auf dem Nacken sitzen, um dich zu fragen, was du damit gemeint hattest.

Ganz richtig, William, erwiderte ich – denn es konnte mir nicht entgehen, daß er recht haben mochte – aber was sollen wir zunächst tun?

Er antwortete: Da gibt es nur zwei Wege – entweder du gehst hin und nimmst sie, oder du machst dich davon, ehe sie herauskommen und dich nehmen, denn ich sehe, sie hissen auf jenem großen Schiffe schon einen Fetzen auf, um alsbald in die See zu stechen, und es wird nicht lange dauern, bis sie mit dir ein Gespräch anfangen. Was willst du ihnen sagen, wenn sie dich fragen, warum du ein Schiff ohne Erlaubnis genommen hast?

Es verhielt sich so, wie William sagte. Wir konnten durch unsere Fernrohre bemerken, daß alles sich beeilte, ein paar Schaluppen und einen großen Kreuzer, die im Hafen lagen, zu bemannen, und es war augenscheinlich, daß sie uns bald auf den Fersen sein würden. Wir waren indes über das, was wir zu tun hatten, nicht in Verlegenheit. Das genommene Schiff hatte nicht viel geladen, was für unsern Zweck brauchbar war, da seine Ladung außer etwas Kakao, etwas Zucker und zwanzig Fässern Mehl nur aus Häuten bestand. Wir nahmen deshalb, was uns gut dünkte, unter anderm auch das Pulver, die Kanonenkugeln und die Gewehre, und ließen das Fahrzeug laufen, nachdem wir uns auch noch ein Ankertau, seine drei Anker und einige seiner Segel zugeeignet hatten – es blieben ihm deren immer noch genug, um den Hafen zu erreichen.

Sofort steuerten wir südlich auf die brasilianische Küste zu, bis wir an die Mündung des Flusses Janeiro kamen. Da wir aber zwei Tage scharfen Südost- und Südsüdostwind hatten, so wurden wir genötigt, unter einer kleinen Insel die Anker auszuwerfen und auf bessern Wind zu warten. Mittlerweile hatten die Portugiesen, wie es scheint, zu Lande den dortigen Gouverneur benachrichtigt, daß ein Pirat an der Küste liege. Als wir daher in Sehweite des Hafens kamen, sahen wir zwei Kriegsschiffe gerade außerhalb der Schranke vor Anker liegen, und das eine davon, das rasch die Anker lichtete, in aller Eile auf uns zusteuern, das andere schickte sich, obgleich nicht so behende, ebenfalls an uns zu folgen. In weniger als einer Stunde steuerten sie mit ihrer vollsten Segelkraft hinter uns her. Wäre nicht die Nacht dazwischen gekommen, so würden Williams Worte in Erfüllung gegangen sein: sie hätten uns gewiß gefragt, was wir hier machten, denn wir fanden, daß das vorderste Schiff uns überholte. Wir wichen ihnen zwar immer windwärts aus, da sie uns aber in der Dunkelheit aus dem Gesicht kamen, so beschlossen wir unsere Richtung zu ändern und geradeaus in die offene See zu stechen, denn wir zweifelten nicht, daß wir sie in der Nacht verlieren würden.

Ob nun der portugiesische Kommandant unsere Absicht erriet oder nicht, kann ich nicht sagen, doch morgens, als das Tageslicht hereinbrach, hatten wir ihn keineswegs verloren, sondern sahen ihn etwa eine Seemeile hinter uns herjagen. Zu unserer großen Freude erblickten wir indes nur eines der beiden Schiffe. Übrigens war es ein großes Schiff mit 46 Kanonen und ein ausgezeichneter Segler, wie schon daraus hervorging, daß es uns nahegekommen war, denn unser Schiff segelte, wie ich bereits bemerkt habe, vortrefflich.

Ich sah nun leicht ein, daß hier nicht zu entkommen, sondern ein Kampf unvermeidlich war, und da wir wußten, daß wir von diesen Schuften von Portugiesen – einer Nation, vor der ich ohnehin eine natürliche Abneigung hatte – keine Gnade erwarten durften, so ließ ich den Kapitän Wilmot wissen, wie die Sache stünde. Der Kapitän, krank wie er war, hinkte in die Kajüte herein und verlangte auf das Verdeck geführt zu werden, um sich mit eigenen Augen von der Sachlage zu überzeugen. Gut, sagte er, wir wollen den Kampf bestehen. Unsere Leute waren schon vorher so beherzt als man es sich nur wünschen konnte, als sie aber den Kapitän, der seit zehn oder elf Tagen an einem hitzigen klimatischen Fieber darniedergelegen hatte, wieder einigermaßen munter sahen, verdoppelte es ihren Mut, und sie legten rasch Hand an, um sich schlagfertig zu machen. William, der Quäker, kam mit einer Art Lächeln zu mir und sagte. Freund, warum verfolgt uns wohl das Schiff dort?

Warum, entgegnete ich, ohne Zweifel, weil es mit uns kämpfen will?

Gut, versetzte er, und was meinst du, wird es uns wohl angreifen?

Ja, sagte ich, du siehst, daß dies seine Absicht ist.

Warum nun, mein Freund, entgegnete der trockene Bursche, warum nimmst du denn noch immer Reißaus, da du doch siehst, daß es dich einholen wird. Wird es wohl besser für uns sein, etwas weiter weg als hier angegriffen zu werden?

Zum Henker, erwiderte ich, was sollen wir denn anderes tun?

Was tun, rief er, jedenfalls dem armen Kerl nicht mehr Mühe machen als notwendig ist, wir wollen auf ihn warten und hören, was er uns zu sagen hat.

Er wird mit Pulver und Blei zu uns sprechen, sagte ich.

Das ist ganz gut, meinte er, wenn dies seine Landessprache ist, so müssen wir wohl in derselben mit ihm reden, nicht wahr? Oder wie sollte er uns sonst verstehen?

Sehr wohl, William, sagte ich, ich verstehe dich. Und der Kapitän, so krank er war, rief: William hat wieder recht, ebenso gut hier als eine Meile weiter.

Sofort gab er das Kommandowort: Das Schönfahrtsegel aufgeholt! Wir wollen vor ihm die Segel kürzen!

Darauf zogen wir die Segel zusammen, und da wir den Portugiesen auf unserer Leeseite erwarteten, so brachten wir achtzehn von unsern Kanonen auf das Backbord in der Absicht, ihm mit einer vollen Lage warm zu machen. Er brauchte etwa noch eine halbe Stunde, um uns zu erreichen, und inzwischen luvten wir auf, um ihm den Wind abzugewinnen, wodurch er genötigt wurde, unter unsere Leeseite zu laufen. Als wir ihn vor unserer Windvierung hatten, gingen wir auf ihn los, während er fünf bis sechs Kanonen auf uns abfeuerte. Man kann sich denken, daß in der Zwischenzeit alle unsere Hände sehr geschäftig waren. Wir richteten das Steuer luvwärts, ließen die Leebrassen des größten Mastsegels niedergehen, legten es an den Mast, und so fiel unser Schiff quer in die Klüse des portugiesischen. Sodann gaben wir ihm plötzlich eine volle Ladung, setzten ihm von vorn und hinten zu und töteten ihm eine große Menge Leute.

Die Portugiesen waren, wie wir sehen konnten, in der größten Verwirrung, und da sie unsere Absicht nicht hatten bemerken können, so rannte ihr Bugspriet gegen den vorderen Teil unserer Wand, so daß sie sich nicht leicht wieder losmachen konnten, und wir sie auf diese Art festhielten: der Feind konnte nicht mehr als zwei oder drei Kanonen und sein Kleingewehrfeuer gegen uns brauchen, während wir unsere ganze Batterie gegen ihn spielen ließen.

Mitten in der Hitze dieses Gefechts, als ich eben auf dem Halbdeck sehr beschäftigt war, rief der Kapitän, der uns nicht von der Seite ging: Was zum Teufel macht denn unser Freund William dort? Hat er auf dem Verdeck etwas zu tun?

Ich trat etwas vor und erblickte unsern William, wie er mit zwei oder drei handfesten Burschen das Bugspriet des Schiffes an unsern großen Mast festband, damit sie uns nicht entrinnen könnten, dabei zog er von Zeit zu Zeit eine Flasche aus der Tasche und ließ seine Leute einen Schluck Branntwein nehmen, um ihnen neuen Mut zu machen. Die Kugeln sausten ihm um die Ohren herum, wie man es sich bei einem solchen Kampfe wohl denken kann, denn die Portugiesen taten ihr möglichstes und fochten sehr wacker, da sie sich im Anfang ihrer Sache ganz sicher glaubten und fest auf ihre überlegene Macht vertrauten. William aber war so kaltblütig und ruhig bei der Gefahr, als säße er bei einer Punschbowle, und sorgte immer nur dafür, daß ein Schiff mit 46 Kanonen einem andern mit 28 nicht entrinnen möchte.

Das Gefecht war zu hitzig, um lange dauern zu können. Unsere Leute hielten sich tapfer, unser Stückmeister, ein sehr tüchtiger Bursche, jubelte laut auf und goß einen solchen Kugelregen auf das feindliche Schiff, daß die Portugiesen anfingen ihr Feuer einzustellen. Wir hatten mehrere ihrer Kanonen dadurch unbrauchbar gemacht, daß wir in ihr Vorderkastell schossen und ihnen, wie schon gesagt, von vorn und von hinten zusetzten. Da kam William zu mir und sagte sehr ruhig: Was denkst du, Freund, warum machst du deinem Nachbarn keinen Besuch, da dir doch die Türe offen steht?

Ich verstand ihn sogleich, denn unsere Kanonen hatten ihren Rumpf durchlöchert: wir hatten zwei Stückpforten hineingeschlagen und die Scheidewand des Sterns zertrümmert, so daß sie sich nicht dahin zurückziehen konnten. Ich gab nun sogleich Befehl zum Entern. Unser zweiter Leutnant drang mit etwa dreißig Mann in einem Nu in das Vorderkastell ein, der Oberbootsmann mit einigen weiteren folgte ihm. Sie hieben etwa fünfundzwanzig Mann, die sich auf dem Deck befanden, zusammen, warfen einige Granaten in den hinteren Raum des Schiffes und drangen auch da ein, worauf der Portugiese auf einmal um Quartier bat und wir uns des Schiffes gänzlich bemächtigten – wahrhaftig gegen unsere Erwartung. Sie waren trotz ihrer sechsundvierzig Kanonen nicht imstande gewesen dieselben gehörig zu benutzen, denn wie schon gesagt, wir warfen sie sogleich von ihren Kanonen fort ins Vorderkastell und töteten ihnen eine Menge Leute zwischen den Verdecken, so daß sie, als wir eindrangen, kaum noch Leute genug hatten, um Faust gegen Faust auf ihrem Deck mit uns zu kämpfen.

Die Freude und Überraschung, die Portugiesen um Gnade rufen zu hören und ihre Flagge niederlassen zu sehen, wirkte so mächtig auf unsern Kapitän, der durch sein hitziges Fieber sehr geschwächt war, daß sie ihm neues Leben gab. Die Natur siegte über die Krankheit, und das Fieber verließ ihn noch in derselben Nacht, so daß er nach zwei oder drei Tagen sich sichtlich besser befand, allmählich wieder zu Kräften kam und imstande war, bei allen wichtigen Angelegenheiten wieder Befehle zu erteilen. In etwa zehn Tagen war er vollkommen wiederhergestellt und konnte seinen Posten wieder einnehmen.

Mittlerweile nahm ich Besitz von dem portugiesischen Schiff, und Kapitän Wilmot oder vielmehr ich selbst machte mich vorläufig zum Kapitän desselben. Ungefähr dreißig von ihren Matrosen, worunter einige Franzosen und einige Genuesen waren, nahmen Dienste bei uns, die übrigen setzten wir am andern Tage auf einer kleinen Insel an der brasilianischen Küste an Land, bis auf einige Verwundete, die nicht fortgeschafft werden konnten, und die wir daher an Bord behalten mußten. Später jedoch hatten wir Gelegenheit sie auf dem Kap loszuwerden, wo wir sie auf ihre eigene Bitte an Land setzten.

Kapitän Wilmot wollte, sobald das Schiff gewonnen und die Gefangenen wohl verwahrt waren, wieder in den Rio Janeiro fahren, da er nicht zweifelte, daß wir dort dem andern Kriegsschiff begegnen würden, welches, da es uns nicht gefunden und seinen Kameraden verloren hatte, seiner Meinung nach umgekehrt sein und durch das Schiff, das wir gewonnen hatten, das portugiesische Farben trug, leicht in unsere Hände geraten müßte. Unsere Mannschaft war ebenfalls ganz dafür.

Unser Freund William aber gab uns besseren Rat. Er kam zu mir: Freund, sagte er, ich höre, der Kapitän will wieder in den Janeiro-Fluß segeln in der Hoffnung, mit dem andern Schiff zusammenzutreffen, welches gestern Jagd auf dich machte. Ist es wahr, hast du das im Sinn?

Allerdings, William, versetzte ich, warum denn nicht?

Nun, sagte er, du kannst es tun, wenn du willst.

Das weiß ich selbst, William, entgegnete ich, aber der Kapitän ist ein Mann, der auf vernünftige Gründe eingehen wird, was hast du dagegen einzuwenden?

Ei, meinte William bedeutungsvoll, ich möchte nur wissen, was eigentlich dein Geschäft und das Geschäft all der Leute ist, die du bei dir hast. Nicht wahr, doch Geld zu gewinnen?

Ja, William, so ist es, und zwar auf unsere ehrliche Weise.

Und willst du, sagte er, lieber Geld ohne Gefecht haben als ein Gefecht ohne Geld? Ich meine, was du würdest wählen, wenn es dir frei stünde?

Natürlich das erstere, erwiderte ich.

Was für einen großen Gewinn hast du an der Beute, die du jetzt bekommen hast, obgleich sie dich dreizehn von deinen Leuten kostete und hier noch obendrein allerhand beschädigte? Es ist wahr, du hast das Schiff und einige Gefangene bekommen, aber du würdest auf einem Kauffahrteischiff die doppelte Beute gemacht haben, ohne ein solch schweres Gefecht; und wie kannst du wissen, wie zahlreich oder wohlgerüstet die Mannschaft auf dem andern Schiffe sein wird, welchen Verlust du dabei erleiden kannst und was du gewinnst, wenn du dich seiner bemeisterst? Ich dächte wahrhaftig, es wäre weit besser, du ließest es in Ruhe.

Das ist wahr, William, versetzte ich, ich will dem Kapitän deine Meinung mitteilen und dir dann wieder die seine sagen.

Sofort ging ich zum Kapitän und trug ihm Williams Gründe vor. Der Kapitän war ebenfalls der Meinung, daß das Kämpfen nur dann unsere Sache sein könne, wenn wir es nicht anders machen könnten, und daß wir mit so wenig Opfern wie nur möglich Geld zu bekommen suchen müßten. Der Kampfplan wurde somit beiseite gelegt, und wir fuhren wieder südlich gegen den Laplatafluß, in der Hoffnung, in dieser Gegend einige Beute zu finden. Hauptsächlich hatten wir unser Augenmerk auf einige spanische Schiffe von Buenos Aires gerichtet, welche in der Regel sehr reich an Silber sind, und mit einem einzigen solchen Raube wären wir recht wohl zufrieden gewesen. Wir segelten also beinahe einen Monat lang südlich dorthin, ohne daß uns etwas begegnete, und nun begannen wir uns zu beraten, was wir zunächst tun wollten, denn wir waren noch zu keinem Entschluß gelangt. Meine Meinung war immer, wir sollten uns nach dem Kap der guten Hoffnung und von da nach Ostindien wenden. Ich hätte gern Williams Rat darüber vernommen, wohin wir uns jetzt begeben sollten, aber er fertigte mich immer mit irgendeiner quäkerischen Witzelei ab und ließ es sich durchaus nicht angelegen sein uns eine Richtung anzugeben. Ob es nun Gewissenssache bei ihm war, oder ob er die späteren Folgen nicht auf sich nehmen wollte, weiß ich nicht – kurz wir mußten uns zuletzt ohne ihn entschließen.

Gleichwohl berieten wir uns ziemlich lange und richteten unsere Gedanken geraume Zeit auf den Laplatafluß. Zuletzt spähten wir windwärts ein Schiff aus und zwar eines, wie gewiß in diesem Teile der Welt lange keines gesehen worden war. Es fürchtete sich nicht vor uns, denn es segelte mit voller Macht gerade auf uns los, was indes hauptsächlich dem Winde zuzuschreiben war, denn wenn dieser irgendwie gewechselt hätte, so hätte es sich danach richten müssen. Ich überlasse es jedem, der etwas von der Schiffskunst versteht, zu beurteilen, was für eine Figur dieses Schiff machte, als wir es zuerst sahen, und was wir von ihm denken sollten. Die Hauptmarsstande fiel etwa sechs Fuß über dem Eselshaupt vorwärts, die Spitze des Bramsegelmastes hing in den vorderen Wandtauen, an der Kreuzraa war zufällig etwas gewichen, die Kreuzbramsegelbrassen, deren stehenden Teile an der Wand des großen Marssegels befestigt waren, drückten das Basanmarssegel und die Raen herab, so daß über einem Teile der Schanze gleichsam eine Zeltdecke ausgebreitet war, das vordere Marssegel war etwa an zwei Drittel von der Masthöhe aufgehißt, aber die Schooten waren fort, die vordere Rae war auf das Vorderkastell herabgelassen, das Segel war locker, und ein Teil davon hing über Bord – auf diese Art kam das Schiff auf uns zu. Mit einem Wort, die Figur, welche es machte, war höchst auffallend, sogar für Leute, die sich auf alle möglichen Erscheinungen auf See verstanden. Es hatte kein Boot, auch hing keine Flagge heraus.

Als wir ihm näher kamen, feuerten wir eine Kanone ab, um es aufmerksam zu machen. Es nahm keine Notiz davon sondern steuerte wie bisher vorwärts. Wir feuerten abermals, aber wieder ohne Erfolg. Endlich kamen wir auf Pistolenschußweite aneinander, aber niemand antwortete oder zeigte sich; wir dachten nun, es sei vielleicht ein gestrandetes Schiff, das von der Mannschaft verlassen und von der hohen Flut wieder auf See getrieben worden sei. Aber als wir näher kamen und ganz dicht an seiner Seite hinfuhren, konnten wir darin ein Geräusch hören und die Bewegung mehrerer Leute im Innern beobachten.

Daraufhin bemannten wir zwei Boote mit wohlbewaffneten Leuten und befahlen denselben, sich alsbald an das Schiff zu machen und es von zwei Seiten zu entern. Sobald sie an die Seite des Schiffes kamen, zeigte sich eine erstaunliche Menge schwarzer Leute auf dem Deck, die unsern Leuten eine solche Angst einjagten, daß das Boot, welches gerade entern wollte, plötzlich von seinem Vorhaben abstand und keinen Angriff wagte, die Mannschaft des andern Bootes aber, welche bereits geentert hatte, sprang, da sie die Leute vom ersten Boot zurückgeschlagen glaubte und das Schiff so voll sah, sämtlich wieder ins Boot zurück und segelte davon, ohne zu wissen, was an der Sache war. Jetzt trafen wir Anstalten, eine Salve auf das Schiff abzugeben, aber unser Freund William setzte uns abermals den Kopf zurecht, denn, wie es scheint, hatte er früher als wir erraten, was von der Sache zu halten war. Er näherte sich mir, denn mein Schiff war es, welches näher dem fremden lag, und sagte: Freund, ich bin der Meinung, du hast hier unrecht, und deine Leute haben die Sache auch nicht recht angegriffen. Ich will dir sagen, wie du dieses Schiff nehmen kannst, ohne von den Dingern da, welche man Kanonen nennt, Gebrauch zu machen.

Wie kann das sein, William, sagte ich. Ei, entgegnete er, du kannst es mit deinen Rudern bekommen. Du siehst, daß sie kein Steuer haben, und bemerkst auch die Lage, in welcher sie sind, greife sie mit deinem Schiff auf der Leeseite an und entere so von deinem Schiff aus. Ich bin überzeugt, du wirst es ohne Gefecht bekommen, denn diesem Schiff muß irgendein Unglück, das wir nicht kennen, zugestoßen sein.

Da die See ruhig war, und nur ein sanfter Wind blies, so nahm ich seinen Rat an und machte mich an die Seite des Fahrzeugs. Unsere Leute drangen sogleich ein, und wir fanden ein großes Schiff mit mehr als sechshundert Negern: Männern, Weibern und Kindern, aber nicht einen einzigen Christen oder weißen Menschen an Bord.

Bei diesem Anblick schauderte ich, denn ich dachte mir sogleich, wie es teilweise auch der Fall war, daß diese Schwarzen sich befreit, alle Weißen ermordet und in die See geworfen hatten. Kaum hatte ich diese Ansicht gegen meine Mannschaft ausgesprochen, als der Gedanke daran sie so wütend machte, daß ich sie kaum abhalten konnte, alle zusammen in Stücke zu hauen. William beschwichtigte sie endlich mit vieler Überredungskunst, indem er ihnen sagte, dies sei nichts anderes als was sie selbst in der Lage der Neger ebenfalls tun würden, wenn sie könnten; man habe den Negern die größte Ungerechtigkeit zugefügt, indem man sie ohne ihre Einwilligung als Sklaven verkaufte, das Gesetz der Natur habe ihnen dies eingegeben, man sollte sie deswegen nicht töten, denn eine solche Tat wäre ein mutwilliger Mord.

Diese Zureden fanden Eingang bei ihnen und kühlten ihre erste Hitze ab, sie schlugen daher nur zwanzig oder dreißig von ihnen nieder, und alle die übrigen rannten zwischen den Verdecken an ihre ersten Plätze zurück, indem sie wahrscheinlich glaubten, wir seien ihre früheren Herren und wiedergekommen, um Rache an ihnen zu üben.

Wir waren jetzt in der seltsamsten Verlegenheit, denn wir konnten uns mit keinem Worte verständlich machen und ebensowenig ein Wort von ihnen verstehen. Wir bemühten uns durch Zeichen zu fragen, woher sie kämen, allein sie konnten nicht verstehen, was wir meinten. Ihrerseits deuteten sie auf unser Boot und auf ihr Schiff, fragten ebenfalls, so gut sie konnten, sagten tausend Dinge und drückten sich mit großer Ernsthaftigkeit aus, aber wir konnten kein Wort von allem verstehen noch begreifen, was sie mit ihren Zeichen meinten.

Das sahen wir aber wohl, daß sie als Sklaven an Bord genommen sein mußten und zwar von irgendeiner europäischen Mannschaft. Wir konnten leicht sehen, daß das Schiff ursprünglich in Holland gebaut worden war aber viele Änderungen erlitten hatte und zwar, wie wir glaubten, in Frankreich, denn wir entdeckten zwei oder drei französische Bücher an Bord und nachher auch Kleider, Leinwand, Schnüre, einige alte Schuhe und mehrere andere Sachen. Unter dem Mundvorrat fanden wir einige Tonnen irisches Ochsenfleisch, einige Neufundländerfische und mehrere andere Beweise, daß Europäer an Bord gewesen sein mußten, aber von ihnen selbst konnten wir nirgends einen entdecken. Auch fanden wir keinen einzigen Säbel, kein Gewehr, keine Pistole oder sonst eine Waffe außer einigen Kurzsäbeln, welche die Neger unter ihrem Lager verborgen hatten. Wir fragten sie, was aus all den kleinen Waffen geworden sei, indem wir auf unsere eigenen deuteten und auf die Plätze, wo die dem Schiff angehörenden gehangen haben mußten. Einer der Neger verstand mich sogleich und winkte mir auf das Verdeck zu kommen, wo er nach meiner Flinte griff, die ich, nachdem wir uns des Schiffes bemeistert hatten, nicht aus der Hand gegeben hatte, und eine Bewegung machte, als wollte er sie in die See schleudern, woraus ich schloß, daß sie sämtliche Waffen, Pulver, Geschütze, Schwerter usw. über Bord geworfen hatten, ohne Zweifel in der Meinung, diese Dinge würden sie töten, wenn auch die Leute nicht mehr da wären.

Nun zweifelten wir nicht mehr daran, daß die Mannschaft des Schiffes, von diesen verzweifelten Schuften überfallen, denselben Weg gegangen und ebenfalls über Bord geworfen worden war. Wir durchsuchten das ganze Schiff, ob wir Blut finden könnten, und glaubten auch wirklich an mehreren Stellen welches zu bemerken, aber die Sommerhitze, welche das Pech und den Teer auf den Verdecken schmolz, machte es uns unmöglich, es genau zu erkennen, ausgenommen in der Kajüte, wo wir deutlich sehen konnten, daß viel Blut geflossen war. Wir fanden die große Luke offen und schlossen daraus, daß sich der Kapitän und seine Leute in die große Kajüte zurückgezogen und sich von dort geflüchtet haben mußten.

Was uns aber die beste Gewißheit über das Vorgefallene verschaffte war, daß wir bei weiteren Nachforschungen sieben oder acht von den Negern schwer verwundet fanden und zwar zwei oder drei von ihnen durch Schußwaffen: einem von ihnen war das Bein zerschmettert, und er befand sich in einem elenden Zustande, da das Fleisch bereits brandig war. Unser Freund William sagte, ohne unsere Hilfe würde er in zwei Tagen gestorben sein. William war ein äußerst geschickter Wundarzt und bewies es bei dieser Kur, denn obgleich sämtliche Wundärzte auf unsern beiden Schiffen – wir hatten ihrer nicht weniger als fünf, welche sich studierte Chirurgen nannten, und überdies zwei sogenannte Gehilfen – obgleich alle diese ihre Meinung dahin abgaben, dem Neger müsse sein Bein abgenommen werden, sonst sei er unrettbar verloren, der Brand habe bereits das Mark im Beine angegriffen, die Sehnen seien brandig, und er könne sein Bein jedenfalls nie mehr gebrauchen, wenn es auch kuriert würde, so sagte William, er habe eine andere Ansicht von der Sache, er wolle die Wunde erst einmal genau untersuchen und dann werde er sich weiter darüber aussprechen. Sofort machte er sich an das Bein, und da er den Wunsch ausdrückte, einige von den Chirurgen möchten ihm dabei behilflich sein, so bezeichneten wir ihm zwei von den geschicktesten, die ihm halfen, während wir den übrigen bedeuteten zuzusehen.

William ging nach seiner eigenen Methode zu Werke, und einige seiner Kollegen wollten diese anfangs fehlerhaft finden. Er ließ sich indes nicht stören und untersuchte genau alle Teile des Beines, wo seiner Vermutung nach der Brand angefangen hatte, er schnitt viel von dem brandigen Fleisch ab, wobei der arme Bursche keine Schmerzen empfand. William fuhr in seinem Geschäfte fort, bis Blut floß und der Schwarze einen lauten Schrei tat, sodann nahm er die Splitter aus dem Beine heraus, renkte es mit Hilfe eines andern Wundarztes ein, verband es und legte den Kranken, der sich um ein gut Teil erleichtert fühlte, zur Ruhe.

Bei der ersten Abnahme des Verbandes begannen die Chirurgen zu triumphieren, der Brand schien um sich zu greifen, und ein langer rotunterlaufener Streifen zeigte sich von der Wunde aufwärts bis an den mittleren Teil des Schenkels, so daß die Chirurgen zu mir sagten, der Mann werde in wenigen Stunden sterben. Ich ging hin es zu sehen und fand meinen Freund William selbst ein wenig überrascht. Als ich ihn aber fragte, wielange der arme Kerl nach seiner Ansicht noch zu leben hätte, blickte er mich ernsthaft an und sagte: Solange als du selbst, ich fürchte durchaus nicht für sein Leben, aber ich möchte ihn gern kurieren, ohne einen Krüppel aus ihm zu machen.

Er war im Augenblick nicht mit der Behandlung des Beines beschäftigt sondern bereitete etwas zum Einnehmen für den armen Menschen, ohne Zweifel um weiterem Umsichgreifen vorzubeugen und fieberische Zufälle, welche sich im Blute einstellen könnten, zu schwächen oder zu verhindern; sodann ging er wieder ans Werk, öffnete den Schenkel an zwei Stellen über der Wunde und schnitt eine Menge brandiges Fleisch aus. Da das ausgetrocknete Blut jetzt mehr als gewöhnlich Anlage zum Brandigwerden hatte, so suchte er es zu zerteilen.

Kurz unser Freund William beseitigte den um sich greifenden Brand, so daß der rote Streifen wieder verschwand und das Fleisch gesunden Eiter zu bilden begann. In wenigen Tagen sammelten sich die Lebensgeister des Burschen, sein Puls schlug wieder regelmäßig, er hatte kein Fieber mehr, wurde mit jedem Tage kräftiger und in etwa zehn Wochen war er vollkommen gesund, wir behielten ihn bei uns und machten ihn zu einem tüchtigen Matrosen.

Um aber auf das Schiff zurückzukommen, so konnten wir keine sichere Kunde darüber erhalten.

Wir fragten mit allen erdenklichen Zeichen und Bewegungen, was aus der Mannschaft geworden sei, konnten aber schlechterdings nichts aus ihnen herausbringen. Unser zweiter Offizier war der Ansicht, man sollte ihnen durch die Folter ein Geständnis abzwingen, als aber William hörte, daß darüber beraten wurde, kam er zu mir und sagte: Freund, ich ersuche dich, daß du keinen von diesen armen Menschen auf die Folter spannen lässest.

Warum nicht, William, fragte ich, du siehst, daß sie keine Auskunft darüber geben wollen, was aus den Weißen geworden ist.

Ich glaube, entgegnete William, sie haben dir sehr genaue Auskunft über alle Einzelheiten gegeben.

Wieso, fragte ich, sind wir denn durch all ihr Geschnatter um ein Haar klüger geworden?

Nein, sagte William, aber das ist, wenn ich die Sache recht bedenke, nur dein Fehler gewesen. Du wirst doch die armen Leute nicht dafür strafen wollen, daß sie nicht Englisch sprechen können, vielleicht haben sie in ihrem ganzen Leben kein englisches Wort gehört. Ich glaube also bestimmt, daß sie dir einen ausführlichen Bericht über alles gegeben haben, denn du weißt, mit welcher Ernsthaftigkeit und wielange einige von ihnen zu dir gesprochen haben, wenn du ihre Sprache nicht verstehst und sie nicht die deinige, wie können sie es anders machen? Du vermutest bloß, daß sie dir nicht die ganze Wahrheit mitteilen, ich glaube aber, sie haben es getan, und wie willst du die Frage entscheiden, ob du recht hast oder ob ich recht habe? Überdies was können sie dir sagen, wenn du ihnen auf der Folter eine Frage vorlegst und sie dieselbe nicht verstehen? Ja, kannst du überhaupt nur wissen, ob sie Ja oder Nein sagen?

Ich will meine Mäßigung nicht rühmen, wenn ich bemerke, daß ich mich durch diese Gründe überzeugen ließ. Gleichwohl hatten wir viel zu tun, unsern Leutnant zurückzuhalten, der gleichwohl einige von ihnen niedermachen wollte, um die andern zum Sprechen zu bringen. Was sie auch sagten, er verstand kein Wort davon, aber er wollte sich den Glauben nicht nehmen lassen, daß die Neger ihn notwendig verstehen müßten, wenn er sie fragte, ob das Schiff wie das unsrige ein Boot gehabt hätte oder nicht, und was aus demselben geworden wäre.

Es blieb nun einmal kein anderes Mittel als in Geduld zu warten, bis wir diese Leute im Englischen unterrichtet hätten. Wo sie an Bord des Schiffes gekommen waren, konnten wir nicht erfahren, weil sie die englischen Namen, welche wir diesen Küsten gegeben hatten, nicht kannten, und ebensowenig konnten wir herausbringen, welcher Nation das Schiff angehört hatte, weil sie keine europäische Sprache von der andern zu unterscheiden vermochten. Soviel aber der Neger, den ich ins Verhör nahm, derselbe, dessen Bein William kuriert hatte, uns sagte, so redeten sie nicht dieselbe Sprache wie wir, und auch nicht diejenige, die unsere Portugiesen sprachen, es waren also aller Wahrscheinlichkeit nach Franzosen oder Holländer gewesen.

Der Inhalt seiner weiteren Andeutungen war der Hauptsache nach folgender: die weißen Männer waren barbarisch mit den Negern umgegangen und hatten sie unbarmherzig geschlagen. Einer von den Negern hatte ein Weib, zwei Neger hatten Kinder und einer eine Tochter von etwa sechzehn Jahren, ein Weißer mißbrauchte des Negers Weib und nachher das Mädchen, und das machte alle Neger rasend. Besonders war der Mann des Weibes in großer Wut, darüber wurde der Weiße so ergrimmt, daß er drohte ihn umzubringen; aber in der Nacht machte sich der Neger los, nahm ein Brecheisen, und als der nämliche Franzose – wenn es ein Franzose war – sein Weib wiederum mißbrauchen wollte, schlug ihm der Schwarze mit dem Brecheisen das Hirn aus dem Kopfe, darauf nahm er ihm den Schlüssel ab, mit welchem die Handschellen aufgeschlossen wurden, und setzte etwa hundert von ihnen in Freiheit. Diese gingen hierauf durch dieselbe Luke, durch welche der Weiße zu ihnen hereingekommen war, auf das Verdeck, nahmen den Hirschfänger des getöteten Mannes sowie andere Waffen, die in der Nähe waren und fielen über die Männer auf dem Verdeck her, töteten sie alle und danach auch diejenigen, welche sie auf dem Vorderkastell fanden. Der Kapitän und seine Leute, welche sich in der Kajüte befanden, verteidigten sich mit großem Mute und schossen aus den Öffnungen auf sie, wodurch der Erzähler und mehrere Neger verwundet wurden, endlich aber drangen sie nach langem Streit in die Kajüte ein und streckten zwei von den Weißen nieder, die am Eingange standen. Aber elf von den Negern wurden getötet, ehe diese einbrechen konnten, sodann zogen sich die übrigen durch die Luke in die große Kajüte zurück, wobei noch drei Neger verwundet wurden.

Danach rettete sich der Geschützmeister in die Pulverkammer, einer von seinen Leuten holte das große Boot am Hinterteil des Schiffes herbei und brachten alle Waffen nebst dem Geschütz, welches sie bekommen konnten, hinein, dann stiegen alle in das Boot und holten hierauf den Kapitän und diejenigen, die bei ihm waren, aus der großen Kajüte. Als sie so alle eingeschifft waren, beschlossen sie, das Schiff aufs neue anzugreifen, um es wieder in ihre Hände zu bringen. Sie kamen mit verzweifeltem Mute heran und töteten zuerst alles, was im Wege war, aber inzwischen waren die Neger alle los geworden, hatten sich einiger Waffen bemächtigt, und obgleich sie nichts von Pulver oder Kugeln oder Kanonen verstanden, so konnten doch die Weißen sie nicht mehr bemeistern. Gleichwohl legten sie sich unter den Bug des Schiffes und holten alle Männer heraus, welche in der Küche geblieben waren, sich dort trotz der größten Anstrengungen der Neger behauptet und mit ihren kleinen Waffen zwischen dreißig und vierzig Neger getötet hatten, am Ende aber doch sich gezwungen sahen das Schiff zu verlassen.

Die Neger konnten uns keine Auskunft geben, in welcher Gegend dies vorgefallen, ob in der Nähe der Küste von Afrika oder weit davon oder wie lange vorher es geschehen, ehe das Schiff in unsere Hände fiel, sie wußten nur im allgemeinen, es sei eine lange Zeit her, aber nach allem, was wir in Erfahrung bringen konnten, waren es zwei oder drei Tage, nachdem sie von der Küste abgesegelt waren. Sie sagten uns, sie hätten etwa zwanzig von den weißen Männern getötet, indem sie dieselben mit Knütteln, Brecheisen und andern solchen Dingen, welche sie bekommen konnten, auf den Kopf geschlagen, ein starker Neger habe drei von ihnen mit einer eisernen Stange umgebracht, nachdem er zweimal durch den Leib geschossen worden sei, nachher aber sei er von dem Kapitän selbst an der Tür der Hütte, die er mit dem Brecheisen aufgesprengt, durch den Kopf geschossen worden, woher vermutlich das viele Blut rührte, das wir daselbst gesehen hatten.

Derselbe Neger erzählte uns, daß sie alles Pulver und alle Geschütze, welche sie auffinden konnten, in die See geworfen und gern auch mit den großen Kanonen ein gleiches getan hätten, wenn sie dieselben hätten fortheben können. Auf die Frage, wie es gekommen sei, daß sich ihre Segel in solchem Zustande befänden, war seine Antwort, sie hätten es nicht verstanden, sie wüßten nicht, was die Segel tun, das heißt sie wußten nicht einmal, daß die Segel es waren, die das Schiff trieben. Als wir ihn fragten, wohin er gewollt habe, sagte er, sie hätten es nicht gewußt sondern wären eben der Meinung gewesen, sie würden wieder in ihr eigenes Land zurückkommen. Ich fragte ihn namentlich auch, für wen er uns gehalten habe, als wir zum ersten Male in ihre Nähe gekommen seien. Er sagte, sie seien fürchterlich erschrocken gewesen, denn sie hätten geglaubt, wir seien dieselben weißen Männer, die auf ihren Booten davongegangen, und seien wieder in einem großen Schiff gekommen samt den zwei Booten, deshalb hätten sie erwartet, wir würden sie alle zusammen umbringen.

Dies war der Bericht, den wir von ihnen bekamen, nachdem wir sie gelehrt hatten englisch zu sprechen und die Namen und den Gebrauch der zum Schiffe gehörenden Dinge, von denen oft geredet wurde, zu verstehen. Daß die Neger uns die Wahrheit sagten, konnten wir daraus schließen, daß sie alle in den Einzelheiten übereinstimmten und immer bei derselben Geschichte blieben.


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