Daniel Defoe
Moll Flanders
Daniel Defoe

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Die beste Perücke, Hut und Degen wurden geholt, der Diener mußte seinen Herrn am andern Orte entschuldigen, das heißt, der Herr benutzte diese Gelegenheit, um seinen Diener fortzubringen. Während er zum Wagen ging, blieb er eine Weile in Gedanken stehen und redete dabei ernstlich mit mir über die mir aufgetragenen Besorgungen, fand aber Gelegenheit dabei mir heimlich zu sagen: Komm, mein Engel, sobald es nur möglich ist.

Ich sagte nichts sondern verneigte mich und gab dadurch meine Einwilligung zu verstehen. Eine Viertelstunde darauf machte ich mich auf den Weg. Meine Kleidung war nicht anders wie zuvor, nur hatte ich einen Kopfputz und ein paar Handschuhe in der Tasche mitgenommen, damit man im Hause keinen Argwohn schöpfte. Er erwartete mich in einer Hintergasse, durch die ich gehen mußte, der Kutscher war unterrichtet, wohin er fahren sollte, nämlich nach Mile-End, wo einer seiner Vertrauten wohnte, bei dem wir einkehrten und alle Bequemlichkeit von der Welt fanden, um so gottlos zu sein, als es uns nur gefiel.

Wie wir zusammen waren, fing er an ganz ehrbar mit mir zu reden und sagte, er ginge nicht damit um, mich zu betrügen. Seine Liebe zu mir erlaube ihm nicht, mir das geringste Üble anzutun, er sei entschlossen mich zu heiraten, sobald er zu seiner Erbschaft gelangt wäre. Wenn ich ihn inzwischen erhören wolle, wäre er erbötig mich ehrlich zu unterhalten, und brachte noch tausend Beteuerungen seiner Aufmerksamkeit vor mit dem Versprechen, mich nie zu verlassen. Ich kann wohl sagen, er machte tausendmal mehr Einleitungen als nötig waren.

Da er mich nun veranlaßte zu sprechen, gab ich ihm zu verstehen, daß ich keine Ursache hätte, an der Aufrichtigkeit seiner Liebe zu mir zu zweifeln, nachdem er mir dieselbe so hoch und so oft versichert, aber – hier hielt ich inne, als ob er das übrige erriete –

Ich kann mir denken, was du meinst, mein Schatz, sprach er, wenn du etwa schwanger werden solltest, nicht wahr? Nun, dann will ich auch dafür Sorge tragen, daß weder du noch das Kind zu kurz kommen sollen, und damit du siehst, daß ich nicht scherze, so soll dies das Angeld sein. Dabei zog er einen seidenen Beutel mit hundert Guineen heraus und gab ihn mir. Ebensoviel sollst du jedes Jahr bekommen, bis ich dich heiraten kann.

Ich wurde bald rot, bald blaß beim Anblick dieses Beutels und bei diesem Gespräch, so daß ich kein Wort herausbringen konnte, worauf er wohl merkte. Indes steckte ich den Beutel in meinen Busen und widerstand ihm nicht sondern ließ ihn machen, was und wie oft er wollte. So bewirkte ich mein eigenes Verderben, denn von diesem Tage an, da ich Tugend und Scham ganz fallen ließ, blieb mir nichts mehr, was mich hätte bei Gott und den Menschen angenehm machen können.

Ich ging zurück in die Stadt, richtete aus, was mir befohlen worden, und war zu Hause, ehe noch jemand nach mir fragte. Mein junger Herr blieb bis spät in die Nacht aus, und niemand in der Familie hatte den geringsten Argwohn gegen mich oder ihn.

Hiernach fanden wir häufig Gelegenheit unsere Missetat zu wiederholen, besonders zu Hause, wenn die Mutter mit den Töchtern auf Besuch gefahren war, und diese Zeit nahmen wir so getreulich wahr, daß wir nichts versäumten. Wir wußten allemal vorher, wenn sie ausgingen, und so fand er mich stets allein und willig. So gaben wir uns der gottlosen Lust fast ein halbes Jahr hin in aller Sicherheit, wobei ich aber nicht schwanger wurde, worüber ich sehr befriedigt war.

Etwa nach einem halben Jahre wollte mir der jüngere Bruder, den ich bereits anfangs erwähnt habe, ebenfalls zu Leiber Als er mich eines Abends allein im Garten traf, fing er auf dieselbe Art an wie sein Bruder, erklärte mir nicht nur seine große Liebe, sondern erbot sich sogar mich sofort in Ehren zu ehelichen.

Hierüber wurde ich sehr bestürzt und geriet in eine Not, wie ich sie noch nicht kennen gelernt. Ich stellte ihm die Ungleichheit zwischen uns beiden vor, welchen Vorwurf die Familie auf mich werfen würde: Undankbarkeit gegen seine Eltern, die mich mit solcher Großmut aufgenommen, als ich so bedürftig gewesen war, kurz ich brauchte meine ganze Überredungskunst, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen, nur verschwieg ich ihm den wahren Grund, womit ich ihn hätte überzeugen können, allein eben diesen durfte ich nicht verraten.

Inzwischen fiel etwas vor, was ich nicht vermutet und wodurch ich zum äußersten getrieben wurde. Dieser junge Herr, der ein aufrichtiges Gemüt hatte und es ehrlich meinte, war nicht so vorsichtig wie sein älterer Bruder, ein Geheimnis daraus zu machen, daß er in Jungfer Betty verliebt sei. Denn obgleich er es niemandem sagte, daß er mit mir davon gesprochen, gab er doch seinen Schwestern deutlich genug zu verstehen, wie es ihm ums Herz war. Die Mutter entdeckte es, und er bekam manches zu hören, und auch ich fand, daß die Leute gegen mich ganz verändert waren.

Ich sah die Wolke, doch nicht den Sturm. Das Benehmen meiner Herrschaft gegen mich wurde von Tag zu Tag unerträglicher, und ich bekam Wind, daß man mich in kurzem vor die Tür setzen wolle.

Diese Nachricht betrübte mich nicht, weil ich gewiß wußte, wer mich versorgen würde. Außerdem konnte ich täglich schwanger werden und wäre dann über kurz oder lang doch genötigt gewesen, das Haus, ohne einen triftigen Grund angeben zu können, zu verlassen.

Kurze Zeit darauf nahm der jüngere Herr Gelegenheit mir mitzuteilen, daß seine Liebe zu mir im Hause ruchbar geworden sei. Er gab mir nicht die Schuld, da ihm bekannt war, wie die Sache herausgekommen war. Er gestand, daß er selber mit seinen Reden schuld daran sei, denn er habe kein Geheimnis daraus gemacht, daß er mich liebe, weil er auch die Absicht gehabt öffentlich zu erklären, daß er mich heiraten wolle, sobald ich nur darin einwilligen würde. Es sei wahr, seine Eltern könnten es übel aufnehmen und es ihn entgelten lassen, aber er wollte sich schon durch seine Advokatur versorgen und mich gut unterhalten. Da er nun glaubte, ich würde mich nicht weigern, so sei er entschlossen, meiner nicht zu entsagen, denn warum sollte er diejenige, die später doch seine Frau werden würde, nicht schon heute als seine Braut anerkennen. Ich hätte nichts weiter zu tun als ihm die Hand zu reichen, das übrige wolle er schon verantworten.

Hier saß ich nun in der Klemme und bereute von Herzen, daß ich dem älteren Bruder so leicht zu Willen gewesen war, nicht etwa aus Gewissensbissen, denn das waren für mich böhmische Dörfer, sondern weil ich unmöglich des einen Bruders Freiliebste und des andern Ehefrau sein konnte. Es fiel mir auch ein, daß mir der ältere Bruder versprochen mich zu heiraten, wenn er in den Besitz seines väterlichen Erbes kommen würde, aber ich erinnerte mich auch, daß er, seitdem ich seine Beischläferin geworden war, kein Wort mehr davon erwähnt hatte, was mir schon manchmal im Kopfe herumgegangen war. Trotzdem hatte ich mich darum bisher nicht bekümmert, denn ebenso wie seine Liebe für mich nicht abnahm, verminderte sich auch seine Freigebigkeit nicht, obwohl er mich bescheiden bat, kein Geld auf Kleidung zu verwenden, noch den geringsten Aufwand mit meiner Person zu machen, da dies der Familie in die Augen fallen würde, und ich solches nicht auf ehrliche sondern nur auf verdächtige Weise erworben haben könnte.

Ich war nun in die Enge getrieben und wußte nicht, was ich anfangen sollte. Die größte Schwierigkeit lag darin, daß der jüngere Bruder mich an allen Orten zu treffen suchte und es auch alle Welt sehen ließ. Er kam in das Gemach seiner Mutter oder in das seiner Schwestern und setzte sich zu mir, wenn er mich dort fand, und redete in ihrer Gegenwart von tausend schönen Dingen zu mir. Das ganze Haus wußte davon, und die Mutter bestrafte ihn deshalb, während sie zu mir sehr ungnädig war. Kurz, die Mutter hatte es verlauten lassen, daß sie mir die Tür weisen wolle. Dies konnte dem älteren Bruder gewiß nicht verborgen bleiben, aber er mochte wohl darauf pochen, was niemandem von den andern in den Sinn gekommen war, nämlich, daß er mir eine völlige Erklärung und einen Heiratsantrag gemacht habe. Allein ich hielt es für unumgänglich notwendig mit ihm darüber zu sprechen, war aber im Zweifel, ob ich ihn daraufhin anreden sollte oder warten, bis er es tun würde.

Nach reiflicher Überlegung – ich dachte nun wirklich in allem Ernst darüber nach – wurde ich schlüssig ihm zuvorzukommen, und es währte nicht lange, daß sich eine gute Gelegenheit dazu bot. Der jüngere Bruder war wegen eines Prozesses nach London gereist, die übrigen von der Herrschaft machten Besuche, wie es sehr oft geschah, als der ältere Bruder seiner Gewohnheit nach in meine Kammer kam, um sich ein paar Stunden mit mir die Zeit zu vertreiben.

Nachdem wir eine Weile still gesessen hatten, merkte er mir eine Veränderung an, weil ich mich nicht so frei und lustig zeigte wie sonst, auch sah er bald, daß ich geweint hatte, und fragte mich deshalb freundlich, ob mir wohl etwas fehle oder ob ich Verdruß gehabt hätte. Ich hätte es jetzt gern verschwiegen, konnte es aber nicht mehr. Auf seine Fragen sagte ich ihm endlich, daß ich allerdings Verdruß gehabt hätte und zwar solcher Art, daß ich es schwerlich verbergen könnte, aber auch nicht wüßte, wie ich es ihm mitteilen sollte. Es sei etwas, was mich vollständig aus dem Gleichgewicht gebracht habe, und ich wüßte nicht, was ich anfangen sollte, wenn er mir nicht riete. Er antwortete mit der größten Zärtlichkeit, es möge sein, was es wolle, ich dürfe mich nicht so bekümmern, er sei bereit mich gegen alle Welt zu beschützen.

Darauf fing ich von ungefähr an ihm zu sagen, die Fräulein hätten etwas von unserm heimlichen Umgang erfahren, denn ihr Benehmen gegen mich sei ganz anders als früher, ich könnte ihnen nichts mehr recht machen, immer zankten sie mit mir, obgleich ich ihnen doch gar keine Ursache dazu gegeben. Vorher hätte ich bei der älteren Schwester geschlafen, nun aber wäre mir ein besonderes Bett angewiesen worden, oder ich müßte auch bei einer von den Mägden liegen. Ich hätte oft heimlich gehört, wie sie von mir schlecht redeten, und endlich wäre mir zu Ohren gekommen, daß ich aus dem Hause sollte, weil mein längeres Verbleiben der Familie schädlich wäre.

Er lächelte darüber, und ich fragte ihn, warum er dies für so gering achtete, da er doch wissen müsse, daß eine solche Entdeckung zu meinem Verderben und zu seinem Nachteil ausschlagen müsse. Ich warf ihm vor, er sei ebenso wie die übrigen Männer: wenn sie ein Mädchen zu Willen gehabt hätten, trieben sie ihr Gespött mit ihr und hielten es für eine Kleinigkeit, wenn eine solche Person ihrem Untergange entgegenginge, nachdem sie ihr Vergnügen und ihre Lust mit ihr gehabt.

Als er fand, daß ich zornig und ernst aussah, schlug er einen andern Weg ein und sagte, es sei ihm leid, daß ich solche Gedanken von ihm hegte, er habe mir niemals Ursache dazu gegeben sondern sich meines guten Namens ebenso wie des seinen angenommen, er sei sicher, daß unser Verkehr so heimlich gewesen sei, daß keine Seele im Hause den geringsten Verdacht habe schöpfen können, und wenn er gelächelt hätte, so sei es deswegen gewesen, weil er noch vor kurzem erfahren habe, daß unser Verhältnis von niemandem bemerkt worden sei, worüber ich doch mit ihm froh sein sollte.

Ich wendete ein, ich könnte mich nicht freuen, wenn man mich aus dem Hause hinausjagen wolle. Wenn also unser Verkehr nicht herausgekommen sei, so begriffe ich nicht, was ich sonst getan haben sollte, weswegen man mir solche saure Gesichter zeigte, da ich doch früher wie ein Kind im Hause gehalten worden sei.

Es ist wahr, sprach er, mein liebes Kind, die Mutter und die Schwestern sind nicht mit dir zufrieden, aber das kommt nicht daher, weil wir etwas miteinander haben. Sie haben meinen Bruder Robert im Verdacht, daß er ein Auge auf dich geworfen habe. Der Dummkopf hat es ihnen ja selbst auf den Kopf gesagt, er plagt und belästigt sie immerfort damit zu seiner eigenen Unehre. Ich gestehe, daß er unrecht daran tut, die Familie in Harnisch zu bringen und sie dir dadurch auf den Hals zu hetzen, aber es ist mir doch lieb, weil ich um so sicherer bin, daß sie nicht auf mich kommen, und das, meine ich, sollte dich doch auch freuen.

Das kann ich wohl begreifen, sagte ich, aber das ist doch nicht die Hauptsache, obwohl es mich auch bekümmert hat.

Was ist es denn? fragte er.

Ich konnte vor lauter Weinen kein Wort herausbringen.

Er bemühte sich mich zu beruhigen und wollte wissen, was mich etwa sonst noch quälte.

Da sagte ich ihm denn endlich, es sei meine Pflicht, es ihm zu entdecken, und er habe ja auch das Recht dazu es zu verlangen: ich befände mich in solcher Verwirrung, daß ich nicht wüßte, was ich tun oder lassen sollte. Darauf erzählte ich ihm die ganze Geschichte, wie unklug sein Bruder sich aufgeführt habe, indem er mich so bloßgestellt. Wenn er nur stillgeschwiegen hätte, würde ich ihm rund heraus einen Korb haben geben können, ohne ihm irgendeinen Grund deswegen angeben zu brauchen, so daß ihm wohl mit der Zeit die Lust vergangen wäre. Aber weil er sich meiner Einwilligung schmeichelte und auch noch dem ganzen Hause sein Vorhaben kund täte, käme es mir sehr ungelegen.

Ich berichtete ferner, wieweit ich ihm Widerstand geleistet hätte, auch wie treuherzig und rühmlich seine Absicht sei. Allein, fuhr ich fort, mein Zustand würde doppelt unglücklich werden, denn wenn sie mich jetzt schon scheel ansähen, weil er mich zu seiner Frau haben will, was werden sie erst tun, wenn sie hören, daß ich ihm eine abschlägige Antwort gegeben habe. Dann wird es heißen: Da steckt etwas anderes dahinter, sie wird wohl wissen, warum sie ein solches Glück ausschlägt, und dergleichen mehr.

Hierüber wurde mein Liebhaber sehr bestürzt und sagte, es sei gewiß eine brenzliche Sache für mich, er sähe auch nicht, wie ich da herauskommen könnte, ich sollte ihm nur Zeit gönnen alles wohl zu überlegen, und er würde mir bei unserer nächsten Zusammenkunft seine Meinung darüber sagen. Inzwischen bäte er mich, seinem Bruder weder meine Einwilligung noch eine abschlägige Antwort zu geben, sondern ihn vielmehr eine Weile zappeln zu lassen.

Diese Worte machten mich stutzig. Ich verstünde das nicht, sagte ich, er wisse doch daß ich keine Einwilligung mehr zu vergeben hätte, da er mir ja selbst die Ehe versprochen hätte und ich also demnach an ihn gebunden wäre. Er hätte mir doch bisher immer gesagt, ich sei seine Frau und ich hätte mich auch wirklich dafür gehalten, wie wenn die Trauung in aller Form vor sich gegangen wäre, es sei dies ja auch solches sein eigener Wille gewesen, indem er mich die ganze Zeit über beredet hätte mich seine Frau zu nennen.

Ja, mein Schatz, sagte er, laß dich nur nicht hierdurch irre machen. Wenn ich auch nicht dein ehelicher Mann bin, so will ich doch so an dir handeln, als ob ich es wäre. Bekümmere dich darüber nicht und laß mich die Sache etwas genauer überlegen, ich will dir bald mehr darüber sagen.

Er stellte mich hierdurch so zufrieden als er konnte, ich fand aber, daß er tiefe Gedanken hatte, und obwohl er sehr freundlich zu mir war, mich auch wohl tausendmal küßte und mir Geld gab, so fiel doch in den ganzen zwei Stunden, die wir zusammen verbrachten, nichts weiter vor, worüber ich mich sehr verwunderte, besonders wenn ich bedachte, wie es sonst zu sein pflegte, und welch schöne Gelegenheit wir hatten.

Der Bruder kam erst nach fünf oder sechs Tagen von London zurück und es verstrichen noch einige Tage, ehe sie miteinander reden konnten. Endlich, als sie sich einmal allein trafen, nahm der ältere den jüngeren auf die Seite. Er hielt ihm vor, daß er unterdes wunderliche Gerüchte gehört hätte, nämlich daß er um Jungfer Betty freien wolle.

Was ist denn dabei, sagte der jüngere und wurde dabei ein bischen gereizt, ich weiß nicht, wen das wohl etwas anginge?

Werde nur nicht böse, mein lieber Robert, sprach der ältere, ich habe dazu nichts zu sagen, ich finde aber, daß die Unsrigen sich mit der Sache beschäftigen und dem armen Mädchen deswegen Ungelegenheiten machen.

Wen meinst du mit den Unsrigen? fragte Robert. – Ich verstehe meine Mutter und Schwestern darunter, sagte der ältere Bruder, aber gestehe mir einmal aufrichtig, liebst du Betty wirklich ernsthaft?

Ich will es dir frei heraus bekennen, sagte Robert, ich liebe sie mehr als alle Mädchen der Welt und ich muß sie haben, mögen die Unsrigen sagen und tun, was sie wollen, ich glaube auch, das Mädchen wird mich nicht abweisen.

Noch an demselben Abend fand er Gelegenheit, mir das ganze Gespräch zu wiederholen. Als ich das hörte, ging es mir sehr zu Herzen, denn obwohl meine Vernunft Robert nicht verschmähen wollte, so ließ doch mein Gewissen das nicht zu, obwohl ich meinen Untergang bereits voraussah. Es war aber jetzt nicht an der Zeit darüber zu sprechen, und so unterbrach ich die Erzählung mit den Worten: Meint er denn, ich könne mich ihm nicht versagen, nun so soll er sehen, daß ich es kann!

Still, mein Schatz, sprach er, laß mich erst mit meiner Erzählung zu Ende kommen, und dann sage, was du willst.

Darauf fuhr er fort und sprach, er habe seinem Bruder so zugeredet: Mein lieber Robert, du weißt doch, daß Betty nichts besitzt, und du kannst eine bekommen, die dir eine gute Mitgift mitbringt.

Das ist mir gleichgiltig, sagte Robert, ich mag das Mädchen leiden und ich werde mich beim Heiraten nicht nach dem Geldbeutel richten, sondern nach meiner Neigung.

Darum, fügte der ältere hinzu, sehe ich nicht, wie man ihn davon abbringen könne.

Allerdings, sagte ich, ich kann und werde ihn davon abbringen. Ich habe jetzt Nein sagen gelernt, vorher war ich nicht so klug. Sollte mir jetzt der größte Herr im ganzen Lande einen Antrag machen, so würde ich ihn getrost abschlagen.

Aber, mein Engel, sprach er weiter, was kannst du ihm nur sagen? Du weißt, daß er dich hart bedrängen wird, und das ganze Haus wird sich wundern und herauszubekommen versuchen, was hinter deiner Widerspenstigkeit steckt.

O, sagte ich, ich kann ihnen allen den Mund stopfen, wenn ich sowohl Robert, wie auch den übrigen beichte, daß ich schon mit dem älteren Bruder verheiratet bin.

Er lächelte ein wenig bei diesen Worten, doch merkte ich, daß er stutzig wurde und daß er seine Bestürzung schwer verbergen konnte. Er antwortete, es sei wohl in gewissem Sinne wahr, daß ich mit ihm verheiratet wäre, doch meine er, es sei nur ein Scherz von mir, mich auf solche Weise herauszureden, weil es sich wegen mancherlei Ursachen nicht schicken würde.

Ich antwortete, ich hätte auch nicht sonderlich Lust, dieses Geheimnis ohne seinen Willen herauskommen zu lassen.

Was könntest du meinem Bruder denn für Einwendungen machen, fragte er, wenn jedermann sieht, daß du eine Heirat ausschlägst, die dir allem Anschein nach doch so große Vorteile einbringen würde.

Darum bin ich nicht verlegen, sprach ich, denn erstens bin ich nicht verpflichtet jemandem Rede zu stehen, aus welchem Grunde ich es abschlage, zweitens kann ich ihnen sagen, daß ich schon verheiratet bin, und weiter nichts. Dies wird deinem Bruder genügen, denn er hat keinen Grund mich weiter danach zu fragen.

Aber sie werden dich quälen, und wenn du gänzlich schweigst, es übelnehmen und auf allerhand Argwohn verfallen.

Dann kann ich nichts dafür, sprach ich, was soll ich nun tun? Ich war bereits bekümmert genug und habe dir deswegen meinen Zustand geoffenbart, damit du mir einen guten Rat geben sollst.

Mein Schatz, sprach er, ich habe es reiflich überlegt, das kannst du glauben, und ich will dir einen Rat geben, der mir zwar selber schwer und dir im ersten Augenblick vielleicht spanisch vorkommen wird, aber er ist doch der beste Weg, der dir offensteht, wenn man alle Umstände in Betracht zieht, nämlich: daß du meinem Bruder willfährst, und falls du findest, daß es ihm rechter Ernst damit ist, ihn heiratest.

Ich warf bei diesen Worten einen entsetzten Blick auf ihn und wurde leichenblaß und wollte vom Stuhl herunterfallen. Aber er ergriff mich und schrie aus vollem Halse: Mein Kind, was ist dir? Was soll das heißen? und dergleichen. Er rüttelte und schüttelte mich, rief und schrie so lange, bis ich wieder ein wenig zu mir kam, obgleich es noch eine gute Weile dauerte, ehe ich mich recht besinnen und reden konnte, denn die Sprache war mir für einige Minuten vergangen.

Als ich nun wieder völlig zu mir gekommen war, fing er an: Mein Schatz, ich wollte doch nur dein Bestes, du siehst doch, wie es in diesem Falle mit der ganzen Familie steht, sie würden alle rasend werden, denn soviel ich daraus ersehen kann, würde es nicht nur mich sondern auch dich ins Verderben stürzen.

Sind denn alle deine Gelübde und Beteuerungen, sagte ich, durch das bloße Mißfallen der Familie über den Haufen geworfen? Habe ich dir das nicht immer vorgehalten, und du hast es in den Wind geschlagen als eine Kleinigkeit, die du gering achtetest und leicht überwinden würdest? Ist es nun so weit gekommen? Ist das deine Treue, deine Ehe, dein wohlgegründetes Versprechen?

Er blieb bei allen diesen Vorwürfen sehr ruhig, obgleich ich gar nicht sparsam damit umging. Endlich sagte er: Mein Schatz, ich habe noch keine meiner Versprechungen gebrochen. Meine Zusage war, dich zu heiraten, wenn ich zu meinem väterlichen Erbteil gelangen würde, du siehst aber, daß mein Vater ein gesunder, frischer Mann ist, der noch gut dreißig Jahre leben kann, ohne damit älter zu werden als viele andere in der Stadt. Du hast niemals von mir verlangt, daß ich dich eher als dann heiraten sollte, weil du wußtest, daß es mein Untergang sein würde. Im übrigen bin ich dir in keiner Weise zu nahe getreten.

Ich konnte nichts dagegen einwenden. Aber warum, fragte ich, konntest du mich denn überreden dich zu verlassen, da du mich doch nicht verlassen hast? Habe ich für meinen Teil etwa keine Liebe, keine Neigung, die du in so großem Maße hegst? Habe ich dir keine Gegenliebe bezeigt? Habe ich von meiner Leidenschaft und Aufrichtigkeit etwa kein Zeugnis abgelegt? Sind die Opfer der Sitte und Ehre nicht Beweise genug, daß ich mit dir allzu fest verbunden bin, als daß ich mit dir brechen könnte?

Aber hier, mein Schatz, sagte er, kannst du in sichere Verhältnisse kommen und dich mit Ehren sehen lassen. Die Erinnerung dessen, was zwischen uns vorgefallen ist, wollen wir in ewiger Vergessenheit begraben, als wenn es nie gewesen wäre. Du kannst dich jederzeit meiner aufrichtigen Gewogenheit versichert halten, nur soll dieselbe ehrlich sein und meinem Bruder keinen Schaden tun. Du sollst dann meine liebe Schwester heißen, so wie du jetzt – – hier hielt er inne.

Deine liebe Hure, warf ich ein, hast du sagen wollen, du brauchst gar kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Doch ich verstehe dich schon. Inzwischen sei so gut, dich der langen Unterredungen zu erinnern, die wir miteinander gehabt haben, und der vielstündigen Mühe, die du dir gegeben hast mich zu überreden, daß ich mich für so ehrlich halten sollte wie nur irgend eine auf der Welt, daß ich vor Gott deine Ehefrau wäre, und daß unsere Vereinigung ebensoviel wert sei, als wenn uns ein Priester getraut hätte. Du weißt, daß dies deine eigenen Worte gewesen sind.

Dies ging ihm doch ein wenig nahe. Er stand eine Zeitlang unbeweglich und sagte kein Wort, dann fuhr ich fort: Wenn du nicht ungerecht sein willst, so kannst du nicht glauben, daß ich mich auf all die süßen Worte hin ergeben hätte, wenn ich an deiner Liebe gezweifelt oder nicht gedacht hätte, solche Liebe könne nie aufhören, komme was da wolle. Hegst du aber dergleichen schändliche Gedanken von mir, so muß ich fragen, womit ich das verdient habe. Wenn ich aber meiner starken Liebe nachgegeben und dabei geglaubt habe, ich sei wirklich deine Frau, warum soll ich jetzt diesen ganzen Grund über den Haufen werfen und mich deine Hure oder Freiliebste nennen, was auf eins herauskommt? Willst du mich deinem Bruder übergeben? Kannst du auch meine Liebe auf jemand andern hinlenken? Kannst du mir befehlen, nicht dich sondern ihn zu lieben? Nein, mein Lieber, das ist unmöglich. Denn du magst dich ändern wie du willst, ich will dir doch allzeit treu bleiben und eher, da es doch so weit gekommen ist, deine Freiliebste als deines Bruders Weib sein.

Die letzten Worte schienen ihm zu gefallen und sein Herz zu rühren. Er sagte mir, es wäre seinerseits nichts versäumt, keine Zusage gebrochen worden, alles bliebe ebenso wie vorher, aber es stellten sich ihm so viele schreckliche Dinge vor Augen, daß er das obengenannte Mittel vorgeschlagen habe, nicht daß wir dadurch gänzlich geschieden sein sollten sondern unser Leben lang Freundschaft miteinander halten könnten, was uns vielleicht mehr Zufriedenheit gewähren würde als unser jetziger Zustand. Ich könne doch nicht gut von ihm befürchten, daß er ein Geheimnis entdecken sollte, wodurch wir beide unsern Untergang befördern würden. Eine Frage sei noch zu beantworten, und wenn diese Antwort nach Wunsch ausfiele, so wäre er noch immer der Meinung, daß ich nichts Besseres tun könne als seinem Rate zu folgen.

Ich erriet diese Frage sogleich, nämlich ob ich etwa schwanger sei.

Was das betrifft, sagte ich, so brauche er sich deshalb keine Sorge zu machen, es wäre noch nicht so weit.

So haben wir, sagte er, dann nichts weiter zu besprechen. Überlege es wohl, meine liebe Betty, ich bin noch immer der Ansicht, daß mein Rat der beste ist. Und hiermit nahm er schnell Abschied, weil er seine Mutter und die Schwestern kommen hörte.

Er ließ mich in der größten Verwirrung zurück, die er mir auch am folgenden Tage und die ganze Woche hindurch anmerkte, allein es fand sich keine Gelegenheit, sich mir eher zu nähern als erst am Sonntag, da ich wegen Unpäßlichkeit nicht zur Kirche ging und er gleichfalls eine Entschuldigung fand, um zu Hause zu bleiben.

Dieses Mal war er wieder anderthalb Stunden mit mir allein, und unser Gespräch war dasselbe wie neulich. Zuletzt fragte ich ihn im Zorn, was er wohl von meiner Ehrbarkeit hielte, wenn er mir zumutete, ich sollte bei zwei Brüdern schlafen. Ich versicherte ihm dabei, daß dies niemals angehen könnte, und fügte noch hinzu, wenn er mir sagte, daß er mich niemals wiedersehen wollte, was mir nächst dem Tode das schrecklichste zu sein schiene, so könnte ich mich doch nicht an solche Gedanken gewöhnen, die mir schändlich und unanständig seien. Deswegen ersuchte ich ihn, wenn er noch die geringste Achtung und Neigung für mich übrig hätte, nicht mehr mit mir davon zu reden oder mir sonst lieber seinen Degen in die Brust zu stoßen. Er schien über meinen Eigensinn sehr bestürzt zu sein und sagte, es sei weder mir noch ihm daran gelegen, es wäre nun eben ein so wunderbarer Zufall, den wir beide nicht vorausgesehen hätten, und doch gäbe es keinen andern Weg als den, welchen er mir vorgeschlagen hätte, um uns beide aus der Not zu reißen, und er müßte es mir deswegen übel deuten, daß ich seinen Rat nicht befolgen wolle. Wenn ich ihm aber verböte davon noch etwas zu sagen – und dies sagte er mit der größten Kaltblütigkeit – so wüßte er sonst nichts, wovon wir noch weiter reden sollten. Mit diesen Worten stand er auf, um sich zu verabschieden.

Ich stand ebenfalls auf mit derselben Kaltblütigkeit, allein als er mir sozusagen den Abschiedskuß gegeben, brach ich in Tränen aus, so daß ich nicht zu sprechen vermochte, auch wenn ich gewollt hätte. Ich drückte seine Hand, tat so, als sagte ich ihm gute Nacht, weinte aber bitterlich.

Hierdurch wurde er gerührt, danach setzte er sich wieder zu mir und redete mir viel vor, kam aber immer auf seinen Ratschlag zurück und gab mir zu verstehen, daß er mich auch, wenn ich ihn nicht befolgte, doch versorgen werde, ließ mich aber deutlich merken, daß er ferner mit mir nichts zu tun haben wollte und mich nicht als seine Geliebte betrachten könnte, weil es seiner Ehre zu nahe träte, einen vertrauten Umgang mit derjenigen Frau zu pflegen, die allem Vermuten nach heute oder morgen seines Bruders Frau werden würde.

Der Verlust keines Liebhabers ging mir je so zu Herzen als der Verlust dieses ersten, und der Verlust meiner Hoffnung, ihn jemals zum Ehegatten zu bekommen, weil ich ihn unmenschlich lieb hatte. Dies drückte mich dergestalt nieder, daß ich ein hitziges Fieber bekam und eine Zeitlang an meiner Besserung zweifelte. Es kam so weit mit mir, daß ich oft raste, aber nichts ängstigte mich so sehr als die Furcht, daß ich in meinem Wahne eines oder das andere zu meines Geliebten Nachteil vorbringen könnte. Es ging mir sehr nahe, daß ich ihn nicht sehen durfte, und er litt deswegen auch sein Teil, denn er liebte mich wohl wirklich von Herzen. Allein es konnte nicht geschehen, daß wir uns sahen, auch hatten wir beide keinen Grund, es zu verlangen, weil unsere Liebe dadurch entdeckt worden wäre.

Beinahe drei Wochen blieb ich im Bett, und obgleich sich die Heftigkeit des Fiebers nach drei Wochen legte, kam es doch zu verschiedenen Zeiten wieder. Die Arzte erklärten einige Male, sie wüßten nichts mehr zu verordnen, die Natur müßte sich selbst helfen. Am Ende der fünften Woche besserte es sich mit mir, allein ich war noch so schwach, so verändert und erholte mich so langsam, daß die Arzte befürchteten, ich hätte die Schwindsucht. Das aber verdroß mich am meisten, daß sie sagten, mein Gemüt sei niedergeschlagen, ich müßte etwas auf dem Herzen haben, kurz, ich müßte wohl verliebt sein. Als sie dies im Hause hörten, quälten sie mich fortwährend, ich sollte doch sagen, ob ich verliebt wäre und in wen, aber ich gestand nichts.

Es fiel dieserhalb eines Tages bei Tische ein Zwist vor, worüber die ganze Familie aufrührerisch wurde. Außer dem Vater waren sie alle versammelt. Was mich betraf, so lag ich krank in meiner Kammer. Zu Anfang des Gesprächs befahl die alte Mutter der Magd, sie sollte hinaufgehen und fragen, ob ich noch etwas verlangte. Aber die Magd brachte den Bescheid, daß ich noch nicht die Hälfte von dem genossen hätte, das sie mir hingestellt hätten.

Das arme Mädchen, sagte die Mutter, fürchte ich, wird nie wieder genesen.

Wie sollte es wohl anders sein, sagte der ältere Sohn, wenn sie verliebt ist.

Ich glaube kein Wort davon, sagte die Mutter. Wer weiß, sprach die älteste Schwester, man hat so viel Wesens von ihrer Schönheit gemacht und zwar in ihrer Gegenwart, vielleicht hat ihr dies den Kopf verdreht, und dann ist es immer schlimmer geworden. Ich wüßte nicht, wie ich es mir sonst erklären sollte.

Du mußt doch zugeben, sagte der ältere Bruder, daß Jungfer Betty sehr schön ist.

Jawohl, sagte Robert, viel schöner als ihr seid, und das verdrießt euch eben.

Darum handelt es sich nicht, sprach die eine Schwester, das Mädchen ist artig genug, und sie wird es selber auch wissen, ist es aber deshalb nötig, daß man es ihr sagt, damit sie sich etwas darauf einbildet?

Wir reden jetzt nicht von ihrer Eingebildetheit sondern davon, daß sie verliebt sein soll, sagte der ältere Bruder. Vielleicht ist sie in sich selbst verliebt, wie meine Schwestern anzunehmen scheinen.

Ich wünschte, sie wäre in mich verliebt, sagte Robert, ich wollte sie bald heilen.

Was willst du damit sagen, mein Sohn, sprach die Mutter, wie kannst du wohl so reden?

Liebe Mutter, versetzte Robert, meint ihr, daß ich das arme Mädchen aus Liebe sterben lassen würde, und noch dazu, wo ich so nahe bei der Hand bin?

Pfui, Bruder, sagte die jüngere Schwester, wie kannst du so reden, willst du eine zur Frau nehmen, die keinen Heller Vermögen hat?

Mein liebes Kind, sagte Robert, Schönheit ist ein Brautschatz, und ein frommes Gemüt dabei ist eine gute Morgengabe. Ich wünschte, du hättest nur die Hälfte ihrer Mitgift.

Darauf schwieg die jüngere Schwester.

Nun, sagte die ältere, wenn auch Betty nicht verliebt ist, so ist es doch mein Bruder. Mich wundert, daß er ihr sein Anliegen noch nicht geoffenbart hat, ich wette, sie würde nicht Nein sagen.

Die sich ergeben, wenn man sie bittet, haben etwas vor denen voraus, die man noch nie darum gefragt hat, und noch mehr vor denen, die sich ergeben, ehe man sie darum fragt. Da hast du meine Antwort, Schwester.

Dies war Öl ins Feuer gegossen. Die Schwester wurde zornig und sagte, es wäre nunmehr hohe Zeit, das Mensch – damit meinte sie mich – aus dem Hause zu schaffen. Da solches aber jetzt wegen der Krankheit nicht geschehen könne, so hoffe sie, Vater und Mutter würden dafür Sorge tragen, sobald ich nur imstande wäre, mich von dannen zu bringen.

Robert sprach, das ginge nur die Eltern an, welche wohl nicht nötig hätten, sich von jemandem etwas vorschreiben zu lassen, der so wenig Verstand hätte wie seine Schwester.

Es kam noch besser: Die Schwester schalt, Robert schimpfte und schmähte, aber die arme Betty verlor dabei am meisten. Man sagte es mir, und ich weinte von Herzen darüber, bis die gnädige Frau herauf kam, weil man ihr erzählt hatte, wie sehr ich mich darüber grämte. Ich klagte ihr, daß es unrecht von den Ärzten gehandelt sei, mir solches unterschieben zu wollen, zumal wenn man meine Stellung in der Familie betrachte. Ich hoffte indessen, daß ich nichts getan hätte, was mir die Gunst der gnädigen Frau entziehen könne, um so weniger, als ich mich auch nur im geringsten an den Zänkereien zwischen ihren Kindern für schuldig halten könne, zumal ich mehr Ursache hätte an den Sarg als an Liebe zu denken, und ich bat sie, daß sie mich doch um keines andern als meines eigenen Versehens halber aus ihrer Gunst ausschließen möge.

Sie begriff gar wohl, daß ich im Recht war, sagte mir aber, weil doch solch ein Streit in ihrem Hause meinetwegen entstanden wäre, und ihr jüngster Sohn so wunderliche Reden führte, ihr Vertrauen zu schenken und ihr auf eine Frage aufrichtig zu antworten. Ich versprach es mit der größten Aufrichtigkeit und Redlichkeit. Darauf fragte sie mich, ob zwischen mir und ihrem Sohne Robert irgendwelche Beziehungen beständen.

Ich antwortete mit höchster Beteuerung, es sei nichts zwischen uns vorhanden, auch niemals etwas gewesen. Herr Robert hätte wohl, fuhr ich fort, gescherzt, wie die gnädige Frau ja an ihm gewöhnt wäre, ich hätte es auch stets so aufgefaßt, als eine jugendliche Art zu reden, die nichts zu bedeuten habe. Ich gab ihr also die feste Versicherung, daß zwischen uns nichts bestände, und daß diejenigen, die es gesagt hätten, mir gar sehr zu nahe träten und auch dem Herrn Robert einen schlechten Dienst damit erwiesen hätten.

Hiermit war die gnädige Frau völlig zufrieden, küßte mich, gab mir gute Worte, bat mich, auf meine Gesundheit Bedacht zu sein und es mir an nichts fehlen zu lassen, worauf sie mich verließ.

Als sie aber hinunter kam, fand sie ihren jüngeren Sohn und die Schwestern in voller Wut. Er hielt ihnen vor, daß sie gar nicht hübsch wären und niemals einen Verehrer gehabt hätten, daß sich noch niemand um ihre Gunst bemüht hätte, sondern daß sie fast genötigt gewesen wären, sich den Männern anzubieten und dergleichen mehr. Er hielt ihnen Jungfer Betty vor, wie sie so artig und fromm wäre, wie viel besser sie sänge und tanzte, ja wieviel mehr Schönheit sie vor ihnen voraus habe, und unterließ nichts, was die guten Fräulein kränken konnte. Die Mutter wollte Frieden stiften und erzählte das Gespräch, das sie eben mit mir gehabt hatte, und daß ich ihr versichert, es läge nichts zwischen mir und Robert.

Darin hat sie unrecht, sagte Robert, denn wenn nichts zwischen uns wäre, würden wir uns wohl näher stehen. Ich habe ihr gesagt, daß ich sie ungemein liebe, aber sie hat es niemals glauben wollen.

Wie ist das möglich, sagte die Mutter, wer seine Sinne beieinander hat, muß doch wohl glauben, daß du es ernstlich meinst, wenn du dem armen Mädchen solche Dinge sagst. Allein, lieber Sohn, fuhr sie fort, da du uns gestehst, sie habe dir nicht glauben wollen, so sage doch endlich, was wir davon denken sollen. Denn du führst so seltsame Reden, daß man nicht klug daraus wird, noch wissen kann, ob es Ernst oder Scherz ist. Aber da ich auch nach deiner Aussage weiß, daß das Mädchen mir die reine Wahrheit gesagt hat, so möchte ich, daß du es auch tätest und mir offenherzig sagtest, ob etwas daran ist oder nicht, ob es dein Ernst ist oder nicht. Es ist dies eine wichtige Frage, und ich möchte sie gern beantwortet haben.

Bei meiner Ehre, Frau Mutter, es ist vergeblich, die Sache zu umgehen oder zu bemänteln, sagte Robert, es ist mir so ernst damit als jemandem, der zum Tode geführt wird. Würde Jungfer Betty sagen, daß sie mich lieb hätte, so wollte ich mich morgen früh vor dem Frühstück mit ihr trauen lassen und statt meines Frühstücks vor dem Prediger Ja sagen.

So ist denn, sprach die Mutter betrübt, einer von meinen Söhnen verloren.

Ich hoffe, Frau Mutter, sagte Robert, der Mann ist nicht verloren, der eine gute Frau findet.

Aber, mein liebes Kind, fuhr die Mutter fort, sie ist eine Bettlerin.

Eben darum, antwortete Robert, muß man Liebe und Barmherzigkeit an ihr üben. Ich würde sie auch nehmen, wenn sie Almosenempfängerin wäre, sie und ich würden dann zusammen betteln gehen.

Mit solchen Dingen soll man nicht scherzen, sagte die Mutter.

Ich scherze nicht, sagte Robert, ich wollte kommen und euch und meinen Herrn Vater um euren Segen bitten.

Das gehört nicht hierher, sagte die Mutter, wenn das wahr ist, so bist du ein verlorener Sohn.

Darum ist mir nicht angst, sagte Robert, denn ich zweifle sehr, ob Jungfer Betty mich haben will, es mag meinen Schwestern auch noch so spanisch vorkommen: ich glaube nicht, daß ich jemals so glücklich sein werde sie zu überreden.

Das ist gut, wandte die jüngere Schwester ein, es ist also noch nicht so weit mit ihr gekommen! Jungfer Betty ist aber keine Närrin, meinst du, daß sie mehr als andere gelernt hat und Nein sagen wird?

Es ist wahr, Fräulein Naseweis, sprach Robert, Jungfer Betty ist keine Närrin, aber Jungfer Betty kann ja schon anderweitig versprochen sein.

Dagegen läßt sich nichts sagen, sprach die andere Schwester, aber wer sollte dies wohl sein, mit dem sie versprochen ist, sie kommt ja nicht aus dem Hause, es muß einer von euch beiden sein.

Das geht mich nichts an, sprach Robert, ich bin genug darüber befragt worden, da ist mein Bruder, wenn einer von uns es sein soll, so wendet euch an ihn.

Dies traf den Nagel auf den Kopf, und der ältere Bruder schloß daraus, daß Robert hinter seine Heimlichkeit gekommen sei. Doch er bewahrte seine Fassung und sagte spöttisch: Mich laßt aus dem Spiel, ich habe mit dergleichen Geschwätz nichts zu tun, noch habe ich der Jungfer Betty das geringste Wort gesagt. Damit stand er auf und ging fort.

Da sprach die ältere Schwester: Für diesen Bruder will ich einstehen, der kennt die Welt besser.

So hatte das Gespräch ein Ende, allein es machte den älteren Bruder ganz bestürzt. Er bildete sich ein, daß Robert etwas entdeckt haben müßte, nur zweifelte er, ob ich dabei die Hand im Spiel gehabt oder nicht. So gern er nun zu mir gekommen wäre, um Licht in die Sache zu bringen, so wenig wollte sich eine Gelegenheit dazu bieten. Nachdem er alle Mittel versucht hatte, wurde er endlich schlüssig mit mir zu sprechen, koste es was es wolle. Daraufhin hielt er eines Tages seine ältere Schwester an, als sie die Treppen hinaufgehen wollte.


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